Das Harvard-Konzept Der Klassiker der Verhandlungstechnik

Verhandlungstechnik und alternative Streiterledigung Frühjahrssemester 2012 Dr. Peter Liatowitsch, Universität Basel Das Harvard-Konzept – Der Klassi...
Author: Gerburg Michel
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Verhandlungstechnik und alternative Streiterledigung Frühjahrssemester 2012 Dr. Peter Liatowitsch, Universität Basel

Das Harvard-Konzept – Der Klassiker der Verhandlungstechnik ROGER FISHER / WILLIAM URY / BRUCE PATTON Handout zur Präsentation vom 19.03.2012 im Rahmen der Vorlesung „Verhandlungstechnik und alternative Streiterledigung“ (Christopher Bitzer, Léa Gabriel, Angela Obrist, Diego Stoll und Ali Üstündag).

1. Einleitung Verhandlungen sind allgegenwärtiger Begleiter unseres Alltags. Eine gewaltige Anzahl zwischenmenschlicher Interaktionen, unabhängig der sozialen Rolle, in der sich eine Person gerade befindet, können als „Verhandlung“ bezeichnet werden. Ob in der Familie, unter Freunden oder im Geschäftsleben, ob ein Termin zum Abendessen vereinbart wird oder die Folgen einer Scheidung geregelt werden sollen – der Mensch strebt durch die Führung einer Verhandlung immerzu nach einem auf den eigenen Vorteil bedachten Ausgang. „Was des einen Vorteil, ist des anderen Nachteil“. Eine Verhandlung resultiert hiernach regelmässig in einer Win-Lose Situation für die Beteiligten. Einer gewinnt, der Andere verliert. Genau dies stellt jedoch das Problem gängiger Konfliktlösungs- und Verhandlungsstrategien dar. An dieser Schwachstelle setzt die unter dem „Harvard-Konzept“ bekannt gewordene Methode zur Konfliktlösung an: Wie kann man die Herausforderung, eine Übereinkunft zu finden, meistern, ohne einen klassischen Kompromiss einzugehen? Wie kann man eine Win-Win Situation schaffen, d.h. wie können alle an einer Verhandlung beteiligten Parteien zu einer Übereinkunft gelangen, ohne dass eine Partei dabei unterliegt? ROGER FISHER und WILLIAM URY, die Schöpfer des Harvard Konzepts, haben eine Methode entwickelt, bei der man eine Konfliktsituation nicht nur mit einem Win-Win Ergebnis lösen kann, sondern ein solches Ergebnis sogar in angenehmer Atmosphäre erzielt. Die Verhandlungspartner kommen hierbei gleichzeitig zu einem Fortschritt in der Beziehung zueinander und erreichen eine nachhaltige Übereinkunft, die nicht auf Kosten persönlicher Spannungen, hervorgerufen durch die Verhandlungsführung, zustande kommt. Ihre Methode stellt einen Handlungs- und Denkrahmen für Verhandlungen dar, welcher einfach in der Anwendung bleibt und insofern eine praxistaugliche Hilfe für alle Arten von Verhandlungssituationen darstellt.

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2. Das Harvard Konzept Die Verhandlungstechnik des Harvard-Konzepts setzt sich aus vier Kernelementen zusammen, die in Wechselwirkung zueinander stehen und in ihrer Gesamtheit zu einer bestmöglichen Lösung für die an einer Verhandlung beteiligten Parteien führen: Bei der Verhandlungsführung sollte zunächst durchweg sachbezogen argumentiert werden (2.1), d.h. Persönliches und Sachliches bzw. der Mensch und das Problem müssen strikt voneinander getrennt werden. Zudem sollten sich die Verhandlungspartner nicht auf Positionen oder eingenommene Standpunkte versteifen, sondern sich auf die hinter diesen stehenden Interessen konzentrieren (2.2) und anhand dieser eine Vielzahl beidseitig vorteilhafter Lösungsoptionen generieren (2.3), von denen eine unter Anwendung neutraler und objektiver Entscheidungskriterien zur Übereinkunft der Verhandlung wird (2.4). 2.1 Sachbezogen diskutieren – Mensch (Persönliches) und das Problem (Sachliches) getrennt voneinander behandeln Menschen neigen dazu, persönliche Beziehungen mit den anstehenden Problemen zu vermischen und beides „in einen Topf zu werfen“. Dadurch besteht die Gefahr, dass Reaktionen hinsichtlich eines bestimmten Problems als persönlicher Angriff verstanden werden, was die Fronten in einer Verhandlung unnötig verhärten kann. Gelingt es den Verhandlungsparteien jedoch, den Menschen und das Problem getrennt voneinander zu behandeln, sind sie in der Lage, unbelastet an einer Lösung zu arbeiten und die persönliche Beziehung zum Verhandlungspartner nicht zu beeinträchtigen. Darüber hinaus hilft die Trennung von Problem und Mensch, die eigentliche Sachfrage des Problems klar und deutlich herauszuschälen. Nach FISHER und URY stehen dabei drei Schlüsselelemente in Wechselwirkung, um Sachliches und Persönliches erfolgreich voneinander zu trennen: An erster Stelle steht das Bewusstsein, dass Verhandlungsparteien unterschiedliche Wahrnehmungen der Sachlage haben, die dem Problem zugrunde liegt. Die Fähigkeit, sich in die Lage der anderen Partei zu versetzen ist daher elementar, um deren Standpunkt zu verstehen und angemessen reagieren zu können. Nebenbei kann das Verständnis der Gegenseite mitunter auch die eigene Sicht der Dinge vorteilhaft verändern. Zwei Fehler sind hierbei zu vermeiden: Zum einen dürfen die eigenen Befürchtungen nicht kategorisch in sämtliche Handlungen und Äusserungen der Gegenseite hineininterpretiert werden. Denn nicht jede Handlung des Gegenübers verkörpert genau diese Befürchtungen bzw. resultiert daraus. Zum anderen sollte man der Verführung widerstehen, die Gegenseite für die eigenen Probleme verantwortlich zu machen – durch Schuldzuweisungen vermischt man die menschliche und die sachliche Komponente des Problems und fördert einen kontradiktorischen Verhandlungsgang von Angriff und Verteidigung.

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Verhandlungstechnik und alternative Streiterledigung Frühjahrssemester 2012 Dr. Peter Liatowitsch, Universität Basel Wenn man sich die Vorstellungen der anderen Seite klar gemacht hat, sollten diese auch Einfluss in die Diskussion finden und konstruktiv, d.h. neutral und ohne gegenseitige Vorwürfe, angesprochen werden. Es gilt, die unterschiedlichen Wahrnehmungen jeder Seite als Massstab heranzuziehen, um die eigenen Lösungsvorschläge anschliessend an dem Wertesystem der Gegenseite zu messen. Würde man den eigenen Lösungsvorschlag akzeptieren, wenn selbst auf der Gegenseite stünde? An zweiter Stelle steht der Umgang mit Emotionen. Emotionen sind Ausfluss von Gefühlen und daher oftmals Ursache unbequemer Verschlechterungen des Verhandlungsklimas oder gar eines Verhandlungsabbruchs. Angst oder Groll sind nur zu menschlich, wenn die eigenen Interessen gefährdet sind. Daher ist es unerlässlich, Emotionen als solche zu erkennen – nicht nur diejenigen der Gegenseite, sondern auch die eigenen. Hat man sie als solche erkannt, haben sie in der Regel eine Daseinsberechtigung und es ist wichtig, Verständnis für sie zu zeigen. Werden sie hingegen als unvernünftig abgetan, wird damit höchstwahrscheinlich eine noch stärkere emotionale Folgereaktion provoziert. Symbolische Gesten wie Entschuldigungen, Ausdruck eines Bedauerns oder Mitgefühl können hier starke Emotionsausbrüche entschärfen und konstruktive emotionale Wirkungen bei der Gegenseite hervorrufen. FISHER und URY bestehen sogar darauf, Emotionen und ihre Ursachen zum Diskussionsgegenstand zu machen, da dies die Sachlichkeit der Diskussion fördern könne. Schliesslich liegt das dritte Schlüsselelement in einer wirkungsvollen Kommunikation. Dafür ist elementar, dass sich die Parteien tatsächlich und aufmerksam gegenseitig zuhören. Obwohl man aber vermeintlich zuhört, ist man oftmals nicht in der Lage, wiederzugeben, was die Gegenseite gerade vorgebracht hat – eine allzu natürliche Unsitte, gegen die selbstverständlich auch die Gegenseite nicht immun ist. Und selbst wenn die Parteien tatsächlich zuhören, können bei zwischenmenschlicher Kommunikation immer noch Missverständnisse auftreten. Um diesen vorzubeugen, sollte man, wie FISHER und URY es nennen, „aktiv zuhören“. Dem Sprecher ist also nicht nur volle Aufmerksamkeit zu schenken, sondern auch Rückmeldung über das zu geben, was gerade gesagt wurde. Auf diese Weise bestätigt man ihm (und sich selbst), dass die Nachricht richtig verstanden wurde. Für eine faire und für beide Seiten förderliche Lösung ist der Fokus auf die Sachebene und die Bereinigung der persönlichen Differenzen die Grundlage, die Gegenseite als Partner und nicht als Gegner betrachten zu können. Zweifelsohne ist bei dieser Vorgehensweise eine vollständige Trennung der beiden Ebenen nicht konsequent realisierbar. Die Menschen sind als Lebewesen mit all den damit verbunden Inhalten zu verstehen. Der Umgang mit diesen Inhalten wird im nächsten Punkt thematisiert.

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Verhandlungstechnik und alternative Streiterledigung Frühjahrssemester 2012 Dr. Peter Liatowitsch, Universität Basel 2.2 Nicht auf Positionen oder Standpunkte versteifen, sondern auf Interessen konzentrieren Um eine nachhaltige Übereinkunft zu erreichen, sollten die Parteien nicht einfach stur an einmal eingenommenen Positionen festhalten und damit einen Willenskampf entstehen lassen. Vielmehr ist der Fokus ihrer Verhandlung auf die hinter diesen Positionen stehenden Interessen zu legen, mit der Zielsetzung, diese in Einklang zu bringen. Interessen sind Wünsche und Sorgen und die stillen Beweggründe hinter einer eingenommenen Position. Die Position hingegen ist ein nach aussen tretendes, gebündeltes Produkt vielschichtiger bewusster und unbewusster Interessen, zu dem man sich bewusst entschieden hat. Befindet man sich in einer Verhandlung, sind die Positionen der Beteiligten zwangsläufig gegensätzlich und folglich nicht miteinander vereinbar. Lösung dieses Willenskampfes wäre ein Positionenkompromiss. Ein solcher kulminiert aber regelmässig in der gefühlten Niederlage zumindest einer der Parteien. Man kommt zu einer Win-Lose Übereinkunft, bei der diejenige Partei verliert, deren Position weiter vom Kompromiss entfernt ist. Konzentriert man sich hingegen auf den Ausgleich der hinter diesen Positionen stehenden Interessen, wird es in aller Regel mehr gemeinsame und ausgleichbare, als sich widersprechende Interessen geben. Ein Interessenausgleich als Lösung schafft damit eine Win-Win Situation oder zumindest eine vorteilhaftere Übereinkunft als diejenige eines Positionenkompromisses. Der erste Schritt auf dem Weg zu einem Interessenausgleich ist das Herausfinden der Interessen. FISHER und URY geht es darum, sowohl die eigenen Interessen, als auch diejenigen der Gegenseite zu eruieren. Grundtechnik dabei ist, zu hinterfragen, warum eine bestimmte Position eingenommen bzw. warum vertretbare andere Postionen eben nicht eingenommen werden. Hierbei geht es nicht um die Rechtfertigung einer Position, sondern um die Bedürfnisse, Hoffnungen, Ängste und Wünsche, die zur Einnahme dieser Position geführt haben. Nur mit einem Blick hinter die Kulissen des Verhandlungspartners kann man die Vielfalt der involvierten Interessen annähernd abschätzen. Bei diesem grösstenteils hypothetischen Vorgehen gibt es nichtsdestotrotz essentielle Interessen bzw. menschliche Grundbedürfnisse, auf die alle Menschen Wert legen1. Ihre Befriedigung ist fundamental, um bei der Suche nach einem Interessenausgleich in eine partnerschaftliche Atmosphäre zu gelangen. Hat man sich einen Überblick verschafft, muss zusammen mit der Gegenseite über die Interessen gesprochen werden. Um sicher zu gehen, dass die Gegenseite auch tatsächlich auf die eigenen Inter-

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Menschliche Grundbedürfnisse sind bspw. das Interesse an persönlicher und wirtschaftlicher Sicherheit, Zugehörigkeitsgefühl, Anerkennung, Respekt oder Selbstbestimmung – auch wenn es vielmals primär um finanzielle Interessen geht, werden noch so vernünftige Angebote nicht angenommen, wenn diese essentiellen Bedürfnisse durch die Gegenseite nicht gewährleistet werden.

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Verhandlungstechnik und alternative Streiterledigung Frühjahrssemester 2012 Dr. Peter Liatowitsch, Universität Basel essen Rücksicht nehmen kann, sind ihr diese explizit mitzuteilen und konkret zu erläutern. Der gesamte Interessenaustausch sollte dabei zukunftsgerichtet sein und sich nicht auf Interessen beziehen, welche durch vergangene Ereignisse hervorgerufen wurden. Was bisher geschehen ist, gesagt oder getan wurde, muss bei aller Schwierigkeit aussen vor bleiben, denn nur so kann man den Fokus auf die entscheidenden Interessen legen und an einer langfristigen zielorientierten Lösung arbeiten. Die Interessendiskussion ist zentrales Element des Harvard-Konzepts und bildet den Nährboden für die Entwicklung verschiedenartigster und differenzierter Lösungsoptionen. Es ist ratsam, dabei eine „harte Linie“ zu fahren und an seinen legitimen Interessen festzuhalten. Gleichzeitig sollte auf persönlicher Ebene eine „weiche Schiene“ gefahren werden, um das partnerschaftliche Voranschreiten der persönlichen Beziehung zwischen den Beteiligten zu fördern. Diese Kombination regt die Kreativität und den Willen an, erfolgreich nach einer wirkungsvollen und für beide Seiten vorteilhaften Lösung zu suchen. Wie sich diese Suche im Detail gestaltet wird im nächsten Punkt näher erläutert. 2.3 Lösungsoptionen generieren Eine Win-Win Übereinkunft lässt sich nur erzielen, wenn den Parteien eine möglichst grosse Anzahl attraktiver Lösungsoptionen zur Auswahl steht. Es geht darum, auf phantasievolle Weise einen Ausgleich der Interessen zu schaffen. Kreativität ist hier der Schlüssel zum Erfolg, wobei folgende Fehleinschätzungen zu vermeiden sind: Zunächst laufen Verhandlungspartner Gefahr, durch ein vorschnelles kritisches Urteil über die Lösungsoptionen der Gegenseite deren Erfindungsgeist und Kreativität zu hemmen. Die Gegenpartei verliert dadurch vorzeitig die Lust und Motivation, an weiteren Lösungsoptionen zu arbeiten. Hier kann es hilfreich sein, den Prozess der Entwicklung von Lösungsoptionen von der kritischen Beurteilung zu trennen. Erst erfinden, dann entscheiden. Das nächste Hindernis besteht darin, dass sich die Verhandlungspartner auf die Suche nach „der“ richtigen Lösung begeben und damit vorschnell eine Einengung des kreativen Prozesses bewirken. Dieser Vorgang der Suche nach der berühmten Nadel im Heuhaufen ist abzulehnen. Vielmehr sollte Ziel sein, die Anzahl möglicher Lösungsoptionen stets zu vergrössern – das steigert die Kreativität. Neben der Suche nach dauerhaften, umfassenden oder bedingungslosen Lösungsoptionen kann auch nach vorläufigen, partiellen oder bedingten Alternativen gesucht werden. Darüber hinaus können Verhandlungsgegenstände in kleine und dadurch vielleicht leichter verhandelbare Einheiten aufgespalten werden, um Teillösungen zu erzielen.

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Verhandlungstechnik und alternative Streiterledigung Frühjahrssemester 2012 Dr. Peter Liatowitsch, Universität Basel Drittes Hindernis für die Schaffung einer Vielzahl von Auswahlmöglichkeiten ist die Annahme der Parteien, der „Kuchen“ sei begrenzt. Die Parteien begreifen den Verhandlungsgegenstand als eine „Entweder-Oder Situation“ und ziehen erst gar nicht in Erwägung, dass die Streitmaterie doch so aufgeschlüsselt werden kann, dass beide Seiten Befriedigung in einer kreativen Lösung finden könnten. Schliesslich verhindert die Einstellung, dass die Gegenpartei ihre Probleme doch gefälligst selbst lösen soll oftmals die Entwicklung einfallsreicher Lösungsalternativen. Die Parteien konzentrieren sich jeweils auf ihre eigenen Interessen und übersehen dabei, dass zur Wahrung dieser eine Lösung erforderlich ist, die auch die Interessen der Gegenseite berücksichtigt. Eine Lösung, die nur die eigenen Interessen berücksichtigt, wird aber kaum je durch die Gegenseite akzeptiert werden. Eine Vielzahl kreativer Lösungsoptionen, die die Interessen beider Parteien in phantasievoller Weise einbezieht, erleichtert es den Parteien somit, sich für eine Lösungsoption im Sinne einer Übereinkunft zu entscheiden. An welchen Kriterien sich diese Entscheidung zu messen hat, wird im nachfolgenden Punkt näher erläutert. 2.4 Anwendung objektiver Beurteilungskriterien Das letzte Prinzip des Harvard-Konzepts verpflichtet die Parteien, ihre Lösungsoptionen anhand von objektiven Kriterien zu bewerten. Denn Entscheidungen, die auf vernünftigen und nachvollziehbaren Standards beruhen, machen es der Gegenseite leichter, zuzustimmen und fördern die gute Beziehung zwischen den Parteien. Die objektiven Entscheidungskriterien sollten dabei unabhängig des Willens der Parteien festgelegt werden und sich an den Massstäben von Praktikabilität, Fairness und Effektivität messen lassen2. Diese Voraussetzungen sind gegeben, wenn auch die Gegenseite die Entscheidungskriterien als objektiv und fair beurteilen würde. Selbstverständlich hat sich auch die Gegenpartei an diese Maxime zu halten. Während es bei vernünftigen Argumenten durchaus angebracht sein kann, die eigene Position nochmals kritisch zu überdenken, darf Druckmitteln (Drohungen, Manipulationen, u.Ä.) auf keinen Fall nachgegeben werden. Hier kann höchstens reagiert werden, indem auf vernünftiges Argumentieren – ausschliesslich auf der Grundlage objektiver Kriterien - bestanden wird.

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Mögliche Quellen objektiver Entscheidungskriterien: Marktwert, frühere Vergleichsfälle, Sachverständigengutachten, vorhergehende Gerichtsurteile, branchenspezifische Standards, gesetzliche Grundlagen usw.

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3. Wie ist vorzugehen, wenn die Gegenseite stärker ist? Oder: Was ist die beste Alternative zur Verhandlungsübereinkunft? So erfolgsversprechend sich das Verhandeln nach dem Harvard-Konzept auch anhört – eine Garantie für eine erfolgreiche Verhandlung gibt es nicht. Es ist eine nicht zu ändernde Realität, wenn die Macht einseitig bei der Gegenseite liegt. Keine Verhandlungsmethode kann diese äusseren Umstände überwinden. FISHER und URY kennen aber auch in dieser Situation ein hilfreiches Instrument, um sich entweder vor einer unvorteilhaften Übereinkunft zu schützen (3.1) oder trotz ungleicher Machtverhältnisse das Bestmögliche aus der eigenen Lage herauszuholen (3.2): Die sogenannte >Beste Alternative zur Verhandlungsübereinkunft< (im Folgenden „Beste Alternative“). 3.1 Schutz vor Abschluss schlechter Übereinkommen Sind die Machtverhältnisse ungleich verteilt oder bereits viele Ressourcen in eine Verhandlung investiert besteht die Gefahr, Zugeständnisse zu machen und einer vermeintlich akzeptablen Übereinkunft zuzustimmen, die sich später als unvorteilhaft herausstellt. Ein Schutzmechanismus vor derartigen Übereinkommen kann sein, sich ein Limit (z.B. Höchstpreis als Käufer, Mindestpreis als Verkäufer) zu setzen. Ein Limit ist die im Vorfeld der Verhandlung einseitig festgelegte Grenze der schlechtesten bzw. gerade noch zu akzeptierenden Übereinkunft. Auf diese Weise kann vermeintlichem Druck, eine Übereinkunft finden zu müssen, leichter widerstanden werden. Allerdings ist die Kehrseite eines solchen Limits die Einschränkung der eigenen Flexibilität bei der Verhandlung. Fakten, die erst im Rahmen der Verhandlung bekannt werden, können ebenso wenig berücksichtigt werden wie phantasievollere Lösungen, die eine Unterschreitung des Limits nötig machen würden. Diesem Nachteil kann durch die „Beste Alternative“ begegnet werden, wobei die Überlegung dahinter wie folgt lautet: Die Motivation hinter einer Verhandlung ist regelmässig die Aussicht, durch eine Übereinkunft besser gestellt zu werden. Aus diesem Grund ist es fundamental, sich die Kosten einer nicht erreichten Übereinkunft bewusst zu machen bzw. seine Optionen, bei Ausbleiben einer Übereinkunft, abzuwägen. Die attraktivste dieser Optionen stellt die „Beste Alternative“ dar. Gleichzeitig ist sie auch der Massstab, an welchem jede vorgeschlagene Übereinkunft gemessen werden sollte. Der Vergleich von Verhandlungsangeboten und der „Besten Alternative“ bietet somit sowohl Schutz vor der Annahme allzu ungünstiger Bedingungen, wie auch vor Ablehnung von Konditionen, die eigentlich besser hätten akzeptiert werden sollen. Ferner erhält man sich mit der „Besten Alternative“ im Gegensatz zum Limit gerade die Flexibilität aufrecht, um auf phantasievolle Lösungen eingehen zu können und nicht kategorisch jede Lösung unterhalb des Limits abzulehnen.

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3.2 Das Beste aus den eigenen Möglichkeiten machen. Oder: Wie gross ist die Verhandlungsmacht? Verhandlungsmacht richtet sich auf den ersten Blick nach Parametern wie Finanzstärke, physischer Kraft, militärischer Gewalt oder Beziehungen zu einflussreichen Menschen. Nach FISHER und URY ist jedoch vielmehr die Möglichkeit, Verhandlungen abzubrechen massgebend. Je leichter es einer Partei fällt, auf eine Übereinkunft mit dem konkreten Verhandlungspartner zu verzichten, desto grösser ist ihre Verhandlungsmacht. Finanzstärke oder Beziehungsnetz können dies nicht mindern. Aus diesem Grund ist es zur Stärkung der eigenen Position unerlässlich, vor jeder Verhandlung genauestens zu analysieren, was im Falle des Scheiterns einer Übereinkunft an potentiellen und vor allem realistischen Optionen offen steht. Hat man die „Beste Alternative“ ermittelt, muss wiederum jedes Angebot zu einer Übereinkunft damit verglichen werden. Jedes schlechtere Angebot kann guten Gewissens abgelehnt werden. Das Wissen um die „Beste Alternative“ fördert damit auch das Selbstvertrauen im Verhandlungsprozess. Schliesslich kann die eigene Position noch weiter gestärkt werden, indem auch die „Beste Alternative“ der Gegenseite analysiert wird und diese im Vergleich zur eigenen „Besten Alternative“ schlechter abschneidet.

4. Wie ist vorzugehen, wenn sich die Gegenseite nicht an die Prinzipien des Harvard-Konzepts hält? Wenn sich die Gegenseite nicht auf wirkungsvolle und friedliche Diskussionen über Sachinhalte einlassen möchte, Positionskämpfe anstrebt oder persönliche Angriffe startet, scheint das HarvardKonzept an seine Grenzen zu stossen. Um eine solche Partei zum „Mitspielen“ zu bringen, schlagen FISHER und URY drei Vorgehensweisen vor: Die erste Methode postuliert, sich gleichwohl an die Prinzipien und Vorgehensweisen des HarvardKonzepts zu halten und ausschliesslich sachbezogen zu diskutieren, anstatt sich auf Positionskämpfe einzulassen. Das Vorgehen nach den Prinzipien des Harvard-Konzepts wirke allgemein ansteckend und würde die Gegenseite veranlassen, schliesslich doch noch einzulenken – so FISHER und URY. Die zweite Methode, um die Gegenseite von ihren Positionskämpfen abzubringen, wird als „Verhandlungs-Judo“ bezeichnet. Hierbei gilt es, sich konsequent dem Feilschen um Positionen zu widersetzen. Startet die Gegenseite Angriffe, wird gerade nicht gekontert, sondern einem drohenden Teufelskreis aus Aktion und Reaktion widerstanden und der Gegenseite gestattet, Dampf abzulassen. Dem Angriff wird dadurch ausgewichen und der Fokus zurück auf das eigentliche Problem gelenkt. Gerade die Position der Gegenseite ist eine potentielle Alternative, deren Interessen es zu hinterfragen gilt. Können diese mit den eigenen Interessen in Einklang gebracht werden, kann dies als Lösungsoption präsentiert werden. Schlüssel zum Erfolg ist dabei eine Kombination aus Fragen und 8

Verhandlungstechnik und alternative Streiterledigung Frühjahrssemester 2012 Dr. Peter Liatowitsch, Universität Basel Schweigen. Durch geschickte Fragen werden bei der Gegenseite Widerstände provoziert, was sie u.U. dazu bewegen kann, ihre Position zu überprüfen. Schweigen ist dagegen geboten, wenn die Gegenseite unvernünftige Vorschläge macht oder persönliche Angriffe lanciert. So wird der Eindruck vermittelt, die Verhandlung sei festgefahren. Dies kann auf der Gegenseite eine gewisse Unbehaglichkeit auslösen – oft fühlt sie sich gar gedrängt, dieses Schweigen zu überwinden und eine bisher ignorierte Frage doch noch zu beantworten bzw. einen neuen Vorschlag vorzubringen. Gezielt eingesetzte Schweigephasen können folglich zu erfolgreichsten Verhandlungsausgängen führen und stimulieren die Gegenseite zur konstruktiven Beteiligung. Dritte und letzte Methode die ist der Einbezug einer dritten Partei in Form eines Mediators oder Vermittlers. Dies kann es erleichtern, die Probleme von den beteiligten Menschen zu trennen und die Verhandlung auf Interessen und Optionen zu konzentrieren. Zudem werden so ein sinnvoller Gang des Verfahrens und eine optimale Nutzung der Kreativität der Beteiligten gewährleistet.

5. Wie ist vorzugehen, wenn die Gegenseite schmutzige Tricks anwendet? Lügen,

psychologische

Spielereien

oder

gezielte

Druckausübungen



durch

derartige

Verhandlungstricks wird teilweise versucht, sich in einem Willenskampf um Positionen einseitig Vorteile zu verschaffen. Verhandlungstechnisch sind derartige Tricks als einseitige Vorschläge über das Verhandlungsverfahren als solches zu betrachten. Einmal entlarvt, wird ihnen am besten dadurch begegnet, sachbezogen über sie zu verhandeln und sie als Spielregeln des Verhandlungsprozesses zu benennen. Wird das Manöver angesprochen und zum Diskussionsgegenstand gemacht, geht nicht nur seine Wirkung verloren, sondern die Gegenseite dürfte auch peinlich berührt sein. Einmal in die Verhandlung miteinbezogen, gilt es, ein vernünftiges Abkommen bezüglich der Verfahrensweise zu erzielen, welches dann für die Verhandlung der Inhalte massgebend ist. Die Methode des Verhandelns über die Verfahrensweise gestaltet sich nach dem altbekannten Muster: Die Menschen – selbst wenn sie versucht haben, unlauter vorzugehen – müssen von den Problemen getrennt behandelt werden und der Fokus der Diskussion hat sich auf die Interessen zu beziehen. Durch Entwicklung von beidseitig vorteilhaften Optionen unter Anwendung objektiver Kriterien sind diese schliesslich miteinander in Einklang zu bringen. Ist es hingegen aussichtslos, mit der Gegenseite eine erfolgreiche und fruchtbare Verhandlung bzgl. den Spielregeln zu führen, ist es die „Beste Alternative“, die Verhandlungen abzubrechen. Wenn die Gegenpartei tatsächlich an einer Übereinkunft interessiert ist, wird sie versuchen, die Verhandlungen wieder aufzunehmen und schmutzige Tricks in Zukunft vermeiden.

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6. Das Harvard Negotiation Project An der Harvard-Law School, der Alma Mater von ROGER FISHER und WILLIAM URY, wird in einem anspruchsvollen Projekt u.a. versucht, die Ansätze des Harvard-Konzepts in stetiger Forschung weiter zu entwickeln und Theorie und Praxis der Konfliktlösung zu verbessern. Neben der Bildung neuer Theorien bietet das „Harvard Negotiation Project“ zahlreiche Ausbildungs- und Schulungsprogramme an, bei denen die Verhandlungstechniken anhand verschiedener Szenarien verfeinert werden können. Weitere Informationen dazu finden sich unter www.pon.harvard.edu.

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