Wundballistik worauf es ankommt!

  Mag. Helmut Eller, 2012      Wundballistik ‐ worauf es ankommt!   1. Einleitung   Die in den letzten Jahren immer intensivere Debatte rund um bl...
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  Mag. Helmut Eller, 2012     

Wundballistik ‐ worauf es ankommt!  

1. Einleitung  

Die in den letzten Jahren immer intensivere Debatte rund um bleifreie Büchsengeschosse hat  vor allem eines gezeigt: Den teilweise  erstaunlich geringen Wissensstand nicht nur der Jäger‐ schaft,  sondern  auch  von  großen  Teilen  des  Fachhandels  und  der  Journalisten.  Die  gängigen  Quellen,  wie  der  „Jagdprüfungsbehelf“  oder  die  Kataloge  verschiedener  Munitionshersteller  und Großhändler sind nicht nur teilweise unrichtig und veraltet, sie lassen vor allem eine über‐ geordnete Systematik vermissen. Dadurch ist es z.B. möglich, dass von vielen Weidkameraden  die „neuen“ bleifreien Geschosse fälschlicherweise für eine eigene Kategorie von Jagdgeschos‐ sen gehalten werden, die im Gegensatz zu den bleihaltigen Geschossen stehen soll. Die nach‐ folgende Abhandlung soll dem ballistisch Interessierten  einen Einblick in die Vorgänge im ge‐ troffenen Wildkörper vermitteln und die Unterschiede der einzelnen Konstruktionen aufzeigen.  Dabei ist es unvermeidlich mit einigen weit verbreiteten und dennoch falschen Lehrmeinungen  aufzuräumen und andrerseits den Blick auf das Wesentliche zu lenken. Am Ende sollte es dem  Leser  möglich  sein  die  von  ihm  verwendete  Munition  einordnen  und  auch  andere  Produkte  hinsichtlich ihres Zielverhaltens einschätzen zu können. Auf die Problematik der Bleikontamina‐ tion wird in diesem Artikel bewusst nicht näher eingegangen.   

2. Wie wirken Büchsengeschosse im Wildkörper?  

2.1. Die 3 Grundtypen von Büchsengeschossen Zum  besseren  Verständnis  ist  es    notwendig,  den  Vorgang  allgemein  zu  betrachten  und  eine   Grundeinteilung  zu  treffen.  Dafür  wurde  eine  neue  Systematik  entworfen  nach  der  alle  Jagd‐ büchsengeschosse in primär, sekundär und terminal effiziente eingeteilt werden. Was ist  dar‐ unter zu verstehen?  Nun, wie ich später noch genauer erläutern werde, gelten für das Durchdringen des Wildkör‐ pers durch ein Projektil vor allem die Gesetze der Strömungslehre. Will man nun eine optimale  Wirkung erzielen muss das Geschoß (bzw. der Geschoßrest) möglichst rasch töten, also effizient  sein. Logischerweise ist der früheste mögliche Zeitpunkt dafür  die Herstellung desselben und  der späteste das Auftreffen auf den Wildkörper bzw. die unmittelbar darauf einsetzende Form‐ änderung. Daraus resultieren nun die 3 Grundtypen:    a) Primär effizientes Geschoss   Es ist masse‐ und formstabil und bleibt dies auch nach dem Verlassen des Laufes und selbst im  Wildkörper.    1   

 

b) Sekundär effizientes Geschoss   Dieser Geschoßtyp ändert seine Form und Eigenschaften  nach dem Verlassen des Laufes (wäh‐ rend  des  Fluges).  Während  solche  Geschosstypen  bei  Militär  und  Behörden  im  Einsatz  sind,  werden sie derzeit jagdlich nicht verwendet und wird daher nicht näher auf sie eingegangen.  c) Terminal effizientes Geschoß  Bei diesem Sonderfall des sekundär effizienten Geschosses erfolgt die Wirkungssteigerung erst  beim Auftreffen auf das Ziel(Wildkörper). Dabei Ändert sich entweder nur die Form oder Form  und  Masse.  Fast  alle  in  den  letzten  100  Jahren  entwickelten  und  heute  verwendeten  Jagdge‐ schosse (Teilzerlegungs‐ und Deformationsgeschosse) gehören in diese Gruppe.    Bevor nun die Wirkungsweise der Jagdgeschosse erörtert wird möchte ich kurz  auf die histori‐ sche  Entwicklung  der  Büchsengeschosse  eingehen.  Deren  Kenntnis  erleichtert  den  Überblick  über die zahlreichen Geschoßkonstruktionen am Markt.   

2.2. Historische Entwicklung Mehrere Jahrhunderte lang wurde als Treibladungsmittel Schwarzpulver und als Geschossmate‐ rial ausschließlich Blei, zunächst in Vorderlade‐Waffen und später auch in den um 1850 herum  aufkommenden Metallpatronen, verwendet. Dieses war preiswert, in großer Menge verfügbar  und den ballistischen Anforderungen voll gewachsen. Durch einen geringen Zusatz von Zinn und  Antimon konnte man die Härte erhöhen. Diese Hartblei‐Projektile schöpften dann die maximale  mit  Schwarzpulver  erreichbare  Mündungsgeschwindigkeit  von  etwa  400‐500m/sec  aus  und  waren,  was  die  Zielballistik  anbelangt,  primär  effizient.  Mit  den  gegen  Ende  des  19.  Jahrhun‐ derts aufkommenden, rauchlosen Pulvern, ließen sich plötzlich doppelt so hohe Geschwindig‐ keiten realisieren und Blei stellte sich als völlig ungeeignet heraus. Es war einfach zu weich um  sich durch den Drall (der überdies durch längere, vom Durchmesser kleinere Geschosse wesent‐ lich kürzer sein musste) führen zu lassen. Da es der damalige Stand der Technik nicht ermög‐ lichte, Geschosse aus härterem Material in Großserie zu fertigen, löste man das Problem indem  man einen Bleikern mit einem Mantel aus Weicheisen, später auch Kupfer und Tombak umgab.  Als Vollmantelgeschoss hat sich diese Lösung bewährt und wird, wegen der geringen wundballi‐ stischen Wirkung, sogar von der Haager Konvention für den militärischen Einsatz vorgeschrie‐ ben. Gerade diese geringe Tötungswirkung war bei der Jagd natürlich unerwünscht und so ent‐ stand das Teilmantelgeschoß. Es ist, wie praktisch alle in den letzten 100 Jahren entwickelten  Jagdgeschosse, terminal effizient.   Das Grundproblem dieses Geschoßtyps liegt auf der Hand: Die Zerlegung und/oder Deformati‐ on, die  einen optimal wirksamen Restkörper schaffen soll,  ist von 2 Faktoren abhängig:   Dem Zielwiderstand (Treffersitz und Wildmasse) und der   Auftreffgeschwindigkeit (Abhängig von Mündungsgeschwindigkeit  und Zielentfernung).  Negativ  erweist  sich  in  diesem  Zusammenhang  eine  weitere  physikalischen  Eigenschaft  des  Bleis: Ab einer Auftreffgeschwindigkeit (Vz) von etwa 550m/sec deformiert  es nicht mehr son‐ dern  zerstäubt  explosionsartig.  Daher  begannen  schon  früh  Versuche,  eine  bessere  Reprodu‐ zierbarkeit  der  Zielballistik  zu  erreichen.  „Vollmanteleffekt“  auf  der  einen  und  Totalzerlegung  auf der anderen Seite das Spektrums galt es zu vermeiden. Bei der Besprechung der einzelnen  Typen von terminal effizienten Jagdgeschossen wird näher darauf eingegangen.   

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2.3. Tötungswirkung Die  Traumatisierung,  welche  das  möglichst  rasche  Ableben  des  beschossenen  Stückes  herbei‐ führen  soll,  erfolgt  einerseits  mechanisch  durch  das  Geschoss  selbst  bzw.  seine  Fragmente,  andrerseits  durch  Druckwellen  die  das  Geschoß(primär  effizientes  G.)  bzw.  der  Geschoßrest  (terminal effizientes G.) auf seinem Weg durch den Wildkörper erzeugt (Gewebeverdrängung).  In  früheren  Zeiten  hat man  der  mechanischen  Zerstörung  zu  viel  Bedeutung  bei  der  Tötungs‐ wirkung  beigemessen.  Das  ist  nicht  verwunderlich,  lässt  sich  doch  diese  unschwer  sowohl  im  Wildkörper als auch in einem geeigneten Beschußmedium (z.B. ballistische Seife) dokumentie‐ ren. Es sei hier an Totalzerlegungsgeschosse wie D‐Mantel erinnert. Während die Blei‐und vor  allem Mantelsplitter zweifellos, vor allem bei schwächerem Wild, ihren Beitrag zum „im Feuer  liegen“ leisten(der Splitterhagel‐ „innerer Schrotschuß“‐ macht einen Schocktod durch Trauma‐ tisierung  des  ZNS  wahrscheinlicher)  haben  uns    moderne  Untersuchungsmethoden  wie    der  Hochgeschwindigkeitsfilm  die  Wundwirkung  mehr  und  mehr  aus  dem  Blickwinkel  der  Strö‐ mungslehre sehen lassen. Wenn man im Hochgeschwindigkeitsfilm sieht wie selbst ein stromli‐ nienförmiges  Vollmantel‐  Infanteriegeschoß  vom  Kaliber  5.56mm  (.224“)  eine  Kavitationsbla‐ se(temporäre  Wundhöhle)  von  15  cm  Durchmesser    in  ballistischer  Gelatine  verursacht  kann  man erahnen welche Kräfte da bei strömungstechnisch weit effizienteren Jagdgeschossen bzw.  Restkörpern im Spiel sind. Bedenkt man weiter, dass die Deformation und/oder Zerlegung der  terminal effizienten Jagdgeschosse bereits nach wenigen Zentimetern Eindringtiefe abgeschlos‐ sen ist, so wird einem klar, dass vor allem auf stärkeres Wild die Wirkung  in erster Linie auf der  Druckwelle, die diese Geschoß(‐rest)e  vor allem in der Tiefe noch zu erzeugen vermögen, be‐ ruht.  Auch ein  Ausschuss  mit  relativ  hoher  Geschwindigkeit  trägt  wesentlich  zur  Wirkung  bei.   Beim rein mechanischen Denkansatz wäre der Steckschuß (=100 % Energieverlust des Geschos‐ ses) ideal, was sich aber in der Praxis keinesfalls bestätigt! Vielmehr ist es der dem Überdruck  folgende Unterdruck und Sogeffekt durch plötzlichen Strömungsabriss, der die Kavitationsblase  implodieren lässt  und stark traumatisiert(man denke nur an die teilweise faustgroßen Organ‐ fragmente die durch einen nur 2cm großen Ausschuß gezogen werden können. Eine große Be‐ deutung kommt auch den Schockwellen zu, die vom  Geschoß erzeugt werden. Dieses Phäno‐ men ist noch nicht restlos erforscht, die massive  Zellschädigung jedoch durch zahlreiche Expe‐ rimente belegt. In der Medizin werden solche Stoßwellen z.B. bei der Zertrümmerung von Nie‐ rensteinen eingesetzt. Es gibt umfangreiche Literatur zu diesem Thema und es sei hier auf die  Arbeiten des Schweizers Beat Kneubühl verwiesen.  Zusammen  mit  der  Geschoßenergie  ist  für  das  Penetrationsvermögen  eines  Geschosses  bzw.  Geschossrestes  ein  Wert  von  zentraler  Bedeutung:  Die  Querschnittsbelastung(  QB  )im  engli‐ schen  sectional  density  (SD)  genannt.  Vereinfacht  ausgedrückt  gibt  diese  Zahl  das  Verhältnis  des  Gewichts  dividiert  durch  das  Quadrat  des  Durchmessers  an.  ACHTUNG!  Nur  beim  primär  effizienten  Geschoß  ist  die  SD  bekannt  und  bleibt  unverändert.  Die,  meist  sehr  hohe,  SD  des  terminal  effizienten  Geschosses  nimmt  sofort  nach  dem  Auftreffen  ab  und  der  neue,  für  die  Wirkung relevante Wert lässt sich allenfalls nachträglich bestimmen, wenn man den Geschoss‐ rest bergen kann. Naturgemäß deformiert ein Geschoß umso mehr, je höher der Zielwiderstand  ist. Hier ist der Erfindungsreichtum der Erzeuger  gefragt um Geschosse herzustellen, die, mög‐ lichst reproduzierbar, einen Formkörper mit annähernd der gewünschten SD  produzieren .Alle  Geschoßkonstruktionen  der  letzten  100  Jahre  zielen  letztendlich  darauf  ab.  Um  eine  ausrei‐ chende Tiefenwirkung zu gewährleisten ist gilt: Je niedriger die Querschnittsbelastung des Ge‐ schoßrestes,  desto  höher  muß  die  Restenergie  sein.  Ein  Maß  für    die  zu  erwartende  Durch‐ schlagskraft ist der Penetrationsfaktor PF.  

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PF  =  SD  X  E/100,  also  Querschnittsbelastung  mal  Energie,  wobei  die  Teilung  durch  100  eine  niedrigere Zahl ergibt. Der PF ist natürlich nur ein Indikator für die zu erwartende Tiefenwirkung  eines  Geschosses.  Für  die  tatsächliche  Energieumsetzung  (Tötungswirkung)  spielt  auch  die  Form des Geschoß(rest)‐es eine wichtige Rolle.  Für die nachfolgende Tabelle wurde als Beispiel   das Kaliber 9,3 gewählt. Naturgemäß ist die Situation bei  anderen Kalibern sehr ähnlich.  Un‐ abhängig  vom  Kaliber  gilt:  Bei  einem  PF 

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