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2 SWR2 Tandem - Manuskriptdienst Über alle Grenzen hinweg Ein Leben zwischen Iran und Israel Autor: Igal Avidan Redaktion: Rudolf Linßen Regie: ...
Author: Simon Adler
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2 SWR2 Tandem - Manuskriptdienst

Über alle Grenzen hinweg Ein Leben zwischen Iran und Israel

Autor:

Igal Avidan

Redaktion:

Rudolf Linßen

Regie:

Igal Avidan

Sendung:

Montag, 1. August 2016 um 10.05 Uhr in SWR2 Wiederholung aus dem Jahr 2014

__________________________________________________________________ Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte der Sendungen SWR2 Tandem auf CD können wir Ihnen zum größten Teil anbieten. Bitte wenden Sie sich an den SWR Mitschnittdienst. Die CDs kosten derzeit 12,50 Euro pro Stück. Bestellmöglichkeiten: 07221/929-26030. Einfacher und kostenlos können Sie die Sendungen im Internet nachhören und als Podcast abonnieren: SWR2 Tandem können Sie ab sofort auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/tandem.xml Kennen Sie schon das neue Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de

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MANUSKRIPT:

AUTOR: Diese Geschichte über fünf Stationen und viele Grenzen hinweg beginnt am Mehrabad Flughafen in Teheran. An einem Tag im Herbst 1979 steht dort das frisch verheiratete jüdische Ehepaar Yehuda und Maayan mit dem dreimonatigen Baby namens Avi. Ihre Zukunft sehen sie in den USA, die sie mit ihrem iranischen Pass in jener Zeit noch visumfrei bereisen können. OT 1: Avi SPRECHER: „Nach der Revolution wurden jedoch alle Grenzschützer durch fanatische Moslems der Revolutionsgarden ersetzt. Der Weg in die Freiheit führte nur über diesen Flughafen und meine Eltern schätzten die Gefahr einer Festnahme als gering ein. Aber die Islamisten erkennen sofort, dass der Nachname meiner Mutter, Khalimi, jüdisch war. Weder der Geburtsname meines Vaters, Leibovici, noch sein Nachname Petrosian war muslimisch. Wir wurden also am Flughafen festgenommen“. AUTOR: Avis Eltern - der Offizier in der Leibgarde des Schahs und die Dolmetscherin, die Hebräisch spricht - werden von einem Revolutionsgericht zu lebenslanger Haft verurteilt. Avi wächst beim jüdischen Ehepaar Avraham und Hagar auf; Hagar ist die Cousine seiner Mutter. Er besucht zweimal die Woche eine jüdische Religionsschule und feiert mit 13 seine Bar Mitzwa, die jüdische Kommunion. Seine Eltern sieht er nur noch hinter Gittern: OT 2: Avi SPRECHER: „Ich traf immer nur einen von ihnen im Evin-Gefängnis, wohin er oder sie für den Besuch gebracht wurde. (Wo sie verhaftet waren, blieb geheim.) Manchmal sah ich sie einmal im Jahr, manchmal zweimal im Monat. Sie kamen niemals zusammen und ich konnte nie wissen, ob ich meine Mutter oder meinen Vater treffen würde“. AUTOR: Doch Avi ist fleißig. Er absolviert seinen Master in Business Administration, danach habilitiert er sich in Human Resource Management. Studieren darf er, weil ihn die Behörden wegen seines armenischen Namens für einen Armenier halten und diese Minderheit im Iran bevorzugt wird. Im Januar 2010 besucht Avi seinen Vater im Gefängnis zum letzten Mal und erlebt ihn als einen gebrochenen Mann. Im März 2010 folgt sein letzter Besuch bei seiner Mutter. Normalerweise unterhalten sie sich in einer Kabine über ein Telefon, durch ein Glas voneinander getrennt. Diesmal jedoch sind alle Kabinen belegt, so dass sie an einem Tisch sitzen – näher dürfen sie sich nicht kommen. Dann geht der Sicherheitsbeamte kurz weg, wohl um im Nebenraum aufzupassen: OT 3: Avi SPRECHER: „Meine Mutter umarmte mich und flüsterte: ‚Geh und rette zuerst dein Leben, erst dann versuche, unser Leben zu retten‘. Das waren ihre letzten Worte. Sie spürte, dass ich für eine lange Zeit weggehe und daher hielten wir uns länger fest, sie küsste mich“. AUTOR: Inzwischen kommt der Soldat zurück und sieht das. Er will wissen, welche geheime Meldung Avi gerade erhielt! Und an wen geht sie?! Avi wird geschlagen und für drei Tage festgenommen. (Schließlich ließ man ihn gehen.) In einem verzweifelten Versuch, seinen Eltern zu helfen, wendet er sich an das UN-Büro in Teheran. Den ganzen Tag wartete er dort, doch kein Mitarbeiter hat Zeit für ihn. 2

Am Ende des Tages bietet man ihm an, seine Bitte schriftlich zu formulieren: ein tragischer Fehler. Denn mitten in der Nacht klopfen die Sittenwächter an seine Tür, beschlagnahmen seinen Pass und Personalausweis und sperren ihn ein: OT 4: Avi SPRECHER: „Dann folgte im Gefängnis die schrecklichste Woche meines Lebens. Sie schlugen mich und verhörten mich… Ich dachte, mein Leben endet hier. Sie schnitten mich mit einem Messer, brachen meine Nase, zertrümmerten meine Knie. Ich rede ungern darüber, und das nach anderthalb Jahren Traumata-Therapie. Ich möchte mich an diese Tage nicht mehr erinnern“. AUTOR: Nach zehn Tagen wird Avi gegen eine sehr hohe Kaution entlassen. Er soll sich vor einem islamischen Revolutionsgericht verantworten und wird beschuldigt, die Feinde der Revolution zu unterstützten. Freunde der Adoptivfamilie organisieren die Kaution. Zur gleichen Zeit wird der Anwalt seiner Eltern schriftlich aufgefordert, das Familienbuch seiner Eltern zum Gefängnis zu schicken. Das bedeutet nur eines: Avis Eltern müssen bald sterben. OT 5: Avi SPRECHER: „Damals war es mir egal, was mit mir passiert. Ich wusste nur, dass ich ins Ausland muss, um dort Hilfe für meine Eltern zu holen“. AUTOR: Über Bahai-Freunde seines Adoptivvaters erhält Avi Kontakt zu einem Mann, der seine illegale Ausreise organisieren kann – für umgerechnet 20.000 Dollar, damals der Preis eines Pkws, heute der einer Luxuswohnung. Die Fluchthelfer raten Avi, als Jude in Israel Schutz zu suchen. Im September 2010 beginnt seine lange Reise in die Freiheit. OT 6: Avi SPRECHER: „Wir trafen uns auf einer Raststätte der Autobahn. Die beiden Männer wollten Dollars in Cash und ein Passfoto. Eine Quittung bekommt man nicht; ich musste ihnen vertrauen – oder im Iran sterben!“ AUTOR: Avi zeigt diese Stationen auf seiner Smartphone-Landkarte, wo er überall warten muss. Zuerst in der Stadt Karadsch, dann in der Stadt Urmia kurz vor der türkischen Grenze, schließlich wohnt er eine Woche lang in einem kurdischen Grenzdorf bei einer Familie. Sie nennen ihn „Musio“ oder ‚Fremder‘, und bevorzugen ihn, weil er auch einer Minderheit angehört. Die anderen 100 Flüchtlinge aus Afghanistan, Pakistan und Indien hocken in den unfertigen Stockwerken des Rohbaus zusammen. Nach einer Woche kommt die Mitteilung: der Weg zur türkischen Grenze ist nun frei. OT 7: Avi SPRECHER: „Sie luden uns alle auf drei, vier Lastwagen und fuhren uns so weit wie möglich bergauf. Als iranische Polizisten das Feuer auf die Gruppe eröffneten, begannen die Kinder zu schreien und weinen. Die Eltern versuchten sie ruhigzustellen, aber die Kinder hatten Angst, es war zudem Mitternacht. Zwei, drei Menschen wurden getroffen und sanken zu Boden, aber ich war geübt im Bergsteigen und rannte schnell um mein Leben, zusammen mit dem Gruppenleiter. Wir konnten so über den Fluss an der Grenze entkommen. Der türkische Grenzschmuggler, der uns mit seinem Wagen auf der türkischen Seite der Grenze abholen sollte, verspätete sich sehr, weil er die Schießerei hörte. So mussten wir in nasser Kleidung voller Sand auf ihn warten. Wir froren im kalten Wind der Berge“.

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AUTOR: Doch endlich ist Avi seine Peiniger los – und dem Heiligen Land ein Stück näher. Sonst hat er nichts bei sich. Um Mitternacht wird er (zusammen mit zehn Flüchtlingen) in eine türkische Grenzstadt gefahren. Bereits am nächsten Tag bringt ihm der kurdische Grenzschmuggler, der die Grenze legal passiert, einen gefälschten iranischen Pass, eine Fahrtkarte nach Istanbul und sein Geld und Handy. Fünfmal während der Busfahrt kontrollieren Polizisten die Papiere der Fahrgäste. Avis Pass stellt sie zufrieden. In Istanbul tauscht ihm ein Grenzschmuggler seinen iranischen Pass gegen einen finnischen ein: OT 8: Avi SPRECHER: „Ich ging zum israelischen Konsulat und sagte: ‚Ich bin jüdisch, ich bin geflohen, was soll ich tun?‘ ‚Geh zum UN-Büro in Ankara‘, sagte der israelische Beamte auf Persisch. Beim UNO-Flüchtlingshilfswerk hieß es, ich müsste als Flüchtling zehn Jahre in der Türkei warten, bevor mich ein westliches Land aufnimmt. Dann bat ich den Israeli um Kontakt zur (jüdischen Auswanderungsbehörde) Jewish Agency. Er sagte, das nächste Büro sei in Griechenland. Doch dort könnte mich die Polizei in den Iran deportieren! Daher riet man mir, in ein Land zu gehen, wo ich Asyl bekommen könnte“. AUTOR: Avi beschließt, nach Frankfurt zu fliegen. Aber wie soll er die Türkei mit einem Pass verlassen, in dem der Einreisestempel fehlt? Er reiste doch illegal ein! Zusammen mit einer Flüchtlingsgruppe, versucht er also die Grenze nach Griechenland illegal zu passieren, um dann legal zurück zu kommen. OT 9: Avi SPRECHER: „Wir liefen die ganze Nacht zu Fuß, anschließend überquerten wir einen Fluss – zusammengepfercht in einem kleinen, aufblasbaren Boot. Die Grenzschmuggler haben die 150 Flüchtlinge am Grenzfluss allein gelassen und sagten: ‚Am anderen Ufer ist Griechenland, geht hin ‘. Das erste griechische Gebäude war ein Stützpunkt der NATO. Ich sagte dem Offizier, ich würde hier Jägern helfen und hätte mich verirrt. Er warnte mich, die Grenzgegend zu meiden, denn diese sei vermint“. AUTOR: Avi hat nur durch ein Wunder seine zweite Grenze unverletzt passiert und dankt Gott dafür! Nun muss er ganz legal in die Türkei zurück. Avi hofft, dass der Grenzbeamte ihm keine Fragen stellt, denn er hat zwar einen finnischen Pass, kann jedoch kein Wort Finnisch. Alles geht aber gut und Avi fliegt nach Deutschland – seine letzte Station auf dem Weg ins Heilige Land. Doch bei der Jewish Agency in Frankfurt und Berlin sind vor dem jüdischen Neujahr alle Direktoren in Israel. Und auch sie bräuchten Monate, um Avis Papiere zu überprüfen. Aber er ist illegal! Und er will seinen Eltern dringend helfen! Also fliegt er auf eigene Faust nach Israel: OT 10: Avi SPRECHER: „Seit 3000 Jahren leben wir Juden mit Hoffnung. Wenn ein Jude seine Hoffnung verliert, dann ist er erledigt. Ich glaubte, dass meine Eltern noch am Leben sind, aber in Gefahr, und dass ich ihnen helfen muss“. Israel: AUTOR: Im Oktober 2010 landet Avi auf dem israelischen Flughafen Ben Gurion. Dem Grenzbeamten sagt er, er sei aus dem Iran geflohen und zeigt seinen Pass, den er gleich als gefälscht angibt. Avi, der Enkel eines Rabbiners, leidet zwar an den Folgen seiner Folter, ist aber endlich an seinem Ziel angelangt:

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OT 11: Avi SPRECHER: „Ich saß da und küsste den Boden des Landes Israel! Es war wie im Traum! Das ist doch das Heilige Land, für das ich mein Leben lang gebetet, geträumt und gespendet habe! Doch die Israelis lachten mich nur aus“. AUTOR: Das Gelobte Land sieht Avi nur aus dem Fenster. Zwei Tage lang wird er verhört, schließlich vom Sicherheitschef persönlich. Er teilt eine Haftzelle ohne Toilette mit afrikanischen Flüchtlingen. Seine Bitte, mit dem für Iran zuständigen Direktor der Jewish Agency – dessen Name iranischen Juden gut vertraut ist - lehnt man ab. Ihn kenne man nicht, heißt es. Avi bittet um 48 Stunden, um seine jüdischen Unterlagen aus dem Iran schicken zu lassen. Das wird abgewiesen. Vergeblich erklärt er, dass viele iranische Juden keinen Pass besitzen dürfen, damit sie nicht heimlich Israel besuchten. Schließlich wird Avi nach Frankfurt abgeschoben. Aber dort steht sein Leben wieder auf der Kippe: OT 12: Avi SPRECHER: „Am deutschen Flughafen nahm die Polizei ausgerechnet eine Mitarbeiterin des iranischen Konsulats als Dolmetscherin. Dabei gibt es Tausend andere Persisch sprechende Dolmetscher in Frankfurt! Die Dame sagte der Polizei, ich sei Iraner und zufällig stehe eine ‚Iran Air‘-Maschine vor dem Abflug. Gleich nach der Befragung sollten sie mich an Bord der Maschine bringen, die mich zurück in den Iran bringen würde. Ich habe energisch bestritten, ich sei Iraner und schwor, dass ich aus Dahuk käme, der Autonomen Region Kurdistan im Irak, ich auch Aramäisch spreche und die Dolmetscherin lügt. Sie wusste natürlich, dass ich Iran illegal verlassen hatte und aus Israel deportiert wurde. Die Iraner hätten mich wegen Spionage für Israel hingerichtet“. AUTOR: Zum Glück glauben ihm die Deutschen. Aber die Iraner lauern Avi weiterhin auf. Die ersten drei Tage verbringt er im Flüchtlingslager auf dem Flughafengelände. Ständig ruft man ihn von der iranischen Botschaft an und bittet ihn unmissverständlich, in die Heimat zurückzukehren: ‚Deine Eltern sind in unseren Händen‘. Avi wird in ein Flüchtlingslager in Trier verlegt. OT 13: Avi SPRECHER: „Ehemalige Flüchtlinge kamen dort täglich und brachten den Flüchtlingen Geld, Essen und Kleidung. Eines Tages kam ein Mann, der sich auf Persisch vorstellte und in mein Zimmer wollte. Ich bestand darauf, dass er sich, wie üblich, zuerst beim Sicherheitsdienst identifiziert. Er hätte seinen Ausweis nicht dabei, sagte er und ging weg. Als ständiger Helfer sollte er jedoch die Vorschriften kennen! Ein iranischer Flüchtling, der enge Kontakte mit dem iranischen Konsulat hatte, erkannte den Mann jedoch als Mitarbeiter des Konsulats. (Drei Tage später kam der Mann zurück und setzte sich im Innenhof genau an die tote Stelle zwischen den drei Überwachungskameras: Er wusste genau, wo sie standen.) Eines Tages musste ich zum Call-Center außerhalb des Camps. Er folgte mir und rief mir immer wieder zu. Mein Herz klopfte, ich rannte zum Sicherheitsbeamten, aber der wollte nichts tun. Am nächsten Morgen stand der Mann wieder da. Als ich die Sicherheit alarmierte, verschwand er wieder“. AUTOR: Diesmal kommen Polizisten. Sie wollen die Videoaufzeichnungen überprüfen, doch es gibt keine: alle Kameras sind auf einmal defekt. Zum Glück hat Avi den Iraner mit seinem Mobiltelefon fotografiert! Der BND stellt ihm einen Betreuer zur Seite. Von nun an darf er seinen wahren Namen niemandem verraten; Ab heute heißt er Avi. 5

Bald findet Avi einen Rabbiner, der ihn als Jude anerkennt und in seine Gemeinde in Bad Kreuznach aufnimmt. Ende 2010 bezieht eine kleine Wohnung. Deutsche Ärzte haben in seinem Kopf Blutergüsse festgestellt – eine Folge der Folter. Er wird von einer persisch sprechenden Psychotherapeutin und einem Neurologen betreut. OT 14: Avi SPRECHER: „In Bad Kreuznach fand nicht jeden Morgen ein Gottesdienst statt, also schloss ich mich der Religionsschule in Frankfurt an. Der dort amtierende Rabbiner Menachem Halevi Klein überprüfte meine Unterlagen und bestätigte der Ausländerbehörde, dass ich jüdisch und religiös sei. Er bat sie, mir die tägliche Teilnahme am Morgengebet zu gestatten. Denn als Flüchtling dürfte ich meinen Wohnort nicht verlassen“. OT 15: Avi-Kantorengesang: AUTOR: Jeden Morgen um halb sieben macht er sich auf den Weg Nach Frankfurt, um pünktlich um neun Uhr in der Synagoge zu sein; Anschließend studiert er in der dortigen Religionsschule und dreimal in der Woche geht er zur Trauma-Therapie. Doch die Iraner verfolgen ihn weiterhin. Kurz nachdem er sich in Bad Kreuznach angemeldet hat, erhält er Post. Das iranische Konsulat in Frankfurt lädt ihn zum Gespräch ein. Avi alarmiert die Sicherheitsbehörden: OT 16: Avi SPRECHER: „Ich schickte ihnen den Brief und fragte, was soll ich tun? Jetzt kennen sie meine Adresse! Sie antworteten: ‚Wenn sie dich umbringen wollen, warum schreiben sie? Geh einfach hin. Wir geben dir eine Notfallnummer und wenn du dich bedroht fühlst, rufen wir die Polizei an und sie kommen sofort, um dein Leben zu retten. Aber wir können dir keine Bodyguards zur Verfügung stellen‘“. AUTOR: Nach der zweiten Einladung der Iraner lässt die Polizei Avis Personalangaben in allen öffentlichen Registern sperren. Eine zeitlang trifft sich ein BKA-Agent mit Avi regelmäßig und gibt ihm Sicherheitshinweise. Doch die Iraner bleiben stur. OT 17: Avi SPRECHER: „Beim dritten Mal schickten sie einen Jihad-Brief mit Beschimpfungen gegen die Juden - zu dem Pfarramt, das mich betreute, zu mir, meiner Synagoge – insgesamt an acht Adressen. Die Polizei beschlagnahmte all diese Briefe. Damit ich nicht meine Bekannten gefährde, musste ich alle Kontakte mit Menschen abbrechen, die mich unter meiner alten Identität kannten“. AUTOR: Trotz seiner schlechten Gesundheit – er muss starke Medikamente nehmen - setzt sich Avi unermüdlich für seine Eltern ein. Eines Tages im März 2011 klingelt sein Handy. Ob er die Nachricht gehört hätte, fragen die Exil-Iraner aus den USA? Avi hat aber in dem entlegenen Dorf kaum Internetverbindung: OT 18: Avi SPRECHER: „Sie sagten: ‚Deine Eltern wurden hingerichtet‘. Als ich das hörte, erlitt ich einen solchen Schock, dass ich eine Woche wie weg war. Der zuständige Pfarrer, der nichts mehr von mir hörte, alarmierte die Polizei, die mich ins Krankenhaus einlieferte“. OT 19: Persisches Lied, Avi singt. AUTOR: Nach seiner Entlassung wird Avi von einem Pastorenpaar aufgenommen. Sechs Monate lebt er in ihrem Haus, sie fahren ihn sogar zum Gottesdienst und verzichten seinetwegen auf Fleisch, damit er koscher essen kann. Dann fühlt er sich 6

stark genug, in seine kleine Wohnung zurückzukehren. Aber Schuldgefühle plagen ihn: OT 20: Avi SPRECHER: „Vielleicht wurden meine Eltern wegen meiner Aktivitäten nach meiner Flucht hingerichtet. Es fällt mir sehr schwer damit zu leben. Vielleicht wäre das nicht passiert, wenn ich still geblieben wäre“. (Tränen) AUTOR: Avi erhält aus dem Iran nun die Unterlagen, die den Tod seiner Eltern auf den 21. März 2011 festlegen. Er weiß: sie wurden hingerichtet. Jetzt ist er allein auf der Welt, schöpft jedoch Kraft von den Menschen, die ihm helfen, aber vor allem aus seinem Glauben: OT 21: Avi SPRECHER: „Dass mein vollständiger Name Aviel ist, bedeutet, dass ich einen Vater habe, der mich beschützt. Denn nicht zufällig habe ich auch so viel Gutes in meinem Leben erlebt“.Auf Hebräisch bedeutet Aviel ‚mein Vater‘ und dann ‚El‘, das ist der Kurzname für Elokim, für Elohenu, denn das Aviel bedeutet ‚Gott ist mein Vater‘. Aber religiöse Menschen sagen nicht ‚Aviel‘, sondern kurz nur ‚Avi‘ ohne ‚El‘.“ AUTOR: weil sie Gottes Namen nicht aussprechen. Avi glaubt, dass sein ‚El‘ nur demjenigen hilft, der sich selbst hilft. Er sucht Liebe – auf einer jüdischen Webseite. Miriam ist 31 und jüdisch: OT 22: Miriam: „Und da habe ich ein Profil auf dieser Seite erstellt und da hat mir irgendwann Aviel geschrieben. So haben wir uns kennengelernt. Und dann ging es eigentlich ganz schnell. Wir haben uns sofort verstanden und getroffen und das war klar, dass wir zusammengehören. Ich habe gedacht, das ist der Mensch auf den ich wahrscheinlich mein Leben lang gewartet habe“. AUTOR: Im August 2012 heiraten sie in Deutschland zivil, im November folgt die jüdische Trauung mit koscherer Kost und dem Segen des Rabbiners. Für seine Hochzeitsreise will Avi unbedingt nach Jerusalem: OT 23: Miriam: „Ich habe im Vorfeld noch gesagt, ‚wollen wir nicht auf die Kanaren oder wollen wir nicht nach Madeira, das würde uns das gleiche kosten‘? Aber Aviel wollte unbedingt ins Heilige Land und (sagte) ‚ich möchte unbedingt an die Klagemauer und nach der Hochzeit möchte ich da beten, für das, was ich im Leben neu bekommen habe‘… Ich habe gesagt ‚ok, ich liebe Israel auch und immer wieder gerne‘ - bis jetzt“. AUTOR: Avi schickt seine Unterlagen an das israelische Konsulat in Berlin und erhält in seinem Reiseausweis für Ausländer ein Einreisevisum für Israel, ergänzt durch einen guten Ratschlag der Konsularabteilung: OT 24: Avi SPRECHER: „Die Mitarbeiterin schrieb mir: ‚Weil die Grenzkontrollen manchmal furchtbar sind, nehmen Sie bitte all Ihre jüdischen Unterlagen mit. Wenn die Beamten Fragen stellen, könnten Sie zeigen, dass Sie jüdisch sind‘. Wir nahmen den jüdischen Ehevertrag meiner Großeltern mütterlicherseits, den meiner Eltern und unseren, dazu unsere Geburtsurkunden, die Mitgliedskarte einer jüdischen Gemeinde in Deutschland sowie Briefe der letzten Oberrabbiner im Iran vor der Revolution“. 7

AUTOR: Ende Dezember 2012 fliegen Avi und Miriam nach Israel, aus Kostengründen mit Zwischenstopp in Istanbul: Für diesen Transitflug braucht er kein Visum für die Türkei. Wegen eines Schneesturms in Istanbul landen sie in Israel erst um zwei Uhr morgens. Miriam ist schwanger; ihre israelischen Verwandten warten draußen. Ihr deutscher Pass wird sofort gestempelt, aber Avis Pass wird gründlich überprüft, dann wird das Ehepaar getrennt verhört. Bald steht Avi vor dem gleichen Sicherheitschef, der ihn bereits einmal deportierte. Avi erwartet dafür eine Entschuldigung: OT 25: Avi SPRECHER: „Stattdessen sagte er, es sei ihm egal, ob ich jüdisch sei oder nicht, für ihn sei ich ein Krimineller, weil ich einmal mit einem falschen Pass einreisen wollte. Ich sagte, wieso gibt ein israelisches Konsulat einem iranischen Kriminellen ein Visum nach Israel? Und auch wenn er meine jüdischen Unterlagen ablehnt, darf ich als Mann einer Jüdin nach Israel auswandern. Er sagte, ‚hier ist nicht das Integrationsministerium‘. Er war schlimmer als Ahmadinedschad, denn er deportierte mich am heiligen Shabbat und ausgerechnet in die Türkei, obwohl ich kein entsprechendes Visum hatte; dann trennte er noch ein frisch verheiratetes jüdisches Ehepaar“. AUTOR: Sieben Stunden lang wartet das Paar am Flughafen, bevor Miriam am Freitagnachmittag zu ihren israelischen Verwandten ging. Sie reist nach Jerusalem – ohne Avi. Er wird in einer Zelle mit afrikanischen Flüchtlingen eingesperrt – zum zweiten Mal. Seine Bitte, im Flur zu beten, weil man an einem schmutzigen Ort nicht beten darf, wird abgelehnt. OT 26: Avi SPRECHER: „Ich habe meine Eltern im iranischen Gefängnis oft besucht, aber dort war es sauberer als in diesem jüdischen Gefängnis. Auch meine Zelle in Teheran war sauberer. Mit den anderen sechs Gefangenen habe ich nicht gesprochen, damit sie nicht erfahren, dass Israel einen Juden einsperrt“. AUTOR: Am nächsten Morgen, am Shabbat, dem jüdischen Ruhetag, wird Avi wieder deportiert – aber nicht nach Berlin, sondern nach Istanbul! Ohne Visum kommt er aber nicht einmal an seinen Koffer. Nur dank einer türkischen Polizistin, die seinen Koffer umleiten lässt und für ihn auch noch eine Flugkarte kauft, ist er nicht in Istanbul gestrandet. Seitdem kämpft das Paar um eine Entschuldigung von Israel. OT 27: ATMO: Baby AUTOR: Doch das Leben geht weiter. Im Juli wurde sein Sohn Aharon geboren. Avi besucht einen Deutsch-Intensivkurs und nimmt an einer Kantorenausbildung teil. Sein kleiner Arbeitsraum ist vollgestopft mit jüdischen Gebetsbüchern auf Persisch und Kopfbedeckungen. Den Beweis, dass er jüdisch ist, will ihm die Jewish Agency nur dann erstellen, wenn er sich verpflichtet, nach Israel auszuwandern. Doch in einem Jahr will Avi Deutscher werden – an den Iran und an Israel denkt er immer seltener. OT 28: Avi SPRECHER: „Ich liebe Israel, aber ich brauche Israel nicht und ich bin sicher, dass sie mich eines Tages anflehen werden, etwas für Israel zu machen, aber ich weiß es nicht. Israel wird mich noch brauchen“.

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