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2 SWR2 Tandem - Manuskriptdienst Jobcenter Die Angst vor der Wut der Hartz-IV-Empfänger AutorIn: Ingrid Müller-Münch Redaktion: Nadja Odeh Regie...
Author: Götz Sternberg
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2 SWR2 Tandem - Manuskriptdienst

Jobcenter Die Angst vor der Wut der Hartz-IV-Empfänger

AutorIn:

Ingrid Müller-Münch

Redaktion:

Nadja Odeh

Regie:

Ingrid Müller-Münch

Sendung:

Freitag, 18.02.13 um 10.05 Uhr in SWR2

__________________________________________________________________ Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte der Sendungen SWR2 Tandem auf CD können wir Ihnen zum größten Teil anbieten. Bitte wenden Sie sich an den SWR Mitschnittdienst. Die CDs kosten derzeit 12,50 Euro pro Stück. Bestellmöglichkeiten: 07221/929-26030. Einfacher und kostenlos können Sie die Sendungen im Internet nachhören und als Podcast abonnieren: SWR2 Tandem können Sie ab sofort auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/tandem.xml Kennen Sie schon das neue Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de

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MANUSKRIPT

Erzählerin: Die etwa 40-jährige Frau ist ein richtiger Hingucker mit ihrer bunt gestreiften Mütze und dem dazu passenden Schal. Im Wartezimmer der Selbsthilfegruppe, die Arbeitslose und Hartz-IV-Empfänger berät und wo eher Resignation und Armut den Raum füllen, fällt sie irgendwie aus dem Rahmen. Durch die Energie, die sie ausstrahlt. Aber auch, weil sie so schick gekleidet ist. Wie sich herausstellt, hat Claudia Schmidt, wie wir sie im Folgenden nennen, mit Mode zu tun. Gerade deshalb möchte sie anonym bleiben. Es muss ja nicht jeder gleich wissen, dass sie auf Unterstützung des Jobcenters angewiesen ist. Claudia Schmidt: Ich bin 41 und von Hause aus bin ich Grafikerin und Projektmanagerin. Und jetzt hab ich mich selbständig gemacht mit ‘nem Geschäft, einem Secondhandladen. Und funktioniert auch soweit. Nur so‘n Baby muss laufen lernen, das funktioniert nicht vom ersten Tag. Und ich hab es auf dem klassischen Weg gemacht, als Gründerin, mit ‘ner anständigen Begleitberatung, wie sich das gehört. Ich bin nicht zum ersten Mal selbstständig. Erzählerin: Ihren alten Job in dem erlernten Beruf hat sie verloren. Das Unternehmen, in dem sie angestellt war, machte dicht. Etwas Neues auf ihrem Gebiet fand sich nicht – trotz intensiver Suche. Doch sie wollte nicht aufgeben und wurde initiativ. Vor einem halben Jahr machte sie sich selbständig. Seitdem zittert und bangt sie jeden Tag darum, dass ihr Geschäft nur ja ein Erfolg werde. Claudia Schmidt: Gestern bin ich beim Jobcenter gewesen, weil der Gründungszuschuss ausläuft, und das Geschäft sich trägt, nur es reicht noch nicht zum Leben nach sechs Monaten. Und darum wollte ich aufstockende Hilfen beantragen, um die nächsten Monate gesichert zu haben, zumal ich nicht alleine bin. Ich hab ne Tochter, bin alleinerziehend. Und es ist mir wichtig, meine Existenz zu sichern. Erzählerin: Die neue Selbstständigkeit von Claudia Schmidt soll beider Lebensunterhalt sichern. Damit das auch klappt, muss sie Formulare ausfüllen, Hilfsanträge stellen. Ein nicht ganz einfaches Unterfangen, denn der Sachbearbeiter beim Jobcenter weigert sich, ihr die benötigten Unterlagen zuzuschicken. Dabei ist Frau Schmidt gerade jetzt in ihrem Laden unabkömmlich. Eine zusätzliche Verkäuferin kann sie sich noch nicht leisten. Und das Geschäft einfach mal so für ein paar Stunden zu schließen, traut sie sich nicht. Potentielle Kundinnen könnten, wenn sie während der üblichen Öffnungszeiten vor verschlossener Türe stehen, fortgehen und nie mehr wiederkommen. Doch hierfür hat man beim Jobcenter kein Verständnis. Also musste Claudia Schmidt in den sauren Apfel beißen und jemanden suchen, der sie während ihrer Abwesenheit vertritt. Das kostete sie Geld und Zeit. Erst dann konnte sie sich auf den Weg zum Jobcenter machen. Claudia Schmidt: Also ich bin wirklich traumatisiert da raus gekommen, ich hatte zwischendurch 2

Tränen in den Augen, wegen dieser Behandlung. Ich wollte gestern die Formulare abholen, die ich brauche, um den Antrag zu stellen. Was ja anscheinend nicht anders geht. Man muss diese Formulare persönlich abholen. Und ich wurde begrüßt mit: Guten Tag, Ihren Personalausweis bitte. Und so ging das weiter. Man ließ mich keinen Satz zu Ende reden. Mir wurde direkt gesagt, mehr oder weniger, was wollen sie eigentlich hier? Wenn ihr Geschäft nicht läuft, dann müssen sie es schließen. Und dann hab ich gesagt, ne, da bin ich anders informiert. Hab ich gesagt: Nein, ich kann aufstockende Hilfen beantragen, steht mir zu. Ne, also unter den Voraussetzungen brauchen sie hier gar nicht ankommen. Im Grunde war es nur Beschimpfungen und Demütigungen. Erzählerin: Nun sitzt Claudia Schmidt im Wartezimmer des Kölner Arbeitslosenzentrums, kurz KALZ genannt. Sie will sich erkundigen, wer nun Recht hat – die Sachbearbeiter im Jobcenter oder sie. Man merkt ihr an, dass sie noch immer ordentlich geladen ist. Sie empfand die Jobcenter-Mitarbeiter als stur und unfreundlich. Das hat sie wütend gemacht und gekränkt. Auch Thorsten B. ist es schon ähnlich ergangen. Er hat gerade eine psychotherapeutische Ausbildung begonnen und ist darauf angewiesen, dass das Jobcenter einen Teil der Kosten übernimmt. Thorsten B.: Meine persönlichen Erfahrungen sind unterschiedlich. Also, es gibt Sachbearbeiter beim Jobcenter, die sind sehr engagiert. Die sind auch gut vorbereitet, im Tagesgeschäft mit Klienten einfach ein ordentliches Gespräch auf die Beine zu stellen und es auch zu einer Klärung kommen zu lassen. Und ich hab auch die schlechte Alternative erlebt, dass das nicht der Fall gewesen ist. Und das ist ärgerlich. Also ich erleb es häufig, dass Unterlagen verschwinden. Das ist so ne regelmäßige Nummer, die sich durchzieht. Leider. Oder dass Unterlagen einfach falsch bearbeitet sind. Das ist schwer nachvollziehbar, weil im Grunde das sind immer die gleichen Fragen, die gleichen Bögen, die auszufüllen sind. Also, es ist nichts Exotisches um das es da geht. Das ist im Grunde für die, die dort arbeiten, Tagesgeschäft. Trotzdem sind die Fehlerquellen hoch. Also es hat zugenommen. Das hör ich von anderen Betroffenen. Es ist schade, weil damit viel Zeit verloren geht. Erzählerin: Henrik B. ist Mitarbeiter beim Arbeitslosenzentrum und einer derjenigen, an den sich frustrierte Jobcenter-Klienten um Hilfe wenden. Henrik B.: Wir haben häufig in der Beratung die Rückmeldung, dass Leute einfach wieder weg geschickt werden. Da tauchen dann eben die Fragen auf, ich hab meinen Antrag versucht zu stellen, und dann wurde mir im Jobcenter gesagt, nein nicht zuständig, falsche Behörde, gibt kein Geld, so was. Und, die Leute kommen dann in die Beratung erst mal grundsätzlich, um zu fragen, besteht denn der Anspruch? Können wir das mal überprüfen? War das richtig, dass die Behörde uns weg geschickt hat? Solche Dinge. Es stellt sich dann häufig in der Beratung raus, dass ne Ablehnung oder ne Nichtannahme des Antrags schlicht falsch war. 3

Frau: Ich war in der Situation, dass ich einen Vorschuss benötigte. Ich hatte keine Reserven mehr. So. Und ich hab dann all meinen Mut zusammen genommen und hab gesagt, ok, ich geh jetzt da hin. Hatte keinen Termin. Hab dann ne Wartemarke gezogen. Bin dann dran gekommen. Hab dann die Situation kurz geschildert. Hatte meine Kontoauszüge dabei, weil ich wusste, die werden danach fragen. Es war ne jüngere Sachbearbeiterin, die war zwar freundlich, aber sie hat jeden Kontoauszug unter die Lupe genommen, jede Ausgabe, jede Eingabe. Aufgrund sagte sie halt, nach ner halben Stunde, sie könnte mir keinen Lebensmittelgutschein bewilligen, weil das hätte mir eigentlich gereicht. Sie könnte mir das alles nicht bewilligen, weil ich hätte halt in dem Monat besser haushalten müssen mit dem Geld. Was bestimmt durchaus stimmte. Aber sich das von ner völlig fremden Person anzuhören, wo man halt wirklich um Lebensmittelgutscheine gebeten hat, wo man weiß, dass ist nichts fürs Trinken, nichts fürs Rauchen, sondern einfach nur, um den Kühlschrank aufzufüllen. Das war schon sehr demütigend. Das ging gar nicht. andere Frau: Möchte man mal einfach nur ne Klärung haben. Oder man hat den Bescheid nicht verstanden oder verschiedene Sachen. Und man wird relativ unfreundlich, wie soll ich das erklären, ja, unpersönlich, man wird einfach so als Nummer halt gesehen. Denk ich mal. Claudia Schmidt: Erst war ich bei der Erstaufnahme, oder wie sich das nennt. Und da wurden alle Formalien aufgenommen. Und so weiter. Wollte die mich weiter schicken zum Gespräch in diesen Orientierungsdings, ich weiß nicht mehr, wie es heißt. Hab ich gesagt, ich möchte nur die Papiere haben, nur die Formulare. Ich möchte jetzt gar kein Gespräch führen. Ne, dann können wir ihnen jetzt nicht weiterhelfen. Hab ich gesagt: ich bin nicht arbeitslos, ich bin berufstätig, und ich hab jetzt gar nicht die Zeit dazu. Was wollen sie hier, so ungefähr, hieß es dann. Dann hab ich also zähneknirschend diesen zweiten Termin da wahrgenommen und komm zur Tür rein bei der zweiten Dame: Guten Tag, ihren Personalausweis bitte! Erzählerin: Claudia Schmidt hat sich an Bernd Mombauer gewandt, von Beruf Sozialarbeiter und ebenfalls Berater in der Selbsthilfegruppe KALZ. Er kennt all diese Klagen zu genüge: Bernd Mombauer: Natürlich kriegen wir Rückmeldungen in jeder Beratung, was in den Jobcentern abläuft. Was wir immer wieder hören, ist, dass Unterlagen verloren gehen, dass Unterlagen nochmals aufgefordert werden. Wechselnde Mitarbeiter. Ein Phänomen, dass man immer wieder die Sachen wiederholen muss, den Sachverhalt erklären muss. Was die Menschen sehr mürbe macht. Und auch teilweise sehr fehlerhafte Bescheide, die dann net verstanden werden. Ich hab letzte Woche ne Frau hier gehabt, die hat an einem Tag 53 Seiten Bescheid-Erteilungen für die letzten anderthalb Jahr gehabt. Erzählerin: Wie kommt es zu solchen Missständen? Missstände, auf die viele Hartz-IVEmpfänger mit zunehmender Wut reagieren, die sich in den letzten Monaten gehäuft 4

durch gewaltsame Übergriffe entladen hat. Im Juli 2011 wurde im Jobcenter Köln eine Angestellte von einem ihrer Klienten an den Haaren gepackt. Er schlug ihren Kopf auf die Tischplatte und warf einen Monitor nach ihr. Im August 2011 stürmte ein 41-jähriger arbeitsloser Mann in das Jobcenter Berlin-Marzahn, schüttete eine brennbare Flüssigkeit im Büro eines Sachbearbeiters aus und versuchte, den Teppich in Brand zu setzen. Ausraster, die im September 2012 vorerst darin gipfelten, dass in einem Neusser Jobcenter eine Mitarbeiterin von einem Hartz-IVEmpfänger erstochen wurde. Sind das Einzelfälle? Ausraster besonders labiler Menschen? Oder was ist los in den Jobcentern? Das Jobcenter in Köln ist mit seinen über1 200 Mitarbeitern eines der größten bundesweit. Keiner der dort Angestellten wollte vor dem Mikrofon aus seinem Alltag erzählen. Bis auf Gerd Z., Personalratsvorsitzender im Jobcenter Köln: Personalrat: Aggression ist ein Thema, Übergriffe ist ein Thema in allen Jobcentern. Es gibt Phasen, um Quartalswechsel herum, wo auch des Öfteren die Polizei ins Haus kommen muss. Ja. Die Politik macht es glaube ich sehr bewusst, seit 2004/2005, dass die Menschen warten müssen, dass es Schwierigkeiten an allen Ecken und Enden gibt, dass es keine anständige Personalausstattung gibt, weil die Philosophie dahinter war ganz einfach: Menschen sich nicht in Arbeitslosigkeit ausruhen zu lassen, sondern sie über bewusste Druckmittel wieder in Arbeit zu bringen. Das Problem, das wir als Personalräte immer wieder haben und versuchen, der Politik klar zu machen: Es muss auf der anderen Seite auch Arbeit geben. Erzählerin: Claudia Schmidt will arbeiten. Will, dass ihr Geschäft läuft. Doch anstatt wirklich Unterstützung zu erfahren, wird sie durch die Auflagen des Jobcenters bei ihrer Existenzgründung eher behindert und fühlt sich zudem gegängelt und schikaniert. Personalrat: Die Unfreundlichkeit liegt vielfach an den Strukturen. Weil einfach zu wenig Beschäftigte da sind. Die Kollegen und Kolleginnen zu wenig Zeit haben, sich intensiv mit den Menschen zu beschäftigen. Aber auch daran, man darf nicht vergessen, die Jobcenter sind für die Grundsicherung zuständig. Das heißt, das Klientel was wir haben, hat auch vielfach hochmultiple Probleme. Sei es Verschuldung, Sucht, alles Mögliche. Es sind vielfach Menschen, die seit Jahren am Rande der Existenz leben. Und das macht sich natürlich bemerkbar. Und wenn die Bundesregierungen jeweils Gelder dann entsprechend kürzen, auch Förderungsmaßnahmen kürzen, sind es die Kollegen, die das transportieren müssen, die Botschaft. Und das führt oft zu Unfrieden. Der Unfrieden bei den Mitarbeitern ist ganz einfach die enorm hohe Belastung. Dieses ständige Controllen durch Führungskräfte. Die ständige Wiedergabe von Zahlen, Änderung der Arbeitsprogramme, Änderungen in Abläufen. Das führt ganz einfach dazu, dass es auch auf der anderen Seite eine ganz große Unzufriedenheit gibt. Erzählerin: Hinzu kommt, dass die Jobcenter-Mitarbeiter, die Hilfesuchende wie Claudia Schmidt eigentlich kompetent beraten sollen, oft selbst der Hilfe und des Rates bedürfen. Denn nicht bei allen, die hinter den Schreibtischen der Jobcenter sitzen, handelt es sich um ausreichend geschultes Personal. Inzwischen ist es sogar üblich, Mitarbeiter 5

aus den Reihen der Hartz-IV-Empfänger zu rekrutieren. Menschen also, die einen Zeitvertrag mit den Jobcentern eingehen und in einer Art Schnellverfahren auf die komplizierte Hartz-IV Gesetzgebung eingestimmt werden. Schlecht bezahlt und wohlwissend, dass sie nach Ablauf ihres Zeitvertrages wieder auf der anderen Seite des Schreibtisches sitzen werden. Frau: Also, ich hab Rechtsanwaltsfachangestellte gelernt als Beruf. Hab mehrere Jahre im kaufmännischen Bereich gearbeitet. Hab bei der Agentur für Arbeit, nach einem Jahr, wo ich mich beworben hatte, Zusage für nen Einstellungstest bekommen. Bin dann eingestellt worden. Und hab in Form eines befristeten Zwei-Jahresvertrages Leistungsanträge bearbeitet. Ja, von Weiterbewilligungsanträge bis Neuanträge, Sanktionen, alles was dazu gehört. Ich hatte auch mit Publikum zu tun, einmal die Woche. Ich bin als Quereinsteiger praktisch dort eingestiegen. Hab Leistungsanträge bearbeitet. Habe lediglich vier Schulungen über jeweils einen Tag, manchmal mehrere Tage erhalten über ALG IIBezug, das Sozialgesetzbuch usw. Und bin dann quasi ins kalte Wasser geworfen worden. Also, hab dann quasi Akten auf den Tisch und jetzt mach mal! Der Teamleiter war relativ kurz angebunden. Und bei bestimmten Akten nen Kollegen zu Hilfe holen, weil man da vielleicht nicht weiter kam. Aber ansonsten war man auf sich selbst gestellt. Erzählerin: Wer in einem solchen Schnellverfahren geschult wird, kann sich nicht gut auskennen in der komplizierten Materie der Hartz-IV-Gesetzgebung. Selbst Personalrat Gerd Z. bestätigt das: Personalrat: Die Qualifikation der befristeten Kolleginnen und Kollegen lässt an ganz vielen Ecken zu wünschen übrig. Es gibt zwar die entsprechenden Konzepte dazu. Nur bei der Belastung ist es manchmal sehr sehr schwer, immer wieder jemanden neu einzuarbeiten. Man geht in der Regel davon aus, dass jemand ungefähr ein halbes Jahr braucht, bis er einigermaßen selbstständig arbeiten kann. Richtig fit, dass er voll selbstständig arbeiten kann, ist aus meiner Sicht ca. ein Jahr nach Einarbeitung möglich. Aufgrund eben der Komplexität, die dahinter steht. Er arbeitet ein Jahr gut und dann ist er in der Regel fort, bzw. kann noch ein Jahr verlängert werden. Und wenn es dann keine Festübernahmen gibt, so wie das im Moment der Stand der Dinge ist, darf er sich dann von hinterm Schreibtisch vor den Schreibtisch setzen. Erzählerin: Der einzige Unterschied zu den anderen Hartz-IV-Empfängern ist: so jemand kennt beide Perspektiven. Bernd Mombauer: Ich sag das ja schon fast gebetsmühlenartig seit Januar 2005, die Art und Weise wie diese Reform sowohl in der Zeit, als auch mit den Ressourcen umgesetzt ist, hat die Verwaltung überfordert. So. Man hat nicht den geeigneten Mitarbeiterschlüssel gefunden. Man hat befristete Stellen. Es finden Personalwechsel statt. Die Jobcenter haben nen Krankheitsstand, der enorm hoch ist im Vergleich zu Krankheitsständen, von anderen Betrieben. Ja, also, viele Sachbearbeiter und Sachbearbeiterinnen und Fallmanager, das bekommen wir schon mit, gehen auf dem Zahnfleisch. Mitarbeiter, die verunsichert sind, die nicht gut ausgebildet sind, die überfordert sind, die 6

permanent Krankheitsvertretung machen, die mit nem befristeten Arbeitsvertrag arbeiten. Die sind möglicherweise auch nicht immer der besten Laune. Und wenn sie permanent überfordert sind, das ist keine Rechtfertigung sag ich mal, dem Ratsuchenden gegenüber, aber wird‘s auch nachvollziehbar, dass bei allem Bemühen dann auch manchmal fehlerhaft gearbeitet wird, ruppig gearbeitet wird. Das ist dann schon auch erklärbar. Erzählerin: Hilfsbedürftige Menschen stoßen also auf unterbezahlte, schlecht ausgebildete Berater. Die Folgen sind: Angst der Hartz-IV-Empfänger vor den JobcenterMitarbeitern, Angst der Sachbearbeiter vor ihrer Klientel. Angst auf den Fluren, in den Warteschlangen. In dieser Stresssituation vor und hinter dem Schreibtisch führt dann eins zum anderen. Irgendwann tritt jemand wütend gegen den Schreibtischstuhl, brüllt los. In einem Berliner Jobcenter wurde den Mitarbeitern deshalb geraten, kleine Büroutensilien wie Tucker und Locher außerhalb der Reichweite ihrer Klientel zu verstauen. Sie könnten als Wurfgeschosse benutzt werden. Doch wie steht man eine solche Arbeitsatmosphäre überhaupt durch? Frau: Wir waren ein relativ großes Team. Ich glaub, so im Kern waren es zwölf Leute. Und ich hab immer das Gefühl gehabt, dass die eigentlich alle ein sehr dickes Fell schon hatten. Waren eher abgebrühter. . Claudia Schmidt: Ich hab das Gefühl bei solchen Sachbearbeitern, dass die persönliche Interessen vertreten. Dass es generell darum geht, so wenig wie möglich zu bewilligen. Dass böse Dinge unsterstellt werden. Und dass mir, wenn ich reinkomme, schon unterstellt wird, die Frau will Geld abzocken zum Beispiel. Was überhaupt nicht der Fall ist. Ich möchte eigentlich einzig und allein meine Existenz sichern. Ich hab positive Beweggründe, dahin zu kommen. Und gar nichts Böses im Sinn. Aber ich werde so behandelt, als wär ich was Schlimmes. Und das kränkt mich. Das hab ich schon oft erlebt. Das ist so ne grundsätzliche Einstellung, die ich da kenne. Bernd Mombauer: Wir kriegen schon von den Kollegen und Kolleginnen mit, dass die Leidtragenden sowohl vor den Schreibtischen als auch hinter den Schreibtischen sitzen. Also, ich glaube, dass so Ausraster, die natürlich vom Grunde her net zu rechtfertigen sind, wie keine Form von Gewalt zu rechtfertigen ist, immer ne Vorgeschichte haben. In der Person, aber auch mit dem Ablauf der Behörden. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass man mit einer kafkaesken Behörde zu tun hat. Das heißt in der Vorgeschichte, Unterlagen einreichen, erneut einreichen, man kommt net durch. Man fühlt sich dieser Behörde ohnmächtig ausgeliefert. Man hat das Gefühl, seitens der Betroffenen, fremdbestimmt zu sein. Wenn sie denn - und das kann ich dann schon nachvollziehen - kein Geld haben und existenziell bedroht sind, dass der Wohnraum bedroht ist, weil sie auf einmal die Miete nimmer bezahlen können, weil ne Zahlung zu spät ist. Sie haben Kinder zu Hause, wissen nicht, wie sie übers Wochenende kommen. Dass Leute da auch aus dieser Ohnmacht und Wut heraus etwas machen, was sie wahrscheinlich hinterher bereuen, kann ich zumindest emotional total nachvollziehen.

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Erzählerin: Was geschieht in einer Behörde wie dem Jobcenter, wenn Mitarbeiter tatsächlich attackiert werden während einer Beratung, beleidigt, beschimpft, bedroht? Mancherorts gibt es verstärkt auftretende Sicherheitskräfte. Anderswo lassen Mitarbeiter die Türen zum Nachbarbüro bei Gesprächen offen stehen, die schon im Voraus besonders schwierig zu werden drohen. Für Sachbearbeiter, die Opfer von Aggressionen wurden, gibt es psychologische Hilfe. Notfalls können sie beantragen, an einen Arbeitsplatz ohne Publikumsverkehr versetzt zu werden. Frau: Natürlich gibt es Mitarbeiter, die nicht so nett sind, da kenn ich meine Rechte. Also ich lass mich nicht ärgern oder demütigen. Dann komm ich einfach wieder, und dann hat man einen netten Kollegen. Das System ist ja so, dass man nie zum Gleichen kommt. andere Frau: Ich bin 57. Ich denke, das meiste passiert durch Überlastung. Und, was ich eben auch oft erlebe, dass man vorne wartet mit anderen, dass die Leute sehr bösartig da reingehen. Und diese Bösartigkeit überträgt sich natürlich glaub ich schon auch auf die Mitarbeiter. Erzählerin: Sozialarbeiter Mombauer hat da noch einen ganz anderen Verdacht: Bernd Mombauer: Ja, für mich ist nur die Frage an der Stelle, sind das Demütigungsstrukturen, die von der Leitung, von dem Gesetz her vorgegeben sind? Dass da auch Mitarbeiter im Stich gelassen sind. Überfordert. Also, strukturelle Demütigungsprozesse. So, dann möglicherweise der gereizte Mitarbeiter, der unsichere Mitarbeiter. Der nicht qualifiziert ist. Der die nächste Krankheitsvertretung hinter der anderen macht. Geht dann möglichweise auch am Limit. Die Mitarbeiter, die bewusst dann die Menschen, die arbeitslos sind, aus einem persönlichen Ressentiment quälen, die sind glaub ich bei unter einem Prozent anzusiedeln. Erzählerin: Sein Kollege Henrik drückt sich noch schärfer aus: Henrik: Man könnte auf die Idee kommen, dass die Behörde es dankend in Kauf nimmt, dass diese Struktur dafür sorgt, dass Leute bestimmte Ansprüche nicht geltend machen. Den Verdacht könnte man haben. Bernd Mombauer: Wir können auch sagen, dass je länger Menschen Hartz IV beziehen, in diesen Auseinandersetzungen mit den Behörden zunehmend destabilisiert werden. Und diese Hartz-IV-Gesetzgebung mit ihrem jetzt existierenden Modell, des Forderns und Förderns und deren unzureichender Umsetzung insofern kontraproduktiv sind, dass Menschen, sag ich mal, mit der Zeit so in ihrem Selbstwertgefühl verlieren, dass sie ihre Chancen in den Arbeitsmarkt zurückzukehren nicht erhöhen, sondern dass die sukzessive minimiert werden.

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Erzählerin: Noch kämpft Claudia Schmidt gegen die Resignation. Aber es gelingt ihr nicht immer Claudia Schmidt: Um dann mit nem breiten Lächeln und positiver Energie im Geschäft zu stehen fünf Tage in der Woche, aber innerlich so zu schwanken und solche Existenzängste zu haben. Das ist unglaublich belastend. Erzählerin: Claudia Schmidt weiß noch nicht, wie es mit ihr weitergehen wird, was sie noch unternehmen kann, damit sie nicht doch in Hartz-IV rutscht. Claudia Schmidt: Es ist für mich wirklich so diese Situation, dass ich das Gefühl habe, wofür mach ich das alles eigentlich. Ich erziehe meine Tochter seit 14 Jahren alleine, und ich bin schon mehrmals in die Situation geworfen worden, dass ich mir gedacht habe, warum lehn ich mich nicht zurück und lass mich vom Staat finanzieren? Wofür arbeite ich eigentlich? Ich hab immer selbstständig oder angestellt gearbeitet, weil ich das auch möchte. Weil ich mich sonst langweile und keine Lust habe, zuhause zu sein. Weil ich Kompetenzen und Qualifikationen habe. Wir sind oft genug mit wenig Geld ausgekommen. Aber das ist mir wichtig, das so zu machen. Und es wär für mich viel einfacher zu sagen, ich mache nix, ich krieg halt meinen Regelsatz, mache irgendwas cash nebenher. Hätten wir ein wunderbares Leben. Aber das ist mir zu blöd. Und im Grunde wollen die mich dahin zwingen im Moment mal wieder. Und ich frag mich im Moment, nehm ich jetzt den Kampf auf, diese Mittel zu erzwingen, was möglicherweise vorm Sozialgericht endet. Oder dreh ich den Schlüssel rum in meinem Herzblutgeschäft. Das ist die Situation, und das ist natürlich wieder für Wochen jetzt so ne unsichere Lage, die einem das Leben schwer macht.

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