Werkstoffe der Elektrotechnik

Höchstfrequenzelektronik Prof. Dr.-Ing. Andreas Thiede Warburger Str. 100 33098 Paderborn Raum P1.402.1 Fon +49 52 51. 60-30 40 Fax +49 52 51. 60-42 2...
Author: Helge Meinhardt
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Höchstfrequenzelektronik Prof. Dr.-Ing. Andreas Thiede Warburger Str. 100 33098 Paderborn Raum P1.402.1 Fon +49 52 51. 60-30 40 Fax +49 52 51. 60-42 26 E-Mail [email protected] Web groups.upb.de/hfe

Vorlesung

Werkstoffe der Elektrotechnik A. Thiede

A. Thiede

Werkstoffe der Elektrotechnik

Einleitung Das Ziel der Lehrveranstaltung besteht in der Vermittlung festkörperphysikalischer Grundlagen für das Verständnis der Funktion und Technologie elektronischer und elektrotechnischer Bauelemente. Aufbauend auf Kenntnissen aus dem Mathematik- und Physikunterricht der Abiturstufe sowie den Lehrveranstaltungen Mathematik und Experimentalphysik ist die Lehrveranstaltung "Werkstoffe der Elektrotechnik" wie folgt gegliedert: I.

Grundlagen der Festkörperphysik

II. Metalle III. Halbleiter IV. Dielektrische Werkstoffe V. Magnetische Werkstoffe Die Lehrveranstaltung "Werkstoffe der Elektrotechnik" schafft damit insbesondere Voraussetzungen für die Lehrveranstaltungen "Halbleiterbauelemente", "Elektrische Antriebe", "Optische Nachrichtentechnik", "Hochfrequenzelektronik" und "Halbleitertechnologie".

Für das begleitende bzw. vertiefende Selbststudium wird folgende Literatur empfohlen: [1] [2] [3] [4] [5]

W. v. Münch, Werkstoffe der Elektrotechnik, Teubner-Verlag, 1993 K. Kopitzki, Einführung in die Festkörperphysik, Teubner-Verlag, 1993 H. Vogel, Gerthsen Physik, Springer-Verlag, 1999 R. Paul, Halbleiterphysik, Hüthig Verlag, 1975 A. Möschwitzer, K. Lunze, Halbleiterelektronik-Lehrbuch, Verlag Technik,1984

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(51 XWO 1013) (41 UIQ 4016) (41 UAP 1485) (65 UIU 1589) (... YEM 1161)

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Werkstoffe der Elektrotechnik Einleitung

Werkstoffe können hinsichtlich ihres Aggregatszustandes in Festkörper, Flüssigkeiten, Gase und Plasmen unterschieden werden. Die nachfolgende Tabelle fasst den Stand der Erforschung dieser Werkstoffgruppen, ihre aktuelle Bedeutung sowie deren Trend zusammen. Bedeutung Trend Erkenntnisstand

Plasma klein  hoch

Gas klein  hoch

Flüssigkeit klein (außer LCD)  hoch

Festkörper sehr groß  sehr hoch

Tabelle 1: Vergleich von Werkstoffgruppen nach Aggregatszustand Insbesondere im Hinblick auf die Bauelemente der Elektrotechnik resultiert der starke Trend zum Festkörper dabei aus:  der hohen Zuverlässigkeit, die oft unterschätzt wird aber letztlich hochkomplexe Systeme erst ermöglicht,  der Möglichkeit der Miniaturisierung,  der Nutzung neuer Wirkprinzipien,  der gezielten Realisierbarkeit gewünschter Eigenschaften, also eines "Festkörper nach Maß", sowie  der Raumladungskompensation, die nach außen neutral wirkende Bauelemente ermöglicht. Tritt in einem Festkörper eine Ordnung der Bausteine nur im Nahbereich auf, wie das z.B. bei Keramiken oder Gläsern der Fall ist, so spricht man von amorphen Festkörpern. Sind die Bausteine jedoch in großen Bereichen räumlich periodisch angeordnet, so liegt ein kristalliner Festkörper vor. Populäre Beispiele hierfür sind Kochsalz (NaCl) oder Diamant. Aufgrund ihrer außerordentlichen Bedeutung werden wir uns im Folgenden insbesondere mit kristallinen Festkörpern beschäftigen.

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Werkstoffe der Elektrotechnik

I. Grundlagen der Festkörperphysik 1. Quanten und Wellen Max Planck eröffnete im Jahre 1900 durch seine sogenannte Quantenhypothese, in der er postulierte, dass für eine Schwingung mit der Frequenz f nur diskrete Energiewerte E n  n  h  f mit n=1, 2, ... (I.1) möglich seien, dem Verständnis des Mikrokosmos völlig neue Möglichkeiten. Nach ihm wird die Konstante h = 6.6246 10-34 Ws2 als das Plancksche Wirkungsquantum bezeichnet. Bekanntermaßen wird die kleinste durch Licht transportierbare Energieportion als Lichtquant oder Photon bezeichnet. Aber auch die Energien z.B. der Gitterschwingungen der Atome eines Festkörpers sind gequantelt; man spricht hier von Phononen. Ausgehend von der Energie eines Photons E  h  f  m  c2 (I.2) ergibt sich für dessen Impuls h f h p  mc   mit   f  c (I.3) c  Wir wollen die Wellenzahl 2 k (I.4)  einführen, die also angibt, wieviele Wellenlängen auf ein 2π-faches einer Längeneinheit passen. Die Angabe k=3 cm-1 besagt also, dass auf eine Strecke von etwa 6.2 cm gerade 3 Wellenlängen passen, die Wellenlänge also etwa 2 cm beträgt. Zu beachten ist, dass k der Betrag des Wellenvektors ist, der in Richtung der Wellenausbreitung zeigt ! Unter Verwendung dieser Definition ergibt sich nun als Impuls h p k  k (I.5) 2 Da die Konstante h in vielen Gleichungen um den Faktor 2π vermindert benötigt wird, wurde zur Vereinfachung die Konstante  eingeführt. Mit ihr erhält man eine sehr ähnliche Darstellung der Energie eines Photons, wenn statt der Frequenz f die Kreisfrequenz ω verwendet wird: E  h f  ω (I.6) Die Gültigkeit des Energieerhaltungssatzes für Photonen kann mit dem -U bereits für den Nachweis der Teilcheneigenschaften des Lichtes hinlänglich bekannten Photoeffekt demonstriert werden. Bild I.1 zeigt den grundsätzlichen Versuchsaufbau. Eine Metallplatte wird mit Licht bestrahlt. Ist das Licht hinreichend kurzwellig, d.h. übersteigt die Energie der Photonen die Austrittsarbeit EM , so werden aus der Metalloberfläche Bild I.1: Photoeffekt Elektronen gelöst. Der Energieüberschuss, den die Elektronen als kinetische Energie mitnehmen, kann gemessen werden, indem man die Spannung U bestimmt, gegen die diese Elektronen gerade noch anlaufen können, oder mit anderen Worten, bei der der Strom gerade 0 wird, und man erhält h  f  E kin  E M  q  U  E M (I.7) f f' Dabei bezeichnet q den Betrag der Ladung eines Elektrons, die k  h h sogenannte Elementarladung c c q  1.62 1019 As (I.8)  Der Impulserhaltungssatz kann mit Hilfe des Comptonf h Effektes demonstriert werden. Wie schematisch in Bild I.2 c mv dargestellt werden hierzu Photonen, praktisch nutzt man Röntgenstrahlung, auf ein als ruhend zu betrachtendes Elektron geschossen. Geht man davon aus, dass sich die Energie bzw. Bild I.2: Compton-Effekt der Impuls des Photons dabei nur wenig ändern, d.h. dass 4

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f  f ' , so erhält man, wie in Übung I.1 zu zeigen sein wird, als Wellenlängenverschiebung des Photons 2h   '    sin 2 (I.9) mc 2 was exakt den im Experiment messtechnisch ermittelten Werten entspricht. Der Dualismus der Wellen- und Teilchenbetrachtung des Lichtes legt die Frage nahe, ob man auch den uns aus der Alltagserfahrung unzweifelhaft als Teilchen zugänglichen Erscheinungen Welleneigenschaften zuweisen kann. De Broglie setzte hierzu formal die aus der teilchen- und wellenmechanischen Betrachtung resultierenden Impulse gleich h (I.10) mv  p  k      Teilchen Welle und erhielt so für die nach ihm benannte de Broglie Wellenlänge h  mv Für die Energie ergibt die gleiche Betrachtung 1 m  v2  E    h f 2       Teilchen Welle

(I.11)

(I.12)

Man kann somit also jedem bewegten Teilchen eine Welle zuordnen, 2 2 j kx  ωt    x, t   C  e  mit k  und    2  f (I.13)  T wobei ausdrücklich darauf hingewiesen sei, dass es sich dabei um ein mathematisches Modell handelt und diese Welle nicht durch eine physikalische Größe repräsentiert wird oder gar das Teilchen selbst sich etwa schlangenförmig bewegen würde. Die fehlende physikalische Repräsentanz mag zunächst verwirren, ist jedoch kein spezifischer Nachteil der Wellenvorstellung. Lediglich die uns aus dem Alltag besser vertraute Teilchenvorstellung lässt uns vergessen zu fragen, aus welchem Material denn eigentlich die Teilchen sein sollen, als die wir uns die Elektronen vorstellen. Welche Bedeutung hat nun aber die Geschwindigkeit des Teilchens für die Wellenbetrachtung ? Wir vermuten zunächst, es handele sich um die Phasengeschwindigkeit der Welle, also die Geschwindigkeit mit der sich ein bestimmter Schwingungszustand, z.B. ein Maximum, bewegt. Wir definieren also die Phasengeschwindigkeit Wege eines Punktes konstanter Phase x 2  x1 vP  für   x1 , t1     x 2 , t 2   (I.14) Zeit t 2  t1 Aus dieser Bedingung folgt, dass k  x 2   t 2  k  x1   t1 (I.15) sein muss und wir erhalten für die Phasengeschwindigkeit m 2 v x 2  x1     E 2 v (I.16) vP       t 2  t1 k   k p mv 2 Die Phasengeschwindigkeit ist also nur halb so groß wie die Geschwindigkeit des Teilchens, beide Größen sind also ganz offensichtlich nicht gleichbedeutend. Dies kann eigentlich auch nicht überraschen, da ein Teilchen stets räumlich lokalisiert, eine Welle dagegen unendlich ausgedehnt ist. Wir wollen nun eine Überlagerung zweier Wellen j kx-ωt a  C  e   (I.17) und

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 b  C  e  (I.18) betrachten, deren Wellenzahl k und Frequenz ω sich also um infinitesimal kleine Beträge unterscheiden. Wir suchen wieder die Bedingungen für den gleichen Phasenzustand. Offenbar muss jetzt sowohl  a  x1 , t1    a  x 2 , t 2  (I.19) als auch  b  x1 , t1    b  x 2 , t 2  (I.20) j  k+dk  x- ω+dω  t

gelten. Daraus folgen in gleicher Weise wie bei Gleichung I.15 jetzt zwei Gleichungen: k  x 2  ω  t 2  k  x1  ω  t1 (I.21) (I.22)  k  dk   x 2     d  t 2   k  dk   x1     d  t1 Wir subtrahieren nun jeweils von der linken und der rechten Seite von Gleichung I.22 die entsprechende Seite von Gleichung I.21 dk  x 2  dω  t 2  dk  x1  dω  t1 (I.23) sortieren um, klammern aus dk   x 2  x1   dω   t 2  t1  (I.24) und erhalten schließlich  m  v2  d  2  x  x1 d d     dE 1 dp 2 vG  2        v (I.25) t 2  t1 dk d    k  dp dp 2  m dp Es liegt nahe, den Aufenthaltsort des Teilchens mit dem Maximum dieser Überlagerung zu korrelieren. Die Aufenthaltswahrscheinlichkeit ist dw  x     x  dx     * 2

(I.26)

Die Geschwindigkeit, mit der sich ein bestimmter, räumlich nun auch lokalisierbarer Überlagerungszustand zweier oder mehrerer Wellen bewegt, wird als Gruppengeschwindigkeit bezeichnet. Der Bewegungsgeschwindigkeit des Teilchens entspricht also die Ausbreitungsgeschwindigkeit dieses Maximums. Es ist interessant, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass ein Maximum um so deutlicher wird, je unterschiedlicher die Wellenlängen der überlagerten Wellen sind. Bild I.3 zeigt beispielhaft die normierten Quadratsummen von jeweils 101 Cosinusfunktionen aus einem Band mit einer relativen Breite von 0.01 %, 0.1 % und 1 %. Wir können den Ort des Teilchen offensichtlich dann am exaktesten bestimmen, wenn die Wellenlänge und damit der Impuls am stärksten verwischt sind, was gerade die Aussage der Heisenbergschen Unschärferelation ist: x  p  h (I.27)

-40

1

1

1

0.8

0.8

0.8

0.6

0.6

0.6

0.4

0.4

0.4

0.2

0.2

0.2

-20

20

0.01 %

40

-40

-20

20

0.1 %

40

-40

-20

20

40

1%

Bild I.3: Normierte Quadratsumme von 101 Cosinusfunktionen aus einem Band der angegebenen relativen Breite

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Werkstoffe der Elektrotechnik 2. Die Schrödinger-Gleichung

Aus der mathematischen Grundausbildung für Ingenieure ist bekannt, dass bei der Multiplikation einer Matrix mit einem Vektor letzterer i.a. gedreht und gestreckt wird. Für spezielle Vektoren kann jedoch die Matrix auch lediglich eine Längenänderung bewirken, d.h. sie wirkt wie ein Skalar. Vektoren f und Skalare a, die bezüglich der Matrix A dementsprechend die Gleichung Af  a f (I.28) erfüllen, heißen Eigenvektoren bzw. Eigenwerte dieser Matrix. David Hilbert erkannte, dass sich Funktionen formal wie Vektoren verhalten. Die Rolle der Matrizen übernehmen dabei sogenannte Operatoren, worunter wir Handlungsanweisungen für mathematische Operationen verstehen wollen. Für solche Operatoren A lassen sich nun in gleicher Weise Eigenfunktionen und Eigenwerte definieren. Diese in den Ingenieurwissenschaften weniger vertraute Betrachtung ist nun gerade eine der Grundlagen der modernen Physik. So entspricht jeder physikalischen Größe ein Operator und Zustände werden als Überlagerungen seiner Eigenfunktionen interpretiert. Operatoren sind dabei nicht im strengen Sinne mathematisch ableitbar. Dies mag zunächst überraschen, stellt bei näherer Betrachtung aber keinen Unterschied zu anderen Modellen dar. So kann man z.B. auch das Holzkugelmodell eines Moleküls nicht mathematisch ableiten, man kann aber sehr wohl gut vertraute Dinge, wie z.B. Holzkugeln, verwenden, um sich eine modellhafte Vorstellung bestimmter Anordnungen von Atomen zu machen. Das Problem liegt also eher darin, dass uns mathematische Zusammenhänge nicht in gleicher Weise wie Holzkugeln seit dem frühesten Kindesalter sehr vertraut sind, sondern dass diese Vertrautheit erst in späteren Jahren mit allerdings nicht minder intensivem Üben erworben werden muss. Verdeutlichen wir dies an einem Beispiel. Wir definieren einen Operator B durch die Anweisung: "Differenziere nach t und multipliziere anschließend mit j !", d.h. also  B  j (I.29) t Wir wollen nun die Eigenfunktionen f und Eigenwerte b bestimmen für die dann gelten muss f B f  b  f bzw. j   b  f (I.30) t Sehr schnell errät man, dass alle Funktionen f    r   e  jωt (I.31) die Gleichung I.30 erfüllen, wobei φ(r) eine beliebige nur vom Ort abhängige Funktion sein kann. Die zugehörige Eigenwerte sind bω (I.32) Wir wollen nun zunächst einen Zustand betrachten, der durch nur eine Eigenfunktion gegeben ist:   c  f  c    r   e  jωt (I.33) Die Aufenthaltswahrscheinlichkeit wird dann   *   c    r   e  jωt    c    r   e jωt   c 2  2  r 

(I.34)

d.h. die räumliche Verteilung ist zeitlich stabil. Setzen wir jedoch einen Zustand aus zwei Eigenfunktionen zusammen   c1  f1  c 2  f 2  c1  1  r   e  jω1t  c 2  2  r   e  jω2 t (I.35) so erhalten wir mit   *  c1  1  r   e  jω1t  c 2  2  r   e  jω2 t  c1  1  r   e jω1t  c2  2  r   e jω2 t





 c1  1  r   c 2  2  r   c1  c 2  1  r   2  r   e  2

2

2

j ω2 -ω1  t

2



 c1  c2  1  r   2  r   e

 j ω2 -ω1  t

(I.36)

 c1  1  r   c2  2  r   2  c1  c 2  1  r   2  r   cos   ω2 -ω1   t  2

2

2

2

eine oszillierende räumliche Verteilung. Dies würde aber genau dem Bohr'schen Atommodell entsprechen, das stationäre Zustände und zumindest zeitweise strahlende Übergänge kennt. Der Operator

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B wird als Kreisfrequenzoperator bezeichnet. Folglich ist der auch Hamilton-Operator genannte Energieoperator  H    B    j (I.37) t Wir wollen nun den Energieerhaltungssatz, d.h. die Tatsache, dass die Summe von kinetischer und potentieller Energie stets einem erlaubten Energiezustand entsprechen muss, in Form einer Operatorgleichung schreiben: 2   (I.38)    V(r)   2m j t       Ekin Epot E 2   V(r) wiederum der Hamilton-Operator und Δ der Laplace-Operator 2m 2 2 2  2 2  2 x y z Diese Operatorgleichung ist gültig für alle Zustandsfunktionen  (r, t)

Dabei ist 

(I.39)

2   (I.40)   (r, t)  V(r)   (r, t)    (r, t) 2m j t und wird als die zeitabhängige Schrödinger-Gleichung bezeichnet. Da Ableitungen sowohl nach x als auch nach t und bis zur Ordnung 2 vorkommen, handelt es sich um eine partielle Differentialgleichung zweiter Ordnung. Sie ist für praktisch interessierende Probleme nur mit erheblichem Aufwand auf numerischem Wege zu lösen. Wir wollen deshalb nun sofort gravierende Vereinfachungen vornehmen. 

2.1. Zeitunabhängige Schrödinger-Gleichung Zunächst wollen wir die Zeitabhängigkeit separieren und nur noch die Ortsabhängigkeit betrachten, wobei wir uns außerdem auf eine Ortskoordinate x beschränken. Dazu probieren wir einen Produktansatz für die Lösung der zeitabhängigen Schrödinger-Gleichung aus.  (x, t)  1 (x)   2 (t) (I.41) Dieser Ansatz wird in Gleichung I.40 eingesetzt  2  ² 1 (x)   (t)     2 (t)  V(x)  1 (x)   2 (t)    1 (x)  2 (I.42) 2m j x² t Anschließend dividieren wir auf beiden Seiten durch 1 und  2 . 2 1  1  2 (t)  ²1 (x)     V(x)     2m 1 (x) j  2 (t) x² t    nur von x abhängig nur von t abhängig

(I.43)

Da beide Seiten von unterschiedlichen Variablen abhängig sind, können sie nur dann gleich sein, wenn sie beide einer Konstanten E mit der Dimension einer Energie gleich sind. Für die rechte Seite erhalten wir somit E 1  j  dt   d 2 (t) (I.44)   2 (t) E  j    t  t 0   ln   2 (t)  (I.45) 

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E  j t

 2 (t)  e  (I.46) wobei die aus der Integrationskonstanten resultierende Phase t0 beliebig und also auch bequem t0=0 gewählt werden kann. Vergleichen wir diese Zeitfunktion mit dem zeitlich periodischen Faktor aus Gleichung I.13 für die de Broglie-Welle so stellen wir fest, dass unsere Konstante E E  ω (I.47) die Gesamtenergie des Teilchens sein muss. Für die linke Seite von Gleichung I.43 erhalten wir somit  2 d²1   (E  V)1  0 (I.48) 2m dx² Diese lediglich vom Ort abhängige Gleichung ist eine gewöhnliche Differentialgleichung zweiter Ordnung. Sie wird zeitunabhängige Schrödinger-Gleichung genannt. Typischerweise wird sie gelöst, um bei vorgegebenem Verlauf der potentiellen Energie mögliche Zustände der Gesamtenergie zu berechnen. Dabei gehorcht Gleichung I.48 den Randbedingung der Normierung

1     * dτ  V







1



* 1

 e





1

*

*

 1   2   2 dx 



E j t 

e

E j t 

(I.49)



dx 



1

* 1

  dx



da sich das Teilchen ja irgendwo im Volumen aufhalten muss, und der Stetigkeit, d.h. 1 und

d1 dx

müssen endlich und stetig sein. Wir wollen die zeitunabhängige Schrödinger-Gleichung nun für besonders einfache Anordnungen lösen. a) Lösung für das freie Elektron: Für das freie Elektron ist die potentielle Energie überall gleich und kann daher auch 0 gesetzt werden. Damit ergibt sich aus Gleichung I.48  2 d²1    E  1 (I.50) 2m dx² und weiter 2mE 1 ''   1 (I.51) ² Die Gesamtenergie E ist gleich der kinetischen Energie Ekin und kann geschrieben werden als m m2  v2 p2 2  k 2   E  E kin   v 2  (I.52) 2 2m 2m 2m und wir erhalten durch das Einsetzen des nach der Wellenzahl k umgestellten Ergebnisses aus Gleichung I.52 E 2m (I.53) k 2  kin 2  in die Gleichung I.51 1 ''   k 2  1 (I.54) Diese Gleichung ist eine gewöhnliche Differentialgleichung zweiter Ordnung mit konstanten Koeffizienten. Sie kann in einfachster Weise gelöst werden, wenn man den Ansatz 1  e λx , 1 '    e λx , 1 ''   2  e λx (I.55) verwendet. Durch Einsetzen dieses Ansatzes erhält man λ 2  e λx   k 2  e λx (I.56) und somit 9

A. Thiede  k ,

Werkstoffe der Elektrotechnik 1   j  1  j  k,  2   j  k

(I.57)

Für die gesuchte Wellenfunktion erhalten wir somit zunächst die zeitunabhängige Lösung 1  A  e jkx  B  e  jkx (I.58) und daraus schließlich durch Hinzufügen des zeitabhängigen Faktors entsprechend Gleichung I.46 die zeitabhängige Lösung  

  Ae   Be        hinlaufende Welle rücklaufende Welle j kx  ωt

 j kx  ωt

(I.59)

Den möglichen Bewegungsrichtungen entsprechen also eine hin- und eine rücklaufende Welle, wobei die Koeffizienten A und B aus den Randwerten zu bestimmen sind. b) Lösung für ein freies Elektron an einer Potentialstufe: Wir wollen nun annehmen, dass das freie Elektron an der Stelle x=0 auf eine Potentialstufe trifft, d.h. wie in Bild I.4 gezeigt, ist die potentielle II I Energie in einem Bereich I gleich 0 und in einem Bereich II gleich V0 . Die V0 mit den Gleichungen I.50 bis I.54 gegebenen Schritte sind nun also für beide Bereiche getrennt durchzuführen: E2m 2 2 I: kI  (I.60) x0 1,I ''   k I  1,I 0 x 2 Bild I.4: Potentialstufe  E  V0   2  m 2 2 II: x0 1,II ''   k II  1,II k II  (I.61) 2 Wir erhalten somit unterschiedliche Wellenzahlen für beide Bereiche und die gesuchten Wellenfunktionen sind: I: 1,I  A  e jk I x  B  e  jk I x (I.62) E

II:

1,II  C  e jk II x  D  e  jk II x

(I.63)

d.h. in beiden Bereichen ergibt die Lösung wiederum hin- und rücklaufende Wellen, wobei die Koeffizienten A, B, C und D aus den Randwerten zu bestimmen sind. Man sieht leicht ein, dass es im Bereich II keine rücklaufende Welle geben kann, also D=0 gilt, da keine weitere Barriere auftritt. Aus der Stetigkeitsbedingung folgt (I.64) 1,I  x  0   1,II  x  0   A  B  C und wegen der stetigen Differenzierbarkeit muss 1,I '  x  0   1,II '  x  0   k I   A-B   k II  C

(I.65)

gelten. Wir können also zwei weitere Konstanten eliminieren und erhalten endgültig   k  C  k  1,I (x)  1  II   e jk I x   1  II   e  jk I x  2  kI   kI   jk II x 1,II (x)  C  e

(I.66) (I.67)

Mit diesem Ergebnis lässt sich nun z.B. bereits die Transmissionswahrscheinlichkeit eines Elektrons an der Potentialstufe berechnen. Dies wird jedoch Gegenstand der Übungsaufgabe II.1 sein. An dieser Stelle sei noch darauf hingewiesen, dass für  E  V0   0 entsprechend Gleichung I.61 kII imaginär wird, 1,II somit einen reellen, negativen Exponenten erhält und daher die Wellenfunktion ebenso wie die Aufenthaltswahrscheinlichkeit mit zunehmendem x gegen 0 streben. Das überrascht auch aus makroskopischer Sicht nicht, hervorzuheben ist vielmehr, dass die Aufenthaltswahrscheinlichkeit nicht

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sofort auf Null fällt. Andererseits folgt aus Gleichung I.66 , dass auch für E  V0 eine Reflexion an der Potentialstufe und somit eine rücklaufende Welle auftreten. Diese scheinbare Diskrepanz zur Alltagserfahrung wird jedoch durch Übungsaufgabe II.2 beseitigt werden. c) Lösung für ein freies Elektron an einer Potentialbarriere: Betrachten wir ein freies Elektron, das wie in Bild I.5 gezeigt an der Stelle x=0 auf eine Potentialbarriere der Dicke a trifft, so ist das bereits zweifach III I II demonstrierte Verfahren nun für drei Bereiche getrennt durchzuführen: V0 E2m 2 2 I: x0 1,I ''  k I  1,I (I.68) kI  2  E  V0   2  m 2 2 x a 0 0  x  a 1,II ''  k II  1,II k II  (I.69) II: 2  Bild I.5: Potentialbarriere E2m 2 2 III: x  a 1,III ''  k III  1,III k III  (I.70) 2 Wir wollen jedoch davon ausgehen, dass die Energie des Elektrons geringer als die Höhe der Potentialbarriere ist und führen deshalb 2 (V  E)  2m (E  V0 )  2m 2 k 'II  0   k II (I.71) ² ² ein. Damit erhalten wir für die drei Bereiche die Wellenfunktionen 1,I  A  e jk I x  B  e  jk I x (I.72) I:

E

'

'

II:

1,II  C  e  k II x  D  e k II x

(I.73)

III:

1,III  E  e jk III x

(I.74)

wobei bereits berücksichtigt wurde, dass es im Bereich III keine rücklaufende Welle geben kann. Auch hier lässt sich nach der Bestimmung der Koeffizienten A-E aus den Randwerten nach einer etwas längeren Rechnung wieder die Transmissionswahrscheinlichkeit vom Gebiet I in das Gebiet III angeben: 1

 2     sinh 2  2  m  a  V0  1  E    2a  ²    V0    EE*    e   1  T AA*  E  E  4   1     V0  V0     

E I

II

III

2m V0  E 

(I.75)

Mit diesem Ergebnis kann man auch relativ einfach die Transmissionswahrscheinlichkeit für eine beliebig geformte Barriere angeben, wenn man sich wie in Bild I.6 dargestellt die Barriere aus vielen kastenförmigen Barrieren infinitesimaler Breite dx vorstellt und somit zum Integral übergeht: 2   

a



2m q  x   E  dx

Te 0 (I.76) Abschließend sei hervorgehoben, dass auch dieses Ergebnis unserer makroskopischen Teilchenvorstellung widerspricht. Nach dieser kann z.B. eine Kugel nur dann einen Berg überrollen, wenn ihre kinetische Energie die zu erwartende Zunahme an potentieller Energie übersteigt. Im mikroskopischen Bild findet das Teilchen aber scheinbar einen "Tunnel", durch den es die andere Seite des Berges erreicht, ohne den Gipfel zu passieren. Auf Grund der in elektronischen Bauelementen sehr geringen Dimensionen wird dieser Tunnel-Effekt nicht nur tatsächlich beobachtet sondern gezielt ausgenutzt. Aus Sicht des x a 0 Bild I.6: Potentialbarriere beliebiger Form

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Wellenbildes ist dies natürlich sofort plausibel, denn z.B. auch Licht kann ein dünnes Blatt Papier durchdringen. Dabei tritt in Abhängigkeit von der Stärke des Blattes jedoch eine Dämpfung auf, der wiederum im quantenmechanischen Bild eine Abnahme der Wellenfunktion und damit der Transmissionswahrscheinlichkeit entsprechend Gleichung I.76 entspricht. d) Lösung für ein Elektron im Potentialtopf mit unendlich hohen Wänden: E

a a x 0  2 2 Bild I.7: Potentialtopf 

Bisher haben wir stets freie Elektronen betrachtet, nun wollen wir uns langsam Elektronen in Festkörpern zuwenden. Dazu betrachten wir zunächst ein Elektron in einem Potentialtopf, dessen Wände als unendlich hoch angenommen werden sollen, so dass die Aufenthaltswahrscheinlichkeit für das Elektron am Rand dieses Topfes 0 sein muss. Innerhalb des Topfes erhalten wir wieder die Funktion einer hin- und einer rücklaufenden Welle 1  A  e jkx  B  e  jkx mit A  B (I.77)

wobei diesmal die Beträge der Koeffizienten A und B gleich sein müssen, da die Wellen ja das Gebiet des Topfes nicht verlassen können. Damit ist also    2mE 1  A   e jkx e  jkx  mit k  (I.78)     Die rot und blau markierten Fälle müssen wir nun zunächst getrennt behandeln. Mit Hilfe der Euler'schen Formel erhalten wir 1  2  A  cos kx  I  2  A  j  sin kx (I.79) Das Einsetzen der bereits erläuterten Randbedingung  a 1     0 (I.80)  2 ergibt  a  a cos  k    0 sin  k    0 (I.81)  2  2 Daraus folgt a  a  (I.82) k  n mit n  1,3,5,... k  n mit n  2, 4, 6,... 2 2 2 2 oder beide Fälle wieder zusammengefasst  k  n mit n  1, 2,3,... (I.82) a Damit können wir die gefundenen Werte für k in Gleichung I.78 einsetzen und nach den zugehörigen Energien umstellen.  2  k 2  2  n 2  2 E(k) En   2m 2  m  a2 (I.83) h2 2   n mit n  1, 2,3,... 8 m  a2 Die erlaubten Energien sind also diskrete Punkte auf einer Parabel in einem E(k)-Diagramm. Für a   , d.h. für einen unendlich breiten Potentialtopf, nähern wir uns wieder der Situation für ein freies Elektron an. Damit   2 2 k     werden die erlaubten Energien wieder kontinuierlich und a a a a alle Punkte der Parabel sind mögliche energetische Bild I.8: E(k) Diagramm für ein Elektron Zustände. im unendlich hohen Potentialtopf Eine sehr anschauliche Interpretation der Gleichungen I.81 12

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und I.82 gelingt durch den Vergleich mit einer eingespannten Saite. In Bild I.9 sind die Lösungen der Wellenfunktion für n von 1 bis 4 dargestellt. 



n=1



n=2



n=3

n=4

a a a a a a a a x x x    0  0  0  0  2 2 2 2 2 2 2 2 Bild I.9: Wellenfunktionen für ein Elektron im Potentialtopf mit unendlich hohen Wänden 

x

Die in Gleichung I.79 jeweils noch verbliebene Konstante A soll nun noch durch die Normierung entsprechend Gleichung I.49 bestimmt werden. Ausgehend von 1  2  A  cos kx  I  2  A  j  sin kx (I.84) ergibt sich 

1

a 2



 

a 2



 1 dx  4A 2   cos 2 kx dx *

1

a 2



a 2

1



a

2





1



1 1  2  4A 2    x   sin 2kx  4k 2  a

a 2

a 2

a 2

 1 dx  4A 2   sin 2 kx dx *



a 2



a

1 1  2  4A 2    x   sin 2kx  4k 2  a

(I.85)

2

a a a a  4A 2      2  A 2  a  4A 2      2  A 2  a  4 4  4 4 so dass wieder für beide Fälle einheitlich 1 (I.86) A 2a folgt. Abschließend wollen wir noch die energetische Zustandsdichte, d.h. die Zahl der Zustände pro Energieintervall berechnen. Dazu stellen wir das Ergebnis von Gleichung I.83 nach n um, differenzieren nach E dn d  2a 1  2a 1 g E    2mE     2m (I.87)  dE dE  h h 2 2mE  und erhalten schließlich

g E 

dn 2  m  a2 1   dE h2 E

(I.88)

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Werkstoffe der Elektrotechnik 2.2. Das Wasserstoffatom und die Besetzung der Energieniveaus

Auch in Atomen befinden sich die Elektronen in Potentialtöpfen, diese haben aber weder senkrechte noch unendlich hohe Wände. Das einfachste Atom ist das Wasserstoffatom. Gehen wir von einer Kugelsymmetrie aus, so ist das durch den positiv geladenen Kern hervorgerufene Potential in Abhängigkeit vom Abstand r Q Q q2 (I.89) V(r)    F dr    1 2 2 dr   4   0  r 4   0  r Die bereits für diesen relativ einfachen Potentialverlauf aufwendige Rechnung ergibt als mögliche Energien m  q4 1 (I.90) En    2 n  1, 2,3,... 2 2  (4   0  ) n n wird Hauptquantenzahl genannt. Für Hauptquantenzahlen ab 2 treten Abweichungen von der Kugelsymmetrie auf. Durch die Eigenwerte des Breitenwinkels φ und des Höhenwinkels υ werden die Nebenquantenzahlen l  0,1,..., n  1 (I.91) und m  l,..., l (I.92) bedingt. Hinzu kommt die sogenannte Spinquantenzahl 1 s (I.93) 2 d.h. nach dem Pauli-Prinzip kann jeder Energiezustand mit zwei Elektronen entgegengesetzten Spins besetzt werden. Daraus ergibt sich das folgende Besetzungsschema für die mit den Buchstaben K, L, M, und N bezeichneten Schalen: K-Schale L-Schale M-Schale N-Schale

2 2 6 2 6 10 2 6 10 14

s s p s p d s p d f

Elektronen Elektronen Elektronen Elektronen Elektronen Elektronen Elektronen Elektronen Elektronen Elektronen

n=1 n=2 n=2 n=3 n=3 n=3 n=4 n=4 n=4 n=4

l=0 l=0 l=1 l=0 l=1 l=2 l=0 l=1 l=2 l=3

14

m=0 m=0 m=-1,0,+1 m=0 m=-1,0,+1 m=-2,-1,0,+1,+2 m=0 m=-1,0,+1 m=-2,-1,0,+1,+2 m=-3,-2,-1,0,+1,+2,+3

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Werkstoffe der Elektrotechnik 2.3. Absorption und Emission

Das Emissionsspektrum des Wasserstoffs wurde bereits im vorigen Jahrhundert beobachtet und empirisch beschrieben. Bild I.10 zeigt die sich aus den diskreten Energiewerten ableitbaren möglichen Übergänge für die Emission bzw. Absorption. Absorption

E∞ E5 E4 E3 E2 E1

Emission

0 -0.54 eV -0.84 eV

-1.50 eV Paschen Serie (IR) -3.38 eV Balmer Serie -13.53 eV

Lyman Serie (UV)

Bild I.10: Absorption und Emission bei Wasserstoff Während die zur Paschen- und zur Lyman-Serie zusammengefassten Übergänge in den unsichtbaren Infrarot- bzw. Ultraviolettbereich fallen, sind die Emissionslinien der Balmer-Serie sichtbar. Die Frequenzen sind allgemein entsprechend Gleichung I.90 E  Ej 1 1 1 1 m  q4 f  i (I.94)   2   R  2  2  2  2 h 2h  (4   0  )  j i  j i  eV wobei R  13.53  3.3 1015 Hz als Rydberg-Frequenz bezeichnet wird. Für j=2 ergibt sich speziell der h bereits empirisch für die Balmer-Serie gefundene Zusammenhang 1 1  f  R    2  für n  3 (I.95) 4 n  2.4 Elektronen im räumlich-periodischen Potential In einem Festkörper befinden sich die Elektronen im räumlich periodischen Potentialfeld, das durch die ebenfalls räumlich angeordneten Atomkerne verursacht wird. Die exakte Lösung der SchrödingerGleichung ist jedoch sehr aufwendig und nur noch numerisch möglich. Einige wichtige Zusammenhänge kann man sich aber auch an einem stark vereinfachten Modell verdeutlichen. Dieses sogenannte Kronig-Penney-Modell geht von einem Potentialverlauf entsprechend Bild I.11 aus. Die Elektronen befinden sich jeweils in Potentialtöpfen mit senkrechten Wänden, mit der Breite a und mit der Tiefe V0 . Für die anschließende Rechnung wird der Grenzübergänge b  0 und V0   so vollzogen, dass das Produkt b  V0  const. , also die Tunnelwahrscheinlichkeit unverändert bleibt. Wir suchen eine mit a  b periodische Wellenfunktion V(x)   x   u  x   e jkx mit u  x   u  x  a  b  (I.96) V0 Dieser Ansatz wird auch als Bloch'sches Theorem bezeichnet. Da wir jedoch nicht viele einzelne Wellenfunktionen für jeden Potentialtopf sondern eine periodische Wellenfunktion suchen, muss die Wellenzahl k über x konstant sein und können die -b a a+b x Energiewerte der Lösung nicht schwanken. Aus diesem Grund Bild I.11: Kronig-Penney-Potential spricht man auch von quasifreien Elektronen. 15

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Das Einsetzen dieses Ansatzes in die Schrödinger-Gleichung ergibt als Lösung: (I.97) P  si(  a)  cos(  a)  cos(k  a) mit m  V0  a  b P (I.98) 2 +1 sin    a  si    a   (I.99) a und a 2mE 2  (I.100) 2 -1 Auch hier kann die Auswertung nur auf grafischem Wege erfolgen. Dazu ist in Bild I.12 Bild I.12: Zur grafischen Lösung von Gleichung I.97 der Ausdruck auf der linken Seite von Gleichung I.97 über   a dargestellt. Die rechte Seite von Gleichung I.97 kann jedoch nur Werte im Bereich von –1 bis +1 annehmen. Das bedeutet aber, dass Gleichung I.97 nur für bestimmte Werte von   a überhaupt Lösungen hat. Die zugehörigen erlaubten Energiewerte sind  2  (  a) 2 (I.101) E 2  m  a2 Im Festkörper treten also erlaubte Energiebänder auf, die durch Bänder verbotener Energien getrennt sind. Noch etwas anschaulicher kann man sagen, dass die diskreten erlaubten Energien des einzelnen Atoms durch die Wechselwirkung der periodisch angeordneten Atome zu Bändern "verwischt" werden, zwischen denen aber weiter Energiebereiche liegen, die für die Elektronen keine stabilen Zustände darstellen. Um nun die erlaubten Energiewerte E und die zugehörigen Wellenzahlen k zu ermitteln, geht man von den rot markierten Punkten in Bild I.12 aus und bestimmt aus   a mit Gleichung I.101 die Energie. Anschließend wird der abgelesene E Funktionswert mit der rechten Gleichungsseite cos  k  a  gleichP  si(  a)  cos(  a)

gesetzt und daraus der Wert k bestimmt, wobei die Lösung aufgrund der Eigenschaften der Co2 sinusfunktion mit periodisch a ist. Im Ergebnis dieses Vorgehens entsteht das in Bild I.13 dargestellte E(k)-Diagramm. Diese Darstellung der erlaubten Energien über der Wellenzahl k kann wegen -3  /a -2  /a -  /a  /a 2  /a 3  /a k Gleichung I.5 gleichzeitig als Energie-Impuls-Diagramm interpretiert werden. Gleichzeitig 3. BZ 2. BZ 1. BZ 2. BZ 3. BZ werden in Bild I.13 die Parabel, die Bild I.13: Erlaubte Energien als Funktion der Wellenzahl k den kontinuierlichen Energiewerten des freien Elektrons entspricht, sowie die auf dieser Parabel befindlichen diskreten Energiewerte eines gebundenen Elektrons gezeigt. Man erkennt auch hier die Aufspaltung dieser diskreten Energieniveaus in Bänder. Auf die Periodizität

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des E(k)-Verlaufs wurde bereits hingewiesen. Der rot markierte Bereich 

  k wird als a a

1. Brillouin-Zone bezeichnet. 2.5 Die effektive Masse Für die Beziehung zwischen der Energie und der Wellenzahl eines freien Elektrons hatten wir Gleichung I.52 m m2  v2 p2 2  k 2 (I.102) E   v2    2 2m 2m 2m abgeleitet. Bilden wir die Ableitung der Energie nach der Wellenzahl, die ja dem Anstieg im E(k)Diagramm von Bild I.13 entspricht, so erhalten wir dE  2  k   p (I.103)    v dk m m Die Steigung im E(k)-Diagramm entspricht also der Geschwindigkeit der Elektronen 1 dE v  (I.104)  dk Gehen wir von der unteren Bandkante aus, so stellen wir fest, dass die Geschwindigkeit hier 0 sein muss, da auch der Anstieg der E(k)-Kurve in diesem Punkt 0 ist. Wirkt nun eine Kraft auf das Elektron ein, so wird es beschleunigt. Bei einem freien Elektron würde diese Geschwindigkeit immer weiter steigen, da der Anstieg der Parabel ja linear wächst. Das Elektron im Festkörper erreicht im Gegensatz dazu offenbar in der Bandmitte ein Geschwindigkeitsmaximum. Obwohl wir die gleiche Kraft auch weiter voraussetzen, muss die Geschwindigkeit des Elektrons danach abnehmen, da der Anstieg der E(k)-Kurve jetzt ja wieder kleiner wird. An der Bandoberkante wird die Geschwindigkeit wieder 0 und die Kraftwirkung hat lediglich zu einer Zunahme der potentiellen Energie des Elektrons geführt. Diese Unterschiede im Verhalten eines freien Elektrons und eines quasifreien Elektrons in einem Festkörper, das dort sehr komplizierten Krafteinwirkungen ausgesetzt ist, können natürlich nicht überraschen. Um trotzdem weiter wie mit freien Elektronen rechnen zu können, werden diese komplizierten Krafteinwirkungen in Rechengrößen für die Masse bzw. Ladung des Elektrons berücksichtigt. So bleibt das Newton'sche Grundgesetzt F  ma (I.105) auch für quasifreie Elektronen gültig, wenn man statt der Masse eine effektive Masse definiert. Für das freie Elektron findet man ausgehend von Gleichung I.103 durch nochmaliges Differenzieren d 2E 2 (I.106)  dk 2 m und definiert somit die effektive Masse entsprechend 1 (I.107) m eff   2  2 dE dk 2 Betrachten wir nochmals ein Elektron an der Bandunterkante, so stellen wir jetzt fest, dass unter der angenommenen äußeren Krafteinwirkung nicht nur die Geschwindigkeit sondern auch die effektive Masse zunimmt. Die Umkehrung der Beschleunigung an der Bandoberkante kann hierdurch allerdings noch nicht erklärt werden. Deshalb wird zusätzlich angenommen, dass die Ladung jetzt nicht mehr negativ ist, sondern positiv geworden ist. Man spricht dann von einem Defektelektron oder Loch. Anschaulich betrachtet man also nicht mehr die Bewegung des Elektrons sondern die Bewegung unbesetzter Energiezustände, so wie man etwa bei einer Sitzreihe im Kino die scheinbare Bewegung eines freien Platzes beschreiben könnte, die letztlich dadurch hervorgerufen wird, dass die bereits sitzenden Zuschauer alle um einen Platz weiterrutschen. 17