Dresdner Liebe und Geschichten Erste Liebe Stille Liebe

Thomas Mösche Dresdner Liebe und Geschichten Erste Liebe – Stille Liebe Wie man sich sehnt Wie man sich sucht Wie man sich findet 1 Jetzt sind wir...
Author: Marcus Hummel
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Thomas Mösche

Dresdner Liebe und Geschichten Erste Liebe – Stille Liebe

Wie man sich sehnt Wie man sich sucht Wie man sich findet

1 Jetzt sind wir gemeinsam älter geworden. Befreit vom Stress des Berufslebens sehen wir uns jetzt erst richtig, mit allen Schwächen, mit den noch blass erkennbaren Vorzügen früherer Jugend und der Einsicht, dass nun relativ wenig Zeit bleibt für ein gegenseitiges Betrachten. Alle Erinnerungen an ein viel zu schnell gelebtes Leben werden wach. Aber plötzlich sehe ich, wie in der Kindheit, alle Details des Lebens. Ich betrachte wieder Menschen und Gegenstände, die mich umgeben, genau, ohne an diesen achtlos vorüber zu hasten. Ich kann wieder mit den Amseln, die dankbar in meine oben auf dem Baum gelassenen Äpfel picken, sprechen. Ich kann mich durch Pfeiftöne mit den von Zweig zu Zweig flatternden Meisen, die Insekten vertilgen, wie in der Kindheit verständigen. Die Erinnerungen reichen heute insbesondere bis in eine unbeschwerte Kindheit zurück, trotz Kriegsfolgen und schwerem Neuanfang für die Generation der Eltern. In der Kindheit ist jeder Augenblick schön; Unbeschwert erlebt man Zelt und Baden im Teich, mopst sich Großvaters auffallend riechende Tomaten und Himbeeren aus seinem Garten und nimmt den Duft der Lindenblüten auf, aus deren Nektar Großvaters Bienen einen besonders aromatischen Honig gemacht haben! Diese Erinnerungen sollen sich in meinen Weißiger und Dresdner Geschichten widerspiegeln; Und die Liebe, still oder wahr, spielt natürlich immer mit. Viele Namen von Personen sind verändert, denn nicht jeder möchte erkannt sein. Es gibt da aber Ausnahmen, wenn ich jemandem besonders dankbar bin und ich weis, dass er sich freut, genannt zu werden.

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Dresdner Liebe und Geschichten Erste Liebe – Stille Liebe Wie man sich sehnt Wie man sich sucht Wie man sich findet 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15

Erste Augenblicke Nach dem Krieg in Weißig Rabimmel, Rabammel, Rabumm Weißiger Kultur und erste Blicke Letzter Blick in Weißig Die Oberschule Nord, Stille Liebe und Trautmanns Tanzstunde Das Parkhotel Weißer Hirsch und mein Praktikum Das Studium in Dresden und die Ernteeinsätze Dresdner Winter Sommerferien in Dresden Kultur an der HfV (Hochschule für Verkehrswesen) Große Verantwortung im Dresdner Verkehr Aufatmen auf dem Weißen Hirsch Durchatmen in König Augusts Keller Gedanken zum Klassentreffen

ISBN 978-3-940224-04-0

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Erste Augenblicke

Erinnerungen hat man bereits aus der Zeit vor dem dritten Geburtstag. Das wird oft geäußert, obwohl es andererseits mehrheitlich nicht geglaubt wird. Diese These will ich damit belegen, dass ich Erinnerungen habe, die vor und beim Angriff auf Dresden am 13. Februar 1945 lagen, und da war ich noch keine drei Jahre alt. Im Mai 1942 geboren, durch Magenpförtnerkrampf und Lungenentzündung beinah gleich wieder davon gegangen, habe ich mich schon frühzeitig für das weibliche Geschlecht interessiert. „Ma“ habe ich meine erste Freundin gerufen, die etwas älter war und mich manchmal betreut hat. Als sie mich an unserer Tür abliefern wollte und die Mutter nicht öffnete, glaubte ich mich verloren und habe laut los geheult. „Ich habe nur schnell Hirschhornsalz für den Kuchen geholt“ sagte dann die Mutter und damit war ich wieder zufrieden. „Safran macht den Kuchen gehl“ habe ich mir damals auch schon eingeprägt. Unter Führung kleiner Mädchen bin ich dann aber doch in die Freiheit „ausgebuchst“. Hinter mehreren Wohnblöcken entlang ging es in eine dichte Hecke beim Versteckspiel. Die Mutter hat mich lange nicht gefunden. Das hat mir gefallen. Noch heute seh´ ich den Küchenschrank, dessen untere Tür ich öffnen konnte und einen großen Beutel bunter Kugeln oder eine vom Vater aus dem Krieg geschickte dänische Holzeisenbahn heraus greifen konnte. Die Eisenbahn war mir genau so wichtig, wie meine Spiel- Freundinnen. Alles ist verbrannt. Die Holzeisenbahn, das Haus, nur der im Keller stehende Balkontisch nicht. Auf dem essen wir heute noch im Weißiger Garten. Ich sehe uns noch in der Bombennacht im Keller hocken. Jemand hatte eine Kerze angezündet, ein böse sprechender Mann mit einer Lampe am Mantel kam durch den Keller und ich dachte bei jedem Donner, dass uns nun der „Mummum“ holt. Also, richtig begriffen hatte ich das alles aber noch nicht. Aber ich weis noch, dass wir auf die Straße gingen, und dass (also nach dem ersten Angriff) über zersprungene Fenster geklagt wurde. Dann sitze ich am Küchentisch und will eine Marmeladenschnitte essen .... und sogar die Wanduhr in dieser Szene sehe ich noch, ohne zu wissen, was diese

4 anzeigt, aber sie hat aufdringlich getickt (so wie der Zeitzünder der Bomben). Nach dem zweiten Angriff brennt das ganze Haus. Bei der Flucht mit dem Kinder- Sportwagen muss ich immer ein nasses Tuch vor Nase und Mund halten. Aus den Häusern schlagen Flammen.... ganz deutlich, heute noch. Nur aus der Erzählung aber weis ich, dass wir am nächsten Tag mittels eines Brettes über ein Loch im Blauen Wunder kurz vor dem Angriff auf Blasewitz unversehrt nach Weißig entkommen sind.

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Nach dem Krieg in Weißig

„Na, seid ihr in Weißig angekommen ?!“ sagte Gastwirt Ernst Petzold vom Schweizergarten zu mir, als ich mich schutzsuchend an die Grundstücksmauer drückte, weil gerade die Weißiger Sirene zum

5 Feuerwehreinsatz gerufen hatte. Sirenen und Flugzeuge sind für mich heute noch schreckeinflößende Kriegserinnerungen. Aber da waren gleich wieder mehrere liebe, etwas ältere Mädchen, die sich um mich kümmerten. Huppekästl, Versteckspiel und Singspiele wie „Wir woll´n die goldne Brücke bauen – wer hat sie denn zerbrochen ?“ (die Brückengegner natürlich) waren ein wundervoller Empfang in Weißig. Auch in den ersten mit erlebten Weißiger Fastnachtstrubel haben mich die Mädchen eingeführt.

Besonders hat meine Freundin Roswitha mit mir gespielt. Wir haben mit etwas Butter und Zucker braune Bonbons auf dem Elektro- Kocher erzeugt, denn andere Süßigkeiten gab es sonst erst mal nicht. Wir sind, den „Mummum“ pfeifend vertreibend, auf den Dachboden gestiegen, um zu erkunden, was sich dort alles an alten Gegenständen verbirgt. Wir haben Butterblumen und Wiesenschaumkraut gepflückt, um den Müttern eine Freude zu machen. Roswitha hat aber auch Brenneseln für die Suppe und Bachkresse für den Brotaufstrich gesammelt. Ihre fünfköpfige Familie hatte es besonders schwer, und wenn mir die Mutter eine „Bemme“ vom rationierten, in Scheiben für die Woche eingeteilten Brot machte, hat Roswitha auch eine Schnitte bekommen. Im warmen Sommer haben wir Strümpfe und Schuhe gespart und sind „barbs“

6 (barfuß) auf stacheligen Wegen und Feldern gelaufen. Aber es wurden auch aus einem Brett und Riemen „Holzpantinen“ (Sandalen) nach Bleistiftmaß vom Originalfuß auf dem Brett angefertigt. Die Mädels um Roswitha haben mich nach Bühlau in den oberen KurhausSaal zu Apels Marionettenbühne entführt. „Aladins Wunderlampe“ wurde mit eindrucksvollen Lichteffekten gezeigt. Das war sehr aufregend für neue Menschen auf der Welt! Auch den ersten Kinobesuch in den Parklichtspielen auf dem Weißen Hirsch habe ich Roswithas Führung zu verdanken. Nach dreimaligem Gong, langsam verlöschendem Licht, Werbedias für Trieblers Pelze und Glasers Augenoptik, dann einer schreienden „Wochenschau“ konnten wir staunend den russischen Märchenfilm erleben. Den ersten Fernsehabend hatte ich später in den 50ern bei Bäcker Berger in Weißig mit der Sendung „Da lacht der Bär“. Vordem erzählte uns die Physiklehrerin, dass ein Fernsehverfahren erfunden worden sei, was wir aber mangels Beweis nur ungläubig hinnahmen. Natürlich hat mich auch mein Opa Reichstein (siehe dazu den Aufsatz in „Der Jodler aus Oberbühlau“) in Weißig herzlich aufgenommen, denn ich war so etwas wie ein Ersatz für seinen im Krieg umgekommenen Sohn Herbert. Ich durfte, als er in der Küche mit seinem Pfefferminztee auf dem Sofa saß, auf seiner Schulter sitzen und mit seinem Hammer Löcher in die ölgestrichene Küchenwand klopfen! Er hat das lächelnd hingenommen und mir die defekten Schienen der Spielzeugeisenbahn mit seinem BienenhausBindedraht zusammen gehalten.

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Rabimmel, Rabammel, Rabumm

Trotz aller weiblicher Fürsorge für meine Einführung in die Welt hab ich dann in der zweiten Klasse den Erläuterungen der Mädchen zur Weihnachtsaufführung des Tanzliedes „Ich geh mit meiner Laterne“ bis zum „Rabimmel, Rabaammel, Rabumm“ nicht folgen können. Ich war dafür zu ungeschickt, zu verklemmt. Ich konnte meinen Körper nicht im Takt des Liedes bewegen und dazu die Laterne melodiös schwenken. Ich wurde ausgesondert, konnte an der Aufführung nicht teilnehmen. Auch beim Sport an Schwebebalken, Barren und „Pferd“ war das nicht anders. Es tut mir leid, aber ich begreife bis heute nicht, was „abseits“ im Fußball bedeutet und spiele nur schlecht Schach, Skat schon gar nicht. Aber wenn

7 hübsche Mädchen im Spiel waren, hab ich das schon begriffen. Na, das ist wenigstens eine der natürlichen Gaben. Auch beim Handpuppenspiel in der Schul- Arbeitsgemeinschaft konnte ich wegen meiner Aussprache nur noch den nur flüsternden Sufleur machen. Aber romantisch war es doch, wenn wir Jungen und Mädchen zur Vorstellung am Abend samt Puppenbühne und Kulissen auf Hilmes Kohlelaster transportiert wurden.

Die vorher abgebildeten Puppen sind Original i- Künstlerpuppen der Fa. Curt Meißner von 1947/49 unter künstlerischer Leitung von Irmgard Bahmman, Loschwitz

In diesem Alter kennt man sich im gegenseitigen Umgang noch nicht aus, aber man ist angenehm berührt vom Blick des hübschen Mädchens oder einem unbeabsichtigten Anstoß im Schulgedränge. So haben mich die schönen Augen der schwarzhaarigen, jungen Pionierleiterin derart fasziniert, dass ich schon als kleiner Schüler so etwas wie (still) verliebt in sie war. Sie hat uns beim Pioniernachmittag zum Beispiel erläutert, wie man seine Zähne ordentlich putzt, aber überhaupt keine Maßregeln für den Aufbau des Sozialismus verkündet; so etwas tun so hübsche Mädchen ja auch gar nicht. Anders als vielleicht heute waren es damals auch nur Blicke, die Jungen und Mädchen haben Abstand halten lassen oder Zuneigung zu empfinden. Es waren oft nur als Sympathie zu bezeichnende Gefühle, wie folgende Erinnerungen zeigen.

8 Aus der Schule geplaudert (Septembermorgen) Im Nebel ruhet noch die Welt, noch träumen Wald und Wiesen; bald siehst du, wenn der Schleier fällt, den blauen Himmel unverstellt, herbstkräftig die gedämpfte Welt in warmem Golde fließen. Eduard Möricke Solch einen September hatten wir schon lange nicht mehr! Aber in den 50ern traf die von Möricke geschilderte Stimmung genau auf das Schönfeld- Weißiger Hochland zu. Heute grillen wir ja bis zum Staatsfeiertag am 3. Oktober ohne zu frösteln oder vom Nebel umhüllt zu sein. Im September der 50er hatten wir morgens stets Nebel und Ende September gab es in Weißig auch schon mal Schnee! Am 1. September war aber zunächst der Schulanfang mit einer großen Zuckertüte, die die Schule für jeden Schulanfänger am Zuckertütenbaum aufhängte, natürlich von den Eltern bereit gestellt. In der Nachkriegszeit waren da nicht nur Süßigkeiten in der Zuckertüte, sondern auch brauchbares Schulmaterial. Mein Freund Günter Hilme bekam vom Onkel in der Zuckertüte sogar ein lebendiges Kaninchen geschenkt! Der Schulanfang wiederholte sich eigentlich am Beginn aller 8 Klassenjahrgänge, denn es gab einen neuen Stundenplan, manchmal neue Mitschüler und auch andere oder gar neue Lehrer. Als Schulleiter Herr Kreische in die Schule eingeführt war, wurde für mich weniger dieser, sondern sein Töchterlein interessant. Es gibt auch schon im Kindesalter Zuneigungen zwischen Jungen und Mädchen. Sie hatte wundervolles rotbraunes Haar und der Höhepunkt meiner Sympathie war, dass ich ihr nicht einen Blumenstrauß, sondern einen meiner selbst ausgesäten Rettiche überreichte. Betroffen habe ich später die Nachricht hingenommen, dass sie bereits als junge Mutter verstorben ist. Ich hatte sie doch gerade noch fröhlich mit ihrem Kinderwagen getroffen! Für die Schüler brachte der Herbst bunte Blätter zu sammeln und diese mit dem Farbkasten nach zu malen. Die schönsten Bilder wurden ausgehängt. Auch Kastanien und Eicheln wurden gesammelt. Die Großmutter machte Röstkaffe davon und wir bastelten daraus kleine Figuren.

9 Im Oktober gab es extra „Kartoffelferien“, damit wir den Bauern beim Einsammeln helfen konnten. Für die Bauern, die Kirche und die Gemeinde war das „Erntedankfest“ ein besonderer Höhepunkt. Die Bauern dekorierten den Altarraum mit ihren Erntedank- Gaben: Kürbissen, Äpfeln, Gurken, Tomaten, die die Kirche nach dem ErntedankGottesdienst an Bedürftige verteilte. Doch schon im Oktober gab es Rauhreif und erste Fröste. Im November bereits rutschte der Obus wegen Schneeglätte beim Bremsen an den Haltestellen quer über die Straße; Stollen wurden schon bei den Bäckern zum Backen gegeben. So ging die Herbststimmung dann nach Bußtag und Totensonntag in die Advents- Vorfreude über. 4

Erste Blicke und Weißiger Kultur

Während ich für Ulla und Ute, zwei hübsche Schwestern größte Sympathie empfunden habe und auch versucht habe, mir die stille Liebe gar nicht anmerken zu lassen, hatte ich für Kerstin gar keine Gefühle übrig, obwohl gerade sie immer Verständnis für meine Fehler und Sünden gezeigt hat. Aber ich habe immer einen roten Kopf bekommen, wenn mir die Hübschen begegnet sind. Es durfte also, insbesondre bei meiner Mutter, gar nicht wahr sein, dass man Gefühle der Zuneigung schon im Schulalter hat. Da habe ich mich dessen geschämt und bin rot geworden, wenn ich mich ertappt glaubte. Es waren auch nur Blicke. Um so schöner war es, wenn man bei der umfangreichen kulturellen Betätigung in der Schule und im Ort in geistige Berührung mit räumlichem Abstand kam. Heimatmelodien An den zeitig dunkel werdenden Winter- und Adventsabenden ging man aber außer den Basteleien auch anderen kulturvollen Beschäftigungen nach. So spielten Herr und Frau Winter von der Weißiger Forststraße mit Akkordeon, Mandolinen und Mandolas (Zupfinstrumente) in einer kleinen Volksmusikgruppe auf. Mit ihren Konzerten sorgten sie für wundervolle Stimmung im Gemeindeheim an der Südstraße und auch nachwirkend in Weißig. Die Formation spielte und das Ehepaar Winter sang in der Art von Herbert Roth`s Ensemble. Das Rennsteiglied, „Im Thüringer Wald hat`s geschneit“ und viele andere Volkslieder erklangen und stimmten auf die

10 jeweilige Jahreszeit ein; So auch auf Weihnachten und den Winter. Mir noch bekannte Mitspieler in dieser Gruppe waren meine Tante Erna Thiele (gest. mit fast 91/2004) und Friseurmeister Erich Riedel (heute 96) von der Heidestraße, vormals Salon Wurzel in Bühlau.

Winters Volksmusikgruppe Fotografie aus dem Ortsarchiv bzw. aus Sammlung Erich Riedel

Lehrer mit Kultur Lehrer Herbert Seifert, der mit dem Spitznamen und auch Kosenamen „Schnacks“ bedacht war, wurde wegen seiner gutmütigen Wesensart von Kollegen und Schülern geliebt und geachtet. Dennoch (Kinder machen Streiche wie in Rühmanns Feuerzangenbowle) nutzten wir Schüler seine Gutmütigkeit aus, um vielfältige Scherze und Lärm im Unterricht zu veranstalten. Dass hatte er sich gar nicht verdient! Denn er war RussischExperte (Man braucht das heute wieder), lehrte Erdkunde und bereicherte den Musikunterricht mit Liedern und seinem Harmonikaspiel. Sein „Schifferklavier“ kam auch bei den Ferienspielen und bei Kulturveranstaltungen zum Einsatz. Besonders widmete er sich

11 einer Instrumentalgruppe, die insbesondre mit Flötistinnen besetzt war. Deren Melodien klingen noch heute in unseren Ohren. Der letzte Schultag vor den Ferien mit Lehrer Herbert Seifert war stets ein Höhepunkt: Eine Märchenfilm- Vorführung mit dem Schmalfilmapparat, unzählig viele von ihm selbst ausgedachter Märchen oder das Vorlesen einer Geschichte haben da in die Ferien- oder Weihnachtsstimmung übergeleitet. Herbert Seifert war auch Theater- Autor. Sein Stück, das leider in Weißig nicht zur Geltung kam, wurde zuerst am Jugendtheater Annaberg aufgeführt. „Superstars“ auf der Weißiger Gasthofbühne um 1950 Der Weg von der Hutbergschule bis zum Gasthof ist gar nicht weit. Für Katrin war es aber damals um 1950 eine qualvolle Strecke. Sie war in der zweiten Klasse ein liebes kleines Mädel mit schönen braunen Augen, aber noch nicht kräftig genug. Sie brachte den großen, schweren Schulranzen nicht allein auf die Schultern. Deshalb wurde sie von den anderen Kindern auf dem Weg von der Schule gehänselt und verspottet. Mir tat die Hänselei leid, und ich hab ihr zusammen mit Marlies den Ranzen gehalten, damit sie in dessen Tragebänder schlüpfen konnte. Sie hat dann bereits mit 16 ihre Mutter bei einem Unfall verloren. Ohne Mutter muss es schwer gewesen sein für sie. Aber ich habe später gehört, dass sie mit einem lieben Partner nach dem Westen ausreisen konnte. Katrin hat damals nicht als junger „Superstar“ auf der Gasthofbühne gestanden. Ich habe das auch nicht tun können, weil ich mich beim Einstudieren von Singen, Tanzen und Laterne schwenken bei „RabimmelRabammel-Rabumm“ zu unbeholfen angestellt hatte. Aber Karin hat mit heller, lauter und geübter Stimme auf der Gasthofbühne „s´Annel mit´m Kannel wollt´ in de Blaubeern gehen“ vorgesungen. Später wollte sie Gesang studieren. Der blonde Lockenschopf Christian hat mit 8 Jahren sogar die Hauptrolle in „Peterchens Mondfahrt“ dargestellt. Alle Mädchen und deren Mütter waren begeistert! Der Betreiber einer Weißiger Autowerkstatt hatte zwei schön gewachsene Töchter, die mit etwa 14 Jahren eine akrobatische Übung „Meißner Porzellan“ auf der Gasthofbühne darboten. Wieder ging ein tagelang erstauntes Raunen durch Weißig!

12 Natürlich haben auch die kollektiv (heute: im Team) vorgetragenen Kulturund Sportbeiträge von Spatzenchor, Schulchor, Arbeitsgemeinschaft Handpuppenspiel und Sportgemeinschaft Weißig bei den Feiern und Veranstaltungen der Schule oder der Gemeinde im Gasthofsaal großen Anklang gefunden. Also, wir hatten auch schon damals „Superstars“ unter uns! Die Lehrmittel vom Schulboden Nun kurz zu dem, was uns Schülern an den damaligen Lehrmitteln große Freude gemacht hat: Das war zu aller erst der Dachboden des Schulhauses! Denn dort oben war die Lehrmittel- Kammer mit Globus, ausgestopften Vögeln und Säugetieren, Schlangen im formalingefüllten Glas, Lehrtafeln zum Verdauungstrakt und zur Geologie der Erde, und natürlich unzählige großformatige, ausrollbare Landkarten, auf denen Deutschland immer noch nur als Gesamtdeutschland dargestellt war! Diese Materialien wurden im Auftrag der Lehrer in den Unterrichtspausen von den zum „Bodendienst“ eingeteilten Schülern an die mit der Abholung beauftragten Schüler verliehen. Der Bodendienst mit und zwischen diesen interessanten und teils verstaubten Utensilien war natürlich begehrt und auch romantisch bis lustig, wenn Jungen und Mädchen gemeinsam Dienst hatten. Im Altbestand des Schulbodens wurde eines Tages ein altes, mit einer Handkurbel aufziehbares Grammophon entdeckt. Da ertönte in den Unterrichtspausen vom Schuldach herunter: „Ja, wenn die Elisabeth nicht so schöne Beine hätt`!...“ Das war natürlich ein Riesen- Gaudi! Ganz ernst zu nehmende und auch wichtige Lehrmittel waren natürlich die chemisch- physikalischen Gerätschaften im Chemie- und Physikzimmer Nr. 8, sowie vor allem das meist von Lehrer Herbert Seifert bediente Schmalfilm- Vorführgerät. Erd- und Länderkunde, biologische Regeln und in Chemie der Drehrohr- Ofen zur Zementherstellung wurden da auch ohne Fernseher und Computertechnik im Stummfilm vermittelt. Am letzten Schultag vor den Ferien ließ Herbert Seifert auch mal einen Märchenfilm durchlaufen... Das Schulzimmer musste dazu an den Fenstern mit Hilfe der Rollos verdunkelt werden. Das war genau so spannend und romantisch wie die jeden Donnerstag um 17 Uhr im Gasthofsaal stattfindende Kindervorstellung des Landfilm- Unternehmens.

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Letzter Blick in Weißig

Auf dem Heimweg von der Schule ging es natürlich nicht gleich nach Hause. Die Schulaufgaben konnten warten. Am Trafo- Häus´l, dem Umspannwerk für das Unterdorf, konnte man die Schulranzen an einer Mauer in die Ecke legen und „Hascher“ spielen. Also, der „es ist“, muss alle jagen und den Nächsten durch Handschlag auf die Schulter dazu machen, dass nun zu ihm gerufen wird:„Peter is´es!“ Beim Hascher- Jagen konnte man durch einen kühnen Sprung von der Mauer herunter und anschließend über den ein bis zwei Meter breiten Dorfbach entweichen und dann über die Brücke zurück schleichen. Man konnte anstelle dieses Jungen- Spieles auch mit den Mädchen weiter laufen, die dann ihre Schularbeiten gleich sofort erledigt haben. Oder man konnte auch beim Dorfschmied vorbeisehen: Der Schmied und die Glocke „Peng! Peng! Peng!“ So schallte der Hammer von Schmiedemeister Zeuschler, wenn er auf das glühende Eisen schlug, um es zu formen. „Kling, kling-kling-kling“ klangen Hammer und Amboss vier bis fünf mal leiser aber heller nach, wenn der Meister abschließend auf den leeren Amboss leicht aufschlagend die Melodie aller Schmiede vollendete. Schmiedemeister Zeuschler (Südstraße/ Ecke Dresdner Straße) beherrschte nicht nur dieses melodische Zurechtschlagen der Hufeisen für die Pferde der Bauern, deren Hufe er mit den Eisen und großen Nägeln neu besohlte. Er konnte in den kleinen Gesprächspausen mit uns Kindern, die interessiert die Schmiede betreten durften, auch Schillers „Die Glocke“ fließend vollständig aufsagen. Nicht mehr gebrauchsfähige Hufeisen wurden an jedermann abgegeben, damit sie über die Tür genagelt bzw. als Weihnachts- und Neujahrsgeschenk Glück und Freude bringen können. Nun weiter zu den Blicken auf die Mädchen: Bevor wir uns unausgesprochen wegen der Blicke auf bestimmte Mädchen „gekampelt“ (gehauen) haben, wie aneinander geratende Hunde, hab ich früh auf dem Weg zur Schule immer Johannes von dessen Wohnung abgeholt, um mit ihm gemeinsam zur Schule, manchmal auch auf dem zugefrorenen Dorfbach, zu laufen. Er war ein hübscher dauergewellter Lockenkopf, während wir anderen eigentlich noch richtig doofe Langhaar-

14 Scheitel-Frisuren hatten. Die ebenfalls schon weiter als andere Mädchen entwickelte Christina, von der fast alle Jungen laut oder nur innerlich schwärmten, wurde bereits im Grundschulalter seine „feste“ Freundin. Da waren die anderen, zumindest ich gebe das ganz natürlich zu, neidisch oder eifersüchtig, so wie ich noch heute eifersüchtig bin, dass der Udo Jürgens meiner Frau so gefällt. Bei den Ferienspielen wollten viele Jungen um und mit Christina zusammen sein. Man war auch bei der Konfirmation in ihrer Nähe und sie war, wie das der Kantor richtig erkannte, auch der Zugmagnet für die Jungen in des Pastors Junger Gemeinde. Die Liebe zu Jesus Christus hatte ganz natürliche Ursachen. Die Grundschulzeit ging zu Ende, und manche Familie reiste aus nach dem Westen („die sind abgehau´n“). So waren auch plötzlich Johannes und Christina verschwunden. Niemand hat mehr an sie gedacht und sie selbst wussten auch jahrzehntelang voneinander nicht, wo der andere ist. Da hab ich dann nach 50 Jahren bei Recherchen zu einem Klassentreffen etwas nachgeholfen. Denn ich hatte meinen letzten Blick auf das hübsche Mädchen so lange in Erinnerung behalten.

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Die Oberschule Nord, Stille Liebe und Trautmanns Tanzstunde

15 In die Oberschule Nord auf der Weintraubenstraße in Dresden- Neustadt wurde ich nun geschickt. Das war gut so, denn sonst hätte ich eine Bäckerlehre antreten sollen, obwohl ich mich für Eisenbahn, Straßenbahn und Bus interessierte. Herr Scheibner, der Mathe- Lehrer in der 9. konnte meinen Namen nicht entziffern und nannte mich Theo. Da hatte ich gleich meinen Spitznamen weg (später im Studium wurde ich wegen eines ähnlichen Missverständnisses Hermann gerufen). Die Mädchen in der 9. Klasse waren beinahe alle genau so unberührt wie ich und alle hat auch wirklich nur das Lernen in der Oberstufe, der Beginn des Ernstes des Lebens, interessieren sollen. Der Störenfried der Klasse war auch noch nicht dazu entwickelt. In Chemie bekam ich völlig unerwartet gleich erst mal eine 4 (seit dem hasse ich Chemie), weil ich den Unterschied zwischen einer Flotation und einer Lösung nicht erklären konnte. Ich hatte dazu nämlich wegen eines erforderlichen Arztbesuches gefehlt und niemanden danach befragt. Schon damit hatte ich doch etwas dazu gelernt. Aber die Physikaufgaben hatte ich wiederholt. Der Physiklehrer wollte das testen und zitierte mich an die Tafel und ich konnte den Auftrieb nach Archimedes 1A erklären. Da hat er verblüfft mir eine 1 gegeben und nun ein Mädchen zum Wissenstest an die Tafel geholt. Der Zeichenlehrer wollte nicht glauben, dass ich mein Bild doch nicht von Brigittes Zeichnung abgemalt habe. Insbesondere unsere Deutsch-Lehrerin geht ehrenvoll in meine Erinnerungen ein: Mumu und meine Klavierstunden in Weißig-Bühlau Weißig-Bühlau in dieser Überschrift ist historisch nicht falsch. Denn schließlich hat es von 1908 bis 1951 einen gleichnamigen Bahnhof vor dem Ortseingang von Weißig mit den vier Linden, die heute nicht mehr stehen, gegeben. Damit soll nur gesagt werden, dass es früher und auch heute noch viele gemeinsame Interessen von Weißig und Bühlau gibt. Im Folgenden versuche ich nachzuweisen, dass das auch für die Klavierstunden, die heranwachsende Schüler genießen dürfen, gilt. Aus der Grundschule Weißig (heute Hutbergschule) wurde ich 1956 versehentlich mit einer „1“ ausgeschult. Die Verpflichtungen aus dieser eins konnte ich nachfolgend in der Oberschule Nord an der Weintraubenstrasse nicht ganz erfüllen. Aber manchmal hat es doch wieder zur eins gereicht. Vera Wolf, so hieß unsere 50jährige und gutaussehende Deutschlehrerin, hat mir

16 auf meinen Aufsatz zu Gogols „Mumu“ eine eins verabreicht, weil ich mich in die Gefühle des taubstummen Leibeigenen hineinversetzen konnte, der auf Befehl seines Gutsherren seinen einzigen ihm Nahestehenden, seinen Hund, zu dem er nur „Mumu“ sagen konnte, mit Steinen behangen im See ertränken musste. Warum habe ich es im Aufsatz geschafft, dessen Gefühle nach zu leben? Das liegt an einem Erlebnis um meine früheren Klavierstunden in Weißig: Das Klavier von Frau E. Dorn befand sich in der Etage über dem Frisörsalon Pusch. 12 Mark zahlte meine Mutter monatlich, damit aus mir ein ordentlicher Klavier spielen könnender Mensch wird. Das ist aber nie etwas Richtiges geworden, denn ich kann nur Weihnachtslieder, die schöne blaue Donau und ein ganz bestimmtes Schubert-Lied spielen, das auch Lehrer Herbert Seifert auf der Flöte von der Schülergruppe anstimmen ließ. Frau Erika Hilme von Hilmes Tankstelle an der Dresdner Strasse, die über uns wohnte, hat sich aber das, was ich gerade konnte, mit angehört und sich huldvoll darüber geäußert, denn damals gab es außer dem Radio keinen der heutigen Musikerzeuger; und da waren meine mäßigen Klavierübungen durchaus willkommen. Die Klavierübungen haben mit den Tonleitern und den diese einprägen sollenden Sprüchen begonnen: Esel, geh hol dir Futter und Fritz aß Citroneneis. Mir hat es kaum geholfen. Viel besser konnte das alles der Weißiger Schüler aus der A-Klasse Axel Lorenz (ich war Unterdorf-B)! Und Frau E. Dorn hat meiner Mutter immer gesagt, ich sei fast genau so gut, denn sie brauchte ja die 12 Mark. Das ist verständlich. Doch jetzt kommt das Drama. Frau Dorn hatte einen ganz lieben gelben Kanarienvogel im Käfig auf dem Klavier, der jede Übung und jede Melodie mit seinem Singen begleitete. Und das Ende, zumindest erst einmal für den Kanarienvogel , war, dass der eines nachts, als Frau Dorn mal raus musste, ausgerechnet ganz frei auf dem Teppich saß. Da hat sie ihn, natürlich völlig unbeabsichtigt, denn er war Ihr Liebstes, auf dem Fußboden mit ihren eigenen Füßen zertreten. Daraus wurde auch das Ende von Frau Dorn. Sie ist, schuldbewusst wie es alle anständigen Menschen sind, am Gram darüber gestorben! Das konnte ich gut nachfühlen und deshalb nur habe ich später über Gogols Mumu im Aufsatz mitfühlend schreiben können.

17 Aber das Leben ohne Frau E. Dorn ging ja weiter. So wurde u.a. ich nach Bühlau zur Klavierstunde geschickt. Axel Lorenz auch. Er war so gut, dass er später die Axel-Lorenz-Combo gründen konnte und mit Tanzmusik im Sachsenland aufspielte. Für mich waren Cerny, Schubert und andere Größen nicht schaffbar. Lieber hätte ich Weihnachtslieder gespielt. Nun kommt aber das, was mich manchmal vor Cerny bewahrt hat. Die Klavierlehrerin hatte, wie auch ich, etwas Angst vorm Gewitter. Nicht ganz unberechtigt dachte sie, der Blitz werde ganz besonders von den vielfachen metallischen Drahtverspannungen (den Saiten) in ihrem Flügel angezogen. Das war gut für mich, denn ich brauchte nicht vorzuspielen, ob ich meine Noten auch wirklich geübt habe. Das Gewitter dauerte lange und die nächstfolgende Schülerin musste ebenfalls auf dessen Ende warten. Es war die Enkeltochter einer der letzten der Weißig-Bühlauer Wäscheweiber, über die ich eigentlich auch noch eine spezielle Geschichte parat habe. Also mit ihrer Enkeltochter bin ich dann beim nachlassenden Regen unter einem einzigen Schirm zur Haltestelle am Bühlauer „Ringl“ gelaufen. Mit 12 Jahren war so ein einziger Schirm schon ganz schön aufregend. Doch die Freude über die 1 bei Vera war kurz. Denn ich hatte, am Lehrstoff nicht interessiert, den Tintenfassdeckel mit Verkehrszeichen bemalt. Das hat mich beschäftigt! Der Lehrer nämlich kontrollierte nach jeder Stnnde die Schulbänke nach derartigen Bemalungen. Woher sollte ich auch wissen, dass auch damals schon Politessen tätig sind? Schwupps, da bekam ich gleich einen „direktorialen Verweis“! Physiklehrerherr Dittrich war da kulanter., als es während des Unterrichtes an der Tür klopfte und zwei frei habende Schüler sagten: „ Herr Dittrich, wir können Ihr Motorrad nicht mehr ausstellen!“ Er hat es ihnen freundlich erklärt und dann mit ihnen einen PKW Typ DKW aufgebaut. Die Probefahrt der Schüler durfte aber nur auf dem Schulhof stattfinden! Für mich aber kam Vico Torriani mit einem Kabriolett am Kurhaus Bühlau vorgefahren, wo er seinen Auftritt hatte. Ich war aber nur draußen in der ihm zuwinkenden Menschenmenge. Der „Schmalz“- Film mit ihm in den Parklichtspielen auf dem Weißen Hirsch mit seinen Liedern und vielen schönen Frauen hatte mir damals sehr gefallen. Auch mein Schulbanknachbar Anestis schwärmte von Vico Torriani und versuchte auch, dessen Lieder zu singen. Nun etwas mehr zu Anestis:

18 Anestis Triandafilidis aus Loschwitz Die Frau meines Bekannten ist Jugoslawin. Sie ist hübsch und ganz lieb. Natürlich respektiere ich sie, nicht nur wegen dieser Eigenschaften. In diesem Zusammenhang muss ich an meine Schulzeit denken, und ich bin durchaus ausländerfreundlich. Beim Dönermann und beim Chinesen begeistern mich die leicht verdaulichen Speisen. Also, im September 1956 kam ich in die Oberschule Nord in der Weintraubenstraße. Der Klassenlehrer fragte mich und andere Schüler: Würdest Du mit einem Griechen/einer Griechin zusammen in der Schulbank sitzen wollen? Natürlich! Ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass da jemand hätte ablehnen wollen. Ich habe es als Ehre empfunden. Daraufhin wurde ich Schulbanknachbar von Anestis Triandafilidis. Er war ruhig und schüchtern wie ich, und bei der NeuntklassenWeihnachtsfeier haben wir uns beide nicht getraut, die hübschen Klassenkameradinnen zum Tanz nach einer Schallplattenmusik aufzufordern. Anestis wohnte wie alle griechischen Schüler im Wohnheim an der Plattleite in Loschwitz, auf halbem Anstieg zum Weißen Hirsch. Viele griechische Namen kann ich da aufzählen. Doch Anestis habe ich auch nach der Schulzeit immer wieder getroffen. Da wohnte er schon im Studentenwohnheim Schloss Eckberg. Dort habe ich ihn sonnabends abgeholt und wir sind zum Tanz ins Parkhotel gegangen. Anders als in der neunten Klasse sind wir da aber zur Tat geschritten. Meinen ersten eigenständigen Tanz nach Absolvierung der Tanzschule Jöhren-Trautmann vom Schillerplatz habe ich im Parkhotel beim langsamen Walzer mit einer schönen Griechin gewagt! Letztmalig habe ich im strengen Winter 1962/63 mit Anestis an der Haltestelle gestanden, und wir haben darüber geklagt, dass die Tanzlokale mangels Heizungsmaterial geschlossen haben. Ich höre ihn noch sagen: Es schneit und schneit und hört nicht auf. Er ist dann zurück nach Athen gegangen. Leider habe ich dann erfahren, dass er in noch jungen Jahren an Blutkrebs gestorben ist. Das ist meine mit Anestis erlebte kleine Geschichte. Mit deren Schilderung möchte ich aber auch ausdrücken, dass wir Sachsen auch schon 1956 für eine europäische Union offen gewesen wären.

19 Zurück zur Oberschule Nord: Freundschaften zwischen Jungen und Mädchen in der Schule wurden vom Direktoriat nicht geduldet. Die „Abnormen“ wurden zu Rapport und Beichte bestellt. Trotzdem war man zumindest bereits gedanklich verführt, wenn man die durch Umstruktuierung in der 10. neu in unsere Klasse eingeführten hübschen Mädchen sah! Leider verließen uns zwei davon schon am Ende der 10. zur „mittleren Reife“, aber sie sind später dennoch diplomierte Fachleute geworden! Eine von diesen Schönen blieb aber da. Was mir mit ihr widerfahren ist, kommt in folgender Einblendung, weil ich oft mit ihr in der „11“ zur Schule gefahren bin : Von der Liebe zur 11 Die Straßenbahnlinie 11 mit den Hechtwagen nach Bühlau scheint eine Legende zu sein. Von ihr schwärmen die Großväter (die früheren Kinder), damalige Fahrgäste, Fachleute und auch viele junge Leute, die Fans! Nie hat diese Linie eine andere Liniennummer als die 11 gehabt! (Hellerau hatte man schon einmal an Stelle der ebenfalls legendären 8 die 7 aufgezwungen.) Die 1948 eingesetzte Hecht- 10 nach Bühlau war nur eine zusätzliche Verstärkungslinie, hervor gegangen aus der Vorkriegs- 111. Als Kind habe ich, wie viele andere auch, gern in der linken Ecke neben der Fahrerkabine der Tätigkeit des Fahrers zugeschaut. Ich konnte sogar die Geräusche der in Abhängigkeit von Anfahren, Leerlauf und Bremsen unterschiedlich singenden, summenden oder knurrenden Motoren imitieren. Der Hirschberg mit 7,7% Gefälle (!) war für damalige Straßenbahnen (ohne Zahnstangen-Antrieb wie in der Schweiz oder in Südfrankreich) schon eine schwierig zu bewältigende Leistung. Aus Sicherheitsgründen wurde bergauf nur mit halber Geschwindigkeit bzw. Motorspannung (Serienschaltung) gefahren, und bergab durfte von Plattleite bis Mordgrundbrücke nicht schneller, als in drei Minuten gefahren werden. Der Herbst brachte mit dem Laubfall auf der Strecke zwischen Saloppe und Plattleite rutschige Schienenverhältnisse, die der Fahrer mit dem Treten des Sandstreuerpedals, ggf. auch des Schienenbremspedales, beim Anfahren oder Bremsen bewältigen musste. Für die Fahrgäste ergab das aber eigentlich einen aromatischen Geruch des

20 von den durchdrehenden oder blockierenden Rädern fast verbrannten Laubes. Das war 11- Romantik. Nach dem Kriege ( und teilweise auch heute noch) war die 11 im Spitzenverkehr stets überfüllt. Die letzten Einsteiger mussten, sich am äußeren Türgriff festhaltend, auf dem äußeren Trittbrett mitfahren; Der Schaffner, der noch auf der Straße stehend eine außen am Wagen befindliche Abfahrtsklingel drückte, zwängte sich dann auch noch auf dieses Trittbrett! Beim Abspringen, weil man sich doch nicht halten konnte oder die Haltestelle nahte, musste man vom innen an der Tür angebrachten Schild „linke Hand am linken Griff!“ wissen und sich auch danach richten. Verliebt in die Hecht-11 habe ich mich letztendlich eigentlich erst so richtig, weil eine hübsche Mitschülerin regelmäßig an der Haltestelle Grundstraße am hinteren Doppeleinstieg des Hechtes zustieg, worauf ich dort schon gewartet habe. Aber ich habe sie natürlich nicht gekriegt , weil ich noch „viel zu grün hinter den Ohren“ war. Aber diese „stille Liebe“ hat mich doch mit dem Hecht verbunden. Neben solchen „hübschen“ Erinnerungen gab es aber auch noch andere legendäre Fahrgäste auf der 11. Da sind zumindest zu nennen – die stets mit großem, hellem Hut und einem Kleid aus den 30er Jahren bekleidete und nie alternde Sängerin, die immer am Bühlauer „Ringel“ zustieg; Und unvergessen und populär: Der Jodler aus Neubühlau (Oberbühlau)! Zu einem Höhepunkt im Oberschul-Leben entwickelte sich aber Anfang 1958 der Schulfasching, denn die Regierung hatte beschlossen, dass man fröhlich zu sein hat. Das ganze Schulhaus wurde aus- und umgeräumt und dekoriert. In verdunkelten Ecken konnten und durften die sich bildenden Pärchen schmusen. Unser Klassenlehrer, Herr Günter Taubert (den wir so lieb hatten, dass er auch heute noch bei keinem Klasentreffen fehlt), ging als Petrus mit seiner gesamten als Engel mit Flügeln verkleideten Klasse im Gefolge. Wir wollten auch alle wirklich nur die Engel sein. Die Störungen dessen kamen später. Die Aula war der Tanzsaal mit Walzer und Rock and Roll. Dem Faschingsball im Schulhaus folgte der Frühlingsball im Parkhotel Weißer Hirsch. Die hübsche schwarzhaarige und attraktive Brigitte lieferte auf der Bühne einen Laien- Solo- Gesang mit Chico-chico-Charlie. Das war schon was, ganz gekonnt! Da

21 konnte man als noch grüner Jüngling nur eifersüchtig auf ihren Freund sein, wenn man sie am Stausee in der Heide baden sah. Das ist eben ein Schulproblem, dass die Mädchen in der Klasse viel weiter entwickelt sind, als die noch grünen und doofen Jungen. Die Mädchen suchen sich da Partner aus höheren Klassen. Aus dem Bild zum Schulgebäude vorn einleitend ist zu ersehen, dass beide Eingänge (auch 1956 noch erhalten) unterschiedlich für KNABEN und MÄDCHEN gekennzeichnet waren. Das war vielleicht richtig so, um Störungen der Aufmerksamkeit im Unterricht zu vermeiden. Aber warte nur ein Weilchen, dann sind auch die Grünschnäbel nachgewachsen und nehmen sich dann die Mädchen der jüngeren Klassen. Zunächst ging es aber zur Klassenfahrt im Sommer mit dem Fahrrad nach Johnsdorf ins Zittauer Gebirge. Die Mädchen und Herr Taubert fuhren mit der Eisenbahn. Die Ankunftszeiten der Fahrräder spiegelten eine Auslese zwischen stärkeren und noch bis zu 11 Monate jüngeren Schülern wider. Der Störenfried hatte sich dazu entwickelt und grölte in der Waltersdorfer Milchbar „Alles vorbei, Tom Dooly...“. Das war vielleicht auch gar nicht verkehrt. Denn an eine Freundin kamen wir Grünschnäbel noch nicht heran, und ob aus der Abitur- Prüfung so antriebs- und hoffnungslos etwas ordentliches werden kann, stand noch in den Sternen. Wirklich, der Antrieb, das Motiv, ordentlich zu lernen, fehlte mir. Da war zumindest für mich die Ferien- und Wochenendtätigkeit als Obusschaffner der Beweis, dass ich auch im Leben draußen etwas leisten kann. Beim NAW- Einsatz in den Grünanlagen hatte uns nämlich Biologie- Lehrerin Frau Töpfer berechtigt vorgeworfen: „Ihr müsst doch erst mal richtig arbeiten lernen!“ Zum richtig und ordentlich arbeiten hat mir da Obusfahrerin Ursula Krah verholfen. Dafür bin ich ihr heute noch dankbar. Sie hat mich praktisch ins echte Leben eingeführt:

Die Obusschaffner Sie gehen nach Bü, Sie nach To, nach Wa, nach Tra, nach Nau......... sagte 1958 die Kadertante des VEB(K) Verkehrsbetriebe der Stadt Dresden zu den bei ihr zwecks eines Ferieneinsatzes als Schaffner ( das war früher der, der das Fahrgeld auf Bahn oder Bus kassierte und zur Abfahrt klingelte)

22 Schlange stehenden 16jährigen Schülern. Als ich an der Reihe war und sie meine Wohnadresse mit der des nächstgelegenen Betriebshofes verglich, sagte sie: Sie gehen nach Bla ! Das hieß Busbahnhof Blasewitz! Mein erster Schaffnerdienst erfolgte auf der Obuslinie C (später 61) unter Anleitung eines Lehrschaffners, der mich am Ende seiner einführenden Erläuterungen ab Haltestelle Steglichstraße bergabwärts selbstständig das Aus- und Einsteigen mit Zeitkartenkontrolle über den am Obus ohne Schaffner mitgeführten Anhänger überwachen, zur Abfahrt klingeln, Türen druckluftbetätigt schließen und Fahrscheine für 20 Pfennig verkaufen ließ. Außerdem hatte der Schaffner/die Schaffnerin die nächstfolgende Haltestelle mit lauter Stimme auszurufen ("Die Nächste Schillerplatz Blasewitz!") und Auskünfte über Fahrplan und über Umsteigeverbindungen zu geben. Dafür führte er auch ein Dresdner Haltestellen- und Straßenverzeichnis mit. Der Schaffner half den Einsteigenden die Stufen in den Bus hinauf und hob und sortierte Kinderwagen und Gepäckstücke der Fahrgäste. Das war ein umfangreicher individueller Service! Auch wenn der Obus, wie damals üblich, völlig überfüllt war, musste der Schaffner das alles zwischen zwei Haltestellen gewissenhaft und schnell abwickeln. Darüber wachten der plötzlich zusteigende Fahrscheinkontrolleur und der Obusfahrer, der natürlich den Fahrgästen Pünktlichkeit geben wollte, aber auch seine Pause an der nächsten Endstation gesichert haben wollte. Sie sind der Schnellste! sagte Obusfahrerin Ursula Krah zu mir, und da dürfen Sie die Urlaubsvertretung für meine Schaffnerin machen. Das war ein Erfolgserlebnis für mich. Ich hatte damals aber noch keine echte Verkaufsschulung hinter mir und war nur auf Schnelligkeit bedacht. Da musste ich leider an der Haltestelle Niederwaldstraße mit anhören, wie Zusteigende sagten: Komm, wir gehen in den Anhänger, vorn ist der böse Schaffner! Ich musste also, und später und auch heute noch, schrittweise dazulernen. Der Obusschaffner musste aber auch Anhänger ab- und ankuppeln können, Bremsproben überwachen, Radmuttern nachziehen und vor allem die auf der kurvenreichen Grundstraße häufig entgleisenden Stromabnahmestangen, die Ruten, mit Hilfe einer dreifach zusammenzusteckenden Stange schnell wieder an die Fahrleitung fädeln können. Da war natürlich ein kleiner Trick dabei. Ein bei den Obusfahrern besonders beliebter Schaffner war der, der früh weit vor dem Fahrer in der Obushalle Blasewitz eintraf und im Obus das Licht, die Heizung und den Kompressor einschaltete, das Fahrersitzkissen

23 zurechtrückte und den Luftdruck der Reifen mittels Reifenhammer prüfte; Da brauchte der Obusfahrer nur noch loszufahren! Das ist er, der Henschel- Obus von 1958:

Nun war ich ordentlich gerüstet. Aber ich habe mit diesem neuen Selbstbewusstsein in der Klasse erst einmal versucht, mich genau so daneben zu benehmen, wie die etwas älteren „Frechen“. Denn die hatten Chancen bei den Mädchen. Dann haben mich aber das näher rückende Abitur, die Lebensweisheiten von Frau Krah und Trautmanns Tanzstunde weitgehend zur Vernunft gebracht. Meine Mutter war entsetzt, als ich mich ein Jahr später, als die ganze Klasse schon im Vorjahr, zur Tanzstunde bei Jöhren – Trautmann angemeldet habe. Aber wegen der „innigen Bindung“ meiner Mutter hab ich mir das nicht eher getraut. Im Volkshaus Laubegast fanden die Tanzstunden statt. Die neugierig am Rande zusehenden Mädchen fand ich ganz interessant, denn sie warteten auf einen Damen- Mangel im Lehrgang, um dann kostenlos zu Tanzstunde und Ball hinzugezogen zu werden. Man sollte sich eine Dame für den ersten Ball und weitere Tanzübungen wählen. Für mich war nur eine da, und sie hat auch ja gesagt. Foxtrottschritte, Tango- Wiegen, Lipsi, langsamen und Wiener Walzer haben uns da das Tanzlehrerpaar Jöhren- Trautmann gelehrt. Ich hab natürlich nur mit Hilfe meiner Partnerin begriffen (vergleiche vorn Rabimmel...), wie nur zwei Beine in einem Drei- Schritt- Walzer gesetzt werden können. Dafür bin ich ihr dankbar, denn diese TanzQualifizierung war wichtig für meine „Damenwahl“ in der Zukunft. Aber ich konnte zu meiner Tanzpartnerin keine Beziehung aufbauen und sagte mir, dass die Tanzstunde keine Heiratsvermittlung sei. Das lag auch daran, dass ich immer noch still verliebt, stets in Gedanken bei unserer für mich nicht erreichbaren Klassenschönsten war.

24 Ein Ball der Oberschule im Parkhotel Weißer Hirsch kam, und ich tanzte erstmals frei den langsamen Walzer mit einer schönen Griechin. Der Faschingsball der Oberschule Nord im Parkhotel 1960 folgte noch vor den Abitur- Vorbereitungen. Zusammen mit Frieder ging es auf „Brautschau“ im Saal. In meinem Visier war die hübsche, schwarzhaarige Caroline von der Oberschule Süd. Dank Trautmanns Vorbereitung im Vorjahr tanzten wir miteinander und verabredeten uns wieder. Der nächste Trefftermin lag zeitlich genau im erst später verordneten NAW- Einsatz. Ich musste also (es gab keine Handys), um beim Rendesvouz pünktlich zu sein, den Arbeitseinsatz vorzeitig verlassen. Alle raunten: „aha, der Theo hat ein Stell- Dich- ein!“ ja, doch, jetzt war ich endlich soweit älter geworden, um auch eine Freundin haben zu dürfen! Aber die „innige Bindung“ meiner Mutter machte mir in deren Gestalt und Äußerungen schwerwiegende Vorwürfe, dass sich so etwas gar nicht gehöre, schon gleich gar nicht vor dem Abitur. Nur mit schlechtem Gewissen und Magenschmerzen bin ich daher mit Caroline ins Kino gegangen oder händchenhaltend durch den Großen Garten spaziert. Nun schob ich es aber auf das Abitur, dass weitere Treffen erst mal ausbleiben müssten. Nach erfolgreichem Abitur fand der Mulusball der Oberschule Nord im Lindengarten Hellerau statt. Caroline kam ohne Verabredung dazu zu mir nach Hellerau. Ich hatte aber zunächst immer noch die unerreichbare Klassenschönste (Caroline war genau so schön) in Gedanken, tanzte unbeholfen mit Caroline und quatschte , anstelle mit Caroline, mit einem andren Schüler in Lehrer Rätzsch´s English. Dabei kam es besonders auf des Lehrers tie-eetsch (the) an, also das mit der Zunge an den Zähnen anstoßende, fast gehauchte „sssi“. Ja, nun erkläre mal jemand, warum mich das damals mehr interessiert hat, als die schöne Caroline. Bei der Heimfahrt in der „8“ wurde Caroline auch noch vom Störenfried, mich völlig übersehend , bequatscht. Der nächste Treff ging völlig schief. Denn ich musste erst einmal den Schaden eines herunter gefallenen Honigglases beseitigen. Da war dann der Treff verpatzt, denn es gab keine Handys. Ich ging also zu Fips Fleischers Tanz auf der Brühlschen Terrasse.... und fand Caroline. Sie machte mir spöttische Vorwürfe und mir gefiel irgend etwas an ihr nicht mehr. Als ich dann allein über den Gleisbogen am Theaterplatz nachhause ging, dachte ich eigenartigerweise: „Jetzt bin ich wieder frei!“ Vielleicht war es auch gut so, dass ich nicht gleich mit 18 unter die Haube oder den Pantoffel gekommen bin.

25 Das Parkhotel Weißer Hirsch und mein Praktikum

Student war ich, wollte Verkehrsingenieur werden und habe das Parkhotel Weißer Hirsch vor allem deshalb wahrgenommen, weil unsere Hechtwagen - 11 von Prof. Alfred Bockemühl dort eine sogenannte Zwangshaltestelle hatte, damit der Wagenzug das anschließende Gefälle den Hirschberg hinunter nicht zu schnell abrollen konnte. Aber da auch für technisch interessierte junge Männer durchaus die Goethe-Worte „...das ewig Weibliche zieht uns hinan...“ gelten, zog es mich am Samstagabend zum Tanz ins Parkhotel hinein. Mit steifer Verbeugung fragte ich, wie in Trautmanns Tanzunterricht vielfach geübt, „Darf ich bitten?“ ...und die hübsche Schwarzhaarige sagte nicht nein. Diese Übung haben wir so lange wiederholt, bis meine Konfirmations-Armbanduhr halb zwölf anzeigte. Anstatt auf meine erneute Bitte zum Tanz zu warten, eilte sie plötzlich zusammen mit ihrer Freundin, die eigentlich bislang mit gleichartigem Tanzverhalten ausgelastet war,

26 zur Garderobe, beide setzten sich einen gewagt schicken weißen Hut auf den Kopf, winkten mir zu und sprangen auf die hintere Plattform der 44 abgehenden 11. Junge Mädchen mussten nämlich früher punkt 12 zu Hause sein. Weg war sie, ich musste zum Praktikum und war wieder voll mit der Verkehrstechnik beschäftigt. Doch es zog mich wieder hinan; zur Abwechslung in die Kakadu-Bar. Beim Twist mit einer Blonden sah ich plötzliche meine Schwarze; Sie lächelte mir zu..... und diesmal durfte ich sie bis zur Haustür begleiten. Bevor ich richtig studieren durfte, hatte ich erst ein Praktikum in sämtlichen Werkstätten für die Dresdner Straßenbahnen und Busse zu absolvieren. Am Ende dieses praktischen Jahres durfte ich zur Ausbildung als Straßenbahnfahrer. Am Beginn des Praktikums hatte ich mich in der Lehrwerkstatt Tolkewitz zu melden. Die ebenfalls angekündigte Praktikantin nahm den Termin aber nicht wahr, so dass mir die Freude, ein weibliches Wesen als Mitkämpfer zu haben, versagt wurde. Feilen, Feilen und nochmals Feilen war der Beginn jeder Schlosser- und Elektrikerlehre (wegen der sauberen Kontakte). Die Uhr im Lehrsaal wollte nicht weiter rücken, und ich habe ewig an meinen Werkstücken feilen müssen. Eine interessante Abwechslung gaben aber dann das Einrichten von Hobel- und Drehbank für spezielle Einzelanfertigungen. Auch die Gestaltung der Wandzeitung habe ich freudig übernommen. Aber ganztägig war kein Mädchen im Revier sichtbar. In der Buswerksatt wurden Oberschülerinnen in den Polytechnischen Unterricht eingeführt. Das waren dann Lichtblicke nicht nur auf metallische Werkstücke. Die Ausgelernten haben mit mir auch die üblichen Scherze für Lehrlinge gemacht. Da wurde der Riemenantrieb der Bohrmaschine vertauscht, so dass sich der Bohrer links herum drehte und ich mich wunderte, warum mein Bohrer nicht bohrt. Eines Tages gab es große Aufregung, weil ein Schlosser mit der Kollegin vom nächtlichen Reinigungsdienst auf dem Schreibtisch in der „Meisterbude“ unter deren aktiver Mitwirkung etwas gemacht hat und doch jemand hinzukam. Ein älterer Kollege sagte aber, dass er, wenn er noch jung wäre nun aber auch jede Gelegenheit dazu nützen würde. Vielleicht hatte er in der Jugend etwas verpasst. Da wollte ich nicht, dass mir das mal so geht und bin am Wochenende in den Großen Garten zur Disco gegangen, um evtl. ein Mädchen kennen zu lernen.

27 Aber zunächst kam für mich die Straßenbahnfahrschule. Frisch ausgebildet durfte ich die Straßenbahnlinien 3 und 12 durch den Plauenschen Grund nach Hainsberg fahren. Im August 1961 wurden in Rabenau und Hainsberg die Weltmeisterschaften im Wildwasserrennen der Kanus auf der Weißeritz durchgeführt. Die Talsperre Malter hat dafür extra viel Wasser bergab rauschen lassen. Doch es zog mich erneut ins Parkhotel Weißer Hirsch, das von Kritikern auch als Feudalmuseum bezeichnet wurde. Auf Grund der in der DDR mangelnden Jugendtanzmöglichkeiten war das "Tanzobjekt" aber überfüllt, und es gab keine Eintrittskarten mehr. Da habe ich den nebenberuflich tätigen Mann vom Einlassdienst erkannt. Es war unser Bus-Schlosser aus der Werkstatt Mickten. Der hat mich trotzdem eingelassen, und ich habe ihm dafür ein Zweimarkstück geschenkt. War das unmoralisch? Oder gibt es da viel schlimmere Parallelen? Drinnen im Parkhotel war da zunächst das feudale Café, mit Caféhausmusik auf Klavier und Geige. Das Musikduo spielte den Goldenen Pavillon von Hans-Hendrik Weding (siehe "Künstler am Dresdner Elbhang"), und diesen konnte man höchstpersönlich mit seiner relativ jungen Frau und seiner schönen Tochter in der für ihn reservierten Ecke des Cafés sitzen sehen. Wenn er aber die Empore in der im Keller befindlichen Bar "Roter Kakadu" reserviert hatte, hat jeder der ihn begeistert umringenden jungen Bar-Gäste ein Glas von seiner Sektrunde abbekommen. Da habe ich fast vergessen, dass ich eigentlich auf der Suche nach einer schwarzhaarigen Frau mit gutmütigem Augenausdruck war. Da es nie ausreichend Eintrittskarten gab, musste man weitere Möglichkeiten erkunden, um in den Tanzsaal und den Kakadu zu gelangen. Da konnte man vortäuschen, begeisterter Anhänger der BSG Billard zu sein.... und durch eine Nebentür ging es dann zum Saal. Man konnte im Bräustübl bei Lotte (später Andenkenladen in Moritzburg) Bockwurst und Bier zu sich nehmen und heimlich durch eine schmale Schiebetür zur Bar gelangen. Aber auch der äußere Kücheneingang konnte an den arglosen Köchen vorbei benutzt werden, um in den Saal zu gelangen. Und wenn ich dann die ausgemalte Schwarzhaarige nicht gefunden habe, bin ich sonntags, anstatt mit einer solchen spazieren zu gehen, einen (sonst unbesetzten) Fahrerdienst auf der 11 gefahren, als Frustausgleich.

28 8.

Das Studium in Dresden und die Ernteeinsätze

Frederike hätte mir gefallen können. Ein Studienkollege (Kommilitone) versuchte mit ihr in der Vorlesungspause zu flirten, ganz harmlos. Doch sie wehrte heftig ab. Also geht bei ihr gar nichts, dachte ich. Die wenigen Damen im Studienjahr gehörten aber zum wohlgefälligen Rahmen. Es ist aber nichts weiter Auffälliges zu berichten. Deshalb nun zu den Ernteeinsätzen, die uns im Herbstsemester vom Studium abgehalten haben und unsere Mädchen auf uns haben warten lassen. Wie sind wir denn zum Ernteeinsatz gelangt?: ...Mit der Oderbruchbahn! Zechin, Neuranft, Falkenhagen und andre Stationen waren unsere Ernteeinsatzorte. Kartoffeln „lesen“, also sich bücken, die Kartoffeln in die Kiepe werfen und dann zum Hänger am Traktor tragen, mit Korb-Marken für die Entlohnung, war eine schwere Tätigkeit für Leute, die nicht als Bäuerin geboren sind. Rüben einsammeln und selbst mit dem Trecker zur Scheune fahren hat schon mehr effektiven Spaß gemacht. Am Staatsfeiertag im Oktober herrschte Ruhe auf den Feldern, denn eine große Feier im Dorfkrug fand statt. So viel zu trinken, wie die Bauern, haben wir jungen Studenten aber nicht vertragen. Da wurde zunächst die Armbanduhr zum Bad im Bierglas versenkt und unser Sekretär hatte so viel geschluckt, dass er nur noch rufen konnte: „Das ist es, was die Massen auf die Barrikaden treibt!“ als wir ihn dreimal um die Schweineställe geführt hatten, bevor er

29 sein strohgedecktes Nachtlager auf der Seitenwand einer Schweinehütte einnehmen durfte. Auch das Pferd schlief im Stehen ein. Wir hatten es zum Wegschleppen der Behälter für das Kartoffeldämpfen zum Schweinefutter- Silo bereit gestellt bekommen. Der Dämpfer- Dienst ging 2 X 12 Stunden durchgehend Tag und Nacht. Man hatte vergessen, das Pferd auszuwechseln. ... Das hatte sich der Agronom zwar in sein Notizbuch geschrieben, aber die Bauern sagten, dass man ihn ohnehin nicht brauche. Bauer Klempin hat mit seinem kriegsbedingten Holzbein und aufgerissenem Gummistiefel in der Wasserlache am kohlebeheizten Dämpfer gestanden und uns voran durchgehalten. Doch nicht immer wurden Kartoffeln gedämpft. Es blieb noch Zeit für manchen abendlichen Umtrunk in Klockins Gaststätte. Ein Bier vierzig Pfennig. Hartmut hatte sein Schifferklavier mitgebracht und spielte „Paradiso“. Oder wir sangen: „Auch ein Pferd hat eine Heimat!“ Wir hatten natürlich auch alle eine Heimat: Dresden, Rostock, Suhl, Güstrow, Neuruppin, Berlin, Karl-MarxStadt, Leipzig....... und dort warteten unsere Mädchen auf unsere Rückkehr. Denn der sechswöchige Ernteeinsatz wurde auf acht Wochen verlängert. Die Kreisverwaltung hat Seife und eine LPG mit einer Badewanne bereitgestellt, damit man, etwas sauberer geworden, noch weiter mit den Kartoffeln und Rüben kämpfen konnte. Das war nun alles weit weg von Dresden, aber es gehört zu unserer Dresdner HfV- Geschichte. Als nach fünf Jahren Studium die letzte Vorlesung besucht war, gab es eine richtige Feier. Alle setzten sich traditionsgemäß einen schwarzen Zylinder auf den Kopf, bewarfen das unverschämt nackte Denkmal hinter dem Hauptbahnhof am FriedrichList- Platz mit Schneebällen, und dann erfolgte der Umtrunk im Altmarktkeller. Der Ernst des Studiums ging aber noch weiter mit Fachprüfungen und der Diplomarbeit. Das waren alles Themen ohne Frauen, denn wir hatten ja nicht Psychologie oder Gynäkologie studiert. (Foto privat von einem der Studenten)

30

9.

Dresdner Winter

ImWinter 1962/63 hatten wochenlanger Frost und Schnee die Energieversorgung so beeinträchtigt, dass auch die HfV geschlossen wurde. Da konnte ich den Winter so richtig genießen: Elbeis und andere Wintererinnerungen,angeregt durch die besondere Photographie im Elbhangkurier Februar 2004 (Sammlung Anne und Gunter Kraus)

31 Wie 1963 , 1946 und 1940 war auch 1929 (Foto hier) die Elbe von Ufer zu Ufer zugefroren Foto: Archiv Anne und Gunter Krause Oh, da staunen die Teenies!: „Elbe zu Urgroßvaters Zeiten völlig zugefroren!“ Aber dass das ihren Müttern und Vätern auch im Winter 1962/63 widerfahren ist, hat der EHK leider verschwiegen. Das liegt aber eventuell nur daran, dass kein verwendbares Foto der im Winter1962/63 von Ufer zu Ufer zugefrorenen Elbe im Loschwitz-Blasewitzer Gebiet verfügbar ist.

Übergang über das Elbeis Fotos: Siegfried Schubert am 03.02.1963 Auch der Winter 1962/63 galt als besonders streng. Bereits vor Weihnachten waren 19 Grad Celsius minus, und das hielt mit bis zu 26 Grad minus bis fast zu Ostern so an. Die Elbe war langzeitig (insgesamt 35 Tage in den Monaten Januar und Februar 1963) völlig zugefroren und es gab anstelle der Fährübergänge amtlich genehmigte und ausgeschilderte Übergänge übers Elbe-Eis, so z.B. zwischen Pieschen und Schlachthof . Es schneite ständig, die Schulen und Hochschulen waren wegen Kohlemangel und damit Heizungsausfall geschlossen, die Straßenbahn hatte wegen der zahlreichen Kälte- und Schnee-bedingten Defekte und

32 Motorschäden einen verdünnten Notfahrplan und das Schlimmste war, auch die Tanzlokale hatten wegen Kohlemangel geschlossen! Da war ein besonderer Lichtblick für mich, dass das Parkhotel Weißer Hirsch den Rosenmontagsball am 26.Februar 1963 dennoch durchführte. Da durfte ich die schönste Bühlauerin, die schwarzhaarige Monica näher kennen lernen. das war und ist natürlich wichtiger als die zugefrorene Elbe! Ich will auch noch verraten, dass ich als aufmerksamer Aushilfsfahrer auf der 11 schon lange ein Auge auf sie geworfen hatte. Die späteren Umstände haben ergeben, dass es nur eine schöne Erinnerung ans Parkhotel, an Bühlau und an den Winter 62/63 geblieben ist. Da könnten natürlich noch weitere Geschichten zum Dresdner Winter angefügt werden, so zu einem halben Meter Schnee am 3. März 1965 , oder zum Schnee nach dem totalen Stromausfall zu Silvester 1979 (oder 1980?). Ach so, da ist ja noch der Winter 2005/2006. Das ist auch ein richtiger ordentlicher Winter! Nach dem Winter kam Ostern. Wieder einmal war ich im Kakadu. Dort, wo sonst nur Ehrengäste sitzen, fand ich Claudia. Wir waren bis zum Sommer ein Paar. Ich war glücklich. Doch was normalerweise nur die Frauen machen, das Nörgeln, hatte ich übernommen. Das sagte sie, sie wolle richtig glücklich sein, und so mit mir könne sie das nicht. Also: Aus und Schluss; Sie hatte Recht. Das ist natürlich eine Lehre für einen jungen Mann, und ich hab dann viele Jahre nicht genörgelt.

Foto: Uldo Juursalu

33 10.

Sommerferien in Dresden

Im Sommer wird traditionsgemäß nicht studiert. Früher hatten da die Burschenschaften ihren Trink- Sommer. Wir hatten Praktikum, Fahrschule zur Personenbeförderung, Ernteeinsätze (siehe vorn), und auch etwas Urlaub mit der Freundin. Da ein Auto zu besitzen oder zu fahren für kleine Leute und Studenten Illusionen waren, kamen mir die Straßenbahnfahrschule 1961 und die Busfahrschule 1964 willkommen.

unsere Fahrschul- Straßenbahn, Foto Dieter Röber unser Fahrschulbus mit Zwischengas und Zwischenkuppeln:

Das kam meinem Wunsch, richtig selbst fahren zu können, entgegen. Man musste ja nicht gleich Lokomotivführer werden.... und bei Bus und Straßenbahn konnte man viel besser auf die

34 einsteigenden und mit fahrenden Mädchen achten, wenn sie in der ohnehin vorgeschriebenen Blickrichtung zu sehen waren. Gleich bei meinen ersten Busfahrdiensten war mir die äußerst hübsche Pastorentochter aufgefallen, von der alle Busfahrer erzählten. Da ich keine Freundin hatte, war es mir recht, dass sie am Endpunkt als Letzte an der Vordertür ausstieg. Mir gelang es, ein Gespräch zu entwickeln. Aber bevor ich umständlich auf ein Stelldichein hinarbeiten konnte, entschwand sie. Trotzdem, welcher Lokführer hat schon ein hübsches Mädchen am Führerstand? Das gibt es nur bei Bus und Taxi. Das Single- Dasein hatte aber ein Ende für mich. Als wir Studenten im Mai 1965 im Dienstbus der Verkehrsbetriebe zur Tagung der Kammer der Technik in Karl-Marx-Stadt mitgenommen wurden, freute ich mich schon auf den zwei Tage später in der HfV- Mensa stattfindenden Frühlingsball. Beim Ball in drei Sälen sortierte ich rein theoretisch alle anwesenden Mädchen. Nur zwei konnten mir gefallen. Eine davon konnte ich erreichen. Eigentlich etwas unerwartet kam sie zu doch zum ersten Treffpunkt. ....und das dann immer wieder. Irgendwie hatten wir zwei unsere Eigenschaften so abgecheckt, dass wir dann für immer zusammen geblieben sind. Doch der anstrengende Studentensommer ließ nicht zu, dass wir uns fortlaufend trafen. Eine Busfahrer- Urlaubsvertretung auf den Linien 71/91 und dann der große Beleg vor der Diplomarbeit beanspruchten mich voll. Der große Beleg hatte die Stilllegung der Straßenbahn nach Freital/Hainsberg zur Frage und deren Ersatz durch Bus und S- Bahn. Das ist heute schon lange Wirklichkeit. Der Freitaler Raum hat mich dabei auch besonders interessiert, weil dort meine frühere Stille Liebe lebt. Auch so etwas kann ein Motiv sein, eine ordentliche Arbeit vorzulegen. Nach dem Studium hatte ich in der Sommerzeit wieder Nebenaufgaben bei der Kammer der Technik. Unter anderem habe ich ein mathematisches Verfahren zur Verkehrsmittelwahl der Fahrgäste nach dem Zeitvorteil zur Anwendung für Leipzig und Karl- Marx- Stadt bearbeitet. Bei der Berechnung auf Dresdens damals einzigem ELLIOT- Rechner im blauen Hochhaus am Zoo hat ein früherer Schulkamerad nach meinem Algorithmus das Programm erstellt und auf Lochstreifen festgehalten. Dank der guten Ferienplatzversorgung meines Betriebes (siehe Abschnitt 14) war aber auch eine „Hochzeitsreise“ nach Nonnevitz/Rügen möglich.

35 11.

Kultur an der HfV

Der Frühlingsball in der HfV- Mensa hatte mir 1965 Glück gebracht. Es muss aber auch vermerkt werden, dass alle kulturellen Aktivitäten an der HfV und in der Mensa ehrenamtlich durch HfV- Mitarbeiter und Studenten organisiert wurden. Frühlingsball, Herbstball und Faschingsball in drei Etagen der Mensa wurden vom Studentenclub vorbereitet und durchgeführt. Daraus ist der heutige Club Mensa mit einer Geschäftsführung hervorgegangen. Besonders zum Fasching wurde von den Studenten ein von den Gästen begeistert angenommenes Humor- und Satire- Programm dargeboten. Der Dramatische Zirkel führte seine Stücke im kleinen Theatersaal der Mensa auf. Ich entsinne mich noch an „Mein Freund Bunbury“. Derart zu „bunburysieren“ war vor 1965 nach meinem Gefallen. Am Sonnabend entzog ich mich gern dem Machtbereich der Mutter und entschwand ins Parkhotel mit dem Roten Kakadu. Da genügte es schon, ganz frei und ungestört die Musik zu hören, und wenn es sich ergab, ein Mädchen als Freundin (zur Probe) zu gewinnen. Auch ein Kammer- Orchester der HfV „ohne Dirigenten“ wurde von Mitarbeitern und Studenten besetzt. Bis Ende der 90er Jahre gestaltete dieses Orchester auch die beliebten „Walzerbälle“ im Club Mensa.

36 Begegnungen beim Mensa- Tanz waren früher auf Grund eines chronischen Damen- Mangels auf Tanzsälen (wo haben sie denn nur gestrickt?) gar nicht so leicht möglich. Denn schon wenn die Tanzmusik der Kapelle einsetzte, musste man sofort am Tisch der Auserwählten sein und höflich um den Tanz bitten (da wurde nicht nur von weitem gewinkt). Also haben wir eine Strategie entwickelt. Zwei Studenten liefen von zwei Seiten des Saales aufeinander zu, trafen sich rein zufällig direkt neben dem Tisch der Anvisierten und waren, zwischendurch in ein Gespräch vertieft, beim einsetzenden Ernstfall der Tanzmusik noch vor den Konkurrenten direkt zur Stelle. Mutig musste man sein, wenn man die Schöne bei deren Gang nach oder von draußen ganz einfach so ansprach.

12.

Große Verantwortung im Dresdner Verkehr

Beim Eintritt in das Berufsleben nach der Diplomarbeit hatte ich bereits vordem eine ungewohnte Verantwortung erhalten, indem ich mit meiner zukünftigen Frau Zukunftspläne schmiedete und das auch sichern wollte. Der Ernst des Lebens hatte also erst richtig begonnen. Der Verantwortung im Beruf als Verkehrsingenieur und auch als nebenberuflicher Straßenbahn- und Busfahrer galt es nun zu entsprechen. Es waren auch Einsätze an Wochenenden und Feiertagen erforderlich für Probefahrten, Ausheben von Bodengrundproben vor dem Bau von Gleisstrecken oder die Ausarbeitung von Vorträgen oder Reden Vorgesetzter. Hinzu kam, dass man mehr oder weniger freiwillig in der Kampfgruppe mit marschieren musste. Oft habe ich am Wochenende die Kampfgruppe als Busfahrer zum Lehrgang in Neugersdorf gefahren mit solch einem Ikarus-Bus:

37 Wenn kein Kampfgruppendienst war, habe ich die Lehrlinge, darunter viele hübsche Mädchen, zum Ernteeinsatz in der LPG Bärwalde gefahren mit solch einem schönen IFA-Bus:

Als ich dann junger Vater wurde und am Wochenende zu meiner Familie nach Görlitz pendelte, war der wöchentliche Zeitrahmen gesprengt. Es musste eine Veränderung her, hinsichtlich einer Wohnung in Dresden und auch arbeitsmäßig!

13.

Aufatmen auf dem Weißen Hirsch

Der Onkel Bäcker Eine Freundin zu haben, war in der DDR, abgesehen von den Einsprüchen meiner Mutter, nicht verboten. Nur eine Wohnung haben wollen sollte man gar nicht, denn es gab keine. Da war es im September 1969 ein großes Glück für meine junge Familie, dass uns Bäckermeister Alfred George eine kleine Wohnung im Nebengebäude, über seiner Backstube, vermietete. Natürlich geschah das unter Maßregelung durch das Wohnungsamt beim Stadtbezirk in Blasewitz. Aber ich brauchte nicht mehr am Wochenende zu meiner Familie nach Görlitz zu pendeln. Über der Backstube wohnte man natürlich immer schön warm. Nur an den zeitig noch in der Nacht einsetzenden Lärm mussten wir uns gewöhnen. Die „Semmeldrehmaschine“ rotierte rumpelnd und das Ablegen der Brote im Regal spürten wir auf unserer Schlafcouch, denn unter ihr waren die

38 Regale an der Decke befestigt. Aber unser damals drei- bis sechsjähriger Sohn Frank durfte zu Alfred George „Onkel Bäcker“ sagen, in der Backstube beim Pudding- Rühren und Streusel- Kosten helfen, mit ihm in der Küche Mittag essen, und den Meister beim Ausliefern von Broten und Torten mit dem alten Wartburg zu Parkhotel, Lesecafe, Luisenhof und Elbehotel Demnitz begleiten. Frank hatte vom Meister extra eine „Dienstkleidung“ aus weißer Schürze und Kappe erhalten. Den beim Kuchenbacken übrig gebliebenen Saft durfte er trinken und zum Geburtstag brachte sein Onkel Bäcker eine Torte mit Namen und Zahl. Da ist es kein Wunder, dass meine Frau ganz sparsame Haushaltsabrechnungen von damals vorzeigen kann. Im Gartengelände des früheren „Faust´s Kuchengarten“ auf dem Weißen Hirsch im Bereich hinter Georges Bäckerei konnten unsre Kinder umherlaufen und spielen:

Foto: Sammlung Gudrun George Zur Kur auf dem Weißem Hirsch Wenn der Mensch viele Jahre emsig tätig ist, das wird allen älter gewordenen Zeitgenossen aus eigener Erfahrung bekannt sein, stellt sich manches „Zipperlein“ ein. Da für meine schmerzhaften Muskelverspannungen so richtig keine Ursache feststellbar war, meinte meine Ärztin: „ Da kann Ihnen nur noch eine Gruppentherapie auf dem Weißen Hirsch helfen.“

39 Die Adresse war eine wundervoll gelegene Villa, mit direktem Einblick auf das Ein- und Ausgehen der damaligen Gäste in einem ParteiObjekt; man hat es nicht unterbunden! Doch nun zum Kurgeschehen in dieser Einrichtung auf dem Weißen Hirsch. Dieser 13-wöchige „Psycho-Lehrgang“ ist etwa vergleichbar (nun gut, der Vergleich ist gewagt) mit dem, was heute im Fernsehen als „Big Brother“ und ähnliche Daseinsprüfungen in einem eingegrenzten Lebensraum produziert wird. Dass so etwas auch schon in der DDR durchgeführt wurde, ist gar nicht verwunderlich, war doch die DDR ohnehin eine Daseinsprüfung in einer abgegrenzten Zone. „Psychotherapeutische Abteilung“ stand auf dem Schild am Eingang. Nein, da geh ich nicht rein! dachte ich, da müsste ich ja einen Klaps haben. Dann bin ich aber doch rein, ich sollte und musste ja etwas gegen meine unergründbaren schmerzhaften Beschwerden tun. Alle weiteren Eingeladenen und zur Aufnahme Anstehenden guckten genauso misstrauisch wie ich, und in den weiteren Gesprächen stellte sich heraus, dass sie doch keinen Klaps hatten, aber durch im Kampf ums Dasein erworbene Reflexe an unterschiedlichsten Körperteilen von Herz bis Bein nicht mit organischem Befund erklärbare Beschwerden hatten. Da sollte nun in einer künstlich geschaffenen Ersatzgesellschaft erzielt werden, dass man sich mit den Problemen in dieser auseinandersetzt, sich entweder anpasst oder sich durchsetzt, je nach dem, was weniger schmerzhaft empfunden wird. Das System war aber demokratisch organisiert! Es gab wöchentlich freie Wahlen zu Hausvater und Hausmutter, die im Team das zeitliche und organisatorische Sagen hatten und ihre „Ministerien“ besetzten ( Küche, Sport, Kultur, Wandzeitung etc.). Eine Abteilung Stasi wurde nicht eingesetzt, aber wir haben immer gerätselt, wer denn nun mit diesem Auftrag geschickt worden sei, obwohl ihm gar nichts weh tut. Ansatzpunkte gab es da schon. Zum Arbeitspunkt Kultur und Sport soll verraten werden, dass es da äußerst schöpferisch, geistreich und freudebringend zuging. So hatten wir eine Olympia-Goldmedaillenträgerin unter uns, der nun eben auch etwas weh tat, haben neben dem Morgensport Volleyball- und Tischtennisfähigkeiten erweitert und hatten aber auch Kohleschippdienst für den Hausmeister. Und das erfolgte alles 2 Meter höher über dem Niveau des damaligen Parteiobjektes, sowohl räumlich als auch geistig.

40 In den „Gruppenspiel“-Pausen haben wir uns im Luisenhof einen Eisbecher geleistet und auf der Bergbahnstrasse von Gunter Emmerlich ein Autogramm erhalten. Die Martin- Andersen- Nexö- Gedenkstätte haben wir studiert und danach gleich eine Wandzeitung über ihn gestaltet. Mit Hilfe der hauseigenen Schallplattensammlung habe ich einen Abend über das tragisch endende Schicksal der Comedien-Harmonists gestaltet. Das heißt: „Big Brother“ auf dem Weißen Hirsch war niveauvoller, als heute aus dem TV-Spiegel! Das spricht auch für die Kultur des Weißen Hirsches in Dresden! Und: Ich wollte dort eigentlich gar nicht rein; Aber dort hat nachts die Glocke geläutet, weil Leute, die den Alltagsstress nicht aushielten, wieder zurück auf diese Insel der Glückseligkeit wollten. Das hatten die Psychologen gar nicht so gewollt, denn man sollte eigentlich unter widrigen Bedingungen besser kämpfen lernen. Aber es war nicht so widrig wie bei Big Brother. Nun mal ganz ehrlich: Geholfen gegen meine Schmerzen hat es doch nicht. Da ist so eine glückselige Gruppe nur vorübergehend wirksam. Erst weit nach der Wende und nach dem Ende meines Berufslebens hatte ich Zeit, eindringlich an dieser Sache selbst zu forschen. Na, und Sie lesen ja, ich sehe jetzt auch vieles nicht mehr so verbissen und viel freundlicher. Ach so, zur Schwarzhaarigen habe ich bisher geschwiegen. Sie war hübsch, trug manchmal beim Sport flotte Zöpfe und konnte wunderbar singen; Und wir sollten uns ganz und gar nicht in einen „Kurschatten“ verlieben, damit es nicht noch mehr Probleme gibt. Dabei wäre dadurch die ganze Sache eigentlich erst so richtig natürlich und interessant geworden, auch für die sich ihr Brot damit verdienenden Psychologen. Wer mal Zeit hat, mit der Standseilbahn zum Luisenhof hoch zu fahren, sollte sich mal das herrliche Villenviertel ansehen, auf ein eventuelles ehemaliges Parteiobjekt eine Ebene tiefer blicken und dann auf der Schillerstraße das renovierte Schiller-Häuschen eine Ebene höher nicht unbeachtet lassen.

41 14.

Durchatmen in König August´s Keller

In solch einem schönen historischen Gebäude aus dem früheren Besitz Augusts des Starken befand sich in den 1960er bis 80er Jahren unsere Verkehrsdienststelle. Wie schon zu August´s Zeiten bestand die Belegschaft im Haus auch aus vielen schönen und attraktiven Frauen. Mit mancher von ihnen konnte man mal einen kleinen Scherz machen oder auch unverbindlich und unbeschwert etwas „flirten“. Mit anderen konnte man das nicht. Denn das hängt ja von den jeweiligen gegenseitigen Wahrnehmungen, Empfindungen und Sympathien ab. Ich war eigentlich schon „unter der Haube“, aber diese attraktiven Anblicke konnten schon von heimischen Pflichten und gegebenenfalls sogar störend von der Arbeit ablenken. Es gab eben keine getrennten Eingänge und Etagen für KNABEN und MÄDCHEN wie früher im Gebäude der Oberschule Nord. Damals arbeitete man nicht im „Team“, sondern genau so wie heute „innovativ und hochmotiviert“ mit „Power“ in einem Kollektiv. Darüber und über das sportlich-kulturelle Leben wurde im Brigadetagebuch berichtet: Arbeitsberichte und –Ergebnisse, Feiern, Sportfeste, Ausflüge, Exkursionen und Betriebsbesichtigungen wurden in Text, Zeichnung und Foto festgehalten.

42 Da die Arbeitsinhalte nicht vordergründig zur Themenstellung dieser Broschüre gehören, möchte ich dazu auch auf andere Abschnitte dieses Heftes und auf die Broschüre „Dresdner Verkehrsgeschichten“ verweisen. Das Arbeitsklima im Betrieb war dank der Freiheiten und Kontakte miteinander, die es da gab, eigentlich im Vergleich zu dem, was heute so in der Welt los ist, wunderbar. Für das die Arbeitsleistungen stimulieren sollende „Wohlfühlen“ der Mitarbeiter hatte die Dienststelle, wie alle anderen Betriebe, einen „Kultur- und Sozialfonds“ (K und S – Fonds). Daraus wurden jährlich unter Mitwirkung der Gewerkschaftsleitung (BGL) und –Vertrauensleute u.a. geplant und finanziert: - ein erheblicher Zuschuss für das Mittagessen! - die Beschaffung von Campinganhängern und Bungalows an der Ostsee und den Binnenseen und damit sehr preiswerter Ferienplätze! - Betriebs- und Ausflugsfahrten am Wochenende - Betriebsfeiern wie Fastnacht und 1.Mai - Die Frauentagsfeier und –Ausfahrt - Prämien für gute Arbeit - Sportfeste, Kinderferienlager und –Ausfahrt Das brachte bei den Planungen, Vorbereitungen und dann bei der Sache selbst viele freundschaftliche Kontakte der damit ehrenamtlich in der Freizeit oder auch über den Plan- Stundenfonds für gesellschaftliche Arbeit tätigen Kollegen. Und stets gab es dabei schöne Frauen (anzusehen)! Der Höhepunkt des Ganzen war aber König August´s alter Wein- Keller ! August´s Wein war nicht mehr im Keller, als dieser ehrenamtlich und vom Betriebshandwerker zu einer Betriebsfeierstätte restauriert wurde. Eine lange 30- Stufen- Treppe führte tief hinunter, unten waren eine Bar, ein Bierfass angezapft, Holztische und Kantinenstühle und Weinlaubdekorationen an den Sandstein- Mauergewölben. Dort konnte

43 man entspannen und auch durchatmen! Die Bratwurst vom Grill musste man natürlich über die lange Treppe oben im Hof abholen, mit Sondergenehmigung der für die überlange Treppe zuständigen Aufsichtsbehörde. Faschingsfeier, auch „11.11.“, Feiern zu Betriebs- und Staatsjubiläen, Kulturabende mit Filmvorführung und Lesung unseres Hausdichters Joochen Laabs wurden da freudebringend und erholsam zugleich durchgeführt. Unser schon älterer Abteilungschef tanzte mit allen Damen im Kreis einen Reigen, alle waren bei der Polonaise dabei und in den Spielrunden wurde der BGLer mit einer attraktiven Frau in einen Käfig gesperrt. Mal sehen, was der da macht! Die Radebeuler Weinkönigin zelebrierte im Keller die Weinprobe und hat dann jemanden fast verführt. Das in Berlin vorstehende Ministerium wollte an der Kellerkultur teilhaben und zeigte einen in gemeinsamer Laienspieltätigkeit entstandenen Film. Ob es heute noch solches freundschaftliches, ellbogenloses Arbeits- und kulturelles Freizeitklima gibt? Der Mensch will doch leben und nicht ausschließlich nur schuften. Allerdings hat der K- und S- Fonds unsere Idee, die Keppmühle (siehe Fenster auf der Titelseite) zu kaufen und zum Beratungs- und Gästeheim (der Kollegen aus den Kombinaten und Betrieben im Lande) herzurichten, nicht hergegeben. Abschließend wird ein Spaß erzählt, den wir uns in der Parteiversammlung geleistet haben: Ein Mitarbeiter hatte durch eine von der DSF (Deutsch- sowjetische Freundschaft) gestartete Grußkartenaktion einen Freund in Leningrad gefunden. Von dort brachte er für seine Kinder ein tolles Spielzeug mit, konnte es aber nicht lassen, uns dieses vor der Versammlung vorzuführen. Der Sekretär hatte aber seine Rede gerade in dem Moment begonnen, als der uhrwerkgetriebene, grüne sowjetische Frosch begann, laut klackend über die Tische zu hüpfen. Er konnte nicht mehr angehalten werden. Es gab natürlich eine Aussprache und die Erklärung dazu, dass man zu Scherzen gar nicht aufgelegt sei.

44 15.

Gedanken zum Klassentreffen

„Was wollen denn die vielen alten Leute hier?“ dachte ich, als ich den für das Klassentreffen reservierten Raum betrat. Komischerweise hatte ich vor dem Eintreten erwartet, dass mir die Klassenkameraden so begegnen werden, wie ich sie aus der Schulzeit in Erinnerung habe. Beim Betriebstreffen ist das ähnlich. Vor allem glaubt man nicht, dass man selbst auch nicht mehr jung aussieht. Aber in der Schulzeit war ich immer der Jüngste, habe die sportlichen Normen der 11 Monate Älteren nicht geschafft und kam erst viel später mit einer Freundin anspaziert. Jetzt zahlt sich die Differenz von 11 Monaten aber doch aus. Mit „Na, wirst Du denn gar nicht älter?“ bin ich empfangen worden. Warum geht man denn überhaupt zum Klassentreffen? Da kann ich prahlen, was ich alles leiste bzw. geleistet habe. Man kommt wieder mal unter die Leute. Oder vielleicht interessiert man sich auch dafür, was die früher unerreichbare Stille Liebe heute macht und wie schön sie noch aussieht. Foto: Junge Pioniere 1955 in Meißen

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Thomas Mösche

Dresdner Liebe und Geschichten Erste Liebe – Stille Liebe Wie man sich sehnt Wie man sich sucht Wie man sich findet

ISBN 978-3-940224-04-0

Layout und Verlag: www.VerlagTM.de Thomas Mösche, Permoserstraße 5 in 01307 Dresden Tel. 0351/4418030

2. überarbeitete Auflage Dezember 2007

46 Thomas Mösche

Dresdner Liebe und Geschichten Erste Liebe – Stille Liebe

wie man sich sehnt wie man sich sucht wie man sich findet Die Oberschule Nord, die HfV mit ihrer Mensa, das Parkhotel Weißer Hirsch, Weißiger und Dresdner Erinnerungen und Ihre Jugend finden Sie hier wieder.

ISBN 978-3-940224-04-0

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