Die Haftung der Erwachsenenschutzorgane nach dem neuen Erwachsenenschutzrecht 1

Minger, Die Haftung der Erwachsenenschutzbehörde ZKE 1/2010 Die Haftung der Erwachsenenschutzorgane nach dem neuen Erwachsenenschutzrecht1 von Chri...
Author: Inge Geiger
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Minger, Die Haftung der Erwachsenenschutzbehörde

ZKE 1/2010

Die Haftung der Erwachsenenschutzorgane nach dem neuen Erwachsenenschutzrecht1 von Christian Minger, Rechtsanwalt, Jurist bei der Aufsichtsbehörde in Vormundschaftssachen des Kantons Jura, Delsberg Das neue Erwachsenenschutzrecht sieht eine neue Haftungsregelung vor. Die Verantwortlichkeitsbestimmungen unterscheiden sich je nach Schutzmassnahme. Für behördlich angeordnete Massnahmen (Beistandschaft und fürsorgerische Unterbringung) sieht das revidierte Gesetz eine primäre, von subjektivem Verschulden unabhängige Haftung der Kantone vor. Erfasst werden dabei alle auf eine rechtswidrige Handlung oder Unterlassung zurückzuführenden Schädigungen, seien sie durch einen Mandatsträger, durch eine mit ­einer fürsorgerischen Unterbringung betraute Person, durch die Erwachsenenschutz- oder die Aufsichtsbehörde verursacht worden. Bei allen andern Schutzmassnahmen haftet der Staat nur für rechtswidriges Handeln oder Unterlassen der Behörden und Aufsichtsbehörden. Die Verantwortlichkeit von Vorsorgebeauftragten sowie jene von Ehegatten und ein­getragenen Partnern, welche ihren urteilsunfähigen Ehegatten und Partner gesetzlich vertreten, richtet sich nach den obligationenrechtlichen Bestimmungen über den Auftrag. Die übrigen Massnahmen, namentlich die Patientenverfügung oder die Bestimmungen über die Unterbringung Urteilsunfähiger in Wohn- und Pflegeeinrichtungen, unterstehen keinen besonderen Haftungsregeln des Erwachsenenschutzes.

La responsabilité des organes de protection dans le nouveau droit de la ­protection de l’adulte2 Le nouveau droit de la protection de l’adulte comporte de nouvelles dispositions en matière de responsabilité. En fonction de la mesure de protection concernée, les règles sur la responsabilité seront différentes. Pour les mesures ordonnées par l’autorité de protection (curatelles et placement à des fins d’assistance), le nouveau droit prévoit une responsabilité primaire et objective des cantons. Ces derniers répondront ainsi du dommage causé par un acte ou une omission illicites, commis soit par le curateur ou une personne chargée de tâches en matière de placement à des fins l’assistance, soit par l‘autorité de protection ou l’autorité de surveillance. Pour les autres mesures, les cantons ne répondront que des actes et omissions illicites de l‘autorité de protection et de l‘autorité de surveillance. La responsabilité du mandataire pour cause d‘inaptitude, du conjoint ou du partenaire enregistré représentant son conjoint ou son partenaire incapables de discernement sera soumise aux règles du Code des obligations applicables au mandat. Enfin, certaines mesures, telles les directives anticipées ou celles destinées aux personnes placées dans une institution médico-sociale, ne seront soumises à aucune responsabilité particulière relevant de la protection de l’adulte.

Die Originalversion «La responsabilité des organes de protection dans le nouveau droit de la protection de l’adulte» wurde in ZVW 4/2006 S. 171–182 publiziert. Die vorliegende Übersetzung besorgte Herr lic. phil. und iur. Felix Baumann, Gerichtsschreiber am Kantonsgericht Freiburg. Aktualisiert wurde der Beitrag durch die Redaktion der ZKE. Die Inkraftsetzung des revidierten Erwachsenenschutzrechts erfolgt voraussichtlich am 1.1.2013. 2 Entrée en vigueur probable le 1.1.2013. 1

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La responsabilità degli organi di protezione nel nuovo diritto della protezione dell’adulto3 Il nuovo diritto della protezione dell’adulto comporta nuove disposizioni in materia di responsabilità. Le regole sulla responsabilità si differenziano in rapporto alle relative misure di protezione. Per le misure ordinate dall‘autorità di protezione (curatela e collocamento ai fini di assistenza), il nuovo diritto prevede una responsabilità primaria e obiettiva dei cantoni. Questi rispondono del danno causato da un atto o da una omissione illeciti, ­commessi sia dal curatore o da una persona incaricata di compiti riguardanti il collocamento ai fini di assistenza, sia dall‘autorità di protezione o di sorveglianza. Per gli altri provvedimenti i cantoni rispondono limitatamente agli atti di omissioni illecite dell‘autorità di protezione e dellíautorità di sorveglianza. La responsabilità del mandatario per cause di inattitudine, del coniuge o del partner registrato rappresentati perché incapaci di discernimento sarà sottomessa alle regole del Codice delle obbligazioni applicabili al mandato. Infine alcune misure, come le disposizioni anticipate o quelle destinate alle persone collocate in un istituto medico-sociale, non saranno sottomesse ad alcuna responsabilità particolare relativa alla protezione dell‘adulto.

Die zivilrechtliche Haftung, ohnehin ein Thema, welches stark beschäftigt, hat mit der sich aus Nordamerika verbreitenden Geisteshaltung, überall und für alles einen Verantwortlichen zu suchen, noch zusätzlich an Bedeutung gewonnen. Es erscheint deshalb nur folgerichtig, dass das neue Erwachsenenschutzrecht für die Mandatsträger, die Mitglieder der Erwachsenenschutzbehörde oder einer Aufsichtsbehörde im Vergleich zum heutigen System einige Verbesserungen mit sich bringt. Bevor näher auf das Thema eingegangen wird, erscheint es angezeigt, zwei Punkte klarzustellen: – In erster Linie kommen dem Begriff der «Haftung» sowohl in der Umgangssprache wie auch im Recht verschiedene Bedeutungen zu; in unserem Zusammenhang ist darunter die einer Person oder einer Behörde obliegende Pflicht zu verstehen, den einer anderen Person zugefügten Schaden zu ersetzen. – Des Weiteren betrifft Haftung im hier verstandenen Sinn ausschliesslich die Beziehung zwischen der geschützten Person einerseits sowie dem Beistand und den anderen Mandatsträgern, der Erwachsenenschutzbehörde und der Aufsichtsbehörde anderseits. Der allenfalls einer Drittperson zugefügte Schaden hat deshalb hier ausser Acht zu bleiben.

1. Kurzer Abriss des heute geltenden Systems Das heute geltende System ist so alt wie das Zivilgesetzbuch selber und hat somit seit 1907 keine Veränderung erfahren. Es stammt aus einer Zeit, in der das Verwaltungsrecht kaum entwickelt war, und widerspiegelt deshalb weitestgehend überholte Auffassungen, insbesondere was den Bereich der Behördenhaftung betrifft. Darüber hinaus ist dieses System nicht nur veraltet, sondern auch kompliziert. 3

Entrata in vigore probabilmente il 1.1.2013.

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Das heute geltende Recht (Art. 426–430 ZGB) lässt sich unter dem Begriff der Kaskadenhaftung zusammenfassen: Hat der Vormund – bzw. der Beistand oder Beirat – absichtlich oder fahrlässig einen Schaden verursacht, so hat er diesen Schaden zu ersetzen (Art. 426 ZGB). Hat auch die Vormundschaftsbehörde absichtlich oder fahrlässig gehandelt, etwa indem sie ihre Zustimmung zu einer Handlung des Vormundes auf leichtfertige Weise erteilt hat, haben deren Mitglieder ebenfalls für den Schaden einzustehen (Art. 426 ZGB), allerdings nur für das, was vom Vormund nicht erhältlich ist (Art. 429 ZGB). Haben sie arglistig gehandelt, haften sie allerdings direkt und solidarisch (Art. 429 Abs. 3 ZGB). Es ist an dieser Stelle zu betonen, dass nicht die Vormundschaftsbehörde als solche den Schaden zu ersetzen hat, sondern deren Mitglieder einzeln und persönlich. Diese können sich allerdings von der Haftung befreien, wenn sie nachzuweisen vermögen, dass ihnen persönlich kein Verschulden vorgeworfen werden kann (Art. 428 ZGB). Dies ist beispielsweise für jenes Behördenmitglied der Fall, das an der Sitzung, in der der Beschluss gefasst wurde, nicht anwesend war, oder das gegen den Beschluss gestimmt hat. Denn es wäre unlogisch, wenn jemand, der gegen einen Beschluss gestimmt hat, ebenso haften müsste wie jene, die dem Beschluss zu Unrecht zugestimmt haben. Für den Fall, dass die Mitglieder der Vormundschaftsbehörde den Schaden zu ersetzen haben, besteht im Übrigen zwischen den Behördenmitgliedern nur dann Solidarität, wenn sie arglistig gehandelt haben (Art. 429 Abs. 3 ZGB). Ansonsten haftet jedes Mitglied für seinen Anteil, aber nicht für mehr (Art. 428 Abs. 2 ZGB). Ein Behördenmitglied kann somit nicht verpflichtet werden, den gesamten Schaden zu ersetzen, es sei denn, es habe den Schaden arglistig herbeigeführt. Haben in diesem Kaskadensystem weder der Vormund noch die Mitglieder der Vormundschaftsbehörde den vollständigen Schaden ersetzen können, so ­haften die Mitglieder der Aufsichtsbehörde für den Restbetrag, und zwar in derselben Weise, wie dies für die Mitglieder der Vormundschaftsbehörde der Fall ist (Art. 429 Abs. 2 ZGB). In dieser Haftungsordnung bedarf es eines Verschuldens des Vormundes, Beistandes, Beirats oder der Mitglieder der Vormundschaftsbehörde oder der Aufsichtsbehörde, bevor diese angehalten werden können, den dem Mündel entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies ergibt sich daraus, dass das Gesetz festhält, der Schaden müsse absichtlich oder fahrlässig verschuldet worden sein. Das System ist somit für den Geschädigten nicht gerade vorteilhaft, insbesondere wenn man in Betracht zieht, dass die vormundschaftliche Massnahme ohne dessen Zutun oder sogar gegen dessen Willen angeordnet wurde. Immerhin sieht das Gesetz zugunsten des Geschädigten vor, dass der Kanton für den Ausfall haftet, wenn ein Schaden auf ein Verschulden eines vormundschaftlichen Organs (Vormund, Beistand, Beirat, Vormundschaftsbehörde oder Aufsichtsbehörde) zurückzuführen ist und dieses den Schaden nicht vollständig ersetzen konnte (Art. 427 ZGB). Der Kanton haftet somit subsidiär für den von einem vormundschaftlichen Organ verschuldeten Schaden, ohne dass ihm selber ein Verschulden vorzuwerfen wäre. Anzufügen ist, dass das Zivilgesetzbuch den 23

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Kantonen die Möglichkeit offengelassen hat, in erster Linie die Gemeinden oder die Vormundschaftskreise subsidiär haften zu lassen (Art. 427 Abs. 2 ZGB). Mehrere Kantone haben von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Diesfalls haften in erster Linie die Gemeinden für den nicht gedeckten Teil des Schadens, und zwar auch dann, wenn ihnen kein Verschulden vorzuwerfen ist, oder, schlimmer noch, selbst dann, wenn auch den Mitgliedern der Vormundschaftsbehörde der Gemeinde kein Verschulden vorzuwerfen ist, sondern einzig der Vormund, Beistand oder Beirat schuldhaft gehandelt hat. Diese Haftungsordnung kann erfahrungsgemäss ernsthafte Probleme verursachen, insbesondere für kleinere Gemeinden, für die ein Schaden von mehreren zehntausend Franken bereits eine erhebliche Belastung des Gemeindebudgets darstellt. Es ist daran zu erinnern, dass das heutige System die Ernennung privater Vormunde ermöglicht, welche über keinerlei Ausbildung für ihr Amt verfügen, dass auch die Mitglieder der Vormundschaftsbehörde möglicherweise über keinerlei Ausbildung im Bereich des Vormundschaftswesens verfügen und ihr Amt zudem oft praktisch ohne Entschädigung ausüben, dass aber diesen Vormunden und Behördenmitgliedern im Gegenzug ein Höchstmass an Verantwortung aufgebürdet wird. Ein solches System ist nicht gerade genial, und es ist offensichtlich, dass sich Änderungen aufdrängen. Der Vollständigkeit halber sei angefügt, dass das heutige System in Vormundschaftssachen noch eine andere Haftungsordnung kennt, welche allerdings einzig im Bereich der fürsorgerischen Freiheitsentziehung (FFE) Anwendung findet. Dieses System, welches 1978 mit dem Art. 429a ZGB eingeführt wurde, ist wesentlich moderneren Zuschnitts als das soeben beschriebene System. Zudem ist es einfacher. Es hat denn auch die im Revisionsentwurf vorgesehene Haftungsordnung direkt beeinflusst. Es sieht kurz gesagt vor, dass nicht irgendein vormundschaftliches Organ, sondern unmittelbar der Kanton für den Schaden haftet, und dass dieser allenfalls sogar verpflichtet sein kann, der geschädigten Person eine Genugtuung auszurichten. Zudem wird kein Verschulden vorausgesetzt; es genügt, dass die fürsorgerische Freiheitsentziehung als widerrechtlich betrachtet wird. Im juristischen Sprachgebrauch handelt es sich dabei um eine so genannte Kausalhaftung. Schliesslich hat der haftende Kanton die Möglichkeit, auf die Person Rückgriff zu nehmen, welche den Schaden verursacht hat, sofern dieser absichtlich oder grobfahrlässig verursacht wurde. Eine leichte Fahrlässigkeit ist somit für einen Rückgriff nicht ausreichend.

2. Übersicht über das neue System Das geltende System weist trotz allem einen Vorteil auf: Als das neue Gesetz ausgearbeitet wurde, war es nicht besonders schwierig, ein einfacheres System zu finden. Auf der anderen Seite besteht wie bereits erwähnt im Bereich der fürsorgerischen Freiheitsentziehung seit 1978 ein einfaches und modernes System. Dazu kommt, dass eine grössere Anzahl von Kantonen in ihrer Gesetzgebung ein System der direkten Staatshaftung ohne staatliches Verschulden vorsieht, welches die Möglichkeit bietet, auf den Verursacher des Schadens Rückgriff zu 24

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nehmen, das heisst, ein System, welches jenem im Bereich der FFE sehr ähnlich ist. Es scheint, dass sich die Expertenkommission und der Gesetzgeber fast wie von selbst in diese Richtung bewegt haben. Im Vergleich zum heutigen System können bereits mehrere wichtige Unterschiede hervorgehoben werden: – Der Grundsatz der persönlichen Haftung des Beistandes und der Mitglieder der Erwachsenenschutzbehörde und der Aufsichtsbehörde verschwindet und wird ersetzt durch den Grundsatz der direkten Haftung des Staats bzw. des Kantons. – Ein Verschulden eines vormundschaftlichen Organs wird nicht mehr voraus­ gesetzt. – Es bestehen nicht mehr zwei verschiedene Systeme für die ordentlichen vormundschaftlichen Massnahmen und die FFE; allerdings gibt es weiterhin zwei Systeme, und zwar eines für die von der Erwachsenenschutzbehörde angeordneten Massnahmen und ein anderes für bestimmte von Gesetzes wegen zur Anwendung gelangende Massnahmen. Des Weiteren sind bestimmte Massnahmen, bei denen die Erwachsenenschutzbehörde im Prinzip nicht von Amtes wegen einzugreifen hat, keinen sich aus dem Erwachsenenschutzrecht ergebenden Haftungsregeln unterworfen.

2.1. Grundsatz (nArt. 454 Abs. 1 und 2 ZGB) nArt. 454 ZGB, dessen Absätze 1 und 2 den Grundsatz der Haftung festhalten, hat folgenden Wortlaut: «1 Wer im Rahmen der behördlichen Massnahmen des Erwachsenenschutzes durch widerrechtliches Handeln oder Unterlassen verletzt wird, hat Anspruch auf Schadenersatz und, sofern die Schwere der Verletzung es rechtfertigt, auf Genugtuung. 2 Der gleiche Anspruch besteht, wenn sich die Erwachsenenschutzbehörde oder die Aufsichtsbehörde in den anderen Bereichen des Erwachsenenschutzes widerrechtlich verhalten hat. 3 Haftbar ist der Kanton; gegen die Person, die den Schaden verursacht hat, steht der geschädigten Person kein Ersatzanspruch zu. 4 Für den Rückgriff des Kantons auf die Person, die den Schaden verursacht hat, ist das kantonale Recht massgebend.» Das Ziel dieser Bestimmung ist klar: Es geht darum, dass die Person, welche im Rahmen einer von der Behörde angeordneten Schutzmassnahme einen Schaden erleidet, vollständig entschädigt wird, wenn der Schaden durch ein widerrecht­ liches Handeln oder Unterlassen verursacht worden ist. Es darf an dieser Stelle in Erinnerung gerufen werden, dass es sich beim widerrechtlichen Verhalten, unbesehen darum, ob ein Handeln oder ein Unterlassen vorliegt, um einen objek­ tiven Begriff handelt, nämlich um den Verstoss gegen eine Norm oder Verhaltensregel, welche besagt, dass anderen kein Schaden zugefügt werden darf, es sei denn, es lägen Rechtfertigungsgründe vor. Widerrechtlichkeit darf deshalb nicht mit Verschulden verwechselt werden; bei Letzterem handelt es sich um einen 25

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subjektiven Begriff. Verschulden ist eine Willensschwäche; es handelt sich um einen Verstoss des Willens gegen die Pflichten, welche die Rechtsordnung uns vorschreibt. Damit eine natürliche Person überhaupt zu einem Verschulden in der Lage ist, muss sie urteilsfähig sein, was wiederum zwei Elemente beinhaltet, nämlich ein intellektuelles Moment und ein Willensmoment. Die betroffene ­Person muss imstande sein, eine gegebene Situation einzuschätzen, das heisst im vorliegenden Fall die Widerrechtlichkeit ihres Verhaltens; dies ist das intellek­ tuelle Moment. Sie muss weiter imstande sein zu handeln, das heisst jenes Verhalten zu wählen, welches aufgrund dieser Einschätzung adäquat erscheint. Dies ist das Willensmoment. Verfügt eine Person nicht über diese beiden Fähigkeiten, ist sie nicht schuldfähig. Im vorliegenden Fall bedarf es indes keines Verschuldens, um eine Haftung auszulösen. Es genügt, dass ein widerrechtliches Verhalten vorliegt und dieses Verhalten für den Schaden kausal ist. Es handelt sich somit um eine so genannte Kausalhaftung, dies im Gegensatz zur Verschuldenshaftung, welche auch aquilianische Haftung genannt wird. Wie bereits erwähnt, muss der Schaden auf das in Betracht zu ziehende widerrechtliche Verhalten und nicht auf eine andere Ursache zurückzuführen sein. Zwischen dem Verhalten und dem Schaden muss somit ein so genannter adäquater Kausalzusammenhang bestehen. Im Recht wird ein Kausalzusammenhang als adäquat bezeichnet, wenn das fragliche Verhalten nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung an sich geeignet ist, einen Erfolg von der Art des eingetretenen herbeizuführen oder zumindest stark zu begünstigen. Holt man beispielsweise jemanden mit einem Fahrzeug vom Bahnhof ab und beschädigt dieses Fahrzeug beim Einparken, so besteht ein Kausalzusammenhang zwischen der Tatsache, eine Person am Bahnhof abzuholen, und dem am Fahrzeug eingetretenen Schaden. Dieser Kausalzusammenhang wird allerdings nicht als adäquat bezeichnet, da nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung die Tatsache, jemanden am Bahnhof abzuholen, normalerweise nicht zu Schäden am Fahrzeug führt. Belässt man hingegen eine brennende Kerze in der Nähe eines Vorhangs und kommt es in der Folge zu einem Wohnungsbrand, so liegt offensichtlich ein adäquater Kausalzusammenhang vor. Es kann somit festgehalten werden, dass die im revidierten Gesetz vorge­sehene Haftung die drei klassischen Elemente einer Kausalhaftung enthält, nämlich: – einen Schaden – ein widerrechtliches Verhalten und – einen adäquaten Kausalzusammenhang zwischen beiden. Wie nArt. 454 ZGB festhält, tritt die Haftung, von der hier die Rede ist, ein, wenn im Rahmen von behördlich angeordneten Erwachsenenschutzmassnahmen ein Schaden verursacht worden ist. Untersucht man die Systematik des neuen Rechts, stellt man fest, dass dieses zwei Titel enthält, in denen die verschiedenen Massnahmen behandelt werden, nämlich den zehnten und den elften Titel: – Im zehnten Titel werden die eigene Vorsorge und die Massnahmen von Geset26

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zes wegen behandelt; er umfasst den Vorsorgeauftrag, die Patientenverfügung, die Vertretung durch den Ehegatten, die eingetragene Partnerin oder den eingetragenen Partner, die Vertretung bei medizinischen Massnahmen und bestimmte Massnahmen, welche auf Personen Anwendung finden, die sich in Wohn- oder Pflegeeinrichtungen aufhalten. – Der elfte Titel regelt seinerseits die behördlichen Massnahmen; darunter fallen die verschiedenen Beistandschaften und die fürsorgerische Unterbringung. Dies bedeutet, dass die direkte Haftung des Kantons auf die im elften Titel aufgeführten Massnahmen Anwendung finden wird, das heisst auf die verschiedenen Beistandschaften und die fürsorgerische Unterbringung sowie auf die in diesem Zusammenhang erbrachte medizinische Behandlung, nicht aber auf die Handlungen des Vorsorgebeauftragten und auch nicht auf jene des seinen urteilsunfähigen Ehegatten oder Partner vertretenden Ehepartners oder eingetragenen Partners, und auch nicht auf jene des Vertreters der urteilsunfähigen Person bei medizinischen Massnahmen. Für diese zuletzt erwähnten Massnahmen werden besondere Haftungsregeln Anwendung finden. Wenn man die Art und Weise in Betracht zieht, in der diese Massnahmen angeordnet und vollzogen werden, erscheint es folgerichtig, dass die Haftung des Kantons nicht ohne Weiteres ausgelöst wird. Beim Vorsorgeauftrag ist es die auftraggebende Person, welche den Auftrag errichtet und die beauftragte Person bestimmt. Die Erwachsenenschutzbehörde überprüft ihrerseits, ob tatsächlich ein solcher Auftrag besteht, ob er gültig errichtet worden ist, ob die Voraussetzungen für dessen Wirksamkeit eingetreten sind und ob die beauftragte Person für ihre Aufgaben geeignet ist und den Auftrag annimmt, denn sie kann selbstverständlich nicht dazu gezwungen werden. Ist diese Überprüfung erfolgt, weist die Erwachsenenschutzbehörde die beauftragte Person auf die Pflichten hin, die sich aus ihrem Auftrag ergeben, und händigt ihr eine Urkunde aus, die ihre Befugnisse wiedergibt. Falls nötig, kann die Behörde auf Ersuchen der beauftragten Person einen nicht hinreichend klaren Vorsorgeauftrag auch auslegen oder in Nebenpunkten sogar ergänzen. Einmal eingesetzt, wird die beauftragte Person ihre Aufgaben dem Auftrag entsprechend erfüllen, wobei die Aufsicht der Erwachsenenschutzbehörde deutlich geringer ist als im Fall einer Beistandschaft. In Anbetracht der vertraglichen Natur dieser Massnahme und der von der zu schützenden Person selber vorgenommenen Wahl erscheint es deshalb logisch, dass die direkte Staatshaftung nicht ohne Weiteres ausgelöst wird. Wie wir aber festgestellt haben, hat die Erwachsenenschutzbehörde trotzdem gewisse Aufgaben zu erfüllen. Es liegt deshalb auf der Hand, dass die Behörde für die gute Ausführung dieser Aufgaben haftet. Bemerkt sie beispielsweise im Zeitpunkt der Überprüfung der Eignung der beauftragten Person nicht, dass diese noch weniger urteilsfähig ist als die auftraggebende Person, obwohl dies ohne Weiteres erkennbar wäre, so besteht kein Zweifel, dass die Behörde für ihre Fahrlässigkeit haftet. Dies folgt aus nArt. 454 Abs. 2 ZGB. Was die Vertretung durch den Ehegatten oder die eingetragene Partnerin bzw. den eingetragenen Partner betrifft, so handelt es sich dabei um eine Massnahme, welche von Gesetzes wegen zur Anwendung gelangt, wenn die im Gesetz vor­ 27

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gesehene Situation eintritt. Wird ein Gatte oder (eingetragener) Partner urteilsunfähig, so kann ihn sein Ehegatte oder seine Partnerin bzw. sein Partner rechtlich vertreten, wenn dieser mit jenem zusammenlebt oder ihm regelmässig und persönlich Beistand leistet. Wie man feststellen kann, schreitet die Erwachsenenschutzbehörde im Bereich der Vertretung durch den Ehegatten oder die eingetragene Partnerin bzw. den eingetragenen Partner nicht ein, dies mit Ausnahme einer ausserordentlichen Vermögensverwaltung, für welche ihre Zustimmung notwendig ist, oder wenn sie feststellt, dass die Voraussetzungen für eine Vertretung nicht erfüllt sind oder die Interessen der urteilsunfähigen Person gefährdet oder nicht mehr gewahrt sind. Auch in diesem Fall ist es nur folgerichtig, dass die direkte Haftung des Kantons nicht ohne Weiteres ausgelöst wird, denn es ist nicht am Kanton, für die Folgen allfälliger Zwistigkeiten aufzukommen, die zwischen Ehegatten entstehen können. Immerhin gilt es auch hier zu erwähnen, dass der Kanton gemäss nArt. 454 Abs. 2 ZGB für den der geschützten Person entstandenen Schaden zu haften haben wird, wenn die Erwachsenenschutzbehörde die ihr obliegenden Aufgaben nicht mit der nötigen Sorgfalt ausgeführt hat – beispielsweise, wenn sie feststellt, dass der Ehegatte seine Befugnisse überschreitet, ohne darauf zu reagieren. Bei der Vertretung bei medizinischen Massnahmen handelt es sich ebenfalls um eine von Gesetzes wegen zur Anwendung kommende Massnahme, wenn die im Gesetz vorgesehene Situation eintritt. Auch in diesem Fall schreitet die Erwachsenenschutzbehörde nicht ein, es sei denn, sie würde feststellen, dass die Interessen der geschützten Person gefährdet oder nicht mehr gewahrt sind. Was die Haftung des Kantons betrifft, kann somit auf die im Zusammenhang mit der Vertretung durch den Ehepartner gemachten Bemerkungen verwiesen werden. Der Kanton haftet auch in diesem Fall nicht direkt für die Handlungen des Vertreters. Er haftet hingegen für eine Verletzung der Sorgfaltspflicht der Erwachsenenschutzbehörde bei der Ausführung der ihr obliegenden Aufgaben, und zwar auch in diesem Fall in Anwendung von nArt. 454 Abs. 2 ZGB. Wie sich aus nArt. 454 Abs. 1 ZGB ergibt, besteht die Wiedergutmachung selbstverständlich in der Leistung von Schadenersatz; daneben kommt aber auch die Ausrichtung einer Genugtuung in Betracht, sofern die Schwere der Verletzung es rechtfertigt. Im Gegensatz zum geltenden Recht sieht der neue Gesetzestext diese Möglichkeit nun ausdrücklich vor. Kommen wir nun zu den Massnahmen, für welche der Kanton primär haftet. Dazu gehört in erster Linie die Beistandschaft, oder genauer die Beistandschaften, denn das Gesetz sieht vier verschiedene vor, nämlich die Begleitbeistandschaft, die Vertretungsbeistandschaft, die Mitwirkungsbeistandschaft und die umfassende Beistandschaft. Für alle diese Beistandschaften findet das System der primären Haftung Anwendung. Grundsätzlich sind die schadensbegründenden Risiken dieselben, wie wir sie für die heute geltenden Massnahmen der Vormundschaft, Beistandschaft und Beiratschaft finden. Sie hängen aber von der Art und Weise ab, in der die Beistandschaft gemäss dem Grundsatz der mass­ geschneiderten Massnahme angeordnet worden ist.

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Die andere Massnahme, für die diese Haftungsregeln wie erwähnt Anwendung finden, ist die fürsorgerische Unterbringung, und zwar unter Einbezug der medizinischen Behandlung, welche mit jener einhergehen kann. Diese Massnahme entspricht der heutigen fürsorgerischen Freiheitsentziehung, deren Name in Anbetracht der Praxis wenig angebracht erschien, da er zu stark an eine Freiheitsstrafe im strafrechtlichen Sinn erinnerte. Zu bemerken ist allerdings, dass die fürsorgerische Unterbringung um die Möglichkeit einer – wenn auch strengen Bedingungen unterworfenen – medizinischen Behandlung gegen den Willen des Patienten bereichert wurde, was der geltende Text des Zivilgesetzbuches nicht erlaubt. Einige Kantone haben aber bereits in diesem Sinn legiferiert und die Möglichkeit vorgesehen, Behandlungen gegen den Willen des Patienten anzuordnen. Was die Frage der Haftung anbelangt, ergeben sich in diesem Bereich wenig Änderungen, da diese Frage heute durch Art. 429a ZGB geregelt ist, welcher bereits eine kausale – und damit nicht an ein Verschulden gebundene –, primäre und direkte Haftung des Kantons vorsieht.

2.2. Haftung des Kantons (nArt. 454 Abs. 3 ZGB) Wie wir bereits mehrfach hervorgehoben haben und wie sich ausdrücklich aus dem Wortlaut von nArt. 454 Abs. 3 ZGB ergibt, haftet in erster Linie der Kanton für den Schaden, der von der Erwachsenenschutzbehörde oder der Aufsichtsbehörde verursacht worden ist. Diese Bestimmung unterscheidet nicht zwischen den verschiedenen Massnahmen. Sie bezieht sich somit auf alle Handlungen der erwähnten Behörden, unbesehen darum, um welche Schutzmassnahme es sich handelt. Allerdings ist gemäss den Absätzen 1 und 2 die direkte Haftung des Kantons auf die Fälle der Beistandschaft und der fürsorgerischen Unterbringung beschränkt, wenn der Schaden nicht von der Erwachsenenschutzbehörde oder der Aufsichtsbehörde, sondern vom Beistand oder von einer mit einer fürsorgerischen Unterbringung betrauten Person verursacht wurde. Dies war zumindest die «Philosophie», welche diesen Bestimmungen zugrunde lag. Auch wenn die Botschaft des Bundes­ rates (Ziff. 2.3.5 S. 90) und die deutsche Version des Gesetzestextes diese Sichtweise zu bestätigen scheinen, schafft der neue französische Wortlaut von Absatz 1 eine gewisse Verwirrung. Denn er scheint das Recht auf Schadenersatz und auf Genugtuung auf jene Personen zu beschränken, die Opfer eines widerrecht­ lichen Handelns oder Unterlassens der Erwachsenenschutzbehörde geworden sind. Diese Hypothese setzt nun aber ein grosses Fragezeichen hinter die Haftung des Beistandes, der mit einer fürsorgerischen Unterbringung betrauten Personen, ja sogar der Aufsichtsbehörde. Der Grundsatz der direkten Haftung des Kantons entspricht nicht nur einer modernen Auffassung des Haftungsrechts, sondern stellt auch ein System dar, welches grundsätzlich für den Geschädigten, aber auch für die verschiedenen Akteure im Bereich des Erwachsenenschutzes vorteilhaft ist, das heisst für die Beistände, Behördenmitglieder, Ärzte, Direktoren von Pflegeeinrichtungen, das paramedizinische Personal usw. Der Vorteil für die geschützte Person, welche 29

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durch eine Massnahme geschädigt wurde, liegt darin, dass sie nicht eine bestimmte Einzelperson, beispielsweise ihren Beistand, zur Verantwortung ziehen und dabei das Risiko eingehen muss, dass diese Person nicht zahlungsfähig ist, sondern dass sie sich direkt an den haftenden Kanton wenden kann, von dessen Zahlungsfähigkeit jederzeit ausgegangen werden darf. Der Beistand, die Behördenmitglieder und die mit einer fürsorgerischen Unterbringung betrauten Personen finden ihrerseits einen Vorteil darin, dass sie im Schadensfall nicht mehr direkt einer Klage der geschädigten Person ausgesetzt sind. Dies erlaubt ihnen einerseits, nüchterner zu handeln; denn in der Praxis kann in der Tat festgestellt werden, dass bestimmte Personen in ihrem Handeln geradezu gelähmt sind, weil sie Angst vor einer Verantwortlichkeitsklage haben. Auf der anderen Seite dürften sie gemäss dem vorgeschlagenen System im Gegensatz zu heute dem Vorwurf der leichten Fahrlässigkeit im Prinzip nicht mehr ausgesetzt sein. Der Grundsatz der direkten Haftung des Kantons bedeutet aber nicht, dass die schadenverursachenden Personen sich ihrer Verantwortung in jedem Fall entziehen können. Denn nArt. 454 Abs. 4 ZGB lässt dem Kanton, welcher den Schaden zu ersetzen hatte, die Möglichkeit, auf die Person Rückgriff zu nehmen, welche den Schaden verursacht hat, und zwar unbesehen darum, ob es sich dabei um ein Mitglied der Erwachsenenschutzbehörde, der Aufsichtsbehörde, einen Beistand oder eine Person handelt, welche im Bereich der fürsorgerischen Unterbringung tätig ist. Anders als im Vorentwurf vorgesehen, regelt der revidierte Gesetzestext den Rückgriff des Kantons gegenüber der verantwortlichen Person nicht, sondern überlässt diese Frage dem kantonalen Recht. Wie dies im ­Bereich des öffentlichen Dienstrechts bereits heute der Fall ist, werden die Kantone ab einem Verschulden von einer gewissen Schwere zweifellos die Möglichkeit eines Rückgriffs vorsehen. Bei leichter Fahrlässigkeit dürfte die Person, die den Schaden verursacht hat, keinen Grund zur Beunruhigung haben; damit soll dem Risiko Rechnung getragen werden, welches mit jeder Tätigkeit im Bereich des Erwachsenenschutzes verbunden ist. Denn es wäre nicht folgerichtig, alle Risiken von jenen Personen tragen zu lassen, die sich im Massnahmewesen engagieren. Ist der Person, die den Schaden verursacht hat, hingegen Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen, so könnte der Kanton auf sie Rückgriff nehmen und dergestalt den von ihm der geschädigten Person ausgerichteten Schadenersatz oder gegebenenfalls die Genugtuung zurückerlangen, dies natürlich stets unter dem Vorbehalt, dass die Person, die den Schaden verursacht hat, hinreichend zahlungsfähig ist.

2.3. Verjährung (nArt. 455 ZGB) Was die Verjährung der Schadenersatz- oder Genugtuungsklage angeht, wurde in nArt. 455 ZGB die ordentliche, im zivilen – oder anders gesagt ausservertrag­ lichen  – Haftpflichtrecht geltende Verjährungsfrist ganz einfach übernommen; diese beträgt ein Jahr. Diese Frist beginnt mit dem Tag zu laufen, an dem die geschädigte Person vom Schaden Kenntnis hat. Dies bedeutet, dass die geschädigte Person über die not30

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wendigen Informationen hinsichtlich der Art und des Ausmasses des Schadens verfügen muss, welche ihr die Begründung einer eventuellen Klage vor Gericht ermöglichen. Solange die geschädigte Person nicht über diese Informationen verfügt, beginnt die Verjährungsfrist nicht zu laufen. Das Gesetz schreibt jedoch vor, dass die Verjährung in jedem Fall eingetreten ist, wenn seit dem Tag der schädigenden Handlung zehn Jahre vergangen sind. Dies selbstverständlich unter dem Vorbehalt der üblichen Mittel, welche eine Verlängerung der Verjährungsfrist ermöglichen, wie beispielsweise die Verjährungsverzichtserklärung oder die Einleitung einer Betreibung gegen den Schuldner. Das neue Recht enthält ebenfalls die übliche Klausel, gemäss der die strafrechtliche Verjährung Anwendung findet, wenn der Schaden auf ein strafbares Verhalten zurückzuführen ist und die strafrechtliche Verjährung zehn Jahre übersteigt, was bereits auf eine Straftat von einiger Bedeutung schliessen lässt. Dies bedeutet, dass die geschädigte Person jene Person, die den Schaden verursacht hat, so lange auf Leistung von Schadenersatz einklagen kann, als jene Person strafrechtlich belangt werden kann, selbst wenn die schädigende Handlung oder Unterlassung mehr als zehn Jahre zurückliegt. Weiter besteht eine andere Besonderheit, der man bereits im geltenden Recht begegnet und die mit der Dauer der Schutzmassnahmen zusammenhängt, welche bekanntlich je nach Fall sehr unterschiedlich sein kann. Einige Massnahmen sind von sehr kurzer Dauer oder sogar bloss punktuell, während andere sehr lange dauern und sich im Extremfall über Jahrzehnte erstrecken können. nArt. 455 Abs. 3 ZGB sieht vor, dass bei Dauermassnahmen die Verjährung nicht vor dem Wegfall der Massnahme oder ihrer Weiterführung durch einen anderen Kanton zu laufen beginnt. Dies betrifft sowohl die ordentliche einjährige Verjährungsfrist wie auch die absolute Frist von zehn Jahren. Was die Berechnung der Frist und deren allfälliges Ruhen oder deren Unterbrechung betrifft, so finden die üblichen Regeln des Obligationenrechts Anwendung.

2.4. Haftung nach den Bestimmungen über den Auftrag (nArt. 456 ZGB) Wie wir bereits gesehen haben, findet das System der direkten Haftung des Kantons nicht bei allen Massnahmen Anwendung. Dies ist der Fall beim Vorsorgeauftrag, bei der Vertretung durch den Ehegatten oder die eingetragene Partnerin bzw. den eingetragenen Partner einer urteilsunfähigen Person sowie im Fall der Vertretung bei medizinischen Massnahmen, soweit diese nicht vom Beistand wahrgenommen wird. Auf die vorsorgebeauftragte Person und die vorgenannten Vertreter finden somit besondere Haftungsregeln Anwendung. Bei diesen Regeln handelt es sich um jene, welche in den obligationenrechtlichen Bestimmungen über den Auftrag vorgesehen sind. Genauer gesagt handelt es sich um Art. 398 OR. Gemäss dieser Bestimmung haftet zum einen der Beauftragte im Allgemeinen für die gleiche Sorgfalt wie der Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis, während er dem Auftraggeber zum andern für getreue und sorgfältige Ausfüh-

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rung des ihm übertragenen Geschäfts haftet. Verletzt der Beauftragte seine Pflichten, so ist er zum Ersatz des entstandenen Schadens verpflichtet. Es kann erwähnt werden, dass es sich hierbei um eine Haftung aus Vertrag handelt. Dies hat zur Folge, dass vier Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit ein Haftungsfall vorliegt, während, wie bereits dargelegt, im Fall der Kausalhaftung des Kantons drei Voraussetzungen genügen. Unter diesen vier Voraussetzungen finden sich zwei, welche auch bei der Kausalhaftung gegeben sein müssen, nämlich ein Schaden und ein adäquater Kausalzusammenhang. Bei den beiden anderen Voraussetzungen handelt es sich um eine Vertragsverletzung, welche an die Stelle des widerrechtlichen Verhaltens tritt, und um ein Verschulden der Person, die den Schaden verursacht hat. Die vorsorgebeauftragte Person, der Ehegatte, die eingetragene Partnerin bzw. der eingetragene Partner oder der Vertreter bei medizinischen Massnahmen haften somit nur, wenn ihnen ein Verschulden vorgeworfen werden kann, wobei es sich um ein absichtliches oder ein fahrlässiges Verschulden handeln kann. Liegt kein Verschulden vor, so haften die genannten Personen nicht. Es muss aber daran erinnert werden, dass in diesen Fällen das Verschulden der Person, die den Schaden verursacht hat, vermutet wird. Denn das Gesetz geht davon aus, dass im Fall einer Schlechterfüllung des Vertrags dem Schuldner der Leistung ein Verschulden vorzuwerfen ist. Dies hat zur Folge, dass bei Haftungsklagen aus Vertrag nicht die geschädigte Person den Nachweis zu erbringen hat, dass der Person, die den Schaden verursacht hat, ein Verschulden vorzuwerfen ist. Es ist vielmehr an Letzterer zu beweisen, dass ihr kein Verschulden vorgeworfen werden kann. In diesem Punkt befindet sich die geschädigte Person somit in einer besseren Position als die Person, die den Schaden verursacht hat. Die Tatsache, dass es sich hierbei um eine Vertragshaftung handelt, hat auch zur Folge, dass die ordentliche Verjährungsfrist statt einem Jahr zehn Jahre beträgt. Die Frist beginnt am Tag zu laufen, an dem die Forderung fällig ist.

2.5. Massnahmen, für die keine Haftungsregeln vorgesehen sind Nachdem wir einen Überblick über die verschiedenen Massnahmen und die jeweils anwendbaren Haftungsregeln gegeben haben, stellen wir fest, dass für bestimmte Massnahmen keine Regelung vorgesehen ist. Dies ist der Fall für die Patientenverfügung und die Personen, welche sich in einer Wohn- oder Pflegeeinrichtung aufhalten. Eine erste Feststellung lautet dahingehend, dass bei diesen Massnahmen sowohl das System der direkten Haftung des Kantons als auch jenes, welches sich aus den Bestimmungen über den Auftrag ergibt, ungeeignet erscheint. Was die Patientenverfügung betrifft, so bringt der Patient darin seinen Willen über die medizinischen Behandlungen zu Papier, denen er für den Fall einer eintretenden Urteilsunfähigkeit zustimmt oder die er ablehnt. Bei dieser Art von Massnahme liegt somit kein Tätigwerden des Staates vor. Tritt der Fall der Urteilsunfähigkeit ein, so halten sich die Empfänger der Patientenverfügung an diese oder auch nicht. Wird dadurch im konkreten Fall ein Schaden verursacht, 32

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so ist es nicht am Kanton, dafür geradezustehen, sondern an der Person oder Einrichtung, die ihn verursacht hat. Er erscheint deshalb vernünftig, hier eine primäre Staatshaftung auszuschliessen. Auf der anderen Seite handeln die Empfänger der Patientenverfügung auch nicht als Beauftragte oder als Vertreter des Patienten. Es liegt deshalb weder eine auftragsähnliche vertragliche Beziehung noch eine rechtliche Vertretung vor. Damit rechtfertigt sich auch der Ausschluss der Haftung nach Auftragsrecht. Dies heisst unseres Erachtens aber nicht, dass sich eine Person, welche im Rahmen dieser Massnahme einen Schaden verursacht hat, jeglicher Haftung entziehen kann. Gegebenenfalls käme je nach konkretem Fall eine Deliktshaftung in Frage, welche an einem Verschulden der handelnden Person anknüpft. Auch wenn zwischen dem Verfasser der Patientenverfügung und deren Empfängern keine vertragliche Beziehung besteht, kann im Übrigen trotz allem beispielsweise zwischen dem Verfasser der Verfügung und dem Arzt eine solche vertragliche Beziehung bestehen. In diesem Fall verbindet diese beiden Personen ein Auftragsverhältnis, welches allerdings nicht auf der Patientenverfügung, sondern auf der therapeutischen Beziehung beruht. Auch in diesem Fall könnte man deshalb eine Haftung aus Vertrag konstruieren. Vorbehalten bleibt selbstverständlich der Fall, in dem der Verfasser der Patientenverfügung eine natürliche Person bezeichnet, welche damit betraut wird, im Fall seiner Urteilsunfähigkeit mit dem behandelnden Arzt die medizinischen Massnahmen zu besprechen und in seinem Namen zu entscheiden, wie dies nArt. 370 Abs. 2 ZGB vorsieht. Dieser Fall entspricht in Tat und Wahrheit jenem des per Auftrag bezeichneten medizinischen Vertreters und unterliegt deshalb den Regeln der Haftung nach Auftragsrecht. Was die in einer Wohn- oder Pflegeeinrichtung untergebrachten Personen betrifft, kann erwähnt werden, dass die rechtliche Beziehung zwischen der Person und der Einrichtung auf einem Vertrag beruht, der gemäss nArt. 382 ZGB als Betreuungsvertrag bezeichnet wird. Es liegt somit eine Situation vor, in der die Erwachsenenschutzbehörde grundsätzlich nicht einzuschreiten hat, was den Ausschluss der primären Haftung des Kantons rechtfertigt. Da zwischen der Einrichtung und der darin untergebrachten Person auf jeden Fall eine vertragliche Beziehung besteht, wird ein möglicher Schaden nach den Bestimmungen über die Haftung aus Vertrag zu ersetzen sein.

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