12.11.2013

AG Staatsorganisationsrecht – Fall 2

FB Grundkurs Öffentliches Recht I

Staatsorganisationsrecht – Fall 2 WS 2013/2014

AG Staatsorganisationsrecht – Fall 2

 Allgemeines I.

Allgemeinheit der Wahl • •

Wahlrechtsgrundsätze, Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG





Unmittelbarkeit der Wahl • •



keine indirekte bzw. mittelbare Wahl (durch dazwischengeschaltete Instanzen) Wähler muss durch Wahlverfahren vor dem Wahlakt erkennen können, welche Personen zur Wahl stehen und wie sich Stimmabgabe auf (Miss-)Erfolg auswirkt

Freiheit der Wahl • •

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Wahlrecht steht grundsätzlich allen Staatsbürgern zu kein unberechtigter Ausschluss der Staatsbürger von der Teilnahme an der Wahl Einschränkungen nur aus zwingenden Gründen

Ausübung des Wahlrechts ohne Zwang oder sonstige unzulässige Beeinflussung von außen Schutz durch strafrechtliche Vorschriften 2

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AG Staatsorganisationsrecht – Fall 2

 Allgemeines I.

Geheimheit der Wahl •

Wahlrechtsgrundsätze, Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG



Gewährleistung, dass nur Wähler selbst von seiner Wahlentscheidung Kenntnis hat

Gleichheit der Wahl •

Zählwertgleichheit: jeder Wähler hat die gleiche Stimmen-



anzahl, jede abgegebene Stimme zählt als eine Stimme (one man one vote) Erfolgswertgleichheit: jede Stimme hat das gleiche Gewicht bei der Zusammensetzung des Parlaments, also die gleiche rechtliche Erfolgschance

 diese Fragen hat der Gesetzgeber (Art. 38 Abs. 3 GG) zu regeln und Wahlrechtsgleichheit bedeutet für die gesetzliche Ausgestaltung des Wahlsystems eine unterschiedliche regulative Wirkung

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AG Staatsorganisationsrecht – Fall 2

 Allgemeines I. II.

Art. 38 GG •

Wahlrechtsgrundsätze, Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG Wahlsystem in Deutschland





über die Wahlrechtsgrundsätze hinaus keine Vorgaben des Grundgesetzes zum Wahlsystem Gesetzgeber zur näheren Ausgestaltung ermächtigt, Art. 38 Abs. 3 GG

Bundeswahlgesetz Wahl des Bundestags „nach den Grundsätzen einer mit der Personalwahl verbundenen Verhältniswahl“ (§6 Abs. 1 S. 2) • •

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relative Mehrheitswahl: mit Erststimme Wahl des Direktkandidats (in 299 Stimmkreisen) Verhältniswahl: mit Zweitstimme Wahl einer von mehreren durch die politischen Parteien vorgeschlagenen Landeslisten o wie viele Sitze eine Partei im Bundestag erhält, hängt alleine vom Anteil der Zweitstimmen ab (§ 6 Abs. 2 BWG) o von diesem Anteil wird die Zahl der für eine Partei anfallenden Direktkandidaten abgezogen (§ 6 Abs. 4 BWG); der Rest wird mit Listenkandidaten besetzt

 Bundestagswahlrecht: Grundcharakter der Verhältniswahl 4

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AG Staatsorganisationsrecht – Fall 2

Allgemeines I. II.

Wahlrechtsgrundsätze, Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG Wahlsystem in Deutschland

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Quelle: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/b/ba/Pers.Ver.Wahl.v4.svg

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AG Staatsorganisationsrecht – Fall 2

Sicherstellung der Erfolgswertgleichheit Allgemeines I. II.

Wahlrechtsgrundsätze, Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG Wahlsystem in Deutschland

 Abhängigkeit vom Wahlsystem •

Mehrheitswahl: Stimmenmehrheit im Wahlkreis entscheidet über gewählten Kandidaten; andere Stimmen bleiben ohne Auswirkung auf die Zusammensetzung des Parlaments („erfolglos“)  dafür gleich große Stimmkreise erforderlich



Verhältniswahl: jeder Wähler gleichen Einfluss auf Zusammensetzung des Parlaments, da die Anzahl der Stimmen verhältnismäßig auf die zu vergebenden Sitze umgerechnet werden  exakte mathematische Umrechnung der Stimmen erforderlich



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Bundeswahlrecht hat Grundcharakter der Verhältniswahl und daher muss Erfolgswertgleichheit durch möglichst exakte mathematische Umrechnung des Wahlergebnisses erfolgen

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AG Staatsorganisationsrecht – Fall 2

Aufbau der Normenkontrolle Gutachten

Obersatz: Der Antrag hat Aussicht auf Erfolg, wenn er zulässig (A.) und begründet (B.) ist.

A. Zulässigkeit Obersatz: Es müssen alle Sachurteilsvoraussetzungen nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG i.V.m. § 13 Nr. 6, §§ 76 ff. BVerfGG vorliegen, damit das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht durchgeführt werden darf.

B. Begründetheit Obersatz: Der Antrag ist begründet, wenn § 6 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 BWG formell und/oder materiell verfassungswidrig ist. 7

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AG Staatsorganisationsrecht – Fall 2

Zulässigkeit des Antrags A. Zulässigkeit

Der Antrag der Landesregierung L auf abstrakte Normenkontrolle ist zulässig, wenn die Sachurteilsvoraussetzunge nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG i.V.m. § 13 Nr. 6, §§ 76 ff. BVerfGG vorliegen.

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AG Staatsorganisationsrecht – Fall 2

Zuständigkeit des BVerfG A. Zulässigkeit I. Zuständigkeit des BVerfG

Die Zuständigkeit des BVerfG ergibt sich aus Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG i.V.m. § 13 Nr. 6 BVerfGG.

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AG Staatsorganisationsrecht – Fall 2

A. Zulässigkeit I. Zuständigkeit des BVerfG II. Antragsberechtigung

Antragsberechtigung, Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG i.V.m. § 76 Abs. 1 BVerfGG  Bundesregierung  Landesregierung  ¼ der Mitglieder des Bundestags  hier: Landesregierung L (+)

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AG Staatsorganisationsrecht – Fall 2

Antragsgegenstand, Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG i.V.m. § 76 Abs. 1 BVerfGG

A. Zulässigkeit I. Zuständigkeit des BVerfG II. Antragsberechtigung III.Antragsgegenstand

 Bundesrecht oder Landesrecht  jedoch nur geltende Normen  hier: § 6 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 BWG als Bundesgesetz (+)

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AG Staatsorganisationsrecht – Fall 2

A. Zulässigkeit I. Zuständigkeit des BVerfG II. Antragsberechtigung III.Antragsgegenstand IV.Antragsgrund

Antragsgrund, Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG i.V.m. § 76 Abs. 1 BVerfGG  Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG: Meinungsverschiedenheiten/Zweifel über die Vereinbarkeit des Gesetzes mit dem Grundgesetz

 § 76 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG: Antragsteller muss Norm für nichtig halten

 (P) Antragsteller hat nur Zweifel an Verfassungsmäßigkeit der Regelung und hält diese nicht auch für nichtig

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grds. nach § 76 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG kein Antragsgrund



jedoch geht Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG als Norm des Grundgesetzes, das über dem einfachen Gesetzesrecht steht, vor (Geltungsvorrang des Verfassungsrechts)



es genügen damit Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes, da einfaches Recht (§ 76 BVerfGG) Verfassungsrecht (Art. 93 GG) nicht verdrängen kann



hier: L hält 5 %-Klausel für verfassungswidrig und nach beiden Regelungen liegt Antragsgrund vor 12

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AG Staatsorganisationsrecht – Fall 2

Form, § 23 Abs. 1 BVerfGG A. Zulässigkeit



I. Zuständigkeit des BVerfG II. Antragsberechtigung III.Antragsgegenstand IV.Antragsgrund V. Form und Frist

schriftlich und mit Begründung

Frist 

eine Frist ist nicht einzuhalten

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AG Staatsorganisationsrecht – Fall 2

Ergebnis A. Zulässigkeit I. Zuständigkeit des BVerfG II. Antragsberechtigung III.Antragsgegenstand IV.Antragsgrund V. Form und Frist VI.Ergebnis

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Der Antrag der Landesregierung auf abstrakte Normenkontrolle ist zulässig.

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Obersatz: Der Antrag ist begründet, wenn § 6 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 BWG formell und/oder materiell verfassungswidrig ist.

A. Zulässigkeit I. Zuständigkeit des BVerfG II. Antragsberechtigung III.Antragsgegenstand IV.Antragsgrund V. Form und Frist VI.Ergebnis

I.

Formelle Verfassungsmäßigkeit 1. Gesetzgebungskompetenz a. Geschriebene Kompetenzen: Art. 70 ff. GG b. Ungeschriebene Kompetenzen

B. Begründetheit

2. Gesetzgebungsverfahren, Art. 76 ff. GG

II. Materielle Verfassungsmäßigkeit Gesetz darf inhaltlich nicht gegen Bestimmungen des Grundgesetzes verstoßen

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AG Staatsorganisationsrecht – Fall 2

A. Zulässigkeit B. Begründetheit

Obersatz: Damit das Gesetz formell verfassungsmäßig ist, müsste die Gesetzgebungskompetenz gegeben sein und das Gesetzgebungsverfahren eingehalten worden sein.

I. Formelle Verfassungsmäßigkeit

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AG Staatsorganisationsrecht – Fall 2

Grundsatz des Art. 30, 70 I GG A. Zulässigkeit

Länder haben das Recht zur Gesetzgebung, soweit das GG nicht dem Bund Gesetzgebungsbefugnisse verleiht

B. Begründetheit I. Formelle Verfassungsmäßigkeit 1. Gesetzgebungskompetenz

1. Spezielle Kompetenzgrundlagen des Bundes a) Art. 71-74 GG

 ausschließliche Gesetzgebung, Art. 71, 73 GG  konkurrierende Gesetzgebung, Art. 72, 74 GG

b) Weitere wie Art. 4 Abs. 3, 21 Abs. 3, 38 Abs. 3 GG

2. Ungeschriebene Kompetenzen  kraft Natur der Sache: Materie kann begriffsnotwendig nur durch Bundesgesetz geregelt werden (bspw. Nationalfeiertag)  kraft Sachzusammenhangs und Annexkompetenz: Materie kann verständigerweise nicht geregelt werden, ohne dass zugleich eine nicht ausdrücklich zugewiesene andere Materie geregelt wird 12.11.2013

3. Hier: Art. 38 Abs. 3 GG

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AG Staatsorganisationsrecht – Fall 2

A. Zulässigkeit B. Begründetheit

Von der Beachtung der Vorschriften des Gesetzgebungsverfahrens ist mangels entgegenstehender Angaben im Sachverhalt auszugehen.

I. Formelle Verfassungsmäßigkeit 1. Gesetzgebungskompetenz 2. Gesetzgebungsverfahren

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Obersatz: Damit das Gesetz materiell verfassungsmäßig ist, dürfte § 6 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 BWG inhaltlich nicht gegen Bestimmungen des Grundgesetzes verstoßen.

A. Zulässigkeit B. Begründetheit I. Formelle Verfassungsmäßigkeit 1. Gesetzgebungskompetenz 2. Gesetzgebungsverfahren

§ 6 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 BWG könnte vorliegend verstoßen gegen

II. Materielle Verfassungsmäßigkeit



den Grundsatz der Wahlgleichheit (Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG) und



den Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien (Art. 23, Art. 3 Abs. 1 GG)

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a)

Anwendungsbereich

A. Zulässigkeit B. Begründetheit I. Formelle Verfassungsmäßigkeit 1. Gesetzgebungskompetenz 2. Gesetzgebungsverfahren II. Materielle Verfassungsmäßigkeit

Obersatz: Es müsste der Anwendungsbereich des Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG eröffnet sein. Es ist zunächst zu klären, was unter der „Gleichheit der Wahl“ zu verstehen ist.  Zählwertgleichheit (s.o.)  Erfolgswertgleichheit (s.o.)

1. Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG a) Anwendungsbereich

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b)

Eingriff in die Erfolgswertgleichheit (Verletzung)

A. Zulässigkeit

Obersatz: § 6 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 BWG könnte in den Anwendungsbereich der Gleichheit der Wahl eingreifen.

B. Begründetheit I. Formelle Verfassungsmäßigkeit 1. Gesetzgebungskompetenz 2. Gesetzgebungsverfahren



durch 5 %-Klausel bleiben alle Wählerstimmen, die auf die Parteien entfallen, die weniger als 5 % der Stimmen für sich gewinnen könnten, unberücksichtigt



es werden zahlreiche Wählerstimmen bei der Umrechnung in Parlamentssitze nicht berücksichtigt



damit: Eingriff in die Wahlrechtsgleichheit durch Verletzung der Erfolgswertgleichheit



dies stellt eine Ungleichbehandlung im Verhältnis zu den Stimmen dar, die für Parteien abgegeben wurden, die bei der Sitzverteilung berücksichtigt wurden.

II. Materielle Verfassungsmäßigkeit 1. Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG a) Anwendungsbereich b) Eingriff

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c)

Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

A. Zulässigkeit B. Begründetheit I. Formelle Verfassungsmäßigkeit 1. Gesetzgebungskompetenz 2. Gesetzgebungsverfahren

Obersatz: Der Eingriff in die Wahlrechtsgleichheit könnte jedoch gerechtfertigt sein. Dazu müsste eine Durchbrechung des Wahlrechtsgleichheitssatzes möglich sein.

II. Materielle Verfassungsmäßigkeit 1. Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG a) Anwendungsbereich b) Eingriff c) Rechtfertigung

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aa) Grundsätzliche Möglichkeit einer Durchbrechung der Wahlgleichheit

A. Zulässigkeit B. Begründetheit I. Formelle Verfassungsmäßigkeit 1. Gesetzgebungskompetenz 2. Gesetzgebungsverfahren



eine ausdrückliche Ausnahme ergibt sich weder aus Art. 38 GG noch aus anderen Verfassungsbestimmungen



daher Ermittlung durch Auslegung

II. Materielle Verfassungsmäßigkeit 1. Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG a) Anwendungsbereich b) Eingriff c) Rechtfertigung aa) Grundsätzliche Möglichkeit einer Durchbrechung der Wahlgleichheit

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Auslegung A. Zulässigkeit B. Begründetheit



I. Formelle Verfassungsmäßigkeit 1. Gesetzgebungskompetenz 2. Gesetzgebungsverfahren

Vergleich mit Mehrheitswahlrecht •

dort viel größere Ungleichheiten, da im Extremfall bis zu 49,9 % der Stimmen „erfolglos“ sein können



ein solcher „a maiore ad minus“-Schluss jedoch unzulässig, da jedes Wahlsystem isoliert betrachtet werden muss

II. Materielle Verfassungsmäßigkeit 1. Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG a) Anwendungsbereich b) Eingriff c) Rechtfertigung aa) Grundsätzliche Möglichkeit einer Durchbrechung der Wahlgleichheit

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Rechtfertigung aus personalisiertem Verhältniswahlrecht selbst •

e.A.: streng formale Behandlung der Wahlrechtsgleichheit und daher grds. keine Durchbrechung möglich



a.A.: Vergleich der Wahlrechtsgleichheit mit dem allgemeinen Gleichheitssatz der Bürger (Art. 3 Abs. 1 GG) und Durchbrechung möglich bei Vorliegen eines vernünftigen, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst irgendwie einleuchtenden Grunds



a.A.: kein Rückgriff auf Art. 3 Abs. 1 GG, da Strukturunterschiede zum Wahlgleichheitsgrundsatz; jedoch folgt aus Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG kein absolutes Differenzierungsverbot und Eingriffe sind aus „zwingenden Gründen“ möglich 24

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Auslegung A. Zulässigkeit



B. Begründetheit I. Formelle Verfassungsmäßigkeit 1. Gesetzgebungskompetenz 2. Gesetzgebungsverfahren

Gründe, die für die dritte Ansicht sprechen •

kein Vorrang eines einzelnen Verfassungsartikels und einzelne Artikel sind im Licht aller übrigen Artikel auszulegen



zudem kein Vergleich mit Art. 3 Abs. 1 GG wegen Strukturunterschieden: Art. 3 Abs. 1 GG sieht selbst Ausnahmen vor und Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG ist stärker formalisiert



Ergebnis: Durchbrechung der Wahlrechtsgleichheit aus zwingenden Gründen gerechtfertigt

II. Materielle Verfassungsmäßigkeit 1. Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG a) Anwendungsbereich b) Eingriff c) Rechtfertigung aa) Grundsätzliche Möglichkeit einer Durchbrechung der Wahlgleichheit

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bb) Durchbrechung aus zwingenden Gründen A. Zulässigkeit B. Begründetheit



I. Formelle Verfassungsmäßigkeit 1. Gesetzgebungskompetenz 2. Gesetzgebungsverfahren II. Materielle Verfassungsmäßigkeit 1. Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG a) Anwendungsbereich b) Eingriff c) Rechtfertigung aa) Grundsätzliche Möglichkeit einer Durchbrechung der Wahlgleichheit bb) Durchbrechung aus zwingenden Gründen

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Definition der „zwingenden Gründe“ •

„zwingende Gründe“ ergeben sich aus einer Gesamtschau des GG



in Art. 3 Abs. 2 und 3, Art. 21 Abs. 2 GG genannte Punkte keine „zwingenden Gründe“ im Verständnis des Art. 38 GG



Wahrung der Funktionsfähigkeit des Parlaments als zwingender Grund, um regierungsfähige Mehrheiten bilden zu können

Verhältnismäßigkeit der 5 %-Klausel als das zur Erreichung der zwingenden Gründe eingesetzte Mittel •

das zur Erreichung der zwingenden Gründe eingesetzte Mittel muss geeignet, erforderlich und angemessen sein.



legitimes Ziel: Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Bundestags



Geeignetheit (+)

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Erforderlichkeit: es darf kein milderes, genauso wirksames Mittel geben o Mittel wie Unterschriftenquoren sind nicht genauso wirksam o weitere Mittel greifen der Wählerentscheidung vor und sind damit nicht milder o Höhe der Zugangshürde liegt in der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers (ein gerichtlicher Eingriff würde gegen das Gewaltenteilungsprinzip verstoßen) o hier: Erforderlichkeit (+)



Angemessenheit: Abwägung zwischen der vorgenommenen Belastung (Eingriff in Erfolgswertgleichheit) und dem bezweckten Erfolg (Funktionsfähigkeit des Parlaments)

A. Zulässigkeit B. Begründetheit I. Formelle Verfassungsmäßigkeit 1. Gesetzgebungskompetenz 2. Gesetzgebungsverfahren II. Materielle Verfassungsmäßigkeit 1. Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG a) Anwendungsbereich b) Eingriff c) Rechtfertigung aa) Grundsätzliche Möglichkeit einer Durchbrechung der Wahlgleichheit bb) Durchbrechung aus zwingenden Gründen

o überragende Bedeutung der Funktionsfähigkeit für Zusammenleben in Gesellschaft o damit keine völlig unangemessene Benachteiligung der Wähler, die ihre Stimme einer Partei gegeben haben, die an der 5 %-Hürde scheitert

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a)

Anwendungsbereich

A. Zulässigkeit B. Begründetheit

Obersatz: Es müsste der Anwendungsbereich des Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG eröffnet sein.

I. Formelle Verfassungsmäßigkeit 1. Gesetzgebungskompetenz 2. Gesetzgebungsverfahren



Garantie der Freiheit der Parteigründung •

daraus folgt die Anerkennung des Mehrparteiensystems und damit die Freiheit der Betätigung als Partei, insb. auch die Freiheit zur Mitwirkung an Wahlen



daraus folgt eine Chancengleichheit der Parteien (diese ergibt sich auch aus der demokratischen Gleichheit)

II. Materielle Verfassungsmäßigkeit 1. Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG a) Anwendungsbereich b) Eingriff c) Rechtfertigung aa) Grundsätzliche Möglichkeit einer Durchbrechung der Wahlgleichheit bb) Durchbrechung aus zwingenden Gründen 2. Art. 21, Art. 3 Abs. 1 GG

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b)

Eingriff

5 %-Klausel beeinträchtigt Chancengleichheit politischer Parteien.

c)

Rechtfertigung

Sperrklausel gerechtfertigt, da sie verhältnismäßig zur Erreichung des zwingenden Grundes der Funktionsfähigkeit des Parlaments 28 eingesetzt wurde (s.o.).

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Endergebnis A. Zulässigkeit B. Begründetheit I. Formelle Verfassungsmäßigkeit 1. Gesetzgebungskompetenz 2. Gesetzgebungsverfahren

§ 6 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 BWG ist formell und materiell verfassungsmäßig. Die abstrakte Normenkontrolle wäre daher zulässig, jedoch unbegründet.

II. Materielle Verfassungsmäßigkeit 1. Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG a) Anwendungsbereich b) Eingriff c) Rechtfertigung aa) Grundsätzliche Möglichkeit einer Durchbrechung der Wahlgleichheit bb) Durchbrechung aus zwingenden Gründen 2. Art. 21, Art. 3 Abs. 1 GG C. Endergebnis 12.11.2013

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