Verschiedene Paar Schuhe oder zwei Seiten einer Medaille?

Gewalt gegen die Polizei – Zwangsanwendung durch die Polizei „Verschiedene Paar Schuhe“ oder „zwei Seiten einer Medaille“? Udo Behrendes Symposium P...
Author: Sigrid Grosse
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Gewalt gegen die Polizei – Zwangsanwendung durch die Polizei „Verschiedene Paar Schuhe“ oder „zwei Seiten einer Medaille“?

Udo Behrendes

Symposium Polizeiarbeit und Gewalt - FHöV NRW, Institut für Polizei und Kriminalwissenschaften - Gelsenkirchen, 14.03.2013

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Kurzbiografie 1972 - 1973 1973 – 1974 1974 – 1977 1977 – 1980 1980 – 1983 1983 – 1986 1986 – 1988 1988 – 1996 1996 – 1999 1999 – 2008 Seit 2008

Grundausbildung (Bochum) Bereitschaftspolizei (Bochum) Einzeldienst, EHu. (PP Köln); I. Fachprüfung FHöV (II. Fachprüfung) WDF, DGL (PP Köln) Dozent/Leiter Fortbildungsstelle PP Köln PFA (III. Fachprüfung) Schutzbereichs- bzw. Inspektionsleiter PP Bonn Dozent FHöV Inspektionsleiter PP Köln Leiter Leitungsstab PP Köln

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Lagebild NRW 2011 (IGVP-Sondererhebung) In 5.922 Einsätzen (0,15% aller Einsätze) waren Kolleginnen und Kollegen mit (aktiver, versuchter oder angedrohter) Gewalt (71%), passivem Widerstand (7%) oder Beleidigungen (22%) konfrontiert. 99,85% aller Einsätze verliefen ohne körperliche oder verbale Gewalt gegen die Polizei.

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Lagebild NRW 2011 (IGVP-Sondererhebung) Von körperlicher und verbaler Gewalt waren 9.808 Kolleginnen und Kollegen betroffen. Diese gehörten zu 85% dem Streifendienst an. Von diesen 9.808 betroffenen Kolleginnen und Kollegen wurden 1.865 leicht und 9 schwer verletzt. 215 dieser Kolleginnen und Kollegen waren nicht mehr dienstfähig.

Bei diesen Einsätzen blieben 81% der betroffenen Kolleginnen und Kollegen unverletzt. Von den Leichtverletzten blieben 1.653 (89%) dienstfähig; von allen 9.808 Betroffenen blieben 98% dienstfähig.

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Lagebild NRW 2011 (IGVP-Sondererhebung) Bei den konkret benannten Verletzungsarten dominierten Hämatome vor Zerrungen, Verstauchungen und Bänderrissen. Häufigste Ausgangsmaßnahmen waren Identitätsfeststellungen/ Sachverhaltsklärung (33%) sowie Festnahmen/Gewahrsamnahmen (33%). Rund 75% der Tatverdächtigen standen unter Alkoholbzw. Drogeneinfluss.

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NRW-Studie „Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte“* „Von den PVB, die im Jahr 2011 Bürgerkontakte hatten – etwa 80% der Befragten - , haben vier von fünf Befragten mindestens einen nichttätlichen Angriff, mehr als 50% haben dagegen mindestens einen tätlichen Angriff im Dienst erlebt. Bei etwa der Hälfte der beschriebenen schwerwiegendsten (?) tätlichen Angriffe kam es zu körperlichen Verletzungen und fast jeder zehnte dieser Angriffe führte zu einer mindestens eintägigen Dienstunfähigkeit.“ Häufigste Einsatzanlässe waren Streitigkeiten, Ruhestörungen und Hilfeersuchen. Die Tatverdächtigen standen zu einem erheblichen Teil unter Alkoholeinfluss.

*Universität Kiel (Erste Ergebnisse, veröffentlicht durch MIK NRW am 7.3.2013)

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KFN-Studie „Polizeibeamte als Opfer von Gewalt“* Anstieg von Widerstandsdelikten im Zeitraum 2005 – 2008; Rückgang seit 2009. Die Tatverdächtigen „handeln meist allein, sie sind in der großen Mehrheit männlich, sie sind durchschnittlich jüngeren Alters und sie handeln häufig unter Alkoholeinfluss.“ Bei den Verletzungsarten der Kolleginnen und Kollegen dominieren Hand- und Armverletzungen (47%). Wenn Kolleginnen und Kollegen verletzt werden, kommt es überwiegend (61%) auch zu Verletzungen der Tatverdächtigen. *Ergebnisse einer Befragung von Polizeibeamten in zehn Bundesländern (2010)

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KFN-Studie „Polizeibeamte als Opfer von Gewalt“* Polizisten haben ein höheres Opferrisiko als Polizistinnen. Körperlich „starke“ Polizisten haben ein höheres Opferrisiko als körperlich „schwächere“. Jüngere Polizisten haben ein höheres Opferrisiko als ältere. *Ergebnisse einer Befragung von Polizeibeamten in zehn Bundesländern (2010)

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Generelle Forschungserkenntnisse Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte sind nur in sehr wenigen Fällen (passive) Opfer eines überfallartigen Gewaltangriffs. In den meisten aggressiv bzw. gewalttätig verlaufenen Konfliktszenarien sind sie (aktiv) Beteiligte in dynamischen Aufschaukelungsprozessen. Aggression und Gewalt gegen die Polizei entwickeln sich zumeist als Reaktion auf polizeiliches Einschreiten in „Alltagssituationen“. Generelle „polizeifeindliche“ Grundhaltungen treten insbesondere in zuweilen ritualisierter Form bei Veranstaltungen auf (z. B. durch „Autonome“ bei Demonstrationen und „Ultras“ bei Fußballspielen).

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These 1 Der rechtmäßige Umgang mit Gewalt ist integraler Bestandteil des Polizeiberufs. Wir haben daher die Professionalisierung unseres Einschreitens in aggressiv besetzten Situationen ständig fort zu entwickeln, um Gewalt (im weitesten Sinne) auf das unbedingt notwendige Maß zu reduzieren. Schlüsselqualifikationen auf der individuellen Ebene sind Empathie, Dialogfähigkeit und Konfliktbearbeitungskompetenz.

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Generelle Forschungserkenntnisse Gewalt entsteht in aller Regel in einem interaktiven Geschehen Situation Polizist

Bürger

Das Verhalten von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten in aggressiv besetzten Situationen wird neben individuellen Faktoren u. a. beeinflusst von: der Organisation und ihrer Kultur, der Haltung und dem Verhalten von Führungskräften, den „Standards“ und „Routinen“ im jeweiligen Team. Symposium Polizeiarbeit und Gewalt - FHöV NRW, Institut für Polizei und Kriminalwissenschaften - Gelsenkirchen, 14.03.2013

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These 2 Die ständige Fortentwicklung der Professionalisierung polizeilichen Einschreitens in aggressiv besetzten Situationen muss auf allen Ebenen erfolgen: Schaffung/Weiterentwicklung entsprechender kultureller und struktureller Rahmenbedingungen Klärung von Rolle und Selbstverständnis der Führungskräfte Stärkung der kollegialen Mitverantwortung und Kontrolle Stärkung der individuellen Selbstverantwortung und Kontrolle (Ziele des Aufarbeitungsprozesses „Eigelstein“ (PP Köln), 2002/2003)

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Fall Eigelstein vom 11.05.2002 Einsatzanlass „Streitigkeiten“ - zwangsweises Betreten der Wohnung; massiver Widerstand Transport zur Polizeiwache Eigelstein („Empfangskommando“) 6 Beamte (von 3 verschiedenen PI 1-Wachen) misshandeln mit Schlägen und Tritten (u. a. ins Gesicht) den an Händen und Füßen gefesselten Festgenommenen im Schleusen- und Zellenbereich („Wir haben Dich gerächt“) Der Festgenommene kollabiert, fällt ins Koma und stirbt einige Tage später. Bewährungsstrafen (12 - 16 Monate) wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung im Amt mit Todesfolge in einem minder schweren Fall. Symposium Polizeiarbeit und Gewalt - FHöV NRW, Institut für Polizei und Kriminalwissenschaften - Gelsenkirchen, 14.03.2013

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POLIS-Studie, Fernuniversität Hagen 2002 zur Kölner Polizeiinspektion 1 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen (Auszug) „Der ständige Umgang mit Kriminalität, die hohe Arbeitsbelastung, der Mangel an Beachtung, die Distanz zur Führung und die Kohäsion der Dienstgruppe begünstigen polizeiliches Fehlverhalten und behindern dessen Aufklärung.“ Symposium Polizeiarbeit und Gewalt - FHöV NRW, Institut für Polizei und Kriminalwissenschaften - Gelsenkirchen, 14.03.2013

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These 3 Neben der proaktiven Fortentwicklung der Professionalisierung polizeilichen Einschreitens in aggressiv besetzten Situationen (in Aus- und Fortbildung und als Daueraufgabe in der Praxis) und der Etablierung eines „Frühwarnsystems“ hinsichtlich der Entwicklung und Verfestigung negativer Rahmenbedingungen, Müssen wir auch unsere Fehlerkultur zum Umgang mit Macht- und Gewaltmissbrauch weiterentwickeln.

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Fehlerkultur Steine für die „Mauer des Schweigens“ § 340 StGB (Körperverletzung im Amte) kann auch durch Unterlassen (des beobachtenden Kollegen) begangen werden. § 163 StPO (Legalitätsprinzip) und § 258a StGB (Strafvereitelung im Amte) verlangen grundsätzlich von allen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten, die eine rechtswidrige Gewaltanwendung anderer Kolleginnen und Kollegen beobachten oder von ihr hören, sofort Strafanzeige zu erstatten.

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Fehlerkultur Steine für die „Mauer des Schweigens“ Das strafrechtliche „Zwangskorsett“ der §§ 340 und 258a StGB lässt in der Regel keine unmittelbare polizeiinterne Aufarbeitung zu („schwebendes Strafverfahren“). Die strafrechtliche Konstellation verlangt die Abgabe an eine externe Organisation (Staatsanwaltschaft), die aufgrund ihres gesetzlichen Auftrages aber nur die strafrechtliche Aufklärung – nicht eine in die Zukunft gerichtete Aufarbeitung – betreibt. Diese „strafrechtliche Rahmung“ des Umgangs mit Fehlverhalten existiert so für keine andere Berufsgruppe. Symposium Polizeiarbeit und Gewalt - FHöV NRW, Institut für Polizei und Kriminalwissenschaften - Gelsenkirchen, 14.03.2013

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These 4 Das Gewaltmonopol des demokratischen Rechtsstaates legitimiert sich aus dem Schutzauftrag für seine Bürger. Der Missbrauch von staatlichen Zwangsbefugnissen diskreditiert den Staat. Aus dieser Konstellation ergibt sich das besondere öffentliche Interesse am Umgang mit Fehlern der Polizei. Die hohe Sensibilität der Öffentlichkeit ergibt sich daher aus der „Natur der Sache“ – nicht aus einem „institutionellen Misstrauen“ gegenüber der Polizei.

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These 5 Die Integrität der Polizei wird nicht durch das Fehlverhalten Einzelner in Frage gestellt – wohl aber durch Versuche, solches Fehlverhalten zu vertuschen. Ziel muss daher ein enttabuisierter, offener und angemessener Umgang mit Fehlverhalten sein.

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These 6 Neben der internen Weiterentwicklung unserer Fehlerkultur sollten wir auch für ein bürgerschaftlich verortetes Monitoring offen sein. Wir sollten es als selbstverständlich ansehen, dass eine demokratische Gesellschaft ihr Gewaltmonopol nicht als pauschale „Gewaltlizenz“ an eine staatliche Institution weiter gibt, sondern auch mit besonderen Organen über die angemessene Ausgestaltung wacht und Missbräuchen (genauso angemessen) entgegen wirkt. Eine solche (parlamentarisch angebundene) Instanz könnte ein (weiteres) Strukturelement für die Fortentwicklung einer Vertrauenskultur sein – das Vertrauen der Bevölkerung in die Integrität der Polizei ist die Basis einer Bürger(rechts)polizei. Symposium Polizeiarbeit und Gewalt - FHöV NRW, Institut für Polizei und Kriminalwissenschaften - Gelsenkirchen, 14.03.2013

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Kontakt Udo Behrendes Leitender Polizeidirektor Polizeipräsidium Köln Tel.: 02 21 – 22 9 – 21 00 [email protected]

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