ADHS und Borderline Persönlichkeitsstörung –
Zwei Seiten derselben Medaille?
Dr. phil. Roy Murphy
Schön Klinik Bad Bramstedt: Deutschlands größte Fachklinik für Psychosomatik
Das klinische Bild der adulten ADHS
3 Kernsymptome
Unaufmerksamkeit
Sehr kurze Aufmerksamkeitsspanne, abschweifen, Flüchtigkeitsfehler, sprunghaftes Denken, Desorganisation, Reizfilterschwäche, erhöhte Vergesslichkeit
Hyperaktivität
Quälende innere Unruhe, motorische Überaktivität, energiereich, Tausendsassa, schnelles und lautes Reden
Impulsivität
Ungeduld in Wartesituationen, verminderte Frustrationstoleranz, Aggression, unbedachte Äußerungen und Handlungen, Straffälligkeit
Zusätzliche Problembereiche im Erwachsenenalter
Reizfilterstörung
Erhöhte Empfindlichkeit gegenüber sensorischen Reizen, Überreizung durch Geräusche und Gerüche, oft Rückzug und Vermeidung
Stimmungsschwankungen
Mehrmals täglich wechselnde Stimmungen, oft als Reaktion auf kleinere Anlässe, Launenhaftigkeit
Tag-NachtRhythmus
Oft umgekehrter Rhythmus, erhöhte Leistungsfähigkeit Nachts
Selbstwertstörung
Früh entwickeltes Gefühl der Minderwertigkeit und Insuffizienz (Konflikte, Misserfolge, dumm, faul, unzuverlässig, Scham)
Der hyperaktiv- impulsive Typ Herr K. (28 Jahre alt, Messtechniker; Kontrolle von Kernkraftwerken): Herr K. berichtet, schon in der Schule aufgrund seiner hektischen und unruhigen Art immer wieder unangenehm aufgefallen zu sein. Man melde ihm auch heute zurück, er sei zu laut, mache andere um sich herum nervös und rede zu schnell und zu viel. Er selbst könne dies nicht kontrollieren, merke aber, dass ihn andere deshalb immer wieder meiden. Zudem könne er sich nur schwer konzentrieren, schweife immer wieder ab oder führe begonnene Tätigkeiten nicht zu Ende, weshalb es auch bei der Arbeit wiederholt zu Abmahnungen gekommen sei. Ruhe halte er nur schwer aus, den Zustand von Entspannung kenne er nicht. Die einzige Möglichkeit hierzu bot sich ihm über den Konsum von Cannabis, aber auch Stimulanzien.
Der chaotisch-desorganisierte Typ Frau D. (40 Jahre alt, Apothekerin): Frau D. berichtet, von ihrem Alltag völlig überfordert zu sein. Aufgrund ihrer Reizoffenheit sei sie durch den Straßenlärm so gestört, dass sie sich zuhause kaum konzentrieren könne. Das Lesen und Bearbeiten von Post gelinge ihr kaum, meist vergesse sie nach wenigen Sätzen, was sie eben gelesen habe. Mittlerweile sei sie so frustriert, dass sie die Post teilweise wochenlang liegen lasse, was ihr dann wiederum großes Unbehagen verschaffe und sie in regelmäßigen Abständen einerseits fast in Panik verfalle, aber angesichts der Fülle an Briefen nicht wisse, wo sie anfangen solle und schließlich in Hilflosigkeit verharre. Dies sei nicht nur mit Briefen so, auch insgesamt misslinge ihr mittlerweile sämtliche Organisation ihres Haushaltes. Selbst ihr Weihnachtsbaum stehe noch in der Wohnzimmerecke (Mai, 2014).
Komorbidität ADHS & Persönlichkeitsstörungen Erwachsene ADHSler zeigen erhöhte Prävalenz an Cluster-B und C-PS: 25 - 30% Borderline, narzisstisch, histrionisch; 18% selbstunsicher-vermeidend; 16% zwanghaft (Jacob et al., 2007) Prävalenz von 20-25% antisozialer PS bei ADHS (Manuzza,1997) 65% aller ADHSler erfüllen Kriterien einer PS (Barkley et al., 2008) ähnlich hoch ist die Prävalenz einer ADHS bei Patienten mit Borderline-PS (Philipsen et al., 2008)
Diagnostische Kriterien DSM-IV-Kriterien für BPS
Utah-Kriterien (Wender et al., 2001) ADHS
1. Schwierigkeiten mit dem Alleinsein
1. Aufmerksamkeitsstörung
2. Instabile zwischenmenschliche Beziehungen
2. Motorische Hyperaktivität
3. Impulsivität
3. Impulsivität
4. Identitätsstörung
4. Desorganisiertes Verhalten
5. Suizidandeutungen, -versuche, Selbstverletzungen 6. Affektive Instabilität
5. Affektlabilität
7. Gefühl der inneren Leere
6. Geringe Stresstoleranz
8. Erschwerte Kontrolle von Wut/ Ärger
7. Affektkontrolle, leichte Reizbarkeit
9. Stressabhängige paranoide Vorstellungen, dissoziative Symptome
Differentialdiagnostik (nach Philipsen et al., 2006) ADHS
ADHS / Borderline PS
Borderline PS
Innere Unruhe / Anspannung
Aversive Spannungszustände
Affektive Labilität
Affektive Instabilität
Konfliktreiche Beziehungen
Instabilität von Beziehungen
Unzufriedenheit / Misserfolge
Dysphorie
Selbstwertstörungen
Identitätsstörung Impulsivität Desorganisation Erregbarkeit Wutausbrüche Stressintoleranz Suchtverhalten
Selbstschädigendes Verhalten Chronische Suizidalität
Aufmerksamkeitsdefizit
Dissoziation
Hyperaktivität
Leere
…ein ADHS kommt selten allein…
Ca. 30%
Angststörungen 20% 20% Essstörungen 5% 5%
ADHS Biederman, 2004 Rösler & Retz, 2008
Substanzbezogene > 50% Störungen 30%
AffektiveCa.35% Störungen 35%
Entstehungsbedingungen Genetische Faktoren: - Heritabilitätsindex – 65% BPS / 75% ADHS - Disposition für emotionale Dysregulation BPS - Dopamintransport ADHS
Umweltfaktoren: - BPS: Gewalt- und Missbrauchserfahrungen / Invalidierungen - ADHS: pränatal Alkohol, Drogen, Nikotin; Frühgeburt, geringes Geburtsgewicht
Neurobiologische Faktoren: - Störungen innerhalb des fronto-subkortikalen Netzwerks - BPS: Amygdalaaktivität , präfrontale Hemmung - ADHS: Volumina präfrontal und Kleinhirn ; Störung der dopaminergen Signalübertragung
Behandlungsmodule in der Psychotherapie Symptome BPS/ ADHS Aufmerksamkeitsstörung, Negative Bewertungen/ Schemata
Module der DBT Achtsamkeitstraining
Hyperaktivität, Desorganisiertheit, Stresstoleranz Impulsivität Affektlabilität, Affektkontrolle, Emotionale Überreagibilität
Gefühlsregulation
Beziehungsprobleme
Zwischenmenschliche Fertigkeiten
Module einer stationären Behandlung
Fazit
• ADHS und BPS zwei unterschiedliche Erkrankungen mit vielen Überschneidungen und Ähnlichkeiten • ADHS in vielen Fällen ein Risikofaktor für die Entwicklung einer BPS • Gründliche Differentialdiagnostik unerlässlich • Notwendigkeit einer auf die individuelle Ausprägung der klinischen Symptomatik abgestimmten Therapie