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Staatsorganisationsrecht 1. Teil: Vom Gegenstand des Staatsrechts

Vorbemerkung: Vom Grund des Verfassungsstaates S. dazu Josef Isensee, Staat und Verfassung, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrecht, Band II: Grundlagen von Staat und Verfassung, 3. Aufl. 2004, § 15 (zukünftig HdbStR II) (lesen!).

I. Der Staat als neuzeitlicher Staat Der Staat in seiner modernen Gestalt entwickelt sich geschichtlich mit der frühen Neuzeit, also mit der Überwindung des religiösen Bürgerkrieges. Der mittelalterliche Staat mit seinem lehnsrechtlichen Ursprung war als Staat im neuzeitlichen Sinn noch nicht recht erkennbar. Ein unmittelbares Rechtsverhältnis aller Einwohner zu einem Staat existierte nicht. Erst als sich die monarchische Gewalt in Überwindung des religiösen Bürgerkrieges als stärker erwies als alle anderen intermediären Kräfte – einschließlich der Kirche – war moderne Staatlichkeit konstatiert.

Insofern ist das Titelbild des Leviathan (1670) gewissermaßen das staatsrechtsikonographische Comic schlechthin (dazu noch unten II 1 aa) in diesem Kapitel). Das Bild zeigt aber auch, dass das biblische Bild des Leviathan als schreckliches Ungeheuer eine höchst zeitgenössische Problemlösung zur Überwindung des religiösen Bürgerkrieges darstellt und eigentlich das große Problem erst formuliert hat, das aus seiner absolutistischen Herrschaftsvariante resultiert: Wie legen wir den Leviathan so an die Kette, dass wir als Bürger und Einwohner mit ihm leben können.

Die Antwort hat die Geschichte gut ein Jahrhundert nach der Veröffentlichung von Hobbes Leviathan mit der Gründung der Vereinigten Staaten und der Französischen Revolution gegeben; deren Prinzipien werden seitdem durchdacht und modifiziert. Um diese Antwort westlicher Verfassungsstaatlichkeit in der grundgesetzlichen Variante geht es in den drei Staatsrechtsvorlesungen. - Teil 1: Staatsorganisationsrecht - Teil 2: Grundrechte - Teil 3: Der Verfassungsstaat in der internationalen (supranationalen) Ordnung

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Hier im Staatsorganisationsrecht geht es also um die grundgesetzliche Antwort, wie der Staat als demokratischer, republikanischer und sozialer Bundesstaat organisiert ist. S. Art. 20 I als gewissermaßen Zusammenfassung der Essenz des Grundgesetzes; hierzu tritt fundamental Art. 1 GG.

Wir beginnen mit Überlegungen dazu, was ein Staat denn sei:

II. Vom Grund des Staates oder: Was ist ein Staat? Zur Einführung ein skurriles Beispiel: VG Köln, DVBl. 1978, 510. Der großflächige Ponton im Meer als Sitz eines Rundfunksenders als staatliches Territorium? Weniger skurril: Der Kosovare X (gibt es den Kosovaren X eigentlich?) wird in Frankreich wegen des dringenden Tatverdachts, einen Totschlag begangen zu haben, festgenommen. Er verlangt nach konsularischem Beistand. Die französische Polizei verspricht ihm, die serbische Botschaft zu informieren. Er verlangt, man möge die Botschaft des Kosovo in Berlin informieren. Wie kann es zu solchen Verwicklungen kommen?

Die Beispiele zeigen, wir müssen juristisch wissen, was ein Staat ist. Das Völkerrecht ist das Recht der Völkerrechtssubjekte; das sind zunächst und immer noch die Staaten als die klassischen Völkerrechtssubjekte. (Heute sind internationale Organisationen und das Individuum als Völkerrechtssubjekt hinzugekommen.)

Was ist also juristisch ein Staat?

1. Die Drei-Elemente-Lehre Klassischer Text (lesen!) G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl. 1921, S. 394 ff.; moderne Version: Karl Doehring, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. 2000, Rn. 39 ff.

a) Inhalt der Lehre

aa) 1. Element Staatsgewalt -

Sicherheit als Staatszweck Schon Kaiser Justinian (527 - 565) leitete die Institutionen (der Text ist greifbar in Behrends/Knütel/Kupisch/Seiler, Corpus Iuris Civilis. Die Institutionen, 1993, S. XIII)

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mit einer zeitlosen Bestimmung der grundlegenden Staatsfunktionen ein: "Die kaiserliche Majestät muß nicht allein mit Waffen geschmückt, sondern auch mit Gesetzen gerüstet sein. Dann vermag sie zu jeder Zeit, im Krieg wie im Frieden, gut zu regieren, und der Römische Kaiser bleibt Sieger nicht nur im Kampf gegen die Feinde, sondern auch dadurch, daß er auf den Wegen des Gesetzes den Ungerechtigkeiten der Böswilligen wehrt und so wird er ebenso zum gewissenhaftesten Hüter des Rechts wie zum Triumphator über die besiegten Feinde."

Thomas Hobbes (1588 – 1679): Homo homini lupus est! (s. seinen Leviathan (1670) Kap. 13 u. 17). Der Staat muss den 'bellum omnium contra omnes' überwinden! S. dazu z.B. Gerhard Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, 1987, S. 36 ff. Zum berühmten Titelbild des Leviathan s. Reinhart Brandt, Das Titelblatt des Leviathan, in: Wolfgang Kersting (Hrsg.), Thomas Hobbes, Leviathan (Klassiker Auslegen 5), 1996, S. 29 ff.

-

Staat als souveräner ("Puissance absolue et perpétuelle d'une République", Jean Bodin, Les six livres de la République, 1583, liv. I, chap. X (jüngste deutsche Übersetzung 1981)) Herrschaftsverband nach innen und außen mit dem Monopol der (auch physischen) Gewaltausübung durch Rechtsetzung, Rechtsprechung und Exekutive nach innen und dem Recht zur Selbstbehauptung der Unabhängigkeit nach außen (Polizei, Gerichtsbarkeit, stehendes Heer; zusammengefasst: das staatliche Gewaltmonopol). Souveränität als „Seele des Gemeinwesens“ (Thomes Hobbes).

Die Lehre vom Gewaltenmonopol ist folgenreich: Bsp.: A ist Eigentümer eines Mietwohnungskarrées, das er als Investor gekauft hat, als es einigermaßen abgewirtschaftet gewesen ist. Es hat sich dort in einem Flügel eine linksautonome Wohngemeinschaft entwickelt, die keine Miete zahlt, weil man „Kapitalistenschweinen nichts zahlen müsse“ und in einem anderen Flügel haben sich Rechtsextremisten eingenistet, „die keine Miete zahlen, weil man dem zumeist doch jüdisch versippten Vermieterpack“ nichts zahlen müsse.

Mit großer Mühe gelingt es, gerichtlich Räumungstitel gegen die dort Wohnenden zu erlangen. Als die Polizei Vollstreckungshilfe leisten soll, weil der Gläubiger seinen Titel vollstrecken will, weigert sich die Polizei gegen die Mieter einzuschreiten, weil sie vom

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Verfassungsschutz

weiß,

dass

große

Mengen

an

Molotow-Cocktails,

Kopfsteinpflastersteinen etc. in den Wohnungen gelagert ist. Dem Polizeipräsidenten sind seine jungen Bereitschaftspolizisten „zu schade“, um sie für die Interessen eines Vermieters gesteigerten physischen Gefahren auszusetzen.

Daraufhin fragt der Vermieter bei den Hell’s Angels an, ob sie ihm bei der tatsächlichen Räumung helfen würden, da ihn der Staat im Stich lasse.

Bsp.: Schutz vor Piraterie: Schiffe unter deutscher Flagge bilden eine „einheitliche Kauffahrteiflotte“ (Art. 27 GG), die der Staat über See allerdings nicht effektiv schützen kann (jedenfalls nur sehr erschwert). Deshalb nimmt er seinen Monopolanspruch im Sinne des Verbots privater Gewaltausübung ein Stück weit zurück: Zur Zulassung privater Sicherheitsfirmen auf Deutschen Seeschiffen vgl. nun das „Gesetz zur

Einführung

eines

Zulassungsverfahrens

für

Bewachungsunternehmen

auf

Seeschiffen“ (BGBl. I 2013, S. 362ff.), das am 01.12.2013 in Kraft trat. Privaten Sicherheitsfirmen ist nun das Tragen von Waffen an Bord erlaubt; die Firmen müssen nach dem neu gefassten § 31 GewO eine Zulassung beantragen. Vgl. auch die das Zulassungsverfahren

konkretisierende

„Verordnung

über

die

Zulassung

von

Bewachungsunternehmen auf Seeschiffen“ (BGBl. I 2013, S. 1562ff.)

Bsp.: No-go-areas; Scharia-Strukturen als faktisch durchgesetzte Substitution für staatliche Gerichtsbarkeit; Clan-Strukturen als „Herrschaft durch Gewalt“.

Zur Souveränität s. etwa Albrecht Randelzhofer, Staatsgewalt und Souveränität, HdbStR II, § 17; Werner Mäder, Vom Wesen der Souveränität. Ein deutsches und europäisches Problem, 2007; zu Relativierungen eines souveränitätszentrierten Denkens s. unten I 2 (S. 29).

Der Zusammenklang von Souveränität und Staatsgewalt lehrt: - - Staatliche Gewalt ist unabgeleitete Herrschaftsgewalt. - - Daraus folgen Wesensmerkmale des öffentlichen Rechts: Subordinations- und Subjektstheorie als (zum Teil modifikationsbedürftige) Wesensmerkmale des öffentlichen Rechts. (s. vorläufig Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl. § 3 Rn. 12 – 21; Martin Bullinger, Öffentliches Recht und Privatrecht in Geschichte und Gegenwart, in: FS.

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f. Fritz Rittner, 1991, S. 69 ff. Ausf. und lesenswert (zu gegebener Zeit): Detlef Schmidt, Die Unterscheidung von privatem und öffentlichem Recht, 1985).

- Das Merkmal der Staatsgewalt ist zugleich Relationsgröße für die weiteren zwei Elemente Staatsgebiet und Staatsvolk.

bb) Staatsgebiet: Staat als territorialer Herrschaftsverband; vom modernen Staat ist erst zu sprechen, als er für ein Territorium Gebietshoheit beanspruchen konnte, also territorial begrenzte Herrschaft über Personen im Herrschaftsgebiet ausüben konnte.

-

Der Zusammenhang von Staatsgewalt und Staatsgebiet ist etwa in der aktuellen Flüchtlingskrise sichtbar. Dabei geht es hier nicht um die Frage, wer aus welchem Grund ein Zutrittsrecht haben kann, um hier Schutz zu finden, sondern um die Modalitäten des Zutritts. Wenn der Staat seine Territorial- und Personalhoheit behaup ten will, muss er den Zutritt effektiv kontrollieren. Dass diese Kontrolle in der EU im Schengenraum nach außen verlagert ist, wird unerheblich, wenn dort der Zutritt nicht kontrolliert wird (d.h. die Zutretenen nicht personal erfasst werden). Dann muss die Bundesrepublik selbst die Zutrittskontrolle wieder übernehmen. Was „eigentlich“ nicht sein kann und darf, ist der nicht registrierte Zutritt, weil dadurch die Souveränität, wie sie sich in der Kontrolle der Personal- und Territorialhoheit zeigt, verloren geht.

Das mag man in der Abwägung in einer momentanen humanitär gebotenen Hilfsaktion rechtfertigen können, muss aber die Ausnahme bleiben. s. Udo Di Fabio, Migrantenkrise als föderales Verfassungsproblem, 2016, S. 49 ff. – im Netz verfügbar -

cc) Staatsvolk (mit der Fähigkeit der Selbstregierung): das durch das Band der Staatsangehörigkeit geeinte personale Substrat der Herrschaftsausübung -

Problematik des Volksbegriffs. Siedlungsgemeinschaft, Kultur, Sitte, Sprache, Bewußtsein

der

Zusammengehörigkeit,

Gemeinschaftswille.

Praktisch

löst

das

Staatsangehörigkeitsrecht das Problem: Das Volk ist die Summe der Staatsangehörigen. Die

Problematik

zeigt

sich

beim

Selbstbestimmungsrecht

der

Völker

als

Legitimationsgrundlage für die Sezession als Grundlage völkerrechtlich begründeter Staatenbildung oder wenn der Volksbegriff zur Abgrenzung vorgeblich nicht-homogener

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Volksteile ideologisch eingesetzt wird (Beispiel: Lehre von der „Artgleichheit“ zur Ausenzung der Juden mit der Folge des Verlustes der Rechtsgleichheit bis hin zur physischen Vernichtung). -

Staatsangehörigkeit des modernen Staates als formales Band – nicht als „völkisch“ miss zu verstehen: Es sind nur zwei Anknüpfungen denkbar (die auch kombiniert werden können): Abstammungsprinzip und/oder Territorialitätsprinzip + Einbürgerung

S. zur Bedeutung der Staatsangehörigkeit im völkerrechtlichen Verkehr deren Relevanz für die Wiedervereinigung: Letztlich war die Position der sozialistischen Staaten hinter dem Eisernen Vorhang in ihrer Abschottung unhaltbar geworden, als Ungarn 1989 eine große Zahl von DDR-Bürgern im Land hatte, die auf der Basis bundesdeutscher Staatsangehörigkeitsdoktrin (es gab danach nur eine deutsche Staatsangehörigkeit für alle Deutschen in der Bundesrepublik und in der DDR) gegen die DDR-Auffassung von der (alleinigen) DDR-Staatsangehörigkeit zu dem Schluss kam, es handele sich bei den DDR-Bürgern offenbar um Doppelstaater. Da diese in die Bundesrepublik ausreisen wollten, machten sie auch ein ‚genuine link’ zur deutschen Staatsangehörigkeit geltend, so dass Ungarn bereit war, diese Personen durch den Eisernen Vorhang in den Westen ausreisen zu lassen. Dieses „Loch“ im sog. Eisernen Vorhang war der Anfang vom Ende des Ostblocks; eine staatsangehörigkeitsrechtliche völkerrechtlich mögliche Handlungsoption Ungarns war der Auslöser. Das gleiche galt für die Entscheidung der Tschechoslowaken die „Botschaftsflüchtlinge“ auszureisen zu lassen – allerdings mit der Besonderheit, dass die DDR den Zug unter Verweis auf ihre Territorial- und Personalhoheit hat passieren lassen. Das Loch im Zaun von Ungarn führte hingegen unmittelbar in den Westen; dass Österreich den Zutritt akzeptieren würde, weil es sich um freiheitsberechtigte (deutsche) Unionsbürger handelte, war selbstverständlich und unionsrechtlich geboten.

b) Völkerrechtliche Bedeutung der Lehre

-

Der Staat besitzt Völkerrechtssubjektivität kraft seiner Existenz und folglich mit dem Anspruch auf (im einzelnen streitig):

--

Anerkennung als Staat; s. z.B. für eine entsprechende Rechtsfolge Art. 4 UN-Charta; zur

Anerkennungspraxis

der

Bundesrepublik

Deutschland,

s.

Michael

Schweitzer/Albrecht Weber, Handbuch der Völkerrechtspraxis der Bundesrepublik Deutschland, 2004, Rn. 431 ff.)

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Konkret: S. oben das Beispiel des Kosovo, der von einigen Mitgliedstaaten der EU (auch Deutschland) anerkannt wird, von anderen nicht (etwa von Frankreich nicht). (Zur Frage der Anerkennungsfähigkeit des Kosovo s. die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs (IGH) als Organ der Vereinten Nationen vom 22. Juli 2010, Dokumentennummer: 2010/25.)

- - Mit der Existenz als Staat gelten die sogenannten Staatengrundrechte, also - - - politische Unabhängigkeit, - - - souveräne Gleichheit der Staaten (Art. 2 Nr. 1 der UN-Charta) und - - - Staatenimmunität (Exteritorrialität): → "par in parem non habet iudicium": Könnte Deutschland die USA vor z.B. dem Landgericht Berlin verklagen wegen völkerrechtswidriger Benutzung des Luftraumes der Bundesrepublik Deutschland oder auf Unterlassung des Datenfischens im deutschen Hoheitsraum oder auf Unterlassung des Abhörens des Handys der Bundeskanzlerin? Offensichtlich nicht! → "ne impediatur legatio": (Die Arbeit der Botschaft darf nicht behelligt werden; völkerrechtlich kodifizierter Grundsatz.) Darf Deutschland den Botschafter Russlands festnehmen, wenn dieser die Bundeskanzlerin beleidigt? Wie weit reicht die Immunität der jeweiligen Staatsvertreter? Beispiel: Das amtierende Staatsoberhaupt eines Staates wird eines Genozids gegenüber einer ethnischen Minderheit in seinem Heimatstaat beschuldigt. Er ist als eingeladenes Staatsoberhaupt Gast der Bundesrepublik Deutschland. Darf ein deutscher Staatsanwalt ihn aufgrund des Weltrechtsprinzips mit einem deutschen Haftbefehl bei Betreten des Flughafens Berlin-Tegel verhaften? An sich nicht, aber jetzt gilt im Grundsatz ja, nachdem es den Internationalen Gerichtshof gibt. Dessen etwaiger Haftbefehl könnte (und müsste) vollstreckt werden. Deshalb können Staatschefs mit genozidalem Blut an den Händen (z.B. der Syrer Assat) Putin noch besuchen, aber nicht solche Staaten, die dem Statut von Rom zur Internationalen Strafgerichtsbarkeit beigetreten sind.

Ein historisches Beispiel: Der Staatsratsvorsitzende der DDR Erich Honecker besucht die BRD. Als Staatsratsvorsitzender ist er weder Regierungschef noch Staatspräsident. Die Staatsanwaltschaft Bonn beantragt einen Haftbefehl wegen des Schießbefehls an der innerdeutschen Mauer. Wird der Richter den Haftbefehl ausfertigen?

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- siehe dazu §§ 18-21 GVG; nebenbei: Honnecker ist erst gekommen, nachdem das GVG geändert worden war.

Ein aktuelleres Beispiel: Der Bonner Bürger D hat Argentinien 1990 Geld geliehen. Argentinien hat seine Zahlungsunfähigkeit erklärt und bedient die Darlehensforderungen seit 1992 nicht mehr. 1995 verlegt Argentinien den Sitz seiner Botschaft nach Berlin (bisher war sie auf dem Bonner Venusberg). Daraufhin beantragt D beim Amtsgericht Bonn die Eintragung einer Sicherungshypothek auf dem Grundstück Argentiniens auf dem Bonner Venusberg zur Sicherung seiner Darlehensforderung. Wird das Amtsgericht die Eintragung bewilligen, wenn Argentinien behauptet, die Bonner Residenz bleibe Teil der diplomatischen Vertretung Argentiniens? Schließlich wird die Sicherungshypothek durch Entscheidung des OLG Köln eingetragen. Rechtsmittel dagegen sind nicht mehr möglich. Daraufhin erhebt Argentinien

Verfassungsbeschwerde

zum

Bundesverfassungsgericht.

Ist

die

Verfassungsbeschwerde zulässig und begründet? - siehe BVerfG Beschluss vom 20.09.2006 - 2 BvR 799/04 – BVerfGK 9, 211 - - - Interventionsverbot (siehe z.B. "Nicaragua-Fall" IGH vom 27.06.1986, ICJ Reports 1986, 14 (106 ff.), dazu K. Ipsen/H. Fischer, Völkerrecht, 5. Aufl. 2004, § 59 Rn. 50 ff.) mit dem Hintergrund des Gewaltverbots (Art. 2 Nr. 4 UN-Charta). Völkerrechtlich ist die Berechtigung zur sog. humanitären Intervention bei schwersten planmäßigen Menschenrechtsverletzungen wie Völkermord und ethnischen Vertreibungen noch nicht vollständig geklärt. (Intervention der NATO in Serbien als Ausgangspunkt einer veränderten Völkerrechtsordnung)? S. Ipsen/Fischer, a.a.O., § 59 Rn. 26). - - - Anspruch auf Achtung der Rechtspersönlichkeit des Staates (seiner völkerrechtlichen Existenz) mit dem Recht zur Selbstverteidigung (als Durchbrechung des Gewaltverbots); - - - Recht auf Achtung und Schutz der Ehre eines Staates (Recht auf individuelle Selbstbehauptung); das Recht auf den Schutz der Ehre erfasst auch das jeweilige Staatoberhaupt (s. Erdogan v. Böhmermann; § 103 StGB i.V.m. § 104a StGB und: Erdogan v. Böhmermann, § 185 StGB - - - das Selbstbestimmungsrecht (nicht unstreitig), s. das Stichwort bei Seidl/Hohenveldern (Hrsg.), Völkerrecht (Lexikon des Rechts) 2. Aufl. S. 284 f.

(Zu den völkerrechtlichen Grundrechten der Staaten s. K. Ipsen/ C. Gloria, Völkerrecht, a.a.O., § 26; zum Interventionsverbot s. das Stichwort "Nichteinmischung", in: Seidl/Hohen-

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veldern (Hrsg.), a.a.O., S. 226 f.; insbesondere zur Anerkennung von Staaten s. R. Wolfrum, in: Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/1, 2. Aufl. 1989, S. 196 ff. sowie Ipsen/Gloria, a.a.O., § 22; sowie das oben zitierte Handbuch von Schweitzer/Weber. Diese Fragestellungen werden ausführlich in der Vorlesung Staatsrecht III behandelt.)

c) "Spuren-Elemente" der Drei-Elemente-Lehre im Grundgesetz

aa) Staatsgewalt als dem Grundgesetz vorausliegende Kategorie

- Das ungeschriebene Grundrecht auf Sicherheit (s. Josef Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit. Zu den Schutzpflichten des freiheitlichen Verfassungsstaates, 1983; Gerhard Robbers; zu den Grundrechten als „Schutzpflichten“, siehe den gleichnamigen Beitrag von Christian Calliess in: Merten/Papier (Hrsg.), HdB d. GRe, Bd. II Grundrechte in Deutschland, allgemeine Lehren I (2006), § 44.) Normative Ansätze zum Schutz des einzelnen vor Eingriffen Dritter in seine Grundrechte zeigen Art. 1 Abs. 1 Satz 2; Art. 2 I, II auf; siehe dazu BVerfGE 39, 1 (42) – Schwangerschaftsabbruch I; 46, 160 (164) – Schleyer; 49, 89 (141) – Kalklar; 53, 30 (57) – Mülheim-Kärlich; 56, 54 (73) Fluglärm; 79, 174 (201 f.) – Straßenverkehrslärm; 88, 203 (254) – Schwangerschaftsabbruch II. Der Schutzauftrag richtet sich an alle Staatsgewalten; s. für die insoweit gegenüber gesetzgeberischen Lücken lückenschließungsbefugte Rspr.: BVerfGE 81, 242 (255 f.) – gewerbliche Wettbewerbsverbote; 84, 212 (227) - Arbeitskampf; zu den Grundrechten als „Schutzpflichten“, siehe den gleichnamigen Beitrag von Christian Calliess in: Merten/Papier (Hrsg.), HdB d. GRe, Bd. II Grundrechte in Deutschland, allgemeine Lehren I (2006), § 44.

- Souveränitätsprinzip: siehe Art. 20 III GG als Merkposten. - - Staatsgewalt als unabgeleitete Herrschaftsgewalt: Unterschied zur gemeindlichen und sonstigen dezentralen Hoheitsgewalt, s. Art. 28 I, II GG.

- Gewaltmonopol nach außen: Art. 87a i.V.m. Art. 115a I GG. - Gewaltmonopol nach innen: nur erkennbar an den normierten Durchbrechungen des Gewaltmonopols, siehe Art. 20 IV GG sowie einfach-rechtlich §§ 32 - 35 StGB, § 229 f. BGB; § 127 StPO. Im Übrigen normiert der Staat sein Recht zur notfalls gewaltsamen Selbstbehauptung auch nach innen, siehe Art. 87a IV, 91 I, II, 35 II GG.

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- - Justizgewährleistungspflicht und Rechtsprechungsmonopol Beispiel 1: Der deutsche Fussballprofi F wird vom DFB-Sportgericht zwei Jahre für den Spielbetrieb gesperrt, weil er einen Schiedsrichter angespuckt hat. F wendet ein, er sei anders als sein Verein – der 1. FC Köln – gar nicht Mitglied des DFB und sehe auch nicht ein, wie solch eine private Institution das Recht haben könne, ihn in seiner Berufsausübung zu hindern. (s. §§ 1025 ff. Zivilprozessordnung) Beispiel 2: Der Fall der Eisschnellläuferin Claudia Pechstein – OLG München, v. 15.01.2015 – U 1110/14 Kart Beispiel 3: P ist katholischer Priester: Er zeugt zwei Kinder mit einer verheirateten Frau seiner Gemeinde, deren Ehemann in Afghanistan vermisst ist. Seiner Gemeinde erklärt er in der Predigt, er tue ein gottgefälliges Werk, wenn er der Ehefrau des Verschollenen durch Familienvergrößerung helfe; das sei wichtiger als seine zölibatäre Verpflichtung und das müsse auch die Kirche einsehen. Das zuständige Kirchengericht entlässt ihn als Pfarrer. Dagegen klagt P vor dem Verwaltungsgericht. Hat die Klage Aussicht auf Erfolg? - - Die Justizgewährleistungspflicht als (nicht ausdrücklich normierte) Kehrseite des Gewaltmonopols; normativ gesichert im Rechtsstaatsprinzip, speziell gesichert gegenüber der öffentlichen Gewalt in Art. 19 IV (s. nur Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 19 IV Rn. 16 f.) - - Das Rechtsprechungsmonopol ist allenfalls angedeutet in Art. 92 GG; es erstreckt sich aber nur auf die staatliche Gerichtsbarkeit; eine privatautonome Durchbrechungsmöglichkeit ist denkbar, wie die Vereins- und Verbandsschiedsgerichtsbarkeit sofort zeigt (s. Achterberg, BK, Art. 92 Rn. 173 ff.; der Staat wird allerdings aus seiner Garantenpflicht nie vollständig entlassen, s. § 1025 ff. ZPO). - - Öffentliches Recht als Amtsrecht: s. Art. 33 IV, Art. 19 IV, § 40 I VwGO, § 839 BGB, § 1 VwVfG

bb) Staatsgebiet: (siehe dazu insgesamt Daniel-Erasmus Khan, BK, Staatsgebiet und Grenzen[vor Präambel], Rn. 1 ff.) Präambel beschreibt den territorialen Herrschaftsraum

- auch Schiffe (s. Art. 27 GG; dazu BVerfGE 92, 43) und Botschaften (die allerdings nicht eigentlich exterritorial sind (obwohl das häufig gesagt wird); es gilt der Grundsatz der Unverletztlichkeit der Räumlichkeiten der Mission, s. Art. 22 Wiener Übereinkommen über die Diplomatischen Beziehungen (WÜD); s. Ipsen/Fischer, a.a.O., § 35 Rn. 60 ff.)

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- luftwärts: 80 bis 100 km über dem Meeresspiegel (s. Graf Vitzthum, HdbStR II, § 18, Rn. 22); praktische Bedeutung: LuftVG Beispiel: Sie sind Eigentümer einer attraktiven Immobilie in Berchtesgaden (vor etwa 30 Jahren!). Österreich baut den Flughafen Salzburg aus. Österreich ist damals noch nicht Mitglied der EWG (heute: EU) und hält es nicht für nötig, die „deutschen Piefkes“ am Verwaltungsverfahren zum Ausbau des Flughafens zu beteiligen. Da die Salzburger durch

den

gesteigerten

Flugverkehr

stark

belastet

würden,

entscheidet

die

Planfeststellungsbehörde in Wien sich für einen Flughafenausbau, in dessen Rahmen die Anflugrouten bevorzugt über Berchtesgaden zu führen sein werden. Was wollen Sie als Berchtesgadener tun? Wen wollen Sie auf welche Maßnahme in Anspruch nehmen? (Der Fall hat deutsche Gerichtsbarkeit tatsächlich beschäftigt.)

- seewärts: Vitzthum, a.a.O., Rn. 29 f.: konsentiert sind jedenfalls zwölf Seemeilen.

- bundesstaatsrechtliche Bedeutung der Präambel: Bundesgebiet = Summe der Landesherrschaftsgebiete; keine bundesfreien Landesgebiete; keine bundesunmittelbaren Gebiete; kein Washington D.C.!

cc) Staatsvolk (siehe dazu Rolf Grawert, HdbStR II, § 16) Präambel, Art. 20 III, Art. 116 als Textbefund - persönliches Herrschaftssubstrat und Gegenstand staatlicher Personalhoheit; Träger der Staatsgewalt

- personale Abgrenzung: Nach der Staatsangehörigkeit = Gesamtheit der Staatsangehörigen, die dem Staat kraft Rechts zugeordnet sind und kraft Völkerrecht zugeordnet werden dürfen.

- Deutsche historisch bedingte "Spezial-Probleme": Deutsche waren selbstverständlich auch alle Bürger der früheren DDR, auch solche, die im Rahmen des ordre public dort eingebürgert worden sind (s. BVerfGE 77, 137 (151 f.); durch die Ostverträge haben Deutsche ihre Staatsangehörigkeit nicht verloren (BVerfGE 40, 141 (170); 43, 203 (210) – Sudetendeutsche; wohl aber Österreicher am 25.04.1945 (BVerfGE 4, 322 (327)). Zu Art. 116 s. zuletzt BVerwGE 90, 173; BGHZ 121, 305 (314). Deutsche im Sinne von Art. 116 Abs. 1 GG sind auch: Flüchtlinge oder Vertriebene (= derjenige, der seinen Wohnsitz

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außerhalb des Gebiets der heutigen Bundesrepublik hatte und diesen Wohnsitz aufgrund des Zweiten Weltkrieges durch Vertreibung oder durch Flucht verloren hat und in Deutschland Aufnahme gefunden hat (auch noch nach Inkrafttreten des GG, BVerfGE 8, 81 (86); 17, 224 (231)). (Deutscher Volkszugehörigkeit = derjenige, der sich in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, sofern dieses Bekenntnis durch Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt wird).

- Wesen der Staatsangehörigkeit: Ein Rechtsverhältnis, das ein Rechtsband von Rechten und Pflichten (Gehorsamspflicht des Bürgers! z.B.) zwischen dem Staat und seinen Angehörigen schafft (Grawert, a.a.O. Rn. 42). Alltäglich: Steuerpflicht, Schulpflicht, Gesetzesgehorsam, früher: Wehrpflicht etc. (Aber Vorsicht! Diese Pflichten gelten z.T. nicht nur für Staatsbürger); dem Bürger entstehen auf der anderen Seite Forderungsrechte gegen den Staat zu (Recht auf Zugang zu Bildungseinrichtungen, zur Infrastruktur, auf Sozialleistungen.

Aber beachten Sie: die große Mehrheit solcher Forderungsrechte steht allen Einwohnern offen; s. aber z.B. die Differenzierung bei den Grundrechten.

1. Beispiel: Der Fußballlehrer Stange will (zu Zeiten von Saddam Hussein) die irakische Fußballnationalmannschaft trainieren. Die Bundesrepublik Deutschland entzieht ihm den Pass (Rückruf); suchen Sie im Passgesetz die entsprechende Ermächtigungsgrundlage! 2. Beispiel: Elfes ist Oberbürgermeister einer rheinischen Stadt in der ersten Hälfte der 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Er ist CDU Politiker, steht aber in Opposition zu Adenauers Westintegrationspolitik in den frühen 50ern. Er will nach Moskau, um dort an einem „Friedenskongress“ teilzunehmen, dabei die Außenpolitik der Regierung kritisieren. Da seine Anreise die Belange der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtige, wird ihm der Pass verweigert (BVerfGE 6, 89 - Elfes).

- - Konsequenzen auf der Berechtigungsseite: Völkerrechtlich: Auslandsschutz sowohl konsularisch (Auskunft, Beratung, Fürsorge, s. das Konsulargesetz, Sartorius II, Nr. 580) und diplomatisch: Wegen völkerrechtswidriger Behandlung der eigenen Staatsangehörigen gegenüber einem völkerrechtswidrig handelnden Staat (s. auch BVerfGE 81, 208 (224): Urheberrecht und gezielte Benachteiligung fremder Staatsangehöriger "unentschlossener" Staaten zur Erzwingung von Gegenseitig-

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keitsabkommen zum Schutze der eigenen Staatsangehörigen) (zum Auslandsschutz: Dauses Jura 1990, 262 ff.; Rudolf Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 3. Aufl. 2002, § 50) Staatsrechtlich berechtigend: s. die frühere Regelung in Art. 112 Abs. 2 WRV mit der ausdrücklichen Normierung eines subjektiven Rechts auf (ermessensabhängigen) Auslandsschutz (s. gegenwärtig die häufigen Bemühungen der Krisenstäbe im Auswärtigen Amt, entführte Deutsche in Afghanistan oder im Irak „freizukaufen“ (was nie zugegeben wird) oder ihre Freilassung auf anderem Wege zu erreichen). Aus der Staatsangehörigkeit folgt ein Forderungsrecht auf Gewährung von Auslandsschutz. Dem Grundgesetz fehlt zwar eine entsprechende Regelung; sie folgt aber aus dem Wesen der Staatsangehörigkeit als Rechtsverhältnis (BVerfGE 55, 349 (364 f.) - Rudolf Heß, BVerwG NJW 1988, 2208; OVG Münster NJW 1989, 2209); man mag den Auslandsschutz im Kern auch in Art. 16 Abs. 1 Satz 1 gewährleistet sehen (s. Jarass/Pieroth, GG, Art 16 Rn. 7 m.w.Nachw. (str.)). Ein signifikantes Beispiel für die Gewährung von Auslandsschutz ist etwa die Klage der Bundesrepublik Deutschland gegen die USA a conto doppelte Staatsangehörigkeit der zum Tode verurteilten Brüder La Grand, die verurteilt worden waren, ohne dass Deutschland den deutschen Staatsangehörigen konsularischen Beistand hätte leisten können. Der Angerufene internationale Gerichtshof (IGH) hat der Bundesrepublik Recht gegeben und die Völkerrechtswidrigkeit der Verurteilung ohne die Gewährung von Auslandsschutz ausgesprochen (IGH La Grand (Germany) v. USA, Urteil vom 27.06.2001, ICJ Rep 2001, 466.) Zu den Rechtsfolgen verweigerten Zugangs des Heimatstaates zu einem eigenen Staatsangehörigen vor dem deutschen Strafrichter s. BVerfGK 17, 390.

Beispiel: A ist als deutscher Staatsangehöriger, wie der Bundesnachrichtendienst weiß, in Afghanistan in einem Ausbildungscamp für Selbstmordattentäter gewesen. Als er zurückkehrt, verweigert ihm die BRD die Einreise. Sie empfiehlt ihm, dorthin zurückzukehren, „wo er sich offensichtlich wohl fühlt, nämlich in Terrorstaaten“. Ist dies(von der Formulierung abgesehen) rechtmäßig? (Zur Bedeutung des Art. 11 GG für die Einreise in das Bundesgebiet s. BVerfGE 110, 177 (191) - Spätaussiedler; BVerwGE 122, 313 (316))

Kontrastbeispiel: Das Sektenoberhaupt Mun ist koreanischer Staatsangehöriger. Er will in die Bundesrepublik einreisen, um seine Gemeindemitglieder besuchen zu können. Die

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BRD verweigert die Einreise unter Hinweis darauf, dass er keinen Anspruch auf Zutritt habe. Mun klagt dagegen. Wird seine Klage Erfolg haben? s. BVerfGK 9, 371

Außerdem: Die Staatsangehörigkeit ist relevant für die Geltung der „Deutschen-Grundrechte“ (s. insofern den Text der Grundrechte). Staatsrechtlich verpflichtend: Unterwerfung unter den personalen Geltungsanspruch des deutschen innerstaatlichen Rechts (die aber auch für jedermann gilt, der sich im Inhalt aufhält).

- Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit nach dem StAG - - Ius sanguinis oder ius territorii (jeweils ergänzt um Erklärungserwerbstatbestände) als denkbare

Modelle;

das

kaiserliche

RuStAG

folgte

im

Grundsatz

dem

Abstammungsprinzip, jetzt aufgelockert durch ein modales Territorialitätsprinzip für hier geborene Ausländerkinder (sog. Optionsregelung, § 29 StAG) - - Ius sanguinis und Art. 3 Abs. 2: BVerfGE 37, 217: Staatsangehörigkeit nach Vater und Mutter;

das

reine

Paternalitätsprinzip

(oder

das

Maternalitätsprinzip)

ist

verfassungswidrig. Doppelte Staatsangehörigkeiten, die darauf folgen, sind hinzunehmen. - - Problematik der doppelten Staatsangehörigkeit (s. Wolfgang Löwer, Abstammungsprinzip und Mehrstaatlichkeit, in: Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik, 1993, S. 156 f. sowie jetzt K.F. Gärditz, VVDStRL 2012; politisch ist die Frage hoch umstritten; viele Diskutanden halten die doppelte Staatsangehörigkeit für einen Beitrag zur Integration, mancher für einen Beitrag zur Verhinderung der Integration.

- Grundrechtlicher Schutz der Staatsangehörigkeit und der Staatsangehörigen: Art. 16 I und Art. 16 II. "Gegen den Willen" = Verlust, den der Betroffene nicht beeinflussen kann (BVerfG - VPr. NJW 1990, 2193 sowie jetzt BVerwGE 118, 216 und BVerfGE 116, 24 (44 f.)). Verfassungsrechtliche Problematik der Optionsregelung für Doppelstaater: im Ergebnis ist § 29 StAG keine „Entziehung“ im Sinne von Art. 16 Abs. 1 S. 1 GG, weil nach Maßgabe des Willens des Betroffenen beeinflussbar (Jarass/Pieroth, GG, Art. 16, Rn. 8 u. Rn. 12 a mit weiteren Nachw.); die Regelung wird aber im Schrifttum für mit Art. 3 Abs. 3 S. 1, 2. Var. und Art. 3 Abs. 1 GG für unvereinbar gehalten, auch mit den Unionsbürgerrechten der EU, wenn davon EU-Bürger betroffen sind. (s. Zimmerann/Schütte/Sener, „Deutsche zweiter Klasse?“, 2013, S. 38ff.)

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d) Grundgesetzliche Reflexion der völkerrechtlichen Konsequenzen der Drei-ElementeLehre aa) Art. 25 GG; dazu Kunig, Jura 1989, 667; Steinberger, HbdStR, 2. Aufl. VII, § 173, Art. 25 als generelle Transformationsnorm (Rechtsanwendungsbefehl) für die allgemeinen Regeln des Völkerrechts; insbesondere Art. 25 Satz 2; es gilt nicht etwa ganz generell: "international law is part of the law of the land" mit den angelsächsischen Implikationen der Eingliederung des Völkerrechts in das Landesrecht z.B. auch hinsichtlich zeitlicher Kollisionsregeln: s. den Rang der allgemeinen Regeln des Völkerrechts oberhalb des Gesetzes (aber nach herrschender Meinung unterhalb der Verfassung) mit der verfassungsprozessualen Sicherung der Wahrung der allgemeinen Regeln des Völkerrechts durch das Normverfikationsverfahren in Art. 100 Abs. 2 GG, siehe hierzu den Argentinienfall oben S. 30 – Argentinische Botschaft; zum Rang des Vertragsvölkerrechts, die im Range des Parlamentsgesetzes gelten (und deshalb der zeitlichen Geltungsanordnung der lex posterior ausgesetzt sind), s. zu den Studiengebühren z.B. OVG Münster, v. 9. Oktober 2007 – 15 A 1596/07 zu Art. 13 Abs. 2 Buchstabe c des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Sozialpakt) sowie (allerdings völkerrechtlich eher kursorisch): BVerwGE 134, 1, Rn. 45 ff.; s. jetzt zur Kollision der lex posterior mit Vökervertragsrecht: Marcel Krumm, Legislativer Völkervertragsbruch im demokratischen Rechtsstaat, AöR 138 (2013), S. 363ff.

bb) Art. 25 GG rezipiert damit auch die oben zitierten 'Staatengrundrechte' (soweit sie allgemeine Regeln darstellen, soweit es also um "evidence of general practice accepted as law" geht); s. den IGH-Fall Continental Shelf [Libyen vs. Malta], ICJ Reports 1985, 29 f. aaa) Respektierung des Territorialitätsprinzip, BVerfGE 84, 90 (123) - Bodenreformurteil: Hinnahme fremder Enteignungen (durch SMAD (= Sowjetische Militätradministration in Deutschland)) bbb) Staatenimmunität Unterscheidung in: - acta iure imperii - acta iure gestionis - fremde Staatsunternehmen Acta iure gestionis bleiben für das prozessuale Erkenntnisverfahren ohne Immunitätsschutz (BVerfGE 16, 27 - Reparatur der Heizungsanlage in der Iranischen Botschaft), für die Vollstreckung s. BVerfGE 46, 342 - Philippinische Botschaft als Mieter; es gilt der

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Grundsatz ne impediatur legatio (siehe oben), wenn in das eine Botschaftskonto gepfändet werden soll. Zu Staatsunternehmen s. BVerfGE 64, 1 - National Iranian Oil Co: keine Staatenimmunität (auch nicht für staatliche Monopolunternehmen); s. auch den oben zitierten Fall BVerfGE 117, 141 zu Staatsanleihen bei erklärtem pauschalem Verzicht auf Vollstreckungsschutz (Argentinien). ccc) Staatsorganimmunität: s. § 20 Abs. 1 und § 20 Abs. 2 GVG

ddd) Immunität des Staatsoberhaupts s. Dahm/Delbrück/Wolfrum, a.a.O., § 29: "Wer das ist, bestimmt die Verfassung des jeweiligen Staates".