Beitrag: Nachbar in Not Frankreich zieht Deutschland in die Krise

Manuskript Beitrag: Nachbar in Not – Frankreich zieht Deutschland in die Krise Sendung vom 30. September 2014 von Joachim Bartz und Reinhard Laska A...
Author: Käthe Biermann
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Manuskript

Beitrag: Nachbar in Not – Frankreich zieht Deutschland in die Krise Sendung vom 30. September 2014 von Joachim Bartz und Reinhard Laska

Anmoderation: Die südeuropäischen Krisenländer sind es leid, dass ausgerechnet Deutschland ihnen Sparkuren verordnet. Die Besserwisser aus Berlin würden die Symptome nur verschlimmern. Die Kanzlerin wähnte wenigstens Frankreich noch an ihrer Seite. Aber auch die Franzosen wollen nicht mehr so recht mitsparen. Der wichtigste Partner bei der Eurorettung ist längst selbst Patient. Und verweist auf Zeiten, als Deutschland noch der kranke Mann Europas war. Da verstieß Reform-Kanzler Schröder bewusst gegen die Defizit-Grenze der EU. Das macht Frankreich jetzt auch, aber ohne Reformen bringt das wohl kaum Besserung. Joachim Bartz und Reinhard Laska mit einer Diagnose. Text: Noch sind die Näherinnen gut beschäftigt bei Gerriets. Das Unternehmen aus Baden-Württemberg fertigt in Deutschland und in Frankreich. Hier in seinem elsässischen Zweigbetrieb werden Vorhänge für Theater- und Kinoleinwände produziert. Die Belegschaft besteht aus Deutschen und Franzosen. Seine Kundschaft ist in ganz Europa zu Hause, aber Frankreich ist besonders wichtig. Wenn dort gespart wird, dann hat das ernste Konsequenzen für Gerriets. O-Ton Hannes Gerriets, Geschäftsführer Firma Gerriets Umkirch: Die anderen sind für uns extrem wichtig. Also, die Märkte, die ich vorhin schon angesprochen habe, in Frankreich, in Italien, ohne die können wir als deutsches Unternehmen, das auf Export gepolt ist, gar nicht existieren. Der deutsche Markt alleine würde uns niemals reichen. Ich meine, wir haben fast 200 Mitarbeiter, wenn wir keinen Export mehr haben, nach Europa, dann können wir einen hundert davon nach Hause schicken. Gerade Frankreich bereitet dem Geschäftsführer besondere Sorgen. Immer häufiger zahlen seine Kunden sehr spät und

manchmal gar nicht. Auf dem Weg in das deutsche Werk. Wer hier arbeitet, bekommt den gleichen Lohn wie die französischen Kollegen. Das Problem: Die Lohnnebenkosten sind in Frankreich höher. Außerdem sind die Arbeitszeiten unterschiedlich: 35-Stunden-Woche in Frankreich, 38-Stunden-Woche in Deutschland. Deshalb rät Firmenchef Gerriets den Franzosen: O-Ton Hannes Gerriets, Geschäftsführer Firma Gerriets Umkirch: Ein bisschen mehr die deutschen Tugenden, würde ich empfehlen. Also, ich meine, wir haben ja am eigenen Leibe erlebt, was es bedeutet, die 35-Stunden-Woche einzuführen und gleichzeitig die Franzosen am Freitagmittag gehen zu lassen und die Deutschen müssen bis drei Uhr nachsitzen ist nicht wirklich gut. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau hat jüngst eine Studie zu Frankreichs Wirtschaft veröffentlicht. O-Ton Jörg Zeuner, Chefvolkswirt Kreditanstalt für Wiederaufbau: Frankreich ist nicht unproduktiv, dort haben die Menschen auch besser und mehr gearbeitet, gelernt, bessere Arbeitsplätze zur Verfügung gestellt bekommen. Das ist dann aber als Löhne an die Arbeitnehmer, an die Menschen ausgezahlt worden. Das ist, wenn sie eine sogenannte geschlossene Volkswirtschaft sind, also alleine auf der Welt, ist das kein Problem. Wenn rund um sie herum eine andere Politik gefahren wird, sprich die Löhne nicht steigen, aber in ihrem Land die Löhne steigen, dann kann das zu einem Problem führen, dann verlieren sie Weltmarktanteile und das ist den Franzosen passiert. So erwirtschaftet die Bundesrepublik inzwischen ein Bruttoinlandsprodukt von 2,74 Billionen Euro, Frankreich erreicht dagegen nur noch 2,06 Billionen. Aber Frankreich bleibt wichtig: Mit Ein-und Ausfuhren in Höhe von 164 Milliarden Euro ist Frankreich Deutschlands bedeutendster Außenhandelspartner. Am Kapital der Europäischen Zentralbank hält Deutschland 18 Prozent, Frankreich 14 Prozent. Und: Frankreich ist beim Euro-Rettungsschirm mit 159 Milliarden Euro zweitgrößter Zahler. Gerät Frankreich also ins Trudeln, ist der Euro und damit die Wirtschaft im gesamten Euroraum in Gefahr.

Genau deshalb macht man sich Sorgen, auch bei „SchwarzwaldEisen“, noch so eine Firma im deutsch-französischen Grenzgebiet. Der badische Stahlhändler macht 20 Prozent Umsatz im Nachbarland. Neuerdings fallen dort immer mehr Kunden aus, sogar große Abnehmer. O-Ton Steffen Auer, Geschäftsführer Schwarzwald-Eisen Lahr: Ich bin darauf angewiesen, dass es dort Betriebe gibt, die im mittelständischen Bereich gut überleben können. Und das sehe ich als immer schwieriger an. Also, die mittelständische Struktur in Frankreich ist viel schwächer ausgeprägt als bei uns. Und anders als in Frankreich suchen die badischen Mittelständler händeringend Lehrlinge und Facharbeiter. Davon hat Manuel profitiert, als der junge Elsässer einen Ausbildungsplatz suchte. O-Ton Manuel Hernandez-Bertrand, deutsch-französischer Lehrling: Wenn du von der Schule kommst, will dich keiner haben. Ich habe 70 Bewerbungen in Frankreich losgeschickt und nur eine in Deutschland. Von den 70 habe ich nur Absagen bekommen, aber die deutsche war sofort erfolgreich. Deutschland geht es gut, Frankreich schlecht – eine pikante Situation für Frankreichs neuen Premier Manuel Valls beim Antrittsbesuch in Berlin. Angela Merkel besteht auf strikter Ausgabendisziplin, auch in Frankreich. Und Manuel Valls umwirbt den deutschen Partner. O-Ton Manuel Valls, PS (Sozialisten), Premierminister Frankreich: Die Deutschen werden ein Frankreich lieben, das sich reformiert. Und ich werde Reformen durchführen. Frankreich und die Franzosen werden ein Deutschland lieben, das sich für Wachstum in Europa einsetzt. Die Botschaft ist klar: Reformen ja, aber kein deutsches Spardiktat. Valls will die Staatsausgaben um 50 Milliarden Euro senken, und das bei jährlichen Ausgaben von 1,2 Billionen Euro. Mehr sei einfach nicht drin. Deutschen Unionspolitikern ist das zu wenig. O-Ton Andreas Schockenhoff, CDU, Vorsitzender DeutschFranzösische Parlamentariergruppe: Ich kann keine brutalen Sparanstrengungen erkennen. Brutale Sparanstrengungen hat es in Griechenland gegeben, hat es auch in Spanien und Portugal gegeben. Es ist ja nicht eine Zumutung, die jetzt das öffentliche Leben, die Volkswirtschaft völlig abwürgen würde. Ganz im Gegenteil: Es geht darum, irgendwo sich anzupassen und auch nicht

auf Dauer über die Verhältnisse zu leben. Auch die Ratingagenturen schauen kritisch auf Frankreich. Fitch hat das Land schon einmal zurückgestuft. O-Ton Enam Ahmed, Chefanalyst für Frankreich, Fitch Ratings: Das Haushaltsdefizit steigt. Das Wachstum wird immer schwächer und die Inflation ist gefährlich niedrig. Schon bald erreicht der Schuldenstand 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Und die finanzielle Situation der öffentlichen Hand ist schlechter denn je. Noch vor zweieinhalb Jahren jubelten die Franzosen ihrem neuen Präsidenten zu. Der versprach, das Land aus der Krise zu führen. Doch sein Versprechen kann Hollande nicht halten. Heute vertrauen ihm nur noch 13 Prozent der Franzosen. Vier Regierungen hat er bereits ernannt. Minister kamen und gingen – besser wurde es nicht in Frankreich. Im Gegenteil. Den Franzosen droht eine Depression. Selbst früher prosperierende Regionen wie das Elsass sind heute in Not. Weinlese an der Route de Vins, nicht weit von Colmar. Junge Arbeitslose und Rentner ernten den Pinot Noir, verdienen sich etwas dazu. Früher waren hier nur fünf Prozent arbeitslos, wie drüben in Baden. Heute sind es doppelt so viele. Da sind auch solche Jobs begehrt. Patron Claude Bleger hat vor gut dreißig Jahren seinen Betrieb aufgebaut, ein Familienunternehmen, wie es hier viele gibt. Rund 50.000 Flaschen produzieren die Blegers im Jahr, und die wollen erst mal verkauft sein. In der Mittagspause fragen wir seine Truppe, ob es unter Hollande und der neuen Regierung besser wird. O-Ton : Was für eine Regierung! O-Ton: Man sollte lieber den Präsidenten austauschen. Wie lange haben wir den jetzt? Zweieinhalb Jahre - und wieviel Minister hat er schon verschlissen. Die Blegers und ihre Pflücker haben immer geschuftet, doch jetzt spüren auch sie die Krise, sind pessimistisch geworden. O-Ton Claude Bleger, Winzer: Wir machen Wein, aber wenn keiner mehr da ist, der ihn kauft. Wenn die Kaufkraft weiter so sinkt, dann kann ich auch nicht mehr investieren.

Nicht nur Claude Bleger hat mehr erhofft vom sozialistischen Präsidenten. Vor allem die kleinen Leute sind ernüchtert. O-Ton: Wir Rentner bekommen jetzt 80 Euro mehr im Jahr. Ich weiß gar nicht, was ich mit dem vielen Geld machen soll. Enttäuschung auch hier in Sarcelles, einer der ärmsten Städte Frankreichs. Im Juli liefern sich junge, vorwiegend arabischstämmige Franzosen, Straßenschlachten mit der Polizei aus Frust über ihre Perspektivlosigkeit. Eine Demonstration gegen Israels Gaza-Krieg wird zum Ventil. Solche Ausschreitungen erschüttern Frankreich seit Jahren – auch die neue Links-Regierung wird daran nichts ändern, das glauben viele. Sozialarbeiterin Margarete Alouche kümmert sich um die Verlierer der französischen Gesellschaft. Von der Politik erwartet sie nichts mehr. O-Ton Margarete Alouche, Direktorin „Accueil et Culture“: Die Politiker verstehen nicht, was hier los ist. Die leben wie in einer Blase, in einer anderen Welt. Für sie ist das alles hier sehr weit weg: das Leben hier in den Vororten und das Leben der Elite. Es gibt einen Bruch zwischen beiden Welten. Der französische Radiojournalist Bertrand Gallicher berichtet seit Jahren über die Wirtschaftskrise in Frankreich, kennt auch Deutschland sehr gut – und sieht für Frankreich schwarz. O-Ton Bertrand Gallicher, Radiojournalist: Ich glaube, für François Hollande ist der Zug abgefahren. Nach fast zweieinhalb Jahren an der Macht hat sich nichts getan. Es gibt keinen Plan. Es ist praktisch nichts unternommen worden, um die Misere zu lösen. Und der Präsident sagt inzwischen nur noch: Ich hoffe, dass wir Erfolg haben werden. Frankreichs Not ist Deutschlands Sorge. Denn Deutschland kann es auf Dauer nicht gut gehen, wenn es seinem wichtigsten Partner schlecht geht. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.