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SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE _________________________________________________________________________________ SWR2 Musikstund...
Author: Curt Abel
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SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE _________________________________________________________________________________

SWR2 Musikstunde Pasticcio musicale 09-15 Von Konrad Beikircher Sendung: Redaktion:

Samstag, 19. September 2015 Martin Roth

9.05 – 10.00 Uhr

Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.

Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Musik sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für € 12,50 erhältlich. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de

Pasticcio musicale (September 2015) ... wieder mit Ihrem Konrad Beikircher.... Titelmusik ... der diesmal gar nicht so recht weiß, wie er beginnen soll, abgesehen davon, dass er Ihnen einen schönen Tag wünscht, dass er sich dafür bedankt, dass Sie ihm zuhören und dass er hofft, Sie gut gelaunt in den Samstag hinein unterhalten zu können. Samstag, was für ein eigenartiger Tag: für mich ist er immer noch geprägt von meiner Zeit im Schülerwohnheim "Antonianum" in Bozen. Da war ich von meinem zehnten bis zu meinem achtzehnten Lebensjahr, drei Franziskaner-Patres haben versucht, 8o Zöglinge unter Kontrolle zu halten, am Samstag aber mussten sie uns in die Stadt lassen: von 16 bis 17 Uhr 30 war Beichtausgang. Der Ausgang diente natürlich in erster Linie der Beichte, der Ausgang war aber insbesondere die Vorbereitung auf das Leben „draußen“, für alle Altersstufen. Das waren zwar nur anderthalb Stunden pro Woche, aber irgendwann kommt auch da eine stattliche Summe heraus! Natürlich gingen wir in den ersten zwei Jahren wirklich zur Beichte und zwar in die Franziskanerkirche in Bozen. Da war aber die Frage: Bei wem beichtet man am günstigsten? Eine extrem wichtige Frage, denn Zeit war kostbar, da konnte man jetzt nicht eine halbe Stunde Vaterunser herunterleiern, dann war der Beichtausgang vorbei und man hatte vom Leben nichts gesehen. P. Leopold, das wussten wir, war besonders streng, bei dem kam man unter fünf Vaterunser nicht weg, möglicherweise sogar zwei oder drei Engel-Des-Herrn noch obendrauf, wenn die Woche besonders sündig war. Einfach nur zwei Vaterunser beten und damit so tun, als hätte man keine Sünde abzubüßen, das hat sich keiner getraut: Da schwebte schließlich eine riesige Jesusfigur im Fenster der Apsis und schaute einen an, überall sind Fresken, ehrwürdige gotische Flügelaltäre, die irgendwie Respekt einflößen, aber vor allen Dingen wusste man nie genau, ob nicht doch irgendein Pater einen beobachtet und alles genau registriert: „Fünf Vaterunser aufgehabt, aber nur zwei gebetet, na warte!“ Zu wem also gehen? Die Jungs aus der nächst höheren Klasse, die „Zwoatila“, kannten diese Nöte und halfen: „Es miaßt zin P. Augustin giahn, do ischis am günschtigschten“, aha, P. Augustin, der legendäre Deutschlehrer der Mittelschule bis Gymnasium, der so hilflos war, dass in seiner Stunde eine klassische Lausbubensportart gepflegt wurde: Papierflieger werfen, und das machte vor allem deswegen so viel Spaß, weil er immer den bestrafte, bei dem der Flieger landete. Ansonsten war P. Augustin eine lächelnde Seele von Lehrer mit heimlichem Hang zum Anarchismus - als braver und frommer Franziskaner war er ein glühender Verehrer von Heinrich Heine! Im Beichtstuhl war er ein großer Verzeiher, der allerdings einen Nachteil hatte: Er war ein bisschen tearat, schwerhörig. Das aber hatten uns die Drecksäcke aus der Zwoatila natürlich nicht gesagt. Wir haben uns so am Samstag, als wir in der Kirche vor dem Beichtstuhl von P. Augustin knieten, nicht gewundert, dass so viele Zwoatila ebenfalls da waren, werden schon auch auf die augustinische Milde angewiesen sein, dachten wir. Kaum war der erste drin und flüsterte seine Sünden ins Gitter, dröhnte die Stimme von P. Augustin durch die Kirche: 2

„Wie oft? Allein oder mit anderen?“, und hinter uns Gekicher der Zwoatila, Kopfwenden der Erwachsenen, die vor anderen Beichtstühlen auf die Absolution warteten, kurz: die Blamage war grenzenlos. Mit hochrotem Kopf kamen die Sünder heraus und verkrochen sich zum Vaterunser in die nächste dunkle Ecke der Kirche, auf ewig der Lächerlichkeit preisgegeben. Natürlich haben wir im Schuljahr darauf ebenso den „Earschtilan“ gesagt: „Es miaßt zin P. Augustin giahn, do ischis am günschtigschten“.

Giuseppe Verdi: „Pater noster“ für fünfstimmigen Chor a cappella SWR Vokalensemble Stuttgart Leitung: Marcus Creed Dauer: 6‘50 An das Antonianum grenzte die Handelsoberschule. Die Mädchen, die dort waren, schauten die seltenen Male, in denen das möglich war - wir wechselten uns meistens mit dem Vormittags- und Nachmittagsunterricht ab -, in der Pause auf unseren Hof. Auch die Barbara schaute. Sie war vom Ritten, war der heißeste Teenager von Bozen und war bis über beide Ohren in mich verknallt. Am Ende des dritten Schuljahres lernten wir uns dann endlich kennen: Ihre Cousine passte mich beim sonntäglichen Gang zur Franziskanerkirche ab, flüsterte mir zu: „Am Samstag um vier in der Moser Bar!“, und es war um mich geschehen. Natürlich ging ich nach dem nächsten Beichtausgang in die Moser-Bar am Ende des Dominikaner Platzes. Die Moser Bar wurde von Herrn und Frau Moser betrieben, er aus Bruneck und sie eine Frau, die aussah, als stünde sie kurz vor einem Tränenausbruch, aber sie war voller mütterlich-kuppeliger Gefühle für mich. Ab und zu waren wir Jungs vom Antonianum schon gemeinsam dort gewesen, um während eines Beichtausgangs einen Macchiato zu trinken. In der Moser-Bar stand schließlich eine Wurlitzer und die hatte die heißeste Musik Bozens. Hier gab es keinen Peter Kraus und keine Connie Francis, hier gab es nur Wanda Jackson, Elvis, Bill Haley und vor allem: Little Richard und Adriano Celentano. Dahin ging ich also nun, hatte mir extra die grüne Strickjacke angezogen und ein weißes Hemd und kurz vor Betreten der Moser-Bar stellte ich mir den Hemdkragen hoch, weil es ja schließlich um alles ging. Da stand sie mit ihrer Cousine: Barbara, der Hammer! Petticoat, aber mindestens zehn Lagen, Strümpfe mit Naht und ein Schmollmund, gegen den Brigitte Bardot ein Schnullermädchen war. W!O!W! Mir verschlug es den Atem, zum Glück aber war erst einmal die Cousine dabei, die uns zu einem Tisch führte, hinter der Wurlitzer, links in der Ecke, von außen nicht einsehbar. Nach zehn Minuten Gekicher und Gemache murmelte sie, dass sie noch was besorgen müsse, dann war Narkose. Frau Moser kam wohl mehrmals an den Tisch, um nach unseren Wünschen zu fragen, aber wünscht man sich noch was, wenn man alles, wovon man jemals geträumt hat, in den Armen hält? Siebzig Minuten Zungenkuss, mir hat der Mund bis Mittwoch oder Donnerstag weh getan, siebzig Minuten langsames Vortasten und mit einer Hand wie aus Versehen den Busen streifen, das hieß siebzig Minuten Beherrschung bis zum Äußersten. Ich weiß nicht mehr, wie ich ins Antonianum kam, ich weiß nur noch, dass ich ein Ziehen im Schritt hatte, das tagelang anhielt, Schmerzen ohne Ende und keine Heilung in Sicht. Monatelang ging das so, genauer: anderthalb Schuljahre lang. 3

Erst ein Jahr später hatten meine Freunde aus dem Antonianum herausbekommen, wohin ich immer verschwand beim Beichtausgang – und da war ich schon von der Moser-Bar in die Loreto-Bar gewechselt, weil ich befürchtete, dass sie mich finden würden –, und tauchten plötzlich auf, standen vor uns in der Loreto-Bar in der Kapuzinergasse und wollten schon hämisch loslachen, als sie uns im Kuss so ineinander versunken sahen. Dann aber löste sich Barbara von mir, zog ihren schönsten Schmollmund und schaute diese Tölpel mit einem so vernichtenden Blick an, dass sie, fasziniert von soviel Schönheit und Stolz, verstummten und kleinlaut abzogen. Und mit O-Beinen ging ich aus der Loreto-Bar ins Antonianum zurück und wenn mich P. Franz gefragt hätte, ob ich bei der Beichte war, hätte ich ohne zu zögern „Selbstverständlich“ gesagt. Francis Poulenc: „Les chemins de l’amour“, Lied bearbeitet für Klarinette und Klavier Nicola Jürgensen (Klarinette) Matthias Kirschnereit (Klavier) Dauer: 3‘00 Rudi Stephan! Sagt Ihnen das was? Mir hat es nichts gesagt, als ich seinen Namen im Kalender mit Musiker-Jubiläen fand, denn er ist am 29. September vor hundert Jahren gestorben, nein, gefallen. In Ternopol. Rudi Stephan also. Das klingt, als wäre er ein Fußballer gewesen, aber nein, er war Komponist. Weil ich - ich will ja vor Ihnen, meinen Freunden, jetzt nicht so tun, als sei ich allwissend. Das ist nämlich eine Krankheit der Moderatoren, dass sie sich dadurch, dass sie Ihnen das erzählen, was sie recherchiert haben, Sie in die Eselsbank setzen, Ihnen zurufen: "So, jetzt passt mal auf und schreibt brav mit, klar?!" und somit sich das Mäntelchen des Allwissenden umhängen können. Ich kannte also den Namen nicht, Rudi Stephan? Nie gehört, also begab ich mich auf die Suche, und siehe da, was für ein Fund! 1887 in Worms geboren und mit 28 Jahren vor 1oo Jahren im Krieg gefallen. Da war also nicht viel Zeit, um sich in die Annalen einzugraben und dennoch: er hat es getan. Er hat in Frankfurt und in München Komposition studiert, von 1905 bis 1908 und lebte dann, ab seinem 19. Lebensjahr, als freischaffender Komponist in München. 1911 gab er sein Debut mit u.a. der ersten 'Musik für Orchester'. Dieses Konzert war heftigst umstritten, was aber der Aufmerksamkeit, die er plötzlich auf sich zog, natürlich nur gut getan hat. 1912 und 1913 folgten weitere Konzerte die seinen Ruf festigten. Den Ruf, einer der talentiertesten jungen deutschen Komponisten zu sein. Die Musik in Geschichte und gegenwart scheibt: "Stephan hat auf revolutionärem Wege einen markanten Initialbeitrag zur Stilwende der Tonkunst um 1910 geleistet. Er hat mit urwüchsiger Kraft und reicher Klangfantasie den Bannkreis der spätromantischen, sensualistischen Stimmungs- und 'Bedeutungs'-musik durchstoßen und in seinen Instrumentalwerken ... erste Modelle ... einer 'musica nova' erstellt." Und weiter: "Die gedrungene und wendige Gebärde, die multiple Dynamik und die schlichte Sinnfälligkeit seiner objektiv-wahrhaft ansprechenden Musik ließen von ihm noch bedeutende Taten auf dem Gebiet der Oper erwarten". Er hat 1914 eine Oper geschrieben: "Die ersten Menschen", die 1920, fünf Jahre nach seinem Tod, uraufgeführt wurde. Genug Informationen, meine ich, die es an der Zeit erscheinen lassen, einen großen Künstler dem Malstrom des Vergessens, in den der Erste Weltkrieg so viele sog, zu entreißen.

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Rudi Stephan: Musik für Violine und Orchester (Beginn) Hans Maile (Violine) Deutsches Symphonie-Orchester Berlin Leitung: Hans Zender Dauer: 4‘00 Die Ungarn, liebe Freunde, schenken uns zur Zeit eher Flüchtlinge als das, was sie uns jahrhundertelang geschenkt haben: Musik. Au, au, au, das ist dir ja vielleicht eine Moderation, aber stimmen tut es dennoch: im Moment stehen die Magyaren nicht gerade ruhmbekleckert da und das war einmal anders. Andererseits: was wissen wir denn wirklich über ungarische Komponisten? Naja, Lakatos und Zymbal und Czardas, gut, aber es gibt auch die andere Seite. Erkel und Bartok und Kodaly und Ligeti und Kurtag und Eötvös aber auch Emmerich Kalman und und und?... und Mihaly Mosony! Am 4. September vor 2oo Jahren, also 1815, in Boldogasszonyfalva geboren, das ist in West-Ungarn, heißt heute Frauenkirchen und ist in Österreich. Er kam aus einer deutschsprachigen Handwerkersfamilie und wurde zu einem der populärsten ungarischen Komponisten. Musik hat er sich selbst beigebracht, erst mit 19 hat er in Pressburg Unterricht bekommen. Das Gelernte hat er schnell selbst als Lehrender weitergegeben und sich einen ausgezeichneten Ruf als Musikpädagoge erworben, er kam in den inneren Kreis des ungarischen Musiklebens, befreundete sich mit Ferenc Erkel und Franz Liszt. Zwischen 1845 und 1856 komponierte er wenig, kam dann mit einer Oper heraus, die einen recht eigenartigen Titel hat: "Kaiser Max auf der Martinswand" (wir erinnern uns an die Geschichte vom Kaiser, der sich im Berg verstiegen hat und dank inbrünstiger Gebete sich wieder befreien konnte, wie man daraus eine Oper machen kann, ist mir, ehrlich gesagt, schleierhaft), Franz Liszt wollte die Oper in Weimar aufführen, wozu es aber nicht kam. Warum? Man weiß es nicht. Diese Oper ist aber auch die Zäsur im musikalischen Leben von Mihaly Mosony, denn schrieb er bis dahin eher europäische Musik, kam jetzt der Umschwung. Er entdeckte die ungarische Seite in sich, änderte seinen namen von Michael Brand in Mihaly Mosony und bekannte sich ab da zu, no, Paprika, Czardas, "Joy Maman"!! und dem Ungarntum. Er schrieb Artikel über Artikel zum Thema ungarische Nationalmusik, er komponierte große Form, Oper und Sinfonik, genau so wie kleine Form, Klavierstücke etwa und einige seiner Kompositionen, Lieder, wurden so populär, dass sie von den Ungarn als echte Volkslieder angesehen wurden. Er ist einer der ersten Vertreter der nationalen romantischen Schule in Ungarn und verdient es, wenn Sie mich fragen, dass wir ihm zuhören! Mihaly Mosonyi: Scherzo aus der Sinfonie Nr. 1 D-Dur Slowakisches Radio-Sinfonieorchester Bratislava Leitung: Robert Stankovsky Dauer: 6‘40 Die erste Bach-Biographie war eine dicke Schwarte und sie war von Albert Schweitzer. Sie sah sehr wissenschaftlich aus und imponierte mir sehr. Dann hab ich tatsächlich auch angefangen, darin zu lesen und hörte gar nicht mehr auf, denn hier war ein Buch, das meinen Vorstellungen von tiefgehender Biographie absolut entsprach. Und das über einen Komponisten, der mir damals wie heute sehr, sehr 5

nahestand. Musikalisch hat mich Karl Richter und seine Aufnahmen für die ArchivProduktion geprägt (ich bitte Sie: seine Matthäus-Passion ist doch immer noch eine der ersten Richtlinien für die Aufführung dieses Meisterwerks, es ei denn, man liebte den dicken Pinsel, dann ist die Klemperer-Aufnahme die Richtschnur, auch sie eine exemplarische Einspielung, ach, was vermisse ich heute oft die Qualität der Aufnahmen der Fünfziger Jahre, das war schon eine große Zeit, gell?!), vom Ernst der Darstellung und der wissenschaftlichen Seriosität aber war es die Biographie von Albert Schweitzer, die mich gefangen nahm. Ich erinnere mich noch daran, dass ich mich darüber wunderte, woher ein Arzt in Afrika, spezialisiert auf Lepra mitten im Urwald in Lambarene - so dachte ich jedenfalls - sich die Zeit nehmen konnte, zwischen Affen, Zebras und Leprakranken noch ein Buch über Bach zu schreiben. Sie sehen, ich wußte damals nicht viel über Albert Schweitzer, die evangelische Welt war dem Südtiroler FranziskanerSchüler zu fremd, aber sein monumentales BachWerk hat mich beeindruckt. Bis heute. Auch wenn ich heute weiß, dass man Bach anders sehen kann, auch wenn die Forschung sich weiter entwickelte und gerade bei Bach viel Neues hervorbrachte, die Biographie von Albert Schweitzer halte ich immer noch für lesenswert und toll. Wollte ich nur mal gesagt haben, wo wir doch am 4. September seinen 5o.ten Todestag begehen durften. J.S. Bach: Präludium C-Dur aus BWV 545 Albert Schweitzer (Orgel) Dauer: 2‘30 Hinweis: Aufnahme aus dem Jahr 1935! Genug Geburtstage, genug Todestage, genug Staatstragendes, da braucht es schon einen kleinen Kontrast, oder? Ich schreibe im Moment an einer Mozart-Biographie für Jugendliche. Sie wird im Arena Verlag erscheinen. Dabei bin ich auf folgendes gestoßen: Nannerl Mozart hat kurz nach dem Tod ihres Bruders den Hoftrompeter Andreas Schachtner gebeten aufzuschreiben, wie Mozart als Kind so war. Schachtner war nämlich ein guter Freund Leopolds und hat mit der Familie musiziert. Hier der Brief, den er am 24. April 1792 geschrieben hat - ins Neudeutsche übertragen und ganz leicht gekürzt: "Hochwohledelgeborne gnädige Frau! ... Zur Sache also! Auf Ihre erste Frage was Ihr seliger Herr Bruder in seiner Kindheit außer seiner Beschäftigung in der Musik für Lieblingsspiele hatte: auf diese Frage ist nichts zu antworten, denn sobald er mit der Musik sich abzugeben anfing, waren alle seine Sinne für alle übrigen Geschäfte soviel wie tot, und selbst die Kindereien und Tändelspiele mussten, wenn sie für ihn interessant sein sollten, von der Musik begleitet werden. Wenn wir, er und ich, Spielzeuge zum Spielen von einem Zimmer ins andere trugen, musste allemal derjenige von uns, der leer ging, einen Marsch dazu singen und geigen. Vor dieser Zeit aber, ehe er die Musik anfing, war er für jede Kinderei, die mit ein bisschen Witz gewürzt war, so empfänglich, dass er darüber Essen und Trinken und alles andere vergessen konnte. Ich wurde ihm daher, weil ich, wie Sie wissen, mich mit ihm abgab, so äußerst lieb, dass er mich oft zehnmal an einem Tage fragte, ob ich ihn lieb hätte, und wenn ich es zuweilen, auch 6

nur zum Spass, verneinte, standen ihm gleich die hellen Tränen im Auge, so zärtlich und so wohlwollend war sein gutes Herzchen. ... Es war ihm fast einerlei, was man ihm zu lernen gab, er wollte nur lernen und ließ die Wahl seinem innigst geliebten Papa, welches Feld er ihm zu bearbeiten auftrug, es schien, als hätte er verstanden, dass er in der Welt keinen Lehrmeister oder Erzieher wie seinen unvergesslichen Herrn Vater hätte finden können. (und auf einem extra Zettelchen schrieb er: Was man ihm immer zu lernen gab, dem hing er so ganz an, dass er alles Übrige, auch sogar die Musik, auf die Seite setzte, z.B. als er Rechnen lernte, waren Tisch, Sessel, Wände, ja sogar der Fussboden voll Ziffern mit der Kreide überschrieben.) ... er war voller Feuer, seine Neigung hing jedem Gegenstand sehr leicht an; hätte er nicht eine so gute Erziehung gehabt, er hätte der ruchloseste Bösewicht werden können, so empfänglich war er für jeden Reiz, dessen Güte oder Schädlichkeit er zu prüfen noch nicht im Stande war. Einige sonderbare Wunderwürdigkeiten in seinem vier- bis fünfjährigen Alter, auf deren Wahrhaftigkeit ich schwören könnte: einmal ging ich mit Ihrem Herrn Papa nach der Donnerstagsmesse zu Ihnen nach Hause, da trafen wir den vierjährigen Wolfgangerl in der Beschäftigung mit der Feder an. Papa: Was machst Du? Wolfgang: ein Konzert fürs Clavier, der erste Teil ist bald fertig. Papa: Lass sehen. Wolfgang: Ist noch nicht fertig. Papa: Lass sehen, das muss was sauberes sein. Der Papa nahms ihm weg und zeigte mir ein Geschmiere von Noten, die meistenteils über ausgewischte Tintenkleckse geschrieben waren (Der kleine Wolfgangerl tauchte die Feder aus Unverstand allemal bis auf den Grund des Tintenfasses ein, daher musste ihm, sobald er aufs Papier kam, ein Tintenklecks entfallen, aber er fuhr mit der linken Hand darüber hin und wischte ihn auseinander und schrieb darauf weiter), wir lachten anfangs über dies verworrene Zeug, aber der Papa schaute dann genau auf die Hauptsache, die Noten, die Komposition und hing lange Zeit regungslos mit seiner Betrachtung über dem Blatte. Endlich fielen zwei Tränen, Tränen der Bewunderung und der Freude aus seinen Augen. Sehen Sie, Herr Schachtner, sagte er, wie alles richtig und regelmäßig gesetzt ist, nur ists nicht zu brauchen, weil es so außerordentlich schwer ist, dass es kein Mensch zu Spielen imstande wäre. Der Wolfgangerl fiel ein: Drum ists ein Konzert, man muss so lange üben, bis man es kann, sehen Sie, so muss es gehen. Er spielte, konnte aber auch nur so viel herausbringen, dass wir erkennen konnten, wo er hinaus wollte. Er hatte damals die Meinung, dass Konzert spielen und Wunder wirken dasselbe sein müsse. Noch eins: Fast bis in sein zehntes Jahr hatte er eine unbezwingliche Furcht vor der Trompete, wenn sie allein, ohne andere Musik, geblasen wurde; wenn man ihm eine Trompete nur vorhielt, war es ebensoviel als wenn man ihm eine geladene Pistole aufs Herz setzte. Papa wollte ihm diese kindische Furcht nehmen und befahl mir einmal ... ihm entgegen zu blasen. Aber mein Gott! hätte ich mich nicht dazu verleiten lassen. Wolfgangerl hörte kaum den schmetternden Ton, da wurde er bleich und begann zur Erde zu sinken, und hätte ich länger angehalten, er hätte sicher Krämpfe bekommen.

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Dies ist ungefähr, womit ich auf die gestellten Fragen dienen kann, verzeihen Sie mein Geschmier, ich bin geschlagen genug, dass ich's nicht besser kann. Ich bin mit geziemend schuldigster Hochschätzung und Ehrfurcht Euer Gnaden Ergebenster Diener Andreas Schachtner Hochfürstl. Hoftrompeter. Salzburg, den 24. April 1792" W.A. Mozart: „Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen“, bearbeitet für Trompete und Orchester Alison Balsom (Trompete) Sinfonieorchester Göteborg Leitung: Edward Gardner Dauer: 2‘50 Jetzt aber ganz schnell, ich muss noch einkaufen und hab mich eh schon so verplaudert, also: danke fürs Zuhören und einen wunderschönen Samstag und bleiben Sie mir gewogen und kommen Sie im Oktober wieder, wenns am dritten Samstag hier im wunderbaren SWR 2 um 9 Uhr wieder heißt: Pasticcio musicale von Ihrem ergebenen Konrad Beikircher Johann Sebastian Bach: Zweistimmige Invention Nr. 8 F-Dur BWV 779 Renaud Capuçon (Violine) Gautier Capuçon (Violoncello)

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