Predigt zu Apostelgeschichte 4, 32-37 „Echte Gemeinschaft“ „Unter Gemeinschaft versteht man die zu einer Einheit zusammengefassten Individuen, wenn die Gruppe emotionale Bindekräfte aufweist und ein Zusammengehörigkeitsgefühl, also ein „Wir-Gefühl“, vorhanden ist.“ So trocken und nüchtern definiert ein Lexikon im Internet den Begriff Gemeinschaft. Und dieser Begriff ist für uns als Gemeinde ja von großer Bedeutung. Denn schließlich und nicht umsonst heißen wir Evangelisch-kirchliche Gemeinschaft. Und Gemeinschaft ist natürlich mehr als diese Definition aussagen kann. Als Außenstehender tut man sich mit dem Namen vielleicht etwas schwer: Gemeinschaft, was ist denn das, was soll denn das? Es gibt außerhalb des christlichen Sektors wenig Dinge, die als Gemeinschaft bezeichnet werden, am ehesten könnte einem da die „Europäische Gemeinschaft“ einfallen. Und genau aus diesem Grund, weil viele Menschen nichts mehr mit diesem Wort anfangen können, sind manche Gemeinschaften dabei sich umzubenennen in Christusgemeinde, Johannesgemeinde oder ähnliches. So war das auch in der Landeskirchlichen Gemeinschaft Heuchelheim. Die Gemeinde konnte selber nur noch wenig mit diesem Namen anfangen und war gerade dabei sich in Christusgemeinde umzubenennen. Kurz bevor der Beschluss gefasst werden konnte, bekam der Mutterkreis der Gemeinde davon Wind. Dieser Kreis traf sich jede Woche parallel zur Jungschar und Kinderstunde, die Mütter nutzten die Zeit um sich zu entspannen, Kaffee zu trinken und zu reden. Außer einer kurzen Andacht gab es kein geistliches Programm, die Frauen waren allesamt nicht aus dem Gemeinde, dieser Kreis war ihr einziger Bezugspunkt. Als sie hörten, dass die Gemeinde ihren Namen ändern will, löste das einen Proteststurm unter ihnen aus. Das einstimmige Credo war: Ihr könnt doch das Wort „Gemeinschaft“ nicht aus eurem Namen streichen. Das ist es doch, weswegen wir hier her kommen, was euch ausmacht: die Gemeinschaft!“ Und die Gemeinde heißt heute Evangelische Gemeinschaft Heuchelheim. Denn dieses Statement der Frauen hat die Gemeinde umdenken lassen, was dieses Wort in ihrem Namen eigentlich bedeutet. Und auch ich bin glücklich über diesen Teil unseres Namens. Denn Gemeinschaft, das ist es, was uns ausmacht. Wir sind keine anonyme Gemeinde, wir leben von Verbindlichkeit, von Anteilnahme, davon dass wir Leben und Glauben teilen und Gemeinschaft leben und lieben. Darum ist der letzte Grundsatz unseres Gemeindeleitbildes auch diesem Fakt gewidmet. die letzte Predigt über dieses Leitbild dreht sich ganz um das Thema der Gemeinschaft, und welches biblische Buch würde sich besser zu einem solchen Thema eignen als die Apostelgeschichte, die das Leben der ersten Christen schildert. Darum steht der Predigttext, den ich jetzt vorlesen möchte, in Apostelgeschichte 4, 32-37. Zuerst aber wieder der heutige Grundsatz aus unserem Leitbild. Wir als EKG Freiberg wollen eine Gemeinde sein, in der „Gemeinschaft“ nicht nur im Namen steckt, sondern auch gelebt wird. 32 Die ganze Schar derer, die an Jesus glaubten, hielt fest zusammen; alle waren ein Herz und eine Seele. Nicht ein Einziger betrachtete irgendetwas von dem, was ihm gehörte, als sein persönliches Eigentum; vielmehr teilten sie alles miteinander, was sie besaßen. 33 Vollmächtig und kraftvoll bezeugten die Apostel, dass Jesus der auferstandene Herr ist. Und die ganze Gemeinde erlebte Gottes Gnade in reichem Maß 34 Es gab unter ihnen auch niemand, der Not leiden musste. Denn wenn die Bedürfnisse es erforderten, verkauften diejenigen, die ein Grundstück oder ein Haus besaßen, ihren Besitz und stellten den Erlös der Gemeinde zur Verfügung, 35 indem sie das Geld vor den Aposteln niederlegten. Davon wurde dann jedem das zugeteilt, was er nötig hatte.

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36 Einer von denen, die den Bedürftigen in dieser Weise halfen, war Josef, ein Levit von Zypern, den die Apostel Barnabas nannten (Barnabas bedeutet: „der, der andere ermutigt“). 37 Josef verkaufte ein Stück Land, das ihm gehörte, und stellte das Geld, das er dafür bekam, der Gemeinde zur Verfügung, indem er es vor den Aposteln niederlegte. Bevor wir in die Thematik „gelebte Gemeinschaft“ einsteigen können, möchte ich noch einige Worte über die Apostelgeschichte an sich sagen. Denn dieser Text wirft ja schon eine große Frage auf: Ist die Apostelgeschichte mit ihren Schilderungen bindend für uns heute? Letzte Woche habe ich die große Bedeutung von Gottes Wort betont. Und wenn wir die Bibel ernst nehmen wollen, dann müssen wir uns doch an das halten, was sie uns schildert. Das ist recht einfach, wenn wir direkte Anordnungen bekommen, wie die 10 Gebote oder die Anweisungen Jesu in der Bergpredigt. An diese sollen wir uns halten. Aber was ist mit den erzählenden Teilen der Bibel? Wenn jemand sagt, wir müssen alle Geschichte der Bibel wortwörtlich befolgen, kommt er bald in arge Probleme. Ich möchte euch einige Verse aus dem 1. Könige 18 vorlesen: „Und sie nahmen den Stier, den man ihnen gab, und schlachteten ihn und riefen den Namen Baals an vom Morgen bis zum Mittag und sprachen: „Baal erhöre uns!“ Aber es war da keine Stimme noch Antwort. Also tanzten und hinkten sie um den Altar herum. Und sie riefen laut und ritzen sich mit Messern und Spießen die Haut auf, so dass ihr Blut von ihnen herablief.“ So, ich bitte mal um Handzeichen, wer der Meinung ist, man sollte das heute noch als Christ genau so tun und befolgen. Was? Niemand? Also bitte, es ist doch die Bibel. Na gut, anderes Beispiel: Ein Vers aus der Apostelgeschichte 2: Was das Leben der Christen prägte, waren die Lehre, in der die Apostel sie unterwiesen, ihr Zusammenhalt in gegenseitiger Liebe und Hilfsbereitschaft, das Mahl des Herrn und das Gebet. Auch ein erzählender Text. Und jetzt noch mal Handzeichen bitte, wer ist der Meinung, dass man diesen Text ebenso wie den ersten auch nicht befolgen sollte? Wieder niemand? Also, das ist jetzt aber ziemlich inkonsequent von euch – aber natürlich absolut richtig. Denn bei erzählenden Texten in der Bibel muss man abwägen. Und das ist manchmal einfach und offensichtlich, wie bei diesen Beispielen, aber nicht immer. Und unser Text ist ein schwieriges Beispiel. Denn was die ersten Christen da getan haben, ihr Hab und Gut zu verkaufen und alles miteinander zu teilen wird als klar positiv gewertet. Aber trotzdem hält sich heute kaum eine christliche Gemeinde mehr an dieses Beispiel. Und das ist auch gar nicht schlimm. Denn worum es Lukas, dem Autor der Apostelgeschichte hier geht ist der Geist, der hinter den geschilderten Ereignissen steht. Und diese Grundsätze gelten auch heute noch: Das Eigentum des Einzelnen ist weniger wichtig als das Wohlergehen der Gemeinde und des Bruders und der Schwester. Und zwar nicht, weil man das halt so macht, sondern aus dem Bewusstsein heraus, dass man in Jesus etwas viel Wertvolleres gefunden hat als den blöden Acker, den ich besitze. Und diese Erkenntnis KANN bedeuten, dass ich alles verkaufe und es in die Gemeinde gebe. MUSS es aber nicht. Es KANN bedeuten, dass ich neu darüber nachdenke, wie ich die Gemeinde mit Geld, Arbeitskraft und Einsatz besser unterstütze. MUSS es aber nicht. Jeder von uns ist herausgefordert, den Geist, der hinter diesem Text steht, auf sein eigenes Leben zu übertragen. Und einige Impulse, wie wir heute von der Gemeinschaft der Apostel damals profitieren können, möchte ich jetzt an euch weitergeben. 1. Ein Herz und eine Seele Als erstes fällt Vers 32 ins Auge: „Die ganze Schar derer, die an Jesus glaubten, hielt fest zusammen; alle waren ein Herz und eine Seele.“ Das ist doch mal eine Aussage. Klingt fast schon unmenschlich. Immer nur alle vertragen sich, immer nur jeder liebt jeden. Pfui, was für eine Harmonie. Das klingt nach Einheitsbrei, nach dem Verbot der eigenen Meinung. Aber das war es nicht. „Ein Herz und eine Seele“ klingt so verklärt, romantisch, kitschig. Man kann aber auch übersetzen: „eines Herzens und eines Sinnes“. Denn all diese Menschen hatten eines gemeinsam: sie hatten erst kürzlich erfahren, dass Jesus ihr ganzes Leben auf den Kopf 2

stellen konnte – und es auch getan hatte. Und bei dieser grandiosen Erfahrung werden alle anderen Themen nebensächlich – sei es Streit, Zwistigkeiten, Sorgen um den Alltag und auch die Dinge, die vorher so große Rollen im Alltag gespielt haben: das Streben nach Anerkennung und Profit, die Arbeit und das Vergnügen. Auf einmal ist da ein neues Zentrum: Jesus. Eines Herzens eben. Und dieses neue Zentrum gibt das neue Ziel vor: Menschen für Jesus zu begeistern, das Leben für ihn zu leben. Und so kam es, dass die Christen wirklich ein Herz und eine Seele waren. Und das strahlte aus, das machte Menschen neugierig. Das andere Prädikat, das in diesem Vers genannt wird, ist das fest zusammenhalten. Wie wichtig es manchmal ist, fest zusammenzuhalten, möchte ich euch anhand eines Beispieles aus der letzten Teenfreizeit verdeutlichen: Wir haben als Gruppe ein Spiel gespielt: Karottenziehen. die Teilnehmer waren die Karotten, die flach auf dem Bauch auf dem Boden lagen. Alle lagen kreisförmig nebeneinander, so dass die Köpfe in die Mitte zeigten. Könnt ihr euch vorstellen? Gut. Dann mussten sich die Karotten unterhaken mit den Armen und sich so gegenseitig Halt geben. ein Mitarbeiter, in diesem Fall ich, war der böse Bauer, der versucht hat, die Karotten zu ziehen. Ich habe mir also einen Teilnehmer rausgesucht und versucht, ihn an seinen Füßen aus dem Kreis herauszuzerren. Gar nicht so einfach, so lange die Karotten zusammengehalten haben, fest zusammen gelegen sind. Erst als ich es geschafft hatte, sie abzulenken so dass sie einen Moment ihre Griffe gelockert hatten, konnte ich eine Karotte herausziehen. Und ich muss zugeben, ich habe die Karotte auch noch abgelenkt, in dem ich ihr den Schuh ausgezogen habe und ihren Fuß gekitzelt habe. So abgelenkt konnte ich sie dann entwurzeln. Und wie bei diesem Spiel sollte es auch bei uns in der Gemeinde sein. Wir sollten fest zusammenhalten – das zeichnet echte, gelebte Gemeinschaft aus. Wenn wir keinen Keil zwischen uns treiben lassen, nicht zulassen, dass wir unseren Griff am Nächsten lockern, dann werden wir eine Geschlossenheit, eine Sicherheit und Geborgenheit ausstrahlen, nach der sich viele Menschen sehnen. Wir dürfen es nicht zulassen, dass ein Keil zwischen uns getrieben wird. Wie kann so ein Keil aussehen? Das kann Neid auf den anderen sein. Der erzählt besser Geschichten als ich. Sie ist beliebter, über ihre Witze wird immer gelacht, über meine nicht. Der wird in der Gemeindeversammlung ernst genommen, meine Einwände werden immer nur abgelehnt. Dieser Neid entzweit uns, verhindert ein festes zusammenhalten, macht unsere Gemeinschaft kaputt. Und hat deshalb nichts bei uns zu suchen. Ebenso gefährlich ist Geschwätz übereinander. Natürlich ist es normal, dass man übereinander redet, das mache ich ja auch. Ich rede mit Micha über Christoph und seine Ideen für die Homepage, ich rege mich mit Maria über die Jungscharler auf, wenn sie mal wieder außergewöhnlich unruhig waren und ich diskutiere vielleicht mit Sylvia die letzte Predigt von Thorsten. Ganz normal und überhaupt nicht schlimm. Wenn dieses Reden allerdings in Lästern, abfälliges Geschwätz und Gerüchte verbreiten ausartet, dann ist es nicht mehr in Ordnung. Denn dann stehen wir nicht mehr fest zusammen. Dann sind wir nicht mehr eines Sinnes und eines Herzens. Dann gibt es Fronten und Grüppchen, dann schimpft der mit dem, dann steht die gegen die. Das ist alles, nur keine Gemeinschaft. Darum sollten wir mit aller Macht daran arbeiten, dass Lästern und lose Rede, wie Luther es nennt, bei uns keinen Platz bekommen. Keinen Fußbreit! Jeder muss für sich überlegen, was die Keile sind, die uns bedrohen, die dafür sorgen könnten, dass unser Zusammenhalt auseinander bricht. Und das darf nicht passieren. Denn eines Sinnes sein, sich gemeinsam für die Sache Jesu einzusetzen, und fest zusammenhalten, das sind Grundvoraussetzungen dafür, dass wir nicht nur Gemeinschaft heißen, sondern sie auch leben. 2. Für den anderen Sorgen Das zweite Merkmal, dem unser Text hier das Hauptaugenmerk widmet ist, dass die ersten Christen in Jerusalem füreinander einstanden, füreinander gesorgt haben. Und das wie ist in diesem Zusammenhang ganz schön heftig. Da haben Menschen ihr Hab und Gut verkauft, 3

ihre Häuser, ihre Grundstücke, ihre Sicherheiten, um den Geschwistern zu helfen, die in Not gekommen sind, um die Ausbreitung der Botschaft Jesu zu fördern. Heute gibt es solchen Einsatz, wie schon gesagt, eher selten! Woran liegt das? Ich denke, es sind zwei Schlüsselfaktoren: zum einen haben die ersten Christen mit der schnellen Wiederkunft Jesu gerechnet. Vielleicht nicht in den nächsten Tagen, aber ganz sicher zu ihren Lebzeiten. Und wenn sicher ist, dass Jesus wiederkommt, was brauche ich dann Häuser, Äcker und Gold und Juwelen? Diese Dinge kann ich doch sowieso nicht mitnehmen, wenn Jesus wiederkommt. Also: kein großer Verlust, wenn ich damit noch Gutes tun kann! Dieses Bewusstsein über die Wiederkunft Jesu ist bei uns deutlich geringer. Ich frage euch einfach mal, wer von euch rechnet denn ernsthaft damit, dass Jesus jederzeit, auch in 5 Minuten, wiederkommen könnte? Ich tue es oft nicht. Aber zwei Freunde von mir sind der felsenfesten Überzeugung, dass Jesus noch zu ihren Lebezeiten wiederkommt. Dieser Glauben hat beide nicht davon abgehalten eine Ausbildung zu machen, aber es legt die Prioritäten neu. Und dieses Bewusstsein würde uns auch manchmal wirklich gut tun, auch wenn das nicht zwangsläufig dazu führen muss, dass wir alles verkaufen. Aber neu den Blick für Jesus und die Güter, die vor ihm etwas zählen schadet bestimmt nicht. Und der zweite Grund für diese Hingabe der ersten Christen war ihre unmittelbare Nähe zu den Ereignissen in Jerusalem. Viele haben Jesus selber gekannt, fast alle haben das Pfingstwunder mit eigenen Augen miterlebt, sie hatten begriffen, dass mit diesen Geschehnissen ein neues Kapitel in der Weltgeschichte begonnen hatte: Der Weg der Menschen zu Gott war auf einmal frei, nicht mehr verbaut durch Schuld. Und diese Präsenz des Wirken Gottes führte zu einer enormen Hingabe, die großartige Früchte trug. Aber dieser Fakt sollte uns nicht entmutigen, nach dem Motto: Na, wir waren ja nicht dabei, so was kann es bei uns nicht geben“, sondern sollte uns anspornen, diese Hingabe auch zu erreichen. Denn wenn du Jesus kennst, ihn in deinem Leben hast, dann hast du dieses Wunder eben doch schon selber miterlebt: Gott hat dich befreit aus deiner Schuld und Verlorenheit, hat dich mit seinem Geist erfüllt, hat dich zu deinem Kind gemacht. Genug Grund zur Freude und zur Hingabe wie ich finde! Also, was hindert uns daran, uns an diesen ersten Christen ein Vorbild zu nehmen in Sachen Hingabe? Aber wie ich am Anfang schon gesagt hatte, ist dieser Text nicht normativ, er fordert uns nicht dazu auf, alles was wir besitzen aufzugeben und wegzugeben. Was aber für uns bindend ist, ist der Gedanke der dahinter steckt. Und ich habe mal versucht, diesen Grundgedanken zu fassen: Das Kennzeichen der Gemeinschaft der ersten Christen war, dass sie füreinander gesorgt haben. Und das sollte auch bei uns eine Säule unseres Miteinanders sein, damit wir uns mit Fug und Recht „Gemeinschaft“ nennen dürfen. Aber wie äußert sich das? Hier einige Mögliche Beispiele dafür, wie es sich praktisch auswirken kann, dass wir füreinander sorgen: Wir sorgen uns umeinander, wenn wir unseren alten und kranken Geschwistern helfen, mit ihren Leiden, Einschränkungen, Aufgaben, und auch mit ihrem Alltag zurecht zu kommen. Dazu gehören dann vielleicht Fahrten zum Arzt, aber auch gemeinsame Besuche bei eben diesem. Denn ich tue mich schon als Mitt-Zwanziger schwer, anhand der Diagnose meines Arztes eine Entscheidung über das weitere Vorgehen zu treffen. Wie geht es dann erst jemandem über 80, der vielleicht schon akustische Probleme hat, den Arzt zu verstehen, vom Fachchinesisch einmal abgesehen? Dazu gehört auch, dass unsere Alten zum Gottesdienst abgeholt werden, wenn sie nicht mehr alleine kommen können, dass man sich bei Schnee und Eis auf unseren schiefen Gehwegen ihrer annimmt und so weiter. Und das erstreckt sich auch in das alltägliche Leben hinein. Was ist, wenn jemand nicht mehr in der Lage ist, unsere Kreise zu besuchen? Aus den Augen aus dem Sinn? Oder wenn jemand nicht mehr in der Lage ist, den Alltag alleine zu gestalten, wenn das Lesen von behördlichen Briefen schwer fällt, und so weiter? Dann ist es ein Ausdruck von Gemeinschaft, des füreinander Sorgens, dass wir diesen Leuten helfen, ihr Leben, ihre Krankheit, ihre Einschränkungen zu ertragen und damit zurecht zu kommen. 4

Ein anderer Aspekt des Sorgens ist dem des Textes sehr nahe: Es gehört zur Sorge für den anderen, dass wir bereit sind, auch mal finanziell zu helfen, einander unter die Arme zu greifen, wenn es mal eng wird. Das kann nicht jeder, aber wem es gegeben ist, warum nicht? Wenn bei Gräsers die Waschmaschine den Geist wirklich aufgegeben hätte und in der Haushaltskasse partout kein Geld zu finden gewesen wäre, wären wir dann da gewesen um ihnen zu helfen? Ich habe das jetzt nicht mit Micha abgesprochen, aber ich denke, dass es kein Thema gewesen wäre, dass wir unsere Reserven für diesen Zweck wein wenig minimieren. Und ganz ehrlich, wir müssen uns ja wohl keine Sorgen machen, dass wir dann schamlos ausgenutzt werden. Das andere Extrem wäre wahrscheinlicher – dass sich nicht genug Leute finden lassen, die sich helfen lassen wollen. Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass unsere Gemeinschaft nicht beim Geldbeutel aufhört. Wenn ein Mitglied Hilfe braucht, auch finanzieller Art, dann sollte es für uns als Gemeinde als Ganzes wie auch für jeden Einzelnen selbstverständlich sein, dass wir nach bestem Wissen und Möglichkeiten weiterhelfen. Und ich hoffe, dass es so ist, dass niemand in unserer Gemeinschaft Angst haben muss durch das soziale Raster zu fallen – nicht zuletzt, weil wir durch die Gemeinschaft getragen sind. Ein weiterer Aspekt des Sorgens ist die Seelsorge, wie das Wort ja schon sagt. Dem anderen ein offenes Ohr bieten, ihn in den Arm nehmen, sich für seine Sorgen, Nöte, Probleme, aber auch für die Freuden interessieren. Es muss nicht immer da große, ominöse Seelsorgegespräch sein, Seelsorge beginnt da, wo ich den anderen wahr- und ernst nehme und mich für ihn interessiere. Ich kann mir fast nichts Schlimmeres vorstellen als eine anonyme Gemeinde. Wo Menschen über Jahre hinweg hinkommen, am Gottesdienst teilnehmen und keinerlei Kontakte knüpfen oder einbezogen werden. Das liebe ich an unserer Gemeinschaft. Dass wir aneinander Interesse haben, uns nicht egal sind, nachfragen, Neuigkeiten weitergeben, füreinander beten. Und ich habe hier in den kurzen drei Jahren, so viele Beispiele erlebt, dass sie mir schon gar nicht mehr einfallen, darum nur einige wenige allein au dem letzten Monat: dass wir Familie Tilch im Gebet tragen können mit Margit, dass wir Frau Gerdes wegen ihrer Augenuntersuchung umbeten dürfen, ebenso wie Rosi mit ihren Hüftproblemen. Dass wir uns mit Familie Horn freuen dürfen, dass Jonas nichts schlimmeres passiert ist und Gott sie bewahrt hat. Und so weiter. Das ist es, was ich als echte Gemeinschaft erlebe. Füreinander Sorgen. Sorgen im wahrsten Sinne des Wortes: am anderen Interessiert sein, ihn in Gedanken begleiten, nachfragen, beten. Das ist echte Gemeinschaft, das ist ein Geist, der schon bei uns regiert. Lasst uns mit aller Kraft daran arbeiten, dass er noch mehr Raum gewinnt bei uns. Das waren nur einige wenige Beispiele. In so einer Predigt kann ich natürlich unmöglich alle Fälle abdecken. Darum seid ihr jetzt gefordert: Überlegt euch, was es für euch persönlich heißen kann, für die Geschwister in der Gemeinde zu sorgen. Und dann werdet aktiv. Und tragt so dazu bei, dass unsere Gemeinschaft immer tragfähiger, fester, einladender und toller wird „Unter Gemeinschaft versteht man die zu einer Einheit zusammengefassten Individuen, wenn die Gruppe emotionale Bindekräfte aufweist und ein Zusammengehörigkeitsgefühl, also ein „Wir-Gefühl“, vorhanden ist.“ Das soll Gemeinschaft sein? Bestimmt. Aber wenn das alles wäre, wäre das sehr traurig. Denn das, was ich hier in unserer Gemeinde suche, was ich mir erwarte und zum Glück auch was ich erlebe, ist mehr als eine trockene, spröde Definition von Gemeinschaft. Hier ist echte Gemeinschaft. Gelebte Gemeinschaft. Und das ist enorm wichtig. Denn das sollte eine Grundlage von christlicher Gemeinde sein. Wenn Menschen bei uns nicht Geborgenheit und Zuflucht erleben, wo denn dann? Darum haben wir das Thema Gemeinschaft auch in unser Gemeindeleitbild mit hinein genommen. „Wir als EKG Freiberg wollen eine Gemeinde sein, in der „Gemeinschaft“ nicht nur im Namen steckt, sondern auch gelebt wird.“ 5

Unser Text heute hat uns einige Merkmale von echter, gelebter Gemeinschaft geliefert. Aber das war wirklich nur ein Auszug. Bei keinem anderen Satz aus unserem Leitbild ist mir die Textauswahl so schwer gefallen. Weil es so viele tolle Texte zu diesem Thema gibt. Eben weil schon zur Zeit der Apostel diese Eigenschaft der Gemeinde Jesu so wichtig war. Aber alleine unser Text heute gibt uns genug zu kauen für die nächsten Tage und Wochen: Echte Gemeinschaft beginnt dort, wo wir ein Herz und eine Seele sind. Das heißt nicht, dass wir mal Meinungsverschiedenheiten haben dürfen, es darf auch mal knallen und wir uns streiten. Aber wenn die Grundlage stimmt, dass wir hier als Menschen zusammenkommen, die in Gottes Reich arbeiten wollen, wenn wir eines Sinnes sind, für den anderen da zu sein und gemeinsam für Jesus diese Gemeinde und unser Umfeld prägen wollen, dann wird hier ein Zusammenhalt und eine Atmosphäre entstehen, die anziehen ist. Genau so wichtig ist es, dass wir fest zusammenhalten und niemand einen Keil zwischen uns treiben kann. So ein Keil können Neid oder Geschwätz sein, oder aber auch zum Beispiel der Streit um nebensächliche Themen, die uns von unserem eigentlichen Auftrag ablenken. Denkt an das Karottenspiel! Besonders betont unser Text aber, dass es für echte, tiefe Gemeinschaft unerlässlich ist, dass wir uns umeinander sorgen. Sei das durch Rat und Tat, durch kleine finanzielle Hilfen oder auch einfach nur dadurch, dass wir für unsere Nächsten ein offenes Ohr, ein gutes Wort oder auch nur eine Schulter zum anlehnen haben. Wenn wir diese Hinweise aus der Apostelgeschichte weiter beachten, nicht nachlassen in unseren Bemühungen immer wieder echte Gemeinschaft zu leben, dann wird unsere Gemeinschaft – und ich meine sowohl unseren Namen als auch die Gemeinschaft untereinander – immer weiter wachsen, blühen und für Jung und Alt der Ort werden, wo sie, vielleicht zum ersten Mal, erleben, was es bedeutet, wenn Christen echte Gemeinschaft haben. Klingt toll, oder? Amen!

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