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2 SWR2 Tandem - Manuskriptdienst Das waren alles meine Freunde Eine vergewaltigte Bosniakin erzählt Autorin: Karla Krause Redaktion: Nadja Odeh ...
Author: Gottlob Fuchs
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2 SWR2 Tandem - Manuskriptdienst

Das waren alles meine Freunde Eine vergewaltigte Bosniakin erzählt

Autorin:

Karla Krause

Redaktion:

Nadja Odeh

Regie:

Iris Drögekamp

Sendung:

Montag, 11.06.12 um 10.05 Uhr in SWR2

__________________________________________________________________ Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte der Sendungen SWR2 Tandem auf CD können wir Ihnen zum größten Teil anbieten. In jedem Fall von den Vormittagssendungen. Bitte wenden Sie sich an den SWR Mitschnittdienst. Die CDs kosten derzeit 12,50 Euro pro Stück. Bestellmöglichkeiten: 07221/929-26030. Einfacher und kostenlos können Sie die Sendungen im Internet nachhören und als Podcast abonnieren: SWR2 Tandem können Sie ab sofort auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/tandem.xml Kennen Sie schon das neue Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de

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MANUSKRIPT

Erzählerin: Mein Name ist Bakira Hasecic. Ich komme aus Vicegrad. Ich bin eine von zigTausenden muslimischer Frauen, die während des Krieges und des Genozids in Bosnien-Herzegowina vergewaltigt wurden. Ich gehöre zu den Gründerinnen des Vereins "Frauen als Opfer des Krieges" und bin seine Präsidentin. Vor dem Krieg habe ich 20 Jahre lang im Rathaus von Vicegrad gearbeitet. Ich habe einen Mann und zwei Töchter, wir besaßen ein eigenes Haus, hatten ein gutes Leben ohne jeden Streit. Meine engsten Freunde waren damals zu 90 Prozent Serben. Ich habe mit ihnen gearbeitet und gefeiert und nie danach gefragt, zu welcher Nation jemand gehört. Wichtig war, ist er ein guter oder ein schlechter Mensch. Ich war nie davon besessen, zu erfahren, ob jemand Serbe, Kroate oder Muslim war. Nach Nationalitäten haben wir uns nicht sortieren lassen. Als am15. April 1992 die serbische Armee in Vicegrad einrückte, haben sie die ganze Stadt unter Kontrolle genommen und schweres Geschütz aufgefahren. Sie verbaten den Muslimen, die Stadt zu verlassen, Kontakte und Bewegungsfreiheit wurden eingeschränkt. Abends, wenn die Sonne untergegangen war, durften wir kein Licht machen, Fernsehen war verboten. Sie drangen in die Häuser ein, wann sie wollten und gingen wieder, wann sie wollten. Mein Nachbar war Polizist in Vicegrad. Eines Tages hören wir laute Fußtritte gegen unsere Tür. Erschrocken ließen wir uns aufs Sofa fallen. Sie stürmten herein in ihren schmutzigen Schuhen: Der Nachbar und noch zwei Männer, die ich nicht kannte: Der eine grauhaarig, der andere blond; sie trugen Perücken, das war leicht zu erkennen. Unser Nachbar stellte uns in einer Reihe auf und drückte den Lauf seines Maschinengewehrs an meine Brust. Sie forderten Geld, Gold, Deutsche Mark und haben dann alles eingesammelt. Der Grauhaarige, hat dann mit seinem Bajonett alles kurz und klein geschlagen und sogar hinter den Wänden nach versteckten Waffen gesucht. Dann hat er meine ältere Tochter aufgefordert, eine Zimmertür zu öffnen. Ich stand auf, weil ich sie daran hindern wollte, und er brüllte mich an: Zurück! Und der Nachbar hielt die ganze Zeit die Waffe auf uns gerichtet. Meine Tochter musste die Tür öffnen. Und dann vergewaltigte der Grauhaarige sie. Ich bin aufgesprungen, auf seinen Rücken, um sie zu retten. Zu spät: Er schlug mit seiner Waffe auf ihren Kopf ein. Mein Mann wollte telefonieren, die Polizei, die Armee rufen, aber mein Nachbar hat das Telefon zerstört. Als ich meine Tochter Amela gesehen habe, sie war blutüberströmt, dachte ich, sie hätten ihr den Kopf abgehackt. Ich war außer mir. Ich habe so geschrien, man konnte es kilometerweit hören. Wir haben uns sofort mit Amela auf den Weg ins Krankenhaus gemacht.Auf der Straße wurde mir so schlecht, dass ich sie nicht mehr halten konnte. Zwei junge Soldaten kamen angerannt, keine Bosnier, sie kamen aus Serbien. Zusammen mit meinem Mann schleppten sie Amela zum Krankenhaus. Wie betäubt lief ich 2

hinterher, keine Ahnung, wie ich dort angekommen bin. Als sie meine Amela hineintrugen, habe ich so gezittert, als hätte man mich an ein Stromnetz angeschlossen. Der Arzt fragte mich, ob ich ein Nervenleiden hätte. Woher stammt diese Wunde, fragte er. Ich habe gelogen: Eine Schranktür hätte Amelas Kopf getroffen, aber ich glaube, er hat begriffen, was los war. Dann haben sie Amelas Kopf rasiert und die Wunde genäht. In dieser Nacht hat Amela Fieber bekommen, 40 Grad, und wir hatten keine Medikamente dagegen. Wir haben sie nackt ausgezogen, Bettlaken nass gemacht, und die ganze Nacht haben wir sie mit diesen Laken gekühlt. Und die ganze Zeit haben wir gehört, wie die Tschetniks Orgien feierten, wie sie schossen, wie Menschen qualvoll schrieen. Wir haben uns auf den Fußboden gelegt und so die ganze Nacht verbracht. Wir lebten im Stadtzentrum, und die Tschetniks und Soldaten durchsuchten und plünderten ununterbrochen Häuser und Straßen. Es war Nachmittag, es klopfte an der Tür, und da standen zwei Soldaten, die ich nicht kannte. Sie zeigten mir eine Vorladung auf die Polizeistation. Auf der Polizeistation hat mich der Pförtner empfangen, bis dahin Lehrer, der Ehemann meiner besten Freundin, die in der Passstelle gearbeitet hat. Er schickte mich zum Chef der Kriminalpolizei, ich solle dort irgendeine Aussage machen. Ich sehe ihn immer noch vor mir: Er sitzt neben einem Heizkörper, raucht und trinkt Kaffee. Ein leerer Holztisch, eine Schreibmaschine. Er sagte zu mir: Schreib genau auf, wer Eure Rädelsführer hier in der Stadt waren, bevor die serbische Armee einrücken musste. Du kannst auf der Maschine schreiben, und wehe, du lässt etwas aus. Also begann ich zu schreiben. Er kam immer wieder vorbei und sagte: das ist zu wenig, das ist zu wenig. Ich schaffte eineinhalb Seiten, dann wusste ich nicht mehr weiter. Da kamen drei weitere Polizisten, die ich gut kannte, und noch ein paar andere Männer herein. Sie diskutierten vor mir, was sie jetzt mit mir anstellen. Der eine wollte mich in den Keller schicken, ein anderer mich einsperren, manche wollten mich frei lassen, andere waren für Hausarrest. Dann hat ihr Chef gesagt, ich soll nachhause gehen, aber sie würden mich jeden Morgen anrufen. Sie wollten mich nicht dort behalten, weil ich dann die einzige Frau gewesen wäre. Das waren alles meine Freunde. Sie waren bei der Polizei angestellt, ich im Rathaus, wir haben gut zusammengearbeitet. Und plötzlich sah ich in ihren Gesichtern, dass sie alles andere waren als meine Freunde. Sie taten so, als hätten sie mich noch nie im Leben gesehen. Als ich die Polizeistation verlassen wollte, traf ich auf dem Flur Milan. Den kannte ich schon, als er noch ein Kind war, seine Großmutter, seine Eltern, die ganze Familie. Ich soll die Treppe runter in den Keller gehen, hat er gesagt. Ich habe den Mann meiner Freundin um Hilfe gebeten, dass ich nicht im Keller lande - viele Frauen und Mädchen aus Vicegrad waren dort schon vergewaltigt worden - ich habe ihn angefleht, mir zu helfen. Er hat sich nur abgewendet. Später habe ich ihn vor dem Hohen Repräsentanten gefragt, warum er mir nicht half. Er schwieg. Aber aus seinen Koteletten tropfte der Schweiß.

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Sie brachten mich in einen Raum, eine Art Teeküche. Da haben die Polizisten in ihrer Freizeit Schach gespielt, Kaffee getrunken, sich ausgeruht. In einer Ecke stand ein Sessel. Milan hat mir gesagt, ich soll mich ausziehen. Ich erinnere mich, dass seine Ärmel hochgekrempelt waren, er trug eine Kette um den Arm mit einem Anhänger, einem krummen Messer. Damit hat er immer herumgefuchtelt vor meinen Augen. Er hat mich wieder aufgefordert, mich auszuziehen, ich habe ihn nur angesehen. Du hast die Wahl: Ausziehen oder das Messer, hat er gesagt. Ich habe dann mein T-Shirt und meine lange Hose ausgezogen und blieb im Unterhemd. Er hat mich auf den Sessel geworfen und vergewaltigt. Als er, wie soll man das sagen, ich vergesse dieses Wort immer, als er endlich zum Ende kam, hat er sein Sperma über mich gespritzt. Und dann hat er mich von oben bis unten bepinkelt. Kaum zwei Tage später haben sie mich wieder abgeholt. Sie haben mich in die Mittelschule Hamid Beschirevic in Vicegrad gebracht. Vor der Schule fand ich, auf einen Stuhl gekauert, die in Tränen aufgelöste verprügelte Munevera. Ein paar Minuten später brachten sie Mehliana und Amna und führten sie in ein Zimmer. Zuerst haben sie Munevera geholt. Die ist 15 bis 20 Minuten dringeblieben, dann war ich dran. Ich stand einem Mann gegenüber, der war so 40 bis 45 Jahre alt, trug einen Schnauzbart, und ihm fehlte ein Finger. Er holte eine Flasche Alkohol heraus, Cognac, goss sich ein Glas ein und bot mir auch ein Glas an. Ich lehnte ab. Ich habe zwar manchmal getrunken, ein, zwei Gläser Bier, Wein, aber in dieser Situation wollte ich keine Tropfen, weil ich gehört hatte, sie machen die Frauen betrunken und lassen dann 10, 20 Männer auf sie rauf. Vor Angst fing ich an zu schreien. Er hat mich dann auf eine Couch geschmissen und vergewaltigt. Beim nächsten Mal haben sie mich in einen Pavillon gebracht, sie nannten es "Baracke". Da saß ein Mann in Uniform mit vielen Orden. Klein, dunkelhäutig, mit einem großen Muttermal. Er stellte sich als Hauptmann aus Vranje vor, Berufssoldat, stationiert in Bileca und hier als Ersatzmann für die Einheit aus Uzice. Er hat mich ausgefragt: Wo verstecken sich die Männer, wer hat Waffen, wer hat Geld. Er bot mir Zigaretten an, er rauchte blaue Ronhill, ich kann mich gut daran erinnern. Ich habe mich nicht getraut, eine Zigarette oder Kaffee anzunehmen, weil ich Angst hatte, sie würden mir etwas hinein tun. Ich habe damals viel geraucht, soviel wie jetzt, aber ich wollte keine Zigarette, um keinen Preis. Da war etwas stärker als ich selbst. Dort war sein Tisch, da stand sein Bett. Er schlug mit der Hand gegen die Wand, das waren montierte Pappwände in dieser Baracke. Ein Soldat trat ein, in seinem Alter. Der Hauptmann ging hinaus, der andere vergewaltigte mich. Er sagte kein Wort, verließ den Raum, ich habe mich angezogen und bin hinaus gelaufen, weinend, die Straße hinunter, ich kam nachhause, ein Polizeiwagen fuhr vor. Jetzt holen sie mich wieder, dachte ich. Ich spähte aus dem Badezimmer und habe mir dabei mehrere Male in die Hose gemacht. Du merkst nichts, und plötzlich ist alles nass. Mein Mann packte mich an den Schultern: "Sie sind nicht deinetwegen da." Dann sah ich einen Bekannten in Polizeiuniform und noch einen Mann; sie haben Nedjad Karcic, meinen jungen Nachbarn, abgeführt. Bis heute verliert sich jede Spur von ihm. Und das war ein Polizeiwagen.

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Dann kam ich in eine der grauenhaftesten Situationen meines Lebens. Es kostet mich Kraft, davon zu erzählen. Ich habe damals begriffen, dass ich für meine Familie nichts mehr tun kann. Ich sehe, wie die Menschen auf der Brücke getötet werden, die Leichen schwimmen an mir vorbei, sie deportieren die Nachbarn, überall Schreie, Panik. Da entschloss ich mich, meine Kinder zu meiner Mutter zu schicken: Zwei Kilometer weiter. Und es kam zu unerträglichen Szenen. Ich flehte die Mädchen an zu gehen, eine nach der anderen. Sobald die erste das Haus meiner Mutter erreicht hat, sollte sie anrufen. Aber meine Töchter wollten sich nicht von uns trennen. Ich war außer mir und habe die jüngere, Indira, gepackt und die Treppen hinunter gestoßen. Ich wollte nicht zusehen müssen, wie sie kommen und ihr die Kehle durchschneiden, sie ermorden oder vergewaltigen. Als sie weggelaufen war, haben wir gewartet. Indira rief an und sagte nichts als "gut". Auch die ältere, Amela, klammerte sich an mich: Mama, ich will bei euch bleiben. Ich habe auch sie die Treppe hinuntergeworfen, ohne dabei nachzudenken, was an der nächsten Ecke passieren könnte. Hauptsache, es geschah nicht vor meinen Augen. Gott wollte, dass auch sie bei meiner Mutter ankam. Bis zum 19. Mai 1992, als sich die Armee zurückzog, haben mein Mann und ich kein einziges Mal mehr im Haus geschlafen. Wir haben uns selbst regelrecht eingemauert oder im Keller verbarrikadiert. Niemals im Haus, niemals auf dem Dachboden. Wir aßen und tranken so gut wie nichts. Manchmal verließen wir unser Versteck, kriechend wie die Hunde, im Winter. April kalt, Mai kalt, Regen. Am 19. Mai kam mein Bruder zu uns nachhause. Er hat auswärts gearbeitet, und als er erfuhr, dass sie mordeten und deportierten, kam er, nach uns zu sehen. Er hat unsere Namen gerufen, wir hockten im Keller, die Tür verbarrikadiert, davor Holz und Müll gestapelt. Wir haben uns zuerst nicht getraut, ihm zu antworten, wir fürchteten, jemand hätte ihn gezwungen, uns raus zu locken. Als er uns dann sah, dachte er, wir seien wahnsinnig geworden. So sehr hatte die Angst uns entstellt. Lass uns zusammen zur Mutter fahren, sagte er. Ich nahm einen Korb mit Zwiebelsamen und eine kleine Schaufel, als ob ich aufs Feld ginge um zu arbeiten und zog mir Gartenkleidung an. Wir hatten damals einen kleinen Garten außerhalb der Stadt, ich habe ihn heute noch. Gott schenkte uns einen Wolkenbruch. Wir überquerten die untere Brücke, die Soldaten hatten sich vor dem Regen nach innen geflüchtet. Vor der alten Tierklinik wartete ein Auto, Marke Jugo, Farbe grau, Kennzeichen Uzice. Der Fahrer forderte meinen Bruder auf, einzusteigen. Ich habe meine Schwester und meinen Schwager dabei, sagte der. Und der andere: Rein mit euch. Ich habe die Hand meines Mannes gedrückt und geflüstert: "Wenn er jetzt Richtung Frauen-Lager fährt, erwürge ich ihn. Wir sind zu dritt." Es war eine Fahrt von zwei, drei Minuten bis zum Haus meiner Mutter. Mein Bruder stieg zuerst aus, ich sollte auch aussteigen, aber ich konnte meine Beine nicht mehr spüren. Zwei, drei Tage war es ruhig, wir konnten trotzdem nicht an das linke Drina-Ufer, denn dort waren die Soldaten und Wachen postiert. Wir saßen fest in diesem 200Seelen-Dorf. Und dann kam die Hölle. Ab dann kamen die Tschetniks zehn bis fünfzehn Mal ins Dorf, jeden Tag. Sie haben geplündert und gemordet. Wen immer sie zuhause vorfanden, haben sie mitgenommen oder gleich umgebracht. Die Frauen haben sie vergewaltigt. Das war so ein Horrorfilm - das kann man mit Worten nicht beschreiben. 5

Während dieses Monats in Kosovo Polje, wo ich geboren wurde, hat niemand mehr zuhause übernachtet. Man versteckte sich im Bach, im Maisfeld oder im Wald. So haben wir einen Monat gelebt. Dann ermordete Milan mit seiner Bande den Stanko Pecikoza, unseren serbischen Nachbarn, der uns immer vor den Paramilitärs beschützt hatte. An diesem Tag haben wir uns organisiert. Die Männer haben am Mittag versucht, ans andere Ufer zu kommen, schwimmend oder auf Autoreifen. Am Abend wollten sie am linken DrinaUfer ein Feuer anzünden, als Zeichen, dass wir nachkommen sollten. Vorher haben sie uns ein altes Boot geschickt, voller Einschusslöcher. Das haben wir dicht gemacht mit Holzstücken von der Trauerweide. In dieser Nacht sind wir dann an das linke Drina-Ufer gerudert. Im Dorf Crnivrh habe ich drei Tage lang im Bett gelegen. Meine Kinder sagten, meine Schweißtropfen hätten die Größe von Kirschen gehabt. Als ich wieder gesund war, bin ich der Bürgerwehr Vicegrad beigetreten und war dann in der bosnischen Armee bis zum 30. März 96. Hunderte von Verletzten sind in meinen Armen gestorben, ich habe Wunden versorgt, gefüttert, zu trinken gegeben. Als der Krieg zu Ende war, wog ich noch 53 kg. Als ich begriffen hatte, dass die Kriegsverbrecher, vor allem die Vergewaltiger, ungestraft davonkommen könnten - besonders im Osten Bosniens, in Vicegrad und Focca, wurden muslimische Mädchen und Frauen s y s t e m a t i s c h vergewaltigt entschloss ich mich zur Gründung des Vereins "Frauen als Opfer des Krieges" mit dem Ziel, jeden Kriegsverbrecher zur Verantwortung zu ziehen. Sobald wir in die Medien gingen, stieg die Zahl der Frauen, die sich bei uns meldeten, von Tag zu Tag. Darunter vergewaltigte Kinder zwischen 11 bis 18 Jahren und Frauen, die zur Tatzeit 65 Jahre alt waren. Unser Ziel ist es, jeden Täter, sei er Bosniake, Kroate, Serbe zu bestrafen für das, was er getan hat. Ich muss aber betonen, dass 95 Prozent der Opfer bosniakische, also muslimische, Frauen sind. Ich kämpfe darum, dass jeder einzelne Täter zur Rechenschaft gezogen wird und wünsche niemandem auf der Welt das, was den Frauen in Bosnien-Herzegowina während des Krieges angetan wurde. Vergewaltigungen gibt es in jedem Krieg. Stimmt. Aber das, was hier in Bosnien und Herzegowina passiert ist, von der serbischen und montenegrinischen Seite, das war Strategie. Diese Leute wussten sehr gut, dass sie durch systematische Vergewaltigungen Vertreibungen und ethnische Säuberungen erreichen können. Und es ist ihnen gelungen. Nur zwei Prozent der Frauen, die Vergewaltigungen überlebt haben, sind zurück in ihre Heimatstadt gegangen. Rückkehr ist unmöglich. Jeden Tag diesen Verbrechern zu begegnen, die dich vergewaltigt haben, das ist unerträglich. Ich möchte mich bei Ihnen bedanken, dass sie aus Deutschland gekommen sind, aus dem Land, das während des Krieges viele Flüchtlinge aufgenommen hat. Vielen Dank, dass Sie gekommen sind, sich die Wahrheit anzuhören, damit Sie weitererzählen, dass in Bosnien-Herzegowina die systematische Vergewaltigung als eine der grausamsten Waffen des Krieges eingesetzt worden ist.

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