Von der Kohle bis zur Hightech-Logistik

Von der Kohle bis zur Hightech-Logistik. Diesmal waren es gleich drei Tage, die der Kurs WIBI09B an Rhein und Ruhr unterwegs war, um sich die ganze B...
Author: Jens Dittmar
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Von der Kohle bis zur Hightech-Logistik.

Diesmal waren es gleich drei Tage, die der Kurs WIBI09B an Rhein und Ruhr unterwegs war, um sich die ganze Bandbreite logistischer Entwicklungen aus dem industriellen Alltag anzuschauen. Vom 15. bis 17. November fuhren 17 Studenten in Begleitung von Professor Dr. Rainer Hoch und dem Dozenten Dipl.Volkswirt Wolfgang Abicht in das Herz der deutschen Industrielandschaft. Fast jede Stunde der insgesamt sechs Besichtigungen war vollgestopft mit Wissen und Erlebnis pur. Und trotz der teilweise ganz schön in die Knochen gehenden Besichtigungen gab es am Schluss keinen, der meinte, dass es sich nicht gelohnt hätte. 1. Tag. Die erste Etappe führte zum Koks. Die Besichtigung der Essener Zeche Zollverein 23, 2001 zum Weltkulturerbe gekürt, bot völlig andere Dimensionen, als man sich vorab vorgestellt hatte. Statt in die Tiefe der Schächte – diese sind nicht zur „Befahrung“ freigegeben - ging es erst einmal mit einer ewig langen Rolltreppe gut 80 Meter nach oben. Nicht ganz nach oben auf den Doppelbock, den wegen seiner eigenwilligen Form so genannten gewaltigen Förderturm, der das riesige Gelände überragt, sondern nur in die oberste Etage der fünfstöckigen Kokerei.

Die ganze Kokerei bot lebendigen Anschaungsunterricht darüber, wie man durch geschickten Einsatz der Schwerkraft auf energieverzehrende Antriebsmittel bei der wegereichen Weiterverarbeitung der geförderten Kohle einsparen kann. Darüberhinaus war zu lernen, dass der Brennstoff Kohle erst einmal gewaschen werden muss, damit man ihn weiterverarbeiten kann. Auch hätte man nicht erwartet, dass die Kohle je nach Größe in fünf Sorten „Nüsse“ klassifiziert wird und dass die schweren Loren mit der frisch geförderten Kohle mit einer Art Überkopfsalto in die nächste Etage entleert werden. Das unerwartet riesige Gelände des oberirdischen Teils der 1993 endgültig stillgelegten Zeche stellte bei der gut zweistündigen Führung mit langen Transportwegen und viel treppauf-treppab bereits leicht erhöhte Anforderungen an die Kondition unserer Besuchergruppe. Staunend stand man knapp zwei Stunden später vor dem ehemaligen Turm der Dortmunder Union-Brauerei. Dieses sechsstöckige Industriemonument war nach Schließung der Fabrikationsstätte im Zentrum von Dortmund völlig entkernt und daraus ein Zentrum für Kunst und Kreativität gestaltet worden.

Schon von weitem leuchten die computergesteuerten Projektionen von den obersten Etagen des „Dortmunder U“ über die Innenstadt. Das ehemalige Kupferdach des Brauereiturms sowie die Außenverglasung des im obersten Stockwerk untergebrachten Restaurants „View“ zeigen im ständigen Wechsel Szenen aus dem Alltag, aus der Arbeitswelt und aus der Kunst. Das Innere des Turms ist seinerseits auch als optisches Erlebnis mit einer Vielzahl von „Projektionsfenstern“ ausgekleidet, in denen Beamer über mehrere Etagen hinweg in ständigem Wechsel mit künstlerischer Intensität das Kleine und Alltägliche zum optischen Ereignis machen. Durch das Gebäude, das komplett durch Professor A. Winkelmann ausgestaltet wurde, führte uns fachmännisch einer seiner Partner, Herr S. Krüger, der die vier Jahre vom ersten Entwurf am Reißbrett bis zur endgültigen Fertigstellung dabei gewesen war.

2. Tag. Der nächste Vormittag führte die Gruppe zu Ikea, das in Dortmund das größte Auslieferungslager Europas betreibt. „Ikea ist so etwas wie Aldi unter den Möbeldiscountern.“ So stellte uns der Logistikfachmann aus dem schwedischen Möbelhaus sein Unternehmen im Besucherzentrum vor. Der Dauerbrenner unter den Verkaufsschlagern, das allseits bekannte Wohnzimmerregal „Billy“, ist bestens dazu geeignet, zu demonstrieren, wie durch Schlichtheit in Design und Logistik neben den Kostenvorteilen auch enorme Zuverlässigkeit auf den Verarbeitungs- und Lieferwegen erreicht werden kann.

Die riesigen Ausmaße des Distributionszentrums mit 1,35 Quadratkilometern Grundfläche waren Programm. Bedient wird von hier aus eine dreistellige Zahl von Möbelhäusern in Zentral-und Westeuropa. Überwiegend wird der Verkehr je zu 50% über LKWs (250 LKWs pro Tag) und Schiene (drei eigene Gleisanschlüsse mit 850 Meter Verladerampe) abgewickelt. Zur Optimierung der Fahrstrecken auf eine möglichst geringe Distanz zu Zulieferern und Möbelhäusern ist die Lage des Verteilzentrums im Schnittpunkt verschiedener Autobahnen mitten im Herz des bevölkerungsreichsten deutschen Bundeslandes nur zu logisch. Das Innenleben des Lagers war wieder eine Herausforderung an die Kondition aller Teilnehmer. 50000 Orders werden hier täglich abgewickelt. Kilometerlange Laufwege innerhalb der Hallen, elfstöckige, vollautomatisierte Hochregallager und eine

ausgeklügelte, über Barcode gesteuerte Ablauflogistik für 370 Ladeeinheiten pro Tag sowie eine Einschienenhängebahn mit 1700 Metern Fahrstrecke waren die Höhepunkte des in seinen Dimensionen nach wie vor von keinem anderen europäischen Unternehmen erreichten Distributionszentrums. Der zweite Teil des Tages führte zum Flughafen Köln-Bonn. Der ehemalige „Regierungsflughafen“ hat den Umzug der Bundesregierung nach Berlin geschickt genutzt und sich durch den Ausbau als Luftfrachtzentrum eine neue Zukunft erschlossen. Entscheidender Schritt war die Aufhebung des Nachtflugverbots, sodass die Einrichtungen dann genutzt werden können, wenn nicht gerade tagsüber die Mehrzahl der Passagiermaschinen startet und landet. Prominentester Betreiber eines Air-hubs ist United Parcel Service. Nachts werden dort pro Stunde ca. 110000 Pakete in Empfang genommen und wieder auf den Weg geschickt. 43 eigene und noch einmal fast die gleiche Zahl gecharterte Flugzeuge müssen in dem kurzen Sortierfenster zwischen 23,00 Uhr und 2,30 Uhr abgefertigt werden. Logischerweise konzentriert sich die Arbeitszeit der 2100 Mitarbeiter am UPS-Air-hub genau auf diese Kernzeit. Unser Besuchsprogramm begann deswegen auch ziemlich genau mit dem Beginn der Kernarbeitszeit spät am Abend. Nach der Präsentation im Besucherzentrum ging die Fahrt auf das Rollfeld, wo gerade die aus aller Welt hereingekommenen Maschinen entladen wurden. Die wegen ihrer braunen Heckbemalung „brown tales“ genannten UPS-Flugzeuge, wurden mit speziellen, jeweils auf Flugzeugtyp und - größe zugeschnittenen Containern be- und entladen.

Danach ging alles blitzschnell. Die Container wurden in der fünfstöckigen Sortieranlage entpackt und mit Affenzahn per Laufband auf die Reise geschickt. 30 Kilometer Transportband, angetrieben von 6000 Elektromotoren, jagen die Pakete über fünf Stockwerke, damit sie postleitzahlgenau in die für den jeweiligen Bestimmungsort vorgesehenen Transportsäcke eingepackt werden können. Die Lochgitter in den Zwischenböden des Verteilzentrums ermöglichen einen Durchblick über sämtliche fünf Etagen des Transportweges. Teilweise war es schon in den Zwischenetagen für uns ungeschulte Betrachter ganz schön verblüffend, wie kopfüber und kopfunter die Sendungen im Sekundentakt an uns vorbeiflitzten. Erst gegen 2,00 Uhr nachts sanken die Teilnehmer ziemlich groggy ins Bett.

3. Tag. Auf dem Programm für den Vormittag stand das DHL Innovation Center in Bonn-Troisdorf. Von außen wie ein Postpaket, innen Hightech – so präsentiert sich das inzwischen schon legendäre Demonstrationscenter für Supply Chain Management auf dem neuesten Stand der Technologie.

Das Zentrum nimmt für sich in Anspruch, alles zu realisieren, was im Supply Chain Management „state of the art“ ist. Es beginnt beim Einchecken mit dem Besucherausweis, der einen RFID-Chip enthält. Mit diesem konfektioniert man sein ganz persönliches DHL-Paket, das - individuell abgepackt – entweder an den gewählten Zielort oder an ein Verteilzentrum in der Nähe des Zielortes geschickt wird. Der gesamte Versandprozess läuft völlig transparent, mit effektvollem Sound und futuristisdcher Optik untermalt, über alle Stationen vor den Augen des Besuchers ab. An den verschiedenen Stationen der Reise des Musterpakets werden wesentliche Details erläutert, zum Beispiel der „Smart Truck“, der innerhalb der Stadt ganz allein den kürzesten Weg für die Tagesroute zu den verschiedenen Bestimmungsorten seiner Paketladung findet. Auch „Cold Chain“ ist ein neues Produkt für die Lebensmittel- und Pharmaindustrie. Mit „Smart Sensor“- Chips wird über die gesamte Lieferkette hinweg für eine korrekt eingehaltene Kühlkette für Tiefkühlprodukte, Frischfleisch, Frischfisch oder auch wärmeempfindliche Spritzen und Impfstoffe gesorgt. Unter dem Schlagwort „green logistics“ werden in einem abgedunkelten Spezialraum Perspektiven nachhaltiger Logistik mit energiesparenden Antrieben oder recyclefähiger Verpackung gezeigt. Alle gezeigten Lösungen sind bereits im Versuchsstadium bzw. bei Pilotkunden technisch realisiert und warten auf breite Anwendung in innovationsfreudigen. Firmen. Vom DHL Innovation Center ist nur ein kleiner Sprung bis zum ehemaligen Regierungsgelände nach Bonn. „Bauplatz Zukunft“ lautete das Motto bei der Grundsteinlegung des Post-Tower in Sichtweite zum ehemaligen Bundestag und dem Abgeordnetenhaus „Langer Eugen“. Der deutsch-amerikanische Star-Architekt Helmut Jahn bekam hier die Chance, seine Vision Zukunft zu verwirklichen. Neben der Höhe von 162 Meter besticht das Gebäude durch Transparenz. Eigentlich handelt es sich bei dem Post-Tower um zwei Türme, die alle neun Stockwerke durch eine „Skygarten-Ebene“ miteiander verbunden sind. Die Trennung in Nord– und

Südtower bietet den Vorteil größerer Durchlässigkeit und behindert dadurch die natürliche Luftströmung im Rheintal nur unwesentlich.

Die durchweg gläsernen Wände in diesem Gebäude symbolisieren Durchlässigkeit und fordern zu offener Kommunikation auf. Den 2000 Mitarbeitern der Postzentrale soll dadurch die Kommunikation untereinander und der Blick nach draußen erleichtert werden – für die Steuerung eines der größten weltweiten Logistikkonzerne eine Lebensnotwendigkeit. Trotzdem fühlt man sich immer noch der Tradition der guten alten Post vergangener Jahrhunderte verpflichtet, was die Ausstellung einer Reihe antiker Briefkästen auf einer der oberen Ebenen demonstriert. Im Post-Tower wurde symbolisch die Brücke geschlagen zwischen den Anfängen der Logistik und der Modernität des Supply Chain Management – ein gelungener Spannungsbogen für die dreitägige Exkursion der Teilnehmer der Dualen Hochschule Baden-Württemberg.