3.1. Die erste Liebe Die Gemeinde in Ephesus, die im Buch der Offenbarung angesprochen wird, wird als eine Gemeinschaft bezeichnet, die nicht müde geworden ist und der man jahrelange Treue zusprechen kann. Offenbarung 2, 1-5: „Dem Engel der Gemeinde in „Ephesus" schreibe: Das sagt, der da hält die sieben Sterne in seiner Rechten, der da wandelt mitten unter den sieben goldenen Leuchtern: Ich kenne deine Werke und deine Mühsal und deine Geduld und weiß, dass du die Bösen nicht ertragen kannst; und du hast die geprüft, die sagen, sie seien Apostel und sind's nicht, und hast sie als Lügner befunden und hast Geduld und hast um meines Namens willen die Last getragen und bist nicht müde geworden. Aber ich habe gegen dich, dass du die erste Liebe verlässt. So denke nun daran, wovon du abgefallen bist, und tue Buße und tue die ersten Werke!“ „Zurück zur ersten Liebe“, wie oft haben wir diese Aufforderung nicht schon gelesen, „gepredigt“ bekommen oder gedacht? Aber was meint dies, diese erste Liebe? Spontan verbinden wir damit, dass wir wieder so wie am Anfang unseres Glaubenslebens begeistert und hingegeben sein sollten. Aber was ist mit denen, die sich an keine erste Liebe erinnern können, die keine erste Begeisterung kannten? Und soll ich wirklich wieder zu diesem etwas blauäugigen Verliebtsein zurück? Damit will ich nicht infrage stellen, dass das Gebot Gottes, ihn von ganzem Herzen zu lieben mit allem was wir sind, Bestandteil des höchsten Gebotes ist, Gott und unseren Nächsten zu lieben. Aber was meint diese erste Liebe? Ich bin nicht der einzige, wie meine Nachforschungen gezeigt haben, der behauptet, dass damit die Liebe Gottes zu uns gemeint ist. Er hat uns zuerst geliebt. 1. Joh. 4;10 -19: „Darin besteht die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsre Sünden. … Und wir haben erkannt und geglaubt die Liebe, die Gott zu uns hat. Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm. … Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus; denn die Furcht rechnet mit Strafe. Wer sich aber fürchtet, der ist nicht vollkommen in der Liebe. Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt.“ Er hat uns zuerst geliebt! Das ist der Boden, auf dem wir stehen. Das ist die Atmosphäre, in der wir leben. Das ist die erfrischende und klare Atemluft, die wir schmecken! Gottes Liebe, vor uns, über uns, hinter uns und in uns. Nichts kann mich scheiden von der Liebe Christi.

2 Nichts kann dich scheiden1

Kein Sandkorn im Auge, nichts, kein Wort, dessen Ton deine Brille beschlägt, kein Anruf, der nie erfolgt, nichts, auch wenn jemand die Straßenseite wechselt, wenn er dich sieht, nichts, kein leerer Teller, keine Nacht, die taghell ist, nur ohne Licht, nichts kann dich scheiden von der Liebe Gottes, die in Jesus Christus ist.

Am Anfang unseres Lebens steht die Liebe Gottes. „Gott aber erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren.“ (Röm 5,8) Nach 21 Jahren im Leben als Christ ist diese Liebe nach wie vor der Grund, auf dem wir stehen, und darauf wollen wir auch die nächsten 21 Jahre stehen. Eigentlich reicht das schon als Auftrag für die Zukunft: Immer mehr diese erste Liebe zu begreifen, dass uns wirklich nichts davon trennen kann, und dann selbst zu lieben. Das ist nichts Neues für uns, Gott sei Dank! Und wir haben schon gelernt, über 21 Jahre mit dieser Liebe Gottes zu uns zu leben. In all diesen Jahren haben wir gebahnte Wege des Herzens, eigene gute geistliche Gewohnheiten im Leben mit dieser Liebe entwickelt, denen wir vertrauen können: Wie und wie häufig wir beten, wie und wie häufig wir in der Bibel lesen, Zeugnis geben, vergeben oder Vergebung empfangen, Gemeinschaft mit anderen pflegen, …

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Röm 8, 35-39, Aus: Werner May, Strebt nach der Liebe, Kitzingen, 2004

3 Meine gebahnten Wege2 „Glücklich ist der Mensch, dessen Stärke in dir ist, in dessen Herz gebahnte Wege sind. Sie gehen durch das dürre Tal und machen es zu einem Quellort. Ja, mit Segnungen bedeckt es der Frühregen. Sie gehen von Kraft zu Kraft. Sie erscheinen vor Gott in Zion“ (Psalm 84, 5-8) Ich weiß, welche Lieder ich gerne singe und welche nicht, bei welchen ich mich im Herzen Gott hingeben kann und bei welchen es mir nicht gelingt. Das darf so sein, das ist gut so für mich. Ich weiß, welche geistliche Musik ich mir zuhause anhöre, wann und wie oft. Manche Bibeltexte lese ich gerne und immer wieder, und immer wieder sprechen diese mich neu an. Andere Bibeltexte habe ich schon seit Jahren nicht mehr gelesen. In meiner Wohnung hängen geistliche Bilder und Symbole, die meinen Glauben bezeugen, so dezent oder auffällig, wie ich es mir angewöhnt habe. Und auf meinem Auto habe ich keinen Fischaufkleber, wobei das ja nun wirklich kein großes Zeugnis für Jesus ist. Sollte ich zufällig ein neues Auto kaufen, auf dem sich schon einer befindet, werde ich diesen auch gerne lassen. Ich weiß, wann ich mich als Christ zu erkennen gebe und wann nicht. Ich weiß, welche Themen mir schwer fallen, öffentlich darüber zu reden, wie zum Beispiel die Wiederkunft Christi und welche mir leicht fallen, wie zum Beispiel die Dreieinigkeit Gottes. Ich weiß, wie viel ich jeden Tag bete, und ich weiß, wann ich eine extra Gebetszeit einhalten soll. Ich weiß auch, wie ich bete, immer wieder die gleichen Gebete, dann wieder ganz persönlich aktuell, manchmal ertappe ich mich, wenn ich dabei in Gedanken abschweife und manchmal kämpfe ich im Gebet hellwach und entschlossen. Und diese Reihe von geistlichen Gewohnheiten, gebahnte Wege des Herzens, ließe sich wirklich noch weiter fortsetzen. Ich weiß mich in meinem Sosein angenommen und gesegnet, und lasse mich von Gott gerne herausfordern, alte Gewohnheiten zu verändern und neue Gewohnheiten dazu zu entwickeln.

Gott hat diese gebahnten Wege gesegnet. Wir sollten uns diese guten geistlichen Gewohnheiten nicht madig machen lassen, wenn sie in ihrer Häufigkeit nicht von allen geteilt werden, wir uns nicht auf irgendwelchen Bestenlisten oben vorfinden, oder wenn sich andere neue, „modernere“ Formen entwickelt haben. Können wir wirklich noch Hoffnung haben, dass wir es – vielleicht durch mehr Selbstdisziplin –, in Zukunft besser machen werden, diese Sache mit Gott, als wir es uns bisher in einer so langen Zeit, wie es 21 Jahre und mehr sind, angewöhnt haben? Sollten wir nicht vielmehr den mutigen Sprung wagen, Gottes erster Liebe zu uns viel mehr zu vertrauen als all unseren geistlichen Leistungen und Gewohnheiten? Haben wir Mut zu unserer einzigartigen, persönlichen Beziehung mit Gott, die sich in eigenen geistlichen Gewohnheiten ausdrückt. Entscheiden wir uns für ein geistliches Grundvertrauen: Ja, es gibt noch genug für mich zu lernen, – und das wird nicht aufhören –, aber es ist ein tragfähiger Grund gelegt durch die Liebe Gottes zu mir. 2

Anstöße zu diesen Gedanken habe ich von Michael Winkler bekommen.

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Versuchen wir einmal spontan auf die Frage zu antworten, wie wir unsere eigene Beziehung zu Gott einschätzen, inwieweit sie in Ordnung ist, 30 %, 50 % oder mehr? Wagen wir diesen Sprung des Vertrauens, dass aufgrund der unendlichen Liebe Gottes zu uns und der gebahnten Wege in unserem Herzen unsere Beziehung 95 % o.k. ist. Es wird nicht mehr aufgerechnet. Der andere Partner in unsere Beziehung ist stark, treu, zuverlässig, es ist Gott! Er hat alles bezahlt! Der größte Augenblick der Weltgeschichte, in dem alle, wie ich glaube, die es damals bewusst begriffen haben, den Atem angehalten haben, ist für mich, als Jesus am Kreuz sein letztes Wort laut hinaus schrie: Eli Eli, lama asabtani – Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? (Matthäus 27, 46) Der höchste Punkt der Liebe Gottes zu uns. In diesem Augenblick war die Macht der Lieblosigkeit überwunden. Der Vorhang zerriss, der mich und uns von der göttlichen Liebe trennte. Ich verdanke es Heinrich Spaemann3, darauf aufmerksam gemacht worden zu sein, dass Jesus hier nicht am Kreuz gesagt hat, „mein Vater, mein Vater, warum hast du mich verlassen“, sondern „mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“. Nirgendwo in der Heiligen Schrift spricht Jesus sonst noch Gott als Gott an und nicht auch als Vater. In diesem kurzen Augenblick war Jesus ganz Mensch, Gott verlassen, um die Tür aufzureißen zum Strom der Liebe, zum Strom der Liebe des Heiligen Geistes, der jetzt auf alles Fleisch ausgegossen ist. Was ist das für eine Liebe!

Gottferne Tage Es gibt Tage, an denen uns unsere Gottesbeziehung irgendwie wegrutscht, wir Gott vergessen. Langsam fängt es an, in uns zu dämmern, dass da noch eine Quelle in uns ist, mit der wir im Augenblick gar nicht verbunden sind. Solche Tage wird es immer wieder geben, obwohl wir es gar nicht wollen: Wenn uns eine Grippe trübt, wenn wir bestimmte Sorgen nicht loswerden, wenn wir mit etwas, das uns sehr begeistert, zu beschäftigt sind und andere Gründe. Wir haben Gott nicht verlassen, sondern ihn vergessen, wenn auch nur zum Beispiel für ein paar Stunden. Eines können wir uns dabei sicher sein, von Gott selbst können wir uns gar nicht entfernen, weil er uns immer aus Gnade nahe ist. Beides zu erkennen, dass wir Gott vergessen haben und dass er uns trotzdem nahe ist, ist der erste Schritt wieder zurück zur Quelle. Wie komme ich dann wieder in die lebendige Beziehung hinein? Hier ist es sehr wertvoll, wenn ich mir Rituale angewöhnt habe, tägliche feste Zeiten des Gebetes, in der Heiligen Schrift zu lesen, wenn ich Orte aufsuche, die mit meiner Gottesbeziehung verknüpft sind. Hilfreich ist mir auch, wenn ich gewisse Anmarschwege zur Quelle kenne, auf die ich jetzt „aus der Ferne“ zugreifen kann, wie das Wort Gottes, geistliche Musik und Lobpreis oder bestimmte Bilder.

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Heinrich Späemann Orientierung am Kinde, Meditationsskizzen zu Mt 18,3, 91999, Johannesverlag, Einsiedeln

5 Wenn ich diese Anmarschwege zu fassen bekomme, bin ich jedes Mal überrascht, wie diese mich in die Gegenwart Gottes führen. Wenn Vielbeschäftigung mich entführt, lohnt es sich, mir ein Zeitziel zu setzen, zum Beispiel mir vorzunehmen – bevor ich mich überhaupt wieder aufmache zu Gott, meinem Vater hin – nur 5 min lang aus der Hektik auszusteigen. Sich der Nähe Gottes bewusst zu sein, gehört zum selbstverständlichen Dasein, und nicht die Gottferne zu verspüren, braucht selbstverständlich zu werden. … und die ersten Werke Und dann, das sollte nach wie vor für uns 21+ler selbstverständlich sein, wieder die ersten Werke tun. „So denke nun daran, wovon du abgefallen bist, und tue Buße und tue die ersten Werke!“ (Off. 2,5) Was diese ersten Werke sind, da habe ich nichts dagegen, kann man geteilter Meinung sein. Ich habe die vier Bs am Anfang kennen gelernt, Bibel lesen, Beisammensein, Bekennen und Beten. Diese will ich gerne nach wie vor pflegen und weiter entwickeln, getragen von der ersten Liebe, von der Liebe Gottes zu mir. Aber, nicht vergessen, diese ersten Werke sind Ausfluss dieses Geliebtseins und nicht der Zugang zur Liebe Gottes oder sogar der Preis dafür. Die ersten Werke heute tun: Am Beispiel des Bibellesens. Wie habe ich in den ersten Jahren Bibel gelesen! Sie verschlungen! Angestrichen, unterstrichen hinein geschrieben. Gedanken, Gebetseindrücke, ein geistliches Tagebuch geführt, Bibellesezettel täglich ausgefüllt und erarbeitet,… Und heute? Zunächst die Schattenseite. Ja, ich gebe zu, manchmal in mir die Gedanken zu haben: „Das habe ich schon alles gehabt, das habe ich schon x-mal gelesen.“ Oder bei einer Predigt: „Dda habe ich schon bessere gehört.“ Aber ich gehöre nicht zu denen, die irgendwie recht und schlecht das Bibellesen durchhalten, nein, es hat sich wirklich eine positive Routine breitgemacht, die sich auch immer wieder z.B. von neuen Übersetzungen überraschen lässt. Immer wieder, zu meiner Überraschung, spricht etwas ganz Neues aus bestimmten Texten mich an, weckt in mir eine erfrischende Aufmerksamkeit, auch bei ganz bekannten und oft gelesenen Passagen. Es kommt mir vor, als hätte ich manche Aspekte noch nie gesehen, und von daher erscheint mir dieser ganze Text in einem neuen Licht. Das begeistert mich. Wenn ich plötzlich erkenne, von wie vielen starken Helden David umgeben war. (2. Sam. 23, 8-39) Ja wenn ich diese hätte! Oder wenn es mich berührt, dass Jesus nicht gekommen ist, um zu herrschen, sondern um zu dienen, und ich wieder die Sehnsucht in meinem Herzen verspüren, auch so zu werden. (Markus 10, 35 – 45) Oder die Geschichte, in der Jesus im Boot schläft, während eines Seesturms und seine Jünger ums Überleben kämpfen. (Markus 4, 35 -41) Zunächst kann ich gar nicht verstehen, wie er so sein kann, dann leuchtet plötzlich eine Ahnung auf, die ich nur im Gedicht einfangen kann:

6 In unruhigen Zeiten Der Sturm, der tobt Die Wellen schlagen Und du, du schläfst Wie kannst du nur Die Deinen schreien Du träumst dazu Ich kann das nicht Versteh dich nicht Wie du das kannst Da schrei ich lieber mit Pack an am Schopf Die Fluten, Angst, den Tod Dich kümmert`s nicht Wenn wir bald sterben Unterwegs hinüber untergehen Ruhst wie ein Kind Ruhst wie ein Kind? Ruhst wie ein Kind Das sicher weiß Im Sturm, im Meer Da stirbt es nicht Sterbe ich am Tod? Der Sturm, der tobt Die Wellen schlagen Die Ängste schreien Leih mir dein rotes Kissen Berg mich in ihm Ruh wie ein Kind Schrei jetzt zum Sturm Verstumm, sei still Die Liebe Gottes, die erste Liebe, eine ewige Steilvorlage für uns Christen.