Was ist Demografiefeste Arbeit?

Was ist Demografiefeste Arbeit? 1 Vorbemerkung Das Thema Demografiefestigkeit erscheint im öffentlichen Diskurs in vielen Facetten, zum Beispiel als...
Author: Gretel Kerner
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Was ist Demografiefeste Arbeit? 1

Vorbemerkung

Das Thema Demografiefestigkeit erscheint im öffentlichen Diskurs in vielen Facetten, zum Beispiel als demografiefeste Personalpolitik oder als demografiefester Betrieb bzw. demografiefestes Unternehmen. Überdies decken die Begriffe alters- und alternsgerechtes Arbeiten wichtige Aspekte von Demografiefestigkeit ab. Vor diesem Hintergrund können wir nicht für uns in Anspruch nehmen, mit dem Thema „Demografiefeste Arbeit“ und den dabei im Einzelnen behandelten Themen Neuland zu betreten. Viele der im Folgenden angesprochenen Sachverhalte finden sich in den einschlägigen Publikationen von INQA, IGA etc. Gleichwohl versuchen wir in Bezug auf die Herangehensweise an „Demografiefeste Arbeit“ Akzente für die Diskussion zu setzen: 





Unter der Überschrift „Demografiefeste Arbeit heißt…“ markiert das Papier Gestaltungsanforderungen an den Arbeitsplätzen und in den Tätigkeitssystemen alternder und heterogener Belegschaften. Es wird also nahe dran an den Arbeits- und Leistungsprozessen argumentiert (zum Bezug auf Arbeitssysteme vgl. Luczak 1997, Ulich 1994). Damit verbunden ist - entsprechend auch der Satzungsziele des RKW – eine arbeitswirtschaftliche Perspektive. Sie läuft darauf hinaus, das Rationalisierungsgeschehen und Produktivitätsziele bei Gestaltungsinitiativen für „Demografiefeste Arbeit“ systematisch einzubeziehen. Einen besonderen Stellenwert weisen wir betrieblichen Infrastrukturen und Supportprozessen im Umfeld der Arbeits- und Wertschöpfungsprozesse zu. Dabei wird gefragt: Welche Voraussetzungen müssen erfüllt und welche Maßnahmen sollten ergriffen werden, damit „Demografiefeste Arbeit“ vorangebracht werden kann? Ein Ergebnis des Positionspapiers ist, dass den Kommunikationsstrukturen angesichts der Veränderungsdynamik in den Belegschaften und bei den Arbeitsanforderungen ein hoher Stellenwert für die Gestaltung „Demografiefester Arbeit“ zukommt.

In den Ausführungen zu den Veränderungen bei den Belegschaftsstrukturen steht der Aspekt „Alter“ im Vordergrund. Andere Facetten der Heterogenität von Belegschaften im demografischen Wandel, wie Geschlecht, ethnische Herkunft oder Bildungsstand werden nicht immer explizit erwähnt, sind aber eingeschlossen.

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Demografiefeste Arbeit heißt…

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… zukünftig mit älteren und gemischten Belegschaften zu arbeiten. Die betrieblichen Belegschaften werden im Durchschnitt älter und in ihrer Zusammensetzung vielfältiger. Neben den Altersunterschieden zu nennen sind Unterschiede im Hinblick auf ethnische Herkunft, Geschlecht, Bildungshintergrund und Lebensentwürfe. Demografiefeste Arbeit muss bei der Gestaltung der Arbeitsplätze, der Arbeitsorganisation und des Arbeitsumfelds die jeweiligen Bedarfslagen und Interessen der jeweiligen Mitarbeitergruppen beachten. Beispielsweise sind die Unternehmen gefordert, verstärkt   

leistungsgewandelte Mitarbeiter produktiv in die betrieblichen Abläufe zu integrieren, betriebliche Arbeitszeiten mit familiären Bedürfnissen sowie Lebenszielen der Mitarbeiter in Einklang zu bringen, an die unterschiedlichen Zielgruppen angepasste Maßnahmen der Kompetenzentwicklung durchzuführen.

… die Leistungsfähigkeit Aller zu sichern und zu entwickeln. Demografiefeste Arbeit sichert und entwickelt die Leistungsfähigkeit der Beschäftigten beginnend mit dem frühen Erwerbsalter bis zum Eintritt in das Rentenalter. Sowohl die Gesundheit der Mitarbeiter als auch die beruflichen Kompetenzen stehen dabei im Blickpunkt. Bezugspunkte der Sicherung und Entwicklung des Leistungsvermögens sind arbeitswissenschaftlich fundierte Kriterien menschengerechter Arbeit. D.h. die Arbeit ist schädigungslos, ausführbar, zumutbar, persönlichkeitsförderlich und sozialverträglich zu gestalten.

… differenzierte und passgenaue Gestaltungslösungen für unterschiedliche Beschäftigtengruppen zu finden. Der demografische Wandel bringt einen hohen Differenzierungsbedarf bei der Arbeitsgestaltung mit sich. Unternehmen sind gefordert, ihre Arbeitsanforderungen an die Leistungsvoraussetzungen unterschiedlicher Beschäftigtengruppen anzupassen. Differenzierte Gestaltungslösungen beinhalten die Kompensation von Schwächen und insbesondere auch die gezielte Nutzung von Stärken der Mitarbeiter. Beispielhaft zu nennen sind:   

Entlastung Älterer von Tätigkeiten, die z.B. eine Überforderung ihrer Fähigkeiten zur Informationsverarbeitung mit sich bringen (bspw. bei der Anlagenüberwachung). Gezielte Nutzung von typischen Stärken Älterer in Bezug auf Erfahrungs- und Kontextwissen durch Übertragung planerischer und organisierender Funktionen. An die jeweiligen privaten, beruflichen und gesundheitlichen Belange der Mitarbeiter angepasste Arbeitszeiten. Spielräume für wechselseitige kollegiale Unterstützung (etwa durch Gruppenarbeit mit ausreichenden Dispositions- und Kommunikationsspielräumen).

… den erhöhten Gestaltungsbedarf bei psychischen Belastungen berücksichtigen. Bedingt durch den technisch-organisatorischen Wandel und den Bedeutungszuwachs von Dienstleistungstätigkeit wachsen tendenziell kognitiv-intellektuelle Anforderungen (z.B. bei der schnellen Verarbeitung komplexer Informationen) sowie emotionale Anforderungen aufgrund dialogisch-interaktiver Tätigkeiten. Als relevante Belastungsfaktoren zu nennen sind

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auch Zeitdruck und Multitasking sowie arbeitszeitbedingte Belastungen insbesondere durch die sich ausbreitende Nacht- und Schichtarbeit.

… eine Personalführung, die den Beschäftigten Eigenverantwortung gibt und zugleich Achtsamkeit für deren Belange aufbringt. Im Zuge von Dezentralisierung und Flexibilisierung in den Unternehmen haben detaillierte Arbeitsanweisungen von Führungskräften an ihre Mitarbeiter an Bedeutung verloren. An die Stelle direktiver Führung tritt zunehmend die Fähigkeit und Bereitschaft von Vorgesetzten, Verantwortung an Mitarbeiter zu delegieren. Um die Mitarbeiter leistungsfähig und gesund zu halten, und um sie an das Unternehmen zu binden, sind überdies Kommunikationsfähigkeit sowie auch Rücksichtnahme auf deren Belange (z.B. familiäre Situation) sehr wichtig geworden. Insgesamt betrachtet kommen Führungskräften zunehmend Coachingfunktionen zu.

… gesunde und alternsgerechte Arbeit mit ökonomischen Zielen des Unternehmens vereinbar machen. Unternehmen verfolgen unter Wettbewerbsbedingungen primär die Ziele, ihre Prozesse effizient zu gestalten und attraktive, marktgängige Produkte zu erstellen. Das Thema Demografie steht daher typischerweise nicht auf der Prioritätenliste unternehmerischer Strategien. Um demografiefeste Arbeit in den Unternehmen nachhaltig zu verankern, sollten Synergien zwischen Demografiemaßnahmen und Wirtschaftlichkeitszielen erschlossen werden. 

Organisationsabläufe: gut strukturierte und transparente Arbeitsabläufe können die Mitarbeiter entlasten (bessere Planbarkeit der Arbeit, weniger Multitasking, Vermeidung von Überstunden) und gleichzeitig die Ablaufeffizienz und Qualität erhöhen.



Eigenverantwortung und Handlungsspielräume der Mitarbeiter bei ihrer Arbeit erhöhen die Flexibilität des Unternehmens bei der Leistungserstellung. Zugleich tragen solche Lösungen zur Persönlichkeitsförderlichkeit der Arbeit bei.

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Ein förderndes Umfeld für demografiefeste Arbeit schaffen

Die Gestaltung von Arbeitsaufgaben entsprechend der Kriterien demografiefester Arbeit erfordert ein geeignetes betriebliches Umfeld. Dieses Umfeld kann fördernde Bedingungen für die Verankerung von demografiefester Arbeit in KMU schaffen. Es kann dabei im Großen und Ganzen zwischen eher strukturellen Voraussetzungen und wichtigen Aktivitätsfeldern demografiefester Arbeit unterschieden werden. Voraussetzungen und Ansatzpunkte für „Demografiefeste Arbeit“

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Hierbei geht es im Wesentlichen um den gesamten Betrieb betreffende Ausgangspunkte für demografiefeste Arbeit, wie strategische Weichenstellungen, Unternehmenskultur sowie um betriebliche Infrastrukturen, die ihre Grundlage oft in den Betriebstraditionen haben. 

Verankerung demografiefester Arbeit im Unternehmen: Eine Grundvoraussetzung dafür bildet eine entsprechende Richtungsentscheidung der Unternehmensführung. Demografiefeste Arbeit muss ins Zielsystem des Unternehmens integriert werden. Eine gute Voraussetzung hierfür ist eine starke Humanressourcenorientierung des Managements. Unterhalb der Managementebene geht es um Kooperationen zwischen 3





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Abteilungen und Unternehmensbereichen. So sollten über „Personaler“ und Arbeitsschutzakteure hinaus Betriebsingenieure, Controller, Führungskräfte und Betriebsräte eingebunden werden. Sie müssen für das Thema gewonnen, ihre Fachkenntnisse und Erfahrungen genutzt werden. Nicht zuletzt bedarf es einer Unternehmenskultur, in der Zusammenarbeit, Wertschätzung, Vertrauen und Achtsamkeit im alltäglichen Miteinander praktiziert werden. Sie bildet ein normatives Fundament für nachhaltige Maßnahmen auf den Gebieten demografiefester Arbeit, Nutzung und Ausbau der betrieblichen Informationsbasis: Für zielgerichtetes und problemorientiertes Handeln sind Daten auf folgenden Gebieten erforderlich: Altersund Qualifikationsstrukturen in den Arbeitsbereichen, Mitarbeiter mit Leistungseinschränkungen, Frühverrentungen, Arbeitsunfälle, Fehlzeiten und nicht zuletzt Arbeitsplatz- und Tätigkeitsbeschreibungen. Gesetzlicher Arbeitsschutz mit Augenmerk auf der Gefährdungsbeurteilung: Ein gut ausgebauter gesetzlicher Arbeitsschutz bildet generell eine wichtige Grundlage für die Gestaltung demografiefester Arbeit. Die arbeitsplatzbezogene, physische und psychische Gefährdungsbeurteilung ist dabei ein Kernstück des präventiven gesetzlichen Arbeitsschutzes (vgl. GDA 2014: 67). Sie bezieht sich immer auf Arbeitsplätze und nicht auf individuelle Anforderungen. Sie bietet allerdings wichtige Beobachtungen und Bewertungen, die für einen individuellen Abgleich von Fähigkeiten und Anforderungen genutzt werden können. Dies ermöglicht bedarfsgerechte Gestaltungslösungen für ältere und leistungsgewandelte Beschäftigte (zu alter(n)skritischer Gefährdungs- und Belastungsbeurteilung vgl. INQA 2011). Insbesondere die psychische Gefährdungsbeurteilung wird in KMU nur wenig durchgeführt. Dabei gibt sie nicht zuletzt für KMU eine Orientierung, um das Feld psychischer Belastungen systematisch zu bearbeiten. Betriebliche Handlungsfelder zur Förderung „demografiefester Arbeit“

Im Folgenden werden betriebliche Handlungsfelder aufgezeigt, die die Etablierung demografiefester Arbeit unterstützen können. Ohne, dass ein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird, werden zumindest zentrale Maßnahmebereiche zur Sicherung und Entwicklung der Leistungsfähigkeit sowie der Motivation berücksichtigt. 





Kompetenzentwicklung fördern und unterstützen: Dies beinhaltet Arbeitssysteme mit lernförderlichen Aufgaben für die dort beschäftigten Mitarbeiter, Weiterbildungsaktivitäten, die auf die unterschiedlichen Beschäftigtengruppen zugeschnitten sind und die Schaffung beruflicher Entwicklungsmöglichkeiten. Letztere dienen nicht nur der Mitarbeiterbindung, sondern geben auch einen Rahmen, um den Generationenwechsel und Erfahrungstransfer von älteren, ausscheidenden Mitarbeitern auf jüngere zu organisieren. Gesundheitsförderung über das Arbeitsschutzgesetz hinaus: Sie dient der Sensibilisierung und Mobilisierung der betrieblichen Akteure für das Thema gesunde Arbeit und ist auch ein Signal der Wertschätzung für Mitarbeiter. Mögliche Angebote sind Rückenschule, Gesundheits-Checks, Sport. Insbesondere sind Angebote mit enger Anbindung an die Arbeitsplätze zu empfehlen. Arbeitszeiten demografiefest gestalten: Die betriebliche Arbeitszeitgestaltung setzt wichtige Bedingungen für eine demografiefeste Gestaltung der Arbeit. Eine die Gesundheit der Beschäftigten schonende Gestaltung insbesondere von Nachtschichtar-

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beit ist ebenso zu nennen wie eine Arbeitszeitgestaltung, die berufliche und private Interessen der Mitarbeiter mit betrieblichen Erfordernissen abstimmt. Vorgesetzte unterstützen: Eine Voraussetzung für demografiefeste Führung sind Führungskapazitäten, die eine ausreichende Betreuung der Mitarbeiter ermöglichen (Vor-Ort-Präsenz). Führungskräfte benötigen darüber hinaus fachliche Unterstützung und Schulung für ihre Aufgaben beim Personaleinsatz (Arbeitsgestaltung, Gesundheit, Kompetenzentwicklung, Führungsstil). Nicht zuletzt benötigen Führungskräfte selbst Maßnahmen der Gesundheitsförderung („Selbstachtsamkeit“). Bindung und Beteiligung der Beschäftigten: Um die Motivation und Leistungsfähigkeit der Beschäftigten zu sichern, sind eine gute Informationspolitik des Unternehmens und Beteiligungsangebote von Bedeutung. Sie schaffen Vertrauen bei den Beschäftigten und erhöhen deren Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und eigene Ideen und Erfahrungen einzubringen. Beteiligungsprozesse können mit Maßnahmen der Organisations- und Leitbildentwicklung verbunden werden.

Schlussfolgerung: Kommunikationsbeziehungen als Hebel für die Verankerung „Demografiefester Arbeit“

Ein hoher Differenzierungsbedarf aufgrund heterogener Belegschaften, des Wandels von Arbeitsanforderungen und überdies offene Fragen bei der Messung und Bewertung psychischer Belastungen erschweren es, längerfristig tragfähige und detaillierte Vorschriften für die Gestaltung von Arbeit zu formulieren. Herkömmliche ergonomische Standards (z.B. fest definierte Belastungsgrenzen) stoßen an die Grenzen ihrer Reichweite. Demgegenüber geben Verfahrensregeln, die Vorgehensweisen definieren, den Akteuren im Betrieb Handlungsspielräume bei der Umsetzung von Gestaltungszielen. Dies ermöglicht eine bezüglich des Leistungsvermögens der Beschäftigten bedarfsgerechte Flexibilisierung und Individualisierung

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von Lösungen. Dabei kommt der Gestaltung von Kommunikationsbeziehungen eine zentrale Bedeutung zu: 







Eine gut ausgebaute Regelkommunikation in den betrieblichen Bereichen ermöglicht es, Handlungsbedarf auf dem Gebiet „Demografiefester Arbeit“ schnell zu ermitteln und vor allem auch passgenaue Lösungen zu finden. An die Regelkommunikation können informelle und vertrauensbasierte Beziehungen anknüpfen. Diese begünstigen nicht nur kurze, dialogische Wege der Problemlösung, sondern tragen als emotionale Faktoren zur Leistungsfähigkeit und Motivation der Beschäftigten bei (Wertschätzung). Durch Partizipation und Dialog geprägte Kommunikationsbeziehungen fördern die Eigenverantwortung und Kompetenzentwicklung, indem sie die Beschäftigten dazu anregt, Probleme zu erkennen und gemeinsam mit Kollegen und Vorgesetzten nach Lösungen zu suchen. Für KMU bieten Kommunikationsbeziehungen einen geeigneten Ansatzpunkt für eine systematische Bearbeitung des Themas „Demografiefeste Arbeit“. Sie knüpfen an die in vielen KMU vorhandenen gemeinschaftlichen Beziehungen, die soziale Nähe zwischen den Akteuren, kurze Entscheidungswege, Vertrauen und die hohe Relevanz der Führungspersonen gerade bei Mittelständlern an.

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