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2 SWR2 Tandem - Manuskriptdienst Mali Blues Vom Leben und Überleben in Gao Autorin: Bettina Rühl Redaktion: Karin Hutzler Regie: Maria Ohmer S...
Author: Hella Siegel
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2 SWR2 Tandem - Manuskriptdienst

Mali Blues Vom Leben und Überleben in Gao

Autorin:

Bettina Rühl

Redaktion:

Karin Hutzler

Regie:

Maria Ohmer

Sendung:

Montag, 09.09.13 um 19.20 Uhr in SWR2

Wiederholung:

Dienstag, 10.09.13 um 10.05 Uhr in SWR2

__________________________________________________________________ Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte der Sendungen SWR2 Tandem auf CD können wir Ihnen zum größten Teil anbieten. In jedem Fall von den Vormittagssendungen. Bitte wenden Sie sich an den SWR Mitschnittdienst. Die CDs kosten derzeit 12,50 Euro pro Stück. Bestellmöglichkeiten: 07221/929-26030. Einfacher und kostenlos können Sie die Sendungen im Internet nachhören und als Podcast abonnieren: SWR2 Tandem können Sie ab sofort auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/tandem.xml Kennen Sie schon das neue Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de

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MANUSKRIPT

Atmo: Innenhof Erzählerin: Gao, im Norden Malis, ein Innenhof. Gao: eine staubige 90.000-Einwohner-Stadt am Rande der Sahara. In den einstöckigen Lehmhäusern rund um den kleinen Platz leben mehrere Familien. Atmo: Hof Tchico, er mit seiner Tochter Erzählerin: In einem der Häuser wohnt Oumar Maiga, von allen „Tchico“ genannt. Er ist Lehrer, Journalist und Musiker. Er sitzt mit seiner dreijährigen Tochter Mami im Hof. Schnell kommt Tchico auf die islamistische Herrschaft zu sprechen. Tchico: On a souffert, on a souffert largement, moi, surtout moi. Parce que ... mes métiers ne se ... ne sont pas exercés au temps des MUJAO, on ne faisait pas la musique, l’école était arrêtée et puis la radio s’est arrêtée, on ne peut pas aller à la radio, on peut, on peut pas animer les émissions.// [Il faudrait que l’information soit favorable à eux, à ce qu’ils veulent.] Sprecher overvoice Tchico: Ich habe sehr gelitten. Alle Berufe, die ich ausübe, waren verboten. Ich bin Musiker, aber wir durften keine Musik machen. In meiner Schule war der Unterricht ausgesetzt, und das Radio, für das ich arbeite, hatten die Islamisten auch geschlossen. Atmo: Innenhof weiter, sehr leise, wenn er im Haus ist Erzählerin: Tchico steht auf und geht in sein Haus: ein kleines Wohnzimmer, das mit zwei Sofas und einem Fernseher schon voll ist. Dahinter: die Küche, ein leerer Raum. Wegen der großen Hitze in Gao kocht Tchicos Frau immer draußen auf dem Hof, aus der Küche wurde ein Abstellraum. In der Ecke einige Gegenstände, unter einem Tuch verborgen. Tchico zieht es zur Seite. Tchico: Ce sont mes baffles, c’est avec ca que je fais ma musique, mais malheureusement, les MUJAOs n aiment pas la musique, ce sont mes fils, vous voyez? Et ici, c est l’ampli. (…) Sprecher overvoice Tchico: Das hier sind meine Lautsprecherboxen, die haben wir bei den Proben immer benutzt. Aber leider mochten die MUJAO keine Musik. /kramt weiter/ Und hier ist der Verstärker.

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Erzählerin: Liebevoll wischt Tchico die dicke Staubschicht von dem teuren Gerät. Tchico: Oui, je ne l’ai pas utilisé ca fait longtemps. Pc on ne pouvait pas l ‘utiliser, pc les gens de MUJAO n aiment pas qu’on fasse de la musique. On n écoute rien que les prêches de l’Islam. Si jamais on te surprend en train de faire la musique - carrément, 80 coups de fouet. (kramt) Et 80 coups de fouet, personne ne peut supporter ca. (kramt) C’est pourquoi moi, j ai tout emballé - voila les fils - j ai tout emballé et j ai déposé ici. (kramt weiter) Ca, c’est une table de mixage, que vous voyez comme ca, un table d orchestre. C’est avec ca qu’on travaille. Mais ca, est pour moi-même. Sprecher overvoice Tchico: Ich habe die Sachen lange nicht benutzt. Während die Islamisten hier waren, konnten wir ja keine Musik machen. Die Stadt war still. Nichts war zu hören, bis auf ihre Predigten. Wenn sie dich beim Musikmachen erwischt haben, hast Du 80 Peitschenhiebe bekommen. Das hält kein Mensch aus. Deshalb habe ich alle meine Geräte eingepackt und in meiner Küche versteckt. Das hier ist ein Mischpult. Ein großes Pult, es reicht für ein ganzes Orchester. Atmo: Innenhof Erzählerin: Ende März 2012 eroberten Tuareg-Rebellen von der „Nationalen Bewegung für die Befreiung des Azawad“, kurz MNLA, die Stadt Gao. Die Tuareg, obwohl selbst laizistisch, hatten sich mit einer islamistischen Miliz verbündet, der „Ansar Dine“, auf Deutsch: „Verteidiger des Glaubens“. Wenig später wurden die beiden Gruppen von der ebenfalls islamistischen MUJAO überrannt, der „Bewegung für Einheit und Heiligen Krieg in Westafrika“. Die MUJAO hat Verbindungen zum Terrornetzwerk Al-Qaida. Tchico: C’était, on dirait, on dirait un autre, un autre pays. Moi, ça m’est étonné, quand des gens-là sont venus, ils ont instauré leur Charia, j’ai l’impression d’être dans une ville de la Mecque. On voit les femmes qui ont changé de comportement, on voit tout de suite une jeune fille qui passe, qui a ... tout est couvert, on ne voit rien en elle, à part les yeux et les mains, les mains. On voit même pas leurs bras, c’est seulement leurs mains qu’on voit et leurs yeux. // Bon, je dis, je me dis que vraiment je ne suis pas au Mali quoi, c’est bizarre, je ne sais même pas là où j’étais. Sprecher overvoice Tchico: Es war, als lebten wir in einem anderen Land. Mich hat das alles sehr überrascht, wie da einfach irgendwelche Leute kamen und die Schari’a einführten. Ich hatte den Eindruck, auf einmal in Mekka zu leben. Die Frauen verschleierten sich komplett. Man sah nur noch ihre Augen und Hände - nicht mal die Arme, nur die Hände. Es war sehr bizarr. Manchmal fragte ich mich, ob ich tatsächlich noch in Mali bin. Atmo: Freitagsgebet

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Erzählerin: Freitagmittag. In der großen Moschee von Gao ist der Andrang wie immer so groß, dass etliche Gläubige ihre Gebetsteppiche draußen ausbreiten, auf der erdig-roten, nicht asphaltierten Straße. 90 Prozent der Malier sind Muslime, und sie sind stolz darauf. Die Wurzeln des Islam reichen in dem westafrikanischen Land bis ins Jahr 900 zurück, und Mali war lange das internationale Zentrum islamischer Gelehrsamkeit. Timbuktu, das 2012 ebenfalls von den Islamisten besetzt wurde, hatte für den Islam in Schwarzafrika große historische und religiöse Bedeutung. Im 15. und 16. Jahrhundert war der Ort in der Sahara eine Metropole der Gelehrsamkeit und das spirituelle Zentrum der west- und südwestafrikanischen Muslime. Atmo: Gebet /Predigt von außen, von der Straße Erzählerin: Der Imam schließt die ausländischen Soldaten in sein Gebet mit ein. Auch die Franzosen. Anschließend ist er zu einem Gespräch bereit. Nur seinen Namen will er nicht nennen, und auch fotografiert werden möchte er nicht. Sei es aus Angst vor den verbliebenen Radikalen, die in Gao und den anderen Städten im Norden Malis weiterhin Selbstmordanschläge verüben. Sei es aus Bescheidenheit. Er selbst sagt: „Was tut es zur Sache, wer ich bin. Wichtig ist nur der Glaube.“ Imam: (spricht) Sprecher overvoice Imam: In unserem Islam gibt es keine Schari’a. Oder zumindest wird sie nicht vollständig angewandt. Denn die Schari’a besteht ja nicht nur aus den Strafen, es handelt sich vielmehr um die gesamte Göttliche Ordnung für die Menschen. Der Katalog der Strafen ist nur ein Teil davon. Der Prophet selbst hat die Schari’a verkündet, als er 23 Jahre alt war. Anschließend hat er nicht sofort damit angefangen, die Strafen anzuwenden, sondern hat den Menschen erst einmal die neue Religion erklärt. Dafür hat er sich viel Zeit genommen. Er wollte sicher sein, dass sie alles verstanden haben, ehe er anfing zu strafen. So halten wir es auch, und das ist der größte Unterschied zwischen uns und den Islamisten. Die Strafen sind aus unserer Sicht nicht wichtig, sie sind nicht das Ziel des Islam. Erzählerin: Die Ganzkörper-Verschleierung, die drakonischen Strafen zum Beispiel für Diebe oder Ehebrecher und der Hass auf die Musik: mit dem traditionell liberalen Islam in Mali hatte das nichts zu tun. Tchico ist Schlagzeuger und spielte mit dem renommierten Orchester von Gao. Dass er seine eigenen Geräte, Verstärker und Mischpult, mit nach Hause nahm, war sein Glück. Tchico: Les gens de MUJAO, comme ils ont envahi la jeunesse (das Gebäude für die Jugend), la ou il se trouve l orchestre de Gao, ils ont pris la sono, ils ont embarqué la sono dans la brousse, la batterie, le clavier, les saxos, et les autres matériels - les guitares - et ils ont tout cassé, tout brulé. - Donc, Gao n a pas d’orchestre aujourd’hui, Gao n a pas de matériel de sonorisation. Il n y a pas.

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Sprecher overvoice Tchico: Die MUJAO-Mitglieder haben das Jugend-Kulturzentrum gestürmt, in dem auch das Orchester untergebracht war. Sie haben die komplette Verstärkeranlage weggebracht, das Schlagzeug, den Synthesizer, alle Saxophone, die Gitarren und was sie sonst noch fanden. Damit sind sie in den Busch gefahren, haben Geräte und Instrumente erst zerschlagen und dann verbrannt. Seitdem gibt es in Gao und der ganzen Region kein Orchester mehr, keine Instrumente. Erzählerin: Abgesehen von einer einzigen Gitarre, die unentdeckt blieb. Die leiht sich manchmal einer der Musiker, wenn die Sehnsucht nach dem Spielen allzu groß wird. Tchico: Ca me manque! Ca me manque beaucoup! Sprecher overvoice Tchico: Die Musik fehlt mir. Sehr sogar. Atmo: Markt Gao Tchico: L’homme de Gao - quand je dis „l’homme“, je parle de l être humain qui vit a Gao aujourd’hui, ne cherche que quelque chose pour manger. On cherche juste à vivre. On n a pas de temps d abord pour jouer - on ne peut pas nous amuser. Qqn qui a subi une certes de terrorisme juste a ce point - on a été terrorise pendant a peu près dix a onze mois - nos esprits, on est vraiment fatigué, on veut juste vivre, se reposer un peu, avant de penser à se mouvoir, à s amuser. Donc, 24 on attend que les choses soient en ordre, d abord la sécurité, après qu’on trouve un bon matériel, pour mieux s’amuser. Sprecher overvoice Tchico: Hier in Gao denken die Menschen nur noch darüber nach, wie sie genug für das tägliche Essen verdienen können. Wegen der Wirtschaftskrise beschäftigen wir uns nur noch mit dem Überleben. Für Freizeitvergnügen haben wir keine Zeit, und wir haben den Kopf dafür auch nicht frei. Zehn, elf Monate wurden wir von den Islamisten terrorisiert. Wir sind erschöpft und wollen uns ein bisschen ausruhen. Wenn sich die Verhältnisse wieder normalisiert haben und die Stadt wieder sicher ist, werden wir neue Instrumente besorgen, damit wir auch wieder Spaß haben können. Erzählerin: Aber dann hat Tchico doch herumtelefoniert um herauszubekommen, wo die Gitarre ist. Hat sich anschließend sein Moped geschnappt und ist zu Abdou Cissé gefahren, dem Chef des „Orchestre régional de Gao“. Atmo: Musik Tchico und Cissé Erzählerin: Jetzt sitzen die beiden in Cissés Haus, in einem winzigen Anbau aus Lehm, wo nur Platz für einen Stuhl und eine Bastmatte ist. Tchico schlägt eine Kalebasse statt des Schlagzeugs, und Cissé spielt die akustische Gitarre, statt der ihm vertrauten elektrischen. 5

Cissés Kinder drängen sich auf die Bastmatte, die Musik lockt immer mehr Leute an. Sie ist, obwohl so einfach, ein großes Ereignis in Gao. Abdou Cissé schöpft aus der kurzen Session neue Energie. Abdou Cissé: Le comportement des gens avec l’occupation a un peu changé. Mais, les gens commencent à se retrouver, nous commençons à nous retrouver, nous faisons des rencontres pour pouvoir relancer les activités et voir comment, en tout cas, l’orchestre sera sur pied. Parce que c’est un besoin, nous avons vraiment besoin d’un orchestre, parce que ça permet quand même de dissiper ... les problèmes de peur que ... qui occupent les populations. Sprecher overvoice Abdou Cissé: Das Verhalten der Menschen hat sich während der islamistischen Besatzung verändert. Aber die Leute finden allmählich wieder zu sich, das gilt auch für uns Musiker. Wir treffen uns hin und wieder, um zu überlegen, wie wir unser Orchester wieder aufbauen können. Das ist uns ein Bedürfnis. Wir brauchen wirklich ein Orchester. Die Musik würde die Menschen in Gao von der Angst ablenken, die sie immer noch beherrscht. Atmo: Musik Atmo: Basketball - Reden, Dribbeln einer schreit, etwas entfernt

Mariam Maiga: Je suis très heureuse de reprendre les entrainements ici, avec mes camarades et mes amis, et surtout, surtout je suis très content de me retrouver avec mes entraineurs. Sprecherin overvoice Mariam Maiga: Ich bin sehr glücklich, dass ich jetzt wieder zusammen mit meinen Freunden und Kameraden trainieren kann. Erzählerin: Mariam Maiga ist 18 Jahre alt. Sie trägt ein gelbes, ärmelloses T-Shirt und eine knielange Sporthose. Bis vor wenigen Monaten wäre sie ausgepeitscht worden, hätte sie so viel nackte Haut gezeigt. Sie trainiert gemeinsam mit anderen jungen Frauen und jungen Männern Basketball auf dem Platz der Unabhängigkeit im Zentrum von Gao. Während der islamistischen Herrschaft wurden hier die Schari’a Urteile vollstreckt, Hände abgeschlagen, Menschen getötet. Jetzt ziehen Läufer entlang des Zauns ihre Runden auf dem sandigen Boden. Daneben wird Fußball gespielt. Atmo: Rinder im Zentrum von Gao Erzählerin: Am späten Nachmittag, die Farben sind schon satt im Licht der tief stehenden Sonne, zieht ein Hirte mit seiner Rinderherde durch das Zentrum von Gao. Das Getrappel der Hufe ist deutlich zu hören, weil es kaum Verkehr, kaum Leben gibt. Die Wirtschaft brach mit dem Beginn des Krieges zusammen, noch immer wirkt die Stadt halb verwaist. 6

Die Rinder ziehen am Polizeiquartier vorbei, das von Einschusslöchern übersät ist. Am Justizpalast, der unter schweren Beschuss geriet und heute eine Ruine ist. Dem Sitz des Gouverneurs, dessen Grundstücksmauer in Trümmern liegt. Und dem Regionalparlament, dessen Mauern ebenfalls von Kugeln beschädigt wurden. Aus Angst vor Minen und Sprengfallen wagt niemand, die Gebäude zu betreten. Zu sehen gäbe es dort ohnehin nichts als Verwüstung. Tchico: Tout de suite, Gao n’est pas comme avant. // C’est sûr, après la guerre, il y a toujours des défaillances, il y a toujours des problèmes, la crise économique continue parce que ... ce qui ... ceux qui ont fait cette guerre-là, en réalité, c’était les plus grands commerçants de Gao, c’était les Arabes, les Arabes, ils, ils sont des Djihadistes, ils ont, ils ont le monopole du commerce ici à Gao, ils ont des grandes boutiques, c’est avec eux qu’on trouvait tout. Malheureusement aujourd’hui, ils ne sont pas là. Et tout devient cher, tout. Un sac de riz qui qui d’alors était à 15 000 ou à 16 000, aujourd’hui, tu ne peux pas avoir un sac de riz à moins de 25, moins de 20 000, de 20 000 à 25 000. Sprecher overvoice Tchico: Das Leben in Gao ist nicht mehr so, wie es mal war. Erstaunlich ist das nicht, nach jedem Krieg dauert es eine Weile, bis die Wirtschaft wieder in Gang kommt. Unter der islamistischen Herrschaft war alles wie gelähmt, diese Krise hält an. Viele Händler in Gao waren Araber, sie haben sich den Islamisten angeschlossen und sind beim Einmarsch der Franzosen geflohen. Weil sie im Handel fast so etwas wie ein Monopol hatten, sind manche Waren jetzt knapp, und alles ist teurer geworden. Ein Sack Reis zum Beispiel hat früher gut zwanzig Euro gekostet, jetzt sind es manchmal fast vierzig. Atmo: Stadtzentrum Gao - frz. Armee fährt vorbei, Mopeds in der Stadt Erzählerin: Im Stadtzentrum fährt die französische Armee regelmäßig Patrouille. Manchmal geht ein Soldat, gesichert von seinen schwer bewaffneten Kollegen, in eines der kleinen Geschäfte. Kommt mit Keksen oder anderen Kleinigkeiten zurück. Im April 2013 hat der Abzug der französischen Armee begonnen, von den zuletzt 4000 Soldaten sollen nur 1000 in Mali bleiben. Tchico: On a peur. Sans vous mentir, sérieusement parlant, on a peur parce que seuls les blancs savent que ... les djihadistes, c’est des kamikazes, c’est des kamikazes, ils peuvent, ils peuvent ... rentrer dans une dans une ville tranquillement à partir de 23.00, minuit, ils se cachaient quelque part toute le journée, ils partent dans un lieu public pour ... ils mettent des ceintures explosives et ils partent s’exploser devant, dans une foule et là, ils vont faire beaucoup de dégâts. Alors, on sait très bien que ... si les Français sont là, c’est sûr et certain que ils vont détecter le plus vite possible et arrêter le massacre si il y en a. Sprecher overvoice Tchico: Wir haben Angst. Nur die französischen Soldaten nehmen die Gefahr wirklich ernst, die von den verbliebenen Islamisten ausgeht. Das sind Selbstmordattentäter. 7

Die können sich nachts immer irgendwie in die Stadt schleichen und sich eine Zeit lang irgendwo verstecken. Dann gehen sie auf einen belebten Platz und sprengen sich in die Luft, wobei sie möglichst viele Menschen töten. Von den Franzosen wissen wir, dass sie mögliche Attentäter so früh wie möglich entdecken und geplante Massaker vielleicht verhindern können. Erzählerin: Im Juli 2013 hat eine UN-Blauhelmtruppe die Aufgabe übernommen, Malis Sicherheit zu gewährleisten. Sie hat ein Mandat für 12.600 Soldaten, hinzu kommen ein paar tausend Soldaten der malischen Armee. Atmo: Radio AADAR Radiodirektor Boubacar Touré: Nous avons commencé à reprendre nos programmes, tout juste au lendemain de la libération de la ville de Gao, par l’armée française. [Mais auparavant, si il faut faire un peu le film des évènements depuis, jusqu’à la fermeture de la radio, alors, les groupes armés sont rentrés à Gao le 31 mars 2012. Et ce 31 mars 2012 a coïncidé avec l’incendie et ce jour-là, aucune radio n’a fonctionné à Gao. Toutes les radios étaient fermées parce que y avaient des armes partout, y avaient des gens partout.] Sprecher overvoice Radiodirektor Boubacar Touré: Am Morgen, nachdem die Islamisten von der französischen Armee aus Gao vertrieben wurden, haben wir unsere Programme wieder aufgenommen. Erzählerin: Boubacar Touré ist Direktor von „Radio AADAR“, einem unabhängigen Sender in Gao - einer Art Bürgerfunk. „Radio AADAR“ kann jeden Tag nur zwei Stunden lang senden, länger reicht der Strom nicht. Denn der Generator des Senders wurde von den Islamisten gestohlen, jetzt fehlt das Geld für einen neuen. Atmo: Maiga am Mikrofon Erzählerin: Am Mikrofon: Malick Aliou Maiga, er moderiert die Nachrichtensendung um 20 Uhr. Der hagere 34-Jährige ist einer der beliebtesten Journalisten in der Stadt, bekannt vor allem für seinen Mut und seine Unbeugsamkeit. Malick Aliou Maiga: L’état, depuis la libération, je suis témoin, je suis journaliste, je suis bien placé pour le dire, n’a pas envoyé ni gasoil, ni essence, ni un sac de riz pour les populations du Nord. Je dis avec quel moyen l’état va nous dire qu’ils vont faire des élections, avec quoi l’état va nous dire qu’ils vont faire un développement et réconcilier les gens, pendant que les gens continuent à tendre la main les dons du CICR, les dons des autres pays, les gens en train de vivre l’électricité ou l’eau qui viennent 2 heures, 3 heures de temps. // Les gens ont faim, on a dit, ventre vide n’a pas d’oreille. Donc, jusqu’à présent, les régions du Nord n’ont pas de libération. Sprecher overvoice Malick Aliou Maiga: Der Staat hat nichts für uns getan, seit der Norden befreit wurde, das kann ich als Journalist bezeugen. 8

Er hat weder Diesel noch Benzin geschickt, und nicht einen Sack Reis. Von welchem Geld will er Wahlen abhalten? Und wie will er die Entwicklung in Gang bringen, die Menschen wieder miteinander versöhnen? Während hier alle noch gezwungen sind, die Hand bei Hilfsorganisationen aufzuhalten und um Spenden zu betteln. Während es nur für zwei oder drei Stunden täglich Strom und Wasser gibt. Die Leute haben Hunger, und es heißt: „Ein leerer Magen hat keine Ohren.“ Die Menschen hier im Norden sind bis heute nicht wirklich befreit. Erzählerin: Eigentlich ist es ein Wunder, dass Maiga nicht längst den Mut verloren hat, zu sagen, was er denkt. Erst wurde er von der malischen Regierung bedroht, dann von den Tuareg-Rebellen, schließlich von den Islamisten. Malick Aliou Maiga: Colonel Jimmy, qui est chargé de la sécurité du MNLA à Gao, c’est le premier qui m’a enlevé à la radio, ils m’ont emmené à leur QG, ils m’ont tabassé. Bon, heureusement, la population était vite sortie pour demander ma libération. Sprecher overvoice Malick Aliou Maiga: Oberst Jimmy, Sicherheitsbeauftragter der Tuareg-Miliz MNLA in Gao, holte mich während der Sendung aus dem Studio. In ihrem Hauptquartier haben sie mich zusammen geschlagen. Zum Glück hatte die Bevölkerung ja mitbekommen, was sich abspielte, weil der Mikrofonregler auf war, als Oberst Jimmy und seine Leute kamen. Die Menschen gingen auf die Straße und verlangten meine Freilassung. Erzählerin: Die MNLA gab nach, Maiga ging zurück ins Studio und sendete weiter. Dann wurde die MNLA von den Islamisten besiegt, und die Journalisten hatten ihren nächsten Gegner. Radiodirektor Boubacar Touré: Alors, ils ont voulu automatiquement à appliquer la Charia sur des jeunes, leur couper la main, alors, on est venu à la radio. On a dit: «Non, la jeunesse de Gao ne doit pas accepter. Vous ne pouvez pas rester croiser les bras ici et que les gens viennent, ils coupent la main des jeunes. Parce que ceux à qui on coupe la main, c’est des jeunes. Ce sont nos frères. Alors, qu’on nous coupe tous la main ou qu’on nous laisse ou qu’on nous donne le temps alors de sensibiliser les gens à la Charia. Sprecher overvoice Radiodirektor Boubacar Touré: Sie wollten sofort die Schari’a anwenden und angeblichen Dieben die Hände abschlagen. Die Opfer wären vor allem junge Menschen gewesen. Im Radio haben wir aber gesagt: „Die Jugend von Gao darf das nicht zulassen. Wir Bürger von Gao dürfen nicht untätig bleiben und diese Leute gewähren lassen, wenn sie unsere Jugend verstümmeln. Entweder hacken sie uns allen die Hände ab, oder sie lassen uns alle in Ruhe. Oder sie geben uns zumindest die Zeit, die Menschen über die Regeln der Schari’a aufzuklären.“ Radiodirektor Boubacar Touré: Donc, le lendemain, parce que la Charia devrait s’appliquer à la place publique de l’Indépendance, donc, le lendemain à 6 heures déjà, tous les jeunes sont sortis, ils ont occupé la place de la Charia. 9

Ils ont dit: «Aujourd’hui, y aura pas de Charia, la Charia, elle va pas s’appliquer.», et ils vont jamais admettre qu’on coupe la main à quelqu’un à Gao, le sang humain ne doit pas couler à Gao. Donc, ils sont venus avec les Pick-up, avec les gens avec qui, les gens dont ils voulaient couper la main, ils ont vu que le lieu était carrément occupé par les jeunes, ils sont retournés. Donc, ils ont pas pu appliquer la Charia. Sprecher overvoice Radiodirektor Boubacar Touré: Am nächsten Morgen fuhren Islamisten zum „Platz der Unabhängigkeit“. Aber die jungen Leute von Gao hatten schon um sechs Uhr morgens den Platz besetzt, den alle nur noch „Platz der Schari’a“ nannten. Die Besetzer skandierten: „Heute gibt es hier keine Schari’a.“ Sie sagten, sie würden nicht hinnehmen, wenn noch mehr Blut vergossen werde. Dann kamen die Islamisten mit ihren Pick-Ups und ein paar Opfern, an denen sie ihre Urteile auf dem Platz vollstrecken wollten. Aber dann mussten sie umdrehen - und konnten die Schari’a an diesem Tag wirklich nicht vollstrecken. Erzählerin: Schon zuvor hatten MUJAO-Mitglieder den Radiomoderator Malick Aliou Maiga mehrfach bedroht. Sie drohten ihm mit sms. Als das nichts half, versuchten die Islamisten, ihn abzuwerben, boten ihm ein Gehalt von 450 Euro im Monat märchenhaft viel für Mali. Maiga lehnte ab. Am Tag nach dem Vorfall auf dem Platz der Schari’a rechnete die MUJAO mit ihm ab. Malick Aliou Maiga: Maintenant ils ont décidé de passer par la force, et ils ont utilisé la force. Ils sont venus en plein mois de Ramadan jusqu’à ... dans le studio pour me dire que c’est moi qui est à la base de l’échec de toutes leurs actions à Gao donc, ils ne vont pas regretter. Et ils l’ont fait parce que ils sont venus ici à bord de plusieurs 4X4, ils sont rentrés jusque dans le ... là où je suis assis comme ça et sans poser des questions, ils m’ont tabassé. Sprecher overvoice Malick Aliou Maiga: Sie kamen mitten im heiligen Fastenmonat Ramadan zu mir und sagten, ich sei Schuld daran, dass sich die Bevölkerung in Gao noch immer wiedersetze. Und dass ich dafür bezahlen würde. Sie waren mit mehreren Geländewagen gekommen, stürmten ins Studio und rissen mich von dem Platz, an dem ich jetzt gerade wieder sitze. Sie schlugen auf mich ein, ohne eine weitere Frage zu stellen. Radiodirektor Boubacar Touré: Lui, il est rentré avec 4, 4 gaillards avec des armes. Eux, ils n’ont salué personne, ils sont rentrés directement et Malik était assis ici aussi, il faisait son journal. 27’’ […Ils sont rentrés] 45’’ Et ils ont commencé à lui donner des coups. Le micro était ouvert et tout Gao entendait les coups qu’il recevait alors, parce que ça sortait dans la radio. Les gens ont compris que nous avons été agressé, agressé alors on voulait le prendre, le faire sortir, alors, nous, le personnel qui était là, on s’est opposé. On a fait une bagarre dure dans la cour, on a eu des coups de crosse, des coups de matraques alors, bon, ils étaient nombreux et armés plus que nous, alors ils sont parvenus à nous l’arracher.

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Sprecher overvoice Radiodirektor Boubacar Touré: Der Chef der Islamisten war mit vier Bewaffneten gekommen. Sie sind hereingestürmt und gingen direkt auf Malick los. Er las gerade die Abendnachrichten, der Mikrofonregler war also offen, und die ganze Stadt bekam mit, was passierte: Alle hörten, wie sie auf Malick einschlugen, und allen war sofort klar, dass wir angegriffen wurden, dass sie Malick mitnehmen wollten. Wir versuchten, das zu verhindern. Wir kämpften im Hof mit ihnen, aber wir haben verloren. Sie waren in der Überzahl, und sie waren bewaffnet. Deshalb konnten sie uns Malick entreißen. Malick Aliou Maiga: Ils m’ont frappé, j’ai pris à partir du studio pour me faire sortir du studio pour m’amener hors de la ville. Hors de la ville, c’était pas facile, ils étaient une vingtaine, ils me frappaient de tous les ... de tous les sens, ils me cravachaient. Ils m’ont laissé comme mort. Sprecher overvoice Malick Aliou Maiga: Sie schlugen mich und nahmen mich mit vor die Stadt. Sie waren etwa zwanzig, und alle prügelten auf mich ein. Sie ließen erst von mir ab, als sie dachten, ich sei tot. Radiodirektor Boubacar Touré: Ils l’ont pris, ils sont allés le jeter devant l’hôpital en disant aux docteurs, aux infirmiers: «Voilà votre type, on a fini avec lui, on lui a bouclé la gueule.» Donc, c’est tard dans la nuit qu’on m’a appelé pour me dire que Malik est à l’hôpital, alors, il a perdu toute connaissance. Il est entre la vie et la mort. Et j’ai été le voir, je vous avoue que c’était terrible, j’étais fondu en larmes, je ne savais pas où je me trouvais. Parce qu’on pouvait pas le regarder. Sprecher overvoice Radiodirektor Boubacar Touré: Sie haben ihn dann ins Auto geladen und ihn vor dem Krankenhaus auf die Straße geworfen. Zu den Ärzten sagten sie: «Da habt ihr Euren Typen wieder, wir sind mit ihm fertig.» Spät in der Nacht bekam ich einen Anruf vom Krankenhaus und erfuhr, dass er lebte, aber bewusstlos war. Es hieß, er schwebe zwischen Leben und Tod. Ich fuhr sofort hin, sein Anblick war furchtbar. Ich musste weinen. Weil er so schlimm zugerichtet war, dass man ihn gar nicht angucken konnte. Radiodirektor Boubacar Touré: Alors, donc, la nuit, quand on l’a pris, il fallait le chercher, on est sorti, tout Gao est sorti, je n’ai jamais vu cette marée, cette sorte de marée humaine la nuit en moto, à pied avec des torches, sillonner toute la ville de Gao pour que alors, on puisse retrouver ce Malik. Sprecher overvoice Radiodirektor Boubacar Touré: In dieser Nacht war ganz Gao auf den Beinen, um ihn zu suchen. So etwas habe ich noch nie erlebt: So viele Menschen, die zu Fuß und mit Motorrädern unterwegs waren, und die ganze Stadt mit ihren Taschenlampen nach Malick absuchten. Malick Aliou Maiga: Cette nuit, je dis merci Dieu, je dis merci la population de Gao parce que je connais pas quelqu’un, un vieux, une femme, un jeune, tout le monde était dans la rue uniquement pour ma seule personne, demander est-ce que je suis en vie? Où est-ce que je me trouve? Même si je ne suis pas en vie, mon corps, il est où? 11

Donc, je dis, Alhamdullilah, je remercie, je remercie la population de Gao et je suis très content parce que c’est là que j’ai compris le travail que je suis en train de faire, le travail de journaliste que je suis en train de faire, c’est ... c’est cette nuit que, malgré que je suis dans les douleurs, je suis dans le coma, mais je veux remercier parce que les gens ont compris mon message. Sprecher overvoice Malick Aliou Maiga: Für diese Nacht habe ich Gott und der Bevölkerung von Gao gedankt. Die Alten, die Frauen und die Jungen - alle sind auf die Straße gegangen und haben Informationen gefordert: ob ich noch am Leben sei? Wo ich mich befände? Wenn ich tot sei - wo meine Leiche wäre? Als ich später davon hörte, war ich glücklich, obwohl mein ganzer Körper schmerzte und ich gerade erst aus dem Koma erwacht war. Ich war glücklich, weil mir die Reaktion der Menschen von Gao zeigte, dass meine Arbeit als Journalist sinnvoll ist. Damals war ich dankbar und bin es immer noch, weil die Menschen meine Botschaft verstanden haben. Radiodirektor Boubacar Touré: Alors, dès lors, la radio est fermée, parce que on a compris. Alors, Malik a fait quelque temps à l’hôpital, il a commencé à retrouver ses esprits, il faut le sauver. Sprecher overvoice Radiodirektor Boubacar Touré: Von diesem Tag an gingen wir nicht wieder auf Sendung - wir hatten die Botschaft verstanden. Malick kam wieder zu Bewusstsein, blieb aber noch eine ganze Weile im Krankenhaus. Ich musste ihn aus Gao rausbringen. Erzählerin: Als Malick Maiga wieder halbwegs hergestellt war, brachte ihn Boubacar Touré eines Morgens um vier auf dem Motorrad aus der Stadt und fuhr mit ihm über die Grenze ins benachbarte Niger und von dort in die malische Hauptstadt Bamako.Dann kehrte Touré zurück nach Gao, Maiga blieb bis zum Ende der islamistischen Herrschaft in der vergleichsweise sicheren Hauptstadt. Jetzt ist er zurück, rastet nicht, sieht die nächsten Aufgaben. Malick Aliou Maiga: La situation, elle est critique, parce que pour nous aujourd’hui, c’est vrai, on parle de libération, mais pour moi, la libération, elle est pas encore arrivée. Les Djihadistes sont partis, les bandits sont partis mais il reste un grand travail. Et ce travail, il s’agit de comment mettre les gens ensemble, les Touaregs, les Arabes, les Songhais, les Peuls, les Tamasheks, les différents communautés qui composent la région, comment les mettre ensemble, c’est ça un grand problème. Parce que c’est pas tout le monde qui fait la différence entre un Touareg qui a pris les armes et un Touareg qui n’a pas pris les armes, un Arabe qui a pris les armes et un Arabe qui n’a pas pris les armes, un Songhai qui a pris les armes, un Songhai qui n’a pas pris les armes. 37’’ […] 1’00’’ Le tissus social est parti, est déchiré, comment mettre ce tissus social ensemble, c’est pour nous un grand problème. C’est très difficile. Sprecher overvoice Malick Aliou Maiga: Die Situation ist immer noch kritisch. Alle reden von Befreiung, aber aus meiner Sicht ist die Befreiung noch nicht bei uns angekommen. Die Islamisten sind zwar weg, aber es liegt viel Arbeit vor uns. 12

Unsere Gesellschaft muss jetzt, nach dem Krieg, erst wieder zusammen finden: die Tuareg, die Araber, die Songhai, die Peul - die verschiedenen Ethnien, die im Norden von Mali leben. Und das wird sehr, sehr schwierig. Denn nicht jeder kann zwischen einem Tuareg unterscheiden, der sich am Krieg beteiligt hat - und einem, der die Rebellion nicht wollte. Zwischen einem Araber, der mitgekämpft hat, und einem Araber, der friedlich blieb. Zwischen einem Songhai, der zur Waffe griff, und einem Songhai, der Zivilist war. Das soziale Netz ist durch den Krieg zerrissen. Die Gesellschaft wieder zu vereinen, ist eine riesige Aufgabe. Das wird sehr schwer werden.

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