Validierende Kommunikation

„Validierende Kommunikation“ Lange Jahre standen Angehörige demenziellen Erkrankungen hilflos gegenüber. Weder der Verlust des Gedächtnisses noch der ...
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„Validierende Kommunikation“ Lange Jahre standen Angehörige demenziellen Erkrankungen hilflos gegenüber. Weder der Verlust des Gedächtnisses noch der Zerfall der Persönlichkeit ließen sich aufhalten oder wenigstens verlangsamen. Das Konzept der "validierenden Kommunikation" ermöglicht es nun immerhin, eine Verbindung zum Demenzkranken zu erhalten und sein Entgleiten in die "Innenwelt" zu verzögern. Einige praktische Beispiele: 

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Wir prüfen zunächst, ob eine Anwendung der validierenden Kommunikation in Betracht kommt. Dieses ist insbesondere dann der Fall, wenn aufgrund der hirnorganischen Veränderungen die kognitiven Fähigkeiten nachlassen. Der Angehörige zieht sich aus der Realität zurück und sucht Rückhalt in der Vergangenheit. Der Angehörige zeigt Rollenverhalten, das aus der Vergangenheit zu kommen scheint. Das logische Denkvermögen ist spürbar gestört. Verhaltensmuster werden starrer. Der Angehörige spricht auf Verhaltenstherapie nicht an. Es gibt verschiedene Krankheitsbilder, bei denen die Anwendung der validierenden Kommunikation i.d.R. nicht sinnvoll ist: Depressionen Apoplexie Hirntraumata, etwa nach einem Sturz sowie alle anderen Erkrankungen, die zwar die Kommunikationsfähigkeit, nicht aber die Orientierung beeinträchtigen Validation sollte nicht allein Aufgabe von Ihnen als pflegender Angehöriger sein. Die Grundlagen sollten allen Familienmitgliedern bekannt sein, die Kontakt zum Betroffenen haben. Wir beschaffen uns alle Materialien, die für die validierende Kommunikation notwendig sind, wie etwa CDs mit alten Liedern. Im gemeinsamen Gespräch prüfen wir, wie weit die Demenz bei unserem Angehörigen fortgeschritten ist. Die Einteilung der Familienmitglieder in die entsprechenden Stadien sollte sorgfältig vorgenommen werden. Betroffene können verärgert reagieren, wenn Maßnahmen genutzt werden, die nicht dem Schweregrad ihrer demenziellen Erkrankung entsprechen. Die Daten zur Biografie des Angehörigen werden auf Informationen überprüft, die für die validierende Kommunikation relevant sind (etwa das Verhältnis zu den Eltern, Kinderzahl, Beruf, Hobbys). Wir suchen den Kontakt zu den Familienmitgliedern, um Lücken in der Biografie zu schließen. Fragen nach Tatsachen sind für Demenzkranke einfacher zu beantworten als Fragen nach Gründen für Handlungen. Angemessen sind also die sog. "W-Fragen". Also: "Wer? Wie? Was? Wann? Wo?"

"Wie sieht die Brosche aus, die du verloren hast?" "Wer hat dir die Uhr gestohlen?" "Was hast du gehört?" "Wo steht dein Rollstuhl?" "Wann warst du zuletzt auf der Toilette?" Bevorzugt sollten auch Fragen gestellt werden, die sich mit "ja" oder mit "nein" beantworten lassen. Wir vermeiden "Warum-Fragen". Fragen nach dem Wieso und dem Warum beinhalten eine emotionelle Komponente. Demenziell Erkrankte hingegen versuchen häufig, Gefühle zu verdrängen. Zudem reagieren sie negativ auf alle Botschaften, die sie unter Rechtfertigungsdruck setzen könnten. Es besteht dann stets das Risiko, dass sich der Angehörige in sein Innerstes zurückzieht. Nicht angemessene Fragen wären: o "Warum glaubst du, dass ich deine Uhr gestohlen haben soll?" o "Warum stellst du den Rollstuhl mitten in den Flur?" Der Fragestil sollte sachlich bleiben, da nur so der Erkrankte den Eindruck gewinnen kann, ernst genommen und respektvoll behandelt zu werden. Es ist überdies wichtig, ruhig zu sprechen, da sich dieses auch beruhigend auf den Erkrankten auswirkt. o o o o o

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Der Pflegende wiederholt die Worte des Erkrankten und formuliert diese um. Soweit möglich sollten die gleichen Schlüsselworte und eine ähnliche Sprachmelodie genutzt werden. Der Erkrankte sollte spüren, dass sein Pflegender Pflegekraft am Gesagten interessiert ist und Mitgefühl hat. Für viele Erkrankte ist es ermutigend zu erfahren, dass das Gegenüber die Botschaft verstanden hat und sich damit beschäftigt. Wie die meisten gesunden Menschen haben auch dementiell Erkrankte ein bevorzugtes Sinnesorgan. Es gibt also gewissermaßen "Hörmenschen", "Sehmenschen", "Spürmenschen" usw. Wenn also ein Erkrankter von einem Klassikkonzert im Radio schwärmt und besonders aktiv im Singkreis mitarbeitet, ist er ein "Hörmensch". Ein Erkrankter, der einen Besucher nach der Marke seines Parfüms fragt und sich am Duft der Blumen im Garten erfreut, ist wahrscheinlich ein "Riechmensch". Die Pflegende sollte im Gespräch auf diese Sinne abzielen und den Angehörigen nach entsprechenden Eindrücken befragen. Also: "Wie hat das Essen geschmeckt?", "Wie gefällt dir das neue Bild im Flur?“



Diese Technik soll dem Erkrankten helfen, seine Gefühle extremer auszudrücken. Wenn etwa ein Erkrankter mit dem Mittagessen nicht zufrieden war, sollten sie ihn bitten, sich an das schlimmste Mittagessen zu erinnern, das er jemals im Leben zu sich genommen hat.



Diese Technik kann ebenfalls hilfreich sein, wenn der Erkrankte mit seiner Situation unzufrieden ist. Der Pflegende fordert in einer solchen Situation den Erkrankten auf, sich das genaue Gegenteil des Problems vorzustellen. Möglicherweise kann sich der Erkrankte an eine Lösungsstrategie erinnern, die in seiner Vergangenheit erfolgreich war.





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Beispiel: Ein Erkrankter ist mit der Betreuung durch eines "Bufdis" (Bundesfreiwilligendienst) unzufrieden. Durch das Vorstellen des Gegenteils könnte der Angehörige erfahren, dass sich der Erkrankte im letzten Jahr besser betreut fühlte, als eine Absolventin des freiwilligen sozialen Jahres bei Ihnen tätig war. Dieses wäre ein Anzeichen, dass der Erkrankte unterbewusst Vorbehalte gegen andersgeschlechtliche Personen hat. Noch ein Beispiel: Ihr Erkrankter ist traurig. Sie fragen ihn, ob es in seinem Leben gar nichts Schönes mehr gäbe, auf das er sich freuen würde. In der Regel kann nun ein aufmunterndes Thema gefunden werden. Auch diese Technik soll dem Angehörigen ermöglichen, verschüttete Problemlösungsstrategien wieder zu aktivieren. Beispiel: Ihr Erkrankter streitet sich häufig mit seinem Sohn, der in der Folge immer seltener zu Besuch kommt. Sie fragen nun gezielt: "War das Verhältnis schon immer so schlecht?" Der Angehörige könnte nun erkennen, dass die Beziehung besser war, bevor sich der Sohn scheiden ließ, was den religiösen Ansichten des Erkrankten widersprach. An diesem Konfliktpunkt könnten beide Seiten nun arbeiten. Im weiteren Verlauf der demenziellen Erkrankung verlieren Erkrankte häufig die Fähigkeit, logisch sinnvolle Sätze zu bilden. Zudem kommt es zu unverständlichen Wortkreationen. Die Wahl von mehrdeutigen "Pronomen" ("er", "sie", "es", "jemand", "etwas"), erlaubt es Angehörigen mit Erkrankten zu kommunizieren, ohne den Sinn der Botschaft vollständig verstehen zu müssen. Beispiel: Der Erkrankte verdächtigt eine Person, ihr Baby entführt zu haben. Der Angehörige kann aber den Namen nicht verstehen und glaubt auch nicht, dass eine reale Person gemeint ist. Durch Pronomen "er" oder "jemand" kann sie nun dieses Thema mit den Erkrankten besprechen.



Wir stellen klare, kurze und eindeutige Fragen, die nur eine Option enthalten. Schlecht ist die Frage: "Möchtest du Wasser, Brause oder Saft trinken?" Besser ist es, die Alternativen nacheinander abzufragen; die wahrscheinlichste Wahlmöglichkeit zuerst.



Die Stimmungslage von demenziell erkrankten Menschen kann sich schnell ändern. Es ist daher wichtig, die Mimik und die Gestik eines Erkrankten richtig zu deuten. Der Pflegende passt sein Kommunikationsverhalten immer wieder an die emotionale Verfassung des Erkrankten an.



Ab einer mittelgradigen Demenz verlieren viele Erkrankte die Begriffszuordnung für Körperteile. Dieses erschwert die Beteiligung des Angehörigen z.B. an der Grundpflege. Der Pflegende zeigt stattdessen auf das Körperteil, das als nächstes zu waschen oder zu versorgen ist. Wenn der Erkrankte nicht versteht, dass er sich z.B. unter den Achseln waschen soll, kann der Pflegende dieses pantomimisch am eigenen Körper andeuten bzw. vormachen.



















Die Scheu vor Berührungen, wie sie im ersten Stadium vorherrscht, legt sich zumeist beim weiteren Fortschreiten der Demenz. Erkrankte sprechen zunehmend auf Berührungen an. Berührungen in Kombination mit einer ruhigen Stimme wecken beim Erkrankten angenehme Erinnerungen. Wenn sich der Erkrankte bei Berührungen sichtlich unwohl fühlt, sollte diese Technik nicht eingesetzt werden. Es ist oft hilfreich, Berührungen vorher anzukündigen. Bei der Grundpflege sollte der Pflegende daher ggf. vorher mitteilen, wo sie den Erkrankten berührt und was sie damit bezweckt. Beispiel: Eine Salbe aufbringen oder eine Hautrötung inspizieren. Es ist zudem der biografische Hintergrund zu beachten: Bei einem ehemaligen Maurer ist das kräftige Klopfen auf die Schulter i.d.R. vertraut und akzeptiert. Bei einem pensionierten Theologen ist dieses ggf. anders. Bei Erkrankten ist stets mit emotionalen Reaktionen auf Berührungen zu rechnen, wenn diese in der Vergangenheit das Opfer sexueller Gewalt waren. Ebenso wie Berührungen lassen sich auch mit Augenkontakten verschüttete Erinnerungen wiederbeleben. Dieses ist sogar bei Erkrankten möglich, deren Sehvermögen aufgrund einer Augenerkrankung eingeschränkt ist. Der Pflegende sucht den Blickkontakt zum Erkrankten, starrt ihn aber nicht an. Selbst bei fortgeschrittener Demenz sind viele Erkrankte in der Lage, Lieder zu erkennen, die sie vor 50 und mehr Jahren gelernt haben. Durch das gemeinsame Singen solcher Lieder lässt sich häufig eine vertrauensvolle Kommunikation aufrechterhalten. Es ist jedoch wichtig, dass die Musik passend zur Biografie und zum Geschmack des Angehörigen gewählt wird. Im späten Verlauf der Demenz versagen zunehmend verbale Techniken. Um dennoch mit Erkrankten in Kontakt zu treten, ist es möglich, deren Verhalten zu wiederholen, es also zu "spiegeln". Der Pflegende kann die Mimik oder die Lautäußerungen des Erkrankten aufnehmen und wiedergeben. Dieses sollte ernsthaft und ohne "Nachäfferei" geschehen. Dem Erkrankten wird damit das Gefühl gegeben, dass ein anderer Mensch seine Gefühle versteht und ernst nimmt. Mitunter kann es auch sinnvoll sein, die Atmung zu synchronisieren, also gemeinsam mit dem Erkrankten zu atmen.



Wir nutzen das Prinzip der Basalen Stimulation, um Kontakt mit dem Erkrankten herzustellen.



Im Endstadium der Demenz scheint es für Pflegende, als würde der Erkrankte keine äußeren Reize mehr verarbeiten. Dennoch sollten einige Validationstechniken fortgeführt werden, insbesondere die Musik- und die Berührungstechnik.

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Maßnahmen zur validierenden Kommunikation sollten nur dann durchgeführt werden, wenn Sie, der Pflegende, selbst innerlich ruhig sind. Viele Techniken lassen sich sinnvoll miteinander kombinieren, wie etwa Berührungen und Augenkontakt. Dem Erkrankten wird nicht offen widersprochen. Der Pflegende versucht, dem Erkrankten auf gleicher Ebene zu begegnen. Dazu gehört z.B. auch, sich ihm gegenüber in seiner Augenhöhe zu setzen. Berührungen werden nur dann eingesetzt, wenn es der Erkrankte wünscht.