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SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 AULA – Manuskriptdienst (frei gehaltener Vortrag) Einsam, zweisam, dreisam Die Psychologie moderner Paarbeziehungen (1) Autor u...
Author: Ute Meyer
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SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 AULA – Manuskriptdienst (frei gehaltener Vortrag)

Einsam, zweisam, dreisam Die Psychologie moderner Paarbeziehungen (1)

Autor und Sprecher: Dr. Wolfgang Schmidbauer * Redaktion: Ralf Caspary Sendung: Sonntag, 5. Dezember 2010, 8.30 Uhr, SWR 2 ___________________________________________________________________

Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Wissen/Aula (Montag bis Sonntag 8.30 bis 9.00 Uhr) sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für 12,50 € erhältlich. Bestellmöglichkeiten: 07221/929-6030 Kennen Sie schon das neue Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem kostenlosen Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de SWR 2 Wissen können Sie ab sofort auch als Live-Stream hören im SWR 2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/wissen.xml

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Ansage: Mit dem Thema: „Einsam, zweisam, dreisam – Die Psychologie der Paarbeziehung“, Teil 1.

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Die meisten modernen Paare scheinen unter Dauerstress zu stehen. Hoch sind die Erwartungen, die man aneinander stellt, von Liebe, Vertrauen, von Unbedingtheit ist die Rede, man will in der Beziehung aufgehen, gleichzeitig will man doch irgendwie sein Ich retten, weil Individualismus sehr wichtig geworden ist. Und dann haben sich noch die Rollenbilder verändert, die sagen, was Mann oder Frau zu tun haben. Daraus folgen Spannungen, Konflikte, Problemfälle, die oft genug beim Paartherapeuten landen. So ein Therapeut ist Wolfgang Schmidbauer aus München, er ist Psychoanalytiker und erfolgreicher Buchautor. In der SWR2 Aula geht er in zwei Teilen den Strukturmustern der neuen und alten Paarbeziehungen nach. Heute beginnt er ganz am Anfang der Menschheitsgeschichte, bei den Jägern und Sammlern, und er endet im 21. Jahrhundert:

Wolfgang Schmidbauer: Warum leben Menschen in Paar-Beziehungen? Unter Säugetieren ist das keine sehr häufige Organisationsform. Die meisten Säugetiere treffen sich einmal in der Brunftzeit, vereinigen sich, zeugen den Nachwuchs und damit ist die Beziehung zwischen beiden Partnern schon erschöpft. Menschenaffen sind promiskuitiv, die Weibchen paaren sich mit mehreren Männchen. Deshalb haben sich Anthropologen schon oft gefragt, wie es dazu kam, dass der Mensch eine Ausnahme bildet und Paar-Bindungen in allen Kulturen eine wichtige Rolle spielen, auch in primitiven Kulturen, die noch keine Schrift haben. Alle Versuche, die Familie, das Paar abzuschaffen und zu kollektivieren, im Kibbuz zum Beispiel, haben nicht funktioniert. Beziehungen zwischen Paaren und Familien sind äußerst hartnäckig und beständig und stellen sich auch nach etlichen Versuchen, sie abzuschaffen, wieder her. Das lässt schon darauf schließen, dass auch eine solide Grundlage in unserer menschlichen Natur haben. Die Frage ist nun, wie ist das entstanden? Eine sehr interessante Hypothese, die ich auch aufgrund therapeutischer Beobachtungen für überzeugend halte, lautet, dass das Paar entstanden ist als unsere Vorfahren begonnen haben, sich nicht nur von Pflanzen im Wald zu ernähren, sondern auch als Jäger in die Steppe zu wandern. Während der Jagd entfernten sich die Männer immer weiter von den Frauen und Kindern, deshalb hatte es einen biologischen Sinn, eine Bindung zu schaffen, die gewissermaßen die hinausziehenden, vielleicht von der Gruppe verloren gegangenen Jäger auf jdeden Fall immer wieder zurückholt zu Frau und Kindern. Und nachdem die Evolution immer ökonomisch vorgeht, das heißt, sie schafft nichts wirklich Neues, sondern sie trifft eine Auslese aus dem Vorhandenen, entstand dann die menschliche PaarBindung aus einer Kombination der sexuellen Attraktion, die allen Säugetieren gemeinsam ist, und der intensiven Bindung zwischen Mutter und Kind. Ich denke, dass das eine ganz wichtige Dynamik enthält, die verständlich macht, mit welcher Wucht Menschen, gerade traumatisierte Menschen, also in ihrem Selbstvertrauen geschwächte Menschen auf den Verlust eines Liebespartners reagieren können. Sie reagieren dann eben nicht so realistisch wie Erwachsene, denen eine wichtige, aber nicht existenzielle Befriedigung wie die Erotik verloren SWR2 Aula vom 05.12.2010 Einsam, zweisam, dreisam – Die Psychologie von modernen Paarbeziehungen (1) Von Dr. Wolfgang Schmidbauer

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gegangen ist, sondern sie reagieren wie ein verlassenes Kind. Das heißt, sie versuchen mit allen Mitteln, den Partnern zurück zu gewinnen, unter Umständen mobilisieren sie heftige Aggressionen, die dem Partner verdeutlichen sollen, er dürfe auf gar keinen Fall weg gehen, da sie dadurch in ihrer Existenz bedroht wären. Die menschliche Paar-Bindung ist also daraus entstanden, dass die sexuelle Bindung sich verschmolzen hat mit dem Konzept der zärtlichen Bindung der Mutter an das Kind. Bei allen Primatenarten hat Mutterliebe schon immer eine große Rolle gespielt, sie ist wichtig, damit das Kind beschützt aufwachsen kann. Es ist für das Überleben einer Art ganz entscheidend, dass die Mutter in der Lage ist, das Kind zu verteidigen, es zu nähren und für es zu sorgen. Ich denke, das Beschützen des Kindes und umgekehrt das Bedürfnis des Kindes, beschützt zu werden, führen dazu, dass in jeder Paar-Beziehung neben der sexuellen erotischen Attraktion, also neben der Anziehung, die die Paare zusammenhält, auch eine unglaublich wichtige Rolle die Verlustangst spielt. Das ist die Angst, den vertrauten Partner zu verlieren. Wer glaubt, dass vor allem die sexuelle Anziehungskraft Paare zusammenhält, der irrt meiner Meinung nach. Ich glaube, dass im Alltag und in der Praxis die Verlustangst eine sehr viel größere Rolle spielt. Verlustangst führt zu Phänomenen, die ich vorhin beschrieben habe, nämlich zu dem Gefühl einer existenziellen Bedrohung, eines unerträglichen Schmerzes, wenn der vertraute Partner verloren geht, auch wenn er einfach nur nicht da ist, wo man ihn erwartet, beispielsweise wenn das Kind seine sonst immer pünktliche Mutter zu einem bestimmten Zeitpunkt erwartet, und sie diese Erwartung enttäuscht, dann reagiert das Kind heftig. Ein zweiter wichtiger Gesichtspunkt ist, dass die menschliche Paar-Beziehung nie isoliert war. Das bedeutet, ein Paar besteht aus zwei Menschen, die aus jeweils unterschiedlichen Gruppen, aus unterschiedlichen Familien stammen. Eine meines Erachtens gut fundierte anthropologische Theorie – auch über das Inzestverbot und die Exogamie – besagt, dass die Paar-Beziehung immer schon auch ein Austausch zwischen unterschiedlichen Gruppen war, um die Bindungen zwischen diesen Gruppen zu stabilisieren. Paar-Beziehungen brauchen also einen äußeren Rahmen, durch den sie von außen zusammengehalten werden. Im Laufe der menschlichen Entwicklungsgeschichte hat sich dieser äußere Rahmen sehr verändert. Ich denke, dass zu Beginn der Entwicklung des Menschen Paar-Beziehungen vor allem durch äußere Not zusammengehalten wurden. In den Jäger- und Sammler-Kulturen gab es keinen Besitz, der größer ist als das, was das Individuum bereit ist, auf seinem Rücken zu tragen. Das heißt, diese Kulturen lebten von der Hand in den Mund, sie waren darauf angewiesen, dass jeder jeden Tag hinauszieht und sich das zusammen sucht, was er zum Leben braucht. Für das Paar bedeutet das, dass beide Partner existenziell darauf angewiesen ist, vom anderen Unterstützung zu erhalten. Wenn also einer nichts zum Essen findet, ist er darauf angewiesen, dass der Partner seinen Fund teilt. Wenn zum Beispiel der Mann etwas erbeutet, wird er das mit seiner Frau und den Kindern teilen; wenn er nichts erbeutet, wird die Frau die Wurzeln und Pflanzen, die sie gesammelt hat, mit ihm teilen. Die Menschen der Jäger- und Sammler-Kulturen ernährten sich zu etwa 60 bis 80 % von Pflanzen. Umso mehr wussten sie Fleisch zu schätzen, und daher spielte es eine große Rolle, ein tüchtiger Jäger zu sein. Entsprechend wichtig war es bei der SWR2 Aula vom 05.12.2010 Einsam, zweisam, dreisam – Die Psychologie von modernen Paarbeziehungen (1) Von Dr. Wolfgang Schmidbauer

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Partnerwahl, jemanden zu finden, der zur Linderung von Not, zum Beispiel von Hunger, beitragen wird. Ich denke, dass die Wahl des Partners, welcher nun passt oder nicht passt, solche alte Wurzeln hat. Ich denke, auf dieser altsteinzeitlichen Kulturstufe kann von Liebe im modernen Sinn eigentlich nicht die Rede sein. Die Lebenserwartung der Partner war ja auch mit durchschnittlich 25 bis 30 Jahren sehr kurz. Das bedeutet, dass Konflikte, die heute zwischen lang zusammen lebenden Paaren entstehen können, sich damals gar nicht entwickeln konnten. Das Funktionieren der Partnerschaft war sehr stark von den äußeren Umständen diktiert und situativ geprägt. Unbefriedigende Beziehungen konnten schnell und problemlos aufgelöst werden. Bei den Buschmänner der Kalahari, einer der letzten überlebenden Jäger- und Sammler-Kulturen gibt es dazu eine anthropologische Anekdote: Wenn eine Buschmann-Frau das Gefühl hat, dass ihr Mann nicht genügend für sie sorgt, nicht oft genug Jagdbeute vorbei bringt, dann legt sie einfach ihren Perlenschmuck wieder an. Das sind Ketten aus StraußeneiSchalen, die schön rund geschliffen werden und sehr dekorativ sind, und die sagen den anderen Männern in der Gruppe, ich bin wieder zu haben, ich bin unzufrieden mit meinem Mann, wenn jemand anderer mich haben will – bitte. Ich denke, das ist eine elementare Form, Beziehungen zu regulieren, die damit zusammen hängt, dass Individuen aufgrund ihrer Befriedigung, auch aufgrund der Befriedigung des Hungers und der äußeren Not entscheiden, ob der Partner für sie taugt oder nicht. Das hat sich geändert in der Zeit, als die menschliche Kulturentwicklung rasante Fortschritte machte, im sogenannten Neolithikum, man spricht ja auch von der neolithischen Revolution. Diese Phase hat vor ungefähr 8.000 Jahren in den Flusstälern Indiens wie auch im Zweistromland begonnen. Menschen haben den Ackerbau und die Viehzucht entdeckt, sie haben Städte gegründet, sind sesshaft geworden. Dadurch sind eine ganze Menge kultureller Neuerungen aufgetreten. U. a. ist die Schrift entwickelt worden und überhaupt ein Bewusstsein für Geschichte entstanden. Standesunterschiede haben sich heraus kristallisiert zwischen reichen Familien, die Vieh oder Land besessen haben, und armen Familien. Auch die Beziehungen zwischen Mann und Frau, die ehelichen Beziehungen, wurden nun kodifiziert. Bindungen wurden nicht mehr länger durch Not und Hunger zusammen gehalten, sondern durch den äußeren Rahmen des Besitzes. Außerdem hat sich etwas entwickelt, was in den Jäger- und Sammler-Kulturen unbekannt war, nämlich eine extreme Wertschätzung der Jungfräulichkeit. Die jungfräuliche Braut wurde zum Symbol des Austausches zweier besitzender Familien, die damit sicher gestellt haben, dass ihre jeweiligen Besitztümer geschützt blieben. Ehen wurden nur zwischen gleichen sozialen Ständen geschlossen und nicht mehr so stark durch den ersten Eindruck, das Gefühl begründet. Zum Beispiel wurden Frauen versteckt und erst einem potentiellen Heiratskandidaten gezeigt. Harems (übersetzt: das Verschlossene) wurden eingerichtet, also Bereiche in einem Haus, die nur von Frauen bewohnt waren und nicht von jedem betreten werden durften. Beziehungen in den traditionellen Kulturen richten sich stark darauf, dass die Familien ihre Strukturen wahren können, und die Liebes- und Paarbeziehungen hatten sich dieser Kultur zu fügen.

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Dieses alte Partnerschaftsmodell spielt bis heute eine Rolle. In Deutschland begegnen wir diesem Modell zum Beispiel in manchen traditionsbewussten Migrantenfamilien, wenn sie Ehen zwischen ihren Kindern arrangieren wollen. Die Familie vertritt die Meinung, die Wahl eines Partners könne man nicht Gefühlen und Verliebtheit überlassen, sondern sie müsse nach der Tradition vernünftig durch die jeweiligen Familien erfolgen. Es liegt auf der Hand, dass sich heftige Konflikte entwickeln können, wenn die Kinder in unserer modernen Gesellschaft sozialisiert sind. Ein Ehe-Arrangement empfinden sie dann natürlich als Zumutung, sozialen Rückhalt gewinnen sie in Gruppen, die das ebenfalls als Zumutung empfinden. Daraus können sich heftige Konflikte entwickeln. In noch intakten traditionellen Gesellschaften funktionieren arrangierte Ehen durchaus gut. Ich denke, das ist keine schlechtere, sondern einfach eine ganz andere Tradition, eine Paarbeziehung zu regeln. In unserer Kultur gilt sie schon lange nicht mehr, deswegen erscheint sie uns als Zwang und als unerträgliche Begrenzung der Freiheit des Menschen. Bei der modernen Ehe wurde nun ein Merkmal der Paarbeziehungen, das bisher eher randständig und auf eine ganz bestimmte Schicht beschränkt war, zum Universalbindemittel erklärt. Die Rede ist von der romantischen Liebe. Es ist nicht so, dass die Verliebtheit etwas Neues ist, in Form der Liebeskrankheit ist sie schon in der Spätantike beschrieben worden. Es gibt eine schöne Geschichte von einem berühmten Arzt, der einen jungen Mann, der dahinsiechte und nicht erklären konnte, warum, dadurch geheilt hat, dass er seinen Puls hielt, alle schönen Frauen des Hauses an ihm vorbei marschieren ließ und ihn dann mit der verheiratet hat, bei der sein Puls schneller wurde. Und schon war die Liebeskrankheit geheilt. Später, in der Zeit der Minnesänger, in der Feudalzeit, war auch dieses Konzept der romantischen Liebe dem Verhältnis zwischen dem niederen Adel und der Herrin, also der Frau des Feudalherren, vorbehalten. Der Minnesänger war jemand, der eine Dame lobte, besang, sich ihr zu Füßen legte, sie mit allen Mitteln feierte, ihr Waschwasser trank, sie aber nicht sexuell nehmen konnte. Das ging nicht. Die Sehnsucht durfte ihn erfüllen, durfte ihn bewegen, er durfte hinausziehen und kühne Taten in ihrem Dienst, im Minnedienst, verrichten. Aber die sexuelle Erfüllung war ausgeschlossen, sie gehörte nicht zum Modell der romantischen Liebe. Es gibt einen Spruch aus dieser Zeit, der sagt, Liebe zwischen Eheleuten sei sowieso nicht denkbar, die Ehe sei eine Funktions-, eine Wirtschaftsgemeinschaft, Liebe habe da nichts zu suchen. Man muss sich vorstellen, was das für eine Veränderung ist, als seit dem beginnenden 18. Jahrhundert das Konzept der Liebe als Passion der leidenschaftlichen Liebe entwickelt wurde und schließlich als die zentrale Basis von unseren Beziehungen aufgefasst wurde. Ich denke, dass damit eine Gesellschaft sehr viele Freiheitsmöglichkeiten gewinnt. Es ist nicht mehr so, dass Beziehungen arrangiert werden, sondern sie werden gewählt, so wie man in der modernen Gesellschaft seinen Beruf frei wählt, so wie es nicht mehr auf Stand und Geld ankommt, sondern auf Charakter und Tüchtigkeit und Individualität. Die Standesschranken werden immer durchlässiger und die Paare werden auch mobiler. Es ist nicht mehr so, dass der Haushalt der väterlichen oder mütterlichen Familie wie in der bäuerlichen Kultur einfach entscheidet, wo sich das Leben des Paares abspielen wird. Sondern gerade die Industrialisierung schafft ganz viele Möglichkeiten, als Paar einfach aus dem Dorf wegzugehen, auch wenn das Dorf sagt, das ist keine standesgemäße Beziehung, und sich in der Stadt durch SWR2 Aula vom 05.12.2010 Einsam, zweisam, dreisam – Die Psychologie von modernen Paarbeziehungen (1) Von Dr. Wolfgang Schmidbauer

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eigene Arbeit ein neues Nest zu bauen. Dieses Modell ist parallel zur Verstädterung das bei weitem überwiegende geworden, obwohl, und das finde ich so interessant an den modernen Liebesbeziehungen,sie in gewisser Weise historistisch sind, das heißt, es ist alles gleichzeitig da. Sowohl die traditionelle, arrangierte Ehe gibt es noch in Resten – man muss nur schauen, wie die Eltern beäugen, welche Männer oder welche Frauen Tochter oder Sohn nach Hause bringen, ob das passt, ob es eine gute Partie wäre oder nicht, ob der Partner einen guten Einfluss auf das Kind hat oder nicht. Das erinnert an frühere Zeiten, als die Ehe noch arrangiert wurde. Die moderne Ehe setzt eine sehr viel höhere Fähigkeit und Bereitschaft voraus zu kommunizieren, sich auseinander zu setzen, unterschiedliche Positionen zu akzeptieren und sie durch Einfühlung zu integrieren. Die Fähigkeit, sich zu verlieben und dann diese Verliebtheit im Alltag zu stabilisieren, setzt voraus, dass Männer und Frauen in ihrer Kindheit eine stabile innere Struktur erworben haben. Das heißt, dass das Mädchen mit der Mutter, der Sohn mit dem Vater befriedigende Erfahrungen verinnerlichen konnten und sie dadurch einen Rückhalt haben, wenn der gewählte Liebespartner eine Erwartung nicht erfüllt. Menschen, die diese innere Struktur und den inneren Halt nicht haben, fühlen sich sehr häufig alleine und verlassen, sie haben eine Reihe von Beziehungen hinter sich, von denen sie immer den Eindruck haben, das war nicht der oder die Richtige. Irgendwann überwiegt das Gefühl, dass es die Richtige oder den Richtigen gar nicht gibt und man keine Beziehung mehr aufbauen. Ich denke, diese Gruppe der Enttäuschten wächst in unserer modernen Gesellschaft. In Großstädten nimmt die Anzahl der allein lebenden Menschen am schnellsten zu. Sicher hängt das auch mit der modernen Technik zusammen, der Haushalt kann sowohl von Frauen wie auch von Männern problemlos geführt werden, man ist nicht mehr auf einen Partner angewiesen, um überleben zu können. (2. Teil: Sonntag, 12. Dezember 2010, 8.30 Uhr, SWR2 AULA)

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* Zum Autor: Wolfgang Schmidbauer wurde 1941 geboren. 1966 promovierte er im Fach Psychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München über “Mythos und Psychologie”. Er lebt in München und Diessen am Ammersee, hat drei erwachsene Töchter und arbeitet als Psychoanalytiker in privater Praxis. Neben Sachbüchern, von denen einige Bestseller wurden, hat er auch eine Reihe von Erzählungen, Romanen und Berichten über Kindheits- und Jugenderlebnisse geschrieben. Er ist Kolumnist und schreibt regelmäßig für Fach- und Publikumszeitschriften. Außerdem ist er Mitbegründer der Münchner Arbeitsgemeinschaft für Psychoanalyse und der Gesellschaft für analytische Gruppendynamik. Bücher (Auswahl): - Kleines 1x1 der Seelenkunde. Sich selbst besser verstehen. Gütersloher Verlagshaus. Erscheint voraussichtl. am 14.12.2010.

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- Paartherapie - Konflikte verstehen, Lösungen finden. Gütersloher Verlagshaus. 2010. - Mobbing in der Liebe: Wie es dazu kommt und - was wir dagegen tun können. Goldmann Verlag. 2009. - Lässt sich Sex verhandeln? Die großen Fragen der Liebe. Gütersloher Verlagshaus. 2009.

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