2 Das Konzept der Quantenkorrelation

2 Das Konzept der Quantenkorrelation 2.1 2.1.1 Allgemeine Betrachtungen zur Quantenkorrelation Historische Bemerkungen Die Quantenkorrelation ist ei...
Author: Daniel Wetzel
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2 Das Konzept der Quantenkorrelation 2.1 2.1.1

Allgemeine Betrachtungen zur Quantenkorrelation Historische Bemerkungen

Die Quantenkorrelation ist eine spezielle Beziehung zwischen zwei oder auch mehreren Quantenteilchen, die keine Analogie in der klassischen Physik hat. Die Existenz eines solchen Ph¨anomens, damals “Verschr¨ankung” genannt, wurde 1935 von Schr¨odinger aus der quantenmechanischen Beschreibung zweier wechselwirkender Teilchen abgeleitet [72, 73]. Die Besch¨aftigung mit diesem Thema war zu jener Zeit stark von der Diskussion um das sogenannte “Einstein-Podolsky-Rosen(EPR)Paradoxon” [74] beeinflußt. Von den 3 Wissenschaftlern 1935 als Gedankenexperiment ersonnen, sollte es die von Einstein vermutete Unvollst¨andigkeit der Quantentheorie offenbaren. Eine der logischen Grundannahmen dieser Arbeit war, daß Teilchen die r¨aumlich voneinander getrennt sind, keinerlei Wirkung aufeinander aus¨ uben, unabh¨angig von ihrer Vergangenheit. Schr¨odinger zeigte nun mathematisch, daß dies nicht der Fall ist, sondern zwei Quantenteilchen nach einem bloßen Kontakt als voneinander abh¨angig betrachtet werden m¨ ussen. Das Ph¨anomen der Quantenkorrelation1 ist innerhalb der Quantenmechanik keine ungew¨ohnliche Erscheinung. Vielmehr ist die Quantenkorrelation laut Schr¨odinger “die Essenz der Quantenphysik” sowie “...der endg¨ ultige Abschied von klassischen Vorstellungen...” [73]. Allgemein gesehen sind Systeme ohne quantenkorrelierte Zust¨ande die absolute Ausnahme [3]. Was ist nun das besondere am quantenkorrelierten Zustand? Angenommen, wir besitzen von mehreren Quantenteilchen (Photon, Elektron, Atom, Molek¨ ul) vor deren Wechselwirkung alle verf¨ ugbaren Informationen (Ort, Impuls, Masse, Spin, etc.) und verfolgen den Kontakt oder Stoß der Teilchen selber l¨ uckenlos. Nach der Wechselwirkung k¨onnen wir mit Sicherheit nur noch Aussagen u ¨ber das Gesamtsystem treffen, nicht mehr u ¨ber die einzelnen Teilchen. Anschaulich kann man sagen, daß die Individualinformationen (Ort, Impuls, Masse, Spin, etc.) der einzelnen Quantenteilchen jetzt u ¨ber alle Mitglieder des Systems “verschmiert” sind. Da in diesem verschr¨ankten Zustand jedes Teilchen auch “Anteile” der anderen Mitglieder des Quantenensembles besitzt oder in sich tr¨agt, ist eine Beeinflussung eines Teilchens des Systems identisch mit einer Beeinflussung 1

Weitere Bezeichnungen sind Verschr¨ ankung oder Quantum Entanglement.

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2 Das Konzept der Quantenkorrelation der anderen quantenkorrelierten Teilchen. Paradox im Sinne der klassischen Mechanik ist nun, daß das oben gesagte auch f¨ ur r¨aumlich beliebig weit getrennte Teilchen gilt. F¨ ur Verwirrung sorgte vor allem die Tatsache, daß ¨außere Einwirkungen auf ein Mitglied eines verschr¨ankten Systems instantan auf alle anderen Mitglieder u ¨bertragen werden und damit scheinbar im Widerspruch zur speziellen Relativit¨atstheorie steht. Zur L¨osung dieses Dilemmas wurde die Existenz verborgener lokaler Variablen postuliert [75]. Das Bell-Theorem zeigte 1964 mit seinen ber¨ uhmten Ungleichungen [76], daß alle Theorien unter Verwendung solcher lokaler Variablen in ihren Voraussagen von denen der Quantenmechanik abweichen, die Existenz dieser Variablen aber durch ein geeignetes Experiment u uft werden kann. Groß war daher das wissenschaftliche und ¨berpr¨ philosophische Interesse, als der erste experimentelle Nachweis f¨ ur die Existenz einer Fernwirkung zwischen zwei voneinander separierten Photonen gelang (vgl. z.B. [77]) und damit die Bell’schen Ungleichungen verletzte. Diese und viele Folgeexperimente [78, 79, 80] u ¨ber die speziellen Eigenschaften quantenkorrelierter Paare sorgten u. a. f¨ ur Spekulationen u ¨ber die M¨oglichkeit u ¨berlichtschneller Kommunikation. Sie er¨offnen aber auch eine Vielzahl anderer interessanter Nutzungsm¨oglichkeiten (s. Kap. 2.1.2). Inzwischen gelang es, nicht nur Paare von Photonen, sondern auch Protonen [6], Atome [7] und Ionen [8, 9] , die weit von einander entfernt sein k¨onnen, in einen quantenkorrelierten Zustand zu bringen. Daf¨ ur m¨ ussen diese Partikel aber von jeglicher St¨orung isoliert sein, denn ein Kontakt mit der Umwelt zerst¨ort die Quantenkorrelation (s. Kap. 2.3.1.1). Zwei heutzutage allt¨aglich anmutende, aber in ihren Eigenschaften “exotische”, Beispiele von quantenkorrelierten Zust¨anden sind die elektronischen Cooperpaare in Supraleitern und das suprafluide Helium. Die Nutzung der ungew¨ohnlichen Eigenschaften quantenkorrelierter Zust¨ande wird heute f¨ ur viele zuk¨ unftige Anwendungen in Betracht gezogen, so zum Beispiel f¨ ur die Entwicklung von Quantencomputern, f¨ ur eine effizientere Daten¨ ubertragung oder f¨ ur die Kryptographie.

2.1.2

Moderne Entwickungen und zuk¨ unftige Anwendungen der Quantenkorrelation

Wie im vorangehenden Abschnitt erw¨ahnt, geh¨oren Quantenkorrelationen zum Kern der Quantentheorie. Sie wurden jedoch lange Zeit eher als intellektuelles Problem denn als Chance f¨ ur n¨ utzliche Anwendungen gesehen. Erst in den letzten Jahren begann man, die mit der Quantenkorrelation zusammenh¨angenden Effekte ernsthaft f¨ ur eine Nutzung in Betracht zu ziehen. Das wachsende Interesse am Verhalten quantenkorrelierter Systeme wird dabei u. a. durch die stark zunehmende Anzahl von Ver¨offentlichungen zu diesem Thema deut-

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2.1 Allgemeine Betrachtungen zur Quantenkorrelation lich2 . Im Jahr 1997 wurde ein Nobel-Symposium zu diesem Thema veranstaltet (dazugeh¨orige Proceedings der Nobelakademie s. [82]). Das stark zunehmende Interesse ist neben den philosophischen Aspekten vor allem damit zu begr¨ unden, daß die speziellen Eigenschaften quantenkorrelierter Teilchen ein großes Potential f¨ ur zuk¨ unftige technische Anwendungen besitzen. Besonders fortgeschritten sind die Arbeiten auf folgenden Gebieten: • Quantencomputer, • Informations¨ ubertragung, • Kryptographie . 2.1.2.1

Quantencomputer

Physikalische und o¨konomische Berechnungen sagen aus, daß Computer mit herk¨ommlicher Technologie, basierend auf integrierten Silizium-Schaltkreisen, im Jahr 2010 die heutigen Rechner um das 256-fache an Leistungsf¨ahigkeit u ¨bertreffen werden [83]. Damit ist jedoch die Grenze der physikalisch und ¨okonomisch realisierbaren Integrationsdichte f¨ ur die heute u ¨bliche Prozessortechnologie erreicht. Rein theoretisch ist es m¨oglich, mit einem Watt elektrischer Leistung das 109 -fache der heutigen Rechnerleistung/Watt zu erbringen [83]. Dies kann nur mit Techniken jenseits der Mikroelektronik, unter Nutzung von Nanostrukturen und Quanteneffekten, realisiert werden3 . Rechner dieser Art werden Quantencomputer genannt. Sie zeichnen sich durch parallele Informationsverarbeitung unter Verwendung von Quantenalgorithmen aus. Dies erm¨oglicht eine exponentiell erh¨ohte Rechengeschwindigkeit gegen¨ uber heutigen Computern, die mit Boolescher Algebra Bit f¨ ur Bit nacheinander bearbeiten [84]. Der hohe Grad an Parallelit¨at wird erst durch Quantenkorrelationseffekte m¨oglich, indem eine Aufgabe einem Quantenzustand zugeordnet wird, dessen geeignete Projektion nach Beendigung der Zeitentwicklung das entsprechende Resultat liefert. Quantencomputer sollen nach heutigen Planungen entweder auf quantenkorrelierten NMR-(Nuclear Magnetic Resonance)-Feldmoden oder auf quantenkorrelierten Ionen in Festk¨orpertraps basieren. Bei IBM laufen z. Z. die Vorbereitungen f¨ ur die Entwicklung eines Quantencomputers auf NMR-Basis [85]. Wenn man bedenkt, daß in diesem Jahr allein in Deutschland 100 Mrd. Dollar in der Informationsverarbeitung umgesetzt werden [86], kann man das wirtschaftliche Interesse an der Technik des Quantencomputers und seiner Grundlagen verstehen. Von wissenschaftlichem Interesse ist dagegen die von einigen Forschern vertretene Meinung, daß die Funktionsweise des menschlichen Gehirns den Prinzipien eines Quantencomputers entspricht [87, 88, 89]. 2

Die Anzahl ver¨ offentlichter wissenschaftlicher Arbeiten nur zum Stichwort “Entanglement” erh¨ohte sich von 0 im Jahre 1991, u ¨ber 165 im Jahre 1994 auf 561 im letzten Jahr (1998) [81]. 3 Quanteneffekte treten bei Nanostrukturen zwangsweise auf, was sich f¨ ur konventionelle Chips als großer Nachteil erweist.

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2 Das Konzept der Quantenkorrelation 2.1.2.2

Informations¨ ubertragung/Teleportation

Mehr als alle anderen speziellen Eigenschaften quantenkorrelierter Paare befl¨ ugelte die Delokalisation der verschr¨ankten Teilchen die Phantasie von Wissenschaftlern und Philosophen. Delokalisation bedeutet, daß sich die Beeinflussung eines der verschr¨ankten Teilchen gleichzeitig auf das oder die anderen Mitglieder des Quantensystems auswirkt. Wie in Kap. 3.1. erw¨ahnt, erfolgt die Delokalisation ¨außerer Einwirkungen auf alle Mitglieder des Quantenensembles instantan, d. h. ohne Zeitverzug. Aus diesem Grund liegt der Gedanke an eine u ubermittlung nahe. Theoretische Be¨berlichtschnelle Informations¨ rechnungen und auch Experimente zeigen aber, daß man zwar u ¨berlichtschnell ein Signal u bermitteln kann (Weihs et al. 400 m [90] und Tittel et al. u ber 10 km [91]), jedoch keine ¨ ¨ verwertbare Information. Somit steht die Quantenmechanik in diesem Punkt nicht im ¨ Gegensatz zur speziellen Relativit¨atstheorie4 . Auch ohne Uberlichtgeschwindigkeit bieten quantenkorrelierte Paare interessante M¨oglichkeiten der Informations¨ ubermitlung. Die klassische Quantenmechanik (ohne Quantenkorrelation) erlaubt pro Quantenteil¨ chen mit n orthogonalen Zust¨anden die Ubertragung von log2 (n) bits [4]. Das heißt z.B. f¨ ur ein Elektron mit Spin=1/2 zwei orthogonale Zust¨ande (+1/2 und −1/2) und damit ¨ 1 bit Ubertragungspotential. Wenn statt dessen ein quantenkorreliertes “Teilchen” (besser: ein Teil eines verschr¨ankten Paares) verwendet wird, k¨onnen volle 2 bit (einer von vier m¨oglichen Quantenzust¨anden) u ¨bertragen werden. Dieses Verfahren wird als “dense coding” bezeichnet. Die Grundlage daf¨ ur ist, daß zwei Teilchen mit je zwei orthogonalen Zust¨anden insgesamt vier verschiedene M¨oglichkeiten der Kombination haben5 . Im quantenkorrelierten Zustand zweier Teilchen kann man diese vier verschiedenen Kombinationen des Teilchenpaares aber an jedem einzelnen der beiden verschr¨ankten Teilchen einstellen. Um die gegen¨ uber klassischem Datentransfer zweifach komprimierten Daten auszutauschen, m¨ ussen sich der zuk¨ unftige Sender und Empf¨anger ein quantenkorreliertes Teilchenpaar teilen. Da die Gesamtinformation u ¨ber beide Teilchen “verschmiert” ist, kann der Sender der Information (gew¨ohnlich mit Alice bezeichnet), mit einer von vier m¨oglichen Transformationen an ihrem quantenkorrelierten Teilchen, einen der vier Zust¨ande des Gesamtsystems einstellen. Wenn sie dieses pr¨aparierte Teilchen zum Empf¨anger (Bob) schickt, der das quantenkorrelierte Partnerteilchen besitzt, kann dieser durch eine Messung an dem Gesamtsystem einen der vier m¨oglichen orthogonalen Zust¨ande identifizieren. Das heißt, pro verschicktem Teilchen, z.B. ein Photon im Lichtleitkabel, k¨onnen statt klassisch maximal 2 bit nun 4 bit u ¨bertragen werden [4, 3, 93]. Eine weitere ungew¨ohnliche Art der Informations¨ ubermittlung ist die sogenannte Quanten-Teleportation. Dies h¨ort sich sehr futuristisch an, hat aber nichts mit dem Versenden ¨ von Materie zu tun. Vielmehr erm¨oglicht diese Methode das Ubertragen eines bestimmten Quantenzustandes von A nach B. Dieser Prozeß ¨ahnelt der Umkehrung des “dense coding” Verfahrens und schließt wie bei diesem ein, daß sich Alice und Bob ein quantenkorreliertes Paar teilen. Den fraglichen Quantenzustand u ¨bermittelt Alice an Bob indem sie ihr quantenkorreliertes Teilchen zusammen mit dem dritten Teilchen C, dem 4

Andererseits gibt es immer wieder seri¨ ose Wissenschaftler, die behaupten, doch die L¨osung f¨ ur u ¨berlichtschnelle Kommunikation gefunden zu haben [92]. 5 Dies w¨aren z.B. die Zust¨ ande (↑↑ − ↓↓), (↑↑ + ↓↓), (↑↓ − ↑↓) und (↑↓ + ↑↓) [4].

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2.2 Formale Beschreibung der Quantenkorrelation Tr¨ager der Information, einer sog. Bell-Messung [4, 3] unterzieht. Im selben Augenblick ¨ nimmt Bobs Teilchen einen zu C korrespondierenden Zustand an. Wenn die Ubertragung damit beendet w¨are, h¨atte eine u ¨berlichtschnelle Kommunikation stattgefunden. Bob muß allerdings noch eine Rotation an seinem Teilchen durchf¨ uhren um den Originalzustand von C wieder herzustellen. Welche Rotation das ist, muß ihm allerdings erst Alice auf konventionellem Wege mitteilen. Eine solche Quanten-Teleportation mit Photonen als quantenkorreliertem Paar und einem Polarisationszustand als u ¨bermittelter Information konnte auch schon experimentell realisiert werden [94]. 2.1.2.3

Kryptographie

¨ Ahnlich wie im Falle des “dense coding”, kann zwischen zwei Personen (wie u ¨blich Alice und Bob), welche unbelauscht bleiben wollen, ein quantenkorreliertes Paar geteilt werden. Wenn Alice sicher ist, daß Bob sein korreliertes Quantenteilchen erhalten hat, was per Telefon nachgefragt werden kann, stellt Alice einen der m¨oglichen Quantenzust¨ande ein, den nur Bob auslesen kann. Diese Methode ist absolut abh¨orsicher, denn wenn ein Dritter in den quantenkorrelierten Informationskanal eingreift, bricht der korrelierte Quantenzustand zusammen. Dieser Effekt hat zus¨atzlich den Vorteil, daß der Lauschversuch nicht unbemerkt bleibt. Weitere Bedeutung f¨ ur die Kryptographie erh¨alt die Quantenkorrelation im Zusammenhang mit der Entschl¨ usselung von Codes. Der Grund hierf¨ ur liegt in der F¨ahigkeit der Quantencomputer, bestimmte mathematische Operationen, z.B. Primfaktoren zu berechnen, exponentiell schneller auszuf¨ uhren als normale Rechner[84]. Primfaktoren werden heute als Schl¨ ussel f¨ ur Sicherheitscodes verwendet, da mit zunehmender L¨ange der Zahl der Rechenaufwand exponentiell ansteigt, aber eben nur f¨ ur konventionelle Rechner. Alle herk¨ommlichen Codes, basierend auf Primfaktoren, k¨onnen daher mit Hilfe von Quantencomputern in einem Bruchteil der sonst n¨otigen Zeit entschl¨ usselt werden. Aufgrund dieser Tatsachen sollten sich auch f¨ uhrende Geheimdienste f¨ ur Quantenkorrelation interessieren.

2.2

Formale Beschreibung der Quantenkorrelation

Die Eigenschaften quantenkorrelierter Systeme und ihr Widerspruch zur klassischen Mechanik wurden in Kap. 2.1.1 allgemein beschrieben. An dieser Stelle soll etwas formaler auf das Thema eingegangen werden. Ein beliebiges quantenmechanisches System wird durch seine Wellenfunktion Ψ in einem entsprechend dimensionierten Hilbertraum H vollst¨andig beschrieben (reiner Zustand), wenn Ψ in seine Komponenten Ci bez¨ uglich einer orthonormierten Basis ui zerlegt werden kann: Ψ=

X

Ci ui

(2.1)

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2 Das Konzept der Quantenkorrelation und dabei gilt: X

Ci = 1

(2.2)

Nach dem Schr¨ odingerschen Superpositionsprinzip ergeben zwei durch die WellenfunkP P tionen ΨA = Ai ui und ΨB = Bi vi beschriebene reine Zust¨ande auch zusammen wieder einen reinen Zustand, der durch die Gesamtwellenfunktion X Ai ui + Bk vk (2.3) ΨA+B = i,k

beschrieben wird [95]. Gemischte oder unvollst¨andige Zust¨ande werden im Gegensatz zu reinen Zust¨anden, nicht durch Wellenfunktionen, sondern durch Dichtematrizen ρ (oder Statistische Operatoren ρˆ) beschrieben [96]. Die Definition f¨ ur die Dichtematrix eines Zustandes ist: ρ = |ΨihΨ|

(2.4)

ur die Beschreibung des Gesamtzustandes (2.3) im DichtematrixformalisDamit gilt f¨ mus: X ρA+B = Ci Ck∗ |ui vi ihuk vk | (2.5) i,k

wobei die Koeffizienten C in Gl. (2.5) sich gem¨aß den Binomialgesetzen aus den Koeffizienten A und B in Gl. (2.3) gem¨aß Definition (2.4) zusammensetzen. Ck∗ ist der jeweilige zu Ck komplex konjugierte Koeffizient mit dem Abz¨ahlindex k. Dieser Zustand (¨aquivalent nat¨ urlich auch der in (2.3)) beschreibt ein quantenkorreliertes System, wobei die Mischterme Ci Ck∗ die Quantenkorrelation ausdr¨ ucken. Im diesem Fall kann man nichts u ¨ber die speziellen Eigenschaften der einzelnen Teilchen aussagen. Alle physikalisch m¨oglichen Messungen an den Subsystemen ΨA und ΨB w¨ urden nicht ausreichen, um die Gesamtinformation des Systems zu rekonstruieren. Nach der Standardquantentheorie f¨ uhrt eine Messung am Subsystem oder “Teilchen” ΨA zur partiellen Dichtematrix [10] X X ρA = Ci Ci∗ |ui ihui | = |Ci |2 |ui ihui | (2.6) i

mit einem analogen Resultat f¨ ur eine Messung an ΨB . Die Gesamtinformation durch Messungen an ΨA und ΨB beschr¨ankt sich damit auf [97]: ρred = ρA ⊗ ρB

(2.7)

Wie zu sehen ist, sind in Gl. (2.6) die Mischterme Ci Ck∗ , welche die Quantenkorrelation in Gl. (2.5) beschreiben, verschwunden und es gilt ρA+B 6= ρred

30

(2.8)

2.2 Formale Beschreibung der Quantenkorrelation und f¨ ur die Relation der “Phasenraum-Dimensionen” Dim(ρA+B ) ≥ Dim(ρred ) - deshalb wird ρred auch die reduzierte Dichtematrix genannt. F¨ ur reine Zust¨ande gilt: ρ2 = ρ, dies gilt demzufolge nicht f¨ ur den Zustand (2.6) und (2.7), da dieser kein reiner Zustand mehr ist. Wenn die Koeffizienten einer Matrix (z.B. der Dichtematrix ρ) nach den Zeilen i und den Spalten k abgez¨ahlt werden, befinden sich die Matrixelemente Aii auf und die Elemente Aik abseits der Hauptdiagonale. Die Hauptdiagonalelemente Aii der Dichtematrix entsprechen den m¨oglichen Meßwerten des einer physikalischen Gr¨oße zugeordneten Operators. Eine Messung bewirkt somit eine “Diagonalisierung” der Dichtematrix des Systems. Die Hauptdiagonalelemente Aii einer Dichtematrix ρ sind, aufgrund der speziellen Eigenschaften der den Meßgr¨oßen zugeordneten Operatoren immer positiv-reelle Zahlen, was f¨ ur Meßwerte auch zu erwarten ist, da sie der physikalischen Realit¨at entsprechen. Die Nebendiagonalelemente Aik einer Dichtematrix, welche die Quantenkorrelationen repr¨asentieren, k¨onnen auch komplex sein. Die Hauptdiagonalelemente einer Dichtematrix werden also durch die Messung selbst nicht ver¨andert, aber erst nach dem Verschwinden der Nebendiagonalelemente k¨onnen sie als klassische Wahrscheinlichkeiten interpretiert werden6 . Die entscheidende Frage ist: Wer oder was veranlaßt das Verschwinden der Nebendiagonalelemente Aik beim Meßprozeß, was zur Reduktion oder zur Diagonalisierung der Dichtematrix des Systems f¨ uhrt. Dies ist eine der umstrittensten Fragen der Quantenmechanik [89]. Deshalb soll im n¨achsten Abschnitt etwas n¨aher auf den Meßprozeß eingegangen werden.

2.2.1

Der Meßprozeß

Der quantenmechanische Meßprozeß ist nicht mit einer klassischen Messung zu vergleichen. Wie oben erl¨autert, wird in der Quantenmechanik der Zustand eines Systems durch die Wellenfunktion Ψ beschrieben. Dieser Zustand ist vor der Messung einer Observable (Ort, Impuls, Spin...) durch eine Superposition der Zustandsamplituden Ci bez¨ uglich der Eigenvektoren ui charakterisiert, siehe Gl.(2.1). Das heißt, die “Richtung” des Zustandsvektors Ψ ist im gesamten, durch die ui aufgespannten Zustandsraum “verschmiert” oder besser: mit einer intrinsischen Unsicherheit behaftet. Die Wahrscheinlichkeit, daß Ψ in Richtung eines Basisvektors ui “zeigt”, wird durch die jeweiligen Zustandsamplituden oder Koeffizienten Ci ausgedr¨ uckt [95, 98]. Um etwas u ¨ber den Zustand des Systems zu erfahren, mißt man gew¨ohnlich die interessierende Gr¨oße. Dies ist in der Quantenmechanik aber nicht trivial und gewissermaßen irreversibel. Denn der quantenmechanische Meßprozeß separiert aus dem Zustandsraum 6

Am Beispiel von Schr¨ odingers ber¨ uhmter Katze heißt das: Vor der Messung, im quantenkorrelierten Zustand, ist sie gleichermaßen tot und lebendig, nach der Messung, auch wenn wir das Ergebnis noch nicht registriert haben, entweder tot oder lebendig.

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2 Das Konzept der Quantenkorrelation der Wellenfunktion nur diejenigen Eigenvektoren aus, die mit der Meßapparatur kompatibel sind. Die gemessene Gr¨oße ergibt sich als Projektion aus ihrer Wahrscheinlichkeitsverteilung in Ψ gem¨aß ihrem quantenmechanischen Erwartungswert |Ci |2 . Das heißt, das System ist im allgemeinen nach der Messung nicht mehr im selben Zustand wie vorher. Daraus ergeben sich philosophische Fragen, die schon Heisenberg, Einstein, Bohr u. a. besch¨aftigt haben und um die zentrale Frage kreisen, ob man u ¨berhaupt etwas u ¨ber den Originalzustand eines System aussagen kann (Komplementarit¨atsprinzip) [72]. Wie die Reduktion der Gesamtanzahl der Zust¨ande oder der sogenannte “Kollaps der Wellenfunktion” zu dem einen Meßergebnis abl¨auft, ist auch heute noch Gegenstand von zahlreichen Kontroversen (z.B. “Schr¨odingers Katze”). Da auch die Zerst¨orung des quantenkorrelierten Zustandes, Dekoh¨arenz genannt7 , durch einen Meßprozeß hervorgerufen wird, sollen hier in K¨ urze die wichtigsten Interpretationen f¨ ur diesen Vorgang aufgef¨ uhrt werden: Als erster hat sich der Begr¨ under des mathematischen Formalismus der Quantenmechanik, John von Neumann, explizit8 mit dem Meßproblem befaßt [100]. Seiner Meinung nach mußte auch das Meßger¨at als Quantenobjekt betrachtet werden, welches w¨ahrend der Messung mit dem zu messenden System quantenkorreliert ist. Damit kann man aber noch keinen Zusammenbruch der Wellenfunktion erreichen. Dieser wird nach v. Neumann erst durch das Bewußtsein des Beobachters hervorgerufen, der das Ergebnis der Messung registriert und die Unterscheidung trifft, z.B. zwischen spin up oder spin down [100]. Noch weiter gingen London und Bauer [101] in ihrer Interpretation, bei der die freie (wenn auch unbewußte) Willensentscheidung des Beobachters, welchen “Quantenzustand” er einnimmt, die entscheidende Rolle spielt. Diese Abh¨angigkeit vom menschlichen Bewußtsein fand auch ihre Kritiker. Margenau [102] argumentierte, daß oft die gemessenen Teilchen selbst annihiliert werden, wie z.B. ein Photon auf der Photoplatte, und daß das Ergebnis durch eine Schw¨arzung der Platte auch ohne Beobachter determiniert wird. Mehr als nur Plausibilit¨atsbetrachtungen zur m¨oglichen Abwesenheit eines bewußten Beobachters f¨ ur den Kollaps von Ψ f¨ uhrte P. Jordan ins Feld [103]. Der seiner Meinung nach entscheidende Punkt ist die Wechselwirkung des mikroskopischen Meßobjekts mit dem makroskopischen Meßger¨at. Diese Wechelwirkung f¨ uhrt zu Ver¨anderungen im Meßger¨at, welche nach dem 2. Hauptsatz der Thermodynamik irreversibel sind und dadurch 7

Dekoh¨arenz, weil die Phasenbeziehung (Koh¨arenz) der betrachteten quantenkorrelierten Teilchen verloren gehen. 8 F¨ ur Niels Bohr war, nach der “Kopenhagener Deutung” der Quantentheorie, die Wellenfunktion Ψ kein Abbild der physikalischen Realit¨at, sondern eher des Kenntnisstandes des Beobachters. Der “Kollaps” der Wellenfunktion zu einem speziellen Meßwert entspricht demzufolge einer pl¨otzlichen ¨ Anderung des Wissens u ¨ber das Meßobjekt, was keine explizite Meßtheorie erfordert, da die relevante Zustands¨ anderung im Beobachter und nicht im System erfolgt [99].

32

2.2 Formale Beschreibung der Quantenkorrelation den Vorgang unumkehrbar machen, was zur Fixierung des Meßergebnisses f¨ uhrt. In diesem Sinne argumentierte auch G. Ludwig [104], welcher darauf aufmerksam machte, daß das makroskopische System des Meßapparates einen metastabilen Zustand darstellt. Durch die Wechselwirkung mit dem mikroskopischen Meßobjekt geht dieser in einen stabilen Zustand u ¨ber9 , was ebenfalls thermodynamisch unumkehrbar ist. In diesem Zusammenhang erh¨alt auch die Frage nach den Grenzen der Beschreibung der Mikrowelt (Quantenmechanik) und der Makrowelt (klassische Mechanik) neues Gewicht. ¨ W¨ahrend das klassische Limit h → 0 den Ubergang von der quantenmechanischen zur makroskopischen Beschreibung in vielen Bereichen erm¨oglicht, sind die Gesetze der (irreversiblen) Thermodynamik nicht ohne weiteres aus der Quantenmechanik ableitbar. In der Quantenmechanik wird die Dynamik der Wahrscheinlichkeitsamplituden (oder allgemein der Zust¨ande eines Quantensystemes) durch die zeitabh¨angige Schr¨odingerGleichung bestimmt, welche zeitlich reversibel ist. Der zweite Haupsatz der Thermodynamik, oder das Boltzmannsche H-Theorem als dessen Grundlage, die Irreversibilit¨at beschreiben, sind dagegen nur f¨ ur makroskopische Systeme relevant. Eine moderne, allerdings nicht in die bestehende Quantentheorie implementierbare, Interpretation f¨ ur den Meß- oder Dekoh¨arenzprozeß kommt von R. Penrose u. a. (s. ¨ [3]). Dieser behauptet, daß in Ubereinstimmung mit der allgemeinen Relativit¨atstheorie, Gravitationseffekte zu kleinen St¨orungen in der Zeitentwicklung quantenkorrelierter Systeme mit unterschiedlich schweren Teilchen f¨ uhren, die letztendlich den Kollaps der Wellenfunktion zur Folge haben. Die verschiedenen aufgef¨ uhrten Annahmen und “Beweise” unterscheiden sich hinsichtlich der Rolle des Bewußtseins im Meßprozeß. W¨ahrend v. Neumann, London & Bauer, Wigner u. a. das menschliche Bewußtsein f¨ ur den Ausgang der Messung oder das erhaltene Resultat verantwortlich machen, negieren Margenau, Jordan, Ludwig u. a. die Notwendigkeit einer bewußten Wahrnehmung f¨ ur den Kollaps der Wellenfunktion. Von dieser Unterscheidung v¨ollig unabh¨angig ist die “Many Worlds”-Theorie, begr¨ undet von H. Everett III [105] und vervollst¨andigt durch B. DeWitt [106]. Nach den Verfechtern dieser Theorie ist sie die einzige, die den quantenmechanischen Meßprozeß ohne Zusatzannahmen zum bestehenden Formalismus der Quantenmechanik konsistent erkl¨aren kann10 . Daß diese Theorie trotzdem nur wenige Wissenschaftler begeistert hat, liegt wohl an den sehr weitreichenden Ver¨anderungen des bisherigen Realit¨atsbegriffes, die die “Many Worlds”-Theorie impliziert. Danach muß die Wellenfunktion eines Objektes + Meßapparat + Beobachter nicht zu einem einzigen Ergebnis kollabieren, sondern jedes m¨ogliche Ergebnis dieser Messung tritt ein - aber jedes in einer anderen Verzweigung des Universums. Das heißt bei jeder ausgef¨ uhrten Quantenmessung spaltet sich das Universum in x Teilwelten, wobei x der Anzahl der Ergebnisse 9 10

Zwei Beispiele sind das Silberjodid der Photoplatte und der u ¨bers¨attigte Dampf in der Nebelkammer. Es gibt nat¨ urlich auch Widerlegungen der Konsistenz der “Many Worlds”-Theorie, siehe z.B. [107].

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2 Das Konzept der Quantenkorrelation mit Wahrscheinlichkeit > 0 entspricht. Tats¨achlich ergeben sich mit dieser Interpretation des Meßprozesses, so widerspruchslos sie sich in den Formalismus der Quantenmechanik einf¨ ugt, viele offene Fragen, wie z.B.: Welchen Einfluß haben unterschiedliche Erwartungswerte Λ f¨ ur die Meßergebnisse auf das entstehende Universum? Was passiert beim Limit Λ → ∞, was bei kontinuierlichen Spektren? Die Vielzahl der existierenden Theorien zum quantenmechanischen Meßprozeß macht deutlich, daß in dieser wichtigen Frage noch kein allgemein akzeptierter Konsens gefunden wurde11 . Daß sich eine schl¨ ussige Theorie des Meßprozesses in die bestehende Form der Quantenmechanik u ¨berhaupt implementieren l¨aßt, scheint unwahrscheinlich, da die Reduktion oder der “Kollaps” der Wellenfunktion Ψ ein nichtunit¨arer Prozeß ist. Die Zeitentwicklungen von Zust¨anden oder die Dynamik von Quantenteilchen wird aber in der Quantenmechanik durch die zeitabh¨angige Schr¨odinger-Gleichung i~

∂ |Ψi = H|Ψi ∂t

(2.9)

beschrieben, welche eine unit¨are Transformation an dem System bewirkt12 . Das heißt, der quantenmechanische Meßprozeß l¨aßt sich nicht durch die Schr¨odinger-Gleichung beschreiben und ist daher auch nicht beschreibbar im Rahmen der “orthodoxen” Quan¨ tenmechanik. Das Meßproblem entspricht damit der Formulierung des Ubergangs von der Mikro- in die Makrophysik.

2.3

Quantenkorrelation in kondensierter Materie

W¨ahrend einzelne Molek¨ ule oder verd¨ unnte Gase teilweise noch durch die konventionelle Quantentheorie in bekannter Weise zu beschreiben sind (Schr¨odinger-Gleichung gilt), ist die Situation in Fl¨ ussigkeiten und Festk¨orpern (kondensierte Materie) eine andere. Hier betrachtet man u ¨blicherweise Gr¨oßenordnungen von 1023 Teilchen, die starken gegenseitigen Wechselwirkungen unterliegen. Alle bisher bekannten Ph¨anomene der Quantenkorrelation sind nur f¨ ur weitgehend abgeschottete Teilchen zu beobachten oder unter extremen Bedingungen, z.B. Temperaturen nahe 0 K, wie es bei Supraleitern und suprafluidem Helium der Fall ist. Was ist nun bez¨ uglich des Auftretens von Quantenkorrelationen in kondensierter Materie unter Normalbedingungen (Zimmertemperatur, Normaldruck) zu erwarten? Die Voraussetzung f¨ ur eine Verschr¨ankung zweier Teilchen war eine Wechselwirkung, ein Kontakt oder ein Stoß der beiden Quantenteilchen. In kondensierter Materie wechselwirken nun alle Teilchen, zumindest mit ihren Nachbarn, so daß nach k¨ urzester 11

Das zweite ungel¨ oste Problem in der Quantenmechanik ist die fehlende Kompatibilit¨at zur Relativit¨atstheorie oder umgekehrt. Dies impliziert, daß zumindest eine der beiden grundlegenden Theorien der Physik unvollst¨ andig ist! (vgl. [89]) 12 Unit¨are Transformationen verschieben den Satz der Basisvektoren in ein anderes orthonormiertes Bezugssystem.

34

2.3 Quantenkorrelation in kondensierter Materie Zeit von einem Netzwerk durch das gesamte Makroobjekt auszugehen w¨are. Durch die standard-quantenmechanische Prozedur der unit¨aren Zeitentwicklung, gem¨aß der Schr¨odinger-Gleichung, die solche Wechselwirkungen beschreibt, hat die Quantenkorrelation die Tendenz, sich durch das ganze Universum auszubreiten. Nichtkorrelierte Quantenzust¨ande einzelner Teichen sollten daher so gut wie garnicht vorkommen [3]. Auf der anderen Seite haben wir, wie oben beschrieben, den quantenmechanischen Meßprozeß (nichtunit¨ar!) und die Empfindlichkeit der experimentell erzeugten quantenkorrelierten Zust¨ande gegen kleinste St¨orungen. Die entscheidende Frage ist daher: Wirken die St¨oße und Wechelwirkungen in kondensierter Materie nur konstruktiv im Sinne von neuen Quantenkorrelationen oder zerst¨oren sie sie auch? Im ausschließlich ersten Fall m¨ ußte u ¨ber kurz oder lang das ganze Universum einen verschr¨ankten Quantenzustand einnehmen (der sich, da auch von Photonen vermittelt, mit Lichtgeschwindigkeit zwischen den Galaxien ausbreitet)13 . Das andere Extrem w¨are, anzunehmen, daß durch die zahlreichen gegenseitigen St¨oße in kondensierter Materie jegliche Quantenkorrelation sofort zerst¨ort wird. Unabh¨angig ob man diesen Fall betrachtet oder auch nur ein Gleichgewicht von Korrelation14 und Dekoh¨arenz - die Existenz von “meßprozeßartigen” St¨oßen in kondensierter Materie schließt alle Theorien zum Meßprozeß aus, in denen das Bewußtsein des Beobachters zum Kollaps der Wellenfunktion f¨ uhrt. Denn offensichtlich ist in diesem Fall nur dann ein bewußter Beobachter zugegen, wenn versucht wird, etwas u ¨ber den Korrelationszustand des betreffenden Objektes herauszufinden. (Was im Rahmen dieser Arbeit geschehen und in Kap. 4 beschrieben ist.) Im Sinne der “Bewußtseins-Meßtheorie” w¨are das die einzige M¨oglichkeit, eine ungehinderte Ausbreitung der Quantenkorrelation zu verhindern. Die letzten Kapitel zusammenfassend, kann u ¨ber Quantenkorrelation in kondensierter Materie folgendes ausgesagt werden: • Nach den Gesetzen der Quantentheorie ist die Ausbildung von Quantenkorrelationen in kondensierter Materie zwingend, • Ohne Dekoh¨arenzprozesse mit Raten ≥ den Korrelationsprozessen w¨ urde das gesamte Universum mit Lichtgeschwindigkeit in einen quantenkorrelierten Zustand streben, • Das Vorhandensein von Dekoh¨arenz in kondensierter Materie verneint die Rolle des Bewußtseins beim Meßprozeß, • Dekoh¨arenzprozesse gehorchen nicht der u ¨blichen Standard-Schr¨odinger-Gleichung, d. h. eine theoretische Beschreibung dieser Vorg¨ange kann nicht im Rahmen der konventionellen Quantentheorie erfolgen. 13

Die philosophischen Konsequenzen w¨aren auch interessant, z.B. die Verifizierung des Pantheismus, die Unm¨ oglichkeit des freien, unabh¨ angigen Willens, usw.. 14 Mit Korrelation ist im weiteren immer Quantenkorrelation gemeint.

35

2 Das Konzept der Quantenkorrelation

2.3.1

Theoretische Beschreibung von Quantenkorrelation und Dekoh¨ arenz in kondensierter Materie

2.3.1.1

Der Prozeß der Dekoh¨ arenz

Wie mehrfach erw¨ahnt, folgt das Entstehen von Quantenkorrelationen den Grundprinzipien der Quantenmechanik, aber eine schl¨ ussige mathematische Theorie der Dekoh¨arenz ist aufgrund der oben beschriebenen Probleme nicht direkt aus dem Formalismus der Quantenmechanik ableitbar. Nichtsdestotrotz gibt es seit kurzem zahlreiche Ans¨atze, das Meßproblem und damit die Dekoh¨arenz zu erkl¨aren (s. Kap. 2.2.1 Meßprozeß). Eine aktuelle und mathematisch unterlegte Theorie zum Meßprozeß und zur Dekoh¨arenz (vgl. z.B. [108, 109, 110, 111]) geht dabei von der besonderen Rolle der makroskopischen Umgebung f¨ ur das betrachtete Quantensystem aus. Mit diesem theoretischen Ansatz wird versucht, im Sinne der oben erw¨ahnten Gedanken von Margenau, Jordan, Ludwig u. a., die Wechselwirkung mikroskopischer Systeme mit der makroskopischen Umgebung ¨ mathematisch zu formulieren. Die Frage nach dem Ubergang von der Superposition der Quantenzust¨ande zu einem klassisch interpretierbaren Ergebnis einer Quantenmessung ist gleichzeitig die Frage nach dem Unterschied zwischen mikroskopischen und makroskopischen Quantenzust¨anden. Letztere lassen sich f¨ ur gew¨ohnlich klassisch beschreiben, obwohl sie auch aus mikroskopischen Quantenteilchen bestehen. Der Schl¨ ussel daf¨ ur ist, daß makroskopische Systeme niemals von ihrer Umgebung isoliert sind. Aus diesem Grund k¨onnen diese auch nicht durch die Schr¨odinger-Gleichung beschrieben werden, da ein wohldefinierter Hamiltonoperator nur in geschlossenen Systemen existiert [112]. Das typische klassische System leitet st¨andig die im quantenkorrelierten oder koh¨arenten Zustand gespeicherte Information an die Umgebung weiter [113]. Um diesen Zustand zu beschreiben, d. h. um dynamische Gleichungen ableiten zu k¨onnen, ben¨otigt man auch mathematische Modelle der “Umgebung” mit ihren vielen Freiheitsgraden. Dem gerecht werden Modelle, die die “Umgebung” als Ansammlung von harmonischen Oszillatoren [114, 115, 109] oder, damit vergleichbar, als skalares Quantenfeld [110, 111] ansehen. Ein wechselwirkendes Quantenteilchen hinterl¨aßt dabei charakteristische Spuren oder Wellen in diesem Feld [116]. Unter bestimmten Bedingungen (im Grenzfall hoher Temperaturen und schwacher Kopplung) kann eine Mastergleichung15 f¨ ur die Dichtematrix ρ(x, x0 ) eines streuenden Teilchens oder Quantenobjektes an diesem Skalarfeld hergeleitet werden16 [118, 110, 111]: i ∂ρ dρ ∂ρ 2mγkB T = − [H, ρ] − γ(x − x0 )( − 0) − (x − x0 )2 ρ (2.10) dt ~ ∂x ∂x ~2 Dabei ist H der Hamiltonoperator des Teilchens, γ die Relaxationsrate, ~ die Planckscheund kB die Boltzmannkonstante. Die Argumente x und x0 von ρ bezeichnen die Reihenund Spaltennummer des entsprechenden Matrixelementes oder die Position im betrachteten Hilbertraum. x = x0 entspricht daher einem Element der Hauptdiagonale. Der erste Term von (2.10) kann aus der Schr¨odinger-Gleichung abgeleitet werden und generiert 15

Mastergleichungen sind Bewegungsgleichungen f¨ ur statistische Systeme. Ahnliche Mastergleichungen, allerdings teilweise nicht in der Ortsdarstellung und ohne Reibungsterm, haben Joos & Zeh [117] und Caldeira & Leggett [108, 109] abgeleitet.

16 ¨

36

2.3 Quantenkorrelation in kondensierter Materie die Newtonschen Bewegungsgleichungen. Der zweite Term repr¨asentiert Reibungseffekte und verursacht Energie- und Impulsverluste. Der dritte Term ber¨ ucksichtigt Fluktuationen und zuf¨allige St¨oße der Umgebung. Dieser dritte Term ist von entscheidender Bedeutung f¨ ur die Quantenkorrelation, denn er verursacht den Zerfall der Nebendiagonalelemente x 6= x0 von ρ. Dies entspricht der Vernichtung der Koh¨arenzeigenschaften des gestreuten Objektes und f¨ uhrt somit zur Reduktion der Dichtematrix ρ(x, x0 ), bzw. zur Dekoh¨arenz oder zum Zusammenbruch der Wellenfunktion. Was genau passiert? Der dritte Term von (2.10) ist proportional zu (x − x0 )2 , d. h. er ist vernachl¨assigbar f¨ ur Matrixelemente in der N¨ahe oder auf der Hauptdiagonale von ρ, wo gilt x = x0 . Der Einfluß von (x − x0 )2 w¨achst aber mit dem Abstand des betrachteten Matrixelementes von der Hauptdiagonale, d. h. mit der r¨aumlichen Ausdehnung der Quantenkorrelation, und desto schneller zerf¨allt sein Anteil in ρ. Dies geschieht in einer Zeitskala: 1 τDK

'

2γmkB T (∆x)2 ~2

(2.11)

~2 2mkB T (∆x)2

(2.12)

oder auch: τDK ' τR

wobei 1/τDK die Zerfallsrate der Nebendiagonalelemente und invers, τDK die durchschnittliche Lebensdauer der Quantenkorrelation eines Zustandes bezeichnet. τR = 1/γ ist die Relaxationszeit, in der ein Zustand durch Reibung verschwindet und ∆x=(x − x0 ). An Formel (2.12) ist zu erkennen, daß die Lebensdauer eines quantenkorrelierten Zustandes damit umgekehrt propotional zur Masse und der Temperatur des betrachteten Systems ist. F¨ ur makroskopische Objekte ist die Dekoh¨arenz um Gr¨oßenordnungen schneller als die Relaxation. So erh¨alt man z.B. f¨ ur ein System mit einer Masse von 1 g und einer Separation ∆x = 1 cm bei Raumtemperatur (300 K) ein Verh¨altnis von τDK /τR = 10−40 [116]! Das heißt, auch f¨ ur Relaxationszeiten τR im Bereich von 1017 s (Alters des Universums) w¨ urde eine bestehende Quantenkorrelation in ≈ 10−23 s zerst¨ort. Solch extreme Verh¨altnisse erzielt man aber nur f¨ ur makroskopische Objekte im Geltungsbereich der angenommenen Voraussetzungen f¨ ur Gl. (2.10). F¨ ur mikroskopische Objekte, wie z.B. zwei Elektronen, kann τDK durchaus weit gr¨oßer als τR werden. Eine grobe Absch¨atzung des f¨ ur diese Arbeit relevanten Systems zweier quantenkorrelierter Protonen in Wasser mit den Werten ∆xH = 1 ˚ A f¨ ur zwei benachbarte Protonen im selben Molek¨ ul und f¨ ur benachbarte Molek¨ ule ∆xH = 1, 6 ˚ A, der Masse eines Was−23 sermolek¨ uls 3 × 10 g und einer dielektrischen Relaxationszeit 10−11 s [119] ergibt folgende Werte: τDK = 2 × 10−13 s f¨ ur Quantenkorrelation in einem Wassermolek¨ ul, bzw.: τDK = 4 × 10−14 s f¨ ur Quantenkorrelation zwischen Protonen in zwei verschiedenen Wassermolek¨ ulen17 . Je mehr Wassermolek¨ ule in die Rechnung einbezogen werden, 17

Bei Verwendung der durchschnittlichen Relaxationszeit f¨ ur eine Wasserstoffbr¨ uckenbindung von ca. 10−13 s [120] ergeben sich Werte von τDK ≈ 2 × 10−15 s f¨ ur Quantenkorrelation in einem Wassermolek¨ ul, bzw.: τDK ≈ 4 × 10−16 s f¨ ur Quantenkorrelation zwischen Protonen in zwei verschiedenen Wassermolek¨ ulen.

37

2 Das Konzept der Quantenkorrelation desto k¨ urzer wird die Lebensdauer τDK des quantenkorrelierten Zustandes aufgrund der dann h¨oheren Masse des Systems und der gr¨oßeren Ausbreitung der Delokalisation ∆xH der quantenkorrelierten Protonen. Die Anwendung der Gleichung (2.10) ist also auch immer eine Ermessensfrage: Ist das System groß genug, um die Voraussetzungen bez¨ uglich der Umgebung (Betrachtung als Skalarfeld) zu rechtfertigen? Hat man die Anzahl der beteiligten Quantenobjekte richtig abgesch¨atzt? Kann man die Delokalisation der quantenkorrelierten Teilchen bestimmen? Eine Theorie, die solche Fragen beantwortet, w¨are von Vorteil, um Aussagen u ¨ber das Verhalten quantenkorrelierter Systeme in kondensierter Materie zu treffen. 2.3.1.2

Koh¨ arent-dissipative Strukturen

Seit kurzem ist es m¨oglich, durch Anwendung der Methode des “complex scaling” (CSM) auf die Quantendynamik kondensierter Nichtgleichgewichtssysteme, Aussagen u ¨ber sogenannte “thermisch aktivierte Quantenkorrelation” zu treffen [121, 122]. Diese Quantenkorrelationen werden “koh¨arent-dissipative Strukturen” genannt. Ihrer Erscheinung nach sind sie zeitlich und r¨aumlich beschr¨ankte, kooperative Ph¨anomene auf mikroskopischer Ebene. Grundlage f¨ ur die Ableitung der “koh¨arent-dissipativen Strukturen” ist eine Beschreibung amorpher (ungeordneter, nichtkristalliner) Materie mit Hilfe reduzierter Dichtematrizen zweiter Ordnung [123]. Der Zerfall einer solchen Dichtematrix Γ(2) wird f¨ ur fermionische Systeme beschrieben durch: (2)

(2)

(2)

Γ(2) = ΓL + ΓS + Γincoh

(2.13)

(2)

wobei ΓL den sogenannten “large box” Anteil bezeichnet, der dem koh¨arenten Anteil (2) von Γ(2) entspricht und den gepaarten Fermionen zugeordnet ist [11]. Γincoh bezeichnet (2) den inkoh¨arenten Anteil nichtgepaarter Fermionen und ΓS den sogenannten “small box” Anteil des Systems, welcher eine nichtdiagonale Matrixform hat und m¨ogliche kurzreichweitige Quantenkorrelationen zwischen je zwei Fermionen beschreibt. Der f¨ ur (2) die zeitlich und r¨aumlich begrenzten Quantenkorrelationen verantwortliche Term ΓS kann einer “Thermalisierungstransformation” unterworfen werden: γ=

1 −βH c (2) −βH c e 2 ΓS e 2 Z

(2.14)

mit β = 1/kB T und H c dem CSM-transformierten Hamiltonoperator zweiter Ordnung. Unter bestimmten Bedingungen [121, 122] hat der Dichteoperator ρΓ eine Jordanblock¨ Struktur [124], was bedeutet, daß ρΓ durch keinerlei Ahnlichkeitstransformationen diagonalisierbar ist. Diagonalisieren entspricht, wie oben beschrieben, einer Zerst¨orung ¨ der Quantenkorrelation und der Uberf¨ uhrung des Zustandes in eine klassische Wahrscheinlichkeitsverteilung. Der Dichteoperator ρΓ hingegen ist eine irreduzible Einheit und beschreibt das kooperative Verhalten der involvierten Zust¨ande, die als koh¨arentdissipative Strukturen bezeichnet werden. Diese sind sehr kurzlebig (f¨ ur Protonen in Wasser im Bereich von ps) und von mikroskopischer Gr¨oße (auf einige Atome oder Molek¨ ule beschr¨ankt) [122]. Die minimale Anzahl beteiligter Quantenzust¨ande ergibt sich

38

2.3 Quantenkorrelation in kondensierter Materie zu: smin =

4πkB T τrel ~

(2.15)

wobei τrel die Lebensdauer (bzw. Relaxations- oder Dekoh¨arenzzeit) des betrachteten Zustandes bezeichnet und durch die Imagin¨arteile der Resonanzen in H c (2.14) bestimmt ist. Die oben genannten Formeln gelten nur f¨ ur fermionische Systeme, also f¨ ur Quanten¨ korrelationen zwischen Teilchen mit dem Spin = 1/2, 3/2, ...(unganzzahlig). Uber bosonische Teilchen (Spin = 0, 1, ...,ganzzahlig) wird in Gl. (2.13) keine Aussage gemacht, diese k¨onnen aber ganz ¨ahnlich beschrieben werden [125], indem man sie als gepaarte (2) Fermionen18 betrachtet. In diesem Fall verschwindet der Anteil Γincoh der ungepaarten Teilchen bei der Beschreibung des Zerfalls von Γ(2) (2.13). Bedeutsam f¨ ur einen experimentellen Nachweis der Quantenkorrelationen ist, daß kooperative Wechselwirkungen zwischen Bosonen und Fermionen nach der Massen- und Spin-Superauswahlregel [10] stark eingeschr¨ankt sind.

2.3.2

Zum Nachweis der Quantenkorrelation in kondensierter Materie

Bevor man u ¨ber m¨ogliche Effekte von Quantenkorrelation in kondensierter Materie spekuliert, sollte klar sein, ob und wie man diese u ¨berhaupt nachweisen kann. Falls sich tats¨achlich das gesamte Universum in einem quantenkorrelierten Zustand befindet, wird man bei der Suche nach Effekten in kondensierter Materie keinen Erfolg haben, da dieser quantenkorrelierte Zustand die Referenz, oder das “Normale” w¨are19 . In diesem Fall m¨ ußte man versuchen, die Korrelation vor einer Messung zu brechen, bzw. die Dekoh¨arenzzeit zu verk¨ urzen, um Meßeffekte (einen effektiven Unterschied zu “normalen” Messungen) zu erzielen. Die Suche nach geeigneten Systemen f¨ ur die Messung von Quantenkorrelationseffekten h¨angt also vom Zustand unserer Umwelt ab - quantenkorreliert oder nicht. Nach dem oben gesagten scheint es am vern¨ unftigsten, anzunehmen, daß ein Gleichgewicht zwischen dem Aufbau und dem Bruch der Quantenkorrelationen besteht. Das heißt, je nach den Raten f¨ ur Korrelation und Dekoh¨arenz (egal nach welcher Formel berechnet) muß ein verschieden großer Anteil des betrachteten Stoffes korreliert sein. Der “durchschnittliche Korrelationsgrad” GQK einer Probe ist somit proportional der Korrelationswahrscheinlichkeit wQK eines nicht quantenkorrelierten Teilchens pro Stoß mit einem beliebigen Partner, dividiert durch die Dekorrelationswahrscheinlichkeit wDK eines quantenkorrelierten Objektes pro Stoß mit einem beliebigen Partner: GQK = 18 19

wQK wQK + wDK

(2.16)

Z.B. Elektron-Loch-Paare im Halbleiter oder Cooperpaare im Supraleiter. Der jeweils zu messende quantenkorrelierte Zustand wird nat¨ urlich beim Meßvorgang selbst zerst¨ort, was einen Einfluß auf das Meßergebnis aber keinesfalls ausschließt!

39

2 Das Konzept der Quantenkorrelation Die verallgemeinerten St¨oße (jegliche Wechselwirkung) werden f¨ ur jedes Teilchen oder Objekt einzeln abgez¨ahlt. Weiterhin kann die Lebensdauer τQK eines quantenkorrelierten Zustandes rein formal mit: τQK =

1 zstoss wDK

(2.17)

angegeben werden. Gleichung (2.17) beruht auf der Annahme, daß die Lebensdauer τQK umgekehrt proportional zur Dekorrelationswahrscheinlichkeit wDK und zur Anzahl der St¨oße pro Sekunde zstoss ist. Unabh¨angig von eventuellen Problemen bei der konkreten Anwendung der Gln. (2.102.12) und Gln. (2.13-2.15) in der Praxis, haben wir jetzt zwei gegeneinander gerichtete Prozesse in der Natur: Einerseits das Bestreben der Quantenkorrelation, sich auszubreiten und andererseits die schnelle Dekoh¨arenz in makroskopischen Systemen. Wichtig f¨ ur eine Meßbarkeit der Quantenkorrelation ist nun, ob und auf welchem Niveau sich ein Gleichgewicht zwischen den beiden Prozessen gem¨aß Gl. (2.16) einstellt, bzw. in welchem Zeitfenster τ die Korrelationen entstehen und zerfallen. Die Herangehensweise zur Berechnung der Lebensdauern τQK in Gl. (2.17), τDK in Gl. (2.12) und τrel in Gl. (2.15) ist v¨ollig verschieden. Die erstere, τQK , entspricht der “ungest¨orten” Zeit des quantenkorrelierten Systems, die zweite, τDK , gibt an, in welcher Zeit die Quantenkorrelation des Systems von ihrem Anfangswert auf “Null” abgesunken ist. τrel als dritte ist invers proportional dem Imagin¨arteil der Energien der Resonanzen in H c in Gl. (2.14) [122, 97]. Dabei sind Gl. (2.12) und Gl. (2.15) kontinuierlich, d. h. es ist keine “ungest¨orte” Zeit des quantenkorrelierten Systems vorgesehen, obwohl die Herleitung des entscheidenden 3. Terms von Gl. (2.12) und die von Gl. (2.15) auf zuf¨alligen oder thermischen St¨oßen beruht und damit auch eine Zeit zwischen zwei St¨oßen existieren muß. Es sei denn, man kann nicht davon ausgehen, daß in kondensierter Materie, aufgrund der vielf¨altigen gegenseitigen Wechselwirkungen zwischen den Teilchen, u ¨berhaupt eine “ungest¨orte” Zeit existiert. Falls diese “ungest¨orte” Zeit prinzipiell existiert, muß gekl¨art werden was als St¨orung oder Stoß gilt. In Ermangelung des Wissens, welche der vielen m¨oglichen Wechselwirkungen in kondensierter Materie zu Quantenkorrelation und/oder Dekoh¨arenz f¨ uhren, ist eine “St¨orung” oder ein “Stoß” letztendlich das Ereignis, welches zur Quantenkorrelation oder Dekoh¨arenz f¨ uhrt. Unter der nicht abwegigen Annahme, daß jeder Stoß zur Dekoh¨arenz f¨ uhrt (wDK = 1) w¨are nach Gl. (2.17) τQK = 1/zstoss die Zeit zwischen zwei St¨oßen, oder die Zeit zwischen dem Stoß, der zur Quantenkorrelation f¨ uhrte und dem n¨achsten, der sie wieder zerst¨ort. Diese Zerst¨orung kann aber nach Gl. (2.12) oder Gl. (2.15) nicht mehr als instantan betrachtet werden (wie in Abschnitt 2.2.1 stillschweigend angenommen), sondern als Prozeß mit endlicher Zeitkonstante τDK oder τrel . Um die Gesamtlebensdauer der Quantenkorrelation eines Systems zu bestimmen, muß man demzufolge die “ungest¨orte”

40

2.3 Quantenkorrelation in kondensierter Materie Zeit und die Dekoh¨arenzzeit addieren. Das macht allerdings nur Sinn, wenn beide in derselben Gr¨oßenordnung liegen, ansonsten dominiert die gr¨oßere von beiden die Gesamtlebensdauer des quantenkorrelierten Systems. Je gr¨oßer (oder besser schwerer) das betrachtete Gesamtsystem ist, desto kleiner ist nach Gl. (2.12) τDK und um so wichtiger wird τQK . Eine grobe Absch¨atzung f¨ ur die Stoßh¨aufigkeit eines Wassermolek¨ uls mit der Umgebung (Wasser) im freien-GasModell bei T = 300 K und einem Stoßquerschnitt sH2O = 5 ˚ A liefert 1016 St¨oße/s oder −16 τ = 10 s. Das ist ≈1000 mal weniger als die oben nach Gl. (2.12) berechnete Dekoh¨arenzzeit f¨ ur ein oder zwei Wassermolek¨ ule ohne Umgebung! Das heißt entweder, daß τDK gegen¨ uber τstoss geschwindigkeitsbestimmend ist, oder aber, daß nur jeder tausendste Stoß zur “Dekorrelation” f¨ uhrt. Das bedeutet, eine Erh¨ohung der Effektivit¨at der St¨oße, z.B. durch Austausch der Stoßpartner, erh¨oht die Dekorrelationswahrscheinlichkeit wDK und verringert somit nach Gl. (2.16) und Gl. (2.17) die Korrelationsrate GQK und die Lebensdauer τQK der quantenkorrelierten Zust¨ande. Es ist mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß die Lebensdauern τQK und der durchschnittliche Korrelationsgrad GQK vom betrachteten Material und den Umgebungsbedingungen abh¨angen. Um das Vorhandensein solcher Quantenkorrelationen in kondensierter Materie nachzuweisen, muß demzufolge der Korrelationsgrad kontrolliert erh¨oht oder aber verringert werden. Das erscheint auf den ersten Blick sehr schwierig ohne die u ¨brigen physikalischen Eigenschaften der zu untersuchenden Materie gleichzeitig zu ver¨andern. Um Quantenkorrelationseffekte zu messen, muß man also Stoffe oder Gemische untersuchen, deren theoretisch vorhergesagtes Verhalten f¨ ur große und kleine Lebensdauern τQK (“Anwesenheit” und “Abwesenheit”) der Quantenkorrelation signifikante Unterschiede aufweist. Dies gilt nach dem oben gesagten f¨ ur Mischungen von Fermionen und Bosonen und f¨ ur verschieden schwere Teilchen, wegen der in diesem Fall wirksamen Massen- und Spin-Superauswahlregel, welche die Lebensdauer quantenkorrelierter Zust¨ande in solchen Systemen stark einschr¨ankt. Falls also der Ausgangszustand des untersuchten Systems, einen Korrelationsgrad GQK > 0 aufweist, k¨onnte man diesen durch Zumischen von Material mit differierender Masse oder Spinstatistik beeinflussen, indem man die effektiven Lebensdauern verk¨ urzt. Die naheliegende Frage ist, auf welche Art und Weise man im Experiment die Korrelationsrate GQK ¨andert (z.B. Fermionen gegen Bosonen austauscht) und die sonstigen physikalisch-chemischen Eigenschaften des Systems unbeeinflußt l¨aßt (um m¨oglichst nur Quanteneffekte zu messen). Diese M¨oglichkeit ist gegeben, da verschiedene Isotope eines Elements bez¨ uglich der Kernspinstatistik entweder Fermionen oder Bosonen sind und sich, trotz verschiedener Kernmassen, in ihren physikalisch-chemischen Eigenschaften (vor allem der chemischen) nur geringf¨ ugig voneinander unterscheiden. Je gr¨oßer die Gesamtmassenzahl der Isotope ist, umso geringer sind die relativen Unterschiede im physikalisch-chemischen Verhalten. Allerdings sind auch die Lebensdauern der Quantenkorrelationen umgekehrt proportional zur Gesamtmasse des korrelierten Systems. Deshalb ist die Kombination Wasserstoff-Deuterium das aussichtsreichste Isotopenpaar, um Quantenkorrelationseffekte zu beobachten. Falls die aus der Massendifferenz resul-

41

2 Das Konzept der Quantenkorrelation tierenden klassischen Effekte aus dem Gesamtisotopeneffekt herausgerechnet werden k¨onnen, sollte ein eventueller Quantenkorrelationseffekt nicht verborgen bleiben. Aus diesem Grund bieten sich Mischungen von Protonen und Deuteronen in kondensierter Materie - also in allen Variationen in denen diese Mischungen in fester oder fl¨ ussiger Form vorliegen - wie etwa als H2 O und D2 O bei Zimmertemperatur - zur Untersuchung an. Solche Untersuchungen werden im experimentellen zweiten Teil der Arbeit n¨aher erl¨autert, sowie desweiteren erstmalig die Wirkung von Quantenkorrelation und Dekoh¨arenz auf die Kinetik einer chemischen Reaktion, der elektrolytischen Wasserspaltung, beschrieben.

2.3.3

Die Rolle der Entropie - Reversibilit¨ at von Prozessen

Quantenkorrelation und besonders die Dekoh¨arenz haben eine große Bedeutung hinsichtlich der Entropiebilanz von mikroskopischen Prozessen. Nach dem oben u ¨ber Quantenkorrelation gesagten ist es offensichtlich, daß ein quantenkorrelierter Zustand und ein beliebiger klassischer Zustand durch grunds¨atzlich verschiedene “Beziehungen” zwischen den betroffenen Teilchen gekennzeichnet sind. Welcher Art sind die Beziehungen der Teilchen im quantenkorrelierten Zustand? Wie in Kap. 2.2 beschrieben, ist in quantenkorrelierten Systemen die relevante physikalische Information u ¨ber alle verschr¨ankten Zust¨ande verteilt. Jedes Teilsystem besitzt Information u ¨ber das Gesamtsystem, d. h. die Beziehungen der quantenkorrelierten Teilchen sind durch einen hohen Informationsgehalt gekennzeichnet. Wie bekannt (s. z.B. [126, 98]) sind klassisch gesehen Statistik, Information und Entropie durch folgende Relationen verbunden: S = −kB lnW ≡ −kB lnΓ

(Statistische Entropie)

(2.18)

(Entropie der Inf ormation),

(2.19)

und [83, 127], S = −k ln 2nbit

wobei W die Anzahl zu besetzender Zust¨ande, Γ das Phasenraumvolumen und nbit den Informationsgehalt in bits angeben. Dieser Informationsgehalt und die damit zusammenh¨angende Entropie a¨ndern sich bei Quantenkorrelations- und Dekoh¨arenzprozessen, was der “Eliminierung” der Nebendiagonalelemente der Dichtematrix entspricht (s. Kap. 2.2). Eine quantitative Beschreibung der Entropie¨anderung ist von der Art der Quantenkorrelation abh¨angig (Teilchen k¨onnen bez¨ uglich des Spins, des Ortes, des Impulses, etc. korreliert sein). Auch gibt es verschiedene Abstufungen der Quantenkorrelation; ein System kann maximal oder unvollst¨andig verschr¨ankt sein [4, 128].

42

2.3 Quantenkorrelation in kondensierter Materie F¨ ur ein System von zwei bez¨ uglich des Spins vollst¨andig verschr¨ankten Elektronen besteht zwischen dem quantenkorrelierten und dem “Normal”-Zustand ein Informationsunterschied von 1 bit (quantenkorreliert pro Teilchen 2 bit, klassisch pro Teilchen 1 bit, s. Kap. 2.1.2 “Dense Coding”). Das entspricht einem Entropieunterschied von ∆S = −k ln2 = 10−23 J/K, d. h. bei Zimmertemperatur einer Energie von 3·10−21 J. Die Entropie und die Energie sind dabei u ¨ber die Relationen G = H − TS

(Gibbs F unktion)

(2.20)

oder A = U − TS

(Helmholtz F unktion)

(2.21)

miteinander verbunden, wobei G die freie Enthalpie, A die freie Energie, H die Enthalpie und U die innere Energie sind. Quantenmechanische Zust¨ande werden allgemein durch Dichtematrizen beschrieben (s. Kap. 2.2). Die Entropie S (quantenmechanisch das Maß f¨ ur die fehlende Information u uckt ¨ber einen Zustand [95]), wird in diesem Formalismus folgendermaßen ausgedr¨ [128, 100]: S = −k Sp(ρlnρ)

(von N eumann−Entropie)

(2.22)

mit Sp=Spur, die Summe der Hauptdiagonalelemente. Das Verschwinden der Nebendiagonalelemente der Dichtematrix beim Dekorrelationsprozeß (Dekoh¨arenz) f¨ uhrt nach Gl. (2.22) direkt zu einer Erh¨ohung der Entropie S, da auch die darin enthaltene Information verloren geht20 . Unter der Annahme, daß die thermodynamische Entropie mit der Informations- und von Neumann-Entropie physikalisch vergleichbar ist [129], ergibt sich folgender thermodynamischer Sachverhalt: Die gleiche Entropie S, die bei der Dekoh¨arenz der Teilchen erzeugt wird, muß beim Korrelationsprozeß unter Energieverbrauch vermindert werden, um die erh¨ohte Information des quantenkorrelierten Systems aufzubringen. Da in der Natur alle freiwillig ablaufenden Prozesse bei konstanter freier Energie oder Enthalpie unter Entropieerh¨ohung ablaufen, ist der Zerfall der Quantenkorrelation gegen¨ uber seiner Entstehung thermodynamisch bevorteilt. Anders ausgedr¨ uckt, beim Korrelationsprozeß muß die Energie aufgebracht werden, welche bei der Dekorrelation als “nicht verf¨ ugbare” entropische Energie wieder abgegeben wird. Wenn diese Energie aus dem verf¨ ugbaren Pool an Enthalpie oder innerer Energie entnommen wird (z.B. aus der kinetischen Energie der Teilchen), gleicht der Prozeß Quantenkorrelation→Dekoh¨arenz einer st¨andigen mikroskopischen Entropieerzeugung. Prozesse, die mit der Zerst¨orung oder Entstehung eines quantenkorrelierten Zustandes verbunden sind, sollten aus diesem Grund keine vollst¨andige zeitliche Reversibilit¨at aufweisen. 20

Die Nebendiagonalelemente von ρ spielen nat¨ urlich keine Rolle f¨ ur Sp ρ, die Summe der Hauptdiagonalelente von ρ, aber durch die Multiplikation mit lnρ wirken die Nebendiagonalelemente von ρ auch auf die Gesamtspur Sp (ρ lnρ).

43

2 Das Konzept der Quantenkorrelation

44