Geldpolitik in Zeiten der Finanzkrise

Geldpolitik in Zeiten der Finanzkrise Prof. Dr. Gerhard Illing Seminar für Makroökonomie, LMU http://www.sfm.vwl.uni-muenchen.de/index.html Vorlesung...
Author: Norbert Sauer
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Geldpolitik in Zeiten der Finanzkrise Prof. Dr. Gerhard Illing Seminar für Makroökonomie, LMU http://www.sfm.vwl.uni-muenchen.de/index.html

Vorlesung "Topics in Economics“ Gratwanderung zwischen Deflation und Inflation? Geldpolitik in der Finanzkrise Literatur: Blanchard/Illing, Makroökonomie 2009, Kapitel 22 Paul de Grauwe, Governance of a fragile Eurozone

Teil 1: Gratwanderung zwischen Deflation und Inflation? 30.11.11 Teil 2: Die Krise im Euroraum – Das Ende des Euro? 7.12.11

© Prof. Dr. Gerhard Illing

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Eurodämmerung? Chaos in Europa – Bricht der Euroraum zusammen? Im Kern: Kein wirtschaftliches Problem, sondern ein Problem angemessener politischer Governance-Strukturen Euroraum: Region mit hohem Potential, sofern der institutionelle Rahmen angemessen angepasst wird Euro wurde geschaffen als “entpolitisierte Währung” – Preisstabilität als klares Mandat übertragen an eine unabhängige Zentralbank Fehler im Design: Eine gemeinsame Währung kann ohne zentralen fiskalischen Gegenpart nicht funktionieren → Transfer nationaler Souveränität auf europäische Ebene notwendig Zwei realistische Optionen: a) Rückkehr zu nationalen Währungen (Scheitern des europäischen Projekts) b) Kühner Schritt zu verstärkter europäischer Integration mit einer Zentralregierung, die Regeln durchsetzen und Verstöße sanktionieren kann Aktuelle Krise: Chance, die richtigen Weichen zu stellen “Vereinigte Staaten von Europa” ~ Europa der zwei Geschwindigkeiten .

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Der Euro: Eine politische, keine ökonomische Entscheidung! „ Otmar Issing: vor 1998

Skepsis gegenüber dem Euro „ „Die Währungsunion ist für diese

im Weltmaßstab kleinen Länder (Europa) letztlich der logische Endpunkt der wirtschaftlichen und politischen Integration. Ich habe lange Zeit Bedenken geäußert, mit der Währungsunion sozusagen vorgezogen zu beginnen, weil ich das für ein riskantes Unternehmen gehalten habe.“ „ „Die Europäische Währungsunion ist ohne historisches Beispiel.

Der Normalfall lautet: ein Land, eine Währung.“ „ „Meine Präferenz war immer: politische Union und parallel dazu die

Währungsunion als logische Ergänzung. Jetzt läuft das einheitliche Geld voraus. Ich bin sicher, dass die Währungsunion in vielerlei Hinsicht die Defizite im Bereich der politischen Integration deutlich aufdecken wird. Die Politik muss darauf reagieren.“

Spiegel Interview 21.09.1998

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Eurokrise: Das Unmöglichkeitsdreieck Dani Rodrik (Harvard): Wirtschaftliche Integration (Globalisierung), Demokratie und nationale Souveränität sind nicht miteinander kompatibel → Integration erfordert Aufgabe nationaler Souveränität (Eurostaat) Wirtschaftliche Integration Politische Union

Nationale  Souveränität

Demokratische  Legitimation

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Fehler im Design des Euroraums Illusion: Vertrauen auf minimale fiskalische Koordination durch den Stabilitäts- und Wachstumspakt Design Fehler der EZB: Fehlen eines zentralen fiskalischen Gegenparts, der die impliziten fiskalischen Risiken eines Lenders of last resort übernimmt CFS Conference in Frankfurt Juni 1999 Systemic Risk and Lender of Last Resort Facilities Garry Schinasi (IMF): National central banks as lender of last resort cannot work if pan-European banks are in trouble Padoa Schioppa (ECB): This will only be an issue for the future, since financial markets in Europe are up to now are still not highly integrated. Charles Goodhart: He who pays the piper calls the tune Letztlich muss der Steuerzahler die Risiken tragen

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Reformansätze zur Sicherung des Euro Kernthesen: „ Der Euro ist eine politische Entscheidung „ Zentral: Kein Ökonomisches, sondern ein politisches Problem: „ Angemessene Institutionen für eine Währungsunion?

Glaubwürdige Institutionen (Spielregeln) zur Governance im Euroraum?

„ Währungsunion erfordert politische Union (Issing, Rodrik):

→ Europäische Bankenaufsicht; europäische Fiskalpolitik!

Demokratisch legitimierte Zentralregierung → Eurokrise als Chance zur Neugestaltung der Einheit Europas Aufgabe nationaler Souveränität Problem: Bislang kein politischer Wille zur politischen Union „ Alternativen: Auseinanderbrechen des Euro/ Europas

Durchwursteln keine Option mehr (allenfalls: Ausweitung der EZB Interventionen) 6

Angela Merkel: „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa“

We will do “whatever it takes” to save the euro. What does it take?

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Der Euro: Eine politische, keine ökonomische Entscheidung! Verflechtung der Kapitalmärkte; freier Kapitalverkehr → Rauswurf aus dem Euro als explosive Option! Drohung → Flucht der Anleger aus dem Bankensektor; Zusammenbruch des Finanzsystems Gefahr von Ansteckungseffekten → Chaos und Instabilität im gesamten Euroraum

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Panik im Euroraum nach der Lehman Pleite Typischer Verlauf von Finanzkrisen: Panik im Banken-/Schattenbankensektor Flucht in sichere Anlagen; Gefahr von Ansteckungseffekten

Quelle: EZB

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Bank-Runs in UK und USA

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Bank-Runs in Euroland? Illing, Juni 2010 „Globale Finanzkrise als ethische Herausforderung“ „ Was dann passiert, ist absehbar in einer Währungsunion. Wenn die

deutschen Politiker drohen, kehrt zurück zu eurer Drachme, geht jeder vernünftige Anleger in Griechenland zu seiner Bank und versucht sein Geld zu retten, bevor es nur noch die Hälfte wert ist. In so einer Situation ist ein Bank-Run nahezu unvermeidlich und die Zentralbank kann nicht anders handeln, als sie handelte.

„ Wenn man das weiß und voraussieht, muss man sich vorher

überlegen, was man tut. Entweder lässt man Griechenland den Bach hinuntergehen, oder man sagt: am Ende kommen wir nicht darum herum zu zahlen, aber ich als Zahlmeister möchte dann zumindest die Spielregeln bestimmen. Ich zahle nur, wenn diese Transfers zu meinen Konditionen erfolgen. Das haben wir leider verpasst, das ist in meinen Augen Politikversagen.

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Bank-Runs in Euroland? Hans Werner Sinn (Spiegel-Interview November 2011): „

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Sinn: Mit dem Euro kommen die Griechen nie wieder auf einen grünen Zweig. Ihr Land ist nicht konkurrenzfähig. Die Löhne und Preise sind viel zu hoch. Es ist deshalb im Interesse Griechenlands, aus dem Euro auszusteigen und die Drachme wieder einzuführen SPIEGEL: Wie soll das funktionieren? Sinn: Es muss schnell gehen. Die griechischen Banken müssen für eine Woche geschlossen werden. Es werden alle Konten, alle Bilanzen und auch die Staatsschulden auf Drachme umgestellt, und dann wertet die Drachme ab. Spiegel: Jeder Grieche würde versuchen, noch schnell sein Konto zu räumen. Es würde zu Tumulten kommen. Sinn: Da muss man durch. Es gibt ein lokales Gewitter, und dann scheint wieder die Sonne.

Hans-Jochim Voth, Barcelona (Wirtschaftswoche November 2011) In der Euro-Krise kann die historische Lektion nur lauten: Lieber ein Ende mit Schrecken SZ Magazin 47/2011 Interview mit Gerhard Polt: Haben Sie keine Sorge um den Euro? Ich hab um gar keine Währung Angst. Da inflationiert sich zwar was zusammen, aber es wird immer Leute geben, die wissen wie man einen guten Wein oder ein leckeres Schnitzel macht.

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Auseinanderbrechen des Euro „ Hans-Jochim Voth, Barcelona: Für transnationale Währungsblöcke gibt

es historisch nur wenige Beispiele – etwa Argentinien im Sommer 2001

„ Fehldiagnose: Auseinanderbrechen des Euro vergleichbar mit

Auflösung einer Währungsunion

„ Auflösung der Peso-Bindung an Dollar: Kontrakte in Peso weiterhin

gültig Bei Einführung der Drachme dagegen: evidente Lohnsenkung

Chaos wegen Rechtsunsicherheit:

In welcher Währung müssen Kontrakte erfüllt werden?

„ Chaos: Massive Kapitalflucht der Anleger (Wechsel in Bargeld);

Zusammenbruch des Finanzsystems; massenhafte Pleiten; Rückkehr zu Tauschhandel

„ Politisches Symbol:

Scheitern des Gesamtprojekts Europäische Integration; Zusammenbruch der europäischen Institutionen; Historische Beispiele: Jugoslawien 1991-95; Österreich/Ungarn 1923

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Auseinanderbrechen des Euro Austritt eines Landes bedeutet Auflösung des Euro: zerstört für immer das Vertrauen in die Gemeinschaftswährung a) Müsste heimlich geschehen - über Nacht (Wochenende) Ansteckungseffekte: Bank-Runs in den Nachbarstaaten; Domimoeffekt Zusammenbruch der Partner schädigt deutsche Wirtschaft massiv Enge Verflechtung → nachhaltige Wohlfahrtsverluste auch in Dtld. Extrem teure Stützungsmaßnahmen notwendig b) Wäre ein Austritt Deutschlands eine Option? → massive Aufwertung der DM; massenhafte Pleiten der Exportindustrie Kapitalflucht aus dem Euro-Torso; Verluste im deutschen Finanzsektor Unsinn: Idee eines „reinigenden Gewitters“ Geschichte kann nicht zurückgedreht werden! Politische Dimension: Rückkehr zur Kleinstaaterei; Vertrauensverlust Zusammenbruch stabiler europäischer Institutionen; Bürgerkrieg Beispiel Auflösung des Österreichisch-Ungarischen Reichs: Hyperinflation im vermeintlich stabilsten Teil (Ungarn), weil das Kapital gerade dorthin geflüchtet war

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Impliziter „Bank-Run“ in Irland/ Griechenland

Quelle: Irische und Griechische Zentralbank

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Indiz eines impliziten „Bank-Runs“ (Kapitalflucht) Überschüsse in Italien wandeln sich im Oktober 2011 in Kapitalflucht -103,5

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Was lief schief? Euroraum: Leistungsbilanzüberschuss (Anteil am BIP)

Quelle: OECD Economic Outlook November 2010

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Leistungsbilanzüberschüsse /-defizite 2010 176,1

Internes Problem: Leistungsbilanz im Euroraum insgesamt ausgeglichen.

-72

Quelle: IMF World Economic Outlook Mai 2011

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Was lief schief? Völlig konträre Interpretationen der Leistungsbilanzdefizite: A)

Sorglose Kreditvergabe an Peripheriestaaten im Vertrauen darauf, dass No-Bailout Klausel im Krisenfall nicht greifen wird Diagnose: Exzessive Staatsverschuldung als Hauptproblem. Drastische Sanktionen nötig; Rettungsaktionen verfehlt; ermuntern zu Moral Hazard

B)

Massive Kapitalflüsse in die Peripherieländer im Vertrauen auf Konvergenz dank stabiler europäischer Institutionen (genau wie beim „Aufbau Osteuropa“) Diagnose: unregulierte Kapitalströme verleiten zu ineffizienten „Blasen“ Kurzsichtigkeit der Kapitalmärkte ~ Marktversagen Reform der Governance Struktur in Europa nötig

Problem: Interpretationen sind empirisch kaum unterscheidbar! (Makroökonomische Experimente nicht möglich) „

Allerdings: Großteil der Kapitalströme floss in den Privatsektor

„

Beispiel: Spanien; Irland ~ Musterknaben solider Staatsfinanzen

Falsche Diagnosen können zu kostspieligen Fehlschlüssen führen!

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Hans-Werner Sinn: Die rote Laterne

Quelle: H. W:Sinn, ifo Schnelldienst 23/2002

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Reformansätze zur Sicherung des Euro „ Kernproblem liegt nicht in exzessiver Staatsverschuldung

sondern in Fehlfunktionen der Finanzmärkte! „ Irland/ Spanien: Musterknaben bei Einhaltung der Maastricht Kriterien!

Quelle: OECD Economic Outlook June 2011

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Kernproblem: Divergenzen im Euroraum Unterschiedliche Wirtschaftsentwicklung nach 2000: Stagnation in Kernländern vs. Boom in Peripheriestaaten

Quelle: OECD Economic Outlook June 2011

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Anstieg der Arbeitskosten in Peripherie Griechenland

Irland

Frankreich

Deutschland

Quelle: OECD

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Deutschland wettbewerbsfähig trotz hoher Reallöhne

Quelle: US Bureau of Labor Statistics (BLS)

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Euroraum am Scheideweg Leistungsbilanz im Euroraum insgesamt ausgeglichen. Aber: Griechenland (und andere Peripheriestaaten) sind derzeit - nicht wettbewerbsfähig - überschuldet Wie geht es weiter? Optionen: Mühsamer Anpassungsprozess (Strukturreformen) Austritt aus dem Euroraum (reale Abwertung)

Exit

Unterstützung durch die Kernländer (Transferunion?) Bailout Umschuldung mit Beteiligung privater Gläubiger

Default

Unerfreuliche Optionen; Politische Legitimität?

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Wie geht es weiter? Probleme in GIPS Staaten: Insolvenz oder Illiquidität? Multiple, sich selbst erfüllende Gleichgewichte Problem: Hohe Zinslast verschärft Illiquidität und kann als selbst erfüllende Erwartung Insolvenz auslösen Deshalb: Verzicht auf Rettungsmaßnahmen ist ein Spiel mit dem Feuer Stützungsmaßnahmen durch die EZB seit Mai 2010 unverzichtbar Aber eigentlich nicht Aufgabe der Zentralbank EZB muss als Substitut für fehlenden Zentralstaat handeln Kann Aufkauf von Staatsanleihen zeitlich eng begrenzte Rettungsaktion bleiben? Übernahme der Risiken demokratisch nicht legitimiert Ist „Lending via Eurosystem“ der Beginn impliziter Transferunion/ Hyperinflation? Sinnvoll: konditionale Rettungsaktionen – abhängig von Reformschritten

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Solvenz- oder Liquiditätsproblem? Bei Schuldenquoten B (B1