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Wolfgang Löwer

Staatsorganisationsrecht Begleitmaterialien zur Vorlesung Sommersemester 2016 Vorwort zur Arbeit mit der Vorlesungsgliederung und ihren Materialien Die Vorlesung ist immer noch das primäre Medium für die (Aus-)Bildung durch Wissenschaft. Ihr Zweck ist nicht allein die Vermittlung notwendigen Wissens – das könnten Sie sich mit Hilfe der vorliegenden Gliederung oder irgendeines Lehrbuches auch aneignen –, sondern ihr Ziel ist es, beim Hörer Verständnis über die Art und Weise der Rechtsgewinnung in den einzelnen Disziplinen der Rechtsordnung zu fördern. Insofern zielt sie nicht darauf, einen wie auch immer definierten Kanon an Einzelinformationen gesichert zu überliefern, sondern Recht mit seinem unverbrüchlichen Geltungsanspruch bis in die – durchaus gelegentlich (nicht immer) mehrere Antworten zulassenden – Anwendungsprobleme zu verfolgen. Es geht also darum, die Steuerungsleistung der Rechtsordnung zu verstehen, sie im Feld des Staatsorganisationsrechts für die Rechtsbeziehungen zwischen den Staatsorganen und des Staates zu den Bürgern einsehbar zu machen und in die Art des Diskurses über Recht, wie er sich bei uns rechtskulturell etabliert hat, einzuführen. Lassen Sie mich insofern jetzt hier bei der Vorbemerkung und am Beginn Ihres Studiums noch einige Bemerkungen zur „Großen Vorlesung“ machen. Angesichts der Zahl der Teilnehmer, ist die Vorlesung notwendig eine Frontal-Vorlesung. Frontal-Vorlesung heißt nicht, dass Sie nicht einbezogen sein sollen, d.h. natürlich wird von Ihnen erwartet, dass Sie bei Verständnisschwierigkeiten Fragen zu dem Fragwürdigen stellen, das da vorne vor Ihnen produziert wird. Die Vorlesung ist der komplizierte Versuch, Sie in die Welt des (hier: Staats-)Rechts mitzunehmen, Ihnen den Schlüssel für diese interessante Normenwelt in die Hand zu geben, damit Sie verstehen, dass wir Normen als zentrale gesellschaftliche Steuerungsmechanismen begreifen müssen. Das ist ein anspruchsvolles Unterfangen, das unter der prinzipiellen Schwierigkeit leidet, dass Recht nicht linear-additiv wie etwa die Grundla-

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gen der Mathematik gelehrt werden kann. Das Verständnis von Recht kennt nicht eine Grundinformation, auf der alle weiteren Informationen aufbauen, so dass ich Sie auf einen Weg mitnehmen könnte, auf dem ich Ihnen die Voraussetzungen eines Schrittes erkläre, so dass – wenn diese verstanden sind – dieser erste Satz für jedermann einsehbar ist. Ich kann in den Rechtswissenschaften nur voraussetzungsvolle Sätze bilden, die ich nur mit voraussetzungsvollen Sätzen erklären kann. Das macht den Erwerb des Rechts als Disziplin und Wissenschaft kompliziert. Sie können und werden folglich nicht alles von dem, was Ihnen in Ihren Anfangsvorlesungen angeboten wird, in jeder Hinsicht verstehen können. Mit gewissen Randunschärfen des Verständnisses muss man zunächst umgehen. Erst der wiederholte Durchgang durch das Recht und sein Verständnis verschafft die nötige Einsicht. Sie müssen sich den Weg zum Juristen so vorstellen, als seien Sie anfangs mit mir im Louvre, in einem Saal mit Pointilisten und Sie stünden mit der Nasenspitze vor dem Bild. Mehr als Farbflecken würden Sie nicht erkennen. Erst im Zurückschreiten (bei uns ist das die kontinuierliche Beschäftigung mit dem Gegenstand) setzen sich die Punkte und Striche zu einem erkennbaren Bild zusammen. Die große Vorlesung, die der großen Zahl der Studenten geschuldet ist, erleichtert den komplizierten Erwerb des Wissens zweifellos nicht (obwohl Generationen von Studenten so unterrichtet worden sind und gute Juristen geworden sind; schon Rudolf von Gneist, ein bedeutender Lehrer des Öffentlichen Rechts an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, hatte mehr als 180 Hörer). Natürlich wäre es dialogisch im Kleingruppenunterricht leichter. Deshalb ist es wichtig, dass Sie die richtige Vorstellung davon mit in Ihr Studium nehmen, was überhaupt die Funktion der Vorlesung ist, die ich oben bereits angedeutet habe: Lassen Sie sich durch Hörerbefragung und Lehrevaluation und (früheren) bundespräsidentielle Worte von der angeblich widerwillig dargebotenen Lehre nicht in die Irre führen. Der Erfolg des Studiums hängt nicht vornehmlich davon ab, was wir hinter dem Katheder in welcher didaktischen Qualität auch immer Ihnen anbieten. Sie sind nicht – sie waren es auch nicht in Zeiten von Studienbeiträgen – Konsumenten dessen, was Universität Ihnen lehrweise bietet in dem Sinne, dass die Konsumtion bei Ihnen auch den Studienerfolg sicherstellen könnte. Sie müssen sich – und das ist unabdingbar für den Erfolg und völlig unabhängig davon, ob Sie mit einer Vorlesung „zurechtkommen“ – über Ihre Rolle klar sein: Sie ist nicht die des passiven Konsumenten sondern die des die Vorlesung als Auftakt und Anregung zu eigenem Arbei-

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ten begreifenden Subjekts. Die Idee der Universität ist die, dass Sie Ihnen dabei hilft, sich den Stoff selbst zu erarbeiten. Dafür gibt Ihnen die Vorlesung genügend Anregungen, wenn Sie Ihr mit Offenheit und Folgebereitschaft entgegentreten. Das setzt voraus, dass Sie voroder/und nacharbeiten, jedenfalls die Anregungen aus der Vorlesung zur eigenen Lektüre nutzen. Sie müssen davon ausgehen, dass Sie für jede Vorlesungsstunde erhebliche Nachbereitungszeit brauchen, weil Sie den Stoff nach dem Hören durch Nachlesen in einen zweiten Durchgang sich plausiblisieren müssen. Das bedeutet nicht, dass Sie in einem Grundriss, den Sie zurecht für die Vorbereitung und für die Repetition zur Hand haben (Literaturhinweise folgen sogleich) lesen, weil der Vorlesungsgrundriss seinerseits nicht in hinreichender Weise auf Erklärung angelegt ist. Sie werden Gerichtsentscheidungen lesen müssen, die zum Problemverständnis wegen ihrer Beispielhaftigkeit eindringlich sind, Sie werden Aufsätze lesen, die ein bestimmtes Problem intensiver umkreisen, als das Lehrbücher können. Sie werden größere systematische Abschnitte in den Handbüchern lesen müssen, um den Dingen auf den Grund zu gehen; es ist sinnvoller einen Handbuchbeitrag zu lesen, der für sein Thema mehr Raum hat, als zusammenfassende Darstellungen in knappen Grundrissen. Wenn Sie das nicht tun, mag Ihnen das Staatsrecht wie eine Fortsetzung der „Gemeinschaftskunde“ erscheinen, die Sie doch schon in der Schule in mehr oder minder eindrücklicher Weise genossen haben. Auch Staatsrecht, wie die anderen Rechtsdisziplinen, sind intensiv durchgearbeitete artifiziell argumentierende Disziplinen. In deren Art und Weise der Argumentation, in die spezifische Technik der Ergebnisherleitung muss man im Laufe des Studiums eindringen. Das setzt eine hohe Lektürelast voraus, der Sie nicht ausweichen können, wenn das Studium erfolgreich sein soll. Ich sage es Ihnen nochmals mit aller Eindringlichkeit: Der Studienerfolg hängt nur begrenzt davon ab, was Ihre Universitätslehrer Ihnen in den Vorlesungen darbieten. Die Hauptinitiative und Hauptlast des Rechtserwerbs liegt bei Ihnen selbst, bei Ihrer eigenen Lektürelast. Dazu gehört aber auch, und das nicht zuletzt, dass über Recht gesprochen wird. Sie müssen untereinander über Rechtsfragen sprechen; wir leisten Hilfe mit den Arbeitsgemeinschaften, die den Dialog über Recht erleichtern soll. Aber auch jenseits der Arbeitsgemeinschaften müssen Sie untereinander Rechtsfragen zu einem ganz selbstverständlichen Gesprächsgegenstand machen. Sie müssen die Zeitung mit neuen Augen lesen, nämlich mit denen des interessierten Juristen, der bei vielen Nachrichten, was jetzt hier etwa das Staatsrecht betrifft, die

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das Staatsleben betreffen, Sie müssen mit dem Auge des (werdenden) Staatsrechtskundigen die Informationen in neuer Weise sehen. Was vorher nur von politischem Interesse war, ist jetzt auch von rechtlichem Interesse. Diese Perspektive muss Ihnen gewissermaßen in Fleisch und Blut übergehen. Recht lässt sich nicht durch schlichtes Lernen bewältigen. Recht muss man in seinen Strukturen verstehen, wenn man damit erfolgreich umgehen will. Zu solchem Verständnis gehört selbstverständlich auch Lernen, aber Lernen ohne Verstehen hilft in unserem Fach wenig. Verstehen ist ein Prozess des Umkreisens des Gegenstandes durch unterschiedliche Lektüre, Zuhörenserlebnisse und des Darüber-Redens. Insofern ist das Verständnis von Recht auch ein intellektuelles Abenteuer, das, wenn man es besteht, intellektuell hoch befriedigend ist.

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Konzeption der Vorlesung Sie suchen in Vorlesungen mit gutem Recht den „roten Faden“ und finden ihn nicht immer leicht, weil Sie noch mit „Verstehen“ beschäftigt sind. Deshalb zur Erläuterung des roten Fadens: Das Grundgesetz enthält in Art. 20 (Ö lesen) gewissermaßen eine Zusammenfassung, weil es sich dort über wesentliche Formprinzipien (Bauformen) ausspricht. Insofern ist ein Herzstück der Vorlesung von diesen Staatsformprinzipien her wesentliche Inhalte der Verfassung zu erschließen (3. Teil). Dem schließt sich eine zweite Aufschlüsselung über das Recht der Staatsorgane an (4. Teil). Vorausliegt eine Grundlagenbestimmung darüber, was den Staat ausmacht, was Verfassung bedeutet und welcher Zusammenhang zwischen beiden besteht (1. Teil). Der 2. Teil zum Werden der Bundesrepublik Deutschland wird nur kursorisch angesprochen. Er soll Sie zur eigenen Erarbeitung des für Sie nur noch „antiquarischen“ Gegenstandes ermuntern. Wer diese Vorgänge zu einem erheblichen Teil miterlebt hat – wie ich – findet diesen Gegenstand faszinierend. Ich verstehe aber, dass ich Ihnen dieses Faszinosum im derzeitigen Stand Ihrer Ausbildung nicht mitteilen muss, so dass ich Sie damit auch nicht intensiv „belästige“.

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Vorlesungsgliederung 1.Teil: VOM GEGENSTAND DES STAATSRECHTS Vorbemerkung: Vom Grund des Verfassungsstaates I. Der Staat als neuzeitlicher Staat II. Vom Grund des Staates oder: Was ist ein Staat? 1. Die Drei-Elemente-Lehre a) Inhalt der Lehre aa) Staatsgewalt bb) Staatsgebiet cc) Staatsvolk b) Völkerrechtliche Bedeutung der Lehre c) „Spuren-Elemente“ der Drei-Elemente-Lehre im Grundgesetz aa) Staatsgewalt bb) Staatsgebiet cc) Staatsvolk d) Grundgesetzliche Reflexion der völkerrechtlichen Konsequenzen der Lehre aa) Art. 25 GG als generelle Transformationsnorm bb) Rezeption der 'Staatengrundrechte' durch Art. 25 GG aaa) Respektierung des Territorialitätsprinzips bbb) Staatenimmunität ccc) Staatsorganimmunität ddd) Immunität des Staatsoberhaupts eee) Andere Staatsorgane fff) Personale Grenzen der Immunität ggg) Absolute Grenzen der Immunität 2. Zur Relativierung der „absoluten“ Kategorie des Staates oder: Wozu noch Staaten? III. Exkurs: Rangordnung von Rechtsquellen IV. Vom Grund des Verfassungsstaates oder: Was soll eine Verfassung? 1. Verfassungsstaat als Typus a) Leges fundamentales b) Gesellschaftsvertragliche Ursprünge dieses Denkens c) Elemente solcher Verfassungsstaatlichkeit westlicher Prägung d) Rechtliche Charakteristika des Verfassungsgesetzes e) Notwendiger Inhalt einer solchen Verfassung f) Gerichtliche Sicherung des Vorranges der Verfassung g) Formeller und materieller Verfassungsbegriff 2. Die grundgesetzliche Realisierung des Typus in der „Zusammenfassung“ in Art. 20, 28, 79, 19 GG V. Der Staat als juristische Person

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2. Teil: DER KONKRETE STAAT BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND/ DEUTSCHLANDS RECHTSLAGE Vorbemerkung: Die Entwicklung bis zur Wiedervereinigung I. Zur Illustration der (früheren) Bedeutung der Fragestellung: Der Fall Ingrid Brückmann (BVerfGE 37,57) als deutsch-deutsches Schicksal II. Chronologie der lagebestimmenden Dokumente bis zur Spaltung Deutschlandes 1. Atlantic Charta 2. Oktober ´43: Moskauer Vier-Nationen-Proklamation 3. Protokoll über die zukünftigen Besatzungszonen 4. Abkommen über Kontrolleinrichtungen in Deutschland 5. Jalta-Erklärung 6. Kapitulation 7. Erklärungen in Anbetracht der Niederlage Deutschlands 8. Potsdamer Abkommen 9. Proklamation des Kontrollrats Nr. 1 III. Erste Zwischenfrage: Was war mit Deutschland (dem deutschen Reich) geschehen? IV. Die rechtliche Situation der Gebiete östlich von der Oder-Neiße in der Nachkriegsgeschichte 1. Unklarheit des Potsdamer Abkommens 2. Der fortdauernde Friedensvertragsvorbehalt 3. Die daraus abgeleitete deutsche Position 4. Neue Ostpolitik 5. Zwei-Plus-Vier-Vertrag V. Die Gründung zweier deutscher Staaten in Deutschland 1. Die Westallierten als Supreme Allied Authority a) Bizone, 2. Dezember 1946 b) „Trizonesien“, 8. April 1049 c) Besatzungsstatut, 10. April 1949 2. Gründung der Bundesrepublik 3. Der Sonderstatus Berlins 4. Die Gründung der DDR VI. Die Deutsch-Deutsche Entwicklung 1. Von der Hallstein-Doktrin zu Inter-se-Beziehungen zweier Staaten in Deutschland 2. Der Grundlagenvertrag von 1972 VII. Die Wiedervereinigung 1. Die denkbaren Wege zur Einheit: Art. 23 S. 2 a.F.; Art. 146 a.F. 2. Die notwendigen Vertragsschritte a) Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion b) Einigungsvertrag c) Zwei-plus-Vier-Vertrag

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3. Teil: DAS BUNDESDEUTSCHE STAATSRECHT IM SPIEGEL DER STAATSFORMPRINZIPIEN I. Das republikanische Prinzip 1. Republik als Staatsformprinzip 2. Republik als Entgegensetzung zur Monarchie 3. Republik als historisch sinnerfüllter Typus der Staatlichkeit II. Das demokratische Prinzip 1. Das Volk als Inhaber der Staatsgewalt (Art. 38 GG und das Prinzip ununterbrochener „Legitimationsketten“) 2. Die Legitimation staatlicher Herrschaft durch das Volk a) Differenzierung bzgl. der gewaltengegliederten Ordnung b) Organisatorisch-personelle demokratische Legitimation c) Sachlich-inhaltliche Legitimation d) Zusammenwirken beider Legitimationsformen e) Legitimation auf Gemeindeebene f) Zusammenfassung der Kettenmodelle in Beispielen aa) Zur personellen Legitimation bb) Zur sachlichen Legitimation aa) Die funktionale Selbstverwaltung bb)Zwischenbemerkung: Zur Unterscheidung von Dezentralisation und Dekonzentration cc) Weisungsfreiheit in der Dekonzentration dd) Weisungsfreiheit in der Dezentralisation 3. „Volk“ als Grundbegriff der Demokratie 4. Demokratie und Gleichheit der politischen Mitwirkungsrechte a) Grundsätzliches b) Das Wahlrecht 5. Demokratie als Herrschaft der Mehrheit 6. Die Demokratie des Grundgesetzes als repräsentative Demokratie 7. Die Demokratie des Grundgesetzes und das parlamentarische Regierungssystem a) Parlamentarismus b) Das parlamentarische Regierungssystem im Grundgesetz im einzelnen 8. Die Demokratie des Grundgesetzes als parteienstaatliche Demokratie 9. Die Demokratie des Grundgesetzes als „streitbare“ Demokratie III. Das bundesstaatsrechtliche Prinzip 1. Struktur des Bundesstaates 2. Die Grundaussagen des Grundgesetzes 3. Gesetzgebungskompetenzen a) Art. 70 I → Länder b) Ausschließliche Bundesgesetzgebung c)Konkurrierende Gesetzgebung: Art. 72 i.V.m. Art. 74 GG d) Grundregeln im Umgang mit Gesetzgebungskompetenzkonflikten aa) Verfahrensarten bb) Ansatzpunkt für Bundesständigkeit cc) Auslegung von Kompetenzvorschriften dd) Verhältnis von Bundes- und Landesrecht ee) Ergänzung des Kompetenzkataloges 4. Verwaltungskompetenzen

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a) Grundregel b) Vier Typen 5. Aufgabenverteilung für die Rechtsprechung a) Prinzip der Fachgerichtsbarkeiten b) Gesetzgebungskompetenz c) Exkurs: Gerichtsaufbau d)Bundesstaatliche Grundregel e) Sonderfall Verfassungsgerichtsbarkeit 6. Mitwirkung der Länder im Gesetzgebungsverfahren a) Grundaussage des Art. 79 Abs. 3 GG b) Der Bundesrat als Bundesorgan der Länder c) Ausgestaltung der Mitbestimmung 7. Aufgabenverteilung in der Vertragsschlusskompetenz von Bund und Ländern bei auswärtigen Beziehungen a) Grundlagen b) Die Schwierigkeiten im Umgang mit der Vertragsschlusskonkurrenz 8. Regelungslücke im Grundgesetz: Verträge der Länder mit dem Bund und Verträge der Gliedstaaten untereinander 9. Kompetenzverteilung bei gesetzesfreier Verwaltung 10. Bundestreue 11. Zusammenfassende Bemerkungen zum Bundestaatsprinzip 12. Anhang: Kommunale Selbstverwaltung IV. Das Rechtsstaatsprinzip 1. Begriffliches 2. Die Begriffe formeller und materieller Rechtsstaat 3. Ausprägungen des Rechtsstaats: Vorbehalt und Vorrang der Verfassung a) Vorrang der Verfassung b) Vorbehalt des Gesetzes c) Vorrang des Gesetzes 4. Rechtsstaatsprinzip und Rechtsquellenlehre a) Rechtsstaatsbegriff als gewaltenteilende Kategorie im Blick auf den Staat b) Gesetzgeberische Bindungen c) Bindungen an Recht und Gesetz für die Verwaltung d) Zeitliche Geltungsbeschränkungen e) Übermaßverbot (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit) f) Rechtsschutz als rechtsstaatliches Gebot 4. Teil: DAS RECHT DER VERFASSUNGSORGANE A. Der deutsche Bundestag (Art. 38 - 48 GG) I. Verfassungsrechtliche Charakteristik des Deutschen Bundestages 1. Rechtsstellung 2. Verhältnis des Deutschen Bundestages zu anderen Verfassungsorganen und sonstige an der Hervorbringung der politischen Willensbildung Beteiligten 3. Formen der Willensbildung II. Aufgaben des Deutschen Bundestages 1. Gesetzgebungsfunktion 2. Kreationsfunktion des Deutschen Bundestages

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3. Parlamentarische Regierungskontrolle a) Erscheinungsformen b) Kontrollinstrumente 4. Öffentlichkeitsfunktion III. Der Abgeordnete 1. Das freie Mandat (Art. 38 Abs. 2 GG) 2. Das freie Mandat als Beruf (BVerfGE 40, 296 - Diäten) 3. Mandatsverzicht und Verwandtes 4. Pflichten der Abgeordneten 5. Rechte der Abgeordneten 6. Verfassungsprozessualer Status IV. Innere Organisation des Bundestags 1. Die Ordnung des Bundestages im Spiegel der Normen 2. Die Fraktionen als bedeutendste innere Formierung des Bundestags 3. Gruppen 4. Die Opposition 5. Leitungsorgane a) Der Bundestagspräsident b) Ältestenrat c) Ausschüsse V. Parlamentarisches Verfahrensrecht 1. Rechtsquellen des parlamentarischen Verfahrensrechts 2. Verfahrensformen im Plenum des Deutschen Bundestages VI. Parlamentsauflösung B. Der Bundesrat I. Verfassungsrechtliche Charakteristik (Art. 50-53 GG) II. Aufgaben und Befugnisse des Bundesrats 1. Mitwirkung an der Gesetzgebung a) Zustimmungsgesetze b) Einspruchsgesetze 2. Mitwirkung des Bundesrates in der Exekutive 3. Kreationsrechte (Art. 61 I sowie Art. 94 I 2 GG) 4. Kontrollrechte (Art. 53 S.3, Art. 53a II 1 GG, Art 53 S.1 (Interpellation) i.V.m. § 19 GOBR, Art. 114 I /II GG (Finanzkontrollrechte) 5. Mitwirkung an den Angelegenheiten der Europäischen Union (Art. 23 GG) III. Mitglieder und Verfahren des Bundesrates 1. Die Mitglieder 2. Status der Mitglieder 3. Verfahren C. Der Bundespräsident I. Amtsgewinn und Amtsverlust 1. Wahl durch die Bundesversammlung als Verfassungsorgan mit föderaler Konzeption

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2. Wahl des Bundespräsidenten 3. Amtsverlust II. Status der Bundespräsidenten 1. Amtsdauer (Art. 54 II GG = allenfalls 10 Jahre) 2. Protokollarisch 3. Inkompabilitäten 4. Amtseid (Art. 56 GG- nicht pflichtbegründend, sondern pflichtbekräftigend) 5. Immunität 6. Persönliche Rechtsstellung 7. Vertretung des Bundespräsidenten (s. Art. 57 GG) 8. Verfasssungsprozessuale Stellung III. Aufgaben und Zuständigkeiten des Bundespräsidenten 1. Punktuelle Regelungen im GG 2. Funktionen im Einzelnen IV. Gegenzeichnung 1. Rechtsquellen (Art. 58 I, 82 I 1 GG, § 29 III GOPReg) 2. Zur Geschichte der Gegenzeichnung 3. Sinn der Gegenzeichnung heute 4. Anwendungsbereich der Gegenzeichnung 5. Zuständigkeit (58 I GG) 6. Rechtsfolge D. Die Bundesregierung I. Aufgaben der Bundesregierung 1. Kein Aufgabenkatalog im GG 2. Charakteristik der Bundesregierung als Quelle der Aufgabenumschreibung 3. Einzelaufgaben in der Übersicht II. Amtsgewinn und Amtsverlust 1. Textbefund: Art. 63, 64 GG 2. Kanzlerwahl im parlamentarischen Regierungssystem 3. Kabinettsbildung 4. Amtsverlust III. Parlamentarische Verantwortlichkeit IV. Organisation der Bundesregierung 1. Textgrundlage Art. 65 i.V.m. der GOBReg 2. Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers 3. Die Ressortleitungskompetenz der Bundesminister 4. Die Kollegialkompetenz der Bundesregierung 5. Geschäftsführung der Bundesregierung V. Verfassungsrechtliche Stellung

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E. Gesetzgebungsverfahren I. Thematische Abgrenzung II. 3-Phasen-Modell III. Die einzelnen Phasen 1. Gesetzesinitative 2. Beschlussfassung durch Bundestag und Bundesrat 3. Das verfassungsändernde Gesetz (Art. 79 GG) 4. Ausfertigung und Verkündung (Art. 82 GG) F. Das Bundesverfassungsgericht Das Verfassungsprozessrecht ist Gegenstand einer Spezialvorlesung (die Sie nicht versäumen sollten)!

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Literaturübersicht Staatsrecht Vorbemerkung: Sie brauchen für die Vorlesung jedenfalls eine Textsammlung des formellen und materiellen Verfassungsrechts, also des Grundgesetzes und des zugehörigen Gesetzesrechts. Da die Loseblattsammlungen in Form von Beck’schen „roten Ziegelsteinen“ für den Vorlesungsbetrieb zu unhandlich sind, bieten sich die entsprechenden folgenden gebundenen Sammlungen: • Nomos Gesetzestexte, Öffentliches Recht, 22. Aufl. September 2013 • Staats- und Verwaltungsrecht Bundesrepublik Deutschland mit Europarecht, 51. Aufl. 2012, CF Müller Verlag • Grundgesetz, 7. Aufl. 2012 (erscheint im Oktober 2012), Mohr Siebeck •

Basistexte öffentliches Recht, 16. Aufl. 2013, Beck-Texte im dtv.

Welches Lehr- und Lernbuch Sie zur Begleitlektüre erwerben, ist selbstverständlich Sache Ihres persönlichen Geschmacks. Wichtig ist, dass Sie, nachdem Sie sich in einer Buchhandlung die Bücher angesehen haben, eines erwerben, das Ihnen bei den ersten Informationsbedürfnissen hilft, das Ihnen auch hilft, den Vorlesungsstoff nochmals in der Übersicht zu repetieren, dass Sie sich aber eben im Sinne der vorangestellten Bemerkungen immer darüber klar sind, dass die eigentliche Arbeit sich nicht in der Lektüre des Lehrbuchs erschöpft, sondern das Lehrbuch mitsteuert, was Sie zusätzlich lesen.

I. Studienliteratur Zu differenzieren ist zwischen solchen Lehrbüchern, die das Staatsrecht (also Staatsorganisationsrecht sowie das Thema Grundrechte) in einem oder zwei Büchern darstellen. Die heute übliche Aufteilung des Studienstoffes auf mindestens zwei staatsrechtliche Vorlesungen hat bei der didaktischen Einführungsliteratur vermehrt zu zweibändigen Darstellungen geführt, ohne einbändige Lehrdarstellungen ganz zu verdrängen. 1. Es gibt zwei einbändige „Klassiker“ die bis in die Gegenwart fortgeführt sind: •

Reinhold Zippelius/Thomas Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, 32. Aufl. 2008,



Ekkehart Stein/Götz Frank, Staatsrecht, 21. Aufl. 2010.

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Eine knappe einbändige Einführung gibt •

Wilfried Berg, Staatsrecht, 6. Aufl. 2011.

Der Name „Kurzlehrbuch“ trifft hier zu. Zur einführenden Lektüre ist das Werk sicher gut geeignet. Weiter trägt es allerdings nicht. Das gleiche gilt für die (guten) Einführungen von •

Alfred Katz, Staatsrecht, 18. Aufl. 2010



Ulrich Battis/Christoph Gusy, Einführung in das Staatsrecht, 5. Aufl. 2011



Michael Kloepfer, Staatsrecht kompakt, Nomos UTB-Verlag 1. Auflage 2012

Eine klassische Darstellung zum gesamten Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, die in ihrer wissenschaftlichen Konzeption zeitlos ist, aber nicht mehr fortgeführt wird, gibt •

Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1999. (Neudruck der 20. Auflage von 1995)

Als nicht mehr fortgeführte Darstellung ist außerdem zu erwähnen: •

Albert Bleckmann, Staatsrecht I (Staatsorganisationsrecht), 1993.

Als große einbändige Lehrdarstellung steht zur Verfügung: •

Peter Badura, Staatsrecht. Systematische Erläuterung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, 5. Aufl. 2012.

Das Buch von Badura folgt in seinem Aufbau den Abschnitten des Grundgesetzes. Mit seinen reichlich 1000 Seiten stellt es eine noch zumutbare Begleitlektüre dar. Der große Vorzug des Buches ist, dass es nicht in Details ertrinkt, sondern Strukturen offenlegt. Beachten Sie bitte: Die einbändigen Lehrbücher verarbeiten (bis auf Katz) die Föderalismusreformen nur, wenn sie 2007 oder später erschienen sind. 2. An Lehrdarstellungen speziell zum Staatsorganisationsrecht sind zu nennen: •

Hartmut Maurer, Staatsrecht, 7. Aufl. 2013.

Das Buch aus der Reihe „Grundrisse des Rechts“ ist 850 Seiten stark (allerdings in wesentlich kleinerem Format als etwa das Buch von Badura – Format ist hier nur auf die Seitengröße bezogen); es behandelt die Grundrechte nicht. Der Vorzug des Buches ist nicht zuletzt, dass es neben dem von Ipsen und Gröpl das jüngst konzipierteste ist, d.h. die Betrachtungsweise des Autors setzt nicht wie bei Hesse in den 60er Jahren ein; es ist erstmals 1999 erschienen. Maurer berücksichtigt dabei intensiv die Verfassungsgeschichte; er legt dabei ein in sich wohlproportioniertes Buch vor.

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Alternativen dazu (durchaus gleichwertiger Art) sind die Bücher von •

Jörn Ipsen, Staatsrecht I, Staatsorganisationsrecht, 25. Aufl. 2013 oder



Christoph Degenhart, Staatsrecht I. Staatsorganisationsrecht: Mit Bezügen zum Europarecht, 29. Aufl. 2013



Ingo von Münch/Ute Mager, Staatsrecht I, 7. Aufl. 2012



Martin Morlok/Lothar Michael, Staatsorganisationsrecht 2013 und



Christoph Gröpl, Staatsrecht I, 4. Aufl. 2012



Hans-Jürgen Papier/Christoph Krönke, Grundkurs öffentliches Recht I, 2013



Heinrich Wilms, Staatsrecht I: Staatsorganisationsrecht, 2007

Die Bücher von Ipsen, Morlok, Degenhart und Gröpl sind knapper als das Buch von Maurer; sie sind, wie auch die weiteren Bücher, in jeder Hinsicht eine taugliche Begleitlektüre. Daneben gibt es eine Fülle noch stärker didaktisch-orientierter Literatur, die für das wissenschaftliche Gespräch weniger bedeutsam ist, aber für das Lernen selbstverständlich gleichwohl brauchbar sind. •

Rolf Schmidt, Staatsorganisationsrecht sowie Grundzüge des Verfassungsprozessrechts, 12. Aufl. 2012.

Man kann mit Ausnahme der Föderalismusreform auch gut zurückgreifen auf: •

Kremser/Leisner, Verfassungsrecht III. Staatsorganisation, (Reihe Studium Jura). München 1999.

3. Einführungsliteratur in das öffentliche Recht insgesamt: Öffentliches Recht besteht auf dem Staatsrecht (Vorlesungsgegliedert in Staatsrecht I = Staatsorganisation, Staatsrecht II = Grundrechte, Staatsrecht III = internationalrechtliche Bezüge des Verfassungsrechts) und aus dem allgemeinen und besonderen Verwaltungsrecht. Eine Gesamteinführung in diesen Stoff bieten •

Sodan/Ziekow, Grundkurs öffentliches Recht, 5. Aufl., München 2012 und



Steffen Detterbeck, Öffentliches Recht, 9. Aufl. 2013.

Sodan/Ziekow beläuft sich auf knapp 800 Seiten, knapp 400 davon sind dem Verfassungsrecht gewidmet. Davon etwa die Hälfte dem Staatsorganisationsrecht. Auch dieses Buch erfüllt seinen Zweck als Anregung zum Weiterarbeiten für die gesamte Breite des Öffentlichen Rechts. •

Frenz, Walter, Öffentliches Recht, 6. Aufl. 2013 (angekündigt für Oktober 2013).

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Das Buch gibt einen Überblick über das Öffentliche Recht und ist nach Anspruchsgrundlagen und Anspruchsbegehren aufgebaut. Es umfasst dabei die Gebiete die Staatsorganisationsrecht, Grundrechte, Verwaltungsrecht AT sowie auch Verwaltungsprozessrecht. •

Schwerdtfeger, Gunther/ Schwerdtfeger, Angela, Öffentliches Recht in der Fallbearbeitung, 14. Aufl. 2012.

II. Staatsorganisation aus der Sicht anderer Wissenschaftsdisziplinen. Wer sich nicht nur mit der typischen staatsrechtlichen Betrachtungsweise zufrieden geben will, sondern die Staatsorganisation auch als Gegenstand der Politikwissenschaft kennenlernen will, sei verwiesen auf •

Joachim Jens Hesse/Thomas Ellwein, Das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland, 10. Aufl. 2012,



Raban Graf von Westphalen, Deutsches Regierungssystem (Lehr- und Handbücher der Politikwissenschaft), 2001,



Gunnar Folke Schuppert, Staatswissenschaft, 1. Aufl. 2003.

III. Kommentare Vermutlich ist das Grundgesetz das intensivst kommentierte Gesetz der Welt. Dabei gibt es große vielbändige Darstellungen, gebundene und Loseblattkommentare, klassische und neue, lobenswerte und weniger lobenswerte. Zu nennen sind zunächst einbändige Kommentare, wobei die drei erstgenannte sich auch Studenten als potentielle Nutzer vorstellen. •

Dieter Hömig (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 10. Aufl. 2013 (geschrieben von Staatsrechtspraktikern),



Helge Sodan, Grundgesetz, 2. Aufl. 2011,



Hans D. Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, 12. Aufl. 2012.

1. An größeren und teureren einbändigen Kommentaren ist zu vermerken: •

Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011

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Der Kommentar ist der Verbreiteste unter den einbändigen Kommentaren. Mit ca. 2700 Seiten wird auch bereits eine recht umfängliche Kommentierung geboten, die allerdings in sich, wie bei Sammelwerken kaum vermeidbar, in der Intensität unterschiedlich ist. •

Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, 12. Aufl. 2011, ein Kommentar, der mit der 11. Auflage an Profil gewonnen hat.

2. Unter den gebundenen mehrbändigen Kommentaren ist zu nennen: •

Dieter C. Umbach/Thomas Clemens, Grundgesetz. Mitarbeiterkommentar und Handbuch, 2 Bände (Heidelberger Kommentar), 2002.



Ingo von Münch/Philip Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar. Band 1: Präambel. Art. 1 bis 69 GG, 6. Aufl. 2012 Band 2: Art. 70 – 146, 6. Aufl. 2012 Konzeptionell ist der Kommentar von von Münch/Kunig stärker auch auf didaktische Bedürfnisse ausgerichtet.



Horst Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar. Band I: Art. 1 – 19, 3. Aufl. 2012 Band II: Art. 20 – 82, 2. Aufl. 2006 Band III: Art. 83 – 146. 2. Aufl. 2008. Dazu gibt es aus Anlass der Föderalismusreform eine Ergänzung: Horst Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar. Band II (Art. 20 – 82) Supplementum zu Band II 2007 und Supplementum 2010.

sowie •

von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Band I: Präambel. Art. 1 – 19, 6. Aufl. 2010 Band II: Art. 20 – 82, 6. Aufl. 2010 Band III: Art. 83 – 146, 6. Aufl. 2010

Schließlich sind die Loseblattkommentare zu nennen: Sie haben den Vorzug zum Teil substantieller wissenschaftlicher Durchdringung, die aber regelmäßig einen sehr uneinheitlichen Bearbeitungsstand aufweisen. •

Maunz-Dürig-Herzog, Grundgesetz, Loseblatt, 6 Bände, Loseblatt.



Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Loseblatt, 15 Bände (die neueren Kommentierungen erreichen monographischen Umfang).

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Erhard Denninger u.a., Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 3. Aufl. 2001, 3 Bände.

Die genannten Loseblattkommentare kommentieren das Grundgesetz im Wesentlichen vollständig. Das gilt (noch) nicht für •

Karl Heinrich Friauf/Wolfram Höfling, Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Loseblatt. 2012 (inzwischen 4 Bände).

der noch im Aufbau ist.

IV. Unter den großen Lehr- und Handbüchern ist zu erwähnen •

Benda/Maihofer/Vogel, Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Aufl. 1994, (Neudruck 2012)

ein einbändiges Sammelwerk zum Grundgesetz, das allerdings nur in Teilen dem Anspruch an eine tiefdringende Deutung des Staatsrechtslebens genügt. Es findet deshalb in der wissenschaftlichen Zitierpraxis relativ wenig Erwähnung (trotz zum Teil sehr prominenter Autoren). •

Klaus Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland; eine für wahr monumentale Gesamtdarstellung, die das Staatsrechtsleben der Bundesrepublik in seiner dogmatischen Entwicklung zwischen Buchdeckeln bändigt. Es liegt inzwischen in sieben Bänden komplett vor. Das Staatsorganisationsrecht behandeln die Bände I und II. Band I ist in 2. Aufl. 1984 erschienen, Band II 1980, Band V behandelt die „geschichtlichen Grundlagen des deutschen Staatsrechts“ mit dem Untertitel: „Die Verfassungsentwicklung vom Alten Deutschen Reich zur Wiedervereinigten Bundesrepublik Deutschland“. Der Band ist 2000 erschienen. Diesen Band müssen Sie zur verfassungsgeschichtlichen Vertiefung des Gehörten unbedingt beiziehen, weil das Verständnis von Staatsrecht auch aus der Kenntnis der Verfassungsgeschichte lebt (C.H. Beck, München).

Auf aktuellem Niveau bündelt das Staatrechtswissen in der Bundesrepublik Deutschland das •

Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, herausgegeben von Josef Isensee und Paul Kirchhof (C.F. Müller, Karlsruhe)

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Die zweite Auflage des Werkes umfasste 10 Bände, von denen die Bände V und VI den Grundrechten gewidmet sind und die Bände VIII und IX (in der 2. Aufl.) die transitorische Verfassungsordnung des Zusammenwachsens beider deutscher Staaten behandelt. Das Handbuch zieht die Summe der Staatsrechtslehre am Ende des 20. Jahrhunderts. Aber selbst dieses Handbuch macht die Arbeit mit weiterer Literatur nicht entbehrlich. Die 3. Aufl. des Werkes inzwischen erschienen. Band I zu den historischen Grundlagen, Band II mit dem Titel „Verfassungsstaat“, Band III „Demokratie und Bundesorgane“, Band IV „Aufgaben des Staates“, Band V, „Rechtsquellen, Organisation, Finanzen“ sowie Band VI „Bundesstaat“ (sowie Bd. VII u. VIII zu den Grundrechten) liegen vor. Die ersten sechs Bände sind gewissermaßen zugleich Referenzbände für die Vorlesung Staatsorganisationsrecht. Neuerdings gibt es das zweibändige „große“ Lehrbuch von •

Michael Kloepfer, Verfassungsrecht I + II (2011 u. 2010), C.H. Beck, München.

V. Naturgemäß wird Staatsrecht unter dem Grundgesetz effektiv von der (Bundes-)Verfassungsrechtsprechung entfaltet, aber auch – für funktionierende Bundesstaatlichkeit ganz unerlässlich – von der Landesverfassungsgerichtsbarkeit. Insofern sind spezifische Werke zu nennen, die die Fülle der bundesverfassungsgerichtlichen Literatur zu bändigen und zu systematisieren versuchen. Zu nennen ist hier: •

Leibholz/Rinck/Hesselberger/Burghart, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Kommentar anhand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Loseblatt, 3 Bände.

Der Kommentar komprimiert die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Einzelvorschriften des Grundgesetzes, ohne sich mit den Ergebnissen näher auseinanderzusetzen. Der Autor lässt gewissermaßen das Bundesverfassungsgericht systematisch sprechen. •

Das „Sammel- und Nachschlagewerk“ der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts“ (hrsgg. vom Bundesverfassungsgericht, bearbeitet von Karin Graßhof) (5 Bände, Loseblatt)

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Dabei handelt es sich um einen (sehr sehr nützlichen) „Zettelkasten“ von Rechtsprechungssentenzen, nach den Vorschriften des Grundgesetzes und des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes geordnet. VI. Sonstiges: Ein Supreme Court Richter hat einmal zugespitzt bemerkt, dass die Verfassung den Inhalt hat, den die Verfassungsgerichtsbarkeit ihr gibt. In diesem Sinne sind verfassungsgerichtliche Entscheidungen auch Wegmarken der verfassungsrechtlichen Entwicklung. Dabei gibt es ein sinnvolles (Bonner) Buch, das zu haben oder in dem zu lesen ausgesprochen empfehlenswert ist: •

Jörg Menzel, Ralf Müller-Terpitz (Hrsg.), Verfassungsrechtsprechung. 2. Aufl. 2011. Es handelt sich um ein Case-Book, das das Verständnis von Leitentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts erleichtert. Erscheinen ist es in der Erstauflage, als die Sammlung des Bundesverfassungsgerichts auf 100 Bände angewachsen war. Inzwischen fasst das Buch 127 Entscheidungen.

Ein Buch, das sich als Case-Book präsentiert, ist auch •

Richter/Schuppert/Bumke, Case-Book Verfassungsrecht, 4. Aufl. 2001. Das Buch behandelt Grundrechte und Staatsorganisationsrecht und orientiert sich dafür sehr stark an Auszügen aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung.

Für studentische Zwecke zusammengestellt sind schließlich Langtextzitate aus Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen bei Jürgen Schwabe, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Studienauswahl (Band 1 – 109), 8. Aufl. 2004 (nicht fortgeführt).

VI. Literatur zum Verfassungsprozessrecht Studienliteratur •

Robbers, Gerhard, Verfassungsprozessuale Probleme in der öffentlich-rechtlichen Arbeit, 2. Aufl. 2005



Fleury, Roland, Verfassungsprozessrecht, 9. Auflage 2012



Hillgruber, Christian/Goos, Christoph, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 2011 (Empfehlenswert zur Anschaffung)

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Schlaich, Klaus/Korioth, Stefan, Das Bundesverfassungsgericht, 9. Aufl. 2012



Benda/Klein, Verfassungsprozess (Großes Lehrbuch), 3. Aufl. 2011



Pestalozza, Christian, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 1991 (nicht mehr fortgeführt, aber dogmatisch fortwirkend bedeutsam)

An Kommentaren sind zu nennen: Lechner/Zuck, BVerfGG. Kommentar, 6. Aufl. 2010 Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, Loseblatt

VII. Ausbildungszeitschriften Wichtige Lektüre sind für Sie auch die Ausbildungszeitschriften, die sowohl systematische Beiträge mit Bezug auf Ihr jeweiliges Ausbildungsniveau aufweisen, wie auch Fallbesprechungen und Rechtsprechungsaufbereitungen präsentieren: JuS (Juristische Schulung), C.H. Beck Verlag JA (Juristische Arbeitsblätter), Wolter Kluwer Verlag Jura (Juristische Ausbildung) , De Gruyter Verlag

VIII. Entscheidungssammlungen für das Verfassungsrecht Der Kommentar der Verfassungsrechtssprechung ist unverzichtbar, weshalb die einschlägigen Sammlungen Ihnen zur vertrauten Lektüre werden müssen. Die Senatsentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts sind in inzwischen 130 Bänden unter dem Namen •

BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (Mohr/Siebeck Tübingen)

gesammelt. Neuerdings gibt es auch eine vom Gericht herausgegebene Sammlung der Kammerentscheidungen •

BVerfGK Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgericht eine Auswahl (hrsgg. vom Verein der Richter des Bundesverfassungsgerichts), C.F. Müller, Heidelberg, 2010 ff. (inzwischen 19 Bände).

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Für die Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte (immerhin 16 weitere Spruchkörper) gibt es keine gewissermaßen amtliche Gesamtpublikation. Die Entscheidungen des nordrheinwestfälischen Verfassungsgerichtshofes erschienen in der Rechtsprechungssammlung des Nordrhein-Westfälischen Oberverwaltungsgerichts und des Verfassungsgerichtshof (OVGE). Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat eine eigene Entscheidungssammlung, die sich in gemeinschaftlich mit der Judikatur des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes in einem Band befindet (BayVerfGHE) usw. Es gibt aber eine Sammlung, in die die Mehrzahl der Verfassungsgerichte der Länder (aber nicht NRW und Bayern) ihre Entscheidungen abdrucken. •

LVerfGE, Entscheidungen der Verfassungsgerichte der Länder, hrsgg. von den Mitgliedern der Gerichte, derzeit 18 Bände, De Gruyter Verlag

Auch diese Sammlung sollte Ihnen im Laufe der Zeit vertraut werden.

VIII. Fallsammlungen •

Brauner, Roman J./Stollmann, Frank/Weiss, Regina, Fälle und Lösungen zum Staatsrecht: mit Originalklausuren und gutachterlichen Lösungen sowie Erläuterungen, Boorberg-Reihe Studienprogramm Recht, 7. Auflage, 2003



Degenhart, Christoph, Klausurenkurs im Staatsrecht: Ein Fall- und Repetitionsbuch, C. F. Müller, 3. Auflage, 2013 (im Erscheinen)



Hebeler, Timo, 40 Probleme aus dem Staatsrecht, Luchterhand, 3. Auflage, 2011



Kilian, Michael/Eiselstein, Claus, Grundfälle im Staatsrecht: Ein methodischer Kurs zur Einführung in das Öffentliche Recht, C. F. Müller, 5. Auflage, 2011



Kisker, Gunter/Höfling, Wolfram, Fälle zum Staatsorganisationsrecht, JuS- Schriftenreihe, C.H. Beck, 4. Auflage, 2009



Schmalz, Dieter, Verfassungsrecht: Fälle und Lösungen - 34 Fälle mit Musterlösungen zum Staatsorganisationsrecht, zu den Grundrechten und zum Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, Nomos, 3. Auflage, 2003

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Staatsorganisationsrecht 1. Teil: Vom Gegenstand des Staatsrechts

Vorbemerkung: Vom Grund des Verfassungsstaates S. dazu Josef Isensee, Staat und Verfassung, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrecht, Band II: Grundlagen von Staat und Verfassung, 3. Aufl. 2004, § 15 (zukünftig HdbStR II) (lesen!).

I. Der Staat als neuzeitlicher Staat Der Staat in seiner modernen Gestalt entwickelt sich geschichtlich mit der frühen Neuzeit, also mit der Überwindung des religiösen Bürgerkrieges. Der mittelalterliche Staat mit seinem lehnsrechtlichen Ursprung war als Staat im neuzeitlichen Sinn noch nicht recht erkennbar. Ein unmittelbares Rechtsverhältnis aller Einwohner zu einem Staat existierte nicht. Erst als sich die monarchische Gewalt in Überwindung des religiösen Bürgerkrieges als stärker erwies als alle anderen intermediären Kräfte – einschließlich der Kirche – war moderne Staatlichkeit konstatiert. Insofern ist das Titelbild des Leviathan (1670) gewissermaßen das staatsrechtsikonographische Comic schlechthin (dazu noch unten II 1 aa) in diesem Kapitel). Das Bild zeigt aber auch, dass das biblische Bild des Leviathan als schreckliches Ungeheuer eine höchst zeitgenössische Problemlösung zur Überwindung des religiösen Bürgerkrieges darstellt und eigentlich das große Problem erst formuliert hat, das aus seiner absolutistischen Herrschaftsvariante resultiert: Wie legen wir den Leviathan so an die Kette, dass wir als Bürger und Einwohner mit ihm leben können. Die Antwort hat die Geschichte gut ein Jahrhundert nach der Veröffentlichung von Hobbes Leviathan mit der Gründung der Vereinigten Staaten und der Französischen Revolution gegeben; deren Prinzipien werden seitdem durchdacht und modifiziert. Um diese Antwort westlicher Verfassungsstaatlichkeit in der grundgesetzlichen Variante geht es in den drei Staatsrechtsvorlesungen. - Teil 1: Staatsorganisationsrecht - Teil 2: Grundrechte - Teil 3: Der Verfassungsstaat in der internationalen (supranationalen) Ordnung

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Hier im Staatsorganisationsrecht geht es also um die grundgesetzliche Antwort, wie der Staat als demokratischer, republikanischer und sozialer Bundesstaat organisiert ist. S. Art. 20 I als gewissermaßen Zusammenfassung der Essenz des Grundgesetzes; hierzu tritt fundamental Art. 1 GG. Wir beginnen mit Überlegungen dazu, was ein Staat denn sei:

II. Vom Grund des Staates oder: Was ist ein Staat? Zur Einführung ein skurriles Beispiel: VG Köln, DVBl. 1978, 510. Der großflächige Ponton im Meer als Sitz eines Rundfunksenders als staatliches Territorium? Weniger skurril: Der Kosovare X (gibt es den Kosovaren X eigentlich?) wird in Frankreich wegen des dringenden Tatverdachts, einen Totschlag begangen zu haben, festgenommen. Er verlangt nach konsularischem Beistand. Die französische Polizei verspricht ihm, die serbische Botschaft zu informieren. Er verlangt, man möge die Botschaft des Kosovo in Berlin informieren. Wie kann es zu solchen Verwicklungen kommen? Die Beispiele zeigen, wir müssen juristisch wissen, was ein Staat ist. Das Völkerrecht ist das Recht der Völkerrechtssubjekte; das sind zunächst und immer noch die Staaten als die klassischen Völkerrechtssubjekte. (Heute sind internationale Organisationen und das Individuum als Völkerrechtssubjekt hinzugekommen.) Was ist also juristisch ein Staat?

1. Die Drei-Elemente-Lehre Klassischer Text (lesen!) G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl. 1921, S. 394 ff.; moderne Version: Karl Doehring, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. 2000, Rn. 39 ff.

a) Inhalt der Lehre

aa) 1. Element Staatsgewalt -

Sicherheit als Staatszweck Schon Kaiser Justinian (527 - 565) leitete die Institutionen (der Text ist greifbar in Behrends/Knütel/Kupisch/Seiler, Corpus Iuris Civilis. Die Institutionen, 1993, S. XIII) mit einer zeitlosen Bestimmung der grundlegenden Staatsfunktionen ein: "Die kaiserliche

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Majestät muß nicht allein mit Waffen geschmückt, sondern auch mit Gesetzen gerüstet sein. Dann vermag sie zu jeder Zeit, im Krieg wie im Frieden, gut zu regieren, und der Römische Kaiser bleibt Sieger nicht nur im Kampf gegen die Feinde, sondern auch dadurch, daß er auf den Wegen des Gesetzes den Ungerechtigkeiten der Böswilligen wehrt und so wird er ebenso zum gewissenhaftesten Hüter des Rechts wie zum Triumphator über die besiegten Feinde." Thomas Hobbes (1588 – 1679): Homo homini lupus est! (s. seinen Leviathan (1670) Kap. 13 u. 17). Der Staat muss den 'bellum omnium contra omnes' überwinden! S. dazu z.B. Gerhard Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, 1987, S. 36 ff. Zum berühmten Titelbild des Leviathan s. Reinhart Brandt, Das Titelblatt des Leviathan, in: Wolfgang Kersting (Hrsg.), Thomas Hobbes, Leviathan (Klassiker Auslegen 5), 1996, S. 29 ff. -

Staat als souveräner ("Puissance absolue et perpétuelle d'une République", Jean Bodin, Les six livres de la République, 1583, liv. I, chap. X (jüngste deutsche Übersetzung 1981)) Herrschaftsverband nach innen und außen mit dem Monopol der (auch physischen) Gewaltausübung durch Rechtsetzung, Rechtsprechung und Exekutive nach innen und dem Recht zur Selbstbehauptung der Unabhängigkeit nach außen (Polizei, Gerichtsbarkeit, stehendes Heer; zusammengefasst: das staatliche Gewaltmonopol). Souveränität als „Seele des Gemeinwesens“ (Thomes Hobbes). Die Lehre vom Gewaltenmonopol ist folgenreich: Bsp.: A ist Eigentümer eines Mietwohnungskarrées, das er als Investor gekauft hat, als es einigermaßen abgewirtschaftet gewesen ist. Es hat sich dort in einem Flügel eine linksautonome Wohngemeinschaft entwickelt, die keine Miete zahlt, weil man „Kapitalistenschweinen nichts zahlen müsse“ und in einem anderen Flügel haben sich Rechtsextremisten eingenistet, „die keine Miete zahlen, weil man dem zumeist doch jüdisch versippten Vermieterpack“ nichts zahlen müsse. Mit großer Mühe gelingt es, gerichtlich Räumungstitel gegen die dort Wohnenden zu erlangen. Als die Polizei Vollstreckungshilfe leisten soll, weil der Gläubiger seinen Titel vollstrecken will, weigert sich die Polizei gegen die Mieter einzuschreiten, weil sie vom Verfassungsschutz weiß, dass große Mengen an Molotow-Cocktails, Kopfsteinpflastersteinen etc. in den Wohnungen gelagert ist. Dem Polizeipräsidenten sind seine jungen

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Bereitschaftspolizisten „zu schade“, um sie für die Interessen eines Vermieters gesteigerten physischen Gefahren auszusetzen. Daraufhin fragt der Vermieter bei den Hell’s Angels an, ob sie ihm bei der tatsächlichen Räumung helfen würden, da ihn der Staat im Stich lasse. Bsp.: Schutz vor Piraterie: Schiffe unter deutscher Flagge bilden eine „einheitliche Kauffahrteiflotte“ (Art. 27 GG), die der Staat über See allerdings nicht effektiv schützen kann (jedenfalls nur sehr erschwert). Deshalb nimmt er seinen Monopolanspruch im Sinne des Verbots privater Gewaltausübung ein Stück weit zurück: Zur Zulassung privater Sicherheitsfirmen auf Deutschen Seeschiffen vgl. nun das „Gesetz zur Einführung eines Zulassungsverfahrens für Bewachungsunternehmen auf Seeschiffen“ (BGBl. I 2013, S. 362ff.), das am 01.12.2013 in Kraft trat. Privaten Sicherheitsfirmen ist nun das Tragen von Waffen an Bord erlaubt; die Firmen müssen nach dem neu gefassten § 31 GewO eine Zulassung beantragen. Vgl. auch die das Zulassungsverfahren konkretisierende „Verordnung über die Zulassung von Bewachungsunternehmen auf Seeschiffen“ (BGBl. I 2013, S. 1562ff.) Bsp.: No-go-areas; Scharia-Strukturen als faktisch durchgesetzte Substitution für staatliche Gerichtsbarkeit; Clan-Strukturen als „Herrschaft durch Gewalt“. Zur Souveränität s. etwa Albrecht Randelzhofer, Staatsgewalt und Souveränität, HdbStR II, § 17; Werner Mäder, Vom Wesen der Souveränität. Ein deutsches und europäisches Problem, 2007; zu Relativierungen eines souveränitätszentrierten Denkens s. unten I 2 (S. 29). Der Zusammenklang von Souveränität und Staatsgewalt lehrt: - - Staatliche Gewalt ist unabgeleitete Herrschaftsgewalt. - - Daraus folgen Wesensmerkmale des öffentlichen Rechts: Subordinations- und Subjektstheorie als (zum Teil modifikationsbedürftige) Wesensmerkmale des öffentlichen Rechts. (s. vorläufig Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl. § 3 Rn. 12 – 21; Martin Bullinger, Öffentliches Recht und Privatrecht in Geschichte und Gegenwart, in: FS. f. Fritz Rittner, 1991, S. 69 ff. Ausf. und lesenswert (zu gegebener Zeit): Detlef Schmidt, Die Unterscheidung von privatem und öffentlichem Recht, 1985).

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- Das Merkmal der Staatsgewalt ist zugleich Relationsgröße für die weiteren zwei Elemente Staatsgebiet und Staatsvolk. bb) Staatsgebiet: Staat als territorialer Herrschaftsverband; vom modernen Staat ist erst zu sprechen, als er für ein Territorium Gebietshoheit beanspruchen konnte, also territorial begrenzte Herrschaft über Personen im Herrschaftsgebiet ausüben konnte. -

Der Zusammenhang von Staatsgewalt und Staatsgebiet ist etwa in der aktuellen Flüchtlingskrise sichtbar. Dabei geht es hier nicht um die Frage, wer aus welchem Grund ein Zutrittsrecht haben kann, um hier Schutz zu finden, sondern um die Modalitäten des Zutritts. Wenn der Staat seine Territorial- und Personalhoheit behaup

ten will, muss er

den Zutritt effektiv kontrollieren. Dass diese Kontrolle in der EU im Schengenraum nach außen verlagert ist, wird unerheblich, wenn dort der Zutritt nicht kontrolliert wird (d.h. die Zutretenen nicht personal erfasst werden). Dann muss die Bundesrepublik selbst die Zutrittskontrolle wieder übernehmen. Was „eigentlich“ nicht sein kann und darf, ist der nicht registrierte Zutritt, weil dadurch die Souveränität, wie sie sich in der Kontrolle der Personal- und Territorialhoheit zeigt, verloren geht. Das mag man in der Abwägung in einer momentanen humanitär gebotenen Hilfsaktion rechtfertigen können, muss aber die Ausnahme bleiben. s. Udo Di Fabio, Migrantenkrise als föderales Verfassungsproblem, 2016, S. 49 ff. – im Netz verfügbar cc) Staatsvolk (mit der Fähigkeit der Selbstregierung): das durch das Band der Staatsangehörigkeit geeinte personale Substrat der Herrschaftsausübung -

Problematik des Volksbegriffs. Siedlungsgemeinschaft, Kultur, Sitte, Sprache, Bewußtsein der Zusammengehörigkeit, Gemeinschaftswille. Praktisch löst das Staatsangehörigkeitsrecht das Problem: Das Volk ist die Summe der Staatsangehörigen. Die Problematik zeigt sich beim Selbstbestimmungsrecht der Völker als Legitimationsgrundlage für die Sezession als Grundlage völkerrechtlich begründeter Staatenbildung oder wenn der Volksbegriff zur Abgrenzung vorgeblich nicht-homogener Volksteile ideologisch eingesetzt wird (Beispiel: Lehre von der „Artgleichheit“ zur Ausenzung der Juden mit der Folge des Verlustes der Rechtsgleichheit bis hin zur physischen Vernichtung).

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-

Staatsangehörigkeit des modernen Staates als formales Band – nicht als „völkisch“ miss zu verstehen: Es sind nur zwei Anknüpfungen denkbar (die auch kombiniert werden können): Abstammungsprinzip und/oder Territorialitätsprinzip + Einbürgerung

S. zur Bedeutung der Staatsangehörigkeit im völkerrechtlichen Verkehr deren Relevanz für die Wiedervereinigung: Letztlich war die Position der sozialistischen Staaten hinter dem Eisernen Vorhang in ihrer Abschottung unhaltbar geworden, als Ungarn 1989 eine große Zahl von DDR-Bürgern im Land hatte, die auf der Basis bundesdeutscher Staatsangehörigkeitsdoktrin (es gab danach nur eine deutsche Staatsangehörigkeit für alle Deutschen in der Bundesrepublik und in der DDR) gegen die DDR-Auffassung von der (alleinigen) DDR-Staatsangehörigkeit zu dem Schluss kam, es handele sich bei den DDR-Bürgern offenbar um Doppelstaater. Da diese in die Bundesrepublik ausreisen wollten, machten sie auch ein ‚genuine link’ zur deutschen Staatsangehörigkeit geltend, so dass Ungarn bereit war, diese Personen durch den Eisernen Vorhang in den Westen ausreisen zu lassen. Dieses „Loch“ im sog. Eisernen Vorhang war der Anfang vom Ende des Ostblocks; eine staatsangehörigkeitsrechtliche völkerrechtlich mögliche Handlungsoption Ungarns war der Auslöser. Das gleiche galt für die Entscheidung der Tschechoslowaken die „Botschaftsflüchtlinge“ auszureisen zu lassen – allerdings mit der Besonderheit, dass die DDR den Zug unter Verweis auf ihre Territorial- und Personalhoheit hat passieren lassen. Das Loch im Zaun von Ungarn führte hingegen unmittelbar in den Westen; dass Österreich den Zutritt akzeptieren würde, weil es sich um freiheitsberechtigte (deutsche) Unionsbürger handelte, war selbstverständlich und unionsrechtlich geboten.

b) Völkerrechtliche Bedeutung der Lehre -

Der Staat besitzt Völkerrechtssubjektivität kraft seiner Existenz und folglich mit dem Anspruch auf (im einzelnen streitig):

--

Anerkennung als Staat; s. z.B. für eine entsprechende Rechtsfolge Art. 4 UN-Charta; zur Anerkennungspraxis der Bundesrepublik Deutschland, s. Michael Schweitzer/Albrecht Weber, Handbuch der Völkerrechtspraxis der Bundesrepublik Deutschland, 2004, Rn. 431 ff.) Konkret: S. oben das Beispiel des Kosovo, der von einigen Mitgliedstaaten der EU (auch Deutschland) anerkannt wird, von anderen nicht (etwa von Frankreich nicht). (Zur Frage der Anerkennungsfähigkeit des Kosovo s. die Entscheidung des Internati-

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onalen Gerichtshofs (IGH) als Organ der Vereinten Nationen vom 22. Juli 2010, Dokumentennummer: 2010/25.) - - Mit der Existenz als Staat gelten die sogenannten Staatengrundrechte, also - - - politische Unabhängigkeit, - - - souveräne Gleichheit der Staaten (Art. 2 Nr. 1 der UN-Charta) und - - - Staatenimmunität (Exteritorrialität): → "par in parem non habet iudicium": Könnte Deutschland die USA vor z.B. dem Landgericht Berlin verklagen wegen völkerrechtswidriger Benutzung des Luftraumes der Bundesrepublik Deutschland oder auf Unterlassung des Datenfischens im deutschen Hoheitsraum oder auf Unterlassung des Abhörens des Handys der Bundeskanzlerin? Offensichtlich nicht! → "ne impediatur legatio": (Die Arbeit der Botschaft darf nicht behelligt werden; völkerrechtlich kodifizierter Grundsatz.) Darf Deutschland den Botschafter Russlands festnehmen, wenn dieser die Bundeskanzlerin beleidigt? Wie weit reicht die Immunität der jeweiligen Staatsvertreter? Beispiel: Das amtierende Staatsoberhaupt eines Staates wird eines Genozids gegenüber einer ethnischen Minderheit in seinem Heimatstaat beschuldigt. Er ist als eingeladenes Staatsoberhaupt Gast der Bundesrepublik Deutschland. Darf ein deutscher Staatsanwalt ihn aufgrund des Weltrechtsprinzips mit einem deutschen Haftbefehl bei Betreten des Flughafens Berlin-Tegel verhaften? An sich nicht, aber jetzt gilt im Grundsatz ja, nachdem es den Internationalen Gerichtshof gibt. Dessen etwaiger Haftbefehl könnte (und müsste) vollstreckt werden. Deshalb können Staatschefs mit genozidalem Blut an den Händen (z.B. der Syrer Assat) Putin noch besuchen, aber nicht solche Staaten, die dem Statut von Rom zur Internationalen Strafgerichtsbarkeit beigetreten sind. Ein historisches Beispiel: Der Staatsratsvorsitzende der DDR Erich Honecker besucht die BRD. Als Staatsratsvorsitzender ist er weder Regierungschef noch Staatspräsident. Die Staatsanwaltschaft Bonn beantragt einen Haftbefehl wegen des Schießbefehls an der innerdeutschen Mauer. Wird der Richter den Haftbefehl ausfertigen? - siehe dazu §§ 18-21 GVG; nebenbei: Honnecker ist erst gekommen, nachdem das GVG geändert worden war. Ein aktuelleres Beispiel: Der Bonner Bürger D hat Argentinien 1990 Geld geliehen. Argentinien hat seine Zahlungsunfähigkeit erklärt und bedient die Darlehensforderun-

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gen seit 1992 nicht mehr. 1995 verlegt Argentinien den Sitz seiner Botschaft nach Berlin (bisher war sie auf dem Bonner Venusberg). Daraufhin beantragt D beim Amtsgericht Bonn die Eintragung einer Sicherungshypothek auf dem Grundstück Argentiniens auf dem Bonner Venusberg zur Sicherung seiner Darlehensforderung. Wird das Amtsgericht die Eintragung bewilligen, wenn Argentinien behauptet, die Bonner Residenz bleibe Teil der diplomatischen Vertretung Argentiniens? Schließlich wird die Sicherungshypothek durch Entscheidung des OLG Köln eingetragen. Rechtsmittel dagegen sind nicht mehr möglich. Daraufhin erhebt Argentinien Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht. Ist die Verfassungsbeschwerde zulässig und begründet? - siehe BVerfG Beschluss vom 20.09.2006 - 2 BvR 799/04 – BVerfGK 9, 211 - - - Interventionsverbot (siehe z.B. "Nicaragua-Fall" IGH vom 27.06.1986, ICJ Reports 1986, 14 (106 ff.), dazu K. Ipsen/H. Fischer, Völkerrecht, 5. Aufl. 2004, § 59 Rn. 50 ff.) mit dem Hintergrund des Gewaltverbots (Art. 2 Nr. 4 UN-Charta). Völkerrechtlich ist die Berechtigung zur sog. humanitären Intervention bei schwersten planmäßigen Menschenrechtsverletzungen wie Völkermord und ethnischen Vertreibungen noch nicht vollständig geklärt. (Intervention der NATO in Serbien als Ausgangspunkt einer veränderten Völkerrechtsordnung)? S. Ipsen/Fischer, a.a.O., § 59 Rn. 26). - - - Anspruch auf Achtung der Rechtspersönlichkeit des Staates (seiner völkerrechtlichen Existenz) mit dem Recht zur Selbstverteidigung (als Durchbrechung des Gewaltverbots); - - - Recht auf Achtung und Schutz der Ehre eines Staates (Recht auf individuelle Selbstbehauptung); das Recht auf den Schutz der Ehre erfasst auch das jeweilige Staatoberhaupt (s. Erdogan v. Böhmermann; § 103 StGB i.V.m. § 104a StGB und: Erdogan v. Böhmermann, § 185 StGB - - - das Selbstbestimmungsrecht (nicht unstreitig), s. das Stichwort bei Seidl/Hohenveldern (Hrsg.), Völkerrecht (Lexikon des Rechts) 2. Aufl. S. 284 f. (Zu den völkerrechtlichen Grundrechten der Staaten s. K. Ipsen/ C. Gloria, Völkerrecht, a.a.O., § 26; zum Interventionsverbot s. das Stichwort "Nichteinmischung", in: Seidl/Hohenveldern (Hrsg.), a.a.O., S. 226 f.; insbesondere zur Anerkennung von Staaten s. R. Wolfrum, in: Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/1, 2. Aufl. 1989, S. 196 ff. sowie Ipsen/Gloria, a.a.O., § 22; sowie das oben zitierte Handbuch von Schweitzer/Weber. Diese Fragestellungen werden ausführlich in der Vorlesung Staatsrecht III behandelt.)

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c) "Spuren-Elemente" der Drei-Elemente-Lehre im Grundgesetz aa) Staatsgewalt als dem Grundgesetz vorausliegende Kategorie - Das ungeschriebene Grundrecht auf Sicherheit (s. Josef Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit. Zu den Schutzpflichten des freiheitlichen Verfassungsstaates, 1983; Gerhard Robbers; zu den Grundrechten als „Schutzpflichten“, siehe den gleichnamigen Beitrag von Christian Calliess in: Merten/Papier (Hrsg.), HdB d. GRe, Bd. II Grundrechte in Deutschland, allgemeine Lehren I (2006), § 44.) Normative Ansätze zum Schutz des einzelnen vor Eingriffen Dritter in seine Grundrechte zeigen Art. 1 Abs. 1 Satz 2; Art. 2 I, II auf; siehe dazu BVerfGE 39, 1 (42) – Schwangerschaftsabbruch I; 46, 160 (164) – Schleyer; 49, 89 (141) – Kalklar; 53, 30 (57) – MülheimKärlich; 56, 54 (73) Fluglärm; 79, 174 (201 f.) – Straßenverkehrslärm; 88, 203 (254) – Schwangerschaftsabbruch II. Der Schutzauftrag richtet sich an alle Staatsgewalten; s. für die insoweit gegenüber gesetzgeberischen Lücken lückenschließungsbefugte Rspr.: BVerfGE 81, 242 (255 f.) – gewerbliche Wettbewerbsverbote; 84, 212 (227) - Arbeitskampf; zu den Grundrechten als „Schutzpflichten“, siehe den gleichnamigen Beitrag von Christian Calliess in: Merten/Papier (Hrsg.), HdB d. GRe, Bd. II Grundrechte in Deutschland, allgemeine Lehren I (2006), § 44. - Souveränitätsprinzip: siehe Art. 20 III GG als Merkposten. - - Staatsgewalt als unabgeleitete Herrschaftsgewalt: Unterschied zur gemeindlichen und sonstigen dezentralen Hoheitsgewalt, s. Art. 28 I, II GG. - Gewaltmonopol nach außen: Art. 87a i.V.m. Art. 115a I GG. - Gewaltmonopol nach innen: nur erkennbar an den normierten Durchbrechungen des Gewaltmonopols, siehe Art. 20 IV GG sowie einfach-rechtlich §§ 32 - 35 StGB, § 229 f. BGB; § 127 StPO. Im Übrigen normiert der Staat sein Recht zur notfalls gewaltsamen Selbstbehauptung auch nach innen, siehe Art. 87a IV, 91 I, II, 35 II GG. - - Justizgewährleistungspflicht und Rechtsprechungsmonopol Beispiel 1: Der deutsche Fussballprofi F wird vom DFB-Sportgericht zwei Jahre für den Spielbetrieb gesperrt, weil er einen Schiedsrichter angespuckt hat. F wendet ein, er sei anders als sein Verein – der 1. FC Köln – gar nicht Mitglied des DFB und sehe auch nicht ein, wie solch eine private Institution das Recht haben könne, ihn in seiner Berufsausübung zu hindern. (s. §§ 1025 ff. Zivilprozessordnung)

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Beispiel 2: Der Fall der Eisschnellläuferin Claudia Pechstein – OLG München, v. 15.01.2015 – U 1110/14 Kart Beispiel 3: P ist katholischer Priester: Er zeugt zwei Kinder mit einer verheirateten Frau in seiner Gemeinde, deren Ehemann in Afghanistan vermisst ist. Seiner Gemeinde erklärt er in der Predigt, er tue ein gottgefälliges Werk, wenn er der Ehefrau des Verschollenen durch Familienvergrößerung helfe; das sei wichtiger als seine zölibatäre Verpflichtung und das müsse auch die Kirche einsehen. Das zuständige Kirchengericht entlässt ihn als Pfarrer. Dagegen klagt P vor dem Verwaltungsgericht. Hat die Klage Aussicht auf Erfolg? - - Die Justizgewährleistungspflicht als (nicht ausdrücklich normierte) Komplementär des Gewaltmonopols; normativ gesichert im Rechtsstaatsprinzip, speziell gesichert gegenüber der öffentlichen Gewalt in Art. 19 IV (s. nur Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19 IV Rn. 16 f.) - - Das Rechtsprechungsmonopol ist allenfalls angedeutet in Art. 92 GG; es erstreckt sich

aber nur auf die staatliche Gerichtsbarkeit; eine privatautonome Durchbrechungsmöglichkeit ist denkbar, wie die Vereins- und Verbandsschiedsgerichtsbarkeit sofort zeigt (s. Achterberg, BK, Art. 92 Rn. 173 ff.; der Staat wird allerdings aus seiner Garantenpflicht nie vollständig entlassen, s. § 1025 ff. ZPO). Das gilt nach der Rspr. nicht für die kirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit (sie betrifft personell nur die Geistlichen, nicht das weitere Kirchenpersonal), weil diese verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV). Das kann man auch anders sehen, so dass die §§ 1025 ff. ZPO auch gegenüber kirchenverwaltungsgerichtlichen Urteilen geltend gemacht werden könnten. Jedenfalls genügen die Kirchenverwaltungsgerichte tatsächlich uneingeschränkt den §§ 1025 ff. ZPO. – Parteischiedsgerichte der politischen Parteien unterliegen uneingeschränkt den §§ 1025 ff. ZPO. – Ein Problem ist die Sportschiedsgerichtsbarkeit, die es dem Sportler sanktioniert verbietet, die staatlichen Gerichte anzurufen. Nach meinem Dafürhalten wäre das eine echte Durchbrechung der staatlichen Garantenpflicht, die mit der Justizgewährleistungspflicht nicht vereinbar ist. Der Fall Pechstein (oben Beispiel 2) wird für Klarheit sorgen. - - Öffentliches Recht als Amtsrecht: s. Art. 33 IV, Art. 19 IV, § 40 I VwGO, § 839 BGB, § 1 VwVfG bb) Staatsgebiet: (siehe dazu insgesamt Daniel-Erasmus Khan, BK, Staatsgebiet und Grenzen[vor Präambel], Rn. 1 ff.). Die Präambel beschreibt den territorialen Herrschaftsraum

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- auch Schiffe (s. Art. 27 GG; dazu BVerfGE 92, 43) und Botschaften (die allerdings nicht eigentlich exterritorial sind (obwohl das häufig gesagt wird); es gilt der Grundsatz der Unverletztlichkeit der Räumlichkeiten der Mission, s. Art. 22 Wiener Übereinkommen über die Diplomatischen Beziehungen (WÜD); s. Ipsen/Fischer, a.a.O., § 35 Rn. 60 ff.) - luftwärts: 80 bis 100 km über dem Meeresspiegel (s. Graf Vitzthum, HdbStR II, § 18, Rn. 22); praktische Bedeutung: LuftVG Beispiel: Sie sind Eigentümer einer attraktiven Immobilie in Berchtesgaden (vor etwa 30 Jahren!). Österreich baut den Flughafen Salzburg aus. Österreich ist damals noch nicht Mitglied der EWG (heute: EU) und hält es nicht für nötig, die „deutschen Piefkes“ am Verwaltungsverfahren zum Ausbau des Flughafens zu beteiligen. Da die Salzburger durch den gesteigerten Flugverkehr stark belastet würden, entscheidet sich die Planfeststellungsbehörde in Wien für einen Flughafenausbau, in dessen Rahmen die Anflugrouten bevorzugt über Berchtesgaden zu führen sein werden. Was wollen Sie als Berchtesgadener tun? Wen wollen Sie auf welche Maßnahme in Anspruch nehmen? (Der Fall hat deutsche Gerichtsbarkeit tatsächlich beschäftigt.) - seewärts: Vitzthum, a.a.O., Rn. 29 f.: konsentiert sind jedenfalls zwölf Seemeilen. - bundesstaatsrechtliche Bedeutung der Präambel: Bundesgebiet = Summe der Landesherrschaftsgebiete; keine bundesfreien Landesgebiete; keine bundesunmittelbaren Gebiete; kein Washington D.C.! cc) Staatsvolk (siehe dazu Rolf Grawert, HdbStR II, § 16) Präambel, Art. 20 III, Art. 116 als Textbefund - persönliches Herrschaftssubstrat und Gegenstand staatlicher Personalhoheit; Träger der Staatsgewalt - personale Abgrenzung: Nach der Staatsangehörigkeit = Gesamtheit der Staatsangehörigen, die dem Staat kraft Rechts zugeordnet sind und kraft Völkerrecht zugeordnet werden dürfen. - Deutsche historisch bedingte "Spezial-Probleme": Deutsche waren selbstverständlich auch alle Bürger der früheren DDR, auch solche, die im Rahmen des ordre public dort

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eingebürgert worden sind (s. BVerfGE 77, 137 (151 f.); durch die Ostverträge haben Deutsche ihre Staatsangehörigkeit nicht verloren (BVerfGE 40, 141 (170); 43, 203 (210) – Sudetendeutsche; wohl aber Österreicher am 25.04.1945 (BVerfGE 4, 322 (327)). Zu Art. 116 s. zuletzt BVerwGE 90, 173; BGHZ 121, 305 (314). Deutsche im Sinne von Art. 116 Abs. 1 GG sind auch: Flüchtlinge oder Vertriebene (= derjenige, der seinen Wohnsitz außerhalb des Gebiets der heutigen Bundesrepublik hatte und diesen Wohnsitz aufgrund des Zweiten Weltkrieges durch Vertreibung oder durch Flucht verloren hat und in Deutschland Aufnahme gefunden hat (auch noch nach Inkrafttreten des GG, BVerfGE 8, 81 (86); 17, 224 (231)). (Deutscher Volkszugehörigkeit = derjenige, der sich in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, sofern dieses Bekenntnis durch Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt wird). - Wesen der Staatsangehörigkeit: Ein Rechtsverhältnis, das ein Rechtsband von Rechten und Pflichten (Gehorsamspflicht des Bürgers! z.B.) zwischen dem Staat und seinen Angehörigen schafft (Grawert, a.a.O. Rn. 42). Alltäglich: Steuerpflicht, Schulpflicht, Gesetzesgehorsam, früher: Wehrpflicht etc. (Aber Vorsicht! Diese Pflichten gelten z.T. nicht nur für Staatsbürger); dem Bürger entstehen auf der anderen Seite Forderungsrechte gegen den Staat zu (Recht auf Zugang zu Bildungseinrichtungen, zur Infrastruktur, auf Sozialleistungen. Aber beachten Sie: die große Mehrheit solcher Forderungsrechte steht allen Einwohnern offen; s. aber z.B. die Differenzierung bei den Grundrechten. Konkrete Folgen anhand von Beispielen: 1. Beispiel: Der Fußballlehrer Stange will (zu Zeiten von Saddam Hussein) die irakische Fußballnationalmannschaft trainieren. Die Bundesrepublik Deutschland entzieht ihm den Pass (Rückruf); suchen Sie im Passgesetz die entsprechende Ermächtigungsgrundlage! 2. Beispiel: Elfes ist Oberbürgermeister einer rheinischen Stadt in der ersten Hälfte der 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Er ist CDU Politiker, steht aber in Opposition zu Adenauers Westintegrationspolitik in den frühen 50ern. Er will nach Moskau, um dort an einem „Friedenskongress“ teilzunehmen, dabei die Außenpolitik der Regierung kritisieren. Da seine Ausreise die Belange der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtige, wird ihm der Pass verweigert (BVerfGE 6, 89 - Elfes).

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- - Konsequenzen auf der Berechtigungsseite: Völkerrechtlich: Auslandsschutz sowohl konsularisch (Auskunft, Beratung, Fürsorge, s. das Konsulargesetz, Sartorius II, Nr. 580) und diplomatisch: Wegen völkerrechtswidriger Behandlung der eigenen Staatsangehörigen gegenüber einem völkerrechtswidrig handelnden Staat (s. auch BVerfGE 81, 208 (224): Urheberrecht und gezielte Benachteiligung fremder Staatsangehöriger "unentschlossener" Staaten zur Erzwingung von Gegenseitigkeitsabkommen zum Schutze der eigenen Staatsangehörigen) (zum Auslandsschutz: Dauses Jura 1990, 262 ff.; Rudolf Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 3. Aufl. 2002, § 50) Staatsrechtlich berechtigend: s. die frühere Regelung in Art. 112 Abs. 2 WRV mit der ausdrücklichen Normierung eines subjektiven Rechts auf (ermessensabhängigen) Auslandsschutz (s. gegenwärtig die häufigen Bemühungen der Krisenstäbe im Auswärtigen Amt, entführte Deutsche in Afghanistan oder im Irak „freizukaufen“ (was nie zugegeben wird) oder ihre Freilassung auf anderem Wege zu erreichen). Aus der Staatsangehörigkeit folgt ein Forderungsrecht auf Gewährung von Auslandsschutz. Dem Grundgesetz fehlt zwar eine entsprechende Regelung; sie folgt aber aus dem Wesen der Staatsangehörigkeit als Rechtsverhältnis (BVerfGE 55, 349 (364 f.) - Rudolf Heß, BVerwG NJW 1988, 2208; OVG Münster NJW 1989, 2209); man mag den Auslandsschutz im Kern auch in Art. 16 Abs. 1 Satz 1 gewährleistet sehen (s. Jarass/Pieroth, GG, Art 16 Rn. 7 m.w.Nachw. (str.)). Ein signifikantes Beispiel für die Gewährung von Auslandsschutz ist etwa die Klage der Bundesrepublik Deutschland gegen die USA a conto doppelte Staatsangehörigkeit der zum Tode verurteilten Brüder La Grand, die verurteilt worden waren, ohne dass Deutschland den deutschen Staatsangehörigen konsularischen Beistand hätte leisten können. Der Angerufene Internationale Gerichtshof (IGH) hat der Bundesrepublik Recht gegeben und die Völkerrechtswidrigkeit der Verurteilung ohne die Gewährung von Auslandsschutz ausgesprochen (IGH La Grand (Germany) v. USA, Urteil vom 27.06.2001, ICJ Rep 2001, 466.) Zu den Rechtsfolgen verweigerten Zugangs des Heimatstaates zu einem eigenen Staatsangehörigen vor dem deutschen Strafrichter s. BVerfGK 17, 390. Beispiel: A ist als deutscher Staatsangehöriger, wie der Bundesnachrichtendienst weiß, in Afghanistan in einem Ausbildungscamp für Selbstmordattentäter gewesen. Als er zurückkehrt, verweigert ihm die BRD die Einreise. Sie empfiehlt ihm, dorthin zurückzukehren, „wo er sich offensichtlich wohl fühlt, nämlich in Terrorstaaten“. Ist dies (von der Formulierung abgesehen) rechtmäßig? (Zur Bedeutung des Art. 11

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GG für die Einreise in das Bundesgebiet s. BVerfGE 110, 177 (191) - Spätaussiedler; BVerwGE 122, 313 (316)) Kann Deutschen, von denen die Behörden annehmen, dass von ihnen eine Gefahr ausgeht, die Wiedereinreise verweigert werden, wenn sie Doppelstaatler sind? Fall Kurnaz: Er ist Deutscher und Türke und war Guantanamo-Häftling. Kann ihm unter Verweis auf: „Dann gehen Sie doch in die Türkei“ die Wiedereinreise nach Deutschland verwehrt werden? - gesetzliche Grundlage für eine solche Entscheidung ist nicht gegeben; - Art. 11 GG garantiert die Wiedereinreise. - Welche StaatsAng effektiv sein soll, entscheidet K selbst. - Im Ergebnis liefe das Verbot der Wiedereinreise auf eine Entziehung der Staatsangehörigkeit hinaus (dazu noch S. 38) Kontrastbeispiel: Das Sektenoberhaupt Mun ist koreanischer Staatsangehöriger. Er will in die Bundesrepublik einreisen, um seine Gemeindemitglieder besuchen zu können. Die BRD verweigert die Einreise unter Hinweis darauf, dass er keinen Anspruch auf Zutritt habe. Mun klagt dagegen. Wird seine Klage Erfolg haben? s. BVerfGK 9, 371. Weil er seine „Gemeinschaften besuchen will, ist ihm wegen Art. 4 Abs. 1 GG die Einreise zu gestatten. Für IS-„Geistliche“ würde das wegen latenter Unfriedlichkeit nicht gelten. Außerdem: Die Staatsangehörigkeit ist relevant für die Geltung der „Deutschen-Grundrechte“ (s. insofern den Text der Grundrechte). Staatsrechtlich verpflichtend: Unterwerfung unter den personalen Geltungsanspruch des deutschen innerstaatlichen Rechts (die aber auch für jedermann gilt, der sich im Inhalt aufhält). - Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit nach dem StAG - - Ius sanguinis oder ius territorii (jeweils ergänzt um Erklärungserwerbstatbestände) als denkbare Modelle; das kaiserliche RuStAG folgte im Grundsatz dem Abstammungsprinzip, jetzt aufgelockert durch ein modales Territorialitätsprinzip für hier geborene Ausländerkinder (sog. Optionsregelung, § 29 StAG)

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- - Ius sanguinis und Art. 3 Abs. 2: BVerfGE 37, 217: Staatsangehörigkeit nach Vater und Mutter; das reine Paternalitätsprinzip (oder das Maternalitätsprinzip) ist verfassungswidrig. Doppelte Staatsangehörigkeiten, die daraus folgen, sind hinzunehmen. - - Problematik der doppelten Staatsangehörigkeit s. Wolfgang Löwer, Abstammungsprinzip und Mehrstaatlichkeit, in: Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik, 1993, S. 156 f. sowie K.F. Gärditz, Der Bürgerstatus im Lichte von Migration und Europäischer Integration, VVDStRL 72 (2013); politisch ist die Frage hoch umstritten; viele Diskutanden halten die doppelte Staatsangehörigkeit für einen Beitrag zur Integration, mancher für einen Beitrag zur Verhinderung der Integration. - Grundrechtlicher Schutz der Staatsangehörigkeit und der Staatsangehörigen: Art. 16 I und Art. 16 II. "Gegen den Willen" = Verlust, den der Betroffene nicht beeinflussen kann (BVerfG - VPr. NJW 1990, 2193 sowie jetzt BVerwGE 118, 216 und BVerfGE 116, 24 (44 f.)). Verfassungsrechtliche Problematik der Optionsregelung für Doppelstaater: im Ergebnis ist § 29 StAG keine „Entziehung“ im Sinne von Art. 16 Abs. 1 S. 1 GG, weil nach Maßgabe des Willens des Betroffenen beeinflussbar (Jarass/Pieroth, GG, Art. 16, Rn. 8 u. Rn. 12 a mit weiteren Nachw.); die Regelung wird aber im Schrifttum für mit Art. 3 Abs. 3 S. 1, 2. Var. und Art. 3 Abs. 1 GG für unvereinbar gehalten, auch mit den Unionsbürgerrechten der EU, wenn davon EU-Bürger betroffen sind. (s. Zimmerann/Schütte/Sener, „Deutsche zweiter Klasse?“, 2013, S. 38ff.); aktueller Meinungsstand bei Jarass/Pieroth, a.a.O., Art. 16 Rn. 12a. Neuerdings wird erwogen deutsche Terroristen, die sich z.B. in Terrormilizen ausbilden lassen, die deutsche StAng. zu entziehen (FAZ v. 20. April 2016, S. 1) Präsumtive Arg.: Ich werde willentlich Terrorist, also liegt der Verlustgrund in meinem eigenen Verhalten (= BVerfGE 116, 24); im Ergebnis könnten also „gefährliche Deutsche“ nach Maßgabe konkreter Anhaltspunkte „expatriiert“ werden. Hier ist Vorsicht geboten: Im 116. Bd. bezieht sich die Wesentlichkeit des Handelns, dem der Verlust folgt, auf Tatbestände des StAngR; der Neuregelungsvorschlag müsste an ein Merkmal der „Gefährlichkeit“ eines Menschen an. Das ist etwas substantiell anderes. ME lässt Art. 16 I eine solche Regelung nicht zu.

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d) Grundgesetzliche Reflexion der völkerrechtlichen Konsequenzen der DreiElemente-Lehre aa) Art. 25 GG; dazu Kunig, Jura 1989, 667; Steinberger, HbdStR, 2. Aufl. VII, § 173, Art. 25 als generelle Transformationsnorm (Rechtsanwendungsbefehl) für die allgemeinen Regeln des Völkerrechts; insbesondere Art. 25 Satz 2; es gilt nicht etwa ganz generell: "International law is part of the law of the land" mit den angelsächsischen Implikationen der Eingliederung des Völkerrechts in das Landesrecht z.B. auch hinsichtlich zeitlicher Kollisionsregeln: s. den Rang der allgemeinen Regeln des Völkerrechts oberhalb des Gesetzes (aber nach herrschender Meinung unterhalb der Verfassung) mit der verfassungsprozessualen Sicherung der Wahrung der allgemeinen Regeln des Völkerrechts durch das Normverfikationsverfahren in Art. 100 Abs. 2 GG (s. hierzu den Argentinienfall oben S. 30 – Argentinische Botschaft). Zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts gehören das Völkergewohnheitsrecht und die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Völkerrechts, d.h. diejenigen Normen des Völkerrechts, die unabhängig von vertraglicher Zustimmung für alle oder doch die meisten Staaten gelten (so zuletzt BVerfG, v. 15. Dezember 2015 – 2 BvL 1/12 -). Art. 59 GG gilt für das Vertragsvölkerrecht. Es gilt im Range des Parlamentsgesetzes und ist deshalb der zeitlichen Geltungsanordnung der lex posterior ausgesetzt (s. zu den Studiengebühren z.B. OVG Münster, v. 9. Oktober 2007 – 15 A 1596/07 - zu Art. 13 Abs. 2 Buchstabe c des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Sozialpakt) sowie (allerdings völkerrechtlich eher kursorisch): BVerwGE 134, 1, Rn. 45 ff.; s. jetzt zur Kollision der lex posterior mit Vökervertragsrecht; BVerfG v. 15. Dezember 2015 – 2 BvL 1/12 -: Der Bundesfinanzhof (BFH) hatte eine im Schrifttum neuerdings verbreitet vertretene Auffassung zum Rang des Volkervertragsrechts dem BVerfG vorgelegt. Der einfache Gesetzgeber sei auch an das Völkervertragsrecht derart gebunden, dass ein späteres Gesetz nicht geltungsstärker sei als das frühere – gegen die zeitliche Geltungsregel, nach dem das spätere dem früheren vorgeht (lex posterior derogat legi priori). Die Völkerrechtsfreundlichkeit insbesondere gebiete, das zwischen Völkerrechtssubjekten bestimmte Völkervertragsrechte vor einem ‚Treaty overide’ zu schützen. Das BVerfG ist dem überzeugend entgegengetreten; schon die Systematik aus Art. 25 und Art. 59 Abs. 2 GG lasse eine Nivellierung zwischen allgemeinen Regeln des Völkerrechts und Völkervertragsrechts nicht zu (s. BVerfG, a.a.O., C I 1a) und b)).

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bb) Art. 25 GG rezipiert damit auch die oben zitierten 'Staatengrundrechte' (soweit sie allgemeine Regeln darstellen, soweit es also um "evidence of general practice accepted as law" geht); s. den IGH-Fall Continental Shelf [Libyen vs. Malta], ICJ Reports 1985, 29 f. aaa) Respektierung des Territorialitätsprinzip, BVerfGE 84, 90 (123) - Bodenreformurteil: Hinnahme fremder Enteignungen (durch SMAD (= Sowjetische Militätradministration in Deutschland)) bbb) Staatenimmunität Unterscheidung in: - acta iure imperii - acta iure gestionis - fremde Staatsunternehmen Acta iure gestionis bleiben für das prozessuale Erkenntnisverfahren ohne Immunitätsschutz (BVerfGE 16, 27 - Reparatur der Heizungsanlage in der Iranischen Botschaft), für die Vollstreckung s. BVerfGE 46, 342 - Philippinische Botschaft als Mieter; es gilt der Grundsatz ne impediatur legatio (siehe oben), wenn in das eine Botschaftskonto gepfändet werden soll. Zu Staatsunternehmen s. BVerfGE 64, 1 - National Iranian Oil Co: keine Staatenimmunität (auch nicht für staatliche Monopolunternehmen); s. auch den oben zitierten Fall BVerfGE 117, 141 zu Staatsanleihen bei erklärtem pauschalem Verzicht auf Vollstreckungsschutz (Argentinien). ccc) Staatsorganimmunität: s. § 20 Abs. 1 und § 20 Abs. 2 GVG ddd) Immunität des Staatsoberhaupts s. Dahm/Delbrück/Wolfrum, a.a.O., § 29: "Wer das ist, bestimmt die Verfassung des jeweiligen Staates". Inhaltlich: grundsätzlich absolute Immunität während seiner Amtstätigkeit, nach seiner Amtstätigkeit immun wegen Amtshandlungen (diese sind solche des Staates). Was ist mit untergegangenen Staat? (s. BVerfG DtZ 1992, 216 - Willi Stoph). Die Immunität des Staatsoberhaupts ist von der Staatenimmunität abgeleitete Immunität, bleibt also auch personal erhalten. Sind (waren) auch Generalsekretäre "regierender" kommunistischer Parteien Staatsoberhäupter? (s. dazu Dahm/Delbrück/Wolfrum, a.a.O., S. 250 Fn. 5). Zum Staatsratsvorsitzenden der DDR s. Art. 66 Abs. 2 DDR-Verfassung: Staatsrat als kollektives Staatsoberhaupt, BGH JZ 1985, 299 f. - Erich Honecker; sowie dazu (zu Recht kritisch) Dieter Blumenwitz JZ 1985, 614 ff.

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Wandlungsprozesse in den vergangenen zwei Jahrzehnten: Fall Pinochet: House of Lords, Judgement – Regina v. Bartle and the Commissioner of Police for the Metropolis and Others Ex Parte Pinochet; Regina v. Evans and Another and the Commissioner. … (on Appeal from a Divisional Court of the Queen’s Bench Devision v. 24. März 1999). Die Immunität schützt nicht mehr gegen schwere Menschenrechtsverletzungen. Das gilt nach Auffassung mancher Staaten auch losgelöst von der Internationalen Strafgerichtsbarkeit der sich gerade menschenrechtsverachtende Staaten nicht unterworfen haben (s. ggg). eee) Andere Staatsorgane: Inhaltlich: Auf die Amtstätigkeit bezogene Immunität BGH NJW 1979, 1101 – Scientology/New Scotland Yard/BKA; BVerfG(K) DVBl. 1989, 261 – Vernehmung des indischen Verteidigungsministers im Asylverfahren fff) Personale Grenzen der Immunität Diplomaten und Konsule: Art. 31 Wiener Diplomatenrechtskonvention (WDÜ) (Sartorius II Nr. 325); Art. 41 Wiener Konsularrechtskonvention (Sartorius II Nr. 326); Das Recht des Staatenverbundes durch diplomatische und konsularische Vertreter enthält kodifizierte allgemeine Regeln des Völkerrechts Im Sinne des Art. 25 GG. Dazu BVerfGE 96, 68: Keine erga-omnes-Wirkung des Immunitätsschutzes (lesen!). Es ging um den libyschen Botschafter in der DDR, der in den Anschlag auf die Berliner Diskothek „La Belle“ (3 Tote, 28 Schwerverletzte) durch Unterstützungshandlungen beteiligt war. ggg) Absolute Grenzen der Immunität - Kriegsverbrechen (Beginn: Nürnberger Kriegsverbrecher Tribunal; aktuell: Internationaler Strafgerichtshof, Konvention von Rom). - weitere Tribunale: Kambodscha, Jugoslawien – Tribunal. - Spionage (s. dazu BVerfGE 92, 277: die Markus-Wolf-Entscheidung); das allgemeine Völkerrecht kennt keine Zurechnung der Spionagetätigkeit in den Bereich staatlicher Immunität. 2. Zur Relativierung der „absoluten“ Kategorie des Staates, oder: Wozu noch Staaten? - Transnationalität der Probleme (z.B. im Umweltrecht) - Transnationalität der Antworten - Globalisierung und Vernetzung des Wirtschafts- und Informationsverkehrs

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- Supranationalität als Antwort s. eine moderne Staatslehre bei Peter Saladin, Wozu noch Staaten? Zu den Funktionen eines modernen demokratischen Rechtsstaates in einer zunehmend überstaatlichen Welt, 1995; zur „Todesdiskussion“ s. auch die Hinweise bei Wolfgang Löwer, Der Staat im Völkerrecht, in: Jörg Menzel et. al. (Hrsg.), Völkerrechtsprechung, 2005, S. 115 ff.

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III. Exkurs Rangordnung von Rechtsquellen Der Exkurs knüpft daran an, was für Sie eine wesentliche Tätigkeit Ihrer juristischen Profession sein wird. Sie werden Garant rechtsmäßigen Verhaltens, als Richter, als Verwaltungsbeamter, als beratender Rechtsanwalt. Die Rechtsordnung gilt; das hat Konsequenzen für die Rechtmäßigkeit und Rechtswidrigkeit rechtserheblichen Handelns. Im öffentlichen Recht ist die Durchsetzung der Rechtsbindung Verfassungsgebot (Art. 20 Abs. 3 GG) – Bindung an Verfassung, Gesetz und Recht – mit gewaltengeteilter Differenzierung. Rechtsmäßigkeit braucht ein Maß. Dieses gibt die Normenordnung vor (in ihrer Differenziertheit, dazu sogleich der Exkurs). Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit ergibt sich aus dem Vergleich der rechtserheblichen Handlung mit der Normenordnung. Das ist abstrakt leicht gesagt, hat aber seine Tücken, weil die Rechtsordnung hoch differenziert ist, wie der Exkurs zeigt. Im öffentlichen Recht wird der Vorgang des Vergleichens von zwei Prinzipien gesteuert: - vom Vorbehalt des Gesetzes (Rechtsstaatsprinzip + grundrechtlicher Gesetzesvorbehalt + Wesentlichkeitstheorie) - vom Vorrang des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) Ziel: Herstellung der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung bei einer Pluralität von Rechtserzeugern: In Deutschland gilt nationales Recht des Bundes und der Länder, autonomes Recht (Gemeinden, Universitäten, etc.), Völkerrecht, Europarecht.

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1. Stellen Sie sich zunächst vor, alles Recht einer Rechtsmasse (Rechtordnungen verschiedener Stufen) sei in einem Container mit Einschubcontainern.

Völkerrecht Europarecht Bundesrecht Landesrecht

a) Kollisionsregel (für EUR, BR, LR): Das Unionsrecht im Container geht nationalem Recht (BR und LR) vor. b) Kollisionsregel: Bundesrecht ist geltungsstärker als Landesrecht, s. Art. 31 GG sowie den kompetentiellen Vorrang des Bundesrechts aus den Art. 72 ff. GG. c) Kollisionsregel: Für das Völkerrecht gegenüber nationalem Recht gelten Besonderheiten nach deutschem Verfassungsrecht (s. sogleich). Beachten Sie: Zeitliche Kollisionsregeln zwischen Normen aus verschiedenen Containern nach Maßgabe der lex-posterior-Regel gelten nicht (lex posterior derogat legi priori = das jüngere Gesetz geht dem älteren vor in dem Sinne von: beendet seine Wirkung). Zeitliche Geltungsregeln gelten nur innerhalb des Rechts derselben Geltungsstufe, also im anwendbaren Unionsrecht, im anwendbaren Bundesrecht – bei gleicher Rangstufe dort (also älteres formelles Gesetz und jüngeres formelles Gesetz, ältere RVO und jüngere RVO, ältere Satzung und jüngere Satzung etc.

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2. Wenn keine Kollision der Rechtnormen (= Rechtsordnungen verschiedener Stufen) vorliegt, könnte eine Kollision zwischen Normen verschiedener Geltungsstufen innerhalb einer Rechtmasse (Rechtsordnung) vorliegen.

Container Völkerrecht

= Allgemeine Regeln des Völkerrechts (Art. 25 GG) Völkervertragsrecht (Art. 59 GG) = Rang des Zustimmungsgesetzes. Die lex-posterior-Regel greift unter Hinnahme eines Verstoßes gegen völkerrechtliche Verpflichtungen.

Container Europarecht

Primärrecht (EUV, AEUV) ---------------------Sekundärrecht Verordnungen

Container Bundesrecht

Richtlinien

Verfassung / Grundgesetz -------Parl. beschlossene Gesetze --------Verordnungen (Art. 80 GG) -----------Autonomes Recht (Satzungen) → Vorrang der Verfassung und Vorrang des Gesetzes vor abgeleitetem Recht

Container Landesrecht

Landesverfassung ------Parlamentsgesetze ------Verordnungen ------Autonomes Recht (Gemeinden, Universitäten = Satzungen, Art. 28 II GG, Art. 70 LVerfNRW)

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IV. Vom Grund des Verfassungsstaates oder: Was soll eine Verfassung? Zur neuzeitlichen Geschichte des Begriffs Dieter Grimm, Verfassung II, in: Verfassung, Zur Geschichte des Begriffs von der Antike bis zur Gegenwart, 1995, S. 100; zum Verfassungsbegriff siehe etwa Wolfram Hertel, Supranationalität als Verfassungsprinzip, 1999, S. 28 ff.

1. Verfassungsstaat als Typus s. die umfassende Monographie zum Nachschlagen der Einzelheiten und auch zur belehrenden Lektüre: Carl Joachim Friedrich, Der Verfassungsstaat der Neuzeit, 1953. Knapper, aber nicht weniger anregend, z.B. Martin Kriele, Einführung in die Staatslehre. Die geschichtlichen Legitimitätsgrundlagen des demokratischen Verfassungsstaates, 5. Aufl. 1994, S. 93 ff. Art. 16 der Rechteerklärung von 1789 als Ursprung der Begriffsbildung: "Eine Gesellschaft, in der die Garantie der Rechte nicht gesichert und die Gewaltenteilung nicht festgelegt ist, hat keine Verfassung".

a) Leges fundamentales als „Verfassungsvereinbarungen“ im frühmodernen Staat zwischen den „Ständen“ und dem Monarchen - s. für England z.B. die Magna Charta Libertatum 1215 sowie die Petition of Rights 1628 - s. für als Beginn der Revolution die Einberufung der Generalstände für die Bewilligung neuer Steuern - s. für das Heilige Römische Reich Deutscher Nation die Wahlkapitulationen der Kaiser und die Reichsgrundgesetze wie - Goldene Bulle 1356 (als Staatsorganisationsstatut) - Ewiger Landfrieden 1495 (mit einem Gewaltverbot = Ende der Fehde); später Abglanz Goethes Götz von Berlichingen oder Kleists Michael Kohlhaas - Reichskammergerichtsordnung (RKGO) 1495 (föderale Befriedung durch Richterspruch) Eine Rückkehr solcher leges fundamentales, also eine Wiederkehr des Vertrages als Verfassungssurrogat sehen Sie im Europarecht mit dem Vertrag über die Europäische Union (EUV) und im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV); der Ver-

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such, den Verfassungsbegriff auf die Vertragsgrundlage anzuwenden, ist mit dem Lissabon Vertrag (u.a. in Referenden emanzipierter Völker) gescheitert. Bedenken Sie auch: Solche Verträge sind rechtsbeständiger als (einfache) Gesetze. Sie sind der schlichten Verfügung des Gesetzgebers entzogen gewesen. Die alten Texte finden Sie bei Willoweit/Seif, Europäische Verfassungsgeschichte, 2003 (Ewiger Landfriede und RKGO unter der Überschrift: Die Reformgesetzgebung Maximilians I. auf dem Wormser Reichstag vom 7. August 1495, S. 197 ff).

b) Gesellschaftsvertragliche Ursprünge dieses Denkens - s. Wolfgang Kersting, Stichwort: Vertrag, Gesellschaftsvertrag, Herrschaftsvertrag, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 6, 1990

c) Elemente solcher Verfassungsstaatlichkeit westlicher Prägung - Freiheit, Gleichheit, Menschenrechte - Volkssouveränität, Gesetzmäßigkeit, Gewaltenteilung - förmliche Verbriefung (Urkundsprinzip); s. aber auch als "verfassungsurkundslose" Staaten: Großbritannien und Israel

d) Geltungsgrund der Verfassung: der souveräne Wille des Volkes - Herrschaft durch das Mittel des volkssouverän geschaffenen und im Staat-BürgerVerhältnis amtlich vollzogenen Rechts.

e) Rechtliche Charakteristika des Verfassungsgesetzes - Urkundsprinzip: Jede Verfassungsänderung ist Verfassungstextänderung (Art. 79 GG) oder Verfassungsergänzung (US-amerikanisches System). Aber beachten Sie auch: Das Urkundsprinzip ist nicht gewissermaßen zwingend: Die Weimarer Reichsverfassung kannte das (mit qualifizierter Mehrheit beschlossene) verfassungsdurchbrechende Gesetz und die Bundesrepublik Österreich folgt auch heute nicht dem Urkundsprinzip. Österreich kennt den Erlass von Gesetzen im Rang der Verfassung (Verfassungsgesetzen), die mit qualifizierter Mehrheit erlassen werden. - Erschwerte Abänderbarkeit zur Sicherung einer erhöhten Bestandskraft (s. Art. 79 GG) - Vorrang der Verfassung mit dem Ziel, staatliche Macht im Interesse der Freiheit zu begrenzen und zu legitimieren. (Art. 20 Abs. 3 GG) – Bindung auch des Gesetzgebers Zu den historischen Charakteristika des Verfassungsdenkens s. jetzt zusammenfassend Gerald Stourzh, Naturrechtslehre, Leges fundamentales und die Anfänge des Vorrangs der

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Verfassung, in: Christian Starck (Hrsg.), Rangordnung der Gesetze. 7. Symposium der Kommission "Die Funktion des Gesetzes in Geschichte und Gegenwart", Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-historische Klasse. 3. Folge Nr. 210, 1995, S. 13 ff.

f) Notwendiger Inhalt einer solchen Verfassung? Besser: Regelinhalt einer Verfassung - Organisation staatlicher Herrschaft, Organisation der darauf bezüglichen Willensbildung - Sicherung und Garantie der individuellen Freiheit (s. Art. 1 ff. GG) - Festlegung der unverfügbaren Rechtsgüter und Werte (Verfassung als "Programm der nationalen Integration", s. Herbert Krüger, Fs. f. Friedrich Berber, 1973, 247 ff.; s. aber auch Ernst Wolfgang Böckenförde, Geschichtliche Entwicklung und Bedeutungswandel der Verfassung, in: Fs. f. Rudolf Gmür, 1983, S. 7 ff. = wiederabgedruckt in ders., Staat, Verfassung, Demokratie. Studien zur Verfassungstheorie und zum Verfassungsrecht (stw 953), 1991, S. 29 ff. (lesen!)

g) Gerichtliche Sicherung des Vorrangs der Verfassung Beispiele: - A ist GmbH-Gesellschafter mit einer Statistik-Auskunfts-Allergie. Als ihn die IHK auffordert, bestimmte Angaben zu machen, schickt er die Fragebögen mit dem Bemerken zurück, „Quatsch“ beantworte er nicht. Auf erneute Belehrung über seine rechtliche Antwortpflicht, schickt er die Bögen zurück, mit dem Hinweis, er empfehle die Götz-von Berlichingen-Festspiele auf Schloss Jagsthausen zu besuchen. Im dritten Versuch teilt die Behörde mit, wenn er jetzt nicht antworte, begehe er eine Ordnungswidrigkeit. Er fragt zurück, ob sie seine Goethe-Anspielung nicht verstanden hätten. Das Bußgeld wird nunmehr festgesetzt und Anzeige bei der Staatsanwaltschaft erstattet mit dem Hinweis, der GmbH-Geschäftsführer habe mit der Wirkung des Bußgeldes vorsätzlich das Vermögen der GmbH geschädigt. (Sondertatbestand im GmbH-Gesetz – Nebenstrafrecht). Als sich A auch in der mündlichen Verhandlung dem Goethe-Zitat sehr zugewandt zeigt und durch allerlei Clownereien auffällt, wird seine Schuldfähigkeit bezweifelt. Zur entsprechenden gutachtlichen Prüfung soll ihm aus dem Rückenmark Liquor mittels einer Spritze entnommen werden.

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Wird der Strafrichter dies anordnen, wenn die Entnahme in seltenen Fällen zu schwerwiegenden Gesundheitsschäden führt? Gesetzesvorbehalt – Grundrecht auf Gesundheit – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Zum Fall der Liquor-Entnahme s. BVerfGE 16, 194 ff.; zur Hirnkammerluftfüllung BVerfGE 17, 108 (115 ff.) ff.; zur Elektroenzephalographie BVerfGE 17, 108 (114 f.). - B wird wegen Nichtzahlung gesetzlich begründeter Studiengebühren exmatrikuliert. B meint, Studiengebühren seien verfassungswidrig und völkerrechtswidrig Was wird der Verwaltungsrichter prüfen? Jeder Richter ist Hüter der Verfassung bei der Normanwendung. So wird jeder Rechtsakt von jedem Richter auf seine Verfassungsmäßigkeit geprüft (Art. 100 Abs. 1 GG); zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts s. Art. 100 Abs. 2 GG. Für das Landesrecht prüft der zuständige Richter dies am Maßstab der Bundesverfassung (Art. 100 GG) und auch am Maßstab der Landesverfassung (s. für NRW § 50 VerfGH NRW – Richtervorlage an das Landesverfassungsgericht). Der einschlägige Pakt über bürgerliche und soziale Rechte (abgedruckt u.a. im Satorius II) kennt das Versprechen unentgeltlicher Universitätsausbildung in staatlichen Hochschulen. Der Pakt ist Völkerrecht und Bundesrecht. Konsequenzen? - Die CDU-Fraktion im Landtag NRW hält das Hochschulzukunftsgesetz für verfassungswidrig. Was kann sie tun? Abstrakte Normenkontrolle nach Landesverfassungsrecht (Art. 75 Nr. 3 LV NRW) oder Bundesverfassungsrecht (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG). Maßstabsdifferenzen sind durchaus beachtlich: Art. 16 LV: Selbstverwaltungsgarantie für Universitäten und Art. 4 LV i.V.m. Art. 5 Abs. 3 GG (= LVerfG); Art. 5 Abs. 3 GG (individuelle) Wissenschaftsfreiheit (BVerfG). - Der Abgeordnete Joschka Fischer wird (vor seiner Ministerzeit) als „einfacher Abgeordneter“ von Bundestagspräsidenten mehrfach auf die Redezeitüberschreitung hingewiesen. Als der Bundestagspräsident ankündigt, demnächst werde er das Mikro abstellen, wendet sich Fischer dem Bundestagspräsidenten Richard Stücklen zu mit den Worten: „Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch“. Daraufhin wird der Abgeordnete Fischer von der Sitzung nach Maßgabe des Geschäftsordnungsrechts ausgeschlossen. Dagegen wehrt er sich vor dem Bundesverfassungsgericht.

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s. zur Organstreitkontrolle der Geschäftsleitungsgewalt: BVerfGE 60, 374. - Der Bundesumweltminister weist den bayerischen Umweltminister förmlich an („Bundesweisung“), gegen die Aussaat von Maissaatgut, das minimale Spuren (< 0,02) eines zur Freisetzung zugelassenen gentechnisch veränderten Saatgutes aufwies, einzuschreiten und ggf. solche bereits besäten Flächen umbrechen zu lassen. Der bayerische Minister will die Verfassungswidrigkeit der Weisung festgestellt wissen. Bund-Länder-Streit, Art. 93 Abs. 1 GG: Im Verfassungsrechtsverhältnis zwischen Bund und Ländern dürfen deren Rechte und Pflichten nicht im Ungewissen bleiben. Zur Lösung: Lesen Sie Art. 83 ff. GG: Bundesweisungen gibt es nur in der Bundesauftragsverwaltung. Das GenTG wird im Regelvollzug des landeseigenen Vollzugs von Bundesrecht vollzogen (Art. 84 GG). Dieses kennt ein solches Bundesweisungsverfahren nicht (s. Art. 84 Abs. 4 GG) - Die Bahn-AG hält ein Urteil des LAG Sachsen zur Streikfreiheit der LokführerGewerkschaft für eine Verkennung von Art. 9 Abs. 3 GG. Sie will nach Karlsruhe. s. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG: Verfassungsbeschwerde. Alle Bürger sind Hüter der Verfassung. Fragen die z.B. zu stellen wären: Ist die 100%-Bundes-Tochter Bahn AG eigentlich „Jedermann“ in Sinne von Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG und § 90 BVerfGG, Reichweite der Koalitionsfreiheit? Rechtswegerschöpfung? -

Nachdem das Parteiprogramm der AfD in der Form eines Grundsatzpapiers vorliegt und darin der Islam als mit dem Grundgesetz unvereinbar gekennzeichnet wird, sowie für jedermann das Recht zum Waffentragen erkämpft werden soll und der Schusswaffengebrauch gegen Flüchtlinge an der Grenze zur präventiven Gefahrenabwehr gefordert wird, will der Bundesrat einen Parteiverbotsantrag gegen die AfD stellen. Ist das grundsätzlich möglich und würde ein solcher Antrag Erfolg haben?

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Pegida ist – so ist zu unterstellen – als rechtsfähiger Verein in Sachsen organisiert. Außerhalb Sachsens tritt der Verein nicht als Organisator von Demos auf. Spitzenfunktionäre treten für die „Ausgrenzung“ von Ausländern aus islamischen geprägten Herkunftsländern ein, bezeichnen Flüchtlinge als „Gesindel“ etc. und rufen zu „Mahnwachen“ vor Flüchtlingsheimen auf, die dem „Pack“ seine Unerwünschtheit verdeutlichen sollen.

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Der Bundesinnenminister erwägt den Verein zu verbieten. Geht das? -

Nachdem der Bundespräsident die NPD als „Spinner“ bezeichnet hat, will die inzwischen im Bundestag vertretene AfD eine Präsidentenanklage erheben? Mit Erfolg?

h) Formeller und materieller Verfassungsbegriff Formell = Recht der Verfassungsurkunde; materiell = Recht der Verfassungsurkunde + die „organisatorische“ Ausführungsgesetzgebung

2. Die grundgesetzliche Realisierung des Typus in der "Zusammenfassung" in Art. 20, 28, 79, 19 (und damit als weiteres Programm der Vorlesung).

V. Der Staat als juristische Person Zur Illustration der Schwierigkeit, den Staat als juristische Person zu erfassen s. immer noch: Otto Mayer, Die juristische Person und ihre Verwertbarkeit im öffentlichen Recht, in: FG f. Paul Laband, Staatsrechtliche Abhandlungen, Tübingen 1908; auch als monographischer Separatabdruck erschienen. Heute besteht kein Zweifel mehr daran, dass der Staat, die Bundesrepublik und die Länder juristische Personen sind, die durch ihre Organe handeln.

2. Teil: Der konkrete Staat Bundesrepublik Deutschland/ Deutschlands Rechtslage

Vorbemerkung: Die Entwicklung bis zur Wiedervereinigung Zur Rechtslage Deutschlands vor der Wiedervereinigung s. R. Bernhardt, Die deutsche Teilung und der Status Gesamtdeutschlands, in: HbStR I, § 8; oder (knapper) ders., JuS 1986, 839 - 845. Im folgenden werden zwei Dokumentensammlungen vornehmlich benutzt: Ingo v. Münch, Dokumente des geteilten Deutschlands. Inzwischen 3 Bände. Band 1 liegt vor in 2. Aufl. 1976, Band 2 1974. Außerdem wird benutzt: Dietrich Rauschning (Bearbeiter), Die Gesamtverfassung Deutschlands. Nationale und internationale Texte zur Rechtslage Deutschlands (die Staatsverfassungen der Welt in Einzelausgaben Band 1, 1962). Eine brauchbare Textsammlung gibt auch Dietrich Rauschning (Hrsg.), Rechtsstellung Deutschlands, 1985. Im folgenden sind die beiden erstzitierten Werke mit dem Namen des Hrsg. resp. Bearbeiters zitiert. Sie sollten wenigstens die Dokumente nachlesen.

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I. Zur Illustration der (früheren) Bedeutung der Fragestellung: der Fall Ingrid Brückmann (BVerfGE 37, 57) als deutsch-deutsches Schicksal. Zum dafür vor allen Dingen relevanten Berlinvorbehalt der westlichen Militärgouverneure vom 12. Mai 1949 s. von Münch I, S. 130.

II. Chronologie der lagebestimmenden Dokumente bis zur Spaltung Deutschlands 1. Atlantic Charta vom 12.08.1941 mit dem Kriegsziel des Vereinigten Königreichs und der USA, das dann in der Folgezeit zum Kriegsziel der drei resp. vier Alliierten geworden ist (bei v. Münch I, a.a.O.),: "the final destruction of the Nazi tyranny" 2. Oktober '43: Moskauer Vier-Nationen-Proklamation: Kriegführung bis zur bedingslosen Kapitulation Nazi-Deutschlands (bei v. Münch I, a.a.O.). 3. Protokoll über die (zukünftigen) Besatzungszonen in Deutschland und die Verwaltung Groß-Berlins vom 12. September 1944 (Rauschning, S. 75). 4. Abkommen über die Kontrolleinrichtungen in Deutschland vom 14. November 1944 (Rauschning, a.a.O., S. 83): die Organisationsweise der zukünftigen Besatzung wird festgelegt. 5. Jalta-Erklärung vom 11. Februar 1945 (v. Münch I, S. 5) und Protokoll (Münch I, S. 12 (14)): UK, USA, USSR "shall possess supreme authority with respect to Germany". 6. Kapitulation vom 7./8. Mai 1945 (bei Rauschning, a.a.O., S. 73 f.) - Erreicht war damit die debellatio Deutschlands (seine militärische Niederwerfung, nicht seine Auslöschung) 7. Erklärungen in Anbetracht der Niederlage Deutschlands und der Übernahme der obersten Regierungsgewalt hinsichtlich Deutschlands vom 5.6.1945 (Rauschning, a.a.O., S. 86) mit der Feststellung über das Kontrollverfahren vom 5. Juni 1945 (Rauschning, a.a.O., S. 91) und der Feststellung über die Besatzungszonen in Deutschland vom 5. Juni 1945 (Rauschning, a.a. O., S. 93).

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8. Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 (Rauschning, S. 95 ff.) mit der folgenschweren Zuweisung der Gebiete östlich Oder und Neiße in die vorläufige Verwaltung Polens und der Sowjetunion. 9. Proklamation des Kontrollrats Nr. 1 vom 30.08.1945 (v. Münch I, S. 51).

III. Erste Zwischenfrage: Was war mit Deutschland (dem Deutschen Reich) geschehen? - Anwendung der Drei-Elemente-Lehre s. dazu BVerfGE 3, 288 (319 f.); BVerfGE 5, 85 (126) - KPD-Urteil; BVerfGE 6, 309 (363 f.) - Konkordats-Urteil: "Das Deutsche Reich ist als Völkerrechtssubjekt nicht untergegangen. Es hat aber nach dem 8. Mai 1945 seine staatliche Organisation eingebüßt. Im Geltungsbereich des Grundgesetzes wird die staatliche Einheit durch die Bundesrepublik Deutschland als Bundesstaat verwirklicht ..." (so die letztzitierte Entscheidung).

IV. Die rechtliche Situation der Gebiete östlich von Oder-Neiße in der Nachkriegsgeschichte 1. S. nochmals die Unklarheit des Potsdamer Abkommens; retrospektiv: damals wurde die faktische Endgültigkeit der Westverschiebung Polens besiegelt. 2. Der fortdauernde Friedensvertragsvorbehalt 3. Die daraus abgeleitete deutsche Position: "Diese Gebiete werden von Polen nur einstweilen verwaltet. Einem Friedensvertrag muß die endgültige Lösung vorbehalten bleiben." S. z.B. das Bulletin 1955, Nr. 173, S. 1445 - Erklärung zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der Sowjetunion. 4. Neue Ostpolitik 1969 ff. - Deutsch-sowjetischer Vertrag vom 12.08.1970 Art. 3 (BGBl. 1972 II, S. 354)

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- Deutsch-polnischer Vertrag vom 07.12.1970 Art. 1 (BGBl. 1972 II, S. 362 mit dem dazugehörigen Brief zur deutschen Einheit Bulletin 1970, Nr. 909 (S. 1094) und die Entschließung des Deutschen Bundestages vom 17.05.1972, 6. WP., 187. Sitzung, Sten.Ber. S. 10960 Anlage 6). 5. Zwei-Plus-Vier-Vertrag vom 12. September 1990 (BGBl. II, S. 1318) - Art. 1 II, III sowie den - deutsch-sowjetischen Partnerschaftsvertrag vom 9. November 1990 (BGBl. 1991 II, S. 703), Art. 1, 2 und den deutsch-polnischen Vertrag vom 17.06.1991 (bei Klaus Stern/Bruno Schmidt-Bleibtreu (Hrsg.), Zwei-plus-Vier-Vertrag mit Begründungen und Materialien (Verträge und Rechtsakte zur deutschen Einheit Band 3) 1991 unter Nr. 12. Zum Ganzen s. auch die Einleitung von Klaus Stern in der Einführung zu der vorzitierten Textsammlung, S. 3 f.

V. Die Gründung zweier deutscher Staaten in Deutschland 1. Die Westalliierten als Supreme Allied Authority a) Bizone vom 2. Dezember 1946 b) "Trizonesien" vom 8. April 1949 c) Besatzungsstatut vom 10. April 1949 mit dem Statut der Alliierten Hohen Kommission vom 20. Juni 1949. S. dazu Michael Stolleis, Besatzungsherrschaft und Wiederaufbau deutscher Staatlichkeit 1945 - 1949, HdbStR I, § 5 S. 173 ff., die einschlägigen Dokumente z.B. bei v. Münch I, a.a.O., S. 65 ff. 2. Die Gründung der Bundesrepublik s. dazu Reinhard Mußgnug, Zustandekommen des Grundgesetzes und Entstehen der Bundesrepublik Deutschland, in: HdbStR I (3. Auflage), § 6 S. 219 ff.

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a) Frankfurter Dokumente betreffend die Einberufung einer Verfassunggebenden Nationalversammlung vom 1. Juli 1948 (v. Münch I, a.a.O., S. 88) b) Das Grundgesetz mit seinen Beziehungen zur Wiedervereinigung Präambel a.F., Art. 23 a.F., Art. 116, Art. 146 a.F. c) Genehmigungsschreiben der Militärgouverneure vom 12. Mai 1949 (v. Münch I, S. 130) d) Vertrag über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten (Generalvertrag) vom 26. Mai 1952 (v. Münch, a.a.O., S. 229 ff.). e) Erklärungen der Regierungen der USA, des UK und Frankreichs vom 3. Oktober 1954 (v. Münch I, a.a.O., S. 246 f.) f) Protokoll über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland vom 23. Oktober 1954 (v. Münch I, a.a.O., S. 247) g) Nato-Beitritt vom 23.10.1954 mit Truppenstatut vom 23. Oktober 1954 (v. Münch I , a.a.O., S. 271) (vollzogen am 5. Mai 1955). h) Proklamation betreffend die Aufhebung des Besatzungsstatus und die Auflösung der Alliierten Hohen Kommission vom 5. Mai 1955 3. Der Sonderstatus Berlins (s. dazu Rupert Scholz, Der Status Berlins, HdbStR I (1. Auflage), § 9, S. 351 ff.) Die wesentlichen frühen Dokumente zur Berlin-Frage finden sich in dem Band: Dokumente zur Berlin-Frage 1944 - 1966. Herausgegeben vom Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V., Bonn (Dokumente und Berichte Band 18), 3. durchgesehene und erweitere Aufl. 1967. 4. Die Gründung der DDR s. dazu die Hinweise bei Georg Brunner, Das Staatsrecht der Deutschen Demokratischen Republik, HdbStR I (3. Auflage), § 10, S. 385 f.

VI. Die Deutsch-Deutsche Entwicklung

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1. Von der Hallstein-Doktrine zu Inter-se-Beziehungen zweier Staaten in Deutschland. s. Georg Ress, Grundlagen und Entwicklungen der innerdeutschen Beziehung, HdbStR I, (1. Auflage), § 11 sowie Rudolf Dolzer, Die rechtliche Ordnung des Verhältnisses der Bundesrepublik Deutschland zur Deutschen Demokratischen Republik, HdbStR I, § 12 (1.Auflage) sowie jetzt Otto Luchterhand, die staatliche Teilung Deutschlands, in: HdbStR I (3. Aufl.), § 10 S. 423 ff. 2. Der Grundlagenvertrag von 1972 (BGBl. 1973, II, S. 423) mit dem Brief zur deutschen Einheit vom 21. Dezember 1972 (BGBl. 1973, II, 424) (beide Dokumente in v. Münch [Hrsg.], Dokumente des geteilten Deutschlands, Band II (seit 1968), S. 301 f. u. S. 316). Dazu lesen (!): Grundlagenvertrags-Urteil BVerfGE 36, 1, dazu Ingo v. Münch, wie vor, in seiner Einführung S. XXVI f. - Fortbestehende Vier-Mächte-Verantwortung auch nach dem Grundlagenvertrag und nach der Aufnahme beider deutscher Staaten in die UN. Siehe als Beispiel für die besondere Lage Deutschlands das Nato-Communiqué vom 8.12.1972: Die Lage Deutschlands "which is characterized by the fact that the German people today lives in two states, that a freely agreed contractual peace settlement for Germany is still outstanding and that until such a settlement in achieved, the (above mentioned) rights and responsibilities of the Four Powers relating to Berlin and Germany as a whole will continue".

VII. Die Wiedervereinigung 1. Die denkbaren Wege zur Einheit: Art. 23 Satz 2 a.F., Art. 146 a.F. Art. 23 a.F. lautete: „Dieses Grundgesetz gilt zunächst im Gebiete der Länder Baden, Bayern, Bremen, Groß-Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, WürttembergBaden und Württemberg-Hohenzollern. In anderen Teilen Deutschlands ist es nach deren Beitritt in Kraft zu setzen.“ - Für Art. 23 Satz 2 a.F. als Einigungsweg s. schon BVerfGE 36, 1 (29); umf. Christian Tomuschat, Wege zur deutschen Einheit, VVDStRL 49, 70 ff.

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2. Die notwendigen Vertragsschritte a) Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschaft- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 18. Mai 1990 (BGBl. II 537). (Text mit einer lesenswerten Einführung auch als Band 1 der "Verträge und Rechtsakte zur Deutschen Einheit" (hrsg. von Klaus Stern und Bruno Schmidt-Bleibtreu) (1990)). b) Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands - Einigungsvertrag vom 31. August 1990 (BGBl. II 889) (Text auch in Band 2 der o.g. Schriftenreihe mit einer ebenfalls lesenswerten Einleitung). - Völkerrechtliche Wirkung des EV - - Erstreckung der Gebietshoheit der Bundesrepublik Deutschland auf die Deutsche Demokratische Republik - - Untergang der Deutschen Demokratischen Republik als Völkerrechtssubjekt - Staatsrechtliche Wirkung des Einigungsvertrages - - s. Art. 45 EV: Einigungsvertrag als Bundesrecht nach Vollzug des Beitritts. - - der Einigungsvertrag als Verfassungsänderungsvertrag, Art. 4, 5 EV; dazu BVerfGE 82, 316. c) Vertrag über die abschließende (!) Regelung in bezug auf Deutschland (sog. Zwei-plusVier-Vertrag) v. 12.07.1990 (BGBl. II 1318) (Text ebenfalls in der o.g. Schriftenreihe Band 3 (mit lesenswerter Einleitung)). s. dazu D. Rausching, Beendigung der Nachkriegszeit mit dem Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland (DVBl. 1990, 1249). Zur Geschichte der Wiedervereinigung ist für denjenigen, der vertieft zeitgeschichtlich und verfassungsgeschichtlich in die Fragestellungen eindringen will unverzichtbar: Hans Joachim Küsters, Entscheidung für die deutsche Einheit, in: Dokumente zur Deutschlandpolitik. Deutsche Einheit. Sonderedition aus den Akten des Bundeskanzleramtes 1989/90 von Hans Jürgen Küsters und Daniel Hoffmann, München 1998 sowie

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Wolfgang Jäger, Die Überwindung der Teilung. Der innerdeutsche Prozess der Vereinigung 1989/90 (= Geschichte der Deutschen Einheit 3), Stuttgart 1998

3. Teil: Das bundesdeutsche Staatsrecht im Spiegel der Staatsformprinzipien

I. Das republikanische Prinzip Josef Isensee, Republik - Sinnpotential eines Begriffs, JZ 1981, 1 ff.; Wilhelm Henke, Die Republik, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR I, S. 863 - 886; Wolfgang Löwer, Aktuelle Gefährdungen des Republikanismus durch den Parteienstaat, Verantwortung und Leistung, 25 (1993). 1. Republik als Staatsformprinzip (und nicht nur als Staatsname) 2. Republik als Entgegensetzung zur Monarchie Beispiel: Der Verein „Kinni Ludwig II – der größte aller bayerischen Monarchen“ will in Bayern die konstitutionelle Monarchie mit einem Wittelsbacher an der Spitze über ein Volksbegehren wieder einsetzen. Ist das Volksbegehren zulässig? Beispiel: Nachdem der Bundespräsident Gauck es sich hat gefallen lassen müssen, dass er wegen seiner Äußerungen über die NPD („Spinner“) in ein Organstreitverfahren hineingezogen worden ist, will die A-Fraktion im Deutschen Bundestag das Verfassungsprozessrecht dahingehend verändern, dass der BuPrä nicht beklagte Fraktion sein kann und die Präsidentenanklage zu streichen. (zu Gauck vor dem BVerfG in Sachen NPD s. BVerfG, v. 10. Juni 2014 - 2 BvE 4/13 -) - s. aber auch die Möglichkeit republikanischen Regierens in konstitutionellen und parlamentarischen Monarchien (UK, Spanien, Dänemark, Schweden, Norwegen, Belgien, Niederlande, Luxemburg); letzter (von Sympathie getragener) Erklärungsversuch für die Monarchie bei Karl Löwenstein, Die Monarchie im modernen Staat, 1952. 3. Republik als historisch-sinnerfüllter Typus der Staatlichkeit

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- Absage an jede Form ideologischer (totalitärer) Herrschaft (zu den Konsequenzen ideologischer Herrschaft: Bertolt Brecht, Die Maßnahme (1930), jetzt in: B.B., Werke (hrsgg. von Werner Hecht u.a.), Band 3 (Stücke 3) 1988, S. 73 ff. - - im Grundgesetz: s. Art. 4 I: Prinzip der Nichtidentifikation, Art. 21 i.V.m. Art. 38 GG setzt ein Mehrparteiensystem voraus. - Absage an jede Form unverantworteter Herrschaftsausübung (Prinzip der durch Wahlakt legitimierten Herrschaftsausübung auf Zeit) - - im Grundgesetz: Art. 38, 39, 54, 63, § 4 BVerfGG - - Formen, Verantwortung zur Geltung zu bringen: Art. 38 I – Mehrheitswechsel; parteiinternes Normierungsverfahren: Art. 12 I; Art. 67, 61, 94 II; §§ 33-48 BeamtStG. - Republikanische Herrschaft als ausschließlich gemeinwohlbezogene Herrschaft. S. als frühe Formulierung die Bill of Rights von Massachusetts von 1780 (Abdruck bei Henry Steele Commager, Documents of American History, 5th Ed. New York, 1948, p. 107): „Staatliche Herrschaft ist zugunsten des Gemeinwohls, für Schutz, Sicherheit, Wohlstand und soziales Wohlergehen des Volkes eingerichtet und nicht für den Verdienst, die Ehre oder das Privatinteresse eines Einzelmenschen, einer Familie oder einer Gruppe von Menschen.“ - - im Grundgesetz: Art. 38, 20 II, 1 III, 19 I; §§ 33, 38, 40, 42 BeamtStG - Republikanische Herrschaft als amtsgeprägte Herrschaft: Das Baugesetz republikanischer Herrschaft besteht in der Inpflichtnahme des Amtswalters für ein Amt, das zu fremdnützigem interessendistanziertem staatlichem Entscheiden verpflichtet. - - im Grundgesetz: Art. 33, 56, 64 II, § 11 BVerfGG - - zum politischen Eid s. immer noch Ernst Friesenhahn, 1928. - Die Ämterverfassung der Republik Otto Depenheuer, Das Öffentliche Amt, in: HbdStR III (3. Aufl.) § 36, S. 87 f. Die Baugesetze der Amtlichkeit sind Heteronomie (also Verpflichtung auf die Fremdnützigkeit) und Kompetenz (also die Zuweisung von Pflichten an ein Organ/einen Organwalter). Die Bedeutung dieser Amtscharakteristik zeigt sich im Lichte der Baugesetze, nach denen das Individuum lebt. Diese sind die Autonomie (also die Selbstbestimmtheit) und das subjektive Recht (also die verrückbare und verzichtbare Berechtigung). Die

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Kompetenz ist für das Organ/den Organwalter unverrückbar und unverzichtbar, das subjektive Recht ist Ausdruck der Freiheit, demzufolge verfügbar. Heteronomie bedeutet Verpflichtung auf fremdgesetzte Normen, Autonomie das Recht zur Setzung einer selbstgefundenen Ordnung (oder Unordnung). -- Ausprägung der Ämterverfassung in der Republik - - - Der Abgeordnete als Amtsträger: Art. 20 Abs. 2 GG, Art. 38 Abs. 1, GG Art. 48 Abs. 2 Satz 1 GG Zur Amtsbindung des Abgeordneten s. Hans Hugo Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 38 Rn. 191 sowie Art. 48 Rn. 28 f. Nur scheinbar verweist Art. 38 GG auf die Subjektivität (s. oben!) des Abgeordneten (Freiheit des Gewissens). Die Freiheit des Mandats meint nicht Autonomie des Mandatsinhabers, sondern verpflichtet ihn zum Dienst am Gemeinwohl, indem er sein Mandat in der Freiheit wahrnimmt, die Art. 38 Abs. 1 GG verspricht. Es ist nicht die Freiheit des Amtierens oder Nichtamtierens, sondern die Freiheit im Amt, Dritten nicht gehorchen oder folgen zu müssen, sondern der eigenen Maßstabsbildung (unter Respektierung des Vorrangs der Verfassung). Es ist Dienst am Gemeinwohl, weil das Mandat zu einer kompetentiellen Pflichtenstellung führt, Zuständigkeiten für Dritte (hier das Volk) wahrzunehmen, wobei der Mandatsinhaber seine Amtsstellung auf den Legitimationsakt der Wahl zurückführt (das anvertraute Mandat (Amt)) und er durch sein Handeln das Volk gewissermaßen verpflichtet, weil sein Handeln über den Deutschen Bundestag dem Souverän zugerechnet wird. Die Amtsverfassung des Abgeordneten wird im Übrigen über die Verhaltensregeln für die Mitglieder des Deutschen Bundestages (s. Anlage 1 zur GOBT) deutlich. Die Transparenzregeln sollen die Verpflichtung des Mandatsinhabers auf das Wohl des ganzen Volkes verdeutlichen, indem seine Partikularbindungen außerhalb des Mandats offengelegt werden. (Einstweilen BVerfGE 118, 277 zu den Transparenzregeln – eine 4:4 Entscheidung! Siehe jetzt die aktuelle Diskussion im Zusammenhang mit dem Kanzlerkandidaten Steinbrück und der Offenlegung der Auftragsgeber und der Höhe von „Nebenverdiensten“ von Abgeordneten. - - - Der Beamte als Amtsträger: Art. 20 Abs. 2 GG, Art. 33 Abs. 5 GG („hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums“), sowie Abschnitt 6 des BeamtStG mit der Überschrift „Rechtliche Stellung im Beamtenverhältnis“ (§§ 33 ff.)

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Das Beamtenrecht setzt mit der Grundbedingung der Heteronomie ein (§ 33 BeamtStG): „Beamte dienen dem ganzen Volk, nicht einer Partei. Er/Sie hat seine/ihre Aufgabe unparteiisch und gerecht zu erfüllen und bei der Amtsführung auf das Wohl der Allgemeinheit Bedacht zu nehmen. Der Beamte muss für die freiheitlich demokratische Grundordnung eintreten (§ 33 Abs. 21 BeamtStG) und ist bei der politischen Betätigung zur Mäßigung und Zurückhaltung angehalten (§ 33 Abs. 2 BeamtStG). Die Devotion an die Allgemeinheit drückt sich in entsprechend pathetischer Sprache aus: „Beamtinnen und Beamte haben sich mit voller Hingabe ihrem Beruf zu widmen. Sie haben die übertragenen Aufgaben uneigennützig nach bestem Gewissen zu verwalten. Ihr Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes muss der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die ihr Beruf erfordert.“ (§ 34 BeamtStG). Die Eidesformel bekräftigt, was ganz allgemein mit dem Amt des Beamten gemeint ist: „Ich schwöre, das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und alle in der Bundesrepublik geltenden Gesetze zu bewahren und meine Amtspflichten gewissenhaft zu erfüllen, so wahr mir Gott helfe.“ Die Amtspflichten der Unparteilichkeit werden durch weitere Normen umhegt. So ist der Beamte von Amtshandlungen zu befreien, die sich gegen ihn selbst oder einen Angehörigen richten. Es gilt das Gebot der Amtsverschwiegenheit und das Verbot, Geschenke und Belohnungen in Bezug auf das Amt anzunehmen usw. ---

Die Amtsverfassung des Richters Das Grundgesetz selbst regelt die wesentlichen Voraussetzungen in Art. 97. Dort ist die sachliche und persönliche Unabhängigkeit des Richters geregelt. Seine Unabhängigkeitssicherung ergibt sich aus Art. 97 Abs. 2 GG und aus Art. 98 GG mit der verfassungskräftigen Festlegung, dass ein Richter sein Amt nur durch Richterspruch verlieren kann. Die weitere Amtsverfassung des Richters regelt das deutsche Richtergesetz. Auch hier ist Uneigennützigkeit und Verpflichtung auf das Gesetz unabdingbare Grundlage richterlicher Tätigkeit. Der Richtereid bekräftigt die Pflichten: „Ich schwöre, das Richteramt getreu dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland getreu dem Gesetz auszuüben, nach bestem Wissen und Gewissen ohne Ansehen der Person zu urteilen und nur der Wahrheit und Gerechtigkeit zu dienen, so wahr mir Gott helfe.“ (§ 38 DRG)

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