Worauf es ankommt, ist die richtige Balance zwischen Leistung und Entspannung

Dezember 2007 DAS MAGAZIN DER ALEXIANER-EINRICHTUNGEN Worauf es ankommt, ist die richtige Balance zwischen Leistung und Entspannung Menschen „lesen...
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Dezember 2007

DAS MAGAZIN DER ALEXIANER-EINRICHTUNGEN

Worauf es ankommt, ist die richtige Balance zwischen Leistung und Entspannung

Menschen „lesen“ lernen Gestik und Mimik sind für Autisten eine Fremdsprache Diagnose Brustkrebs Die immer bessere Frühdiagnostik kann Leben retten

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E D I T O R I A L / I N H A LT

THERAPIE

4 Menschen „lesen“ lernen · Gestik und Mimik sind für Autisten eine Fremdsprache

28 Gewalt, Unfall, Angst · Wenn schon ein junger Mensch Schlimmes verkraften muss. Hilfe für Kinder und Jugendliche nach traumatischen Erlebnissen

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6 Stottern. Das Schlimmste ist die Angst davor MEDIZIN

Liebe Leserinnen und Leser, „Wir dürfen keine Zeit verlieren“, da sind sich Arbeitgeber und Politiker oft einig. Zumal Zeit Geld ist … Keine Sorge, ich werde jetzt keinen Monolog über effizientes Zeitmanagement halten. Im Gegenteil: Das Thema Zeitmangel oder Zeitdruck spielt gerade heutzutage eine große Rolle. Wer permanent auf Hochtouren läuft, nonstop arbeitet und soziale Kontakte vernachlässigt, läuft Gefahr, auszubrennen. Immer mehr Menschen unterschiedlicher Berufssparten leiden unter dem sogenannten Burnout-Syndrom. Und dann? Nur Auszeiten und Atempausen schaffen ein Gleichgewicht zwischen Leistung und Entspannung. Lesen Sie mehr dazu in unserer Titelgeschichte. Der Kommunikationswissenschaftler und Psychoanalytiker Paul Watzlawick stellte wichtige Grundregeln der Kommunikation auf. Eine seiner Thesen: „Man kann nicht nicht kommunizieren …!“ Gilt das auch für Menschen, die an Autismus leiden und in ihrer eigenen Welt leben? Einer Welt, die es dem Betroffenen schwer oder unmöglich macht, soziale Kontakte aufzubauen? Beschäftigt man sich mit Autismus, wird deutlich, dass Autisten ihr Gegenüber wie eine „Fremdsprache“ lernen müssen. „Menschen lesen lernen“ – so lautet deshalb auch der Titel des interessanten Artikels über Hintergründe des Autismus auf Seite 4. Mit der letzten Ausgabe für dieses Jahr wünsche ich Ihnen ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein gutes neues Jahr 2008. Und denken Sie daran: Gönnen Sie sich Atempausen. Ihr Körper, Ihr Geist und Ihre Seele werden es Ihnen danken!

7 Diagnose Brustkrebs · Die immer bessere Frühdiagnostik kann Leben retten

ORDENTLICHES

10 Freiräume schaffen · Welche Aufgabe hat die Seelsorge heute? Was ist anders als früher? Und wie wird Seelsorge in Einrichtungen wie denen der Alexianer in Zukunft gelebt werden?

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TITEL

12 Auszeit · Burnout vermeiden: Worauf es ankommt, ist die richtige Balance zwischen Leistung und Entspannung

IM BLICK

18 Kein Dach über dem Kopf · Das Wohnhotel der Alexianer in Aachen

BRENNPUNKT

19 Kinder haben große Ohren · Streit und Missstimmung in

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der Familie gehen selten ungehört an Kinderohren vorbei. Bei einer Trennung benötigen Kinder klare Botschaften – und viel Verständnis

GESUND BLEIBEN

22 Placebos – Ein Wundermittel? · Wie positive Erwartungen die Selbstheilungskräfte unseres Körpers in Gang setzen

RÄTSEL

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24 K U R Z N O T I E RT

25 Aufge-lesen · Seelische Erkrankung, Religion und Sinndeutung Online-Sucht ist weit verbreitet Immer mehr Menschen sind auf Lebensmittelspenden angewiesen

V O R O RT

26 Modellhaftes Altenhilfe-Projekt in dörflicher Struktur · ·

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Hilfen bündeln: Die Integrierte Versorgung · · Medizinische Zentren auf dem Vormarsch · · Trainingsprojekt „Arbeit nach Maß – Maßarbeit“ · · REHA vernetzt · · Gemeinsam mehr erreichen

Ihr

V O R G E S T E L LT

30 Auf den Geschmack gekommen · Ein Alexianer-Projekt mit Pfiff: Buffetservice „Culinaria“ integriert psychisch behinderte Menschen in die Arbeitswelt

Bruder Benedikt M. Ende C.F.A. Provinzial der St. Alexius-Provinz

IMPRESSUM

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THERAPIE

ie Alexianer-Klostergärtnerei in Köln-Porz ist ein angenehmer Arbeitsplatz. Liebevoll dekorierte Verkaufsräume voller Menschen, bunte Gewächshäuser und helle Hallen, in denen Mitarbeiter Pflanzen und Gefäße vorbereiten. Dirk Hofmanns Lieblingsaufgabe dort ist es, Flüssigdünger in Kunststoffflaschen abzufüllen. Dazu arbeitet er in einer abgelegenen Ecke, „wo nicht so viele Leute sind“. Während er uns mit den Abläufen des Betriebes vertraut macht, möchte ich ihm Fragen stellen. Doch das muss warten, weil wir erst alle Hallen in aufsteigender Zahlenfolge besichtigen. Dirk Hofmann ist 38 Jahre alt und Autist.

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Fremdsprache Körpersprache Autismus ist keine Erkrankung im üblichen Sinne. Es gibt keine Blut- oder Hirnuntersuchungen, mit deren Hilfe die Diagnose eindeutig gestellt werden kann. Die Symptome sagen dem Experten, dass eine Störung aus dem autistischen Formenkreis vorliegt. Das kann vieles heißen: Frühkindlicher Autismus,

Menschen

„lesen“ lernen

Gestik und Mimik sind für Autisten eine Fremdsprache autistische Störung, autistisches Syndrom, Asperger-Syndrom, High-functioning-Autismus und atypischer Autismus sind mögliche Bezeichnungen für eine Behinderung, die vor allem bedeutet, dass es dem Betroffenen schwer bis unmöglich ist, in engen, gefühlsbetonten sozialen Kontakt mit seiner

Umwelt zu treten. „Autismus ist keine leichte Behinderung, sondern eine tief greifende Entwicklungsstörung mit massiven Beziehungs- und Kommunikationsdefiziten“, erklärt die stellvertretende Leiterin des Autismus-Therapiezentrums Köln, Ursula Franke. Der Erkrankung liegen komplexe Störungen des zentralen Nervensystems zugrunde, insbesondere im Bereich der Wahrnehmungsverarbeitung. Mit 16 Kollegen arbeitet Franke in einem interdisziplinären Team, das Klienten ab dem Alter von drei Jahren therapiert. Elterngespräche nehmen einen großen Teil davon ein. „Die Eltern sind der Schlüssel zu einer erfolgreichen Therapie, die zu Hause weitergeht“, weiß Franke.

Leben in Grenzen Dirk Hofmann leidet am Asperger-Syndrom, einer Form von Autismus, bei der

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die sprachlichen Fähigkeiten des Betroffenen weder eingeschränkt noch verzögert vorhanden sind. „Asperger“ können bis zu 60 verschiedene Symptome zeigen, ein typisches Krankheitsbild gibt es aber nicht. Hofmann weiß, dass er „im Zwischenmenschlichen Schwierigkeiten“ hat, wie er sagt. „Ich kann die Körpersprache anderer Menschen schwer einschätzen.“ Das erlebt er täglich: „Ich hätte gern eine Ausbildung als Computerelektroniker gemacht. Da wurde leider nichts draus. Im ersten Modul waren soziale Kompetenzen gefragt. Auf einmal sagte man mir, dass ich dort nicht bleiben könne. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel kam das.“ Seit zehn Jahren arbeitet Hofmann jetzt auf einem Dauerarbeitsplatz bei den Alexianer-Service-Betrieben. Am liebsten arbeitet er im Technischen Dienst, wird aber auch in der EDV und in der Gärtnerei eingesetzt. Er möchte eine ruhige Tätigkeit, zu monoton darf sie aber nicht

Kontakt & Info

THERAPIE

Autismus-Therapiezentrum Köln www.autismus-koeln.de

sein. Ganz am Anfang falzte er in der Verpackungsabteilung Kartons und beklebte eine „Herzuhr“ im Auftrag des Bayer Werks Leverkusen. Die Zeit verging nur langsam, und er ließ sich leicht ablenken. Zum Beispiel vom Radio. „Das ist nichts für mich, dann komme ich auf dumme Gedanken und werde laut. Ich habe viel über Hitler-Filme aus dem Geschichtsunterricht an der Abendschule erzählt“, erklärt er pragmatisch und unbewegt, während er abwechselnd rechts und links an mir vorbeischaut. Hofmann mag Radfahren, Musik, Sauna und Elektroteile löten, hört die Doors, die Rolling Stones und die Beatles. Er lebt allein in seiner Wohnung in Wuppertal und legt den Weg zur Arbeit jeden Tag mit Bahn und Bus zurück. Viele Umgangsformen und soziale Gesten beherrscht er perfekt und versucht, Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen. Was das im Alltag heißt, erklärt er kurz und knapp: „Manchmal stoße ich direkt an meine Grenzen. Manchmal ist ein bisschen Luft.“ Ganz am Ende unseres Gesprächs lacht er einmal laut und wirkt nicht mehr so „anders”. Man könnte ihn fast für nur schüchtern halten.

„Schüchterne Menschen verstehen die sozialen Regeln aber und trauen sich nur nicht, sie anzuwenden“, erklärt Ursula Franke. „Menschen mit Asperger-Syndrom würden sich trauen, sie anzuwenden, verstehen sie aber nicht. Für sie ist es viel Arbeit, durchs Leben zu kommen. Von außen betrachtet wirken sie häufig sozial verarmt, sind es aber nicht. ‚Ich muss dich lernen wie eine Fremdsprache’, sagte mir ein Kind mal. Tatsächlich ist Kommunikation bei Autisten immer auffällig. Bei manchen Störungsformen fehlt sie auch ganz.“

Ursache und Wirkung Weshalb das Asperger-Syndrom vermehrt bei Männern auftritt, ist nicht bekannt. Möglicherweise äußert es sich bei Frauen durch ihre andere Sozialisation teilweise unauffälliger oder sie können es aufgrund sozialerer Verhaltensmuster, Nachahmung oder Schauspielerei besser überspielen. Auch über die Ursachen der Störung sind sich die Experten im Unklaren. Vermutet wird unter anderem, dass ein hoher Testosteronspiegel

Selbsthilfeorganisation von Menschen im AutismusSpektrum www.aspies.de

im Mutterleib ein extrem männliches Gehirn verursacht, was auch die große Zahl betroffener Männer erklären würde. In jedem Fall wird davon ausgegangen, dass mehrere Faktoren zusammenspielen. Für genetische Ursachen sprechen familiäre Anhäufungen von Autismus. Ein höheres Alter des Vaters könnte ein Auslöser sein. Manche Autisten weisen von der Norm abweichende Hirnstrukturen auf. Ob die aber Ursache oder Folge sind, weiß niemand. Die ebenfalls von der Norm abweichende autistische Wahrnehmung hat jedenfalls ein „seltsames“ und oft verschroben wirkendes Verhalten zur Folge. „Da sitzen oft ganz nette Menschen vor mir, deren Hilflosigkeit einem manchmal selbst weh tut“, sagt Ursula Franke. „Hier braucht es keine neuen Sozialgesetze, sondern Integration.“ Dirk Hofmann sieht das ähnlich. Er wünscht sich mehr Toleranz von seinen Mitmenschen. Und Geduld. (ck)

Was ist Autismus? Mehr als ein Prozent der Bevölkerung leiden an einer Störung aus dem autistischen Formenkreis. Jungen sind dreibis viermal häufiger betroffen als Mädchen. Autismus tritt in verschiedenen Schweregraden und oft in Kombination mit anderen Behinderungen und Krankheiten auf, zum Beispiel dem Tourette-Syndrom oder einer Epilepsie, mit Chromosomenanomalien und Aufmerksamkeitsdefizits- und Hyperaktivitätsstörungen. Etwa 70 Prozent der autistischen Menschen sind geistig behindert. Rückschlüsse auf die Intelligenz von Autisten aufgrund der Störung können aber nicht ohne Weiteres gezogen werden. Je nach Ausprägung sind sie ebenso normal, über- oder unterdurchschnittlich begabt wie andere auch.

Das Vollbild der Störung zeigt sich nach den internationalem Klassifikationssystemen ICD 10 und DSM IV in einer qualitativen Beeinträchtigung der zwischenmenschlichen Beziehungen, schwerer Beeinträchtigung der Kommunikation und der Fantasie, deutlich eingeschränkten Interessen sowie dem Entwickeln von stereotypen Verhaltensmustern (wie viele es aus dem Film „Rain Man“ mit Dustin Hoffman kennen) sowie einem Auftreten der Symptome im Verlauf der ersten 36 Lebensmonate. Lesetipp: Charlotte Moore: Sam, George und ein ganz gewöhnlicher Montag. Mein Leben mit zwei autistischen Kindern, Goldmann Verlag 2004 Ein guter Tag ist ein Tag mit Wirsing: Das Asperger-Syndrom aus der Sicht einer Betroffenen, Weidler Buchverlag Berlin 2007

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Stottern. Das Schlimmste ist die Angst davor Marilyn Monroe, Winston Churchill, Bruce Willis – wer stottert, ist in bester Gesellschaft. Doch das Schlimmste am Stottern ist die Angst davor. Da bestellt jemand im Bäckerladen vier Brötchen, obwohl er nur drei will, aber die „Vier” besser aussprechen kann. Doch Wortvermeidungen wie diese erzeugen statt Erleichterung beim Betroffenen eher Selbstvorwürfe, Scham und Resignation. Schlimmstenfalls führt das Verhalten in die soziale Isolation. Rund fünf Prozent aller Kinder und Jugendlichen sind zumindest zeitweise von der Sprechbehinderung betroffen. In Deutschland stottern 800.000 Männer und Frauen. Stottern besteht aus Unterbrechungen des Redeflusses in Form von Blockaden, Wiederholungen von Wortteilen und Dehnungen. Häufig ist das Sprechen mit einer übermäßigen Anstrengung verbunden, die in

Verkrampfungen der Gesichtsmuskulatur oder in zusätzlichen Bewegungen von Kopf, Arm oder Oberkörper sichtbar wird. Im Moment des Stotterns weiß der Stotternde genau, was er sagen möchte, ist aber nicht in der Lage, es störungsfrei herauszubringen. Keine zwei Menschen stottern auf dieselbe Art und Weise, die Sprechbehinderung ist individuell sehr unterschiedlich ausgeprägt. Im Gespräch mit Stotternden gelten die gleichen „Spielregeln“ wie für jede andere Unterhaltung: Ausreden lassen, zuhören, Blickkontakt halten. Nicht, wie gesprochen wird, sondern was gesagt wird, ist wichtig.

Von Vorurteilen und Missverständnissen Leider kursieren noch immer zahlreiche Vorurteile über das Stottern. Von mangelnder Intelligenz und psychischen Störungen ist dabei die Rede. Missverständnisse, die den Leidensdruck verstärken, den viele stotternde Menschen tagtäglichen erleben. Stottern ist eine organisch bedingte Sprechbehinderung und hat nichts mit Dummheit, neurotischem Verhalten oder falscher Erziehung zu tun. Forschungsergebnisse führen Stottern unter anderem auf eine neurophysiologische Störung in der linken Gehirnhälfte zurück. Die Sprachregionen, die für Planung und Ausführung des Sprechens zuständig sind, arbeiten nicht richtig miteinander. Für Stotternde selbst sind die Ursachen weniger wichtig. Entscheidender ist für sie, die Angst vorm Sprechen abzubauen und den souveränen Umgang mit dem Stottern zu lernen, beispielsweise in einer Selbsthilfegruppe. Hier können sie Sprechtechniken üben und Erfahrungen austauschen. Die Teilnahme an einer Gruppe verbessert die Kontaktfähigkeit, stärkt das Selbstvertrauen und macht Mut, Stottern als eine „andere Art des Sprechens“ zu akzeptieren. Die wöchentlichen Treffen können eine professionelle Behandlung begleiten und

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dazu beitragen, Therapieerfolge zu stabilisieren. Eine Therapie kann in jedem Alter begonnen werden und führt fast immer zu einer Besserung.

Sofort reagieren Besonders Kinder und Jugendliche haben gute Chancen, das Stottern zu überwinden, wenn rechtzeitig eine qualifizierte Behandlung einsetzt. Beim Auftreten von Sprechunflüssigkeiten sollten Eltern daher nicht abwarten, sondern sich informieren, ob und wann weitere Schritte angezeigt sind. Um die Lebenssituation stotternder Menschen zu verbessern und dem Entstehen von Stottern entgegenzuwirken, wurde 1979 die Bundesvereinigung Stotterer-Selbsthilfe e. V. ins Leben gerufen. Zu ihr gehören heute acht Landesverbände sowie rund 60 Stotterer-Selbsthilfegruppen. Neben der Förderung der Selbsthilfe fungiert die Institution auch als einzige zentrale Informationsund Beratungsstelle zum Stottern in Deutschland. Text: Bundesvereinigung StottererSelbsthilfe e.V.

Kontakt & Info Informations- und Beratungsstelle Stottern Bundesvereinigung StottererSelbsthilfe e.V. Zülpicher Straße 58 50674 Köln Tel. (02 21) 1 39-11 06 E-Mail: [email protected] www.bvss.de

MEDIZIN

nung und Aufklärung ist das A und O. Mit gezielten und weniger belastenden Behandlungsmethoden sind die Aussichten, einen bösartigen Tumor erfolgreich zu behandeln, heute wesentlich höher als früher“, erklärt Dr. Hippach. In den meisten Fällen ertasten die Frauen eine auffällige Brustveränderung selbst und gehen zu spät oder gar nicht zum Arzt. Diese Vogel-Strauß-Mentalität kostet wertvolle Zeit – und manchmal auch das Leben. Hippachs Rat: Je früher die Behandlung, desto besser die Prognose. Um Brustkrebs zu erkennen, sind drei Methoden wichtig: Das Abtasten der Brust, die Ultraschalluntersuchung und die Mammografie. Das Abtasten der Brust nach der Menstruation ist für Frauen eine Möglichkeit, neben den ärztlichen Routineuntersuchungen, Auffälligkeiten selbst zu bemerken. Auch die Ultraschalluntersuchung kann Aufschluss über einen möglichen Tumor geben.

Bewährt: Die Mammografie

Diagnose

Brustkrebs Die immer bessere Frühdiagnostik kann Leben retten rustkrebs ist kein Tabuthema mehr. Prominente Frauen wie Rita Süssmuth übernehmen gern die Schirmherrschaft für Brustkrebsaktionen. Und die Pop-Sängerinnen Anastacia und Kylie Minogue, die selbst an Brustkrebs erkrankten, tragen dazu bei, dass sich auch junge Frauen mit dem Thema auseinandersetzen. Neue wissenschaftliche Studien und moderne Operationstechniken, die nicht zwangs-

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läufig auf eine Brustamputation hinauslaufen müssen, machen Hoffnung im Kampf gegen den Brustkrebs.

Früherkennung ist das A und O Dass Brustkrebs nicht tödlich verlaufen muss, weiß auch Dr. Michael Hippach (41) vom Brustzentrum Bassum des St. Ansgar Klinikverbundes im Landkreis Diepholz. Der Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe behandelt seit Jahren Brustkrebspatientinnen in der eigenen Praxis und betreibt gemeinsam mit dem St. Ansgar Klinikverbund das Brustzentrum Bassum. „Früherken-

Die Mammografie ist ein sehr sicheres Instrument. Diese Röntgenaufnahme hilft, auch sehr frühe Stadien zu erkennen, etwa wenn der Knoten nicht tastbar ist oder winzige Kalkpartikel ein Vorbote für Krebs sein können. Vor den Wechseljahren (circa vor dem 50. Lebensjahr) ist eine Mammografie nur in besonderen Situationen sinnvoll, ab dem 50. Lebensjahr ist eine Mammografie alle zwei Jahre empfohlen. Frauen, die familiär vorbelastet sind, sollten auch vor dem 40. Lebensjahr zur Kontrolle gehen. Seit 2007 läuft bundesweit das sogenannte Mammografiescreening, eine kostenlose Reihenuntersuchung für Frauen zwischen 50 und 69 Jahren. In der aktuellen Diskussion steht der Einsatz des Kernspintomographen als sicherstes Diagnoseverfahren. Das Dilemma: Die Kosten von 300 bis 400 Euro je Untersuchung werden von den gesetzlichen Krankenkassen nicht übernommen. Dr. Michael Hippach ist zudem skeptisch: „Diese Aufnahmen zeigen jegliche Veränderungen – auch unbedenkliche. Die Patienten werden unnötig geängstigt, und manche Operationen sind unnötig.“ Bei einer Krebserkrankung geht es um die unkontrollierte Teilung von Zellen

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MEDIZIN

eines Organs oder Gewebes. Daraus entsteht dann mit der Zeit ein Tumor (Knoten), der bei einer Brustkrebserkrankung „Mammakarzinom“ heißt, wenn er „bösartig“ wird. „Bösartig“ sind Tumore, die ihre natürlichen Gewebegrenzen überschreiten und in das Nachbargewebe eindringen. Dadurch besteht die Gefahr, dass sie umliegendes Gewebe zerstören, in Blutbahnen und Lymphgefäße und so unter Umständen auch in andere Organe eindringen. Im ungünstigsten Fall entstehen Tochtergeschwülste, also Metastasen. Die weibliche Brust besteht aus Drüsen-, Fett- und Bindegewebe. Die MuskulaVorbereitung auf die Operation: Bildgebende Verfahren geben einen Hinweis auf den Tumor.

tur liegt hinter der Brustdrüse auf dem Brustkorb auf. Bösartige Tumoren gehen fast immer vom Drüsenanteil der Brust aus. Die Ursachen für eine Brustkrebserkrankung sind nicht immer eindeutig. „Man muss das Krankheitsbild sehr differenziert betrachten“, erklärt Dr. Hippach, denn „jeder Tumor ist anders.“ Bei rund 50 Prozent aller Fälle sei die Ursache unklar, bei 10 Prozent gehe man von einer genetischen Disposition aus, die restlichen 40 Prozent führe man auf Faktoren wie Rauchen, Übergewicht, Alkohol, Bewegungsarmut und ungünstige Ernährung zurück. Diskutiert wird auch, inwieweit die Einnahme von Hormonen in den Wechseljahren das Brustkrebsrisiko beeinflussen kann.

Brustzentren: Neue Wege der Versorgung Dass der St. Ansgar Klinikverbund mit dem Brustzentrum Bassum eine wichtige Versorgungslücke im Landkreis Diepholz schließt, steht fest. Die Zertifizierung, die sich an den Anforderungen der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) und der Deutschen Gesellschaft für Senologie* (DGS) orientiert, ist für 2008 geplant. Anforderungen, die ein zertifiziertes Brustzentrum erfüllen muss, sind zum Beispiel jährlich eine hohe Anzahl an Brustkrebsoperationen insgesamt (über 100 primäre/neue Mammakarzinomfälle) und jährlich mindestens 50 Operationen je Operateur. Aber auch die enge Zusammenarbeit mit anderen Fachleuten aus Radiodiagnostik, Pathologie, Strahlentherapie oder Onkologie ist ein Muss für die Zertifizierung. „Wir sind auf einem guten Weg“, meint Dr. Hippach und betont neben der Wichtigkeit der medizinischen Betreuung auch die psychosoziale Komponente. Jede Patientin wird im Bassumer Brustzentrum während der gesamten Behandlungszeit von einer „eigenen“ Krankenschwester („breast nurse“) begleitet – auf allen Wegen innerhalb des Krankenhauses oder bei wichtigen Arztgesprächen. Benötigt eine Patientin psychologische Hilfe, gibt es in Bassum eine Psychoonkologin. Patientin Edelgard Heinze (64) fühlt sich gut aufgehoben im Brustzentrum: „Ich bin rundum gut aufgeklärt. Ich könnte hier auch gleich einen Brustaufbau * Senologie = Lehre von der weiblichen Brust

Psychoonkologie: Hilfe für die Seele Die Psychoonkologie befasst sich mit den psychischen und psychosozialen Belastungen und deren Bewältigungsmöglichkeiten bei Krebserkrankungen. Sie unterstützt die Patienten beim Prozess der Krankheitsbewältigung; es geht also um Entlastung und Anleitung zur Um- und Neuorientierung. Die vielfältigen Belastungen und Gefühle, die eine Krebsdiagnose auslöst, zum Beispiel Angst, Wut und Trauer, müssen bewältigt werden. Auch Angehörige und Freunde, die sich durch die Diagnose ebenfalls in einem Ausnahmezustand befinden, benötigen Unterstützung.

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Das Besondere bei einer Brustkrebserkrankung ist, dass – zusätzlich zur Krebserkrankung – weitere Belastungen durch die Bedrohung der weiblichen Identität hinzukommen. Wenn die Brust als „Teil“ der weiblichen Identität verletzt wird oder durch eine Amputation verloren geht, hat dies Auswirkungen auf das Körperbild und Körperempfinden. Oft wird das Selbstwertgefühl berührt. Konkret kann dies so aussehen, dass Patientinnen sich nicht mehr als „vollwertige“ Frauen fühlen. Die seelische Verarbeitung ist immer ein längerer Prozess.

„Besondere Momente in der Bewältigung sind der letzte Abend vor der Operation, das Abschiednehmen von der unversehrten Brust, der erste Kontakt mit der veränderten Brust, das Spüren des Verlustes, sich mit der verletzten Brust zu zeigen“, sagt Angelika Wilkening-Scheck, Psychoonkologin im Brustzentrum Bassum. In den Gesprächen geht die Psychoonkologin mit den Patientinnen in die Situation zurück, als sie ihre Diagnose bekommen haben. Wichtig ist dabei die Konzentration auf die Gegenwart und die aktuelle Situation. „Mir ist es wichtig herauszufinden, wo

MEDIZIN

machen lassen, aber mein Mann und ich haben uns dagegen entschieden. Eine weitere Operation wäre mir einfach zu viel“, erzählt sie. Dr. Norbert Grieb (57) ist Chefarzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie in der Klinik Bassum. Mit seinem Kollegen Hippach arbeitet er beim Brustaufbau Hand in Hand: „Nicht immer ist ein zusätzlicher Eingriff nötig. Wenn jedoch ein Großteil der Brust entfernt werden muss, ist für viele Frauen ein plastischer Wiederaufbau wichtig.“ In manchen Fällen kann Dr. Grieb direkt nach dem Eingriff des Kollegen weiteroperieren, das erspart eine weitere Narkose. Die Angst, dass Silikonimplantate für Krebspatientinnen gefährlicher sind als für gesunde Frauen, kann Chefarzt Grieb nehmen: „Die Gefahr eines Rückfalls ist nicht höher, wenn Implantate eingesetzt werden.“

Möglichkeiten der Therapie Mithilfe der Biopsie (Gewebeprobe), die der Arzt nach örtlicher Betäubung ambulant entnimmt, kann eindeutig festgestellt werden, ob es sich um einen gutoder bösartigen Tumor handelt. „Die optimale Therapie muss man individuell bestimmen. Häufig besteht sie aus einer Kombination von Chemotherapie, Bestrahlung, Immuntherapie und Hormontherapie“, sagt Hippach. Die lokale Therapie (Chirurgie und Strahlentherapie) beschränkt sich auf ein bestimmtes Körpergebiet, in dem Tumorzellen zerstört oder entfernt werden. Die systemische

Therapie (Chemo-, Immun- und Hormontherapie) verteilt sich im ganzen Körper, meist über den Blutkreislauf. Eines steht für den Frauenarzt und onkologisch verantwortlichen Arzt Hippach fest: „Es gibt nie nur den einen Weg. Man darf den Kopf nicht in den Sand stecken. Wir haben Patientinnen, die trotz Metastasen noch nach Jahren leben.“ Für Patientin Elke Hinze** ist das ein großer Trost. Sie ist erst zum Arzt gegangen, als die Tumoren schon äußerlich sichtbar waren. „Du kannst es nur schaffen, wenn Du Unterstützung in der Familie hast und die Chemie zwischen Arzt und Patient stimmt. Bei beidem hatte ich Glück“, resümiert sie. (bel)

Nachricht aus der Pathologie: Zehn Minuten nach dem Eingriff erfährt Dr. Hippach, ob noch restliches Gewebe befallen ist oder der Tumor komplett entfernt wurde.

Kontakt & Info Deutsche Krebshilfe Tel. (02 28) 7 29 90-0 www.krebshilfe.de Deutsches Krebsforschungszentrum Heidelberg www.krebsinformationsdienst.de St. Ansgar Klinikverbund Brustzentrum Bassum Tel. (0 42 41) 81-0 www.brustzentrum-bassum.de

** Name von der Redaktion geändert

Zahlen und Fakten die Kräfte herkommen können, um die Krankheit bewältigen zu können“, verdeutlicht sie. Auch Selbsthilfegruppen sind ein wichtiger Bestandteil der psychologischen Betreuung. Die Begleitung der Patientinnen dauert unterschiedlich lange. Einige Patientinnen nutzen die Therapie nur während der Chemotherapie und während der Bestrahlung. Vereinzelt geht die Behandlung aber auch weit über die Anschlussheilbehandlung hinaus. (beu)

Brustkrebs ist in Deutschland und anderen Industrienationen die häufigste Krebserkrankung bei Frauen. In den letzten 20 Jahre stieg in Europa die Häufigkeit der Erkrankungen an, dabei sank jedoch gleichzeitig die Sterblichkeitsrate.

Etwa 40 Prozent der erkrankten Frauen sind jünger als 60 Jahre. Dass auch bei jüngeren Frauen heute häufiger Brustkrebs entdeckt wird, liegt unter anderem an einer besseren Frühdiagnostik.

Laut aktueller Studien von 2002 erkranken in Deutschland rund 55.100 Frauen jährlich an Brustkrebs, davon haben etwa 70 Prozent eine gute Prognose, den Krebs zu überleben. Dank differenzierter Frühdiagnostik steigt die Tendenz, den Brustkrebs erfolgreich zu behandeln, weiter an.

Rund drei Viertel aller Brusttumoren sind gutartig.

Auch Männer können erkranken, pro Jahr gibt es rund 400 Fälle.

Quellen: Deutsches Krebsforschungszentrum Heidelberg (2006), DAK Hamburg (2005)

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ORDENTLICHES

Freiräume schaffen Welche Aufgabe hat die Seelsorge heute? Was ist anders als früher? Und wie wird Seelsorge in Einrichtungen wie denen der Alexianer in Zukunft gelebt werden? ls Mitarbeitende in der Seelsorge müssen wir uns Gedanken machen, wie Glaube und Spiritualität auch heute in unseren Häusern erfahrbar werden können“, formuliert Peter van Elst die zentrale Anforderung. Gemeinsam mit Provinzial Bruder Benedikt, Georg Edelbrock und Pfarrerin Sabine Mentzel kümmert sich der 45jährige Diplom-Theologe seit vielen Jahren um den Bereich Seelsorge am Alexianer-Krankenhaus Münster.

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Ähnlich wie an den anderen AlexianerStandorten nehmen Patienten, Bewohner und auch Mitarbeiter das Wirken der Seelsorger auf eine sehr vielschichtige Art und Weise wahr. Die Seelsorger gestalten Gottesdienste und Kirchenfeste, begleiten Patienten und Bewoh-

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ner in Krisen und Glaubensfragen, sind der erste Ansprechpartner bei Sterbefällen und Trauer oder kümmern sich um die Belange der Bewohner und deren Integration in die Gemeinde.

Blick zurück … „Doch dies ist eben nur eine Seite unserer Arbeit“, sagt van Elst. Denn genauso habe die Seelsorge auch die Einrichtung als Ganzes im Blick. Warum gerade dieser elementaren Ausrichtung in der heutigen Zeit eine besondere Bedeutung zukommt, erklärt er insbesondere mit einer Rückschau in die Vergangenheit: „Früher – bis weit in das letzte Jahrhundert hinein – prägte in

besonderer Weise das Gebetsleben der Alexianer-Brüder den Alltag in unseren Häusern: die Messe am Morgen, das Mittagsgebet, der Rosenkranz. Die Brüder mussten sich nicht ständig darüber verständigen, wie sie es in ihrem Alltag mit dem Beten und anderen spirituellen Elementen hielten. Ganz selbstverständlich bewegten sie sich in ihren ‚Regenerationsräumen des Glaubens’. Die Zuversicht, die sie dort schöpften, gab ihnen die Kraft im Umgang mit den Bewohnern und Patienten.“ Heute ist die Situation in den Alexianer-Einrichtungen wie auch in vielen anderen kirchlichen Einrichtungen etwas anders. Die kleiner gewordene Zahl der Brüder pflegt nach wie vor ihre spezifische Gebetstradition. „Und dort, wo noch Alexianer-Brüder in den Einrich-

ORDENTLICHES

tungen leben, sind Patienten, Bewohner und Mitarbeiter auch selbstverständlich zum Mitbeten im Kloster eingeladen“, betont Provinzial Bruder Benedikt. In anderen Einrichtungen sind die Ordensbrüder jedoch nicht mehr so sichtbar und prägend wie in früheren Zeiten. Die Selbstverständlichkeit, mit der die Ordensmitglieder früher ihren Alltag aus der Kraft verbindender Rituale gestaltet haben, hat stetig abgenommen.

… Blick nach vorn Doch genau dieser Wandel eröffnet auch Chancen für neue Wege. „Heute arbeiten in den Abteilungen der Alexianer viele hoch qualifizierte und engagierte Menschen. Die Frage, ob es für sie eine spirituelle Verbundenheit im Glauben gibt, lässt sich nicht mehr so einfach beantworten wie früher“, sagt van Elst. „Gleichzeitig darf davon ausgegangen werden, dass viele nicht nur deshalb bei den Alexianern beschäftigt sind, weil sie hier einen fachlich ansprechenden Arbeitsplatz finden. Für manche sind die Alexianer darum erste Wahl, weil sie hier einen Arbeitsplatz erwarten, an dem sie auch ihre religiösen Werte und Überzeugungen einfließen lassen können.“ Ein Mitarbeiter brachte dies in einer Gesprächsrunde so auf den Punkt: „Hier muss ich das, was ich in der Morgenandacht im Radio gehört habe, nicht an der Tür vergessen.“ – Er hatte zuvor in einem handwerklichen Betrieb gearbeitet. Die Glaubensüberzeugungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ihr Vertrautsein mit kirchlichen Ritualen sind vielfältig und vielschichtig, doch nicht mehr so einheitlich wie in früheren Zeiten, als die Kirche noch für alle sichtbar mitten im Dorf stand. „Gleichzeitig steckt in dieser Vielfalt ein lebendiges Potenzial“, ist van Elst davon überzeugt, dass dieses Potenzial in Zukunft mehr und mehr an Bedeutung gewinnen wird. Doch genau dafür brauche man eben die nötigen Freiräume. „Und diese anzubieten ist heute eine wichtige Aufgabe der hauptamtlichen Seelsorger“, ergänzt van Elst. Praktisch zeigt sich das zum Beispiel im Rahmen von Besinnungstagen und beim Austausch für Mitarbeitende, so etwa im Gästehaus der Benediktiner im Kloster Gerleve, in der Klausur der Mönche von Meschede oder im Aus-

Das Team der Seelsorge am Alexianer-Krankenhaus Münster: (v. l.): Provinzial Bruder Benedikt, Peter van Elst, Sabine Mentzel und Georg Edelbrock.

tausch über Musik in Haus Altenberg. An diesen Orten entstehen Freiräume, in denen Menschen dem auf die Spur kommen können, was sie im Tiefsten bewegt und anspornt, was sie glauben und hoffen. Sie werden dabei angeregt durch biblische Texte, meditativen Tanz oder Bogenschießen, in Gottesdiensten und Gesprächen. Solche Freiräume werden auch angefragt, wenn Mitarbeiter besondere Lebensereignisse feiern oder in Ritualen gestalten wollen: Wenn sie heiraten, ihre Kinder taufen lassen oder um einen lieben Menschen trauern. Auch da steht die Kirche für viele nicht mehr im Dorf, sondern eher dort, wo sie arbeiten: in den Einrichtungen der Alexianer.

Seelsorge geht alle an Mitarbeiter sind nahe dran an den Bedürfnissen der Patienten, Bewohner, Beschäftigten oder Gäste, die sie im Alltag begleiten, auch an deren religiösen Bedürfnissen. „Genau darum sollten wir als hauptamtliche Seelsorger nicht auf die Erfahrungen der Mitarbeiter verzichten“, unterstreicht van Elst. Und längst gehen seine Kollegen und er diesen Weg: Einmal im Jahr laden die Münsteraner Seelsorger Kollegen aller Abteilungen zum Gespräch mit der Seelsorge ein.

Gemeinsam wird geschaut, in welche Richtung Angebote für Klienten entwickelt werden können: Wäre es nicht gut, Patienten regelmäßig zu einem offenen Gespräch über Glaubensfragen einzuladen? Wie können junge Bewohnerinnen angesprochen werden, für die Kirche „uncool“ und der regelmäßige Gottesdienstbesuch alles andere als selbstverständlich ist? Welchen Herausforderungen in Verbindung mit Tod und Sterben müssen wir uns künftig stellen? Die gemeinsam erarbeiteten Lösungsansätze auf diese Fragen gehen in die Planungen der Hauptamtlichen ein. Dabei wird deutlich, dass Seelsorge eine Facette aller Arbeitsbereiche werden kann. Fest steht dabei für Peter van Elst auch, dass die Anforderungen im beruflichen Alltag auf allen Ebenen stetig wachsen. Die Versuchung sei deshalb groß, auf Freiräume zu verzichten, die nicht unmittelbar für die Ziele der Einrichtung vereinnahmt werden können. Freiräume, die aber in der Tradition der geistlichen Regenerationsräume stehen, welche sich die Alexianer-Brüder seit Jahrhunderten gönnen, um daraus die Kraft für ihren Dienst zu schöpfen. Freiräume, die auch den Menschen unserer Zeit Gelegenheit bieten, Geschmack an der Sache Gottes zu bekommen. Ein Geschmack, der sich im Alltag – auch jenseits des Berufsalltags – positiv auswirken kann. (agw)

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Worauf es ankommt, ist die richtige Balance zwischen Leistung und Entspannung

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TITEL

Wie ein Hamster im Laufrad Höher, schneller, weiter: Wer unter einem Burnout-Syndrom leidet, kennt das Gefühl, nicht aufhören zu können. Und das, obwohl der Körper und die Seele längst Grenzen setzen ie Zeiten ändern sich: Alles wird schneller, hektischer, stressiger. Die Arbeit im Job stapelt sich, der Terminkalender platzt aus allen Nähten, und selbst soziale Beziehungen zu Freunden und Familienmitgliedern müssen heute „gemanagt“ werden. Kein Wunder, dass bei so viel Stress die Puste ausgehen kann. Wer seinem Körper und seiner Seele zu viel zumutet und atemlos auf Hochtouren läuft, kann auf Dauer Gefahr laufen, unter einem Burnout-Syndrom zu leiden.

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Doch was steckt hinter dem Begriff Burnout, der gerade in den letzten Jahren in aller Munde ist? Burnout, das Phänomen des Ausgebranntseins, bezeichnet einen stressbedingten Zustand, der mit extremer körperlicher und seelischer Erschöpfung einhergeht. „Hucky sickness“ (die Hetzkrankheit) nennen es die Amerikaner, „Karoshi“ (Tod durch Überarbeitung) die Japaner. Burnout ist also wohl ein Phänomen der Industrienationen. Auch wenn es keine eindeutigen statistischen Daten gibt, gehen Experten davon aus, dass zehn Prozent der Bevölkerung unter einem Burnout-Syndrom leiden. Wachsende Anforderungen, gerade in beruflicher Hinsicht, hinterlassen auf Dauer Spuren.

Reine Nervensache? Experten streiten sich: Ist das Burnout-Syndrom nun eine Erkrankung oder ein Modetrend? Fest steht, dass Versicherungen heute im Fall einer attestierten Berufsunfähigkeit das Burnout-Syndrom als Diagnose anerkennen müssen. Burnout oder chronischer Disstress, wie Mediziner es nennen, gehen einher mit einer Überreizung des Nervensystems. Die Folgen sind vielfältig: Magenschmerzen, Migräne, Bluthoch-

druck, Gelenk- und Muskelschmerzen sowie Müdigkeit gehören beispielsweise zu den körperlichen Symptomen. Hinzu kommen allmählich psychische Beschwerden wie Gereiztheit, Schlafstörungen, Angstgefühle, Abgeschlagenheit oder depressive Verstimmungen. Problematisch wird es dann, wenn die Beschwerden chronisch werden. Dr. Klaus Telger, Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, ist Leitender Arzt des Alexianer-Krankenhauses in Münster. Er warnt vor einer oberflächlichen Betrachtung: „Schwere Formen des Burnouts sehen wir auch in der Klinik. Oft steckt jedoch mehr dahinter als nur Stresskumulation und Erschöpfung, zum Beispiel eine schwere neurotische Entwicklung, eine narzisstische Persönlichkeitsstörung oder der Beginn einer Demenz. Wenn wir nur die Oberfläche sehen und behandeln, haben wir auch nur begrenzte und keine dauerhaften Erfolge.“ Und wen trifft eher ein „einfaches“ Burnout? Telger ergänzt: „Dann sind häufig gesunde Tat- und Kopfmenschen betroffen.“ Ehrgeiz, Perfektionismus, Umgang mit Stress und die Suche nach Anerkennung sind einige persönliche Faktoren, die beim Ausbrennen eine Rolle spielen können. Nicht jede Erschöpfung muss gleich ein Burnout-Syndrom sein, vielmehr geht es um ein Zusammenspiel äußerer und innerer Faktoren.

Der Erfolg gab ihr recht – anfänglich … Bei Hanna Greive* sprachen alle Anzeichen für ein Burnout-Syndrom. Seit drei Wochen ist die 49-Jährige im Alexianer-Krankenhaus in Münster. Mehrere ambulante Therapien reichten nicht aus, der Leidensdruck war enorm. Ein Schlüsselerlebnis rettete ihr das Leben: „Eines Tages habe ich *Name von der Redaktion geändert

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gedacht, dass ich drei Möglichkeiten habe. Entweder fahre ich zur Tagung, vor einen Baum oder sofort in eine Klinik“, erinnert sich Greive. Glücklicherweise wählte sie die dritte Lösung. Bis dahin war es ein jahrelanger Weg. Zehn Jahren arbeitete Greive als Pharmareferentin. Sie erinnert sich noch gut an die ersten Worte ihres Chefs: „Wetten wir, dass Sie in sechs Monaten nur die Hälfte des Umsatzes schaffen, den ihr Vorgänger gebracht hat?“ Das ließ Hanna Greive sich nicht zweimal sagen. „Jetzt erst recht“, dachte sich die alleinerziehende Mutter von zwei Söhnen und kniete sich voll in die Arbeit. Der Erfolg gab ihr recht – zunächst. Mindestens zwölf Stunden tägliche Arbeitszeit standen auf dem Programm, anschließend die Hausarbeit und die Beschäftigung mit ihren Söhnen, von denen einer noch mitten in der Pubertät steckte. „Ich dachte, mit meiner Energie kann es so die nächsten Jahre weitergehen. Ich fühlte mich gut, mein Selbstbewusstsein wuchs mit dem beruflichen Erfolg.“ Und auch die Sorge um den Erhalt des eigenen Hauses löste sich allmählich in Luft auf, schließlich stimmte das Einkommen. Dass Hanna Greive keine Zeit für die schönen Dinge im Leben hatte und Freundschaften im Sande verliefen, merkte sie nicht. „Solange ich in Betrieb war, lief das Rad auch“, erinnert sie sich.

Wer ausbrennt, muss einmal gebrannt haben! Ein Burnout-Syndrom ist kein Strohfeuer. Bis es zum völligen körperlichen und seelischen Zusammenbruch kommt, schwelen die Konflikte erst noch an der Oberfläche. Nur schleichend merken die Betroffenen, dass etwas anders ist als sonst. Meistens dann, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Matthias Burisch, Diplom-Psychologe an der Universität Hamburg, erforscht das Phänomen des Burnouts seit Jahren. Er geht von einem Phasenverlauf aus, der in einen Teufelskreis mündet. Aller Anfang ist leicht: Das hohe Engagement für die Sache, oft also für den Beruf, puscht weiterzumachen. Der Beruf wird zum Lebensinhalt, private Belange rücken in den Hintergrund – schließlich fühlt man sich unentbehrlich und stark. Das Selbstbewusstsein wird durch die enorme Leistungsfähigkeit genährt.

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Doch irgendwann holt die Wirklichkeit den Betroffenen ein. Allmählich streikt der Körper und sendet Signale, die vom Betroffenen zunächst nicht ernst genommen werden. Schlafstörungen, Konzentrationsschwächen und Ruhelosigkeit sind dann zum Beispiel die Folge. Oft führt die Überforderung zu aggressivem Verhalten, aber auch zu eigenen Schuldzuweisungen – schließlich hat man bislang noch alles geschafft. Fazit: Augen zu und durch. Weitermachen. Bis zur völligen Erschöpfung.

Wollen, aber nicht können Für Dr. Klaus Telger steht fest, dass der Grundkonflikt des Burnout-Syndroms die Diskrepanz zwischen eigener Leistungserwartung und dem Leistungsvermögen ist. Telger bringt es auf den Punkt: „Irgendwann kommt das Können dem Wollen nicht mehr hinterher.“ Die berufliche Praxis zeige, dass gerade Männer sehr spät Hilfe in Anspruch nehmen, denn „sie wollen häufig erst einmal mit dem Kopf durch die Wand“, erklärt der Psychiater. Und nicht selten wünschen sie sich nichts sehnlicher, als schnell wieder für den Alltag fit gemacht zu werden – damit es weitergehen kann. „Hier braucht man viel Fingerspitzengefühl in der Behandlung und eine gute Aufklärung. Wir nehmen die Bedürfnisse des Patienten ernst. Als Behandler muss man aufpassen, dass man nicht gemeinsam mit dem Patienten dem Effizienzgedanken hinterherläuft. Viel wichtiger ist es, Begriffe wie Effizienz und Funktionalität infrage zu stellen. Viel gewonnen ist, wenn der Patient feststellt: ‚Ich bin keine Maschine! Warum behandele ich mich dann so?‘“

Letzter Ausweg: Kündigung Sven Handke* (43) hatte Glück im Unglück. Sein Gefühl von Ausgebranntsein stand im unmittelbaren Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit. Der gelernte Pfleger ist ein alter Hase in seinem Beruf. 25 Jahre lang pflegte und betreute er Kinder, Jugendliche, Familien, kranke und alte Menschen. „Die Abwechslung hat mir gefallen. Man lernte immer neue Menschen kennen. Viele Jahre hat mir mein Beruf Spaß gemacht“, erinnert sich Handke.

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Problematisch wurde es erst, als der Druck bei der Arbeit in einem Altenheim immer größer wurde. Nicht die Alten waren das Problem, sondern die Rahmenbedingungen im Pflegealltag. Ständiger Schichtwechsel, Zeitdruck, Überstunden und Personalmangel waren an der Tagesordnung. „Bis ich nervlich am Ende war, hat es ein paar Jahre gedauert. Ich fühlte mich ständig schlapp, habe immer seltener Freunde getroffen und meinen Haushalt vernachlässigt. Alles war mir zu viel. Zum Schluss habe ich nachts Schreie von den Bewohnern gehört. Ich konnte überhaupt nicht mehr abschalten“, sagt Handke. Auf die Krankschreibungen reagierte die Heimleitung mit Druck und attestierte dem Pfleger „mangelnde Belastbarkeit.“ Halt fand Sven Handke bei seinem Lebenspartner, seinem Hausarzt und einem befreundeten Psychologen. Nach vielen Gesprächen und einem langen Urlaub stand sein Entschluss fest: Er kündigte.

Es kann viele treffen Wer hat „Schuld“ am Burnout-Dilemma? Die Meinungen der Experten gehen auseinander. Während die einen die Arbeitsbedingungen in Organisationen verantwortlich machen, sind andere Fachleute der Ansicht, dass die eigene Persönlichkeitsstruktur dazu beiträgt. Gefährdet seien insbesondere eher narzisstische Persönlichkeiten und Menschen, die ihre Kräfte nicht dosieren können. Fest steht aber, dass sich das Burnout-Phänomen durch alle Berufssparten zieht. Aktuelle Studien, wie etwa die der Technischen Universität Berlin zeigen, dass sich zum Beispiel immer mehr Ärzte körperlich und emotional erschöpft fühlen. Aber auch Lehrern, vor allem an Berufsschulen, wachse die Erziehungsarbeit immer mehr über den Kopf. Im Dienstleistungsbereich, etwa bei Banken und Versicherungen, ist Burnout schon längst kein Fremdwort mehr, gerade in den Bereichen, in denen viel Kundenkontakt verlangt wird. Und dann gibt es noch die Angestellten der mittleren Führungsebene, die häufig eine Pufferfunktion haben, die also die Vorstellungen des Chefs in die unteren Ebenen transportieren müssen.

hen, dass sogar Langeweile und Unterforderung im Job zu vergleichbaren Stresssymptomen führen können. Gegenüber dem Nachrichtensender n-tv berichtete Rothlin im Oktober 2007: „Gefährlich ist die Feststellung, ich bin abends müde und ausgepumpt, weil ich so wenig gemacht habe.“ „Boreout“ statt Burnout, so die Wortschöpfung der Unternehmensberater.

Viele Wege führen nach Rom Immer mehr Unternehmen erkennen, dass sie sich ausgebrannte Mitarbeiter nicht leisten können und setzen auf Präventionsprogramme. Gespräche am Arbeitsplatz über realistische Ziel- und Leistungsanforderungen, das Erstellen individueller Leistungsprofile und die Möglichkeit zur Supervision können den Grundstein legen. Benötigen Betroffene psychotherapeutische Hilfe, setzen die Alexianer bei der Behandlung in ihren Einrichtungen neben therapeutischen Einzelgesprächen auf ein vielfältiges Angebot: Entspannungstraining, Physiotherapie, Kreativ- und Sporttherapie sollen einen Ausgleich zum Leistungsgedanken schaffen. Besonders Sinnfragen haben bei den Alexianern ihren Platz und können auf Wunsch besprochen werden. Denn gerade das Burnout-Syndrom zwingt Betroffene oft, ihre Lebenseinstellung neu zu überdenken. Das spürt auch Patientin Hanna Greive. „Ich muss erst einmal lernen, einen Gang zurückzuschalten. Und irgendwann finde ich dann hoffentlich die Durchschnittsgeschwindigkeit für mein Leben.“ Das ist es, worauf es ankommt: Die richtige Balance zwischen Leistung und Entspannung. Eine Wohltat für Köper, Geist und Seele … (bel)

Interessant ist auch die These der Schweizer Unternehmensberater Philippe Rothlin und Peter Werder, die davon ausge-

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Lieber vorher an später denken Wie Unternehmen dem Burnout ihrer Mitarbeiter vorbeugen können Ein Burnout, ausgelöst durch psychische Belastungen am Arbeitsplatz, ist keine Seltenheit mehr. Gerade in den letzten Jahren ist die Zahl der Frühberentungen in diesem Bereich stark angestiegen. 1982 waren psychische Krankheiten bei Männern und Frauen in knapp sieben Prozent der Fälle Ursache für den Rentenzugang; 2003 waren sie es schon in über 24 Prozent der Fälle bei den Männern und in knapp 36 Prozent bei den Frauen. Was sind die Ursachen der psychischen Belastung am Arbeitsplatz? Zum einen sind es Zeitdruck und strenge Leistungsvorgaben. Beispielsweise arbeiten 80 Prozent aller deutschen Manager mehr als 50 Stunden in der Woche, wie die Unternehmensberatung Kienbaum bei einer Untersuchung 2007 herausgefunden hat. Aber auch Unterforderung, Monotonie in den Arbeitsabläufen und wenig Handlungsspielraum können zum Burnout führen. So klagen 54 Prozent von 6.000 Beschäftigten, die Infratest

Selbstprävention Tipps gegen den Stress im Job Bewusste Pausen, wie kleine Spaziergänge, helfen dabei, wieder klare Gedanken zu fassen. Der Kopf kann sich ausruhen und die Bewegung aktiviert Muskeln und Kreislauf. Die Luft von draußen kann zudem wie eine erfrischende und belebende Sauerstoffdusche wirken. Vorausschauend planen, heißt die Devise. Notieren, was am nächsten Tag erledigt sein muss, hilft beim Zeitmanagement und vermeidet unnötiges „Verzetteln“. Freiräume für unerwartete Aufgaben, wie unangekündigte Telefonate, sollten mit eingeplant werden. Arbeitnehmer haben auch das Recht, „Nein“ zu sagen, wenn ihnen die Arbeit über den Kopf hinauswächst. Mit Überforderung ist keinem geholfen. Lieber sorgfältig und gewissenhaft arbeiten, als unter Zeitdruck ein mittelmäßiges Ergebnis erreichen. Genussmittel wie Fast Food, Kaffee, Alkohol und Nikotin helfen vielleicht im ersten Augenblick. Sie rauben dem Menschen aber wichtigen Schlaf und geben dafür dem Stress Nährboden. Lange Konzentrationsphasen sind zudem unter Stress auch nicht mehr möglich.

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im Frühjahr 2007 befragte, über eine „mittelmäßige Arbeit“, die sie nicht genügend auslastet. Mangelnde Motivation, ausgelöst durch geringe Aufstiegsmöglichkeiten und ein unzureichendes Einkommen können ebenfalls zum Burnout führen. 34 Prozent der Befragten beurteilen ihre Stelle sogar als mangelhaft: Die Belastungen sei zu hoch, ohne dass sich Perspektiven böten.

Vermeidbare Kosten Arbeitsunfähigkeit aufgrund psychischer Belastungen – für die Unternehmen und die Volkswirtschaft resultieren daraus Kosten, die vermeidbar wären. Die arbeitsbezogene Frühinvalidität, deren größte Ursache psychische Erkrankungen sind, kostet die deutsche Volkswirtschaft jährlich mehr als zehn Milliarden Euro! Insgesamt beziffert die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin die durch Arbeitsunfähigkeit bedingten Produktionsausfallkosten allein für das Jahr 2005 mit circa 38 Milliarden Euro. Qualifizierte und gesunde Mitarbeiter ersparen aber nicht nur der Volkswirtschaft unnötige Kosten. Ihre Arbeit ist auch entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg und die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens. Das erkennen auch immer mehr Betriebe und setzen auf Präventivmaßnahmen, um die Arbeitsbedingungen ihrer Angestellten zu verbessern. Hierbei sind die Unternehmen nicht unbedingt auf sich allein gestellt. Seit 2006 gibt es das Projekt PARGEMA, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. PARGEMA steht für PARtizipatives GEsundheitsMAnagement. Verbunds- und Kooperationspartner in diesem Projekt sind unter anderen das ISF München (Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung), die Universität Freiburg und die Universität Jena sowie die IG Metall. PARGEMA führt beispielsweise Mitarbeiterbefragungen in Betrieben durch. Die Initiative versucht, auf dieser Grundlage ganz individuelle Lösungen für bessere Arbeitsbedingungen in den jeweiligen Betrieben zu finden. Das geschieht gemeinsam in Gesprächen mit den Beschäftigten, den Betriebsräten sowie Gesundheits- und Arbeitsschutzexperten. Zahlreiche Lösungen bieten sich an: Die Arbeitnehmer können etwa durch ein besseres Zeitmanagement, gesündere Ernährung oder auch körperliche Aktivitäten, die im Ausgleich zum Job stehen, einem Burnout vorbeugen. Auf Seiten der Arbeitgeber können Verbesserungen der Arbeitsbedingungen, wie realistische Zeitvorgaben oder flexible Arbeitszeitmodelle und Abwechslung in der Aufgabenstellung zu positiven Veränderungen führen.

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TÜV für den Arbeitsplatz Ein Gespräch mit Klaus Pickshaus von der IG Metall Herr Pickshaus, was sind die häufigsten Dinge, über die sich Arbeitnehmer beklagen und die letztendlich zum Burnout führen können? Am häufigsten beklagen die Arbeitnehmer den zunehmenden Arbeits- und Leistungsdruck in den Betrieben. Übergreifend. Arbeiter in der Montage genauso wie Verwaltungsmitarbeiter oder Forscher. Der Druck der Märkte wird an die Mitarbeiter weitergegeben. Die Hamstermühle des „Arbeitens ohne Ende“ führt zur psychischen Ermüdung und Erschöpfung.

Und was macht hier das Projekt „Gute Arbeit“? Unser zentrales Thema ist die „menschengerechte Gestaltung von Arbeit“. Ziel ist es, dem wachsenden Arbeitsdruck, der zunehmenden Leistungsverdichtung etwas entgegenzusetzen. Es geht um eine Humanisierung der Arbeitswelt, darum, Arbeit alternsgerecht und lernförderlich zu gestalten (also so, dass auch ältere Arbeitnehmer die Anforderungen gesund bestehen können) und darum, prekäre Beschäftigungen, die den Arbeitnehmer nicht ernähren, einzudämmen.

tatsächliche Lage durch Fragebögen und werten sie mit einer speziellen Software aus, die gesetzliche und tarifliche Vorgaben ebenso berücksichtigt wie wissenschaftliche Erkenntnisse etwa zur Frage, welche Auswirkungen die Lage der Arbeitszeiten auf den Organismus hat.

Werden präventive Maßnahmen in Zukunft Voraussetzung für ein erfolgreiches Unternehmen sein? Das hängt davon ab, was ein Unternehmen unter Erfolg versteht. Wenn es auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung setzt, die langfristig die Gesundheit der Mitarbeiter erhalten will, dann auf jeden Fall. Wenn aber nur die Börsennotierung und die Rendite im nächsten Quartal zählen, dann werden solche Bemühungen nur als Kostenfaktor gesehen. Dazwischen läuft der Konflikt. Die Ökonomie der kurzen Fristen ist einfach das Dilemma, in dem Unternehmen heute stecken.

Zur Person Klaus Pickshaus (58) ist Leiter des Projekts „Gute Arbeit“ der IG Metall und Leiter des Ressorts Arbeits- und Gesundheitsschutz beim Vorstand der IG Metall. Das Projekt „Gute Arbeit“ ist Kooperationspartner von PARGEMA.

Wie kann ein Betrieb am besten vorbeugen, um psychische Belastung bei den Arbeitnehmern zu vermeiden? Das Arbeitsschutzgesetz verpflichtet alle Arbeitgeber, menschengerechte Arbeit zu gestalten und alle möglichen Gefährdungen zu ermitteln. Damit sind nicht nur die klassischen Gefährdungen durch Maschinen oder Lärm gemeint, sondern auch durch die Arbeitszeit oder durch Mängel in der Ablauforganisation, also all der Faktoren, die den ganzen Komplex psychischer Fehlbelastungen bis hin zum Burnout betreffen. Wenn diese Gefährdungen erhoben sind, geht es darum, helfende Maßnahmen zu ergreifen, etwa in der Personalbesetzung, durch eine veränderte Arbeitsorganisation oder auch Qualifizierungsmaßnahmen. Es gibt eine ganze Palette von Möglichkeiten. Wichtig ist, sie betrieblich spezifisch anzupassen. Sie werden in der Pflege anders aussehen als in der Automobilindustrie. In einem Unternehmen, das wir begleitet haben, klagten die Monteure über hohen Stress. Die Erhebung zeigte, dass die Ruhezeiten zwischen den Dienstreisen zu kurz waren. Das ist jetzt anders geregelt.

Wie vielversprechend sind denn präventive Maßnahmen? Manche Arbeitgeber sagen, das eigentliche Problem sei, die Belastungslage überhaupt zu ermitteln. Dazu gibt es aber gute Instrumente. Im Projekt „Gute Arbeit“ haben wir den Arbeitszeit-TÜV und das Stressbarometer entwickelt. Sie erheben die

Kontakt & Info Projekt „Gute Arbeit“ Klaus Pickshaus Tel. (0 69) 66 93 28 26 E-Mail: [email protected] www.igmetall.de/gutearbeit PARGEMA www.pargema.de (Texte: nj/mw)

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IM BLICK

Kein Dach über dem

Kopf Das Wohnhotel der Alexianer in Aachen lles im grünen Bereich: Franz Meiners* ist stolz auf den von ihm begrünten Innenhof. Meiners ist einer von 18 Bewohnern des Wohnhotels für psychisch kranke Obdachlose in Aachen. Neben dem sichtbaren Erfolg zählt hier vor allem das wiedergewonnene Selbstbewusstsein, etwas leisten zu können.

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Seit Anfang 2005 gibt es das Wohnhotel in Aachen. Es liegt mitten in der Stadt in einer Fußgängerzone. In dem ehemaligen Hotel erhalten die Betroffenen nicht nur eine Unterkunft, sondern auch individuelle sozialarbeiterische Betreuung im Sinne des Case-Managements. Die Sozialarbeiterinnen prüfen mit dem Betroffenen gemeinsam, welche bestehenden Hilfesysteme für ihn infrage kommen können, planen mit ihm den Ablauf und organisieren die entsprechenden Hilfeleistungen. Das Wohnhotel wendet sich besonders an Menschen, die in anderen Hilfesystemen nicht erreichbar sind. „Diese Gruppe wird häufig als ‚schwierige Klientel’ bezeichnet. Es sind oft Menschen, die nicht in Notunterkünften zurechtkommen, weil die Strukturen und Gegebenheiten sie massiv überfordern, aber auch Menschen, die Probleme haben,

einfachste soziale Umgangsformen zu beachten und für ihr Leben realistische Ziele zu entwickeln“, beschreibt Sozialarbeiterin Daniela Heift die Zielgruppe des Wohnhotels. „Sie müssen erst lernen, mit eigenen und fremden Aggressionen umzugehen, und sie müssen auch lernen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen – sowohl in Bezug auf ihre psychische Erkrankung als auch auf eine möglicherweise vorhandene Suchterkrankung.“

Kleine Schritte führen zum Ziel Im Wohnhotel erarbeiten zwei Sozialarbeiterinnen, Daniela Heift und ihre Kollegin Birgit Jansen, gemeinsam mit den Bewohnern neue Perspektiven. Sie helfen den Bewohnern, ihr Leben zu organisieren, etwas Struktur in den Alltag zu bekommen, und versuchen, sie in die Gemeinschaft im Haus zu integrieren. Dabei werden die Wünsche der Klienten soweit wie möglich berücksichtigt und Alltagskompetenzen gefördert. Die Kontakte zu den Sozialarbeiterinnen werden nach persönlicher Verabredung getroffen. Offizielle Sprechstunden gibt

es nicht. „Fest strukturierte Hilfeplangespräche mit engem zeitlichem Rahmen würden unsere Bewohner massiv überfordern und zu keinen Ergebnis führen“, erklärt Daniela Heift dieses Vorgehen. Alle Bewohner haben einen Schlüssel zu ihrem kleinen Appartement, das mit einem Bett, einem Schrank, einem Tisch, sowie einem Badezimmer mit Waschbecken, Dusche und WC ausgestattet ist. Die Bewohner dürfen selbstverständlich Besucher empfangen, auch gelegentlicher Übernachtungsbesuch ist nach Absprache möglich. Täglich bietet das Wohnhotel für einen Euro ein gemeinsames Frühstück im Aufenthaltsraum an. Einmal in der Woche trifft sich die Kochgruppe. Der Aufenthaltsraum ist immer offen und für alle zugänglich. Hier erleben die Bewohner, dass ein ungezwungenes Beisammensein auch ohne Alkohol oder Drogen möglich ist. Das Erlernen sozialer Fähigkeiten und das Erledigen einfacher Alltagsaufgaben in der Gemeinschaft sind erste Schritte auf dem langen Weg zurück in die Gesellschaft, zurück zu einem selbstbestimmten Leben – und weg von der Straße. (kv)

*Name von der Redaktion geändert

Im Überblick: Das Wohnhotel Abgekürzt heißt das Wohnhotel auch „WBG“: Wohnen, Begleiten und Gesellschaftliche Integration. Aktuell wohnen 18 psychisch erkrankte Männer und Frauen mit Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis und überwiegend zusätzlichem Alkoholoder Drogenmissbrauch im Wohnhotel. Die durchschnittliche Verweildauer liegt bei etwa neun Monaten. Ziel ist die Vermittlung in eine eigene Wohnung des Betreuten Wohnens.

Zum Mitarbeiterteam gehören zwei Sozialarbeiterinnen, ein Hausverwalter und zwei Kräfte im hauswirtschaftlichen Bereich. Das Wohnhotel ist dem Sozialamt angegliedert. Es wird von der Stadt Aachen finanziert und wurde per Leistungsvereinbarung an das Alexianer-Krankenhaus Aachen übertragen. Kontakt: E-Mail: [email protected]

Alexianer-Mitarbeiterinnen Daniela Heift und Birgit Jansen (v. l.).

BRENNPUNKT

Streit und Missstimmung in der Familie gehen selten ungehört an Kinderohren vorbei. Bei einer Trennung benötigen Kinder klare Botschaften – und viel Verständnis eit 1977 hat sich viel verändert: Seit damals werden Ehen nicht mehr nach dem Schuldprinzip geschieden, sondern nach dem sogenannten Zerrüttungsprinzip: Die Voraussetzungen für die Scheidung selbst, wie auch die Scheidungsfolgen (insbesondere die Unterhaltsansprüche) werden seither losgelöst von der Frage der Scheidungsschuld entschieden. Die ersten Hilfsangebote für betroffene Familien entstanden Ende der siebziger Jahre. Gleichzeitig wuchs allmählich das Bewusstsein für die Situation der Kinder bei einer Trennung. „Und dabei liebe ich euch beide“, sang Andrea Jürgens herzzerreißend in die Kameras des Deutschen Fernsehens und traf mit ihrem Schlager den Kern eines Problems, das getrennt lebende Elternpaare heute

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Kinder haben

große Ohren noch haben: Gehen Ehen oder Beziehungen auseinander, sind die Kinder nicht gemeint – aber betroffen.

Traurig, aber nicht traumatisch Bevor die Ergebnisse erster Langzeitstudien vorlagen, wurden oft beinahe zwangsläufig Entwicklungsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern aus gescheiterten Ehen erwartet. Und tatsächlich dürfen die Auswirkungen einer familiären Trennung auf die kindliche Entwicklung nicht unterschätzt werden. Die weltweit größte Studie zum Thema „Scheidungskinder“, für die von der Universität von Virginia in den USA 1.400 Familien 30 Jahre lang begleitet wurden, weist aber ermutigende Ergebnisse vor: Zwar sind betroffene Kinder in den ersten beiden Jahren nach der Trennung hohen emotionalen Belastungen ausgesetzt, langfristig gehen die meisten von ihnen aber ungewöhnlich belast-

bar, reif und zielstrebig durchs Leben. Entscheidend für ihr Wohlergehen sei, stellt die Studie fest, dass der Elternteil, bei dem sie leben, sich fürsorglich um sie kümmere. Wie Mavis Hetherington, inzwischen emeritierte Professorin für Psychologie an der Universität von Virginia und damals verantwortliche Expertin der amerikanischen Studie, betonte, haben 75 Prozent aller Scheidungskinder nicht mehr oder weniger Probleme in ihrem Leben als andere Menschen auch. Das „Zentrum Bayern Familie und Soziales“ bestätigt dies (www.elternimnetz.de): Wie Kinder langfristig mit der Trennung ihrer Eltern zurechtkommen, hängt hauptsächlich von den Bedingungen vor und nach der Trennung ab. Die gute Nachricht lautet also: Wenn eine Ehe nicht mehr funktioniert, muss das keine traumatischen Folgen für die gemeinsamen Nachkommen haben. Eine schlechte Nachricht für zerstrittene, aber „komplette“ Familien gibt es ebenfalls:

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BRENNPUNKT

Wer in einer solchen Atmosphäre aufwächst, zeigt mit Bindungsängsten oder einem geringen Selbstwertgefühl im späteren Leben häufig die klassischen Symptome eines Scheidungskindes.

Scheiden oder bleiben? Alle noch so guten Aussichten für die kindliche Psyche ändern nichts daran, dass sich Eltern schwer tun mit der Entscheidung, ihren Kindern das gewohnte Umfeld zu nehmen. Als Birgit Mertes (33) sich von ihrem Mann trennte, war ihr schon seit mehr als einem Jahr klar,

der Situation war er sich sicher im Klaren“, sagt sie. „Er ist ganz offen damit umgegangen und hat unbefangen erzählt, dass er und sein Bruder jetzt zwei Wohnungen haben.“ Heute, über zwei Jahre danach, haben sich beide Kinder an die Situation gewöhnt und kommen mit ihren Eltern, im Kindergarten und in der Schule gut zurecht. Bis eine Umgangsregelung gefunden war und man sich auf ein gemeinsamgeteiltes Leben geeinigt hatte, war es jedoch schwierig, berichtet Mertes. „Sie haben sehr unter unserer Uneinigkeit gelitten, vor allem der Ältere. Gerade in der Zeit, als die elterlichen Betreuungs-

er eine Affäre begann und sein bisheriges Leben infrage stellte. Als Tochter Sara vier Monate alt war, zog er endgültig zur neuen Freundin. „Sara kennt es nicht anders, deshalb kam sie bislang immer gut mit der Situation zurecht. Bis auf wenige schwierige Phasen, in denen sie extrem an einem von uns klammerte. Aber das haben ja auch Kinder aus heilen Familien“, erzählt Johanna Paul. „Ab dem Tag seines Auszugs ist ihr Vater alle zwei bis drei Tage zu Besuch gekommen und hat sich um sie gekümmert. Für mich war es unglaublich schwer, ihn mit unserem Baby zu sehen und zu wissen, dass er gleich wieder geht“, erinnert sie sich. „Aber ich wollte immer, dass meine Tochter engen Kontakt zu ihrem Vater hat. Also habe ich es irgendwie ausgehalten.“ Sie blieb noch mehr als zwei Jahre in der Stadt, in die sie für ihn gezogen war. Dann zog es sie wieder in die Nähe ihrer Familie. Saras Vater zog mit seiner neuen Partnerin nach. Damit bleibt es dabei, dass Sara, die gerade drei Jahre alt geworden ist, zwar bei ihrer Mutter lebt, ihren Vater aber regelmäßig jede Woche sehen kann und auch oft bei ihm übernachtet.

Das typische Scheidungskind gibt es nicht

dass ihre Beziehung nicht zu retten war. „Es hat einfach so lange gedauert, bis ich mich getraut habe, die Verantwortung für alles Kommende zu übernehmen.“ Eine Eheberatung zuvor war nicht im Geringsten hilfreich. „Mein ehemaliger Mann hatte ein klares Bild von mir, in das ich mich nicht fügen wollte. Und ich habe ihm das nicht früh genug klar gemacht.“ Ihre Söhne waren damals zwei und vier Jahre alt. So sehr sie den Eindruck hatte, dass ihr Jüngster die Entwicklungen um ihn herum nicht begriff, ist sie sicher, dass der ältere Sohn genau wusste, was geschah. „Natürlich konnte er das alles nicht reflektieren, aber über die ‚Essenz’

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zeiten gerichtlich festgelegt werden mussten, waren sie verunsichert. Die beiden haben ganz genau gespürt, wie nah ihrem Vater und mir dieses Thema ging. Leider war der Große gerade erst in die Schule gekommen und bekam dort Probleme. Ich denke, er fühlte sich unglücklich und überfordert. Seit ich für mich Ruhe und Klarheit habe, hat es sich deutlich gebessert. Für die Kinder ist es gut, viel Zeit ‚in Ruhe’ zu verbringen und mit beiden Elternteilen auch Spaß zu haben und entspannen zu können.“ Johanna Paul (34) machte ähnliche Erfahrungen. Nach zwölf gemeinsamen Jahren hatten sie und ihr Mann geheiratet. Das erste Kind war unterwegs, als

„Natürlich werden Fragen kommen, und bestimmt gibt es auch noch Schwierigkeiten. Aber ich denke, wir haben das Schlimmste hinter uns. Die erste Zeit, in der ich seinen Anblick kaum ertragen konnte, war unsagbar schwer, und Sara hat meine Anspannung bestimmt oft gespürt. Die eigene Wut zurückzuhalten, hat viel Disziplin verlangt. Auch jetzt tut es noch manchmal weh, dass mein ehemaliger Mann sich benimmt, als ob er mich nie gekannt hätte. Aber ich bin endlich darüber hinweg, und seitdem das so ist, ist alles ruhiger geworden.“ So unterschiedlich wie die Trennungsgründe der Eltern sind die Reaktionen ihrer Kinder darauf. Dennoch gibt es alterstypische Verhaltensweisen, die die Kleinsten in der Familie häufig zeigen, wenn ihr bisheriges Lebensgerüst einstürzt. Kinder im Klein- und Vorschulalter haben häufig Angst, verlassen zu werden, und reagieren mit Trennungsängsten, verlangen ihren Schnuller zurück oder nässen wieder ein, sind in einem Moment besonders aggressiv und trotzig, dann wieder traurig und

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Einigung erzielt werden, wird sie schriftlich festgehalten und als gültiger Vertrag unterzeichnet. Vor Gericht bietet er die Basis für weitere Entscheidungen. Und den zerstrittenen Parteien gibt er ein wenig Seelenfrieden zurück.

Keine faulen Kompromisse

ganz „klein“. Geschieht die Trennung in den ersten Schuljahren, reagieren Kinder ebenfalls oft weinerlich und launisch, sie fühlen sich zurückgewiesen und nehmen die elterliche Scheidung vielfach als Kampf wahr, in dem sie Stellung beziehen müssen. Je älter die Kinder sind, desto mehr Verständnis können sie für die Entscheidung ihrer Eltern aufbringen. Trotzdem sind sie auch als verständigere Menschen noch wütend, machen sich Sorgen, fühlen sich manchmal überfordert und bekommen mit zunehmendem Alter möglicherweise auch Angst, die gleichen Fehler zu begehen. Zudem gibt es in jeder Altersklasse Kinder, die völlig unbeeinträchtigt und gefasst erscheinen. Ob die schwierige Zeit wirklich spurlos an ihnen vorbeigegangen ist, wird sich später zeigen.

nehmliche Lösungen für Streitpunkte gewollt sind – bevor ganz viel Geschirr zerschlagen wird“, erklärt Annette Löring, Rechtsanwältin und Mediatorin aus Bonn ihre Tätigkeit. Gesucht wird nach einer sogenannten „win-winLösung“ (bei der beide Seiten gewinnen) ohne faule Kompromisse für Ein-

Birgit Mertes nahm die Hilfe eines Mediators an. Ihr Mann war nicht bereit, sich auf einen solchen Lösungsversuch einzulassen. So mussten erst das Jugendamt und dann ein Familiengericht eingeschaltet werden, welches das Umgangsrecht der Eltern regelte. Ein solcher Weg ist für alle Familienmitglieder anstrengend, schwierig und für die Kinder meist sehr belastend. „Mediation ist nicht immer der Königsweg“, weiß Löring. „Aber in gut 70 Prozent der Fälle erzielen wir für alle Beteiligten gute Ergebnisse, gerade was die Kinder betrifft.“ Mediatoren kön-

Krieg und Frieden In jedem Fall brauchen die Kinder altersgerechte Erklärungen, so ehrlich wie möglich. Und die Versicherung ihrer Eltern, dass nur diese für die Trennung verantwortlich sind. Reibungspunkte sollten ausschließlich zwischen den ehemaligen Partnern geklärt werden, nicht mit den gemeinsamen Kindern oder über sie als Vermittler. Zudem unerlässlich: Zeit und Verständnis. Für Eltern wie für Kinder gilt, dass nicht angenommen werden darf, mit der Trennung seien alle Probleme beseitigt. Wer das glaubt, wird von seiner Scheidung womöglich ähnlich „enttäuscht“ wie zuvor von der Beziehung. Meist dauert es etwa zwei Jahre, bis alle Beteiligten in ihrem neuen Leben angekommen sind. Hierbei kann neben speziellen Familien- und Scheidungsberatern auch ein Mediator helfen. „Mediation ist dann ein guter Ansatzpunkt, wenn im Trennungsfall einver-

zelne. Dabei werden gemeinsam mit den Beteiligten möglichst viele Optionen erarbeitet, die weit kreativerer ausfallen können, als das im Gerichtsverfahren möglich wäre. „Wenn Positionen sehr festgefahren sind, wenn zum Beispiel ein Elternteil darauf besteht, seine Kinder aber an jedem einzelnen Wochenende bei sich zu haben, versuchen wir, die eigentlichen Beweggründe für seine Kompromisslosigkeit zu erfahren“, erzählt Löring. „Da es einerseits oft um heftige Emotionen geht und andererseits die juristische Ebene zu berücksichtigen ist, ist es ideal, wenn Mediatoren mit psychologischem und juristischem Hintergrund anwesend sind.“ Kann eine

nen Eltern helfen, sich auf eines der letzten verbleibenden gemeinsamen Ziele zu besinnen: „Das Wohlergehen der Kinder ist meist in beider Interesse.“ (ck)

Kontakt & Info www.familienhandbuch.de www.vaeter-nrw.de Bundesarbeitsgemeinschaft für Familien-Mediation www.bafm-mediation.de

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GESUND BLEIBEN

ls Kind waren große Schmerzen oft wie von Zauberhand verschwunden, wenn Mama oder Papa einen magischen Spruch murmelten und kurz über das Wehwehchen pusteten. Das Geheimnis dieser „Wunderheilung“ liegt vermutlich im PlaceboEffekt.

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Placebo-Effekte treten dann auf, wenn bei therapeutischen Maßnahmen allein die positiven Erwartungen des Patienten zu seiner Heilung führen. Oft wird dies durch die Einnahme von Placebos begünstigt. Doch was genau sind Placebos? Placebos sind Scheinmedikamente. Ob als Tabletten, Tinkturen oder Säfte – sie enthalten keine pharmazeutischen Wirkstoffe und bestehen oft nur aus Milchzucker, Geschmacks- und Färbemitteln. Dennoch können sie dem Kranken zur Genesung verhelfen. Voraussetzung ist, dass dieser in Unwissenheit über das Placebo gelassen wird und glaubt, in Wirklichkeit ein „echtes“ Präparat zu schlucken.

Von der Antike bis zur Gegenwart Placebos gibt es schon seit Menschengedenken. Im Mittelalter beispielsweise erhielten Menschen mit Gelenkschmerzen einen Umschlag aus Geierfett, Geiergalle und Geiersehnen verordnet. Die Ärzte waren davon überzeugt, dass sich die wendige und bewegliche Kraft des Geiers auf die Patienten übertragen würde.

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Placebos Ein Wundermittel? Wie positive Erwartungen die Selbstheilungskräfte unseres Körpers in Gang setzen Wissenschaftlich hoffähig wurde der Placebo-Effekt aber erst durch eine zufällige Entdeckung. Weil dem amerikanischen Anästhesiologen Henry Beecher im Zweiten Weltkrieg hinter der Front in Italien das Morphin ausging, spritzte er den Verwundeten in seiner Verzweiflung einfache Kochsalzlösung, ließ sie aber weiterhin in dem Glauben, Morphin zu erhalten. Und siehe da: Auch die Kochsalzlösung verschaffte Schmerzlinderung. Die positive Erwartung der Verwundeten führte dazu, dass sie sich besser fühlten. Neben dem Placebo-Effekt gibt es ein weiteres Phänomen, das mindestens genauso erstaunlich ist: der NoceboEffekt. So wie positive Erwartungen zur Genesung des Patienten führen können, kann eine negative Grundeinstellung den Genesungsprozess verlangsamen oder sogar verhindern. Negative Gedanken können sich schon durch das Lesen eines Beipackzettels und der aufgeführten Nebenwirkungen einstellen. Oft sind es aber auch die Worte des Arztes, die den Heilungsprozess enorm beeinflussen können. So stärkt positives Zure-

den das Selbstbewusstsein und damit den Heilungsprozess. Fatalerweise können negative und entmutigende Bemerkungen die Heilung aber auch behindern.

Placebo – Nocebo Ob Placebo oder Nocebo. Die Existenz beider Phänomene steht außer Frage. Wie genau sie funktionieren, ist noch unklar. Bewiesen ist jedoch, dass die Placebo-Wirkung nicht auf bloßer „Einbildung“ beruht, sondern dass die Einnahme eines Placebos im Körper tatsächlich zu Reaktionen führt, obwohl, streng genommen, nichts passieren dürfte, da ja kein Wirkstoff eingesetzt wird … Vielleicht kann die Forschung hier ansetzen und einem großen Geheimnis der Menschheit ein Stückchen näher rücken: dem Zusammenhang zwischen Körper, Geist und Seele.

GESUND BLEIBEN

Placebos – nur zu Forschungszwecken? Herr Professor Enck, warum sind Placebos interessant? Zunächst einmal sind Placebos sehr wichtig für die medizinische Forschung. Wenn ein neues Medikament auf den Markt kommen soll, testen Forscher seine Tauglichkeit erst im Vergleich mit Placebos. Freiwillige Teilnehmer, Patienten oder Gesunde, erhalten in kontrollierten Studien das neue Mittel, eine andere Gruppe Freiwilliger ein Placebo zum Vergleich. Ist das Medikament dem Placebo nicht überlegen, gehört das Mittel nicht auf den Markt. Besonders interessant neben den Placebos selbst ist aber auch der Placebo-Effekt. Uns beschäftigt die Frage: Wie kann es sein, dass Placebos, die keinerlei Wirkstoffe enthalten, beim Patienten wirken?

Zur Person Prof. Paul Enck (58) ist Forschungsleiter der Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Uni Tübingen. Er beschäftigt sich intensiv mit dem Placebo-Effekt und den Selbstheilungskräften des Körpers.

Werden Placebos nur in der Forschung eingesetzt? In Deutschland kann ein Patient davon ausgehen, dass Placebos nur in kontrollierten Studien mit freiwilligen Teilnehmern zum Einsatz kommen, er also nicht beim Arzt ein Placebo verschrieben bekommt. Es kann Ausnahmefälle geben, in denen ein Arzt seinem Patienten ein Placebo verordnet. Das passiert aber nur, wenn der Arzt um die Gesundheit des Patienten besorgt ist, aber überzeugt ist, im Sinne des Patienten zu handeln. So kann er ihm zum Beispiel anstatt eines unnötig starken Antibiotikums, Schmerz- oder Schlafmittels ein Placebo verschreiben. In der Regel verordnen Ärzte in Deutschland aber keine Placebos. Selbst in Studien

brechen die Forscher oft Placebo-Tests sofort ab, wenn das Medikament eindeutig wirkt und das Placebo nicht. Die Teilnehmer erhalten dann umgehend das richtige Medikament.

Können Placebos Krankheiten heilen? Nein! Grundsätzlich muss ganz klar unterschieden werden: Placebos wirken in der Regel auf die Symptome, selten und sehr viel geringer aber auf die biochemischen Parameter der Krankheit. In Placebo-Tests besserten sich zum Beispiel bei Patienten mit einer Darmentzündung die Bauchschmerzen, ohne dass die eigentliche Entzündung tatsächlich abheilte. Tut sie es dennoch, sprechen wir eher von einer Spontanheilung als von einer Placeboheilung.

Wo liegt die Grenze der zu behandelnden Krankheiten durch Placebos? Placebos kommen in der Forschung bei ganz unterschiedlichen Krankheiten zum Einsatz. Ein Beispiel: Bei der Parkinsonschen Krankheit sollte Patienten durch die Verpflanzung von embryonalen Stammzellen geholfen werden. Dazu wurden die Stammzellen in einer Operation direkt in das Gehirn der Patienten verpflanzt. Dies geschah auch in einer amerikanischen Placebo-Studie: Die Ärzte verpflanzten aber nur einem Teil der Gruppe Stammzellen. Die anderen Teilnehmer erhielten lediglich den chirurgischen Eingriff. Dennoch zeigte sich bei beiden Gruppen eine positive Wirkung. So verschwand zum Beispiel das für Parkinson-Patienten typische Zittern. Die Wirkung bei der einen Gruppe entstand daher vor allem durch den Placebo-Effekt, das heißt durch den Glauben, dass Stammzellen implantiert worden wären.

Gibt es Menschen, die stärker auf Placebos reagieren als andere?

Das ist eine gute Frage. Psychologisch gesehen gibt es keine Placebo-Persönlichkeit an sich. Aber die Unterschiede sind da! Tests zeigen, dass Kinder oft sehr stark auf Placebos reagieren. Frauen glauben oft an das, was ihnen erfahrungsgemäß am besten geholfen hat. Demnach reagieren sie eher auf Lernen und Konditionierung. Männer hingegen sprechen mehr auf Fakten und Beweise an, also auf Suggestion. Die positive Reaktion auf Placebos kann auch genetisch vererbt sein. Stellen sie sich vor: Zwei kranke Neandertaler, denen nur wenige Kräuter und ein Schamane zur Verfügung stehen. Nicht vielversprechend aus heutiger Sicht. Wer wird wohl eher gesund? Der mit dem stärksten Glauben! Wenn das über mehrere 1.000 Jahre passiert, pflanzen sich nur die Glaubensstärkeren fort und geben somit auch ihre Veranlagung genetisch weiter.

Die kleine Placebo-Fibel • Zwei Pillen helfen besser als eine, aber kleine Pillen helfen besser als große, weil die Patienten glauben, die Wirkung der Inhaltsstoffe müsse in den kleinen Pillen besonders stark sein. • Bei Kindern wirken Säfte besser als Tabletten. Hier gilt auch: Je bitterer, umso wirkungsvoller. • Die Spritze gilt als das stärkste Placebo, hilfreich gegen so gut wie jede Krankheit. Wahrscheinlich ist das so, weil die Patienten eine sofortige und schnelle Wirkung unterstellen. • Blaue Pillen beruhigen, rote muntern auf. (Texte: nj/mw)

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RÄTSEL

Saugröhre, Stechheber

Versehen, Fehlschluss

ApothekenAssistentin (Abk.)

eigenartig, kurios

lautmal.: GespensSchuss teraus einer treiben Waffe

Teil der Scheune

Abk.: Unterhitze

englisch: Osten

Abk.: Teil des BartscherSommerBogens gerät semester

ugs. für heran

Abk.: Wort Europ. Gemein- der Ablehnung schaft

Näschereien Abk.: Riesentorlauf

überlieferte Erzählung

letzter Abschnitt

Einstufung der Bonität (engl.)

sehr kleines Teilchen

Standbild Vergeltung für eine Wohltat

Hauptstadt i. Europa

ärztl. Behandelter

Abk.: Arbeitskreis

griech. Weichkäse

Zeichen für Tellur

Verkaufsausstellung

Luft der Lungen

Südstaat der USA

Strom zur Nordsee

Nebenfluss d. Rheins

franz. männl. Vorname

Ziel, das nie erreicht wird

französisch: Freund

Währungscode für Euro

einfetten, schmieren englische Prinzessin

Weltorganisation (Abk.) Fürwort mit Artikel

Tropenbaum

andernfalls

Normeninstitution (Abk.)

Hptst. der Republik Irland franz. Mehrzahlartikel

Währung in der Schweiz spanische Anrede: Frau

ital.: tausend

griech. Götterbote

unfreier Mensch

estn. Insel (Hiiumaa) Kf.: ohne Obligo

Abk.: Landrat

Mittelmeerwinde

vormals

junger Mensch (ugs.)

Speisefisch

Fischfett

oberhalb von

sehr aktuell, explosiv

handfester Mann Hauptstadt Österreichs

Bruder Kains (A. T.)

Satellit

Hauptkirche ugs.: Verstand

Hautausschlag

nicht beachtet, weggeschoben amerik. Erfinder † 1931

Abk.: betreffend

Ruhemöbel, Couch Stammmutter, Vorfahrin

Abk.: Minute

Zuckerrohrschnaps

Kraftfahrzeug (Kurzw.)

Länder Vorderasiens

Mediziner, Dentist

Wort des Einwandes

Schiffsküche Mastspitze

Schleppnetzfahrzeug

Ruhepause

Hauptstadt in Nahost Windrichtung

Possenreißer; Tor

Empfehlung

eine Tonart Name Gottes im Islam

Ältestenrat

ungebraucht

Kurzschrift (Kurzwort)

Kniegeige

Anstrengung, Mühe

Wandverzierung

franz.: Frau

Zugmaschine a. Schienen/Kw.

Intern. Luft- u. Raumfahrtausst./Abk.

Hauptstadt Norwegens

Wiedergabe (Kurzw.)

Untereinarmstudieren knochen

Kfz-Z. Niederlande

ugs.: zeitgemäß Stoßwaffe im MA.

französisch: Liebe

schlaff, lässig Abscheu empfinden

Registrierung

Kohleprodukt

chin. Schlaginstrument

zweckbeabstimmtes brechen Verhalten

falscher Weg

Augenflüssigkeitstropfen

Kartenspiel Seemann

Mutter/ Kosename

kleiner, lichter Wald

®

Augenblick s1825.1-3

K U R Z N O T I E RT

Online-Sucht ist weit verbreitet

Aufge-lesen Seelische Erkrankung, Religion und Sinndeutung Norbert Mönter (Hrsg.), PsychiatrieVerlag 2007 Religiöser Glaube, Weltanschauungen und Sinnsuche gehören unabhängig von gelebter Kultur und Tradition zu den zentralen Elementen des Lebens. Sinn des Buches ist, hilfreiche Überlegungen zu bieten, bewusster mit individuellen Grundüberzeugungen psychisch kranker Menschen umzugehen, Ressourcen eines spirituellen Selbstverständnisses zu entdecken und diese im Behandlungsprozess konstruktiv zu nutzen. Es ist gewiss nicht die Intention der Autoren, konkrete psychiatrische Arbeitshilfe zu leisten. Es erstaunt nicht, dass Religion und Spiritualität eingangs vor wissenschaftlichem Hintergrund als Phänomene beschrieben werden, die ein hochkomplexes Zusammenspiel der Hirnareale und Neurotransmitter auslösen, andererseits aber auch zu neurobiologischen Wechselwirkungen führen können, die sich in psychopathologischen Erlebensund Handlungsweisen äußern. In weiteren Beiträgen berichten Betroffene und Angehörige von religiös-spirituellen Erfahrungen zur persönlichen Sinnfindung. Betrachtet werden außerdem Aspekte des Krankseins und Gesundseins anhand von Transzendenzvorstellungen sowie Welt- und Menschenbildern anderer religiöser Kulturen und Traditionen. Schlussendlich kommt auch die Psychiatrieseelsorge mit ihren Konzeptionen von Sinndeutung und -findung im psychiatrischen Alltag nicht zu kurz. Ein überaus sinniges Buch, objektiv wissenschaftlich und subjektiv individuell begründet, lesenswert für Menschen mit religiös-spiritueller Orientierung, unabhängig von ihrer Ausrichtung, und für Menschen, die sich keiner bestimmten religiösen Weltanschauung und philosophischen Sinndeutung zugehörig fühlen.

Egal ob Chats, Online-Spiele oder Filme: Wer seinen Tagesablauf nach dem Internet ausrichtet, soziale Kontakte vermeidet und unruhig wird, wenn keine Zeit für die virtuelle Welt bleibt, kann süchtig werden. Der Berufsverband Deutscher Neurologen e. V. berichtet, dass etwa zehn Prozent der Internet-Nutzer gefährdet seien. Nicht selten seien Enttäuschungen, Identitätskrisen, Ängste oder Depressionen Gründe für die Flucht aus der Realität in die Scheinwelt. Eine Psychotherapie kann helfen, das Selbstbewusstsein zu stärken und Strategien zu entwickeln, um Bedürfnisse im wirklichen Leben umzusetzen. Kontakt: www.onlinesucht.de

Immer mehr Kinder sind von Armut betroffen. Das Hilfsprojekt „Die Arche“ in Berlin sorgt auch für das leibliche Wohl der Minderjährigen.

Immer mehr Menschen sind auf Lebensmittelspenden angewiesen In einem Industrieland von Armut zu reden, lässt bei manchem sicherlich ein mulmiges Gefühl aufkommen … Dennoch, die Zahlen sprechen für sich: Laut der Organisation „Die Tafeln“ hat sich die Zahl der Empfänger von Lebensmittelspenden in Deutschland in den letzten fünf Jahren mehr als verdoppelt. Aktuell sind es rund eine halbe Millionen Menschen, die niedrigschwellige existenzsichernde Hilfen in Anspruche nehmen. Der Ansturm auf Sozialkaufhäuser, Tafeln und Kleiderläden wird auch in Zukunft ansteigen. Einer der wesentlichen Gründe, warum das Geld nicht einmal zur ausgewogenen Ernährung reicht, ist der Anstieg von Menschen, die Arbeitslosengeld II beziehen. Mehr als 2,1 Millionen Menschen sind sogenannte HartzIV-Empfänger. Durchschnittlich stehen einkommensschwachen Bürgern 4,50 Euro für den gesamten Tagesbedarf zur Verfügung. Susanne Lexa, Sprecherin des Bundesverbandes Deutscher Tafeln e. V., äußerte im Oktober 2007 gegenüber dem ARD-Magazin-Plusminus: „Gerade diese Menschen werden immer stärker auf die Hilfe der Tafeln angewiesen sein.“

Heike Christmann, Köln

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V O R O RT

Stellten mit der Unterzeichnung des Erbbauvertrages die Weichen für ein neues Pflege- und Wohnangebot in Rinkerode: Ludger Jutkeit (2. v. l.), Notar Michael Kaven (r.) und Vertreter der Kirchengemeinde.

Modellhaftes Altenhilfe-Projekt in dörflicher Struktur Münster. Mit einem neuen Pflege- und Wohnprojekt im Süden von Münster (Kreis Warendorf) will die Alexianer-Krankenhaus Münster GmbH erstmalig ein Altenhilfeangebot in dörflicher Umgebung etablieren. In der Gemeinde Rinkerode sollen ab Frühjahr 2008 eine Wohngemeinschaft für demenzkranke Menschen und weitere zehn Appartements für das Betreute Wohnen entstehen. Je nach Bedarf ist in den Folgejahren eine drittes Gebäude für Senioren geplant. Vor wenigen Wochen stellten Ludger Jutkeit, Geschäftsführer der Alexianer Beteiligungs- und Verwaltungsgesellschaft mbH, sowie Ulrich Beerwerth, Leiter der Alexianer-Wohngemeinschaften, das neue Projekt mit dem Titel „Wohnen am Pröbstinghof“ in einer öffentlichen Veranstaltung den Bürgerinnen und Bürgern vor. Während die Alexianer die neue Einrichtung erbauen und auch später betreiben werden, stellte die Rinkeroder Kirchengemeinde per Erbbauvertrag das denkmalgeschützte Grundstück im Ortskern bereit. Ein weiterer Partner dieses Gemeinschaftsprojektes ist die Stadt Drensteinfurt. „Das neue Projekt im Ortskern von Rinkerode integriert die Bewohner und ältere Menschen auf optimale Weise in das dörfliche Gemeindeleben“, sieht Ludger Jutkeit diesem neuen Schritt in eine Dorfgemeinde sehr positiv entgegen.

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Hilfen bündeln: Die Integrierte Versorgung

Medizinische Zentren auf dem Vormarsch

Köln. Integrierte Versorgung (IV), so lautet seit 2004 das Schlagwort im Gesundheitswesen. Gemeint ist die Verbindung von Schnittstellen unterschiedlicher medizinischer Angebote. Krankenkassen können also ihren Versicherten eine abgestimmte Versorgung anbieten.

Krefeld. Zum 1. Oktober hat die Krankenhaus Maria-Hilf GmbH Krefeld ihr Zentrenkonzept für die somatischen Patienten weiter ausgebaut. Dazu gehört auch ein umfangreicher Chefarztwechsel. Auf die zwei in den Ruhestand wechselnden Chefärzte der Inneren Medizin und der Chirurgie folgten vier neue Spezialisten. Im Herz-/Lungenzentrum und im Darmzentrum behandeln jeweils hoch spezialisierte konservativ und operativ tätige Fachärzte gemeinsam ihre Patienten, ohne dass Verlegungen notwendig werden. In naher Zukunft wird es auch ein Zentrum für Altersmedizin geben, in dem das Know-how der Inneren Medizin und der Gerontopsychiatrie dem Patienten gebündelt zugutekommen wird.

Ein Zukunftsmodell, das auch die Alexianer in Köln begrüßen. Seit dem 1. Dezember 2007 besteht zwischen der Techniker Krankenkasse (TK) und der Alexianer-Krankenhaus Köln GmbH ein Integrierter Versorgungsvertrag für Menschen mit einer Alkoholerkrankung. Während es die Integrierte Versorgung bislang häufiger im somatischen Bereich gab, ist sie mittlerweile auch für den psychiatrischen Sektor interessant. Peter Scharfe, Geschäftsführer der Alexianer-Krankenhaus Köln GmbH, ist überzeugt, dass Patienten von der Integrierten Versorgung profitieren: „Die fließenden Übergänge der Behandlungsarten ermöglichen eine komprimierte und effiziente Versorgung.“ Drei Module stehen für das Konzept: Von der ambulanten Behandlung und Diagnostik (Modul 1) geht es weiter zur voll- oder teilstationären Behandlung (Modul 2) bis hin zur ambulanten Nachsorge (Modul 3). Finanziert wird die IV über eine Fallpauschale von 1.800 Euro. Und damit der Patient immer einen Ansprechpartner hat, wird ein Fallmanager die Hilfen koordinieren.

Professor Dr. Uwe Peters (3. v. l.) und Privatdozent Dr. Horst Krieg (2. v. r.) wechselten in den Ruhestand. Neu dabei sind: Dr. Andreas Schwalen, Dr. Martin Borger, Dr. Bernhard Mallmann und Dr. Andreas Leischker (v. l.).

In den Zentren bündelt das Krankenhaus alle Kapazitäten zur Behandlung bestimmter Krankheitsgebiete. Jeder Patient soll von der Arbeit eines Teams aus den verschiedenen medizinischen Fachrichtungen profitieren. Mit dabei sind auch die niedergelassenen Kollegen, um die gesamte Behandlung ohne Qualitätsbrüche sicherstellen zu können.

Versorgungslücken sind passé – dank der Integrierten Versorgung.

V O R O RT

REHA vernetzt

Das Kreativatelier am Löhergraben in Aachen.

Trainingsprojekt „Arbeit nach Maß – Maßarbeit“ Aachen. Am 16. November wurden die neuen Räumlichkeiten des Kreativ-Ateliers der Alexianer-Krankenhaus Aachen GmbH in der Aachener Innenstadt eingeweiht.

Krefeld. Das Zentrum für ambulante neurologische Rehabilitation des Alexianer-Krankenhauses Krefeld beteiligte sich am vierten deutschen Reha-Tag mit einem Tag der offenen Tür für die ganze Familie. Das Motto des Tages lautete „Reha vernetzt“. Die Fachkräfte der unterschiedlichen Disziplinen veranschaulichten, wie diese Vernetzung in der Praxis funktioniert. Die Ärzte, Therapeuten, Pflegekräfte und Kooperationspartner des Alexianer-Krankenhauses informierten über die Vielfalt der Möglichkeiten, veranschaulichten sie mit Demonstrationen, boten Mitmachmöglichkeiten und die Gelegenheit, die eigene Gesundheit und die eigenen Fähigkeiten zu testen.

Das von der Europäischen Union (durch den Europäischen Sozialfonds), durch das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NordrheinWestfalen sowie die Ar.ge der Stadt Aachen geförderte Projekt „Arbeit nach Maß – Maßarbeit“ ist jetzt zum Teil hier beheimatet. Das Projekt „Arbeit nach Maß – Maßarbeit“ ist ein modulares Trainings- und Qualifizierungsprojekt und bietet 24 Menschen mit psychischer Beeinträchtigung die Möglichkeit, sich wieder auf dem ersten Arbeitsmarkt zu etablieren. Ziel der Maßnahme ist die Herstellung oder Wiederherstellung wesentlicher Grundarbeitsfähigkeiten sowie die Vermittlung fachspezifischer Kenntnisse in den angebotenen Arbeitsbereichen. Dieses individuell abgestimmte Förderkonzept in einem realitätsbezogenen Umfeld soll schrittweise (zurück) in die Arbeitswelt führen. Außerhalb der Räumlichkeiten bietet das Projekt außerdem Trainingsangebote an – im hauswirtschaftlichen Bereich, im Café Kontakt, in der Wäscherei oder in der Großküche, in einem Stehcafé und im Café Sozialpunkt an der Katholischen Fachhochschule Aachen sowie der Begegnungsstätte Maria-Haus auf dem Kronenberg. Kooperationspartner sind die Prodia Aachen, Werkstatt für Menschen mit Behinderung, die FRW Hygieneberatung GmbH, Peper GmbH, der Aachener Verein zur Förderung psychisch Kranker e. V. sowie die Katholische Fachhochschule NRW/Abteilung Soziale Arbeit, Aachen.

Rehabilitation mit neuen Therapieansätzen: Die Spiegeltherapie.

Einen neuen Therapieansatz zeigten die Ergotherapeuten: die Spiegeltherapie. Sie dient der Rehabilitation nach Schlaganfall. Die Spiegeltherapie zeichnet sich aus durch die Kombination der vom Patienten selbst initiierten Bewegung mit der visuellen Stimulation über einen Spiegel, durch die der betroffene, in der Bewegung eingeschränkte Körperteil aktiviert werden kann.

Gemeinsam mehr erreichen Landkreis Diepholz. Ein Rehabilitationszentrum für suchtkranke Menschen wird in der Bassumer Klinik im August 2008 eröffnet. Die erforderlichen Umbauarbeiten haben bereits begonnen. Träger der neu entstehenden Einrichtung sind die Diakonie Freistatt und der St. Ansgar Klinikverbund, die gemeinsam mehr für die Gesundheit und das Wohl der Menschen erreichen wollen. „Wir realisieren ein bisher einmaliges Projekt in der Bundesrepublik“, sagt Martin Hoppe, Leiter des Fachzentrums Suchthilfe in Freistatt. Das neue Konzept sieht eine enge Verzahnung zwischen Entgiftung und qualifiziertem Entzug vor. 36 stationäre und 18 tagesklinische Plätze werden in der neuen Klinik vorhanden sein, die in einer neuen, gemeinsamen GmbH betrieben werden soll. „Mit dem neuen Konzept liegen die Diakonie Freistatt und der St. Ansgar Klinikverbund voll im Trend“, sagt St. Ansgar-Geschäftsführer Thomas Pilz. In enger Zusammenarbeit zwischen den somatischen Kliniken des St. Ansgar Klinikverbundes, welche die oftmals vorhandenen Begleiterkrankungen der Patienten behandeln, und der Rehabilitationsklinik wird – und das ist der große Vorteil für die Patientinnen und Patienten – an einem Ort eine ganzheitliche Behandlung angeboten und von verschiedenen Spezialisten gemeinsam durchgeführt werden.

Gründliche Umbauten sind notwendig, wie Thomas Pilz (l.) und Martin Hoppe in den Zeichnungen der neuen Klinik sehen.

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THERAPIE

Gewalt, Unfall,

Angst

Wenn schon ein junger Mensch Schlimmes verkraften muss. Hilfe für Kinder und Jugendliche nach traumatischen Erlebnissen in schwer belastendes Ereignis kann jeden treffen, seien es Gewalterfahrungen – als Opfer oder Zeuge – oder das unmittelbare Erleben von Natur- oder Unfallkatastrophen bis hin zu Kriegserlebnissen. Das Verarbeiten solch schwerwiegender Erfahrungen erfolgt unterschiedlich. Erst wenn das Trauma oder mehrere Traumata zu verschiedenen dauerhaften psychischen Symptomen führen, liegt eine sogenannte „Posttraumatische Belastungsstörung“ (PTBS) vor. Schlafstörungen, Schreckhaftigkeit, Interessenverlust, Abstumpfung, bestimmtes Vermeidungsverhalten, sozialer Rückzug (Selbstisolation), aber auch Depressionen, aggressives oder selbstverletzendes Verhalten und Persönlichkeitsveränderungen sind mögliche Merkmale einer solchen PTBS. Letztlich sind die Symptome der Erkrankung als Versuche zu begreifen, wieder Kontrolle über den eigenen Alltag und Sicherheit zu gewinnen.

E

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PTBS bei Kindern und Jugendlichen Eine besondere Herausforderung ist das Erkennen und Behandeln der PTBS bei Kindern und Jugendlichen. Nach den Ergebnissen der „Bremer Jugendstudie“ des Zentrums für Rehabilitationsforschung der Universität Bremen aus dem Jahre 1999 berichteten 22,5 Prozent aller Jugendlichen zwischen zwölf und siebzehn Jahren von mindestens einem traumatischen Ereignis in ihrem Leben. Am häufigsten wurden körperliche Angriffe, Verletzungen und schwerwiegende Unfälle erlebt. Aber auch der Tod eines Elternteils oder die Trennung der Eltern können eine PTBS verursachen. 7,3 Prozent derjenigen Jugendlichen, die von einem traumatischen Erlebnis berichten, entwickeln laut der Studie eine PTBS. Die posttraumatische Symptomatik hat weit reichenden Einfluss auf die spezifischen Lebensbereiche der Kinder und Jugendlichen. PTBS führt bei ihnen zu

Entwicklungsbehinderungen oder gar -blockaden. Eine Folge von Traumata bei Kindern und Jugendlichen kann auch der Rückzug auf einen früheren Entwicklungsstand sein. Unter anderem können dann Sprachstörungen oder erneutes Einnässen als Folge auftreten. Dies macht es notwendig, den jungen Menschen und ihren Familien angemessene Hilfe anzubieten. Dr. Susanne Crome, Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie im Zentrum für Psychotraumatologie des AlexianerKrankenhauses Krefeld, beschreibt die Vorgehensweise: „In einem offenen, Vertrauen fördernden Gespräch versuchen wir zunächst, Kontakt aufzubauen. Das Gespräch ist das wichtigste Instrument der Diagnostik.“ Häufig ist es sinnvoll, die Familie des Kindes oder Jugendlichen in die Diagnostik und Therapie einzubeziehen. Vieles an Symptomen erschließt sich zum Beispiel erst im Gespräch mit den Eltern. Die Therapie ist auch immer Entwicklungsförderung. Zudem soll in der Therapie

THERAPIE

über Lösungsstrategien die Möglichkeit gegeben werden, die eigene Geschichte zu ordnen und selbst aktiv zu werden. Das geschieht mit altersgerechten, spielerischen Mitteln, zum Beispiel mit Handpuppen oder verschiedenen Maltherapieformen, wodurch auch die eigenen Emotionen besser beschreibbar werden.

Anlaufstelle Ambulanz Seit über fünf Jahren besteht am Alexianer-Krankenhaus Krefeld das Zentrum für Psychotraumatologie. Schrittweise konnte das Behandlungsangebot erweitert werden. Das Konzept bringt die Behandlung, die Rehabilitation, die Prävention sowie die Lehre und Forschung institutionell auf einen Nenner. Im Mittelpunkt stehen Betroffene, die als Folge von sexualisierter Gewalt, von häuslicher Gewalt, von Arbeitsunfällen, Natur- und Kriegskatastrophen und ähnlichen Lebensereignissen eine schwerwiegende (posttraumatische) Belastungsstörung entwickelt haben. Das Behandlungsangebot des Zentrums für Psychotraumatologie ist seit zwei Jahren um eine Sprechstunde für Kinder und Jugendliche erweitert. Damit ist in Kooperation mit Opferhilfeeinrichtungen auch für Kinder und Jugendliche im Krefelder Raum eine psychotraumatologische Versorgung gewährleistet. Zu diesem Zweck wurde mit dem Ver-

sorgungsamt Düsseldorf ein Vertrag geschlossen, der die Erstberatung und gegebenenfalls die Behandlung von Kindern und Jugendlichen regelt.

Einbezug der Familien Im Zentrum für Psychotraumatologie in Krefeld kümmern sich Dr. Susanne Crome als Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Bettina Baldauf, Diplom-Pädagogin und approbierte Kinder- und Jugendlichentherapeutin, um die betroffenen jungen Menschen. Im Erstkontakt finden eine erste diagnostische Einschätzung, eine Beratung und gegebenenfalls eine Krisenintervention mit Stabilisierungsübungen statt, in die gegebenenfalls Eltern und Bezugspersonen einbezogen werden. Gehört das betroffene Kind zur Risikogruppe zur Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung, können Behandlungsangebote nach Terminabsprache gemacht werden. „Erst nach Aufbau eines guten Arbeits- beziehungsweise Therapiebündnisses kann ganz langsam und vorsichtig eine Traumabearbeitung begonnen werden“, sagt Bettina Baldauf. Am Anfang stehen traumazentrierte, auch familientherapeutische, Kurzzeittherapien. Drei bis fünf Therapiegespräche erzeugen in der Regel bereits einen positiven Effekt. Erst dann sind längerfristige Behandlungen bis hin zu stationären Behandlungen zu erwägen. Ziel der Therapie ist, dass die Kinder und Jugendlichen mit dem Erlebten besser umzugehen lernen und dass besonders Kinder in ihrer Entwicklung durch das Trauma nicht weiter beeinträchtigt werden. Die Familie wird in die Therapie mit einbezogen, da Eltern und Geschwister einerseits mit betroffen sind und andererseits wichtige Unterstützer für das betroffene Kind sein können. Das Wohl des Kindes kann in seiner sozialen Umgebung gefährdet sein. Dann kann das Zentrum für Psychotraumatologie Kinder und Jugendliche für drei Tage zur Sachverhaltsaufklärung stationär aufnehmen. Dies dient der Einschätzung, ob mit Hilfe der psychosozialen Vernetzung in Krefeld eine Entlastung herbeigeführt werden kann oder ob eine längerfristige kinder- und jugendpsychiatrische Behandlung erforderlich ist, die dann in einer kinder- und jugendpsychiatrischen Fachabteilung durchgeführt wird.

Die Einrichtung einer Sprechstunde für Kinder und Jugendliche kann nur ein Anfang sein, eine angemessene Versorgung der Opfer von Gewalterfahrung und Unfällen sicherzustellen. Aus diesem Grunde pflegt das PsychotraumaZentrum die Kooperation mit niedergelassenen Therapeuten, Kollegen aus anderen Krankenhäusern, dem Kinderschutzbund, der Jugendhilfe, dem Weißen Ring sowie allen weiteren Institutionen, die mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen in Berührung kommen, um die psychosoziale Versorgung zu verbessern. (fj)

Kontakt & Info Alexianer-Krankenhaus Zentrum für Psychotraumatologie Ambulanz für Kinder und Jugendliche Oberdießemer Straße 136 47805 Krefeld Telefon (tagsüber): (0 21 51) 34 72 00 Notfalltelefon (rund um die Uhr): (0 21 51) 34 72 27 Ambulanzsprechstunde für Kinder und Jugendliche: mittwochs von 9 bis 10 Uhr

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V O R G E S T E L LT

Küchenchef Frank Ziegert (l.) schaut auf die Fähigkeiten der Teilnehmer, um ihr Engagement und Selbstvertrauen zu fördern.

Auf den

Geschmack gekommen Ein Alexianer-Projekt mit Pfiff: Buffetservice „Culinaria“ integriert psychisch behinderte Menschen in die Arbeitswelt o muss es in der Antarktis sein: Eiseskälte, minus 30 Grad Celsius, dichter Nebel, der den fröstelnden Körper umhüllt. Der Atem wird nach einigen Minuten flacher.

S

„Willkommen in meiner Welt“, scherzt Michael Partl*. Der 23-Jährige kennt sich zwar nicht in der Antarktis aus, dafür aber im Kühlhaus des AlexianerKrankenhauses in Köln. Gern fachsimpelt der quirlige junge Mann darüber, wie wichtig es ist, verderbliche Lebensmittel umgehend im Kühlhaus unterzubringen, um Frische zu gewährleisten. Beiläufig erwähnt er: „Gefrorene Stickstoffwürfel müssen immer aus dem Tiefkühlhaus entfernt werden, sonst droht man zu ersticken.“

Arbeit: Das Salz in der Suppe Gemeinsam mit neun Kolleginnen und Kollegen ist Michael Partl Teilnehmer an einem Modellprojekt der AlexianerKrankenhaus Köln GmbH, dem Buffetservice „Culinaria“. Finanziell gefördert wird „Culinaria“ vom Europäischen Sozialfonds, vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW, der ARGE Köln und vom Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln. *Name von der Redaktion geändert

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Das zunächst auf anderthalb Jahre befristete Projekt, das sowohl theoretische Kenntnisse als auch praktische Fertigkeiten vermittelt, soll psychisch kranken Menschen einen Einstieg in das Arbeitsleben ermöglichen. Eine gute Sache, denn gerade psychische Erkrankungen wie Depressionen, Sucht, Schizophrenie oder Borderlinestörungen erschweren oder verhindern die Berufstätigkeit in Krisenzeiten. Culinaria bietet unter Echtbedingungen die schrittweise Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt oder andere weiterführende Maßnahmen. Das bestätigt auch Michael Partl: „Wir werden hier wie auf dem ersten Arbeitsmarkt behandelt, aber wenn wir wieder in die Krise rutschen, erfahren wir mehr Verständnis.“ Sein Kollege Conny Beltz* (39) ergänzt: „Es spielt keine Rolle für unser Team, was man hat. Hier geht es um die Arbeit und um das, was wir können.“ Für Alexianer-Küchenchef Frank Ziegert ist eines besonders wichtig: „Wir müssen schauen, welche Fähigkeiten die Teilnehmer mitbringen, und sie dann in passenden Arbeitsbereichen einsetzen. Das fördert Selbstvertrauen und Engagement.“ Teilnehmerin Jana Baltung*. ist froh, dass sie schon einige Einsätze im Altenheim Haus Monika hatte: „Bei

einem Fest war ich zuständig für die Vor- und Nachbereitung, zum Beispiel das richtige Eindecken. Die Buffetherstellung überlasse ich lieber meinen Kollegen.“ Besonders der Kontakt zu den Senioren war für die 28-Jährige eine positive Erfahrung: „Mit alten Menschen kann ich gut, ich habe mal eine Ausbildung als Altenpflegerin angefangen.“ Nicht nur für hausinterne Veranstaltungen wird der Buffetservice gebucht. Immer mehr Porzer Bürger, Kölner Firmen und Institutionen sind begeistert vom großen kulinarischen Angebot und unterstützen das soziale Projekt. Michael Partl hat sich mittlerweile hochgearbeitet. „Im Lager habe ich das Kommando, aber in der Küche ordne ich mich schon unter“, erzählt er. Conny Beltz* strebt nach häufigeren Einsätzen als Servicekraft. Das Traumziel des gelernten Restaurantfachmanns ist die Rückkehr in den alten Job.

Keine Extrawurst Küchenchef Ziegert kennt die Schwierigkeiten: „Für manche ist es schwer, morgens hier pünktlich zu erscheinen und einen Arbeitstag durchzuhalten. Kennt man die ‚Marotten’ des Einzelnen, kann man sich besser darauf einstellen.“ Doch trotz des Verständnisses für die Situation der Culinaria-Leute, muss der Laden laufen. Der Kunde will schließlich zufrieden sein. „Es gibt hier keine Käseglocke“, betont Ziegert. Vielleicht ist es genau das, was die Culinaria-Mitarbeiter so an ihrem Chef und dem Hauswirtschaftsteam schätzen. „Auch wenn ich hier nicht fest angestellt bin, habe ich nicht das Gefühl, weniger Wert zu sein“, bilanziert Michael Partl. (bel) Nähere Informationen zum Konzept und Angebot: Frank Ziegert Tel. (0 18 03) 88 00-1 18 51

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Impressum

Anschrift der Redaktion: Alexianer Beteiligungs- und Verwaltungsgesellschaft mbH Redaktion „Alexianer“ Kölner Str. 64, 51149 Köln Tel. (0 18 03) 88 00-1 11 18 E-Mail: [email protected] Endredaktion: Schwarz auf Weiß Manuela Wetzel (mw) Büro für Text, Redaktion und PR E-Mail: [email protected]

Herausgeber: Alexianer Beteiligungs- und Verwaltungsgesellschaft mbH Alexianerweg 9 48163 Münster Redaktion: Britta Ellerkamp (verantwortliche Redakteurin, bel) Georg Beuke (beu) Kristof von Fabeck-Volkenborn (kv) Anja Große Wöstmann (agw) Frank Jezierski (fj)

Mitarbeit: Claudia Keller (ck), Kerstin Deeken, Nadine Jungblut (nj) Fotos: Mascha Lohe (Titel, S. 12–17, 25 Arche), Barbara Bechtloff (S. 19–21, 28/29), Michel Koczy (S. 30), mauritius images/Stock 4b (S. 7), mauritius images/Simon Katzer (S. 21/22 große Bilder), Kai Schenk (S. 6, 10, S. 18 großes Bild), Damian Zimmermann (S. 4/5), privat, Archiv der AlexianerKrankenhäuser der St. Alexius-Provinz Aachen

Verlag, Anzeigenverwaltung und Herstellung: Grafische Werkstatt Druckerei und Verlag Gebrüder Kopp GmbH & Co. KG Goltsteinstr. 28–30, 50968 Köln Tel: (02 21) 37 69 7-0, Fax: (02 21) 37 69 7-39 Satz, Gestaltung: neo design consulting, Bonn; www.neodc.de V.i.S.d.P: Ludger Jutkeit, Geschäftsführer Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Bilder kann keine Gewähr übernommen werden. Namentlich gekennzeichnete Beiträge stimmen nicht unbedingt mit der Meinung des Herausgebers überein. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit haben wir uns gegen eine durchgängige Verwendung männlicher und weiblicher Begriffe entschieden. Begriffe wie „Patienten“ und „Mitarbeiter“ usw. sind daher auch im Sinne von „Patientinnen“ und „Mitarbeiterinnen“ zu verstehen. Auflage: 7.000

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