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2 SWR2 Tandem - Manuskriptdienst Klein wohnen, groß fühlen Ein junger Architekt und seine Möbel Autorin: Regina Burbach Redaktion: Nadja Odeh Se...
Author: Victor Michel
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2 SWR2 Tandem - Manuskriptdienst

Klein wohnen, groß fühlen Ein junger Architekt und seine Möbel

Autorin:

Regina Burbach

Redaktion:

Nadja Odeh

Sendung:

Freitag, 29.08.14 um 10.05 Uhr Wiederholung vom 10.04.12

__________________________________________________________________ Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte der Sendungen SWR2 Tandem auf CD können wir Ihnen zum größten Teil anbieten. In jedem Fall von den Vormittagssendungen. Bitte wenden Sie sich an den SWR Mitschnittdienst. Die CDs kosten derzeit 12,50 Euro pro Stück. Bestellmöglichkeiten: 07221/929-26030. Einfacher und kostenlos können Sie die Sendungen im Internet nachhören und als Podcast abonnieren: SWR2 Tandem können Sie ab sofort auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/tandem.xml Kennen Sie schon das neue Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de

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MANUSKRIPT

Le Van Bo: Gut ist es immer bei Geschichten, wenn man am Anfang einen Ausblick gibt auf das, was am Ende kommen könnte. Erzählerin: Le Van Bo, 1977 in Laos geboren, in Berlin zu Haus. Ein Architekt. Ein Zauberer. Aus einer Ein-Raum-Wohnung von 34 Quadratmetern macht er eine gefühlte Drei-RaumWohnung mit Balkon und schöner Aussicht. Le Van Bo: Ich habe mich sehr intensiv mit Drehbüchern auseinandergesetzt, mit Dramaturgie. Und, ich weiß halt, dass in Hollywood zum Beispiel, das basiert auf Aristoteles, dass es so vier Akte gibt. Dass es einen Anfang gibt, ne Exposition, wo man erstmal reinkommt in ne Geschichte. Und dann, zweiter Akt, dritter Akt, da kommt dann so ne Art Höhepunkt, und dann kommt die Auflösung. Erzählerin: Berlin-Charlottenburg. Die kleine Ein-Raum-Wohnung in dem alten Berliner Mietshaus mit den hohen Decken, hat Le Van Bo gestaltet und mit von ihm kreierten Möbeln eingerichtet. Nun ist sie seine ‚Hartz-IV-Design-Wohnung. Le Van Bo: Es ist letztendlich ne kleine Geschichte, die du erlebst, wenn du in diese Wohnung kommst. Auch wenn es nur so klein ist wie 34 Quadratmeter. Man kommt also durch de Tür (er macht die Tür auf) und dann beginnt die Geschichte: Du bist halt nicht in einer Diele oder so was, sondern mittendrin in diesem Ein-RaumApartment, aber siehst das Ein-Raum-Apartment erstmal nicht. Es wird dir verstellt. Du kommst erstmal an - and der Garderobe. Die Garderobe ist aber auch gleichzeitig die Rückseite des Schreibtisch-bereiches, welcher auf einem Podest sich befindet. Wenn du durch die Garderobe schaust, dann siehst du das Bett. Das heißt, es kündigt sich schon ganz am Anfang das schönste Erlebnis des Tages an, und zwar die Nacht, wo du dann, wohlverdient, in den Schlaf gehen kannst. Es ist so ein bisschen wie bei Aristoteles. Erzählerin: Die Wandfarben geben dem Raum etwas Warmes. Ein tiefes Rot, ein Gelb, Sandgelb. Sand, von Sonnenlicht beschienen, wie auf den schönsten Fotos von Wüstenlandschaften. Formen und Farben sind inspiriert vom Bauhaus-Stil und von George Grosz, einem Dada-Maler, der hier in Berlin-Charlottenburg um die Ecke gelebt hat, in den 1920er Jahren. Le Van Bo: Dann läuft man also nach rechts, hier um die Ecke, und dann eröffnet sich erst der Raum. Das ist eigentlich der Trick, wenn du kleine Räume groß machen willst: Du musst versuchen, den Menschen die freie Sicht erstmal ‚schmackhaft’ zu machen. Man darf sie ihnen nicht sofort geben. Wenn du einen Raum behaglich oder groß oder spannend wirken lassen willst, dann setze ihm kleine Hindernisse in den Weg. 2

Gibt ihm nicht die Möglichkeit, dass er von A nach B auf dem kürzesten Weg kommt, sondern kreisen muss, um die Möbel herum. Dieser Schreibtisch zum Beispiel, oder Esstisch, er ist so in den Raum reingerückt, dass man hier so um den Tisch herum kursieren kann … Und dieses Sofa hab ich auch in die Mitte gesetzt, also das größte Möbel in dieser Wohnung, das SiWo-Sofa, das steht für Single-Wohnungs-Sofa, das ist auch ein Hartz-IV-Möbel, kann man auch selber bauen steht genau in der Mitte. Und man kann halt so von hinten und von vorne den Raum noch mal erleben. Erzählerin: Einen kleinen Raum optimal auszunutzen durch ein funktional ausgeklügeltes Design, das war Le Van Bos Ziel. Und seine Idee ist, dass Leute, auch wenn sie der Umstände halber in Kleinwohnungen und mit wenig Geld leben müssen, trotzdem ihre eigenen Designmöbel haben können - indem sie sie selbst bauen. Seine DesignMöbel-Linie zum Selbstbau hat er „Hartz-IV-Möbel“ genannt. Die Baupläne gibt’s im Internet, kostenlos. Le Van Bo: Aber man kriegt sie nicht einfach so, sondern ich frage dann zum Beispiel danach: Warum willst du diesen Bauplan haben, wozu, für wen, für dich, warum? Und wärst du bereit, mir eine Geschichte zurückzugeben? Das ist nämlich meine Währung. Ich gebe dir einen Bauplan gegen eine Geschichte. Offenheit als Währung. Und ich nenne das Karma-Wirtschaft, eine Wirtschaft, die nicht basiert auf Euro, sondern auf Geben und Nehmen. Auf Karma, letztendlich. Und die meisten Leute verstehen das, andere verstehen’s nicht, die kriegen aber auch keinen Bauplan. Erzählerin: Das ist konsequent. Le Van Bo: Ja, ich will ja nichts zu tun haben mit den Leuten, die immer nur nehmen. Ich such halt die Leute, die so ähnlich ticken wie ich, die halt versuchen, durch einen bestimmten Beitrag, in welcher Form auch immer, einfach die Welt so ein Stück weit besser zu machen. Und ich glaube, es hat damit zu tun, dass man darauf achtet, dass man nicht immer nur nimmt, sondern auch ab und zu mal was gibt. Und die meisten geben eine Geschichte zurück, und das heißt, sie schreiben einen kleinen Text und schießen ein Foto, und das sammle ich dann alles, und möchte das in einem Buch verwerten, möchte es dort noch mal einem ganz großen Publikum zeigen. Michael im Bau-Workshop: Das ist sehr schwierig. Sonst ist es ja immer sehr einfach zu bohren hier, aber das hier sind die einzigen Buchenteile. Die sind wahnsinnig hart, also der Bohrer brennt sich mehr durch als dass er sich durchbohrt, also das riecht schon ganz verbrannt. Erzählerin: Bloß, warum gibt er seinen Kreationen einen so furchtbar abweisenden Namen: Hartz-IV-Möbel? Le Van Bo: Ich habe mir überlegt: Was ist wohl das schrecklichste Wort, was die Deutschen kennen. 3

Und: Was ist das Schönste, der schönste Gedanke, den die Deutschen kennen. Und ich hab versucht, die beiden Dinge zusammenzubringen, um zu gucken, was passiert. Und ich dachte mir, okay, wahrscheinlich ist es so was wie Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit, vielleicht Krankheit, Depression, Burnout. Und wie kann man all diese schlimmen Dinge zusammenfassen in einem Wort. Und ich dachte, Hartz-IV trifft es vielleicht gut. Das ist so der Abgrund vom Abgrund. Und dann eines der schönsten Dinge, das die Deutschen beschäftigt, ist wahrscheinlich Wohnen, sich Einnisten, ein Nest bauen, ein Ein-Familien-Haus, Doppelhaushälfte, einen Garten haben. Also Wohnen und Möbel scheint wirklich ein ganz, ganz, ja … so ein Zufluchtsort zu sein für ganz viele Menschen, die vielleicht auch traurig sind, oder sich ein besseres Leben wünschen. Und letztlich beginnt das alles mit einem Möbel. Erzählerin: Die eigene Wohnung als einen Ort der Zuflucht zu sehen - das kennt Le Van Bo aus persönlicher Erfahrung. Le Van Bo: Also wir hatten immer wenig Geld gehabt. Ich kann mich noch erinnern, als Student das war ne wahnsinnig tolle Zeit - aber ich hatte immer wenig Geld, wenn ich ins Kino gehen wollte, bin ich Blut spenden gegangen. Da hast du halt 20 Mark bekommen, das war in Kreuzberg halt um die Ecke, und dann konnte ich halt ne Pizza bestellen und ins Kino gehen. Diese Zeit hab ich halt auch kennen gelernt, also wirklich wenig Geld zu haben. Ich komme aus einer sehr armen Familie. Ich bin einer von diesen sogenannten ‚Boat-People’. Wir sind mit einem Boot geflüchtet, aus Laos, über den Mekong-Fluss. Okay, es war ne kurze Fahrt, es war nicht der Atlantik oder so, aber, ja, wir sind geflohen vor dem Kommunismus, und sind dann irgendwann in Deutschland gestrandet. Und ich kann mich noch erinnern, wir hatten damals zu Hause so ne Tapete gehabt, die hatte so Holz vorgegaukelt, Holz vertäfelte Wand (lacht), wenn wir ein bisschen Luxus haben wollten, dann haben wir halt so ne Tapete gekauft. Und im Wohnzimmer hatten wir so ne Fototapete mit Palmen, von so ner Insel. Ja, das waren die Möglichkeiten, die meine Eltern gesehen haben, ein bisschen Lebensqualität in unser Leben zu bringen. Atmo: Geräusch Holz-Werkstatt Erzählerin: Viele Tausend Baupläne haben Leute von Le Van Bos Website nun schon heruntergeladen. Pläne für das gesamte Interieur seiner ‚Hartz-IV-Design-Wohnung’. Le Van Bo: Die meisten, die meine Baupläne anfordern, haben wenig Geld, aber hohen Anspruch, so kann man das zusammenfassen. Ob sie jetzt nun Hartz-IV beziehen oder nicht, das ist immer noch ne andere Frage, also viele wollen das ja auch einfach nicht, oder viele machen sich selbständig, dann haben sie sogar noch weniger als Hartz-IV, viele Rentner sind dabei. Erzählerin: Die schlichten Formen überzeugen auch deshalb, weil man sie gut nachbauen kann. Die Hauptsache aber ist, sie sind funktional überaus durchdacht. Sie sind wandelbar, und das macht sie so besonders. 4

Man kann sie heute so und morgen anders benutzen. Das Buch mit Bauanleitungen und Berichten der Laien-Möbelbauer nimmt derweil Form an. Le Van Bo selbst will nur ein Prozent beitragen, alles andere soll von der ‚Crowd’ kommen, die über die Inhalte basisdemokratisch entscheidet. Seine Crowd, das sind allein über 4000 Facebook-Fans mittlerweile. Auf Facebook sind die Fortschritte des Buches zu verfolgen. Atmo: Geräusch Holz-Werkstatt Lorenz: (Sohn) Zehn Euro, zehn Minuten. Michael: (Vater) Zehn Schrauben. Erzählerin: Der Berliner Hocker. Mehr braucht es nicht, um ihn zu bauen. Und er ist auch nicht nur ein Hocker, sondern wahlweise Pult, Regal, Kindersessel oder Kaffeetisch. Le Van Bos Berliner Hocker ist eine Anspielung auf den Ulmer Hocker, einen DesignKlassiker, den 1954 Max Bill entworfen hat. Atmo: Geräusch Holz-Werkstatt beim Möbelbauen Erzählerin: Manchmal gibt Van Bo Selbstbau-Workshops. Da sind dann meist nur Leute dabei, die sich die 90 Euro Kursgebühr leisten können. Die Volkshochschule bietet aber auch solche Kurse an, mit Hartz-IV-Rabatt. Lorenz: (Sohn, 12 Jahre) 10 Euro, 10 Minuten. Michael: (Vater) Zehn Schrauben. Erzählerin: Und, stimmt das? Michael: Das haben wir nicht überprüft. Bisher stimmte das Meiste. Erzählerin: Aber man muss schon ein bisschen Geschick haben dafür, mit zwei linken Händen geht’s wahrscheinlich nicht. Michael: Okay, aber wir sind jetzt überhaupt keine Profis … Lorenz: Man darf nur nicht sonderlich ungeschickt sein.

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Erzählerin: Michael und sein Sohn Lorenz arbeiten als eingespieltes Team. - Und hier, gleich daneben, hier baut Batiste: Batiste: Ich bin relativ weit eigentlich schon. Ich muss jetzt eigentlich nur noch die kleinen Füßchen hier runter machen unter die Sitzfläche, und dann noch mal die Lehne schleifen, und dann, meine ich, bin ich fertig, aber wer weiß, was es noch gibt. Erzählerin: Würdest du das noch mal machen? Batiste: Auf jeden Fall. Aber wahrscheinlich zu Hause. Jetzt hab ich ein paar wichtige Sachen gelernt, ich hab zu Hause das Glück ne Werkstatt zu haben, im Keller, und da würde ich das dann alleine machen. Erzählerin: Le Van Bo trifft mit seinen Möbeln zum Selbstbau den Nerv der Zeit. Die Do-ItYourself-Bewegung hat sich in den letzen Jahren stark verbreitet und als „DIY“ längst einen Kurznamen etabliert. Ob es dabei um Nähen, Brotbacken oder Gemüseanbau geht, der Trend steigt an. Selbstgemachtes gilt nicht mehr als Verlegenheitslösung, sondern zunehmend als Lebenseinstellung, und auch als Gegenbewegung zur Konsumgesellschaft. Umfragen besagen, dass fast drei Viertel der Deutschen heimwerken. - Die meisten, die nach Le Van Bos Plänen bauen, in Workshops oder bei sich zu Haus, sind Laien und trauen sich aber trotzdem, seine Möbel zu bauen. Das liegt auch an der Internet-Präsenz dieses Projektes und seiner OnlineCommunity, die ständig wächst und sich auch austauscht und bestärkt. Sandra: Ich interessiere mich sehr fürs Bauen, also fürs Selbermachen, schon immer. Und Möbel lieb’ ich einfach, weil sie zu Hause einem ein gutes Gefühl vermitteln. Autorin: Was machst du beruflich? Sandra: Ich bin Psychologin und Juristin, also angehende sozusagen. Erzählerin: Der Mut der Laien zum Möbelselbstbau liegt aber auch an Le Van Bo. Er ist ein brillanter Kommunikator, ein Energiespender und: Optimist. Er selbst hat sich schon mehrmals neu erfunden. Er wuchs in Berlin-Wedding auf. Als Jugendlicher war er in der HipHop-Szene aktiv. Er zog auch schon als Sprayer durch die Nächte, sprayte seinen Namen an die Hauswände, und wurde oft erwischt. Sein Sprayer-Name war „Prime“, nach „Optimus Prime“, dem Spielzeugroboter und gutem Helden, „Prime Lee“, sein noch heute verwendeter Alias-Name. - Er will etwas zurückgeben. Und das kann nur, wie er sagt, jemand, der selbst etwas bekommen hat, etwas Gutes.

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Le von Bo: Ich wurde halt immer unterstützt, von so vielen, die an mich geglaubt haben. Es gab immer Lehrer, Sozialpädagogen und Leute aus der Nachbarschaft, die gesagt haben, hey, Mensch, du hast Talente, du kannst zeichnen, du bist lustig, du kannst was erzählen, du solltest studieren, studier irgendwas, was mit Zeichnen zu tun hat, vielleicht Architektur oder so. Mach was aus deinem Leben, du kannst es. Es gab immer Leute, die an mich geglaubt haben. Und dann hab ich das auch gemacht. Erzählerin: Heute arbeitet er in einer renommierten Architekturfirma. Vollzeit. Und das Hartz-IVMöbel-Projekt betreibt er nach 18 Uhr in seiner Freizeit oder am Wochenende. Atmo: Geräusch Wortwechsel Workshop über Faserrichtung Le von Bo: Ja, mittlerweile ist es mehr als nur ein Projekt, in dem es darum geht, Selbstbaumöbel übers Internet zu vertreiben. Es ist mehr. Mir ist aufgefallen, dass da ganz interessante Dynamiken stattfinden. Das ist total irre. Was passiert, wenn jemand diesen Bauplan bekommt, und dann diesen Stuhl baut? Da passieren ganz, ganz viele Dinge, die ich so nicht vorausgesehen habe. Man muss sich das so vorstellen. Wie funktioniert unsere Wirtschaft? Wie funktioniert das mit so einem Produkt. Sagen wir mal: Ein Stuhl der im Regal steht in einem Möbelladen. Wie kommt er dahin? Was für Schritte, was für Instanzen muss er durchlaufen, damit er dort sich befinden kann. Ich glaube, es gibt so vier, fünf Phasen. Man nennt es auch Wertschöpfungskette. Erzählerin: Welchen Status hat dein Stuhl im Moment? Marco: Da steht er. Da fehlen die Streben. Die Sitzfläche ist aber fertig und die Rückenlehne auch. Das ist bei vielen verschraubt, wir haben’s gedübelt. Erzählerin: Marco. Le Van Bo: Und was passiert, wenn jemand diesen Plan von mir bekommt und das Möbel selber baut? Das ist total interessant. Atmo: Reportage-Sequenz im Bau-Workshop Sandra: Also, ich hatte ja ein paar kleine Improvisationen machen müssen, weil ich mich vertan hab, mit dem Leimen, und jetzt hab ich statt eines Küchenstuhls einen Lounge-Chair. Le Van Bo: Wenn du ein Möbel selber baust, und den Bauplan dir aneignest, dann wirst du, in den meisten Fällen, den Bauplan nie so umsetzen, wie du ihn vorfindest, sondern du wirst ihn immer leicht verändern. Das bedeutet, du bist auch gleichzeitig Designer. 7

Sandra: Der ist halt sehr flach mit einer Sitzhöhe von 30 Zentimetern, eine relativ breite Aufsitzfläche zum Hinsetzen, die mach ich hier gerade, ja so zum Chillen. Die Lehne hinten wird auch recht großzügig sein, und, ja, einfach flach, er ist sehr flach. Erzählerin: Sandra. Le Van Bo: Also ist derjenige, der den Bauplan anfordert und das Möbel baut, der ist Designer. Er ist aber auch gleichzeitig der Rohstofflieferant, weil er bestimmt, mit welchem Material er es baut. Manche nehmen Recyclingholz aus dem Keller, manche alte Lattenrostbestände. Das heißt, du bist gleichzeitig der Designer, der Rohstofflieferant, und der Konsument, und du bringst auf einmal die gesamt Wertschöpfungskette durcheinander, von der wir geglaubt haben, dass sie so perfekt ist in unserer derzeitigen Marktwirtschaft. Atmo Le Van Bo: Ich mein, es ist kein Zwang, ihr müsst jetzt nicht Pause machen. Mann: Doch, Hunger. Le Van Bo: Wir gehen einfach nur hier so beim Bäcker, schnell mal ne Schrippe und dann …. Erzählerin: Dann sitzen sie um den großen Tisch im Café beim Bäcker nebenan und diskutieren über das demokratische Buch, das Le Van Bo initiiert hat, und über dessen Inhalte nun die ‚Crowd’, sozusagen sein Möbel-Selbstbauer-Netzwerk, entscheidet. Le Van Bo: Es ist interessant, was passiert, wenn man einfach mal die Menschen lässt. Die Möglichkeit gibt, zu den Dingen beizusteuern, mitzumachen. Ich bin ein großer Fan von Schwarmintelligenz. Man kann es auch Demokratie nennen. Erzählerin: Das trifft auf das ganze soziale Hartz-IV-Designprojekt zu, das er ins Leben gerufen hat. Le Van Bo: Ich glaube, das ist das Besondere an diesem Projekt, das auf ganz viele merken, dass sie mit einem ganz einfachen Beispiel wie mit einem Stuhl auf einmal das Gefühl bekommen, dass sie in unserem wirtschaftlichen System, in der industrialisierten Gesellschaft, doch noch irgendwie selber was bestimmen können. Und das hat so ein bisschen was mit der Demokratiewelle zu tun, die seit einigen Jahren durch Europa, aber auch durch arabische Länder rollt.

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Dass man sich nicht mehr darauf verlässt, dass so einzelne Vertreter deine Rechte vertreten, sondern du willst selber ganz genau wissen, wo kommt eigentlich das Holz her, aus dem mein Stuhl ist. Erzählerin: Und selbst wenn man nur ganz einfach an sein alltägliches Leben denkt, an seine Wohnung, und dass das Geld vielleicht knapp ist, und es immer an allem fehlt und …- ja, genau dieses Gefühl des vermeintlichen Mangels ist, was sich ändert zumindest hier in der Holzwerkstatt und für die Zeit des Bauens. Was hier -wie der Sägestaub in der Luft- mitschwingt, ist die Erkenntnis, dass man mit diesen Möbeln, und besonders, weil man sie selbst baut, seinem Alltag eine neue Qualität hinzufügt. Man modelliert insofern also nicht nur das Material, nicht nur dieses Holz, nach den eigenen Vorstellungen. Atmo: Geräusch Sägen Le Van Bo Guck mal, die leimen da, das ist aufregend. Hier siehst du gerade, wie Vater und Sohn zusammen einen Stuhl bauen. Erzählerin: Der Vater, der drückt die Ponal-Flasche und muss das Ganze gleichmäßig verteilen. Le Van Bo: Macht ihr das eigentlich öfter zusammen, so ne Bauprojekte? Michael: (Vater) Oh, na ja, ab und zu. Lorenz: (Sohn) Früher. Le Van Bo: Aber einen Stuhl habt ihr noch nicht zusammen gebaut. Michael: Nee, nee, erstes Mal. Sieht gut, sieht gut aus. Le Van Bo: Es hat ja angefangen mit einem Stuhl, mit dem 24-Euro-Chair. Ich sitze auch grad drauf, das ist der 24-Euro-Chair, das ist der Prototyp. Mittlerweile gibt’s davon Hunderte weltweit. - Die ich nicht gebaut habe, sondern Leute gebaut haben, die den Bauplan angefordert haben. Damit hat’s angefangen. Ich hab den eigentlich für mich und meine Verlobte gebaut, ich wollte sie beeindrucken, meine Verlobte. Ich will sie heiraten und ein guter Ehemann sein, und da muss man glaube ich auch ein bisschen handwerklich begabt sein (lacht) …. Ja, das ist der Anfang der Geschichte. Erzählerin: Und dann sprach sich der Stuhl herum. Die Leute waren ganz begeistert und wollten auch so einen. Und sogar selbst bauen wollten sie ihn. 9

Le Van Bo: Ich glaub, der erinnert sie einfach an so einen Ur-Typus von Sessel, ein BauhausSessel zum Selberbauen, für wenig Geld, 24 Euro, in 24 Stunden, deswegen heißt er ja „24-Euro-Chair“. Damit hat’s angefangen. Und es ist ein Konzept, dass ich ja hier als sozusagen ‚Deutscher’, auch wenn ich auf den ersten Blick nicht wie ein Deutscher aussehe mit meiner laotischen, asiatischen Herkunft, erfunden habe. Und weißt du, letztendlich verbirgt sich hinter diesem Projekt auch immer so ne kleine Sinnsuche, wer bist du, was ist dein Platz hier in dieser Gesellschaft, und was kannst du hier auch hinterlassen an Spuren für spätere Enkel mal (lacht) oder so, was soll das eigentlich hier. Letztendlich verbirgt sich dahinter immer die Suche nach der Identität. Ich bin halt als Flüchtlingskind nach Deutschland gekommen. Da war ich noch sehr klein, ein Baby. Und später wird man ja oft auch gefragt, bist du deutsch oder nicht, wo kommst’ denn her, kannst ja so gut Deutsch und so. Es ist halt superschwer, herauszufinden, was überhaupt deutsche Identität ist. Das ist nicht so einfach. Also wenn man jetzt fragen würde einen Amerikaner, dann wirst du sehr schnell auf die Stars-and-Stripes kommen, es gibt diesen I-want-you-Mann mit dem Hut, der auf dich zeigt. Es gibt einfach so viele Symbole, die für Amerika stehen. Oder Frankreich, Savoir-vivre und so weiter. Und wenn’s um die deutsche Identität geht, wird es keine Antwort geben, von niemandem. Es gibt kein Bild, kein Logo, keine Farben, kein Garnichts. Und das heißt, ich begeb’ mich letztendlich auf die Suche nach Hinweisen, was könnte es sein, wie fühlt es sich an, deutsch zu sein. Erzählerin: Bei der Suche haben ihm gewissermaßen die Möbel geholfen. Und mit einemmal war es gar keine so große Anstrengung mehr, einer Antwort näherzukommen, sondern einiges schien sich ganz leicht zusammen zu fügen und zu sagen: Hier, schau, das ist es. Le Van Bo: Und da bin ich auf Antworten gestoßen im Bauhaus-Archiv. Wenn du dir die Geschichte der deutschen Architekten anschaust und der Moderne und einer der tollsten Schulen, die es gab in den letzten 100 Jahren, die Bauhaus-Schule, da stößt du auf einmal auf Möbel, auf Formen, auf Farben, auf Geometrien, auf Sprüche, auf Leitsätze! Und auf Dinge, die einfach schön sind, auf Vasen, Türklinken, Fenster, Häuser, Architektur und so weiter. „Weniger ist mehr“ ist ja eines der bekanntesten Sprüche aus dem Bauhaus. Und dort bekomme ich auf einmal auf visuelle Art und Weise ganz, ganz viele konkrete Antworten darauf, was es eigentlich ist, deutsch zu denken. Atmo: Geräusch Holz-Werkstatt

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