HLZ -‐‑ CGC -‐‑ gFFZ Frankfurt, 04. November 2015 Was ist uns welche Arbeit wert? Ist ein Kilo Eisen schwerer als ein Kilo Be2federn?
Geschlechtersensibler Arbeits-‐‑ und GesundheitsschuE für Gleichstellung von Frauen in der Arbeitswelt
Marianne Weg, Wiesbaden www.marianne-weg.de
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Frauen in der Arbeitswelt: die bekannten Genderthemen zum Beispiel • Gender Pay Gap • Gut qualifiziert, aber gläserne Decke • Sollbruchstelle Schwangerschaft/Mutterschaft • Teilzeitarbeit, Minijob wegen Kind und Familienarbeit Lebensverlaufsperspektive
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Bilder sagen mehr als Worte ...
• Männer: gerader Weg voran / nach oben
Foto: der „Himmelsstürmer“ von einer Kasseler documenta in den 1990er Jahren
• Frauen: und dann geht der Weg so oder so Richtung Karriere oder Kind Foto: Verkehrsschilder
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Erwerbsdiskriminierung und ArbeitsschuEaspekte • „Frauenberufe: leichte Arbeit - niedrige Vergütung“
Defizite bei Gefährdungsanalyse, Arbeitsschutzmaßnahmen und betrieblicher Gesundheitsförderung
• Teilzeitarbeit, Minijob und Co.: „das bisschen Arbeit!“ „Halbtagsarbeit - bloß halb so anstrengend“ ? Teilzeit-typische Stressfaktoren und physische Belastungen • Aufstiegs- und Führungspositionen Gender-Rollenzuschreibung als Belastungsfaktor • Schwangerschaft und Mutterschutz Nr.-1-Frauenthema für den traditionellen Arbeitsschutz : „Am einfachsten lösbar durch Beschäftigungsverbot“ ?
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Atypische / Prekäre Beschäftigung: Gesundheitsrisiken im Blick? Minijob, Befristung, Leiharbeit, Werkvertrag, Cloud-, Crowd- und Click-Working: • Klassische (physische) Risikofaktoren auch hier • Besonders ausgeprägt, besonders ignoriert: Stress und psychosoziale Risikofaktoren + Tätigkeit + mangelnde betriebliche Einbindung und Sichtbarkeit + mangelnde Anerkennung und Perspektive Außen vor bei Prävention und Gesundheitsförderung Neue Arbeitsformen: da muss man/frau halt selbst aufpassen ... ?
Überall bei Erwerbsdiskriminierung spielen physische und psychische Arbeitsbelastungen mit eine Rolle Gendersensibler Blick im Arbeits- und Gesundheitsschutz: Prämisse für Geschlechtergerechtigkeit
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Entgelt(un)gleichheit - Wechselwirkungen mit Arbeitsund Gesundheitsschutz „Für gleiche Arbeit/gleiche Anforderungen bekommen Frauen den gleichen Lohn ... und gleichwertigen Gesundheitsschutz“ ? Niedriglöhne für Frauentätigkeiten: in Korrespondenz zum Irrglauben geringerer Arbeitsbelastungen Frauen im Minijob - Arbeitskraft, die wenig kostet: Warum soll der Betrieb in sie investieren • mit Qualifizierung • mit Prävention und betrieblicher Gesundheitsförderung?
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Lohndiskriminierung macht krank DIW-Studie von Falk et al. (2012), Cardiovascular Consequences of Unfair Pay Kernaussage: Lohndiskriminierung ist ein psychischer Belastungsfaktor, der zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen beiträgt Schunck et al. (WSI-Mitt. 8/2013), Macht Ungerechtigkeit krank? Gesundheitliche Folgen von Einkommens(un)gerechtigkeit Beide Studien differenzieren ihren Forschungsansatz nicht nach Geschlecht! „Gratifikationskrisen“-Modell von J. Siegrist: nur Männer im Fokus
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ArbeitsschuEaspekte bei Arbeitsaufgabe und -‐‑inhalt
• Ganzheitliche Aufgabe bis zum Ergebnis? Oder Teilaufgabe? • Handlungsspielraum in punkto Arbeitsinhalt, Umfang und Vorgehensweise? Eigenverantwortlich? • Arbeitsintensität, -menge? • Abwechslungsreich oder monoton-repetitiv? • Unter oder über den eigenen Qualifikations-Level? • Emotionale Beanspruchung? • Risiko physischer oder psychischer Übergriffe/Gewalt? Aus Genderperspektive vielfältige Unterschiede erkennbar
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Gendersensible Gefährdungsbeurteilung Analyse der Anforderungen und Belastungen aus Arbeitsschutz-Sicht: • physisch • psychosozial
Genderrelevante Kriterien bei Gefährdungsbeurteilung: auch relevant für gerechte Arbeitsbewertung + Entgeltsysteme
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Gender-‐‑Sicht auf klassische physikalische Belastungen • Heben und Tragen: Beispiele folgen • Lärm - Risiko vor allem an Männerarbeitsplätzen? - klassisch: „laut“ (ab 85 dB): Baustelle, industrielle Produktion - „extraauraler“ Lärm: stressinduzierend; z.B. Kita, Call-Center • Monotone, einseitig-repetitive Arbeit: Feinmechanik, Elektrotechnik (Frauenbranchen); einseitige PC-Arbeit: Kraftverausgabung, zugleich psychisch belastend • Ergonomie: am Fließband, auf dem Bau - dagegen in Kita, in der Pflege? • Gefahrstoffe, Strahlung: spezifische Frauenrisiken bei Schwangerschaft - auch mit psychosozialem Stress verbunden
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Heben und Tragen: „Schwere Männerarbeit -‐‑ leichte Frauenarbeit“ ? Produktionssektor: • Deckenverschaler auf der Baustelle: 2,9 to pro Schicht • Frauen in Molkereiproduktion beim Verpacken von Joghurtbechern auf Paletten 7,3 to Pflegekräfte: höhere Rückenbelastung als Bauarbeiter, mehr Muskel- und Skeletterkrankungen Ebenso bei der Post im Paketdienst BAuA-Studie Berufsspezifische Muskel- und Skeletterkrankungen: In den 10 Berufen mit den höchsten Risiken arbeiten mehr Frauen als Männer 12
Betriebliche Gesundheitsförderung -‐‑ GKV-‐‑Pflichtaufgabe:
„Eine gewisse Konzentration der betrieblichen Gesundheitsförderung auf männliche Beschäftigte schafft einen Ausgleich zum individuellen Ansatz, der vorwiegend von Frauen in Anspruch genommen wird.“ Präventionsbericht 2011 des GKV-Spitzenverbandes
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Bilder sagen mehr als Worte ... Muskel- und Skeletterkrankungen, Nr. 1 der Fehltage, waren 2013 bei den gesetzlichen Krankenkassen Schwerpunktthema für betriebliche Gesundheitsförderung Auf Männer zielende Illustrationen/Blickfänge: • Titelbild GKV Präventionsbericht 2013: Männer im Blaumann in der Werkshalle bei der Rückengymnastik Oder so, auch nicht gendergerecht: • Titelbild BKK Gesundheitsreprt 2013: heißer Blickfang Kunstturnerin im Bewegungsablauf, knapper Dress, viel nackte Haut
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Neues Thema Stress und psychische Belastungen Mehrheit der Beschäftigten betroffen - „Frauenthema“ (?): • Termin-und Leistungsdruck: VZ-beschäftigte Frauen und Männer etwa gleich (56 bzw. 55 %); TZ-Beschäftigte unter 20 Std. deutlich stärker: 65 % • Multitasking, Störungen und Unterbrechungen, Arbeitshetze: betreffen 37 - 67 % aller Beschäftigten; Frauen in VZ jeweils um 8 bis 12 Prozentpunkte stärker als Männer • Monotonie, kein Handlungsspielraum: Frauen in Teilzeit mehr betroffen als jede andere Gruppe(75 %) • Führungskräfte-Stress: Frauen Multitasking und Störungen, Männer Verantwortung und Leistungsdruck • Atypisch Beschäftigte: mehr Stress (nicht allein Angst um Arbeitsplatz) Stressreport 2012; SuGA-Berichte des Bundesarbeitsministeriums 15
Geschlechterrollen und psychische Belastung Gender matters. Zum Beispiel: • Stark fordernde Emotionsarbeit bei unzureichenden Ressourcen • Gewalt, sexuelle Belästigung • Traumatisierende Arbeitsaufgaben (Männer, Frauen) • Rollenzuweisungen sichern Geschlechterhierarchie • Verweigerte Anerkennung/Wertschätzung • Prekäre Jobs „Frauen bevorzugt“ Geschlechterrollen: • Belastend, vor allem, wenn sie beständig die Arbeit prägen • Können ab und zu situativ entlastend sein 16
Folgen psychischer Belastungen
Belastungsempfinden – das, was krank macht: Zwei Drittel der Frauen, weniger als die Hälfte der Männer äußern Gesamtempfinden „stark belastet“ Fehlzeiten, Berufswechsel, Frühberentungen: • Arbeitsunfähig krank: „Psyche“ dritthäufigster Grund, Verdoppelung zwischen 2001 und 2012 Frauen höherer Prozentsatz, Diagnosen „geschlechtstypisch“ Männer weniger AU-Fälle, andere Diagnosen (andere psychische Krankheitsbilder, oder „verdeckte“) - Fehlzeitenanstieg auch bei Männern • Berufswechsel/-abbruch: Pflege, Kita weniger als 10 Jahre im Beruf • Frühberentungen: Anstieg 2001 - 2012 von 26 auf 42 % (Frauen 49 %; Männer 36 %) - besonders Gesundheits-/Pflege-/Erziehungsberufe
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Bilder sagen mehr als Worte ... Stress und psychische Erkrankungen/Fehlzeiten inzwischen (2013/2014) Nr. 3 bzw. Nr. 2 der Fehltage, Frauen im Vergleich zu Männern fast doppelt so stark betroffen Bei den gesetzlichen Krankenkassen aktuell das Nr.-1-Thema • DAK Gesundheitsreport 2014 „Rushhour des Lebens“ : Männer und Frauen zwischen 25 und 35 - Doppelbelastung Karriere und Kind. Bericht differenziert nicht nach Betroffenheit von Frauen und Männern; Titelbild zeigt einen jungen Mann und eine junge Frau auf der Startposition für den Sprint - gleiche Startchancen?? • Gendergerecht dagegen Titelbild des TK-Reports 2013 „Zur Stresslage der Nation“: junge Karrierefrau mit 6 Armen, mit denen sie Notebook, Aktentasche usw. hält, zu ihren Füßen ein Kind 18
Genügt es, wenn Vereinbarkeit von Beruf und Familie unterstüEt wird?
Unverzichtbar für gesunde Arbeitsbedingungen • Flexible Arbeitszeiten: Balance Beruf und Privatleben • Unterstützung bei Kinderbetreuung und Pflege von Angehörigen Blick auf Geschlechterunterschiede bei Belastungen zeigt allerdings • Alle Arbeitsschutz-Aspekte sind genderrelevant • Fokussierung auf Männerberufe und klassische („männertypische“) Gefährdungsfaktoren muss überwunden werden
Viel zu tun für die Akteure des Arbeits- und Gesundheitsschutzes Marianne Weg
Geschlechtergerechtigkeit: Auftrag für die geseElichen Akteure des Arbeits-‐‑ und GesundheitsschuEes • Die betrieblichen und institutionellen Arbeitsschutz-Akteure: Arbeitgeber, staatliche Aufsichtsbehörden, Unfallversicherungsträger • Politikaufgabe für die Ebenen von EU, Bund und Ländern: Gender-Ziele und –Maßnahmen explizit in die ArbeitsschutzRechtsvorschriften einarbeiten, Umsetzung steuern Methode: Gender Mainstreaming • Forschung und Präventionsprogramme: Gender-Ziele und Methoden - Gender Budgeting
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Arbeits-‐‑ und GesundheitsschuE: Thema für die Gleichstellungspolitik Kritik der Frauenpolitik: „Arbeitsschutz nicht Schutz der, sondern Schutz vor der weiblichen Arbeitskraft!“ Beispiel Mutterschutzvorschriften im der Praxis Gleichstellungspolitischer Nachholbedarf - Aufgabe und Auftrag für die Frauen- und Gleichstellungspolitik • Irrtum „Arbeitsschutz ist geschlechtsneutral“ aufklären • Neue politische Aufmerksamkeit - Agenda-Setting • Genderkompetenz: neuer Blick - neue Wege aufzeigen 21
Bilder sagen mehr als Worte Zur Illustration: dem Leipziger Hauptbahnhof: • Foto der Skulpturengruppe auf 3 Männer tragen auf ihren Schultern den Erdball: bedeutende (Männer)Aufgabe, mit athletischer Kraft ausgeführt, aus Arbeitsschutzsicht („Heben und Tragen“) äußerst ungesund, rückenschädigend ... Altes Bild von Männerarbeit und Belastungen - auch heute noch weithin bestimmend • Frauen-Sicht - neue Wege: Marie Marcks „Roll doch das Ding, Mann“
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Genderperspektive im Arbeits-‐‑ und GesundheitsschuE entwickelt sich ... langsam EU-Ebene • Vorgaben zu Gender Mainstreaming seit 1996 • EU-Gemeinschaftsstrategien für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz seit Programm 2002 - 2006 auch Gender-Ziele und Vorgaben; aber Programm 2014 - 2020 Rückschritt • Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit: Publikationen zu Gender Mainstreaming mit good practice Beispielen, Arbeitshilfen Deutschland: • GMFK 2011 und 2012: Berichte und Beschlüsse • Arbeits- und Sozialministerkonferenz 2012: Beschluss und eine Gender-Informationsschrift für die Arbeitsschutzbehörden • Gewerkschaftsfrauen ver.di, DGB, IG BCE • LAG‘s der Gleichstellungsbeauftragten NRW, Hessen 23
Funktion und Rolle der Gleichstellungsbeauftragten Arbeitsbedingungen gendersensibel verbessern: • • •
Belastungen und Beanspruchungen an frauenspezifischen / männerspezifischen Arbeitsplätzen Relevanz tradierter Geschlechterrollen für psychische Belastungen thematisieren Auf Verhaltensebene und bei den Verhältnissen geschlechtergerechte Maßnahmen für Belastungsabbau, Gesundheitsförderung, Prävention
Unterstützung durch die Genderkompetenz der GB: Anregungen geben, sich beteiligen, die Verantwortlichen - Führungskräfte, Fachkraft für Arbeitssicherheit, Betriebsarzt, Arbeitsschutzausschuss - unterstützen. Nicht weniger, aber auch nicht mehr!
Fazit Gendersensibler Arbeits- und Gesundheitsschutz Gleichstellungspolitisch unverzichtbar • um den geschlechtersegregierten Arbeitsmarkt insgesamt fortzuentwickeln in Richtung Geschlechtergerechtigkeit, • besonders für die Durchsetzung von Entgeltgleichheit und Kontinuisierung weiblicher Berufsbiographien Arbeitsschutzpolitisch unverzichtbar • weil der gesetzliche Auftrag, sichere und gesunde Arbeitsbedingungen zu schaffen, für alle eingelöst werden muss - für Frauen gleichermaßen wie für Männer • weil Wirksamkeit und Passgenauigkeit mit Gender Mainstreaming gesteigert werden. 25
Literatur- und Linktipps Zum gesamten Themenspektrum und politischen Perspektiven Marianne Weg, Brigitte Stolz-Willig (Hg.), Agenda Gute Arbeit - geschlechtergerecht, Hamburg 2014. Website der Arbeitsschutzbehörde Hamburgs zu Gender Mainstreaming im Arbeitsschutz mit vielen Downloads, zum Beispiel die Beschlüsse und Berichte der Gleichstellungs- und FrauenministerInnenkonferenz 2011 und 2012 zu diesem Thema http://www.hamburg.de/praxiskonzepte-startseite/3981508/gender-mainstreaming.html Brandenburg/Endl/Glänzer/Meyer/Mönig-Raane (Hg.), Arbeit und Gesundheit: geschlechtergerecht?! Präventive betriebliche Gesundheitspolitik aus der Perspektive von Männern und Frauen, Hamburg 2009 Thema „Gender und psychische Belastungen“ Michael Gümbel, Sonja Nielbock, Arbeitsbedingungen beurteilen - geschlechtergerecht. Gender Mainstreaming in der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen“, 2. überarbeitete Aufl. 2014 von Sujet Organisationsberatung, Hans-Böckler-Stiftung und Gewerkschaft ver.di http://www.sujet.org/download/E_Broschuere_Gender_Stress.pdf Haislah (2012), Stressreport 2012 http://www.baua.de/de/Publikationen/Fachbeitraege/ Gd68.html Thema „Mutterschutz“: Broschüre der DGB-Frauen, Was heißt denn hier Mutterschutz? 2015 http://frauen.dgb.de/themen/++co++cfad20ba-ad3c-11e4-8716-52540023ef1a
Marianne Weg, Wiesbaden
www.marianne-weg.de