Theorie der Geldpolitik Prof. Dr. Gerhard Illing Seminar für Makroökonomie Universität München
Skript Sommersemester 2007
Vorlesung: Mi, 9-12 Uhr, Hörsaal A 125 Übung: Dipl.-Vw. Stephan Sauer Do, 16:00-18:00 Uhr, oder 18.00-20:00 Uhr Hörsaal A 125 ab 19.4. 2005
Kapitel 1 Seite 0
1. Geldtheorie und Politik- Einführung Lernziel: Verständnis moderner Geldtheorie und -politik Arbeiten mit modernen Medien (Internet) Entscheidend: Aktive Mitarbeit (Übung) Literatur lesen; Übungsaufgaben vorbereiten Basisliteratur: Illing, Theorie der Geldpolitik, 1997 Ergänzung für Grundlagen: Blanchard, Illing (2006), Makroökonomie, 4. aktualisierte Auflage, Pearson Studium, München. Kapitel 14.4, 15.1, 17.2, Kapitel 23-25 Sprechstunde: Di 14:15 – 15.00 (nach Anmeldung) Blockübung empirische monetäre Ökonomie (fakultativ) 18.-20.06.07 Julian von Landesberger, ECB Kapitel 1 Seite 1
1. Geldtheorie und Politik- Einführung
1.1 Grundlagen
Fragestellungen im Lauf der Vorlesung:
Wie funktioniert Geldpolitik? Welche Ziele können / sollten Zentralbanken erreichen? Warum ist es so schwer, Geldwertstabilität zu verwirklichen? Viele Perioden von Inflation, Hyperinflation und Deflation Gibt es einen Konflikt zwischen Preisstabilität und Wachstum bzw. anderen wirtschaftspolitischen Zielen? Warum kommt es zu so unterschiedlichen Entwicklungen in verschiedenen Ländern? Mechanismusdesign: Wie sollte „gute“ Geldpolitik gestaltet werden? Welchen Einfluss haben institutionelle Rahmenbedingungen?
Kapitel 1 Seite 2
1. Geldtheorie und Politik- Einführung 1.1
Grundlagen
Unterscheide zwischen
langfristigen Zusammenhängen zwischen Geld, Inflation und realer Produktion und
kurzfristigen Effekten der Geldpolitik
Einfluss alternativer geldpolitischer Strategien
Zunächst: Kurzer Ausflug in verschiedene Epochen der
Wirtschaftsgeschichte
Ziel: empirische Regelmäßigkeiten aufdecken („Stilisierte Fakten“) als Grundlage: Was sollten geldtheoretische Modelle erklären können?
Kapitel 1 Seite 3
1.1.1 Historischer Exkurs Entwicklung des Preisniveaus in England 1660-1990
Warum
sind die Preise im Lauf des letzten Jahrhunderts so stark gestiegen? Wechsel vom Goldstandard zu Papiergeld
Wie
können wir die Preisentwicklung überhaupt messen? (Geeigneter Warenkorb; Statistik) Kapitel 1 Seite 4
1.1.1 Historischer Exkurs Worauf kommt es an:
Stabiles Preisniveau oder geringe Veränderung des Preisniveaus?
Wann kommt es zu
Hyperinflation? - langfristige Analyse (Kapitel 1/2)
Warum gibt es überhaupt
Inflation?
Kosten und Nutzen der Inflation (Kapitel 1/2)
Warum kam es in den 70er
Jahren zu hoher Inflation?
Möglicher Grund für den Anstieg der Inflation: Anreize der Geldpolitik (ab Kapitel 5)
Kapitel 1 Seite 5
1.1.1 Historischer Exkurs: Phillipskurve Trade Off zwischen
Phillips-Kurve von 1956 bis 1973
Inflation und Arbeitslosenrate Warum löst sich der Zusammenhang auf?
8
Inflationsrate
7
1973
6 5 4 3
1956
2 1 0 0
1
2
3
4
5
Arbeitslosenquote
Unterscheide zwischen Angebots- und Nachfrageschocks; (Kapitel 3+4)
Theorie rationaler Erwartungen (Kapitel 5)
Phillips-Kurve für die BRD (alte Länder) 1954 bis 1996 8
Inflationsrate
7
1974
6 5 4
1979
3 2
1989 1964 1969
1
1996
1959 1954
0 -1 0
1994 1984
2
4
6
8
10
12
Arbeitslosenquote
Kapitel 1 Seite 6
1.1.1 Historischer Exkurs: Ölpreisschocks 28 23 18 13 8 3 -2 1957
1963
1969
1975
1981
Deutschland
1987
1993
1999
Italien
Warum war der Anstieg in manchen Ländern (Italien) so stark?
Einfluss der Spielregeln: Unabhängigkeit; Zentralbankverfassung (Kapitel 6); Politökonomische Aspekte (Kapitel 8) Kapitel 1 Seite 7
1.1.1 Historischer Exkurs: Unabhängigkeit
Zusammenhang zwischen Unabhängigkeit und Stabilitätsperformance
Cukierman Index d – rate of depreciation in the real value of money comp – compliance to law (legal time in office) LVAW – aggregate measure of legal independence
Quelle: Cukierman (1992), S. 421 Kapitel 1 Seite 8
1.1.1 Historischer Exkurs: 90er Jahre
Weltweiter Rückgang der Inflationsraten in den 90er Jahren Trend zu unabhängigen Zentralbanken (Kapitel 6)
20 16
Inflationsraten
12
USA, Japan, D, UK
8
Neuseeland
4
1980-2000
0 -4 1980
1985 Deutschland
1990 USA
UK
1995 Neuseeland
2000 Japan
Ende der 90er Jahre: Furcht vor Deflation Kapitel 1 Seite 9
1.1.1 Historischer Exkurs
Euroraum: Angleichung der Inflationsraten
50 40 30 20 10 0
38 33 28 23 18 13 8 3 -2 1957
-10 Jan 00
1963
1969
JulBelgien 00
Polen Ukraine
1975
1981
1987
Jan 01Spanien Jul 01
1993 Portugal Jan 02
1999
Jul 02
Italien Finnland Irland Griechenland Niederlande BulgarienFrankreich Slowenien Slowakei Luxemburg Ungarn Deutschland RusslandÖsterreich Litauen
LettlandInflationsraten EstlandIn Euro-Ländern Rumänien Einheitliche Geldpolitik: Does one size fit all? Osteuropa? Kapitel 1 Seite 10
1.1.1 Historischer Exkurs
Fragen:
Wie lässt sich Preisstabilität erreichen? Sollte Preisstabilität überhaupt angestrebt werden? Sind Stabilisierungsprogramme kostspielig? Wie entsteht eigentlich Inflation? Warum kommt es zu Hyperinflation? Warum ist Deflation gefährlich? Wie erklären sich die Inflationsdifferenzen zwischen Ländern? Warum verändert sich die Beziehung zwischen nominalen und realen Variablen im Zeitablauf? Welchen Einfluss hat Unabhängigkeit der Zentralbank auf die Preisstabilität?
Notwendig: Grundmodell, um diese Fragen zu beantworten
Kapitel 1 Seite 11
1.1.2. Geldnachfrage und Geldangebot Standardansatz: Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Geldmarkt Intuition:
Abwägen: unverzinsliche liquide Zahlungsmittel ↔ illiquide langfristige Anlagen mit hohen Renditen Aber: Kontinuum von Anlageformen (zum Teil enge Substitute)
Was ist überhaupt Geld? Wer ist Anbieter, wer Nachfrager? Zusammenspiel zwischen privaten Akteuren, Geschäfts- und Zentralbanken Zahlung mit Electronic Money, Smart Cards, Handy: verschwindet Geld? Derzeit stark diskutiert: „Liquiditätsschwemme“ „Greenspan Conundrum“ Langfristige Zinsen niedriger als kurzfristige (inverse Zinsstruktur) Ben Bernanke: „Global Savings Glut“ Was ist Liquidität? Modellierung: moderne Finanzmarkttheorie Kapitel 1 Seite 12
1.1.2. Geldnachfrage und Geldangebot Was ist Geld? Was bestimmt die Geldnachfrage; Was bestimmt das Geldangebot?
Makroökonomisches Grundmodell: Geldmarktgleichgewicht
Geldangebot = Geldnachfrage (Quantitätsgleichung)
M = M (i,Y ) = k (i) ⋅ Y r P formuliert in Änderungsraten: •
M M
=
μ =
•
k k •
k k
•
•
+ P + Y ; P Y + π + y Kapitel 1 Seite 13
1.1.2. Geldnachfrage und Geldangebot Geldmengenaggregate: Was bedeutet M0, M1, M2 ...? EZB Definition:
M0:
Geldbasis: Bargeld + Einlagen der Geschäftsbanken bei der Zentralbank
M1:
Bargeldumlauf im Nichtbankensektor + täglich fällige Einlagen von Privatpersonen bei Geschäftsbanken
M2:
M1 + kurzfristige Einlagen (dreimonatige Kündigungsfrist sowie Termineinlagen mit vereinbarter Laufzeit bis zu 2 Jahre )
M3:
M2 + Geldmarktfondanteile, Geldmarktpapiere und Repogeschäfte
Kapitel 1 Seite 14
1.1.2. Geldnachfrage und Geldangebot
M0 erfasst die von der Zentralbank direkt kontrollierbare Geldmenge (Zentralbankgeldmenge, Geldbasis)
M1 erfasst den Teil des Geldes, der als direktes Zahlungsmittel unmittelbar zur Verfügung steht (Tauschmittelfunktion des Geldes)
M2 umfasst zusätzlich den Teil, der als temporäres und teilweise auch permanentes Kaufkraft- oder Wertaufbewahrungsmittel dient
M3 betont am stärksten Wertaufbewahrungsfunktion.
Kapitel 1 Seite 15
Geldmengenaggregate im Euroraum Euroraum Dezember 2005 Basisgeld im Euroraum 2005 H: 693 Mrd. € (Tabelle 1.4, S. 9 EZB Monatsbericht) BIP (PY) 7974 Mrd. € → H/PY = 8,7%
Kapitel 1 Seite 16
1.1.2.1 Geldnachfrage Quantitätstheorie: stabiler Zusammenhang zwischen Wachstumsrate der Geldmenge und Inflation, sofern k konstant
π =μ − y−
•
k k
Gilt nicht für M1 Gilt auch nicht für M3 k verändert sich Hohe Substitutionalität von Assets erzeugt instabile Geldnachfrage
Kapitel 1 Seite 17
1.1.2.1 Geldnachfrage Geldnachfrage abhängig von Transaktionsvolumen PY und Zins i Entwicklung des Kassenhaltungskoeffizienten (k=M/PY) Vergleich Deutschland - USA 30,00% 28,00% 26,00% Kassenhaltungskoeffizienten
24,00% 22,00% 20,00% 18,00% 16,00% 14,00% 12,00% 10,00% 1965
1970
1975
1980
1985
Deutschland
1990
1995
2000
USA
Kapitel 1 Seite 18
1.1.2.1 Geldnachfrage Geldnachfrage: inverse Beziehung zum Zins i 28,00%
Kassenhaltungskoeffizient 14,0%
12,0% 24,00%
Zinssatz
10,0% 22,00% 8,0%
20,00%
6,0%
18,00%
4,0%
16,00%
2,0%
14,00% 1970
1975
1980
1985
1990
1995
Kassenhaltungskoeffizient
26,00%
Zinssatz
k=M/PY
2000
Deutschland: Zinsentwicklung und Kassenhaltung Kapitel 1 Seite 19
1.1.2.1 Geldnachfrage und Opportunitätskosten der Geldhaltung
EZB MB März 2003, Abb. 4
1)
Opportunitätskosten von M3 (rechte Skala) Definiert als die Differenz zwischen dem Geldmarktsatz für Dreimonatsgeld und der Eigenverzinsung von M3.
2)
Reales M3-Wachstum abzüglich des realen BIP-Wachstums (linke Skala) Berechnet als Differenz zwischen dem mit dem BIP-Deflator bereinigten M3Wachstum und dem realen BIPWachstum.
Kapitel 1 Seite 20
1.1.2.1 Geldnachfrage 2007: Wachstum der Geldmenge M3 liegt weit über dem Referenzwert
Erklärungsansätze? Literatur: Deutsche Bundesbank Monatsbericht Januar 2005 Der Zusammenhang zwischen Geldmenge und Preisen
Quelle: Monatsbericht der Deutschen Bundesbank Februar 2007, S. 23
Kapitel 1 Seite 21
1.1.2.1 Geldnachfrage Portfolioumschichtungen beeinflussen Geldhaltung:
M3 korrigiert: Berücksichtigt Einfluss der Volatilität auf Geldnachfrage Zumindest kurzfristig: Zentralbanken akkommodieren den Liquiditätsbedarf → Geldnachfrage bestimmt Geldmengenwachstum Zentralbanken versuchen, Liquiditätsbedarf über den Zins zu steuern
Kapitel 1 Seite 22
1.1.2.1 Geldnachfrage Baumol/ Tobin Modell Theoretische Analyse: Bestimmungsgründe der Geldnachfrage Grundlage: Transaktionskostenansatz von Baumol / Tobin:
P ⋅Y M= 2t
Optimale Zahl t der Transaktionen? Wäge zwei Effekte der Geldhaltung ab: 1) Opportunitätskosten der Geldhaltung: Zinsverlust i M 2) Kosten der Umwandlung: K= αP t + βPY: Bei jedem Umtausch in Geld entstehen reale Kosten: a) Fixkosten αP (Schuhsohlenkosten) je Transaktion t
b) Proportionale Umwandlungskosten βP Nominale Kosten steigen mit Preisniveau P Minimiere die Gesamtkosten:
K = iM + Pα t + Pβ Y = iM + Pα
PY + Pβ Y 2M
Kapitel 1 Seite 23
1.1.2.1 Geldnachfrage Baumol/ Tobin Modell Theoretische Analyse: Baumol / Tobin Ansatz liefert Geldnachfragefunktion ⎛ αY M = k (i , Y ) Y = ⎜⎜ ⎜ 2i P ⎝
1/ 2
⎞ ⎟ ⎟ ⎟ ⎠
α = ⎛ ⎜ ⎜ ⎜ ⎝
2iY
1/ 2
⎞ ⎟ ⎟ ⎟ ⎠
Y
•
Reale Geldnachfrage homogen vom Grad Null im Preisniveau (Realkasse) • Negative Zinselastizität; Einkommenselastizität kleiner als Eins (1/2) Modifikationen: • Finanzinnovationen können Geldhaltung attraktiver oder auch überflüssig machen • Geld als Vermögensanlage → mit steigendem Vermögen W steigt Geldnachfrage [Geld als Wertaufbewahrungsmittel] • Externe Faktoren: Schwarzmarktaktivitäten, internationale Reservewährung
Empirische Analyse: längerfristig relativ stabiler Zusammenhang zwischen Geldmengenwachstum und Inflation kurzfristig: starke Zunahme der Volatilität der Geldmenge → Beeinträchtigung der Prognosequalität der Geldmengenentwicklung Kapitel 1 Seite 24
1.1.2.1 Geldnachfrage Portfolio-Theorie Optimierungskalkül: wäge ab zwischen Kosten der Geldhaltung (Zinsverlust) und Liquiditätsvorteilen (Ersparnis an Transaktionskosten, Zahlungs- und Wertsicherheit) Unsicherheit: → Vorsichtsmotiv; Spekulationsmotiv a) Theorie der Spekulationskasse (Keynes): (subjektiv sichere) Erwartungen über Zinsänderungen → Geldhaltung vermeidet Risiko von Kapitalverlusten b) Portfoliotheorie (Tobin): Optimale Diversifikation risikoaverser Anleger Keine Dichotomie zwischen Geldnachfrage und Nachfrage nach anderen Aktiva
Quintessenz für die Geldnachfrage: Ein bestimmter Anteil Geld (als risikofreie Anlage) wird in jedem effizienten Portfolio gehalten. Mit steigendem Zins geht die Geldnachfrage zurück; mit steigendem Finanzvermögen und bei zunehmender Unsicherheit nimmt sie zu Kapitel 1 Seite 25
1.1.2.1 Geldnachfrage Portfolio-Theorie μ/ σ Ansatz: Risikoaverse Anleger mischen zwischen effizientem riskanten Marktportfolio M und risikoloser Geldanlage G
Kapitel 1 Seite 26
1.1.2 Geldangebot Kann die Zentralbank das Geldangebot überhaupt steuern? Zentralbank stellt Liquidität (Zentralbankgeld bzw. Geldbasis H) bereit. Die Geldmenge M wird aber auch von den Geschäftsbanken und der Bargeldnachfrage der Haushalte bestimmt. Beziehung zwischen M und H ist abhängig vom Verhalten aller drei beteiligten Gruppen 1) Haushalte: Nachfrage nach Bargeld und Sichteinlagen Geldmenge: C: Bargeld (cash) + D: Einlagen (deposits) 2) Geschäftsbanken: Nehmen Sichteinlagen ein und gewähren Kredite; dabei müssen sie sich bei Zentralbank refinanzieren 3) Zentralbank: schafft Zentralbankgeld H (Geldbasis) (High powered money) H = C+ R R: Reservehaltung der Geschäftsbanken
Kapitel 1 Seite 27
1.1.2 Geldangebot Zentralbank: kontrolliert Geldbasis H = C+ R (falls sie Zusammensetzung der Aktiva (wie Währungsreserven) kontrollieren kann) Wie kann D indirekt über R von der Zentralbank beeinflusst werden?
Aktiva
Passiva
Währungsreserven Gold Refinanzierungskredite an Geschäftsbanken
sonstige Aktiva (Nettoverschuldung öffentlicher Haushalte)
Bargeld C
Einlagen der Geschäftsbanken R
D abhängig vom Kreditschöpfungsspielraum der Geschäftsbanken
Falls R = r D : Steuerung von R reguliert indirekt D und damit M
Kapitel 1 Seite 28
1.1.2 Geldschöpfungsmultiplikator Beispiel eines Geldschöpfungsprozesses: Vereinfachungen: 1) Nichtbanken halten Bargeld und Sichteinlagen in fixer Proportion: C=kD 2) Gewünschte Reservehaltung der GB r sei gegeben 3) Geldbasis H wird direkt von ZBK festgelegt (Mengenpolitik)
Ausmaß der Geldschöpfung abhängig von a) gewünschter Reservehaltung b) Sickerverlusten, weil ein Teil der Sichteinlagen in Form von Bargeld genutzt wird. H=C+R
ZBK-Geldmenge
Bargeldnachfrage C=k D
M=C+D
Geldmenge
Reservehaltung: R=r D
Kapitel 1 Seite 29
1.1.3 Geldpolitische Instrumente Zins- vs. Geldmengensteuerung Wie kann eine Zentralbank das Geldangebot steuern? Bedingung für Geldmengenstrategie: prognostizierbare Beziehung zwischen Geldmengenentwicklung und Inflationsrate Geldmenge als verlässlicher Indikator (Zwischenziel) der Preisentwicklung hängt wesentlich vom Verhalten der Nachfrager nach Geld ab Falls die Geldnachfrage instabil ist (starke Schwankungen auftreten), erzeugt Geldmengensteuerung Schwankungen der Produktionstätigkeit. Geldnachfrage instabil bei hoher Substitutionalität zwischen verschiedenen Assets
Dann ist Zinssteuerung überlegen Illustration: Keynesianisches IS-LM Modell
William Poole (1970) Kapitel 1 Seite 30
1.1.3 Geldpolitische Instrumente Zins- vs. Geldmengensteuerung Instabile Geldnachfrage: Geldmengensteuerung destabilisierend i ζ1
ζ2
i
y^1
y
y^2
y Kapitel 1 Seite 31
1.1.3 Geldpolitische Instrumente der EZB Konzeption der EZB - Kern: Offenmarktgeschäfte mit Ober- und Untergrenze wöchentliche Standardtender (Zins- oder Mengentender) mit einwöchiger Laufzeit Mengentender (Preispolitik): Refinanzierungskonditionen (Zins) werden festgelegt: Nachfrage der Geschäftsbanken bestimmt Liquiditätsmenge Zinstender (Mengenpolitik): Angebot an Refinanzierung ∼ Zinssatz endogen Zusätzlich: längerfristige Refinanzierungsgeschäfte und Feinsteuerungsoperationen (bei unerwarteten Liquiditätsschwankungen) Ständige Fazilitäten: Ober- und Untergrenze für Tagesgeld Spitzenrefinanzierungsfazilität (Bundesbank: Lombardkredite) Einlagefazilität (Bundesbank: Diskontkredite)
Kapitel 1 Seite 32
1.1.3 Geldpolitische Instrumente der EZB
Kapitel 1 Seite 33
1.1.3 Geldpolitische Instrumente der EZB Auktionsverfahren für Bankenliquidität Mengentender: EZB setzt Zinssatz fest; GB fragen Mengen nach Zuteilung proportional zur jeweils nachgefragten Menge (Repartitionierung) Zuteilungssatz: Zuteilungsvolumen / Gesamtangebot an Wertpapieren Enormes Overbidding (Mengentender bis 28.6.2000) Zinstender: GB geben neben Nachfragemenge auch Zinssatz an, zu dem sie bereit sind, „Wertpapiere in Pension“ zu geben EZB legt aber Mindestbietungszins fest (als Leitzins) Zwei Verfahren: Holländische Auktion: Zuteilung zu einheitlichem Zinssatz (zum höchsten Zinsgebot, das das bestehende Zuteilungsvolumen ermöglicht) Anreize zu strategischem Bieten für kleine Banken Amerikanische Auktion: Zuteilung zu den tatsächlich gebotenen Sätzen, bis das beabsichtigte Volumen erreicht ist Kapitel 1 Seite 34
1.1.3 Geldpolitische Instrumente der EZB
Kapitel 1 Seite 35
1.1.4 Wirkungsmechanismen der Geldpolitik Geldpolitik wirkt über Geldmengen- oder Zinssteuerung auf aggregierte Nachfrage
Expansive Geldpolitik: Kurzfristig: Stimulierung von Nachfrage und Produktion; Mittel- bis langfristig: Wirkung nur auf die Preise (Inflation)
IS-LM Analyse: Verschiedene Transmissionskanäle
Zinskanal
Wechselkurskanal
Real Balance Effekt (Vermögenspreise)
Erwartungskanal Kapitel 1 Seite 36
1.1.4 Wirkungsmechanismen der Geldpolitik
Marktzins Inlandsnachfrage Vermögenspreise Zentralbank Zins
Aggregierte Nachfrage
Inflationsdruck im Inland
Nettoauslandsnachfrage Erwartungen
Wechselkurs
Inflation Importpreise
Geldpolitische Transmissionsmechanismen Kapitel 1 Seite 37
1.1.4 Wirkungsmechanismen der Geldpolitik Standard Transmissionsmechanismus: Zinskanal (IS-LM Modell)
Kapitel 1 Seite 38
1.1.4 Wirkungsmechanismen der Geldpolitik Zinskanal im IS-LM Modell Probleme: a) Zentralbank beeinflusst Nominalzins; Investitionen hängen aber vom Realzins ab! Y = C (Y – T) + I (Y, r) + G Wie werden Veränderungen des Nominalzinses auf Veränderungen des Realzinses übertragen? Ausgangspunkt: Fishersche Zinsgleichung: Nominalzins: Summe aus Realzins + Inflationserwartungen: i = r+ πe Realzins: r=i-π Vgl. Blanchard/Illing Kapitel 14.1; 14.3; 14.4
rex post = r + π e - π
Kapitel 1 Seite 39
1.1.4 Wirkungsmechanismen der Geldpolitik Integration in IS/LM Modell: Falls π=πe= konstant: Nominalzinsänderung entspricht Realzinsänderung
Kapitel 1 Seite 40
1.1.4 Wirkungsmechanismen der Geldpolitik Zinskanal im IS-LM Modell Probleme: b) Zinselastizität der Investitionen ist relativ niedrig (steile IS-Kurve)
Kapitel 1 Seite 41
1.1.4 Wirkungsmechanismen der Geldpolitik Andere Transmissionskanäle im IS-LM Modell Wechselkurskanal: Abwertung stimuliert Nettoexporte Erwartungskanal: Aussicht auf zukünftig niedrige Zinsen senkt Realzins und stimuliert so heute schon aktuelle Nachfrage
Expansive Geldpolitik verschiebt auch die IS-Kurve nach rechts
Kapitel 1 Seite 42
1.3 Wirkungsmechanismen der Geldpolitik
Geldpolitische Transmissionsmechanismen
Kapitel 1 Seite 43
1.1.5 Erwartungskanal: Zinsstruktur Zusammenhang zwischen kurz- und langfristigen Zinsen: Geldmarkt dient der Liquiditätsversorgung → Zins für kurzfristige Papiere (kurze Laufzeiten). Die Zentralbank beeinflusst direkt nur den Zins auf dem Geldmarkt (durch Refinanzierungskonditionen, Liquiditätsverknappung, ...) Für Investoren von Realkapital ist aber der langfristige Realzins entscheidend. Inwiefern kann die Zentralbank diesen Zins beeinflussen? „Interest rate smoothing:“ mehrere Zinsschritte in die gleiche Richtung: Zinsentscheidungen haben Signalcharakter als Indiz für zukünftigen Verlauf der Zinsentwicklung (entscheidender Faktor: Kommunikation!) Erwartungen über zukünftigen Verlauf der Zinsen haben starken Einfluss auf die Zinsstruktur (Yield Curve). Kapitel 1 Seite 44
1.1.5. Erwartungskanal 7,00% Federal Funds Target Rate (FED)
6,00% Mindestbietungssatz (EZB)
5,00%
4,00%
3,00%
2,00%
07.2003
04.2003
01.2003
10.2002
07.2002
04.2002
01.2002
10.2001
07.2001
04.2001
01.2001
10.2000
07.2000
04.2000
01.2000
10.1999
07.1999
04.1999
0,00%
01.1999
1,00%
Kapitel 1 Seite 45
1.1.5 Erwartungskanal: Zinsstrukturkurve Erwartungen über zukünftigen Verlauf der Zinsen haben starken Einfluss auf die Zinsstruktur (Yield Curve). Zinsstruktur gibt Aufschluss über Einschätzung der Finanzmärkte
Kapitel 1 Seite 46
1.1.5 Erwartungskanal: Zinsstrukturkurve Zwei Sichtweisen zur Beziehung zwischen Renditen homogener festverzinslicher Wertpapiere mit unterschiedlicher Restlaufzeit (Zusammenhang zwischen kurz- und langfristigen Zinsen): a)
Klassische Erwartungstheorie: Zinsarbitrage → langfristiger Zinssatz entspricht dem geometrischen Mittel der erwarteten kurzfristigen Zinsen (setzt Risikoneutralität voraus) Existenz von Arbitrageuren erzwingt Fristentransformation → Papiere mit unterschiedlicher Laufzeit sind perfekte Substitute (ohne Risikoaufschlag)
b) Liquiditätstheorie: Risikoprämie für längere Laufzeiten
Kapitel 1 Seite 47
1.1.5 Erwartungskanal: Zinsstrukturkurve a)
Klassische Erwartungstheorie
il Zins für langfristiges Papier (Laufzeit T) ik Zins für kurzfristiges Papier (Laufzeit 1) Arbitragebedingung:
(1+ il ) T = (1+ i1)(1+ i2 )(1+ i3)...(1+ iT )
Beispiel: Sei T=2: il = ½ [i1 + E(i2)] Implikation: Falls keine Zinsänderungen erwartet werden: konstante Zinskurve: il = ik Falls Zinssteigerungen erwartet werden: Steigende Zinsstruktur (il > ik) Falls Zinssenkungen erwartet werden: Fallende Zinsstruktur (il