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SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Wissen - Manuskriptdienst Gewaltfreie Erziehung Autorin: Barbara Zillmann Redaktion: Christoph König Regie: Christoph König Sendu...
Author: Cornelia Vogt
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SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Wissen - Manuskriptdienst Gewaltfreie Erziehung Autorin: Barbara Zillmann Redaktion: Christoph König Regie: Christoph König Sendung: Samstag, 06.04.2013, 8.30 Uhr, SWR 2 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Wissen/Aula (Montag bis Sonntag 8.30 bis 9.00 Uhr) sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für 12,50 € erhältlich. Bestellmöglichkeiten: 07221/929-6030 SWR 2 Wissen können Sie ab sofort auch als Live-Stream hören im SWR 2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/wissen.xml

Manuskripte für E-Book-Reader E-Books, digitale Bücher, sind derzeit voll im Trend. Ab sofort gibt es auch die Manuskripte von SWR2 Wissen als E-Books für mobile Endgeräte im so genannten EPUB-Format. Sie benötigen ein geeignetes Endgerät und eine entsprechende "App" oder Software zum Lesen der Dokumente. Für das iPhone oder das iPad gibt es z.B. die kostenlose App "iBooks", für die Android-Plattform den in der Basisversion kostenlosen Moon-Reader. Für Webbrowser wie z.B. Firefox gibt es auch so genannte Addons oder Plugins zum Betrachten von E-Books. http://www1.swr.de/epub/swr2/wissen.xml

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auf Musik oder Atmo (Baby oder schreiende Kinder, siehe Atmos) O-Ton 1Mutter 1 Es gibt ja dieses richtig zerreißende Schreien, und wenn ein Kind so schreit, dann denken die meisten, mit dem ist was passiert. O-Ton 2 Sozialpädagogin Man glaubt nicht, unter was für einem Druck viele Familien aufgrund ihrer Nachbarn stehen. Und wie viele Kinder Gewalt erfahren, damit sie nicht so toben oder schreien. O-Ton 3 Vater Ich hab ihnen halt die Vorschriften gemacht und des halt auch noch komplett verkehrt. Tja. Mit zu stark erhobener Stimme, mit ner Hand, die dann ausgerutscht ist, meist auf n Hintern. O-Ton 4 Mutter 2 Alles so Erziehungssache... zu 95 Prozent liegt es an unserer Erziehung, (so) seh ich das, wie geh ich mit meinem Kind um. Musikakzent Ansage Gewaltfreie Erziehung. Eine Sendung von Barbara Zillmann. Sprecherin Eigentlich darf man sein Kind nicht mehr schlagen - aber tatsächlich tun es laut einer Umfrage in Deutschland immer noch fast die Hälfte aller Eltern. Am Morgen, wenn das Kind nicht zur Schule will, am Abend, wenn es nicht aufräumt, wenn es in den Augen der Erwachsenen etwas Gefährliches tut oder frech ist, gibt es manchmal eine Ohrfeige oder einen Schlag auf den Po. Fast zehn Prozent der Eltern wenden regelmäßig schwerere Formen der Misshandlung an. Obwohl es seit 2000 im Bürgerlichen Gesetzbuch heißt: Zitator Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig. Sprecherin Hartnäckig hält sich der Spruch: "Ein Klaps hat noch niemandem geschadet". Viele glauben, sie müssten "ein Machtwort" sprechen und schreien ihre Kinder an. Obwohl sich die meisten Eltern vornehmen, klug, souverän und gelassen mit den Kleinen umzugehen, kann doch fast jeder von einer eigenen Entgleisung erzählen. Vom schlechten Gewissen danach, dem Ärger über sich selbst, von der verlorenen Zeit und den verlorenen Nerven: O-Ton 5 Gaschler Ich geh ins Zimmer meiner 16 jährigen Tochter. Da liegen Sachen auf dem Boden. Ich scheiß sie zusammen auf Deutsch gesagt, wie ein Rumpelstilzchen, sie schreit 2

vielleicht rum wie ein Rumpelstilzchen, die Türen knallen, dann kommt vielleicht meine Frau auch noch, dann schrein wir uns alle an, dann sind wir alle stinksauer, reden n halben Tag nicht mehr miteinander, dann brauchen wir wieder 3 Stunden, um uns wieder zu versöhnen, das Zimmer ist zwar immer noch nicht aufgeräumt, aber irgendwie klappts wieder. Damit ist locker n halber Tag weg. Diesen halben Tag kann ich auch wesentlich konstruktiver nutzen. Sprecherin Aber wie? Frank Gaschler hat zwei Töchter in der Pubertät. Er ist Trainer für "Gewaltfreie Kommunikation", abgekürzt "GFK". Das Konzept der Nonviolent communication wurde entwickelt von dem amerikanischen Psychologen Marshall Rosenberg, zunächst für Erwachsene. Frank Gaschler half es auch bei der Erziehung seiner Kinder. Denn es hat einen einfachen Grundgedanken. O-Ton 6 Gaschler Die Haltung der Gewaltfreien Kommunikation würde ich zusammenfassen mit dem kurzen Satz, ich möchte andere Menschen so behandeln, wie ich selbst gern behandelt werden möchte. Dieser Satz stammt nicht von Marshall Rosenberg, nicht aus der gewaltfreien Kommunikation, der ist wesentlich älter, zeigt aber für mich, wenn ich mit meinen Kindern umgehe, egal ob die ein Jahr alt sind, zehn oder in der Pubertät, egal, jedes Mal, wenn ich einen Konflikt mit meinem Kind habe, wenn ich mich durchsetzen will, muss ich mir die Frage stellen.. würde ich selbst gern so behandelt werden. Sprecherin Etwa mit dem Droh-Wörtchen "sonst": "Bring erst den Müll runter, sonst darfst du nicht fernsehen". Strafen und Herunterputzen helfen auch bei Kindern nicht wirklich, zeigt der dänische Pädagoge Jesper Juul in vielen Büchern. Aber: wieweit können Eltern Rücksicht nehmen auf die Befindlichkeiten ihrer Kinder in einem stressigen, terminregierten Alltag? Ist eine gleichberechtigte Beziehung überhaupt denkbar? O-Ton 7 Gaschler Der Knackpunkt ist das Wort gleichberechtigt. Ich halte Eltern und Kinder in einer Familie nicht wirklich für gleichberechtigt. Weil aufgrund des unterschiedlichen Alters, der unterschiedlichen Möglichkeiten und sofort ergeben sich unterschiedliche Rechte, unterschiedliche Verantwortlichkeiten. Sprecherin Schließlich haben die Eltern nicht nur das Recht, in vielem für ihr Kind zu entscheiden, sondern auch die ausdrückliche Pflicht, für ein gutes Aufwachsen zu sorgen. In einer einfühlsamen, kindgerechten Art. O-Ton 8 Gaschler Ich möchte weg von der Idee, dass ich auf einer Ebene stehe wie ein zweijähriges Kind. Was ich aber möchte ist, und da zitiere ich Jesper Juul, er hat einen schönen Begriff geprägt, der heißt Gleichwürdigkeit. Ich möchte auf einer Ebene sein, egal mit meinem Kind, meinen Eltern oder welchem Mensch auch immer, wo ich ihn in gleicher Weise würdige - und auch berücksichtige, welche kommunikativen Möglichkeiten hat dieser Mensch. Meine Verantwortung als Eltern liegt dann darin, dass ich den Prozess der Kommunikation in gewisser Weise 3

führe, wenn es um einen Konflikt geht, weil ich darin stärker, erfahrener und so weiter bin. Darin liegt meine Verantwortung. Sprecherin Die Verantwortung auch, zu lernen: welche Möglichkeiten hat mein Kind schon, die Welt wahrzunehmen, sich auszudrücken, sich zu beherrschen, zurückzustecken? Was kann ich von ihm noch nicht erwarten? Welche Entwicklungsschritte macht es gerade hin zu mehr Selbständigkeit? Welches Bedürfnis hat es? O-Ton 9 Gaschler Dieses Lernen heißt für mich, dass das Bedürfnis als solches überhaupt erst mal wahrgenommen wird. Und das kann ich tun, wenn das Kind Süßigkeiten haben will, wenn es noch zu nem Spielzeugladen gehen will, kann ich das Kind darauf ansprechen, auf das dahinterliegende Bedürfnis und dieses Bedürfnis erst mal ernstnehmen - Das heißt nicht, dass ich es sofort erfüllen muss, aber zumindest mal ernstnehmen, was das Kind braucht - anstatt, und das ist das, was häufig passiert - ihm genau das wegzunehmen. Sprecherin Oder: ihm seine Bedürfnisse und Gefühle auszureden. Die Methode der "gewaltfreien Kommunikation" setzt genau hier an: sie fragt nach dem guten Grund jedes kindlichen Verhaltens, sei es noch so provozierend. Denn in jeder kleinen Nervensäge steckt auch jemand, der beginnt, die Welt zu entdecken und hinter kindlicher Aggressivität verbergen sich häufig Trauer und Enttäuschung. Statt schimpfen und ausrasten also: einen Schritt zurücktreten. Beobachten, zuhören, nachfragen. Gefühlsexplosionen auffangen, denn sie gehören zum Großwerden. Die Kinderpsychologin Ulrike Held aus Potsdam beschreibt das so: O-Ton 10 Held Kinder, das sind kleine Menschen mit großen Gefühlen. Das, was wir Erwachsenen ihnen bieten können, das ist so eine Art Verdauungsfunktion. Ein Kind, das einen unglaublichen Trotz- und Wutanfall bekommt, da kommt so stark raus das Gefühl. Wenn ich jetzt als Mutter sofort diese Wut zurückgebe an das Kind, dann nützt es dem Kind gar nichts. Aber … wenn ich sagen kann, ja du bist jetzt so wütend und ich bin für dich ne ganz böse Mama, dann erlebt das Kind, da ist jemand, der ist wie so ein Überlaufbecken für die Gefühle, die das Kind nicht aushalten kann. Sprecherin In seiner Wut verstanden zu werden, das entlastet das Kind. Einfühlung entspannt auch die Eltern. O-Ton 11 Held Wenn Eltern das Gefühl haben, mein Kind will mich ärgern, und sie können einen Perspektivwechsel vornehmen und sehen, nee mein Kind hat ja eigentlich Not, ändert sich einfach was. Da braucht man gar nicht viel zu tun. Musik: akustischer Trenner Sprecherin 4

Was will, was kann und was braucht ein Kind in welchem Alter? Wie kann man sein Quengeln, Nörgeln, Schreien übersetzen? Welche Unterstützung brauchen Eltern, um einen wertschätzenden Umgang mit dem Kind und mit sich selbst zu üben? Ein niedrig schwelliges Angebot bietet das Elterncafé des Kinderschutzbundes in Köln. Im Rahmen der sogenannten Frühen Hilfen holt es junge Mütter aus der Isolation und dient zugleich der Gewaltprävention in den Familien. Denn Babys und Kleinkinder sind besonders schutzlos, wenn Erwachsene die Nerven verlieren. Wenn sie Kinder schütteln, werfen oder einsperren. Kurse, Kiezfeste und Einzelberatung sollen dem vorbeugen. Atmo Müttercafé schon unter Text, hier etwas frei O-Ton 12 Mutter Also in jeder Trotzsituation hat man einen Ansprechpartner, das find ich hier sehr toll,.. man gibt sich selber die Schuld, warum verhält sich das Kind so, man versteht das selber nicht auf Anhieb. Sprecherin Etwa 20 Mütter haben sich mit ihren Kleinkindern zum Frühstück versammelt. Die Kinder dürfen herumkrabbeln, klettern, sich streiten, schreien. Etwas, das sie in der Öffentlichkeit oder im Wohnblock selten dürfen. O-Ton 13 Collage Mütter Mutter 1 Mit Baby - ich hab da auch viel Erfahrung in der Straßenbahn, wenn mein Kind jetzt nicht ruhig sitzen möchte, oder ist müde, quengelt, viele verstehn das nicht: ja - können Sie nicht Ihr Kind ruhigstellen? Wie soll ich das machen, habe ich Knopf? Ich sage manchmal, in welcher Gesellschaft bin ich?. Mutter 2 (bitte einblenden, ggf. aus Baby –Atmo dazwischen) Die denken auch, das Kind, wenn die Windel rein ist, gefüttert, geschlafen hat, dass das Kind dann überhaupt nicht weinen dürfte. Aber dass ein Kind individuell ist, ne Persönlichkeit hat, dass es auch Stimmungsschwankungen haben kann, ist denen nicht bewusst. Sprecherin Auch viele Mütter und Väter müssen das erst lernen. Es ist schwer auszuhalten, dass die Kinder irgendwann einen "eigenen Kopf" entwickeln, sagt Corinna Bächer, die das Elterncafe leitet. O-Ton 14 Bächer Wir erleben oft, dass Mütter mit den ersten Lebensmonaten eigentlich ganz gut zurechtkommen. Da sind die Babys ja eher noch passiv, bewegen sich nicht viel. Müssen versorgt werden, das kriegen viele sehr gut hin, und dann werden sie unsicher, wenn die Kinder anfangen, eigene Wünsche zu äußern. Das verstehen die Mütter oft als gegen sie persönlich gerichtet - Kinder im Alter von 1,5 Jahren beginnen ja zu sprechen - "nein" oder "will" oder "will nicht" oder laufen weg Sprecherin 5

Dann sei es wichtig, die Welt aus den Augen des Kindes zu sehen - nicht ganz leicht, angesichts der täglichen kleinen Katastrophen: O-Ton 15 Bächer Ein kleines Kind kann grad über die Tischkante gucken und sieht da bunte Sachen auf dem Tisch und fängt an diese bunten Sachen ran zuziehen und runter zuwerfen. Für die Mutter ist das, das Kind macht Chaos. Und gefährlich ist es außerdem, und das kann kaputtgehen. für das Kind ist das: ich kann die Welt erobern!..Und das ist ein wichtiger Entwicklungsschritt. Ich hab in dem Fall die Mutter auf die Knie gehen lassen, und die hat es sehr gut verstanden. Und hat dem Kind dann Dinge auf den Tisch gelegt, die es runter werfen durfte, die nicht kaputtgehen konnten. O-Ton 16 Gaschler Ja, es kann eine sehr, sehr anstrengende Zeit sein. Wo vor allem Mütter, weil die nun mal oft die Hauptbezugsperson sind, sehr, sehr viel Geduld und Empathie brauchen und wenig bekommen. Das ist deswegen anstrengend, weil die Kinder nach meinem Verständnis in dieser Zeit lernen, dass sie autonom werden, versuchen eigene Ideen auszuprobieren - dann aber an den Reglementierungen der Eltern, der Gesellschaft, des Kindergartens scheitern -...Und ein ganz wichtiger Lernprozess ist die sogenannte Frustrationstolerenz, zu lernen, ich habe bestimmte Bedürfnisse, und ich krieg es aber nicht sofort. Sprecherin Der Klassiker: das Überraschungs-Ei an der Ladenkasse. Das Kind hat es schon in der Hand, fängt an, es neugierig auszupacken, oder brüllt, bis es eins bekommt. Frank Gaschler rät in seinen Elternkursen, nicht aus Bequemlichkeit nachzugeben. Also einfach abwarten und das Kind brüllen lassen? Oder es anherrschen? O-Ton 18 Gaschler … führt selten dazu, dass ich zu ner Ruhe komme, das Kind sowieso nicht. Es führt eigentlich dazu, dass ich immer mehr Wut selber aufbaue und aus dieser Energie heraus das Kind dann nicht trösten kann. Sprecherin Trösten? Auch hier hat das Kind eigentlich nur Lust zu spielen, sagt Gaschler. Aber Empathie braucht in diesem Fall auch der Erwachsene. O-Ton 19 Gaschler Wenn wir im Supermarkt sind und. 5 Passanten außen rum mit ganz tollen Tipps stehen, wenn ich es schaffe, das aufrichtig auszudrücken, kann ich auch etwas ändern. Das Mindeste - dass sich bei mir etwas löst, ich damit in eine Form von etwas mehr Entspannung komme und wieder handlungsaktiv bin. Um wieder in einer Weise mit dem Kind umzugehen, die meinen Werten entspricht, ich würds mal so sagen. Sprecherin Klassiker Nummer 2: der Aufbruch am Morgen in Schule oder Kita. Das Kind sträubt sich. Die Mutter kann es genervt greifen und auf den Autositz zerren. Die 6

gewaltlose Alternative: Die Mutter erforscht ihre Gefühle und die ihres Kindes mit folgenden Fragen: Zitator Was ist heute besonderes los? Hat das Kind Angst? Braucht es noch eine kurze Kuscheleinheit, brennt etwas auf der Seele, was erst noch geklärt werden will? Ist noch etwas fertigzuspielen? Ist das Bummeln vielleicht ein Ausdruck davon, dass es zeigen will: ich habe im Kindergarten gelernt eine Schleife zu binden? Hat das Kind ein anderes Zeitbewusstsein? Imitiert es vielleicht unser eigenes Bummeln? Sprecherin Dieser "zweite Blick" fällt schwer, denn er ist in der Erziehungspraxis noch wenig eingeübt. Leichter scheint es immer noch vielen, hart durchzugreifen. In Worten oder Taten. Musik als Trenner O-Ton 20 Kernich Mehr oder weniger freiwillig kommen die Eltern, oder es kommt das Kind selber, wenn jetzt Familien übers Jugendamt geschickt werden, dann empören die Eltern sich in der Regel (Stimme oben, bitte abnehmen) Sprecherin Christine Kernich ist Beraterin bei der Brandenburger Familienberatungsstelle Stibb in Kleinmachnow, zwischen Potsdam und Berlin. Schwerpunkt: Kinderschutz. Gewalt in der Erziehung ist hier an der Tagesordnung. O-Ton 21 Kernich ... und dann wird meistens sehr viel über das Kind gesprochen, wie das Kind eben sich unpassend verhält oder unmöglich ist, oder einen bis zur Weißglut bringen kann - und da kommt dann so nebenbei so was wie Weißglut, und da bin ich ganz am Ende, können Sie nicht irgendwas mit unserem Kind machen, dass es sich da mal ein bisschen braver verhält. Sprecherin Das Kind ist also schuld. Die eigene Meinungsäußerung des Kindes provoziert die Eltern. Selbst bei Kleinigkeiten. Der Beraterin fällt auf, dass es oft nur darum geht. O-Ton 22 Kernich Der Müll war nicht runtergebracht oder so, und wenn dieses Kind jetzt beginnt zu begründen, warum es das jetzt nicht gemacht hat oder gar nicht tun wollte, dann haben wir meistens ganz schnell einen eskalierenden Konflikt. Der Erwachsene fühlt sich provoziert, also dass die plötzlich das Gefühl haben, ich bin hilflos, weiß jetzt gar nicht, wie ich mich verhalten soll, und das wissen wir: dass Momente von Hilflosigkeit bei Menschen, die selber früher traumatische Situationen von Hilflosigkeit erlebt haben, dann springen sie sozusagen in ein Täterverhalten, das ist ihnen oft nicht bewusst. Sprecherin 7

So ging es auch einem Vater von vier kleinen Kindern aus dem ländlichen Brandenburg, der selber massive Gewalt erlebt hatte. Immer wieder geriet er in Jähzorn, schrie seine Kinder an und schlug sie, wenn die sich stritten oder selbst prügelten. Er pochte zunächst auf seine Erziehungsautonomie. Doch die hat Grenzen, wo das Kindeswohl gefährdet ist. Dann ist das Jugendamt berechtigt einzugreifen - eine Horrorvision für viele. Oft verpflichtet das Jugendamt die Eltern aber zunächst nur, Hilfe anzunehmen. O-Ton 23 Vater - und hatten erst mal gesagt, ihr braucht ne Familienhilfe - da war ich sehr doll verletzt - weil sind dann auch die Worte gefallen: sie müssen es nicht, aber dann schalten wir sofort das Familiengericht ein und nehmen die Kinder weg - und da ist natürlich im Sinne der Kinder und für mich auch die Überlegung andersrum gegangen: gut, was soll’s, gucken wir uns das erst mal an - aber natürlich mit dieser negativen Voreinstellung hat man die Leute natürlich nicht an sich rangelassen. Sprecherin Nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz gibt es eine Reihe von Angeboten, die Eltern in Anspruch nehmen können, die meisten sind kostenlos. Familienbildung, das sind Gruppenkurse zu Erziehungsfragen in Bildungsstätten oder Ämtern und "Hilfen zur Erziehung" oder "Familienhilfe", bei der einzelne Helfer Kinder und Eltern im Alltag unterstützen, aber auch Therapien verschiedener Art. Dahinter steht der Gedanke, dass Eltern mit Erziehungs- und Gewaltproblemen eine zweite Chance haben sollen. Denn erst ein gutes Jahrzehnt ist es her, dass das elterliche Züchtigungsrecht abgeschafft wurde. In vielen Köpfen lebt es noch. Zusammen mit dem "Recht auf gewaltfreie Erziehung" wurde im Jahr 2000 daher auch dieser neue Gesetzesparagraph verabschiedet: Zitator „Angebote zur Förderung der Erziehung sollen... Wege aufzeigen, wie Konfliktsituationen in der Familie gewaltfrei gelöst werden können.“ Sprecherin Doch das Problem der Scham und Abwehr bleibt. Bis der Vater aus Brandenburg einsah, dass er Hilfe brauchte, und sich aktiv darum bemühte, verging viel kostbare Zeit. O-Ton 24 Vater War mehr oder weniger so, dass ich mit der Gesamtsituation gar nicht mehr leben konnte, die Kinder haben ganz doll drunter gelitten, ich hatte mich nur noch mit meiner damaligen Frau gestritten -... und hatte dann halt gesagt für mich geht's nicht mehr... wir müssen ne Lösung finden ich verlasse die Familie. Ich musste dann halt raus. Da ist dann für alle Seiten die Welt zusammengebrochen -.ich bin dann auch gegangen und hatte da dann auch - ja - (nach) relativ kurzer Zeit ne neue Partnerin gefunden, wo sie mir dann halt auch anders die Augen geöffnet hat und gesagt hat: ja, alles ganz gut und schön, was du da erzählst und machst und tust, aber du bist derjenige, welcher jetzt hier n Großteil der Fehler, die du erzählst, selber gemacht hast - wo ich dann für mich anfangen musste, mal selber über mich nachzudenken 8

O-Ton 25 Kernich Und interessant ist: der Knoten, wenn er mal platzt, liegt immer beim Wiedererkennen; als mir das passiert ist, war das ganz furchtbar. Wenn das Empathische, das Empfinden reinkommen, dann gibts n ganz ersten kleinen Weg, der vielleicht ne Bereitschaft auch bei den Eltern öffnet, sich in das Kind reinzufühlen. Sprecherin Der Vater Anfang Dreißig suchte länger nach dem richtigen Ort, bei der ersten Beratungsstelle fühlte er sich missverstanden, zu Christine Kernich hat er Vertrauen gefasst. Er brachte den Mut auf, sie um eine intensive persönliche Beratung zu bitten. O-Ton 26 Vater Gerade dieser erste Schritt denn auch zu sagen, ich bins, ich brauch Hilfe, seinen eigenen Schweinehund zu überwinden, sich selber zu verletzen innerlich - man hat erst mal das Gefühl, alle Welt ringsum kommt und sagt: Du! Du bist das kleine Arschloch, welches dies und das gemacht hat. Sprecherin Neue Formen des Miteinanders in der Familie wurden jetzt möglich, die in Kleinarbeit, mit vielen Rollenspielen, eingeübt wurden. Alle Familienmitglieder, die ehemalige und die neue Partnerin, wurden bei der Beratungsstelle STIBB einbezogen, jeder, vor allem jedes Kind, bekam einen eigenen Berater. Dabei lernten auch die Kinder, dass ihr Verhalten eine Rolle spielt, und wie sie eine Eskalation vermeiden können, ohne sich aufzugeben. Sie verhielten sich bald weniger provozierend, entspannter. Die Eltern verpflichteten sich nicht mehr zu schlagen oder zu demütigen. Rückfälle werden, sollten sie passieren, mit allen besprochen, sie sind Lernstoff, sagt Christine Kernich. Das oberste Ziel sei, den Familien Mut zu machen: O-Ton 27 Kernich Na ja, das muss ne gewisse Leichtigkeit haben dürfen und Humor, und gleichzeitig muss es auf den Punkt gehen. Man darf jetzt auch nichts verschleiern, gleichzeitig sollte die Erfahrung wie es auf den Punkt kommt nicht so sein dass man denkt jetzt bricht meine ganze Welt ein, und mein Selbstwertgefühl und ich stehe vor denen nackt und hab nix mehr, womit ich mich verteidigen kann - sondern es ist einfach nur zu sagen: So - was ist? und wie kommt man da jetzt weiter? Und wo in der eigenen Lebensgeschichte hat man eigentlich schon mal begonnen das zu lösen, und wie könnte man das wieder nutzbar machen für die aktuelle Situation. Sprecherin Die Einsicht, dass mal der eine, mal der andere im Leben bestimmt oder nachgibt, hat die Familie in ein pädagogisches Rollenspiel umgesetzt. Jedes der vier Kinder darf jetzt - wie die Eltern - einmal König sein und bestimmen, wann und wie aufgeräumt wird. Die anderen sollen es einfach tun. So nehmen die Kinder auch die Perspektive der Erziehenden ein und ärgern sich, wenn die andern nicht "gehorchen". Der Brandenburger Vater kann jetzt auch gelassener reagieren, wenn seine 4 Jungen sich wieder mal prügeln. O-Ton 28 Vater 9

Und wenn man dann von oben nochmal drauf guckt... schlichtet sich das meiste und man kann die Situation dann ganz anders anfassen - und halt dementsprechend auch mit den Kindern anders umgehen. Wo denn halt wirklich dann altersentprechend gegenüber den Kindern dann halt kommt: Du, wenn du grad ne Langeweile hast, ist kein Problem, dann, großer Sohnemann, hier haste n paar Schulaufgaben ich geb dir Arbeit, kannst du dich drum kümmern, wenn du der Meinung bist, hast dich wieder abreagiert, musst nicht mit den andern stänkern, dann biste von den Schulaufgaben befreit dann darfste dich da anderweitig wieder um deins kümmern - und dann ist gut. Musik als Trenner Sprecherin Wie Eltern partnerschaftlich, konsequent und zugleich liebevoll erziehen und sich, wo nötig, auch durchsetzen können, diese Frage gibt immer wieder Anlass zu pädagogischen Kontroversen - Zwischen Laissez-Faire und der Neuauflage autoritärer Traditionen. Eltern suchen in Elternratgebern und Fernsehshows nach Tipps für ihre besondere Situation. Hilft der "Stille Stuhl" von Katharina Saalfrank "Setz dich in die Ecke und komm erst mal runter" - oder das Prinzip der TigerMama: "Tu, was deinen Eltern Freude macht – und streng dich richtig an?" Frank Gaschler, der Trainer für gewaltfreie Kommunikation, möchte verunsicherte Eltern gern aus der Schuldfalle locken; viele wollen perfekt sein, alles richtig machen, und zweifeln an sich. O-Ton 29 Gaschler Und ich möchte Eltern da wirklich auch mal ermutigen: Wenn da irgendwas ist, das mir gefällt, auch zu feiern - und es auch als Ausdruck mit meiner Erziehung zu sehen. Sprecherin Er wünscht sich, dass Eltern nicht nur auf die Bedürfnisse ihrer Kinder achten, sondern auch auf ihre eigenen. Die Konflikte, die das im Alltag mit sich bringt, sollten die Eltern austragen, allerdings ohne das Kind zu verletzen. O-Ton 30 Gaschler Meine Anregung für die Eltern ist, anstatt Verhalten erst mal nur zu bewerten, zu fragen, was war eigentlich die Motivation hinter dem Verhalten. Sprecherin Und: was war die Motivation hinter meinem eigenen Verhalten? Das fordert auch eine genauere Selbstwahrnehmung der Eltern. O-Ton 31 Gaschler Wir arbeiten mit ganz verschiedenen Übungsmustern, was nehme ich überhaupt wahr, was steckt da tatsächlich überhaupt für ne Beobachtung dahinter, wenn ich zum Beispiel die Idee habe, mein Kind ist faul. Sprecherin Auch das kann für ein Kind ein Schlag ins Gesicht sein, ein Treffer unter die Gürtellinie, den wir Kindern mit Worten oder Haltungen verpassen -– oft ohne es zu merken. Eine Herabwürdigung, eine Bloßstellung vor anderen, eine negative 10

Unterstellung. Dem setzt Marshall Rosenberg eine „wertschätzende Kommunikation“ entgegen, ein Gespräch mit dem Herzen. Und mit einem gewissen Spielraum. O-Ton 32 Gaschler Das erlebe ich oft in Elternkursen - dass die Idee darin besteht, ich habe jetzt einen bestimmten Wunsch, ich möchte jetzt dass du Hausaufgaben machst, ich möchte jetzt dass du dein Zimmer aufräumst, ich möchte jetzt, dass du ins Bett gehst, und diese Zeitspanne "jetzt" ist definiert auf die nächsten 10 Sekunden und wenn da irgendeine Form von "Jetzt nicht" kommt, bricht die Welt der Eltern zusammen, und sie haben so irgendeine Idee, wenn sie sich jetzt nicht durchsetzen, wird das Kind niemals wieder das Zimmer aufräumen, das Chaos wird ausbrechen, das Kind wird versiffen,.. das Sozialamt kommt und so weiter. Das ist so die Spirale, die in Sekundenbruchteilen bei Eltern oft losgeht, und von solchen Mustern möcht ich mich gerne verabschieden, weil die einfach nur anstrengend sind. Musikakzent Sprecherin Wie haben es Frank Gaschler und seine Frau selbst geschafft, das Chaos im heimischen Kinderzimmer zu begrenzen? Die Eltern erklärten ehrlich, wie sie selbst sich als Besucher im Chaos fühlten und manchmal konnten die Töchter das sogar nachvollziehen. Frank Gaschler und seine Frau kündigen heute an, wenn sie putzen wollen, und lassen den Kindern Zeit zum Aufräumen - wenn die verstreicht, putzen die Kinder selbst. Über all das wurde viel geredet, viel verhandelt. Und am Ende: weniger gestritten. Es gibt keine einfachen Rezepte, sagt Frank Gaschler, der Elterncoach, wohl aber eine emotionale Erfahrung: O-Ton 33 Gaschler Wenn ich mich so zurückerinnere, warum wollte ich Kinder haben, warum hab ich mich mit meiner Frau entschieden, Kinder zu bekommen, ne Familie zu gründen – also ich hatte keine Ahnung, was mich wirklich erwartet, aber die Idee, die ich damals hatte, wie schön es sein kann - an der möcht ich arbeiten und ich möchte die Zeit mit den Kindern als den erfüllendsten Zeitraum meines Lebens sehen, dementsprechend bin ich wahnsinnig gerne bereit dafür was zu investieren, und ich habe keine Lust, mich jeden Tag mit den gleichen Kram zu ärgern, sondern ich möchte Spaß haben mit den Kindern und der Familie, und dabei hilft mir gewaltfeie Kommunikation, wunderbar.

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