Das Konzept der Visionssuche

Prof. Dr. Sabine Bobert Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Theologische Fakultät Sommersemester 2013 Das Konzept der „Visionssuche“ Jasmin Do...
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Prof. Dr. Sabine Bobert Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Theologische Fakultät

Sommersemester 2013

Das Konzept der „Visionssuche“

Jasmin Donath Sören 22 24148 Kiel Evangelische Theologie, Kirchliches Examen 9. Fachsemester Telefon: 0431/2208816 E-Mail: [email protected]

Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung ..................................................................................................... 1 2. Entwicklung ................................................................................................. 1 2.1. Die Anfänge der „Visionssuche“ .............................................................. 1 2.2. Ökumenische Dimension .......................................................................... 2 2.3. Interview mit Ludger Nikorowitsch.......................................................... 3 3. Ablauf der „Visionssuche“........................................................................... 6 4. Erwartungen und Erfahrungen Teilnehmender ............................................ 8 4.1. Eigene Erwartungen und Erfahrungen ...................................................... 8 4.2. Erwartungen und Erfahrungen von Visionssuchen-Teilnehmern ........... 10 5. Die seelsorgerliche Dimension der „Visionssuche“ .................................. 12 6. Fazit............................................................................................................ 14 7. Literaturverzeichnis.................................................................................... 16 Anhang 1: Interview mit Ludger Nikorowitsch Anhang 2: Erfahrungsbericht 1 Anhang 3: Erfahrungsbericht 2 Anhang 4: Interview mit Wolfgang Pjede

1. Einleitung Die Menschen der Postmoderne suchen zunehmend wieder eigene religiöse Erfahrungen und gelebte Spiritualität, nur wird diese Anfrage von der evangelischen Kirche kaum beantwortet. Vor einigen Jahren wurde dieses Defizit aber wahrgenommen und das Ritual der christlichen „Visionssuche“1 entwickelt, bei dem die Teilnehmenden in der Natur durch das unmittelbare Erleben von Gottes Schöpfung mit sich selbst und mit Gott in Verbindung treten. Was genau darunter zu verstehen ist und auf welchen Grundlagen diese christliche „Visionssuche“ entwickelt wurde, wie der Ablauf des Rituals sich gestaltet und welche Erfahrungen Teilnehmende machten, werde ich im Folgenden darstellen. Im Zusammenhang mit dem letztgenannten Punkt werde ich zudem meine eigenen Erfahrungen reflektieren, die ich mit einer kleineren Form dieses Konzepts im Rahmen eines Seminars unter dem Titel „Transformation: Erfahrungen, die verändern“, gemacht habe. Abschließend betrachte ich, inwiefern auch eine seelsorgerliche Dimension im Konzept der „Visionssuche“ liegt.

2. Entwicklung 2.1. Die Anfänge der „Visionssuche“ In einer Studie wurde nachgewiesen, dass die Natur bereits für viele Männer einen religiöser Erfahrungsraum darstellt.2 Auch in seiner langjährigen Arbeit beim Nordelbischen Männerforum hat der Diakon, Diplom-Sozialpädagoge und Wildnispädagoge Volker Karl Lindenberg vielfach den Wunsch nach eigenem spirituellem Erleben in unmittelbarer Verbindung mit der Natur erlebt, gleichzeitig aber auch gesehen, dass Konzepte, die diese Erfahrungen und Erwartungen aufnehmen, der evangelischen Kirche fehlen.

1

Die Visionssuche geht ursprünglich u. a. auf eine Tradition der Sioux-Lakota-Indianer zurück, aber ebenfalls im europäischen Kulturraum und bei den Wüstenvätern war das Fasten und der Rückzug in die Natur eine gängige Praxis. Der Begriff „Visionssuche“, der für die moderne Form dieses Rituals verwendet wird, wurde adaptiert aus Ermangelung einer geeigneteren, spezifisch christlichen/evangelischen Bezeichnung. Zur Geschichte der Visionssuche: vgl. Förderverein des deutschsprachigen Visionssucheleiter/innern-Netzwerkes, Die Visionssuche. Geschichte (WWW-Dokument, http://www.visionssuche.net/index. php?a=geschichte), abgerufen am 13.02.2013. Zurzeit wird über die Benennung weiterhin diskutiert, um zu einem eigenen, der Sache angemessenen Namen zu gelangen. 2 Vgl. Engelbrecht, Martin; Rosowski, Martin, Was Männern Sinn gibt. Leben zwischen Welt und Gegenwelt. Mit einem Geleitwort von Christoph Bochinger und einem theologischen Ausblick von Paul M. Zulehner, Stuttgart 2007, 85 f.; 141.

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Daraufhin hat er zuerst allein, später dann mit dem Pastor und Krankenhausseelsorger Diplomtheologen

Wolfgang

Ludger

Pjede

Nikorowitsch,

und das

dem

Ritual

der

katholischen christlichen

„Visionssuche“ entwickelt, oder eigener Aussage nach neu belebt. Als Urtyp dieses Rituals wird Jesu Versuchungsgeschichte (Mt 4,1-11) und sein 40tägiger Rückzug in die Einsamkeit der Wüste genannt. Daneben spielten die Erfahrungen der Wüstenväter und Einsiedler eine wichtige Rolle bei der Konzeptentwicklung. Den Initiatoren war es wichtig darauf hinzuweisen, dass es sich bei der „Visionssuche“ nicht um etwas Fremdes, Adaptiertes handelt, sondern dass es ein Ritual ist, dessen Ursprünge in der christlichen und biblischen Tradition selbst liegen. Dabei sollte jedoch ebenfalls den sogenannten „Sinnsuchenden“, Menschen die sich von der Kirche entfernt haben, die aber trotzdem einen spirituellen Weg beschreiten möchten, wieder ein Weg innerhalb der christlichen Kirche eröffnet werden, sodass auch diese sich und ihr Anliegen darin finden können.3 2.2. Ökumenische Dimension Die „Visionssuche“ war anfänglich ausschließlich ein Angebot des Nordelbischen Männerforums. Über die bereits bestehende ökumenische Zusammenarbeit mit der Männerseelsorge des Erzbistums Hamburg ist Ludger Nikorowitsch auf die „Visionssuche“ aufmerksam geworden und hat daraufhin angefangen, sich an der Arbeit in diesem Bereich zu beteiligen. Er ist katholischer Diplomtheologe und Fachreferent Männerseelsorge im Erzbistum Hamburg. Seine eigene Visionssuchenerfahrung und die Ausbildung zum Visionssuchenanleiter hat er unter Volker Karl Lindenberg beim Nordelbischen Männerforum gemacht. Seit 2011 bildet er gemeinsam mit diesem weitere Anleiter für die Visionssuche aus. Ich führte mit Ludger Nikorowitsch ein Interview zu den Themen, was ihn am Angebot der „Visionssuche“ angesprochen hat, inwieweit er als Theologe Impulse aus seinem katholischen Kontext bei der gemeinsamen Arbeit einbringen konnte und wo die „Visionssuche“ einerseits Anknüpfungspunkte an traditionelle katholische Kirchenvorstellungen und Frömmigkeitsformen aufweist, diese andererseits aber auch übersteigt. Im folgenden Abschnitt folgt 3

Vgl. Lindenberg, Volker Karl, Allein in der Wildnis. Im Dialog mit der Schöpfung auf Visionssuche, in: PGP 65 (2012), 29-32.

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eine auf die meines Erachtens nach zentralen Aussagen gekürzte Fassung dieses Interviews.4 2.3. Interview mit Ludger Nikorowitsch JD: Was hat dich an der „Visionssuche“ angesprochen und was ist für dich das Andere bzw. Besondere daran? Wo hast du aber auch Bekanntes in diesem Konzept wiedererkennen können?

LN: Das ist ein großes Feld. Als ich „Visionssuche“ kennengelernt habe und das erste Mal etwas darüber gelesen habe in einem Flyer des nordelbischen Männerforums. Da merkte ich auf jeden Fall, das ist genau das, was ich im Augenblick suche, mit allem Respekt davor und auch all dem Unbekannten. Aber gleichzeitig gab es auch viel Vertrautes. Das Vertraute ergab sich besonders um die Stichworte Natur, Schöpfung, Mann-Sein, Ritual. […] Es ist ein Weg der Suche mit den klassischen Stationen von Trennung, Schwellenzeit, Wandlung, Neuwerdung und Rückbindung in den Alltag. Das waren […] vertraute Prozesse aus dem ganzen kirchlich-rituellen Bereich, wo diese ja eher in konzentrierterer Form Grundlagen von Liturgie und Ritus sind. […] Ein anderer Anknüpfungspunkt war, ohne, dass das Wort explizit fiel - außer in einem Visionssuchenvorbereitungsbrief - die Rede von einer besonderen Form von Exerzitien. Das ist natürlich etwas, das im katholischen Bereich, zurückgehend eigentlich auf Ignatius von Loyola5, wiederum eine sehr vertraute Form der ganzheitlichen Einübung mit Körper, Geist und Seele, aber auch immer des Experiments gewesen ist. […] Das ist für mich nach meiner eigenen Teilnahme und als ich dann sogar selbst in die Ausbildung und Begleitung gegangen bin, immer deutlicher geworden, dass es hierbei schon auch um eine wirklich grundlegende Form eines Exerzitiums geht. […] Es ist in dem Sinne eine sehr grundlegend katholische Form, nicht römischkatholisch, sondern eine katholische Form des Umfassenden und des originär 4

Das komplette Interview befindet sich unter Anhang 1. Ich fertigte den Text auf Grundlage einer Aufnahme von einem Diktiergerät an, die ich ausschließlich auf sprachlicher Ebene geringfügig bereinigt habe, um einen besser lesbaren Text zu erhalten. 5 Er lebte von 1491-1556, war Mitbegründer des Jesuitenordens und Mystiker. Alle Angaben zu den im Interview erwähnten Personen habe ich der folgenden Internetseite entnehmen können, wo viele über die hier genannten Grunddaten hinausgehende Informationen zu finden sind: http://www.heiligenlexikon.de/.

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Christlichen, weil es sehr gut einen Wandlungsprozess beschreibt. […] Es ist ein typischer Weg, wenn es irgendeine Art von Erschütterung, Fall oder Krise im Leben gegeben hat und das ist ja das, was wir Menschen sehr vielfältig in unterschiedlichster Weise erleben. Dann kommt das Gefühl, jetzt ist etwas dran. Es geht so nicht weiter, wie es jetzt ist. […] Und plötzlich rücken auch viele Geschichten, die man aus Hagiographien kennt, in einen anderen Blickwinkel, wo man teilweise denkt, was das für merkwürdige Dinge sind, die die Leute da angeblich gehört und gesehen haben wollen. Wenn man das Überzogene und Idealisierte weglässt oder besser gesagt ausblendet, dann merkt man, dass über die Form der „Visionssuche“ wieder ein dort Beschriebener sehr ähnlicher und naturnaher Weg betreten wird. […] Das ist nicht nur irgendeine Form, die den besonders Auserwählten vorbehalten ist, sondern hier passieren Dinge, die sich fast natürlich unter dem Ritual des Fastens und des In-die-Natur-Gehens ergeben können. […]

JD: Du hast die „Visionssuche“ als ein Angebot des nordelbischen Männerforums kennengelernt. Was konntest du deiner Meinung nach von deinem katholischen Standpunkt aus an Impulsen bei der gemeinsamen Arbeit mit der „Visionssuche“ einbringen?

LN: Ich glaube, etwas was mehr in der katholischen Tradition liegt, ist die Geschichte des Mönchtums. Die spielt im Protestantismus nicht eine solche Rolle, vielleicht ja auch aufgrund der Absetzungsbewegung des Mönches Luther. Für mich war auch immer die Geschichte der Wüstenväter ganz selbstverständlich, die ja eine ganz eigene Form naturnaher Spiritualität gelebt haben und das in einer sehr wortkargen Frömmigkeit. […] Dann war auch die weitere Mönchsbewegung unter Benedikt von Nursia6 bedeutend. […] Zwar weiß man über Benedikt im Endeffekt nur sehr wenig. Aber gerade die Legenden haben sich gehalten und spielen eine ganz wichtige Rolle, wie die über den Raben an seiner Seite. […] Die in diesen erhaltenen Legenden gezeigte Verbundenheit mit den Tieren drückt Schutz, aber auch Klarheit aus und verweist dazu auf die Möglichkeit einer Kommunikation über das gesprochene Wort hinaus. 6

Er lebte von ca. 480-547, war Einsiedler, begründete das benediktinische Mönchtum und verfasste dessen Ordensregel, die Regula Benedicti.

-4-

Eine weitere wichtige Person wäre dann Franz von Assisi.7 Er hat eigentlich auch

verschiedene

Formen

der

Visionssuche

durchlebt.

[…]

Seine

Einsiedeleien sind bis heute ganz stark aufgesuchte Orte, weil hier das Zurückgehen unter die Erde, in die Verbundenheit mit ihr und ihren Tiefen, gleichzeitig aber dabei auch die Wärme der Sonne und des Ackers und die Mitgeschöpfe zu spüren, eine ganz wichtige Rolle spielen. Ich glaube, das Kennen und Verbundensein mit dieser Tradition, das ist in unsere gemeinsame Arbeit mit und an der „Visionssuche“ stark eingeflossen, aber mit einer anderen Vererdung und zwar tatsächlich über die selbst gemachte Erfahrung. Damit werden nämlich manche Legenden, die sich zwar sonst nett anhören und meist unter dem Blickwinkel Bewahrung der Schöpfung verstanden werden, in einen ganz anderen Blickwinkel gerückt. […] Der Impuls, der bei Benedikt, Franz von Assisi oder auch Bernhard von Clairvaux8 viel grundlegender ist, ist eigentlich ein anderer. Hier stand immer die Erfahrung des Alleinseins in der Natur nach krisenhaften Erfahrungen im Vordergrund. Und mit dieser Erfahrung ging ein Gestärktwerden, ein Aufbrechen neuer Lebensmöglichkeiten und einer anderen Verbundenheit einher, die eben mehr war als die soziale Verbundenheit, wie die Zugehörigkeit zu einer verfassten Kirche. Was diese Männer vielfach erfahren haben, war immer ein Fremdeln der verfassten Kirchen mit dem, was sie dort gemacht und erlebt haben. Sowohl Benedikt als auch Franz von Assisi mussten sich schon sehr mit der Kirche auseinandersetzen, ehe sie überhaupt anerkannt wurden. Das ist ein Teil, der bis heute geblieben ist. […]

JD: Würdest du also sagen, dass auch heute innerhalb der verfassten Kirche bei all ihrer Offenheit doch eine gewisse Skepsis und Voreingenommenheit gegenüber eurer Arbeit mit der „Visionssuche“ vorhanden ist?

LN: Ein Fremdeln ist in jedem Fall vorhanden. Dazu kommt die Erkenntnis, dass hier etwas geschieht, was sich der normalen Kontrolle einer Organisation entzieht, weil es ganz stark um den Entwicklungs- und Wandlungsweg, den 7

Er lebte von ca. 1181/82-1226 und war Begründer des Franziskanerordens. Er lebte von ca. 1090-1153, war Mystiker, Abt und einer der bedeutendsten Mönche des Zisterzienserordens. 8

-5-

religiösen

Weg

des

Einzelnen,

geht.

Die

vertrauten

Formen

wie

Wortverkündigung und Sakramente, Gemeinschaftsleben und Katechese spielen hier keine so wichtige Rolle. Stattdessen geht es wirklich im Ursinn um eine Form von Glaubenserfahrung, eine grundlegende Erfahrung, die übliche Kategorien sprengt. […] Ich glaube, einem Teil der Menschen bleiben diese Zugänge auch erst einmal fremd. Das war in der Kirchengeschichte schon immer so. […] Ich hatte bei uns allerdings immer das Glück einer Haltung zu begegnen, dass das, was wir da machen, schon gut ist. Insbesondere von außen wird unsere „Visionssuche“ gerade aufgrund der Tatsache, dass sie ein kirchliches Angebot ist, als seriös wahrgenommen. Die Kirche als Anbieter dieses Angebots dient für viele Menschen als Gütesiegel und fördert ihr Vertrauen, auch wenn es sich auf den ersten Blick um etwas Ungewohntes und Neues handelt. Es besteht ein Vertrauen in unsere theologische und geistliche Kompetenz. 3. Ablauf der „Visionssuche“9 Zur „Visionssuche“ gehört deutlich mehr als das eigentliche Ritual, die sogenannte „Schwellenzeit“, bei dem die Teilnehmenden sich fastend drei Tage in die Wildnis Schwedens zurückziehen. Bereits ein halbes Jahr vor dem Antritt der Reise nach Schweden findet ein erstes Treffen zum Kennenlernen der Gruppe statt, die aus maximal acht Teilnehmern besteht und von zwei oder drei Anleitern betreut wird. In dieser Zeit erhalten die Teilnehmer mehrere Briefe, die ihnen helfen sollen, sich individuell auf ihre „Visionssuche“ vorzubereiten. Schon die Entscheidung zur Teilnahme an der „Visionssuche“ ist der Anfang dieses persönlichen Weges und die Reflektion des Auslösers zu dieser Entscheidung ein wichtiger zu bedenkender Punkt. Der Aufenthalt in Schweden selbst dauert zehn Tage. Hiervon dienen die ersten drei Tage der Einstimmung in das Kommende, der Gewöhnung an die Einsamkeit und der Entschleunigung aus Alltag und Zivilisation. Die Teilnehmer werden durch Übungen und Rituale für das Hören auf die Natur 9

Den Ablauf der „Visionssuche“ habe ich aus zwei Quellen zusammengestellt, die sich gegenseitig ergänzen, vgl. Lindenberg, Volker Karl, Allein in der Wildnis. Im Dialog mit der Schöpfung auf Visionssuche, in: PGP 65 (2012), 29-32; Lindenberg, Volker Karl, http://www. schöpfungsspirit. Visionssuche. Der Ablauf, (WWW-Dokument, schoepfungsspirit.de/visionssuche/der-ablauf/), abgerufen am 04.03.2013.

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vorbereitet und suchen sich ihren Platz in der Natur, an dem sie die Tage des Rituals verbringen werden. Außerdem können hier zentrale Themen und Fragen, sofern diese existieren, von den Teilnehmern für ihre Zeit in der Wildnis erspürt werden, was unter anderem auch in seelsorgerlichen Einzelgesprächen geschieht. Mit einer Segenshandlung werden die Teilnehmer dann in die sogenannte „Schwellenzeit“ ausgesendet, die drei Tage und Nächte, die sie allein und fastend in der Wildnis verbringen. Die Teilnehmer überschreiten eine symbolische Schwelle, die sie bei ihrer Rückkehr aus der Wildnis erneut übertreten, was ein Zeichen für Beginn und Ende des Rituals darstellt. Auch am Ende des Rituals werden die Teilnehmer wieder mit einem Segensritual empfangen. Nur das unbedingt Notwendige wie Schlafsack und Regenschutz darf

mitgenommen

werden,

damit

es

nicht

zu

Ablenkungen

vom

Schöpfungsdialog kommen kann. Die Mitnahme eines Tagebuchs hilft dabei, das Erlebte und emotionale Bewegungen festzuhalten, um ihnen auch zu einem späteren Zeitpunkt noch nachspüren zu können. Was genau in der Zeit des Rituals geschieht ist von Teilnehmer zu Teilnehmer so unterschiedlich, dass es kaum zu beschreiben ist außer vom einzelnen Betroffenen. Der Dialog mit der Schöpfung vollzieht sich absolut individuell und kann von kleinen, nahezu banalen Erlebnissen bis hin zum Gefühl einer regelrechten Gottesbegegnung reichen, die dann auch nur individuell gedeutet werden können. Daher verzichte ich hier auf eine nähere Ausführung, da ich diese komplexen Erfahrungen nicht adäquat mit meinen Worten wiedergeben könnte und verweise auf die im Anhang befindlichen Erfahrungsberichte, in denen die Teilnehmer ihre Erfahrungen selber in Worte gefasst haben. In den folgenden drei Tagen nach der Rückkehr aus der Zeit in der Wildnis haben die Teilnehmer Zeit sich über ihre Erfahrungen auszutauschen, sich zu erholen und sich auf das Zurückkommen in den Alltag vorzubereiten. Die Zeit dient dazu, das in der Natur Erfahrene fruchtbar zu machen und etwaige Konsequenzen für das Leben im Alltag daraus zu ziehen. Es muss allerdings nicht zwangsläufig ein bestimmter „Ertrag“ aus dem Ritual resultieren und oft dauert es eine viel längere Zeit, bis manches des Erlebten begriffen und gedeutet werden kann.

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4. Erwartungen und Erfahrungen Teilnehmender Die Motive zur Teilnahme an der „Visionssuche“ sind vielfältig und die Erfahrungen, die die Teilnehmenden während des Rituals machen sehr individuell. Da das eigene Erleben im Mittelpunkt der „Visionssuche“ steht, habe ich mich dazu entschlossen selbst ein Einführungsseminar mit praktischem Teil zu besuchen, um so auch eine eigene Erfahrung mit diesem Konzept machen zu können. Im Folgenden schildere ich zuerst meine eigenen Erwartungen und Erfahrungen bei dieser kleineren Variante. Anschließend betrachte ich exemplarisch auf Grundlage zweier mir zur Verfügung gestellter Erfahrungsberichte10 die Motivationen und das Erleben von Teilnehmenden einer kompletten „Visionssuche“.

4.1. Eigene Erwartungen und Erfahrungen Ich habe mich zu einem Seminar angemeldet, das den Titel „Transformation: Erfahrungen, die verändern“ trägt.11 „Heilende und verändernde Prozesse stehen im Mittelpunkt dieser Veranstaltung. […] Finden Sie heraus, welche Botschaft das, was Sie in die Natur sehen, birgt und wie Sie ihr wahres Herzensanliegen finden können.“12 Ein solches eintägiges Seminar ist natürlich nicht mit dem wesentlich langwierigeren und komplexeren Prozess der „Visionssuche“

vergleichbar.

Da

allerdings

der

gleiche

theologische

Grundgedanke eines Dialogs mit der Schöpfung gegeben ist, betrachte ich es als eine gute Möglichkeit, um zumindest einen kleinen Eindruck von dem dort erlebbaren Erfahrungshorizont zu erhalten. Das Seminar besteht aus einer theoretischen Einführung, der sich ein Teil zur praktischen Anwendung anschließt. Bestimmte Erwartungen an das Seminar habe ich nicht, sondern lasse mich überraschen von dem, was mich dort erwartet.

Im Folgenden schildere ich den Verlauf des Seminars und meine persönlichen Eindrücke und Erfahrungen, die ich an diesem Abend machen konnte. Zu 10

Die bereits in Kapitel 3 erwähnten Erfahrungsberichte befinden sich im Anhang, da sie nicht veröffentlicht wurden und somit ihr Inhalt ansonsten nicht überprüfbar bzw. nachvollziehbar wäre. 11 Das Seminar ist ein Angebot des Frauenwerks der Nordkirche und fand am 26.04.2013 unter der Leitung von Julia Lersch und Joerg Urbschat in der Gartenstraße 20 in Kiel statt. Als Referentin fungierte die Psychologin und Visionssuchenleiterin Dr. Daniela Heisig. 12 Vgl. Nordelbisches Frauenwerk-Nordkirche. FrauenSeminare. Transformation: Erfahrungen, die verändern, (WWW-Dokument, http://www.frauenwerk.nordkirche.de/index.php?sp=de&id =frauenseminare&aid=538), abgerufen am 01.03.2013.

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Beginn

des

Seminars

forderte

die

Referentin

Dr.

Daniela

Heisig,

Diplompsychologin und Visionssuchenleiterin, die Teilnehmer auf, sich aus einem Kreis mit verschiedenen Gegenständen aus der Natur einen dieser Gegenstände auszuwählen, welcher ein Symbol für die eigene gegenwärtige Situation darstellen sollte. Anschließend stellte sich jeder Teilnehmer mit einer kurzen Erklärung seiner Wahl in der Runde vor, um dann in einem vertiefenden Zweiergespräch den Grund des Kommens zu diesem Seminar zu thematisieren und auch von diesem Blickwinkel aus mögliche Verbindungen zu dem gewählten Symbol zu ziehen. Der Gegenstand, den ich ausgewählt hatte, war eine noch geschlossene Blütenknospe. Diese symbolisierte für mich meine Situation, insofern ich mich meinem Gefühl nach momentan ebenfalls kurz vor einem Aufblühen und dem Aufbrechen in einen neuen Lebensabschnitt befinde, aber eben noch nicht ganz dort angelangt bin. Zugleich war dies ein Grund für mich zu diesem Seminar zu kommen, da ich hoffte, hier einen Weg zu finden, der dieses Aufblühen unterstützen könnte. Im Anschluss an dieses erste Kennenlernen folgte eine theoretische Einführung zu den Themen Spiritualität, Lebensübergange und Übergangsrituale. Leider geschah dies ohne eine Verknüpfung mit einer christlichen Perspektive, sodass dieser Teil für mich geringe Relevanz hatte. Nach dieser Einheit kam der eigentlich spannende Teil des Seminars, der der Selbsterfahrung diente. Die Teilnehmer sollten sich eine Frage überlegen, die sie momentan bewegt. Daraufhin sollte sich jeder eine symbolische Schwelle suchen, die er bzw. sie bewusst übertreten sollte, um von dort aus den Weg in den Dialog mit der Natur zu betreten und in ihr Antworten auf die gestellte Frage zu finden. Bei der Rückkehr sollte die gleiche Schwelle übertreten werden, um bewusst den Erfahrungsraum Natur wieder zu verlassen. Die Frage, die ich mir stellte, war: Wie kann ich eine allgemein positivere Lebenseinstellung einnehmen, um mir nicht selbst oft im Weg zu stehen und leichter verwirklichen zu können, was ich mir vornehme und wünsche? Als Schwelle wählte ich mir die Ausgangstür des Gebäudes, ohne einen bewussten Grund dafür nennen zu können. Gleich beim Hinaustreten in die Kälte und den Regen, die an diesem Tag herrschten, empfand ich schon wieder eine Hemmung. Wie sollte mir an einem solch grauen und tristen Tag etwas begegnen, das mir den Weg zu einer positiveren Lebenseinstellung eröffnen -9-

könnte? Zuerst wanderte ich ziellos herum, bis mir der Duft von Blüten in die Nase stieg. Ich stand vor einem Baum - eine japanische Zierkirsche, die über und über mit kleinen rosa Blüten bedeckt war. Gleichzeitig lagen schon Unmengen der kleinen rosa Blütenblätter zertreten am Boden. Der Anblick dieses Baums fesselte mich. Er steht nur ganz kurz in Blüte, um diese ganze Pracht fast sofort wieder zu verlieren, die dann am Boden liegt und vergeht. Aber die Blüte ist nur der Beginn, denn dann folgt das Wachstum der grünen Blätter. Diesen Baum wollte ich mir zum Vorbild nehmen. Auch wenn die schönsten Dinge nur von kurzer Dauer sein mögen, will ich sie doch mit aller Freude annehmen und erleben. Denn auch nach ihrem Vergehen ist nicht alles einfach vorüber, sondern hier beginnt etwas Neues, das auf eigene Art wiederum schön sein kann. Man muss die Schönheit in ihren verschiedenen Facetten nur wahrnehmen. Nach einiger Zeit kehrte ich von „meinem“ Baum zurück und trat über die Schwelle. Zum Abschluss des Abends erzählten alle Teilnehmer ihre Geschichte. Dieser Abend war trotz der für mich persönlich fehlenden Verknüpfung mit christlichen Inhalten eine sehr interessante Erfahrung. Ich wurde zu einer schärferen Wahrnehmung meiner Umwelt animiert, die mir eine Schönheit in ganz alltäglichen Dingen offenbart hat. Meine Empfindungen lassen sich schwer in Worte fassen. Ich fühlte mich in der Zeit, die ich draußen in der Natur verbracht habe, sehr nah und verbunden mit allem, was mir auf meinem Weg begegnet ist. Ich nahm mich als Teil der Welt, der Schöpfung, um mich herum wahr und fühlte mich gleichzeitig in ihr von etwas Größerem, das ich persönlich als Gott benennen würde, gehalten. Das war ein sehr schönes Gefühl.

4.2. Erwartungen und Erfahrungen von Visionssuchen-Teilnehmern Die Entscheidung zur Teilnahme an einer „Visionssuche“ wird von vielen Fragen begleitet. Was ist das eigentlich, ist es der richtige Weg für mich und was erwarte ich mir davon? Daneben steht aber zugleich die Neugier auf das ganz andere, den Austritt aus dem Alltag und das Eingehen eines Dialogs mit sich selbst und Gott durch das unmittelbare Erleben seiner selbst als Teil der

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Schöpfung. Die Offenheit sich auf das einzulassen, was einen dort erwarten kann, ist dabei eine wichtige Voraussetzung. So

verschieden

die

persönlichen

und

beruflichen

Hintergründe

der

Teilnehmenden sind, so verschieden sind auch ihre Erwartungen an die „Visionssuche“. Dies kann sich äußern in dem nicht näher definierten Wunsch „Gott Zeit und Raum zu geben, um mit meiner wachen Seele ins Gespräch zu kommen“13. Es können aber auch klarer umrissene Vorstellungen vorhanden sein, einen ungetrübten Blick auf das bisherige Leben werfen zu wollen, um so Entscheidungen für dessen weiteren Verlauf treffen zu können, bis hin zur konkreten Frage nach dem richtigen Energieeinsatz für die verschiedenen Lebensbereiche.14 Ebenso

unterschiedlich,

wie

die

an

die

„Visionssuche“

gerichteten

Erwartungen sind, gestalten sich die dabei gemachten Erfahrungen und Erlebnisse. Eine entscheidende Gemeinsamkeit gibt es allerdings: durch das Eintauchen in die Wildnis gibt es keine Ablenkungen mehr vom Dialog mit der Schöpfung und sich selbst, die sonst im Alltag die Wahrnehmung trüben und die Konzentration zerstreuen. Es gibt in dieser Zeit nur noch die Natur um einen herum und die eigene Person in dieser, die nun unverstellt und ungestört in den Blick kommen können. Dies kann natürlich zu starken Gefühlsregungen führen. Kleinste Details, wie die Entwicklung einer Larve zur fertigen Libelle werden beobachtet und dieses Naturphänomen wird dann auf die individuelle Lebensgeschichte gedeutet.15 „Meine Zeit in der Einsamkeit war ein vielschichtiges Gespräch meiner Seele, behütet und mir gespiegelt durch Gottes wunderbares grünes Buch.“16 Diese Deutungen des in der Natur Gesehenen können in der Vergangenheit Geschehenes klarer erkennen lassen und dabei helfen, Dinge, die bis zu diesem Zeitpunkt verdrängt wurden, neu anzugehen und zu verarbeiten.17 Andererseits kann eine Naturwahrnehmung, wie der Wuchs eines speziellen Baumes, dessen Lebensweg als eine Darstellung des eigenen Lebensweges verstanden und als Wegweiser für die Gestaltung der Zukunft erlebt wird.18 Die Natur „spricht“

13

Anhang 2, 1. Vgl. Anhang 3, 2. 15 Vgl. Anhang 2, 5. 16 Anhang 2, 9. 17 Vgl. Anhang 2, 6 f. 18 Vgl. Anhang 3, 4 f. 14

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mit den Teilnehmern der „Visionssuche“. In welcher Weise sie diese Botschaft aufnehmen und verstehen, liegt ganz bei ihnen. „Visionssuche bedeutet für mich die Chance, Antworten auf die Grundfragen des Lebens zu erhalten. Es ist ein Klärungsprozess, bei dem ich ganz tief in mich hineinhorche.“19

5. Die seelsorgerliche Dimension der „Visionssuche“ In diesem Abschnitt beschäftige ich mich mit der Frage, ob und inwiefern die „Visionssuche“ eine seelsorgerliche Funktion bzw. Wirkung aufweist. Zu diesem Zweck führte ich ein Interview mit Wolfgang Pjede, einem der Anleiter und Mitentwickler der „Visionssuche“, dessen Ertrag ich hier verarbeite.20 Wolfgang Pjede arbeitet neben seiner hauptberuflichen Tätigkeit als Seelsorger in der Kinder- und Jugendpsychiatrie Hesterberg, Schleswig auch als Visionssuchenanleiter. Er sagt, dass ihm die Erfahrungen, die er als Klinikseelsorger

sammeln

konnte,

bei

seiner

Aufgabe

als

Visionssuchenanleiter sehr zugute kommen, insofern er bei ersterer ein bestimmtes Gespür für die Anfragen seines Gegenübers entwickeln konnte. Seiner Meinung nach ist es die Aufgabe des Seelsorgers den ratsuchenden Menschen, die zu ihm kommen, nicht schon fertige Lösungen zu präsentieren. Vielmehr sollte ihnen geholfen werden, zu einer Standortbestimmung ihrer gegenwärtigen Situation zu gelangen, um ihnen auf diese Weise den Ausgangspunkt zu einer selbstständigen Wegbestimmung oder Lösungsfindung zu eröffnen. Dabei ist wichtig, dass Seelsorge immer nur eine Begleitung auf Zeit sei und der Seelsorger keine fest zu installierende Größe im Leben des Ratsuchenden werden dürfe. Genau diese Aspekte sieht Wolfgang Pjede auch in seiner Tätigkeit als Visionssuchenanleiter gegeben. Auch hier sollen den Teilnehmenden von den Anleitern unter anderem durch die fünf Visionsbriefe in der Vorbereitungszeit vor der Reise nach Schweden und die dort beigebrachten Übungen nur erste Impulse zur Erkenntnis gegeben werden, wo sie sich derzeit im Leben befinden und welche Dinge sie gegenwärtig wirklich bewegen. Das so gewonnene klarere Bild der eigenen Person könne dann als Ausgangspunkt mit in die

19

Anhang 3, 9. Das Interview befindet sich im Anhang 4. Es handelt sich dabei ebenso wie bei dem anderen Interview um eine bereinigte Abschrift, die ich anhand einer Aufnahme von einem Diktiergerät angefertigt habe.

20

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Schwellenzeit genommen werden, wodurch die persönlich wichtigen Fragen in den Fokus dieser Zeit getragen werden könnten. So diene die mithilfe der Anleiter schärfer gewordene Selbstwahrnehmung dazu, die in der Natur gemachten Erfahrungen klarer für sich auf bestimmte bedeutsame Sachverhalte hin deuten zu können, wobei diese Deutung ein individueller Prozess sei und von außen nicht nachvollziehbar sein müsse. Die Erfahrungen, die die Teilnehmenden bei der „Visionssuche“ machen, müssten keine akuten Handlungsimpulse auslösen, sondern würden hingegen oftmals den Beginn eines lang anhaltenden Prozesses darstellen, der für die Gestaltung des individuellen Lebensweges eine große Bedeutung haben könne, ohne dass selbst die betroffene Person zu einer näheren Benennung der auslösenden Erfahrung fähig sein müsse. Mit diesem Verständnis von Seelsorge als Begleitung auf Zeit zur Hilfe der Standortbestimmung

der

ratsuchenden

Person

im

Leben

stelle

die

„Visionssuche“ eindeutig eine Form seelsorgerlicher Arbeit dar. Anders als bei anderen Formen, wie beispielsweise der Krankenhausseelsorge, stehe hier allerdings nicht das Gespräch als Medium im Zentrum. Vielmehr sei die Natur der Rahmen, der den gesamten Prozess der „Visionssuche“ umgebe und anreichernd befülle. Durch den Eintritt in den Dialog mit der Natur, mit der Schöpfung Gottes, erhalte der Teilnehmer durch seine hier gemachten Erfahrungen Deutungsräume für die Bestimmung seines weiteren Weges. Insofern entfalte die „Visionssuche“ eine heilende Wirkung. Somit stelle die „Visionssuche“ auch eine sehr spirituelle Art der Seelsorge dar, wobei sich dies nicht in Form eines traditionell christlichen Symbol- oder Formelgebrauchs zeige, sondern in eher grundlegenderer Art und Weise zu verstehen sei. Aus diesem Grund sei die „Visionssuche“ aber gleichzeitig ein Angebot, welches nicht für alle Menschen der richtige Weg sei, denn nur diejenigen, die die Natur für sich neben den traditionellen spirituellen Erfahrungsräumen wie Kirchen ebenfalls als einen solchen spirituellen Erfahrungsraum ansehen, könnten dem hier möglichen Erlebensspektrum offen entgegentreten. Durch den Eintritt in den Dialog mit der Schöpfung, dieses Sich-der-Natur-Aussetzen, beginne man sich selbst wahrzunehmen als einen Teil dieser großartigen Schöpfung. Man stehe zwar davor, sei aber gleichzeitig

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eingeschlossen und geborgen in dieser allumfassenden Wirklichkeit Gottes. „Diese Erfahrung des Heiligen hat etwas Heilendes.“21

6. Fazit Die „Visionssuche“ ist meiner Meinung nach ein gelungenes Konzept. Der Wunsch vieler Menschen nach eigener spiritueller Erfahrung wird hier wahrgenommen und in einem Angebot der verfassten Kirche aufgenommen. Bei diesem Angebot werden aber keine fremden Traditionen und Rituale adaptiert. Stattdessen ist den Initiatoren der „Visionssuche“ eben gerade die Rückführung auf originär christliche Traditionen wichtig. Jesus Christus selbst mit seiner Versuchungsgeschichte und dem 40-tägigen Rückzug in die Wüste wird als Urbeispiel einer Visionssuche herangezogen und Erfahrungen, wie sie bei den Wüstenvätern beschrieben sind, dienten als Grundlage bei der Entwicklung der „Visionssuche“ als christlichem Ritual. Dieser Rückbezug auf alte christliche Traditionen dient gleichzeitig als Anknüpfungspunkt für eine evangelisch-katholische Zusammenarbeit. Für viele Menschen wirkt die „Visionssuche“ auf den ersten Blick fremd, aber dadurch, dass sie ein kirchliches Angebot ist, wird ihr allein aus diesem Grund schon eine gewisse Seriosität zugesprochen und damit zugleich Vertrauen entgegengebracht. Durch die Andersartigkeit vom gewohnten Angebot der Kirche können darüber hinaus kirchendistanziertere Menschen angesprochen werden und auf diese Weise wieder einen Weg innerhalb der verfassten Kirche für sich finden. Dieser Weg ist jedoch nicht für jeden der Richtige. Menschen, für welche die Natur keinen religiösen Erfahrungsraum darstellt, können dort schwerlich ihnen ihre Lebenswirklichkeit erschließende Erfahrungen oder Bilder finden. Die Menschen, die die „Visionssuche“ für sich aber als eine Möglichkeit zu spirituellem Erleben erfassen, bei denjenigen kann sie eine seelsorgerliche und heilende Wirkung entfalten, indem sie sich bei dem Ritual ganz auf die eigene Person fokussieren und als Teil der Schöpfung in den Dialog mit dieser und darüber mit Gott selbst eintreten. Selbst bei kleineren Formen, wie ich selbst sie in dem Seminar „Transformation: Erfahrungen, die verändern“ erlebt habe, kann sich eine solche Wirkung schon einstellen. Das Ritual der „Visionssuche“ 21

Anhang 4, 3.

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kann in Übergängen und krisenhaften Lebensabschnitten über den Zugang durch die Natur neue Wege eröffnen und in eine lebendige Gottesbeziehung führen.

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7. Literaturverzeichnis Alle Abkürzungen richten sich nach dem Abkürzungsverzeichnis der Theologischen

Realenzyklopädie

(TRE):

Schwertner,

Siegfried

M.,

Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, 2., überarbeitete und erweiterte Auflage, Berlin/New York ²1992.

7.1. Sekundärliteratur Engelbrecht, Martin; Rosowski, Martin, Was Männern Sinn gibt. Leben zwischen Welt und Gegenwelt. Mit einem Geleitwort von Christoph Bochinger und einem theologischen Ausblick von Paul M. Zulehner, Stuttgart 2007.

Lindenberg, Volker Karl, Allein in der Wildnis. Im Dialog mit der Schöpfung auf Visionssuche, in: PGP 65 (2012), 29-32.

7.2. Internetquellen Lindenberg, Volker Karl, schöpfungsspirit. Visionssuche. Der Ablauf, (WWWDokument,

http://www.schoepfungsspirit.de/visionssuche/der-ablauf/),

abgerufen am 04.03.13.

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