Visionen von Johanna, Ramona, Sara... : die Frauen in Dylans Songs : sie kommen, sie gehen, sie sind da wie Atemluft

Visionen von Johanna, Ramona, Sara... : die Frauen in Dylans Songs : sie kommen, sie gehen, sie sind da wie Atemluft Autor(en): Theweleit, Klaus Ob...
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Visionen von Johanna, Ramona, Sara... : die Frauen in Dylans Songs : sie kommen, sie gehen, sie sind da wie Atemluft

Autor(en):

Theweleit, Klaus

Objekttyp:

Article

Zeitschrift:

Du : die Zeitschrift der Kultur

Band (Jahr): 61 (2001-2002) Heft 716:

Bob Dylan : der Fremde

PDF erstellt am:

08.07.2017

Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-300488

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VISIONEN VON JOHANNA, RAMONA,

SARA... Die Frauen in Dylans Songs: Sie kommen, sie gehen, sie sind da wie Atemluft.

Von Klaus Theweleit

VOICE. Die Stimme ist es... die Stimme... wie man es

Wirklichkeit tatsächlich wirklich gewor¬ Dylans Pop-Stimme ist einer der Orte ihrer vollkomme¬ nen Materialisierung... nicht die Bücher der Philosophen... der Luhmanns und Sloterdijks... kühles Valium für Leute, die den Blick aufs Reale nicht aushalten... sich zu den Philosophen flüchten... und denken, da sei was... Entertainment für An¬ spruchslose... ich jedenfalls tausche den ganzen SuhrkampLaden gegen die gesammelten Columbia Records... diese umfassendere

auch dreht... dann erst die Gitarre... der Klang der Band... IThe

den

¦das Amalgam aus E-Gitarre, Orgel, mouth harp, E-Bass, Violine, Klavier... natürlich auch die Texte... die Songs... die Erscheinung... Haare, Augen, sun glasses... die ausgeflippten Hemden... die Art, die Beine in die Gegend zu stellen... die Art, über das Publikum hinzusehen... das wissende und ewig junge Grinsen... so oft man auch wieder hinsieht... hinhört... die Texte durchgeht... wunderbare Sachen... sicher ist Dylan der beste aller Texter... ich zumindest kenne keinen Song, der meine «Haltung zur Welt» 1965fE genauer enthält, als It's alright, Ma (Tm only bleeding)... I got nothing Ma, to live up to... die ganze roadmap for the soul liegt ausgebreitet da im Schriftlichen... aber ohne die Stimme ist es nur die halbe Lyrik... es bleibt bei der Stimme... ihrer Unwahrscheinlich¬ keit der Komplettheit des Ausbruchs... wie bei Billie Holiday oder Elvis... eine weitere fällt mir nicht ein... vielleicht noch, für Momente, Ray Charles... etwas Universelles einiger weniger Stimmbandbesonderheiten... etwas höchst Seltenes, Skurriles und Allgemeines zugleich... she never stumbles / she's got no place to fall... das ist die Zeile nicht nur für die vollkommene Frau, die er «artist» nennt... der nichts fehlt... das ist die Zeile für die Stimme selber... ein Siedeln im Unerhörten... und Selbstverständlichen... und höchst Artifiziellen... etwas vorher nicht Vernommenes... ein Geschichtskondensat aus der Über¬ wirklichkeit ein Wunder im Physischen, das die grossen, die riesigen Stimmen macht... Stimmen eines bestimmten Jahr¬ zehnts zunächst... Billie Holiday der dreissiger und vierziger... Elvis der fünfziger... Dylan der sechziger Jahre... dann lösen sie sich daraus... werden Stimmen einer Epoche... enthalten ein halbes Jahrhundert... manchmal mehr... enthalten vor allem die Sekunden, in denen eine Generation, ein Land, ein ge¬ schichtlicher Daseinszustand «zu sich kommen»... mit Dylan war zu hören, ist zu hören und wird einst zu hören sein, was bei¬ spielsweise jetzige Geschichtsvernichter zu löschen suchen aus der Aufzeichnung der Revolten der Generationen nach dem Zweiten Weltkrieg... die Verabscheuung des Kriegs... die Ver¬ götterung des Sexuellen... das aushäusige Leben... wie auch der Zusammenbruch der Illusionen... von hier, aus den Rillen der Stimme, werden sie es nicht löschen können... Amerika mit seinem Talent fürs Finden der eigenen Formeln hat auch hierfür eine: It's the singer, not the song. Sie stimmt für einige ganz wenige so haargenau wie möglich... vollkommen unabweisbar... etwas hebt an, das es in Liedern und Kehlen sonst nicht gibt... eine andere Realität... so wie die Surrealisten ihre Wortbildung zur Definition des Realen verstanden... eine umfassendere Wirklichkeit... die Welt der Objekte, der Bilder, der Affekte, des Traums und der Räusche gleichermassen ent¬ haltend world of objects, images, affects, dreams and drugs... eine wirklichere Wirklichkeit... diese nannten sie die surreale... in diesem Sinne ist Dylan ein Surrealist... der allerdings das Elitäre älterer Kunst-Schamanen aus seinem Programm gestri¬ chen hat... beziehungsweise es nur noch als Selbstschutzgeste führt... und seltsam... oder vielleicht gerade nicht seltsam... nirgendwo ausser in einigen Jazz-, Pop- und Kinostücken ist

Reality has always had too many heads Some things last longer then you think they Some

will

kind of things you can never kill

Gegenprobe: Man kann sicher sein, jemand, der auf Bob Dylan nicht flog, wird als erstes sagen, wenn gefragt: «Ich mag seine Stimme nicht... dies Knarren, Quetschen, Drücken, Zerren... dieses Ätzende... eine Abstossung /Anziehung wie nach Natur¬ gesetzen... die Ozeane und der Mond... die, die nicht der Ozean sind, folgen der Anziehung des Monds nicht...» Von den Stimmen Sinatras, Ella Fitzgeralds, Neil Youngs, der Callas wird man nur annähernd Gleiches sagen können... von den mafiosen Tenören zu schweigen... auch nicht von den Beatles... da ist es das Ensemble... die Boy Group Electricity... der losgebundene Gitarrengaul... die vervierfachte Jugendlich¬ unbekümmert bis in die Schuhsohlen... auch nicht für keit die grandiose Selbstmumifizierung der Stones... Pharaonen des Rock... auf der Bühne ihre eigene Pyramide... aber es gilt für das Becken von Elvis und seine narkotische Lippe... den Haar¬ schwung... für Billie Holidays schwarze Stirngardine... die melancholische Schönheit ihrer erotisierten Trauer... den Klang songgewordener Emanzipationsgeschichte, nicht nur schwarzer und weiblicher... sie hat die Stimme, die den historischen Stand des menschlichen Ohrs beschreibt... soweit es kein kriegeri¬ sches war, 1939... «alles, was man je sagen wollte, hatte sie schon gesagt, besser, genauer», dieser Satz behält seine Gültigkeit... Teile der weissen Welt liefen über zu diesen Emanzipationen... derjunge Spanier Luis Bunuel kauft sich ein Banjo, 1925, als die neue amerikanische Musik sein katholisches Studentenohr in

-

Madrid erreicht... «Music is the healing force of the universe», befand Albert Ayler... auf einem brüllenden Saxophon... für Myriaden ge¬ quälter schwarzer Seelen war (und ist) music diese Kraft... aus einer Handvoll menschlicher Universal-Stimmen, auf die so¬ wohl Sternen- als auch Erdstaub fiel, spricht das Gleiche... Stimmen mit unendlicher Aufzeichnungsbreite für alles, was ist... Überbrücker von Abgründen... Abgründen in den Perso¬ nen, Abgründen zwischen den Personen... Abgründen der Ge¬ schlechter, der Hautfarben... aber sie öffnen auch Abgründe... Abgründe des Verrats und der Verschwendung... We must have been mad... we didn't know what we had... after we threw it all

away... Selbstporträt, 1970 (auf der Platte - wer hätte es gedacht - Seif Portrait).

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will...

Wenn es überhaupt einen Zustand gibt, wo man das Ver¬ schwendete und Weggeworfene des eigenen Lebens in einer Art spiritueller Materialität wiederbekommt, ist es in solchen Stimmen... und dann wird es auch anderswo noch vorkommen...

davor gab es eine andere mit bronzener Haut, unschuldig wie ein Lamm... er hat sie vernichtet... leaving only love's ashes behind me... leichter mit dem Kumpelmädchen, das die schö¬ nen Zeilen hört, All I really want to do / Is, baby, be friends with you... nicht, dass diese die wirklich Begehrte wäre... sie ist Teil des Spektrums... ein Frauenmosaik... die Frau, in die man sich verknallt wegen ihres tollen Leopardenfellhuts... Frauen, mit denen man sich prügelt; Frauen, die einen hinauswerfen... the motorcycle black madonna... Frauen, drifting in and out of life¬ unmentionable by names... das trifft es ganz gut... und times Frauen, die von Liebe nichts wissen wollen... I heard you say that love is just a four letter word... Es ist auch eine Ma darin, die beruhigt werden muss über das Schicksal des Sohns... It's alright, Ma, I'm only sighing... Tm only bleeding... ich blute nur... ich sterbe nicht... was diese Ma mit Dylans tatsächlicher Mutter zu tun hat, ist dabei ebenso unwichtig wie die Frage, ob die Geliebte, die die Worte hört: It's all over now, Baby Blue, eine ehemals tatsächlich Heissgeliebte (und nun Verstossene) ist... mit einem Namen wie Sara, Joan, Helena, Suze... Frauen aus Dylans Biografie... und auch ebenso belanglos wie die Frage, ob die andere Ma... Mama is in the factory / She ain't got no shoes seiner wirklichen Mutter womöglich näher kommt... die eine sorgt sich zu Hause... die andere schuftet in der Fabrik... auch, ob die Frau, die er als Gleiche sucht: I wanna, be your lover, baby / I don't wanna be your boss, diejenige ist, die er tatsächlich lieben würde, ist abso¬ lut unentscheidbar. Es sind impressions from the rat race life... eingefangen vom ghost of electricity... der heult in den Kno¬ chen aller Gesichter... Aber wer folgende Damen sind, kann man ganz genau sagen: Now when all the flower ladies want back what they have lent you es sind die Frauen, die seine Hörer gekannt haben oder so weit kennen, dass sie etwas anfangen können mit so einer

ruft, unermüdbar und untötbar,

das sogenannte Prinzip Hoffnung dazwischen... längst lebt es nur noch in Welten des Pop... Vom «grundsätzlich konzeptuellen Charakter aller Pop¬ musik» sprach Diedrich Diedrichsen. Okay, aber muss zum «Konzept» im Falle Pop nicht die Offenbarung kommen... die Offenbarung als Sinneswahrnehmung, wenn der Funke springen soll... Funke zur Zündung von Körpern, die auf ewig verloren sind für Beethovens und für Sophies Welten... durch und durch weltliche Religion...

WOMEN. Die Frauen in Dylans Songs? Ich glaube nicht, dass es einen bestimmten Typus dort gibt, nicht einmal so etwas wie eine prinzipielle Typologie. Es gibt jede Menge Frauen in den Songs, aber sie sind verschieden; oder auch: sie sind das, was der Sänger im Song gerade braucht... es gibt die, die bleiben sollen... die, die weggehen sollen... die, die zufällig da sind... die begehrt werden, weil es sie gibt... weil das Auge des Sängers auf sie fällt... das heisst: weil sie vorkommen in sei¬ nem Hirn, wenn er an der Maschine sitzt und schreibt... Frauen aus den verschiedensten Situationen wahrgenommenen oder fantasierten Lebens... in einem Spektrum, das so einiges um¬ fasst vor allem ein Spektrum aus Gesten... Go away from my window, hau ab... leave at your own chosen speed... weil du mein Leben bestimmen willst... meine Seele klauen... Ra¬ mona, come closer, shut softly your watery eyes... halb liebe ich dich ja... aber auch du sollst weggehen, weil... du hast nichts im Kopf, als so zu werden wie alle anderen... und diese Frau da, «du», bist gerade gut, weil keine andere da ist... I can't find nobody, so you'll have to do... und da, in einem andern Song, lebt die vollkommene... She's an artist, she don't look back... She never stumbles, she's got no place to fall... die Fehlerlose, die Göttin, die Künstlerin, die Frau mit dem ägyptischen Zau¬ oder die andere, die Illusionslose, ebenfalls perfekte... berring without ideals or violence... unbestechlich, wissend, redet nie¬ mals dummes Zeug... She knows too much to argue or to judge... und, von ganz woanders her, Sweet Melinda... die me¬ xikanische Prostituierte mit dem guten Englisch... the goddess of gloom... sie raubt dir den Atem, die Stimme... and leaves you howling at the moon... es gibt die Johanna mit den Visions, die eher eine Marie-Juana-Geburt ist als eine «Frau»... und es gibt die blöde Nuss, die Kaugummi in dein Essen tut... Calls me honey, wants my money... es gibt die Frau, die er braucht als Realitätsbeweis... die er berühren muss, um zu wissen, dass er da ist... Sol can tell if I'm really real... das ist die Zigeunerin aus Harlem mit den Diamantenzähnen... könnte aber auch eine an¬ dere sein... Like a corkscrew in my heart / Ever since we've been apart... oder aber Rita, she looked like she stepped out of La Dolce Vita... dann aber sieht sie aus wie Tony Perkins und will ihn unter die Dusche zerren, nachts... Frauen aus Filmen... Frauen aus Momentaufnahmen von der Strasse... Frauen aus den Liedern anderer... es ist das ganze Troubadour-Sortiment, das abendländische wie das neuweltliche, das irdische wie das himmlische Personal, das proletarische wie das adlige; die Frau aus bestem Haus, die erfahren muss, wie es sich lebt out on the street... beschissen, äusserst beschissen... How does it feel / To be without a home / Like a complete unknown / Like a rolling stone... eine Frau, an der der Sänger sich rächt, weil sie ihn als Hobo verlacht hat... aber da ist auch das gewitzte Mädchen, das ihn nicht mehr kennt am nächsten Morgen, nach gemeinsamer Nacht... She acts like we never have met... und auch die ist da, die mal seine Sachen erben soll... weil er, der (immer auch) ver¬ schwindende Sänger, bald nicht mehr da sein wird... Well if I die on top of the hill... Well don't make it /1 know my baby

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Dylan-Zeile... Der Song von den Rainy Day Women #12 & 35 führt dies alles komprimiert vor und parodiert es gleichzeitig... Reigen der «Frauen, die einem alles vermiesen»... man hört eine Karnevals¬ musik; Pauke und Clownsposaune vornweg... Generalanklage gegen «die grosse Steinigerin Frau»... Narrenschellen und Honkey-Tonk-Klavier vor einem Background juchzender Knei¬

pengeräusche... Aah-bah-da-da: Sie meckern, wenn du jung bist, Sie meckern, wenn du schön bist, es passt nicht, wenn du allein bist, auch nicht, wenn du zu zweit bist, es ist falsch, wenn du dich setzt, und es ist falsch, wenn du aufstehst, sie hauen dich in die Pfanne, wenn du pleite bist, und wenn du ein paar Dollar machst... sie steinigen dich beim Frühstück, sie steinigen dich, wenn du wegläufst und auch wenn du wieder da bist... und ebenso, wenn du Auto fährst, wenn du deine Gitarre spielst... und wenn sie dich verlassen (und dann doch wieder¬ sie steinigen dich und sagen, das war's jetzt... dann kommen) sie fangen von vorn an... und loben dich, wie toll du alles aus¬ hältst... sie steinigen dich noch, wenn sie dich in die Grube runterlassen... Entscheidend aber ist die Musik: ein ausgelassener Festzug, eine American Parade of Rainy Day Women... die biblische Strafe des Steinigens dabei verkehrt ins Gegenteil durch den Refrain: Everybody must get stoned... ob durch Alltagsqualen oder durch einen Joint, muss der Hörer entscheiden... so sind die Frauen des Songs weder die Frau im allgemeinen noch Dylans Frauen biografisch, sie sind eine der Versionen des Kar¬ nevals der Erscheinungen, der auch sonst besungen wird... Rainy Day Women #12 & 35... Ausgabe Nr. 12 & 35 dieser Parade... jedes Jahr gibt's eine neue...

Zeichnung von Bob Dylan, entstanden zwischen 1989 und 1992.

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Dazu kommt das literarische, das mythologische, das Feen¬ personal, noch eine Parade: Cinderella sweeping up / On Deso¬

scher Dylan-Ort; Dylan-Thomas-Ort, von dem Bob Dylan sei¬ nen Namen nahm. Dylan Thomas ging von hier auf seine letzte

lation Row... das Mädchen Ophelia: On her twenty-second birthday / She already is an old maid... Mona Lisa musta had the highway blues / You can tell by the way she smiles... Phaedra with her looking glass... I've got me a date with Botti¬ celli's niece... und some French girl, mit der sich Shakespeare unterhält, auf der Strasse, über Dylan; die folgende gleich ganz gebaut aus Shakespeare-Steinen: Now the fifth daughter on the twelfth night / Told the first father that things weren't right... komplettiert durch das Personal amerikanischer Mythen, the ghost of Belle Starr & Jezebel the nun, sowie das klassische Bluespersonal: I got this graveyard woman, you know she keeps my kid / But my soulful mama, you know she keeps me hid... kann man zwar lesen, wenn man Dylans Biografie kennt, als Zeile auf «Sara, die die Kinder hat», und eine andere, «die Mas¬ ter Bob tröstet», kann man aber (besser) auch lassen... Dann die Frauen mit Comicnamen, die alle kennen oder lieben... Peggy Day stole my poor heart away, Love to stay the night with Peggy Day... oder die Namenlose, die, die einfach da sein soll... sich ausziehen... bleiben... Lay, lady, lay... Stay, lady, stay... Es ist sowieso alles nicht so einfach, weil immer auch ein Stück Eigenleben der so Begehrten durchbricht oder schim¬ mert... She makes love just like a woman... sie macht über¬ haupt alles just like a woman... aber zusammenbrechen tut sie wie ein kleines Mädchen... (scheint kein ganz seltenes Syndrom zu sein)... Ah, tell me momma, what's wrong with you this

(Sauf-)Tour. Dylan ist auch in solchen Dingen ein Stück raffinierter, more sophisticated als die meisten seiner Kollegen (und Interpreten). Für biografisch bare Münze muss man solche Aussagen nicht nehmen. Genauso wenig wie die Aussage, der Song Visions of Johanna sei für Joan Baez geschrieben (was er über Allen Gins¬ berg den richtigen Ohren zukommen liess). In beiden Songs sind die Frauen aus mehreren und mehrerem gestrickt. So wie der Sänger nicht einfach Dylan ist. Der Sänger in Sad-Eyed Lady tritt auf als Mann mit den Arabian drums, eine Art Orientale; die Frau, die er ansingt, kommt als gypsy ins Bild, Zigeunerin. Wie er verfügt sie über gypsy hymns, aber arbeitet in einer Konservenfabrik und ähnelt mit all diesem kei¬ ner seiner Geliebten jenes Moments, Sara Lowndes, die seine Frau wird, und Joan Baez, von der er sich gerade trennt. Zwar steckt der Name Lowndes unübersehbar im Wort Lowlands. Aber körperlich im Song hat die Sad-Eyed Lady eher etwas von einer mexikanischen Lolita:

With your childhoodflames on your midnight rug,

And your Spanish manners and your mother's drugs And your cowboy mouth and your curfew plugs, Who among them do you

think could resist you?

ein Mytho-Wesen, unwiderstehlich, etwa zwölf Jahre alt auf ihrer Mitternachtsdecke (Pocahontas-Alter), Verfügerin über Zauberdrogen, so wie nur Mytho-Wesen sind, geisternd zwi¬ schen den Ordnungen; dergleichen lässt Dylan Sara, seine Frau, in einem andern Song auftreten als Scorpio Sphinx in a calico dress; selbst wenn er über Frauen aus seinem Leben singt, singt er ebenso nicht über Frauen aus seinem Leben.

time...

Und dann wieder: So happy just to be alive / Underneath the sky of blue / On this new morning with you... Joan Baez: Die Songs strömten aus ihm raus wie aus dem Telegrafenticker, wenn er nachts aus dem Bett sprang und sich an den Typewriter setzte... herauskam eine roadmapfor the soul, wie es im Tombstone Blues heisst... eine Landkarte, die keine Wege weist, allerdings... man kann nicht gehen nach ihr... nur

And your eyes like smoke and your prayers like rhymes, And your silver cross, and your voice like chimes

wissen, welche Wege

Oh, who among them do they

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es

überhaupt gibt...

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SPECIAL SONGS. Im alten europäischen OrpheusModell des weltbelebenden Sängers war die Frau eine An-

think could bury you

Eine Mixtur, eine Obsession: mexikanische Arbeiterin in einer Konservenfabrik, mit der Glockenstimme von Joan B., den rau¬ chigen Augen von Sara L., aber nicht weniger herausmontiert aus den Zeilen von Steinbecks Cannery Row, eine Frau aus den landscapes zwischen den Kulturen, Rassen, Klassen, Alters¬ schichten. Gypsy girl heisst diese Frau oft in den Rocksongs der Sechziger, auch bei Jimi Hendrix tanzt, blickt und liebt sie gerne unter diesem Etikett. Die Flachlandfrau mit den traurigen Augen hat sogar einen (andern) Mann in dem Song, einen Gau¬ ner, einen Dieb; sie hat auch ein Kind von ihm. Dennoch sagt der Refrain, dunkel und kühl:

schreibstelle, eine Erregerin von Tönen, die selber aus der Konstellation zwischen Sänger und Welt zu verschwinden hatte: abgeschoben ins Jenseits, um die Liebe zwischen dem Sänger und seiner Leier und zwischen dem Sänger und seinem Publi¬ kum nicht zu stören. Das ist beim amerikanischen Orpheus an¬ ders. «Erregerinnen von Tönen» sind Frauen in Dylans Texten im Masse, wie er der alte Troubadourzwar auch (noch) Weltbeleber noch ist, aber erstens sind sie nicht geheime Frauen der eigenen Biografie (wie im europäischen Modell üblich: als verborgene tote Frau), noch sind sie überhaupt Tote. Die physi¬ schen Frauen des eigenen Lebens kommen in den Songs ebenso vor wie all die anderen Frauen erlebter oder fantasierter Zusam¬ menhänge; sie werden nicht verschwiegen, könnte man sagen, als anwesende nicht und als entfernte nicht. Sie gehen ein ins Konglomerat aus allen physischen Frauen, die Dylan gesehen hat und mit denen er zu tun hat(te); auch wenn es Songs gibt, die einzelnen Frauen eher zugeschrieben werden könnten als an¬ deren, Wedding Song meinetwegen; in den meisten Fällen führt der Versuch der Festlegung auf einen einzelnen bestimmten Na¬ men aber an der Bauart der Songs vorbei. Von Sad-Eyed Lady Of The Lowlands hat Dylan zwar gesagt, er hätte ihn für seine spätere Frau Sara Lowndes geschrieben, 1964 im Chelsea Hotel New York; er behauptet das allerdings elf Jahre später (da ist Sara gerade dabei, sich von ihm zu trennen), und er behauptet dies in einem anderen Song, Sara, auf der LP Desire (seiner für mich schönsten seit Blonde On Blonde). Aber was bedeutet so eine Aussage: Chelsea Hotel, das ist ein mythi¬

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Sad-Eyes Lady

of the Lowlands,

Where the sad-eyed prophet says

that

no man comes

Kein Mann wird kommen für sie; fünfmal betont es der Song. Weil dieser Platz dem sad-eyed prophet, dem Sänger, reserviert ist beziehungsweise den Sängern des Mythos von der schwarz¬ haarigen Schönen mit dem saint-like face und der ghostlike soul. Dylan hatte mehr als eine Ahnung davon, als was eine Figur wie Joan Baez an seiner Seite angesehen würde: immer mit imagi¬ närer Feder im Stirnband, Frau aus der Reihe der mythischen Uramerikanerinnen, ausersehen, dem «Neuen Kolonisator», dem weissen Orpheus im Feld des Folk, den Liebes-Lorbeer zu rei¬ chen und das eigene glockenhelle Organ beizusteuern zu des Sängers eigenen Chimes OfFreedom, eine Art multifunktioneller Halb-Indianerin; nicht gedacht fürs Heiraten, sondern für die höhere Kommunion in psycho-artistischen Sphären. Das ist so gut sichtbar bei Dylan, dass seine Abneigung gegen Interviews 74

geradezu selbstverständlich wird. Man kann solche Verfahren vor neugierigen Fragern nur ruinieren. Die Songs und ihre Dar¬ bietungsweise sind die Interviews. Ausschweifende Dialoge mit dem Publikum in den Gefilden des Mythos. Und Interviews ergäben bloss Gedrucktes. Es braucht aber das ganze Spektrum, den Auftritt, die Inszenierung, den Sound, die Stimme, den Rhythmus, um die Funktion Orpheus anzuklicken; den Mythos anzuschliessen ans laufende Leben und an das zu entwerfende. So weiss ich auch nicht, ob man die heiss diskutierte Kellne¬ rin im letzten Stück von Dylans bisher letzter CD Time Out Of Mind als wirklich andere Art Frau ansehen soll oder nicht eher als weitere Variation im Spektrum. Sie kommt an seinen Tisch in einem menschenleeren Boston-Restaurant. Der Dialog, der sich entwickelt, hat weniger mit Essen zu tun als mit Sex:

Die Kellnerin ist keine Kellnerin, sie ist eine Uni-Feministin beim Geldjob, ihr Gast, the artist, will ihr nicht geben, was sie möchte, nämlich eine ordentliche Wahrnehmung von ihr, wie sie ihm nicht geben will, was er möchte, love instead of food. Folgt eine der Dylanschen Frechheiten: Die weibliche Autorin, die er gelesen zu haben angibt, ist gerade jene Frau, die einen Hymnus auf Sexualität mit Männern geschrieben hat... lieber schnell raus aus dem Lokal... dass er nicht noch, als hard boiled he(te)ro, den verdienten Teller Suppe aufs Haupt bekommt... Eine «neue Frau» in der Allee?... zumindest neu durch den langen wörtlichen Dialog. So weit ich sehe, gibt es kein Stück vorher, das einer weiblichen Stimme so viel Raum direkter Rede einräumt... um sich dann doch von der Frau wegzuwenden mit

well it must be

well, my heart is in The Highlands with horses and hounds way up in the border country farfrom

a holiday, there's nobody

eher Desinteresse:

around

I sit down

she studies me closely as she got a pretty face and

long white shiny legs said "tell me what want" she says "you probably want hard boiled eggs"

I

I

the town

with the twang of the arrow and the snap of the bow

I

said "that's right, bring me some" she says "we ain't got any, you picked the wrong time to come"

my heart's in The Highlands, can't see any other way to go

Er will nicht harte Eier, er hat harte Eier; und lässt sie dies aussprechen, zusammen mit ihrer Weigerung, sein Problem zu

Die letzte Strophe macht dann klar, dass Highlands nicht bloss eine Landschaft ist, sondern das absolute border country, letzte Station vorm Jenseits. «Wo die Lust auf Frauen aufhört»... an¬ dererseits sind der Pfeil und Bogen im früheren Song Sara ge¬ nau Saras Attribute... und die eines gewissen Blind Mr. Amor nicht minder... ambivalent also... Das Thema wird im Song dann abgebrochen: «... es gibt so¬ wieso immer weniger zu sagen», the party's over and there's less and less to say... kann schon sein, er verabschiedet sich hier von der Seite seines Schreibens, die die Welt über den Kontakt zu Frauenkörpern entfaltete... wir sehen ihn aus dem Song hin¬ ausgehen, einem Hund ausweichend, talking to myself in a mo¬

bedienen. Sie

will was

anderes:

"I know you're an artist, draw a picture said "I would could but don't do sketches from memory"

then she says

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she says "Tm

of me"

right here in front ofyou or haven't you looked"

I say "all right I know but I don't have my drawing book" she gives me a napkin, she says "you can do it on that" I say I could but I don't know where my pencil is at" "yes

nologue Andere Songs der CD sprechen aber eher dagegen... könnte doch wohl eher eine Variante sein; eine, in der er etwas loswer¬ den wollte... etwas abwerfen vielleicht... in den Himmel kom¬ men, ehe die Tore geschlossen werden... da wollte er ja schon immer gern hin... wobei offen blieb, was Himmel eigentlich heisst... wird der Ort sein, wo seine Stimme herkommt... wo er sie einst aufgesammelt und trainiert hat... 10 000 years ago...

Sie: «Du kannst es auch auf die Serviette spritzen»; er: «kann mein Ding grad nicht finden»... sie gibt ihm Bleistift und Ser¬ viette; er malt was drauf; sie findet es kein bisschen ähnlich... sie

streiten darüber und kommen zum Punkt: she

said "you don't read women authors do ya?"

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at least that's what think hear her say well said "how would you know and what would it matter anyway"

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"well ya just don't seem like ya do," say "you're way wrong said "which ones have you read then," said "read Erica Jong" she goes away for a minute, andi slide out of my chair step outside back to the busy street, but nobody's going anywhere

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