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2 SWR2 Tandem - Manuskriptdienst Schwester Christinas Patchworkfamilie Eine deutsche Nonne in Albanien Autorin: Carola Hoffmeister Redaktion: Nad...
Author: Tobias Hausler
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2 SWR2 Tandem - Manuskriptdienst

Schwester Christinas Patchworkfamilie Eine deutsche Nonne in Albanien

Autorin:

Carola Hoffmeister

Redaktion:

Nadja Odeh

Regie:

Felicitas Ott

Sendung:

Montag, 23.01.12 um 10.05 Uhr in SWR2

__________________________________________________________________ Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte der Sendungen SWR2 Tandem auf CD können wir Ihnen zum größten Teil anbieten. In jedem Fall von den Vormittagssendungen. Bitte wenden Sie sich an den SWR Mitschnittdienst. Die CDs kosten derzeit 12,50 Euro pro Stück. Bestellmöglichkeiten: 07221/929-26030. Einfacher und kostenlos können Sie die Sendungen im Internet nachhören und als Podcast abonnieren: SWR2 Tandem können Sie ab sofort auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/tandem.xml Kennen Sie schon das neue Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de

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MANUSKRIPT

Atmo: Hund bellt Erzählerin: Ein wildblauer Abendhimmel senkt sich über zerklüftete Bergspitzen. Der Norden Albaniens. Mehr als 100 Kilometer von der Hauptstadt Tirana entfernt, ist die Natur schroff, das Leben ländlich. In Dobrac, einer kleinen Ansiedlung mit Neubauten, aber nichtasphaltierten Straßen, ist niemand zu sehen, nur ein Hund kläfft in der Ferne. An einem schmalen Weg steht ein Kloster. Die Mauern sind weiß getüncht. Das Kloster unterscheidet sich kaum von den Einfamilienhäusern rechts und links daneben wenn da nicht der große Garten mit einer Marienstatue wäre, umgeben von einem schmiedeeisernen Zaun. Hier lebt Schwester Christina aus Deutschland. Atmo: Speiseraum Der Speisesaal, oder besser gesagt, das Speisezimmer, ist eines von den elf kleinen Räumen des Klosters. Auf einem Holztisch stehen Käse, Butter und Brot. Eine Kerze brennt, und in einer Porzellanvase stehen weiße Rosen aus dem Garten. Ein kleiner Junge hat sich auf den Schoß von Schwester Christina gesetzt, spielt mit dem Mikrofon und versucht das Ubi caritas zu singen. Erzählerin: Abraham ist vier Jahre alt, lebhaft, mit blonden Haaren und runder Brille. Oberhalb seiner Lippen erinnert eine schmale Narbe an die Rachen-Gaumenspalte, mit der er auf die Welt kam. Abraham hält Schwester Christina das Mikrofon vor den Mund. Atmo: Schwester Christina und Abraham Schwester Christina: Ich muss auch was sagen? Abraham. Abraham: Nein! Du sollst deinen Namen sagen! Schwester Christina: Ich soll meinen Namen sagen? Ich bin die Mutter Christina. Erzählerin: Schwester Christina ist 54 Jahre alt. Eine zierliche, aber resolute Frau. Ihre Nonnentracht ist aus hellem Leinen, das Haar verschwindet unter dem veilchenfarbenen Schleier der Schwestern der Spirituellem Weggemeinschaft, einem katholischen Orden mit Sitz in der Schweiz. In Dobrac nennen sie alle: Nënë Christina. Nënë heißt auf Albanisch „Mutter“. Vor zwölf Jahren ist sie nach Albanien gekommen. Damals hieß sie Christina Färber und kümmerte sich als Krankenschwester der Hilfsorganisation Caritas um Kriegsflüchtlinge aus dem Kosovo. 2002 trat sie dem Orden bei und half das Kloster am Fuß der Berge aufzubauen. Täglich kommen Frauen, denen Geld für die nächste Mahlzeit fehlt, Arbeiter aus den Schuhfabriken von Shkodra, die sich bei der Arbeit verletzt haben, Eltern, die sich die Schulbücher nicht leisten können, sie alle bitten die Nonne aus Deutschland um Hilfe. Atmo: Schwester Christina und Abraham Schwester Christina: Soll ich Mama sagen? Abraham: Ja!! Schwester Christina: Mama. 2

Erzählerin: Für Abraham ist Schwester Christina wie eine Mutter. Seine „Mama“, die ihm abends ein Märchen vorliest und morgens Brötchen für den Kindergarten belegt. Vor vier Jahren hat sie ihn zu sich genommen. Damals war Abraham ein Säugling und lag im Krankenhaus von Shkodra, der nächstgelegenen Stadt, ungefähr 20 Kilometer von Dobrac entfernt und so groß wie Koblenz. Schwester Christina: In einem kalten Inkubator war er gelegen, mit einer Maske drauf - aber ohne Sauerstoff. Er war völlig blau von Infusionen, die danebengegangen sind. Aufgequollen. Hat gekrampft. Er hatte eine Gaumenspalte, er konnte nicht trinken, dann haben sie ihn einfach liegen gelassen. Sie wussten einfach nicht, dass man einen langen Schnuller braucht. Erzählerin: Die Ärzte gaben dem Jungen keine Chance. Schwester Christina: Wir haben dann einen langen Schnuller gebastelt, aber er konnte nicht mehr trinken, er war zu schwach. Dann haben wir mit Kaffeelöffel, Glukose-Wasser …. das lief wieder zur Nase raus, weil er eine offene Gaumenspalte hatte. Aber uns war wichtig, dass er einfach in Frieden sterben darf. So mit Körpernähe. Ich habe ihn immer bei mir gehabt. Tag und Nacht. Irgendwann hat er halt geschluckt und wieder geschluckt. Und nach drei Monaten Tag und Nacht Körperkontakt war der über den Berg. Erzählerin: Abraham rutscht vom Schoß seiner Pflegemutter und stakst mit nach außen gedrehten Fußspitzen vorsichtig zur Tür. Er leidet am sogenannten Stickler-Syndrom, einer seltenen Erbkrankheit, bei der die Betroffenen schwache Gelenke haben, manchmal auch erblinden oder taub werden. Schwester Christina: Unser Abraham ist einfach ein Sonnenschein. Er ist fit, er ist intellektuell super drauf, fröhlich. Er kann nicht mehr weit laufen. Wir waren jetzt im Urlaub in den Bergen, aber er benutzt dann seinen Rollstuhl, wenn er nicht mehr laufen kann, benutzt er den. Oder er sagt: Mama, jetzt hilf mir. Auch die Treppen rauf. Er hat halt ein Handicap mit dem Laufen, wie seine Zukunft ist, werden wir sehen. Aber er ist… Ja, jetzt haben wir halt ein Kind - und das passt. Atmo: gemeinsamer Gesang: Ubi caritas und Gebet Erzählerin: Mit „wir“ meint Schwester Christina sich und ihre Großfamilie im Kloster. Die hat sich morgens um halb acht um den Tisch im Speisesaal versammelt. Da ist Schwester Michaela, eine ehemalige Buchhalterin aus der Schweiz. Sie steht Schwester Christina zur Seite.

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Die beiden sind die einzigen Nonnen im Kloster und kümmern sich gemeinsam um Abraham. Bardha, mädchenhaft, lange schwarze Haare und Mitte 20, leitet den Kindergarten. Maria ist ganz in Schwarz gekleidet, sie ist wie drei andere Frauen im Kloster angestellt und hilft beim Putzen, Kochen, Bügeln. Gezim arbeitet im Garten, und Finer ist ein junger Mann, der mit seiner Familie in Blutrache lebt. Vor dem Frühstück singen und beten sie zusammen, auf albanisch. Schwester Christina: Der Finer kommt weiter aus der Stadt. Die leben in Blutrache, und wir haben sie angestellt, dass sie hier Geld verdienen können. Badha kommt aus der Stadt, aber sie wohnt auch hier bei uns im Kloster. Die anderen kommen meistens, wirklich aus unserem Gebiet und haben alle ihre Schicksale. Ihr habt gerade gesehen, dass wir schwarze Frauen haben, die schwarz angezogen sind. Die haben alle ihre Männer verloren und müssen dann ein Leben lang schwarz gehen. Hier läuft einfach viel ab. Sie erzählen, wie es war in der Nacht. Oder welchen Heiligen haben wir als Fest.. Ja, sie reden einfach. Das haben sie gelernt, sich auch auszudrücken. Sie haben gelernt, ihre Meinung zu sagen. Und das ist toll, wenn sie einfach anfangen, ja, selbstständig zu denken, zu entwickeln, kreativ zu werden, was sie ja nicht durften vorher. Unter Enver Hoxha gab es das nicht. Eine Diktatur verbietet das eigene Denken. Erzählerin: Nach dem Frühstück kümmert sich Schwester Christina um eine Familie, die in Blutrache lebt. Die Nonne hat sie vor zwei Monaten aufgenommen und auf dem Dachboden des Kindergartens im Kloster einquartiert. Der Kindergarten ist das Haus mit Spitzdach und zwei Stockwerken, das nur ein paar Schritte zu Fuß vom Kloster entfernt liegt. Ungefähr 60 Kinder aus der Nachbarschaft werden hier kostenlos betreut. Die Eltern sind aus den Bergdörfern ins Tal gezogen, um in den Fabriken von Shkodra zu arbeiten. Shkodra ist mit 120 000 Einwohnern die größte Stadt Nordalbaniens. Zur Zeit sind Ferien. Bardha und ihre Mitarbeiterinnen richten alles für die Zeit nach den Ferien. Sie putzen die Dielen und sortieren da Spielzeug. Atmo: Kindergarten (Frauenstimmen) Erzählerin: Eine Treppe führt auf den Dachboden. Die Wände sind mit Kiefernholz getäfelt, und durch eine Schräge fällt Sonnenlicht. Schwester Christina: Das ist normalerweise der Übungsraum. Wir haben jetzt ausgeräumt für die Familiy. Sie haben da noch Kleider und Zeug. Wir haben da normalerweise einen Gymnastikraum. (Sie spricht auf Albanisch weiter). Das ist Atit und Elsa. Er ist jetzt aufgestanden.

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Erzählerin: Schwester Christina spricht inzwischen fließend albanisch. Atit, der Junge, den sie begrüß, ist groß, blond und 15 Jahre alt. Neben ihm steht seine Mutter, eine kleine Frau mit kurz geschnittenen Locken. Atit wirkt in seinen ausgewaschenen Jeans und dem weiten T-Shirt wie ein ganz normaler Teenager. Aber hinter dem vertrauten Anblick eines Jugendlichen verbirgt sich ein tragisches Schicksal. Atit kann nicht alleine auf die Straße gehen. Selbst im Garten des Kindergartens ist er nicht sicher. Er muss damit rechnen, dass ihm ein Heckenschütze auflauert. Denn Atit und sein Vater sind von Blutrache bedroht. Atit verschwindet in einem Zimmer, in das kaum mehr passt als das Doppelbett und der Fernseher. Hier lebt die Familie nun seit fast zwei Monaten auf engstem Raum zusammen. Atit legt sich auf die Matratze. Er verschränkt die Arme hinter dem Kopf und starrt zur Decke. Er will nicht reden. Atmo: Mutter mit Elsa (albanisch) Erzählerin: Schwester Christina setzt sich mit Atits Mutter und seiner älteren Schwester Elsa in eine Sofa-Ecke des Dachbodens. Schwester Christina: Ich hab gefragt, wie sie zur Schule kommen. Und sie sagen, es ist noch ganz schwierig, sie wissen es noch nicht. Die Autobusse nehmen sie nicht mit, da stehen sie zu lange an der Straße. Da haben sie Angst. Erzählerin: Elsa ist 17 Jahre. Ein sportliches Mädchen mit olivfarbener Haut und langen dunklen Haaren. Zusammen mit Atit besucht sie ein Gymnasium in der Nähe von Shkodra. Von der Haltestelle unweit des Kindergartens braucht der Bus nur ungefähr 20 Minuten bis zur Schule. Aber er ist oft überfüllt, Atit und Elsa müssen manchmal eine Stunde lang an der Haltestelle warten. Das ist gefährlich. Wenn man Elsa fragt, warum, sagt sie: Kanun. Kanun ist eine jahrhundertealte Tradition und stärker als das Gesetz. Elsa: Four years ago, my uncle killed someone. And before we lived in Tropoja. Than, when he killed them, we had to leave Tropoja. When we came here, we hadn’ t anything. In that time we hadn’ t house, we hadn’t food. We hadn’t… (sie weint). My parents, my mom worked like a doctor and my father was a teacher. And they leaved everything and came here. And in that time we, now we… My brother had to stay at home because it was danger to go out, because we are afraid that someone will kill him. All the days he stays here in this room. Than we met Sister Christina and she helped us. We did not have house, we did not have anything, and she kept us here. Erzählerin: Elsa hat englisch in der Schule gelernt. Ihr kommen immer wieder die Tränen, wenn sie die Geschichte ihrer Familie erzählt. Vor vier Jahren hat ihr Onkel einen Mann getötet. Damals lebte die Familie in Tropoja, ein Dorf direkt an der Grenze zum Kosovo. Eine arme Bergregion, in der die Menschen ums Überleben kämpfen. 5

Elsas Vater arbeitete als Biologielehrer, die Mutter als Ärztin. Sie sind gebildet - aber auch das hat sie nicht vor der archaischen Tradition der Blutrache geschützt. Die Familie musste fliehen und alles in Tropoja zurücklassen, das Haus, einfach alles. Mit nichts in den Händen standen sie da. Ihr Bruder muss die ganze Zeit versteckt bleiben, bis heute. Schließlich kamen sie hierher, zu Schwester Christina, die ihnen hier Unterschlupf bietet. Schwester Christina: Ich behaupte, der Kanun ist eine tiefe Religion. Das ist für mich ganz was Dunkles und gegen die Kultur des Lebens. Weil es das Leben so brutal einengt. Also, ich hab auch einen Mann erlebt, der die Rache ausruft an einer Leiche. Und wie! Die Stimme werde ich nie vergessen. Und so… Finger für Finger, Blutstropfen für Blutstropfen. Und hat dann den kleinen Jungen an der Leiche seines Onkels verpflichtet, der war damals neun, den kannte ich gut, mit dem habe ich gearbeitet, zu rächen. Und ich sehe dieses Gesicht dieses Neunjährigen noch heute. Zuerst war da die volle Panik. Dann war die Veränderung da. Die wilde Entschlossenheit: Meinen Onkel werde ich rächen. Mit neun. Erzählerin: Schwester Christina spricht mit Jugendlichen wie Atit oder Elsa über die Blutrache. Vor ein paar Monaten ist sie mit ungefähr 20 Teenagern in die Hauptstadt Tirana gefahren und hat in der Fußgängerzone demonstriert. Elsa und Atit trugen schwarze T-Shirts mit der Aufschrift: „Die neue Generation - ohne Blutrache“. Elsa hatte sich ein Kopftuch umgebunden, Atit eine Wollmütze aufgesetzt. Auf einem Gruppenfoto sind alle Jugendlichen nur von hinten zu sehen. Schwester Christina: Jetzt kommt Cef. Erzählerin: Cef ist Elsas und Atits Vater. In seinem grauen Wollanzug und glänzenden Lederschuhen wirkt er, als wäre er gerade auf dem Weg zu einem Termin. Cef hat früher Biologie unterrichtet, heute darf er das Haus nur in absoluten Ausnahmesituationen und nur in Begleitung einer anderen Person verlassen. Cef spricht kein Englisch. Seine Tochter Elsa übersetzt, was er zu sagen hat. Elsa und Cef: Cef: (albanisch) Elsa: I have stayed in House for four years. It was too difficult for me. Cause to leave the profession means to me to leave the life. My happiness was with the children. Because they were the future. Now I can‘t consider myself as a person but just someone who breathes. Cause I am not giving anything to the society. I am not doing anything. I am just staying home. I would go out to sacrifice myself. Just for my brother to be free.

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Erzählerin: Elsa übersetzt, dass ihr Vater seit vier Jahren wie ein Gefangener lebt. Am schwersten fiel es ihm, den Beruf aufzugeben. Die Arbeit mit den Schulkindern war seine Zukunft, jetzt fühlt er sich nutzlos. Er fühlt sich nicht mehr als Mensch, er fühlt sich wertlos, weil er nichts tun kann. Er würde sich am Liebsten opfern, damit wenigstens sein Sohn wieder frei leben kann. Das Übersetzen fällt Elsa schwer. Die Situation ist für alle eine ungeheure Belastung. Wie alle Mädchen ihres Alters würde Elsa nach der Schule gerne mit ihren Freundinnen Eis essen gehen, ins Kino oder Klamotten shoppen. Doch gleichzeitig möchte sie ihren Vater und den Bruder nicht allein lassen: Elsa und Reporterin: Elsa: Sister Christina has gave us a computer, but without internet and anything. But sometimes we go downstays and we - my brother plays with the other computer. Reporterin: You are reading, watching TV? Elsa: Watching TV. And now is starting school. I am in the same class with him. It’s more save for him. But the school is in the center of the city, it is too long from here. Erzählerin: Schwester Christina hat der Familie einen Computer zur Verfügung gestellt, erzählt Elsa. Im Büro des Kindergartens steht ein weiterer PC, an dem ihr Bruder manchmal Emails checkt. Die Geschwister gucken viel Fernsehen, und jetzt beginnt die Schule. Obwohl Atit zwei Jahre jünger ist als seine Schwester, besucht er ihre Klasse. Das ist für ihn weniger gefährlich. Elsa und Cef: Elsa: We want to close the door because we don’t want to hear him what we are saying. Cef: (albanisch) Elsa: Because he is more in danger than the other. Cef: (albanisch) Elsa: Because even my uncles family has gone in Sweden. They live here, and only we live here. And he is in danger. He is more in danger than the others. Erzählerin: Elsa schließt die Tür zu dem Zimmer, in dem ihr Bruder liegt, damit er nicht alles mit anhören muss. Die Familie des Onkels ist bereits nach Schweden ausgewandert, aber selbst dort sind sie nicht sicher. Atmo: Elsa und Schwester Christina Elsa: Ich habe gesagt, ich möchte jetzt über die Zukunft reden. (Albanisch ...) Erzählerin: Im Kindergarten des Klosters können Elsa und ihre Familie auf Dauer nicht bleiben.

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Schwester Christina: Wir reden gerade, dass er eine Wohnung oder ein Haus findet, das wir irgendwie finanzieren müssen. Das Problem ist, ein Mietblock, das geht nicht. Das sind zu viele Leute, das Treppenhaus ist zu gefährlich. Jetzt versuchen wir verzweifelt, ein legitimes Haus zu finden. Er hat eines gehabt, nicht so teuer, aber das hatte keine Papiere. Das heißt, er kann jederzeit weggeschoben werden oder sonst was. Erzählerin: Aber auch ein neues Haus wäre für die Familie Zufluchtsort und Gefängnis zugleich. Ein normales Leben können sie nur dann führen, wenn ihnen die Familie des Rächers vergibt. Elsa und Cef: Cef: (albanisch) Elsa: We have tried several times, they said only: no. And now the father of the man my uncle killed has dead. A year ago. And now my father said maybe we will try even one more time to go there. And maybe we will have an opportunity to be free. Here in Albania is a tradition to send some other people, especially men. We all should be free and live our lifes. Cause we are young and we have our dreams. Erzählerin: Elsas Vater erzählt, dass er mehrmals versucht hat, sich mit dem Rächer zu versöhnen - vergebens. Vor einem Jahr ist der Vater desjenigen, den der Onkel getötet hat, gestorben. Vielleicht gibt es jetzt eine neue Chance, dass sich die Familie auf Versöhnung einlässt. Das ist eine Sache, die die Männer regeln müssen, erklärt Elsa und fügt an: Wir sollten doch alle frei sein, unser Leben zu leben. Wir sind doch noch jung und haben Träume. Es ist Nachmittag. Schwester Christina und Schwester Michaela wollen einen Mann besuchen, der an Krebs erkrankt ist. Sie nehmen den kleinen Abraham mit. Der Bruder des Kranken ist auch dabei, um ihnen den Weg zu zeigen. Schwester Christina: Das ist der Erstbesuch. Er hat uns gesucht, als wir im Urlaub waren. Er muss noch sehr jung sein, um die 30. Sie haben ein Krankenbett gewünscht, was wir im Moment nicht haben. Aber er muss auch elende Schmerzen haben, und wir machen jetzt den Erstbesuch und schauen die Lage an. Wir haben auf jeden Fall schon mal Schmerzmittel dabei, weil unsere Erfahrung ist, dass sie erst einmal ganz elende Schmerzen haben. Erzählerin: Vor dem Autofenster ziehen trockene Maisfelder vorbei und Hänge mit Weinreben, deren Trauben schrumpelig sind und klein. Der Sommer war unerträglich heiß, und noch immer flirrt die Luft und staubt vor Hitze. Atmo: Autofahren

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Erzählerin: Auf der Rückbank werden Schwester Christina und Abraham bei jedem Schlagloch durchgeschüttelt. Nach einer halben Stunde erreichen sie eine Siedlung, die an eine verwilderte Schrebergartenkolonie erinnert: Flache Häuser stehen in grünen Parzellen, ein Hahn stolziert über den Weg, unter einem Apfelbaum döst eine Katze. Schwester Michaela parkt den Jeep vor einem weißen Bungalow. Auf der Veranda wartet die Familie des Kranken: Seine Ehefrau, seine drei Kinder, der Bruder, die Schwester. Atmo: Sie gehen rein, Stimmen Erzählerin: Im Bungalow betritt man durch einen Perlenvorhang das Zimmer des Kranken. Es ist überraschend himbeerfarben getüncht. An der Wand hängt ein kitschig-buntes Badelaken, auf das das Gesicht von Jesus Christus gedruckt ist. Die Familie hat wenig Geld, doch sie möchte es dem Kranken so schön wie möglich machen, vielleicht so ein wenig die Angst vor dem Tod nehmen. Auf dem Fensterbrett tönt das Gebläse eines Ventilators. Erzählerin: In einem Doppelbett liegt Prenush. Blass und schmal, mit nacktem Oberkörper, richtet er sich mühsam in den Kissen auf. Atmo Schwester Christina, Krankenbesuch: Man hört Schwester Christina auf Albanisch sprechen. Seit vier Tagen hat er so massive Schmerzen. Okay. Erzählerin: Am Fenster steht die Frau des Kranken, Mailinda. Sie hat ein rundes, jugendliches Gesicht, dem der Kummer anzusehen ist. Ungeschminkt, liegen dunkle Schatten unter ihren Augen. Die braunen Haare hat sie nachlässig zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Erst vor ein paar Wochen ist die Familie aus Amerika in die Heimat zurückgekehrt. Sie hatte die letzten acht Jahre im Nordosten der USA verbracht, in Connecticut. Mailinda: They said to do another chemo actually. But he was tired and thought better to bring him home. Cause I was alone with three kids. He was in the hospital for a year and half. It was hard with nobody. And I thought better to bring him home, because I have support of family and stuff. I talked to doctor, and he said, he has to feel good more. He has to have a good moral and he’ ll stronger. Medicine is not going to work on him. If he feels very strong, medicine is going to work perfect. And I asked him: Can we go back? Because it’s our family and we have support and stuff like that. And: Yeah, okay. So we moved, we came. We here went to a doctor. But, you know, when we he find out, we came from the United States, they said: There is nothing we can do, anther chemo therapie… he is so tired.

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Erzählerin: Die Ärzte in Amerika wollten eine weitere Chemo-Therapie machen, erzählt Mailinda. Aber ihr Mann ist so müde. Er war fast anderthalb Jahre lang im Krankenhaus, und Mailinda war mit der Verantwortung für ihre drei Kinder alleine. Sie dachte, es sei besser, zurückzukehren, in die Heimat. Hier hat sie wenigstens die Unterstützung der Familie, und auch ihr Mann fühlt sich eher zu Hause. Die Ärzte können nichts mehr für ihn tun. Schwester Christina sitzt auf der Bettkante neben Prenush, sie hält seine Hand und streicht ihm über die Stirn. Dann sucht sie in ihrem Erste-Hilfe-Koffer zwischen Verbänden und Spritzen nach Morphin. Sie lässt sich das Schmerzmedikament regelmäßig aus Deutschland oder aus der Schweiz schicken, weil albanische Ärzte es fast nie verschreiben, es ist zu teuer. Das Kloster in Dobrac finanziert sich ausschließlich über Spenden. Atmo: Autofahren Erzählerin: Auf dem Weg zurück schaut Schwester Christina aus dem Fenster. Abraham sitzt auf ihrem Schoß und hat den Kopf an ihre Schulter gelegt. Schwester Christina wirkt in sich gekehrt. In Gedanken ist sie noch bei dem Kranken. Schwester Christina: Ich habe gerade zu ihm gesagt, es ist wichtig, dass Du im Vaterland Deinen letzten Platz hast. Und dann hat er genickt. Also, wir haben uns gut verstanden. Man braucht es nicht direkt zu sagen - sie haben auch eine Sprache, wie sie sich ausdrücken die letzten Zeiten, so eine Symbolsprache. Er hat gesagt, er hat keine Angst vor den letzten Tagen, nur vor den Schmerzen… ja. Erzählerin: Schwester Christina ist vor sieben Jahren selbst an Krebs erkrankt. Schwester Christina: Das ist für mich keine Belastung. Eher so, dass ich sehr wohl weiß, was ich für ein Privileg hatte, dass ich zurück konnte in die Schweiz, dass ich eine Gemeinschaft im Rücken habe. Dass die mich jeden Tag begleitet haben in dieser Zeit. Und das sehe ich sehr dankbar. Und umso mehr versuchen wir auch da zu sein für die Leute hier. Erzählerin: Abraham, Schwester Michaela, Elsa, Atit, Mailinda und Prenush - Albanien und die Menschen sind für Schwester Christina zur Heimat geworden. Dass sie das Land nicht mehr verlassen würde, hat sie von Anfang an gespürt: Schwester Christina: Es war immer mein Traum, Klosterschwester und irgendwo in der Mission zu sein Das erste, was ich dachte: Das Land braucht Erbarmen und Anbetung. Und das zweite: Hier komme ich nicht mehr weg. Und das war dann auch so.

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