Theorie der Kernreaktoren Aufbau und Funktionsweise eines Kernkraftwerks insbesondere: der Hochtemperaturreaktor

Facharbeit in Physik von Axel Pospischil Fachlehrer: Ursula Mayer Staatl. Hans-Purrmann-Gymnasium Speyer

Axel Pospischil Februar - Juni 1988

Zusammenfassung Die Kernenergie ist umstritten, wie nie zuvor. Wir sind in Deutschland dabei, alte Reaktoren abzuschalten. Die USA haben den Bau neuer Kraftwerke eingestellt. Diese Facharbeit im Rahmen eines Leistungskurs Physik beschäftigt sich nicht mit den ökologischen Auswirkungen der Kernenergie, er geht auf die Relevanz einer neuen Technik, eines inhärent sicheren Kernkraftwerk Typs ein, den Thorium-Hochtemperaturreaktor.

Ehrenwörtliche Erklärung Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende Arbeit1 selbständig und ohne fremde Hilfe verfasst und keine anderen, als die angegebenen Hilfsmittel verwendet habe. Insbesondere versichere ich, dass ich alle wörtlichen und sinngemäßen Übernahmen aus anderen Werken als solche kenntlich gemacht habe. Speyer, den 14.06.1988 Axel Pospischil

1 Dies ist eine (PDF-) LAT

EX Version des Originaldokuments, dass noch mit Schreibmaschine getippt wurde. Es liegt mir natürlich vor. Der Inhalt ist hier unverändert in elektronischer Form wiedergegeben worden. Das Dokument wurde dazu eingescannt und mit Hilfe einer Texterkennungssoftware umgewandelt. Dieser Prozess war sehr fehleranfällig. Nach besten Wissen und Gewissen wurde das Dokument dann händisch überarbeitet. Es wurden lediglich orthographische und einige grobe Satzstellungsfehler korrigiert, jedoch keine inhaltlichen Änderungen vorgenommen. Fehler können bei diesem Prozess nicht ausgeschlossen werden. Bitte teilen sie mir mit, wenn Ihnen solche Fehler auffallen. Verwenden sie dazu das Kontaktformular meiner Webseite http://www.blue-it.org. Die Arbeit spiegelt die damalige Einschätzung des Autors vor, die sich mittlerweile in vielen Punkten geändert hat. Ergänzt wurde die Arbeit um den Abschnitt ”Aktuelle Links” gleich zu Beginn des Dokuments.

Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis

i

Changelog

iv

Aktuelle Links

iv

Vorwort

vii

1

Kernphysikalische Grundlagen

1

1

Vorverständnis

1

2

Zur Geschichte der Atommodelle

2

3

Der Aufbau der Atome

2

4

Wie ist Energiegewinnung aus Kernspaltung möglich?

8

4.1

Die Bindungsenergien im Atomkern . . . . . . . . . . . .

8

4.2

Die Kernspaltung und die Kernverschmelzung . . . . . . 10

4.3

Wie kommt nun die Anomalie der Bindungsenergie zustande? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

5

Die Kernspaltung 5.1

6

Wie kommt es zur Kernspaltung?

Die Radioaktivität

13 . . . . . . . . . . . . . 13 18

6.1

Alphastrahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

6.2

Betastrahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

6.3

Gammastrahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

6.4

Neutronen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

6.5

Biologische Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

I

7

8

Begriffsdefinitionen 7.1

Wirkungsquerschnitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

7.2

Neutronenreaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

7.3

Moderatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 7.3.1

Wasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

7.3.2

Graphit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

Neutronenhaushalt 8.1

9

24

34

Neutronenschicksal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

Der Brutvorgang

41

9.1

Der Brutstoff Uran-238 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

9.2

Brennstoff Thorium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

2

Das Kernkraftwerk

45

1

Grundaufbau und Funktionsprinzipien

46

2

Die verschiedenen Standardreaktortypen

53

3

2.1

Siedewasserreaktor (SWR)

2.2

Druckwasserreaktor (DWR) . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

2.3

Schneller Brutreaktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58

Hochtemperaturreaktor (THTR)

62

3.1

Das konstruktive und physikalische Grundprinzip . . . . 63

3.2

Der aktuelle Stand der THTR-Entwicklung . . . . . . . . 66

3.3 4

. . . . . . . . . . . . . . . . . 53

3.2.1

AVR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

3.2.2

THTR-300 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

3.2.3

HTR-MODUL 100 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70

3.2.4

Andere HTR-Konzepte . . . . . . . . . . . . . . . . 76

Störfälle beim Betrieb von HTR-Anlagen . . . . . . . . . . 76

Vergleich der Reaktorkonzeptionen

78

4.1

Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78

4.2

Anwendungsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80

II

Verzeichnisse

85

Literaturverzeichnis

86

Abbildungsverzeichnis

87

Tabellenverzeichnis

91

Formelverzeichnis

91

Glossar

92

Index

92

III





Anmerkung Der folgende Abschnitt ”Aktuelle Links zum Thema” ist eine Ergänzung und nicht Bestandteil der originalen Arbeit. 



Changelog 16.03.2011 Korrektur der Links (s.o.). Einige Formeln im Text waren deplaziert. 15.03.2011 Korrektur ”Aktuelle Links”. Einige Links waren nicht mehr aktuell / erreichbar / haben sich geändert.

Aktuelle Links zum Thema 1988 und der Zeit der intensiven Beschäftigung des Autors mit dem Thema Kernenergie ist eine Menge Zeit vergangen. Bemüht man sich jedoch in der aktuellen Presse das Thema THTR zu suchen, so wird man feststellen, wie überraschend aktuell das Thema doch wieder geworden ist und das besonders Entwicklungsländer ein starkes Interesse an der THTR-Technik zeigen. Ob diese Ankündigungen nur Publicity Strategien der Hersteller sind, um eine in Verruf geratene Technologie zu neuem Leben zu erwecken oder tatsächlich die Zukunft der Kernenergie darstellt, sei dahingestellt. Hier findet der Leser eine Auswahl aktueller (2007/2008) Links zum Thema.

S

EIT

E IN A RTIKEL AUS DER Z EITUNG DIE ZEIT (Nr. 28 - 7. Juli 1995) gibt eine gute Übersicht über den deutschen Großversuch, einen Hochtemperaturreaktor zu bauen. ”Der Hochtemperaturreaktor wurde von der Konkurrenz nach allen Regeln der Kunst aus dem Felde geschlagen [. . . ]” å Showdown in Hamm-Uentrop - Schon ein Stück Technik Geschichte? http://www.zeit.de/1995/28/Showdown_in_Hamm-Uentrop

O FFICE OF ADVANCED NUCLEAR RESEARCH A Technology Roadmap for Generation IV Nuclear Energy Systems

IV

å http://www.nuclear.energy.gov/genIV/neGenIV1.html http:// www.nuclear.energy.gov/genIV/neGenIV1.html Table of Contents: - An Essential Role for Nuclear Energy - The Generation IV Technology Roadmap in Brief - Findings of the Roadmap - Recommended R&D for the Most Promising Systems - Recommended Crosscutting R&D -Integration of R&D Programs and PathForward - Members of the Generation IV Roadmap Project - Acronyms L EXIKON ZUR K ERNENERGIE O NLINE Ein Klassiker, der mir damals in Buchform zur Verfügung stand, ist mittlerweile in einer online Version vorhanden: å Koelzer - Lexikon zur Kernenergie http://hikwww2.fzk.de/ kernenergielexikon/ B UNDESAMT FÜR S TRAHLENSCHUTZ Wichtige Informationen zum Thema Endlagerung... å http://www.bfs.de/ H EISE V ERLAGSGESELLSCHAFT - T ECHNOLOGY R EVIEW Suchen Sie auf diesem Wissensserver nach den Stichworten Hochtemperaturreaktor, Kernenergie u.s.w. å http://www.heise.de/tr/

Weitere Links Bitte bilden Sie sich ihre eigene Meinung zum Thema Kernenergie: å Kernenergie Basiswissen: http://www.kernenergie-wissen.de/ å Kernenergie Lexikon: http://www.kernenergie-lexikon.de/ å BUND - Bund für Umwelt und Naturschutz, Stichwort ”Atomkraft”: http://www.bund.net å Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik: http://www.dgap. org/ (dort im Suchen-Dialog nach Kernenergie suchen)

V

å IPPNW - Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung: http://www.ippnw.de/index. html å Greenpeace: http://www.greenpeace.org/deutschland/ (dort suchen nach Kernenergie) å Leben-Nach-Tschernobyl e.V.: http://www.leben-nach-tschernobyl-ev. de/ Der Vollständigkeit halber soll die Internet Seite ”R EAKTORPLEITE ” noch erwähnt werden. Ich möchte jedoch betonen, dass sich der Autor nicht mit der Darstellung und den politischen Zielen dieser Seite identifizieren kann. Jedoch zeigt Sie, dass der Protest rund um den THTR - und die Antiatomkraftbewegung - immer noch in vollem Gange ist, besonders wenn wie hier, die Menschen konkret betroffen sind: å Reaktorpleite.de http://www.reaktorpleite.de/home/index.php

VI

Vorwort Die Konzeption dieses Vorworts, erfolgt aus der Erkenntnis heraus, dass eine nüchterne naturwissenschaftliche Bearbeitung des Themas dieser Arbeit nicht befriedigen kann. Die Konfrontation mit den Problemen, die die friedliche Nutzung der Kernenergie nun einmal aufwirft, muss zu einer engen Vernetzung naturwissenschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Argumente führen. Man könnte natürlich sagen, wir haben andere Probleme. Aber der Strom kommt leider nicht aus der Steckdose und die erneuerbaren Energiequellen sind noch weit davon entfernt, eine marktbestimmende Rolle zu spielen - leider. Der Autor war zum Zeitpunkt der Entstehung dieser Arbeit 18 Jahre alt und steht der Kernkraft kritisch gegenüber. Im Mai 1986, 1 1/2 Jahre zuvor, hatte die TschernobylKatastrophe die Welt erschüttert. Dies, und ein Ferienjob in einem modernen Kernkraftwerk (Biblis Block B), haben ihn dazu bewogen, sich umfassend mit diesem Thema auseinander zusetzen. Der Hauptangriffspunkt gegenüber der Kernenergie ist ihr Umgang mit lebensfeindlichen und äußerst langlebigen radioaktiven Materialien. Sie machen die Nutzung der Kernenergie zu einer Generationen überspannenden Angelegenheit. So sehr man sich auch gegen diesen Punkt heute abzusichern versucht, in dem man auf eine sichere Endlagerung hofft: Die produzierten radioaktiven Stoffe werden bis in ferne Zukunft ein schlummerndes Gefahrenpotential darstellen, dass noch von vielen Generationen sorgsam überwacht und gepflegt werden muss. Dies sollte man bedenken, wenn man einen Ansatzpunkt zur Diskussion sucht. Völlig fehl am Platze sind aber emotionale Argumentationen, die eine imaginäre Gefahr heraufbeschwören, die nun wirklich nicht existent ist. Ganz besonders Wert gelegt werden muss auf den verantwortungsvollen Umgang mit der Kernenergie - der wirtschaftliche Aspekte darf erst in zweiter Linie stehen. Dies ist aber in vielen Ländern der Erde gerade nicht der Fall, wie mannigfaltige Störfälle in kerntechnischen Anlagen mit zum Teil erheblicher radioaktiver Verseuchung der Umwelt und großen Schäden an Menschen, Tieren und Natur beweisen. Ich möchte hier keine SchwarzWeiß-Malerei betreiben, aber doch auf Unterschiede in der sicherheitstechnischen Ausstattung von Anlagen der Kernenergienutzung der Länder dieser Erde hinweisen. Sie ist ein Faktum, dass in ganz besonderem Maß die Verantwortbarkeit dieser Technik bestimmt.

VII

Man kann davon ausgehen, dass eine sicherheitstechnisch sinnvolle Ausstattung sowie Konstruktion und Wartung eines Kernkraftwerks - wird sie gewissenhaft durchgeführt - die Verantwortung für den Betrieb eines Kernkraftwerks rechtfertigt. Eine Spaltstofffreisetzung kann so, auch und gerade im Störfall vermieden werden. So habe ich auch diese Facharbeit als eine Möglichkeit betrachtet, mir ein Bild über das wahre Gefahrenpotential von Kernkraftwerken zu machen. Denn nur durch eingehende Beschäftigung mit diesem komplexen Thema, erweitert sich der Horizont der Argumentation und die Meinungsbildung. So komme ich auch zu einer klaren Aussage über die Lösung meiner Frage: Ist eine Nutzung der Kernenergie in ihrem heutigen Maßstab und ihrer heutigen Form ist für längere Zeit verantwortbar? Meiner Meinung nach: nein! Jedoch ist sie ein Muss für die Lösung heutiger Energieversorgungsprobleme - wir stehen einem Dilemma gegenüber, dass unter Umständen größere Schäden verursachen könnte, als der kurzfristige Einsatz von Kernenergie. Einerseits wird die radikale Schonung der Umwelt gefordert, verpesten wir doch die Luft mit riesigen Mengen von Verbrennungsprodukten (steigender CO2 - Gehalt, Luftschadstoffe). Andererseits macht eine wachsende Weltbevölkerung die Erschließung immer neuer Energiereserven nötig. Die fossilen Brennstoffe gehen in absehbarer Zeit zu Ende. Hier ist die Kernenergie eine echte, saubere Alternative, insofern die Freisetzung radioaktiver Stoffe in die belebte Hemisphäre ausgeschlossen wird. Und dies ist - wie diese Arbeit aufzeigt - technisch machbar. Inwieweit es durchgeführt wird und Techniken eingesetzt werden, die das technisch machbare auch umsetzen , hängt von der Einschätzung der Politik ab. Prinzipiell sind dem verantwortungsvollen Umgang keine Schranken in den Weg gelegt, er ist abhängig von der subjektiven Einschätzung der Menschen, die diese Technik benutzen. Und hier muss man an den gesunder Menschenverstand appellieren, der - einem Überlebenstrieb folgend - der Nutzung der Kernenergie ein Gefahrenpotential zuschreiben sollte, das einen Betrieb von Kernkraftwerken in einer Übergangszeit sinnvoll erscheinen lässt. Obwohl die Kernenergie eine enorme fossile Rohstoffeinsparung mit sich bringt, gibt es darüber hinaus aber nur einen sinnvollen Weg hinzu einer vernünftigen Energiewirtschaft: Weg von der Kernenergie in ihrer heutigen Form einer Grundversorgungsstrategie hin zu sinnvollen Alternativen wie der Wasserstoffwirtschaft auf der Grundlage einer photovoltaischen Energieversorgung und die Nutzung weiterer alternativer Energiequellen. Man sollte sich nicht davon täuschen lassen,

VIII

dass neuere Wege, aus der Atomkraft Energie zu beziehen - wie z.B. der Kernfusion - weniger gefährlich seien. Das Gegenteil ist der Fall, denn hier entstehen noch weitaus gefährlichere Spaltstoffe. Betrachten wir die Sachlage aber einmal realistisch, so zeigt sich, dass auf Grund der derzeitigen technischen Möglichkeiten ein solches Ideal momentan utopisch ist. Für die Industrieländer stellt sich nun die Aufgabe, die Grundlage für ein völlig andere Energieversorgung und Energieverteilung zu legen. Denn nur sie können die dazu notwendigen hohen Anstrengungen vollbringen. Jedoch sollte man sich über die Zeit, die ein solcher Strukturwandel benötigt keiner Illusion hingeben. Sollte es gelingen, so bin ich mir nicht sicher, ob ich dies noch erleben werde. Früher oder später jedoch werden uns die Lebensumstände und eine steigende Bevölkerungsdichte dazu bringen, die Atomkraft in ihrer jetzigen Form - wie auch immer - aus unserer belebten Welt zu verbannen. Für lebensfeindliche Stoffe ist hier auf dieser schönen Erde kein Platz! Axel Pospischil , Juni 1988

IX

1.

Kapitel 1

Kernphysikalische Grundlagen 1

Vorverständnis Allen Systemen, die zur Energieerzeugung herangezogen werden, ist eine grundlegende Arbeits- und Funktionsweise gemeinsam: Durch eine Reaktion oder einen bestimmten physikalischen Vorgang bringt man ein System (z.B. einen Stoff oder eine mechanische Anordnung) von einem energiereicheren Zustand in ein energieärmeres Niveau. Die Energiedifferenz kann zum Verrichten von Arbeit genutzt werden. Dieses Grundprinzip findet überall dort Anwendung, wo Energie erzeugt wird. Man muss allerdings differenzieren, in welcher Art die Energien gespeichert sind, d.h. wie ein bestimmter Energiezustand realisiert ist. Die Mechanismen können z.B. chemischer Natur sein. Hier sind es im wesentlichen die Bindungsenergien zwischen den Atomen (genauer gesagt den Atomhüllen), die durch interatomare Kräfte entstehen. Ein Verbrennungsvorgang von z.B. Kohle oder Erdöl überführt demnach einen Stoff in einen energieärmeren Zustand. Die Energiegewinnung ist hier im wesentlichen thermisch, d.h. es entsteht Wärme. Zu einem gewissen Anteil entsteht auch elektromagnetische Strahlung in Form sichtbaren Lichts. Anders mechanische Vorgänge, die die potentielle oder kinetische Energie eines Körpers nutzen, wie dies z.B. in Wasserkraftwerken der Fall ist. Es gibt eine Menge solcher Mechanismen, die zur Energieerzeugung genutzt werden können. Manche mehr, manche weniger effektiv. Auch die Kernenergie gehört dazu. Sie beschreibt die unterschiedlichen Energiezustände in den Kernen von Atomen. Für sie gilt - wie wir später noch sehen werden - der gleiche grundlegende Mechanismus,

1

1.2 Z UR G ESCHICHTE DER ATOMMODELLE wie vorher für andere Systeme beschrieben. Um diesen speziellen Mechanismus anschaulicher erklären zu können, muss vorausgehend einiges über den grundlegenden Aufbau der Atome gesagt werden.

2

Zur Geschichte der Atommodelle Das seit den Griechen als unteilbar angesehene Atom wurde erst Ende des 19.Jahrhunderts als teilbares Teilchen erkannt. Maßgeblich beteiligt waren bekannte Wissenschaftler wie Max Planck (der Begründer der Quantentheorie), Becquerel (der die Radioaktivität an Uran im Jahre 1896 entdeckte), das Ehepaar Curie (die den radioaktiven Zerfall nachwiesen) u.v.m.. Die Erkenntnisse vieler Wissenschaftler führten zu verschiedenen Atommodellen. Das erste fundierte und auch noch heute zur Begründung einiger physikalischer Phänomene ausreichende Modell war das Rutherfordsche Atommodell. Es wurde zum Grundstein für die Atomphysik, die sich als neuer naturwissenschaftlicher Zweig zu entwickeln begann. Allerdings war dieses Modell, das das Atom erstmalig in einen Kern- und einen Schalenbereich (also teilbar) aufspaltete für viele physikalische und chemische Probleme zu grob und ungenau. Die Folge war das weiterentwickelte Bohrsche Atommodell (1913), das den Elektronen planetenartige Bahnen um den Atomkern zuordnete. Doch die rasante Forschertätigkeit förderte immer neue Phänomene zu Tage, denen ein Bohrsches Modell von 1913 nicht mehr genügte. Erweitert wurde es schließlich durch die Theorie der Quantenmechanik (endgültig manifestiert 1925), die neben den Parametern der elektrostatischen- und Fliehkräfte für die Elektronenbewegung um den Kern noch zahlreiche andere, bis dato unbekannter Faktoren berücksichtigte. Damit wurde endgültig die Komplexität dieser Materie offenbar. Ich möchte mir hier weitergehende Ausführungen über die Quantenmechanik sparen, da sie den Rahmen dieser Facharbeit sprengen würden.

3

Der Aufbau der Atome Es wäre müßig, alle bekannten Theorien über das Wesen der Atome, ihren Aufbau und die funktionalen Strukturen nennen und erklären zu wollen. Um auch gleich einem Missverständnis vorzubeugen, sei an dieser Stelle gesagt, dass alle Theorien Modellcharakter haben und deshalb keine Abbildung der Wirklichkeit darstellen. Eine atomphysikalische Theorie dient zur Erklärung von ganz bestimmten Phänomenen und

2

1.3 D ER A UFBAU DER ATOME

Abbildung 1: Vereinfachtes Atommodell nach Bohr (Größenverhältnisse nicht wirklichkeitsgetreu) [Volkmer, 1986, Seite 4]

3

1.3 D ER A UFBAU DER ATOME

Abbildung 2: Elektronenhüllenmodell (Elektronen Dichteverteilung im Benzol) Regelmäßigkeiten. Alle Theorien sind hoch problemspezifisch und keinesfalls ohne weiteres untereinander austauschbar. Vielerlei abstrakte mathematische Theorie steht in der Atomphysik an der Tagesordnung. Dies ist eine Folge der enormen Komplexität und des Zusammenspiels vieler Parameter, die nur schwer und in den meisten Fällen gar nicht in einer allumfassenden Theorie zusammenzufassen sind. Atommodelle sind die Hilfsmittel der Atomphysiker, mit denen sie Voraussagen treffen können und mit denen Erklärungen möglich werden. Im Bereich des Mikrokosmos herrschen andere Verhältnisse, als sie unsere dreidimensionale Vorstellungskraft zu erfassen vermag. Die Erklärung der Nutzung der Kernenergie bedient sich eines relativ einfachen Atommodells, in der Hauptsache eines Kernmodells. Denn die Kernenergie beruht auf kernphysikalischen Grundlagen, das heißt, sie ist eine Folge von Wechselwirkungen die sich im Innern der Atomkerne abspielen. Dies unterscheidet sie z.B. auch von der Chemie, die zwischen atomare Vorgänge beschreibt, also Wechselwirkungen der Atomhüllen. Ebenso wie für die Chemie der Atomkern bis auf seine den Stofftyp bestimmende Funktion relativ (!) unwichtig ist, verhält es sich mit der Atomhülle für die Nutzung der Kernenergie, da hierbei primär nur Atomkerne beteiligt sind. Das Veränderungen im Atomkern Veränderungen in der Atomhülle oder am Zustand des Gesamtatoms nach sich ziehen ist hierfür sekundär, und spielt bei der Betrachtung der Vorgänge keine Rolle. Ein Atom besteht aus zwei grundlegenden Einheiten, nämlich aus Atomhülle und Atomkern. Die Atomhülle beinhaltet die Elektronen, die nach quantenmechanischen Gesetzen den Atomkern umkreisen. ”Umkreisen” ist eigentlich ein schlechtes Wort, um die Vorgänge zu beschreiben, da es sich bei der Elektronenbewegung keinesfalls um Kreisbahnen handelt. Vielmehr sind es durch zahlreiche Parameter bestimmte Aufenthaltsräume, die wenig mit Kreisbahnen zu tun haben. Bedingt durch eine von Heisenberg aufgestellte Theorie, die Heisenbergsche Unschärferelation2 , ist eine genaue zeitliche Lokalisation eines Elektrons überhaupt nicht möglich. Man spricht von Elektronenwolken. Die Aufenthaltsräume nennt man Orbitale (nach dem gleichnamigen Molekül - Orbital - Modell). Diese Gebilde entstehen dadurch, dass 4 man in der Lage ist, Aufenthaltswahrscheinlichkeiten für ein Elektron anzugeben. Dies entspricht einer anschaulichen Darstellung der "Elektronenwolke", nämlich in der Dichteverteilung derselben. Höhe-

1.3 D ER A UFBAU DER ATOME

Elementname - Nukleonenzahl chemisches Zeichen - Nukleonenzahl

Uran - 235 U-235

Nukleonenzahl Elementname

235 U 92

Kernladungszahl

oder 235 92 U

Abbildung 3: Aufbau des Atomkerns und Bezeichnungen [Volkmer, 1986, Seite 5] re Dichte bedeutet höhere Aufenthaltswahrscheinlichkeit. Geringere Dichte veranschaulicht eine geringere Aufenthaltswahrscheinlichkeit. Dieses Modell sei hier, wie schon gesagt, nur der Vollständigkeit und Anschaulichkeit halber erwähnt. Im Zentrum eines Orbitals befindet sich dar Atomkern, der hier bedeutsame Teil des Atoms. Ihn charakterisieren einige besondere Merkmale: Bei einem Durchmesser eines Wasserstoffatoms (dem einfachsten aller Atome) von nur ca. 1 Zehnmillionstel Millimeter (das sind 10−8 cm) ist der Durchmesser eines Wasserstoffkerns um das hundert tausendfache kleiner als der Durchmesser der Atomhülle. Er beträgt ca. 10−12 cm. Schon aus dieser Tatsache wird ersichtlich, dass der größte Teil des Atoms vollkommen leer ist. Ein Beispiel soll diese Größenverhältnisse verdeutlichen. Der Durchmesser des Wasserstoffatoms zum Durchmesser seines Orbitals, verhält sich ebenso wie die Größe eines Streichholzkopfes zu einem großen Fernsehturm. Die Winzigkeit ist unvorstellbar groß. Die Größe eines Atomkerns selbst schwankt im Vergleich mit anderen Atomkernen etwa um etwa den Faktor 10. Der Atomkern besteht aus zwei grundlegenden Kernbausteinen, die man ebenso wie das Elektron als Elementarteilchen bezeichnet. Es handelt sich um das Neutron und das Proton. Beide haben annähernd die gleiche Masse. Das Neutron hat eine Ruhemasse ca. 1, 67482 ∗ 10−27 kgund ist damit geringfügig schwerer als das Proton mit 1, 67252 ∗ 10−27 kg. Dies wiederum entspricht nun dem 1836-fachen der Elektronenmasse. Beide Teilchen nennt man auch Nukleonen (vom lateinischen nucleus - der Kern).

5

1.3 D ER A UFBAU DER ATOME

Abbildung 4: Nuklidkarte. Sie zeigt die gegenwärtig bekannten Elemente und Kerne, sowie ihre Isotope. [Hermann and Schumacher, 1987, Seite 71] Die schwarz gezeichneten Kästchen stellen die künstlich erzeugten Kerne dar. Dazwischen (weiß) befinden sich die in der Natur vorkommenden Kerne. Erkennbar ist die relative Zunahme der Neutronen im Vergleich zur Zahl der Protonen im Kern: die Kurve neigt sich nach unten.

Unterschiedlich ist auch der Ladungszustand beider Kernbausteine. Während das Neutron wie der Name schon sagt, neutral ist, ist das Proton einfach positiv geladen. Dieser wichtige Unterschied wird später bei der Behandlung der Kernreaktionen noch sehr wichtig, da das Neutron durch seine Ladungsneutralität gewissermaßen prädestiniert ist, ohne Hinderung den Kern zu verlassen und die Atomhülle zu durchstoßen. Doch zurück zum Atomkern. Er ist eine Kombination aus diesen beiden Elementarteilchen in mehr oder weniger großer Stückzahl und eine charakteristische Krosse für das Atom. Seine Ladung wird bestimmt durch die Anzahl der Protonen, auch Kernladungszahl Z genannt. Sie ist auch gleich der Ordnungszahl eines chemischen Elements. Bei einem nach außen hin neutralen Atom entspricht sie auch der Anzahl der insgesamt vorhandenen Elektronen in der Atomhülle. Die physikalischen Eigenschaften eines Atoms sind zusätzlich noch von der Neutronenzahl N eines Kerns abhängig, da diese eben soviel zur Masse beitragen, wie die Protonen. Beide Kernzahlen addiert bilden die Massenzahl A (A = N + Z) eines Atoms. Die Masse der Elektronen ist so verschwindend klein, dass sie absolut vernachlässigbar ist. Sie beträgt nur den 1856. Teil der Protonenmasse (ca. 9, 11 ∗

6

1.3 D ER A UFBAU DER ATOME 10−31 kg). Wir haben gesagt, dass ein Atom durch seine Kernladungszahl als Element (Ordnungszahl) charakterisiert ist. Nun gibt es allerdings Atomkerne, die trotz unterschiedlicher Massenzahlen einem und demselben Element zugeordnet werden, da sie gleiche Kernladungszahlen besitzen. Solche Atomkerne nennt man Isotope eines Atoms. Isotope haben gleiche chemische Eigenschaften. Denn hierfür ist nur die Kernladungszahl verantwortlich, da sie gleichzeitig die Anzahl der Elektronen in der Atomhülle angibt. Die Masse hingegen ist verschieden, was für viele physikalische Untersuchungen, sowie die Zustände im Atomkern eine große Rolle spielt. Die meisten Isotope sind allerdings nicht stabil, d.h. sie zerfallen mit der Zeit in andere Stoffe oder Isotope. Die Erklärung hierfür später. Die Sammelbezeichnung für alle durch Protonen- und Neutronenzahl eindeutig festgelegten Atome ist Nuklid. Zur Zeit sind etwa 1500 verschiedene Nuklide bekannt. Die wenigsten davon sind stabil, nämlich nur ca. 300. Der Rest ist instabil und zerfällt mehr oder weniger schnell unter Aussendung von Strahlung. Auch davon später mehr. Das jetzt Genannte möchte ich an einigen kleinen Beispielen nochmals zusammenfassen und gleichzeitig die verschiedenen Schreibweisen, die die Elemente näher beschreiben, aufzeigen:

7

1.4 W IE IST E NERGIEGEWINNUNG AUS K ERNSPALTUNG MÖGLICH ?

4 4.1

Wie ist Energiegewinnung aus Kernspaltung möglich? Die Bindungsenergien im Atomkern Um diese Frage zu beantworten, ist eine genauere Analyse des Atomkernzustandes notwendig. Aus der Tatsache, dass der Atomkern aus Neutronen, insbesondere aber aus Protonen besteht, ergibt sich die Frage, wie der Zusammenhalt der Atomkerne erklärt werden kann. Denn wir haben es ausschließlich mit positiven Teilladungen zu tun. Es ist allgemein bekannt, dass gleiche Ladungen sich abstoßen. Die Protonen müssten also folglich wegen der gegenseitigen Coulombabstoßung auseinander streben. Die Neutronen spielen hier wegen ihrer Ladungsneutralität keine Rolle. Ein kompakter Atomkern, wie beschrieben, wäre nicht möglich. Da dem aber so ist, muss eine andere Kraft vorhanden sein, die der Coulombabstoßung entgegenwirkt. Sie muss im Bereich des Kerns mindestens ebenso groß sein wie diese, wenn nicht noch sehr viel stärker, um einen über einen langen Zeitraum stabilen Kern zu ermöglichen. Verantwortlich für den Zusammenhalt der Kernbausteine fand man eine Naturkraft, die in menschlichen Größenordnungen nicht zum Tragen kommt. Man nennt sie starke Kraft oder starke Wechselwirkung. Sie ist eine der bis heute bekannten vier elementaren Naturkräfte! Die genauen Mechanismen, die hier wirken, würden eine eigene Facharbeit füllen, weshalb ich mich auf das Wesentliche beschränke. Ihr Zustandekommen ist nach der Quantenmechanik Folge des Austauschs von Wechselteilchen (den Feldquanten), deshalb auch der Name Wechselwirkung. Man konnte diese Feldquanten in Teilchenbeschleunigern nachweisen. Das Charakteristikum, das ein Elementarteilchen für die starke Wechselwirkung anfällig macht (d.h., es führt eine starke Wechselwirkung aus), ist eine bestimmte Kombination von sogenannten Farbladungen. Ihre Wirkungsweise(!) ist vergleichbar mit der der gravischen Wechselwirkung (Gravitation) oder der elektromagnetischen Wechselwirkung. Keinesfalls ist ihre Wirkung die selbe, aber ein Vergleich wird möglich (siehe Tabelle), wenn man die Bedeutung der Masse für die gravische Wechselwirkung bzw. die Bedeutung der elektrischen Ladung für die elektromagnetische Wechselwirkung mit der Bedeutung der Farbladungen für die starke Wechselwirkung vergleicht. Ebenso, wie Massepunkte erst die gegenseitige Schwerkraftbeeinflussung möglich machen, oder elektrische Teilladungen eine Coulombabstoßung bewirken, verhält es sich mit Farbladungen und starker Kraft. Dieser Vergleich ist aber wiederum rein anschaulich zu verstehen. Er entspricht nicht der Wirklichkeit!

8

1.4 W IE IST E NERGIEGEWINNUNG AUS K ERNSPALTUNG MÖGLICH ?

Tabelle 2: Die vier fundamentalen Wechselwirkungen und ihre Vereinigungstheorien. Daneben Ladung, Feldquanten und Auftreten. [Volkmer, 1986, Seite 46] Eine analoge Theorie schreibt die Folge des Auftretens von Kernkräften noch anderen Teilchen zu. Den sogenannten Pi-Mesonen. Doch eine genauere Analyse dieser quantenmechanischen Theorien würde an dieser Stelle zu weit führen. Theorien über die Mechanismen im Inneren der Atomkerne sind so vielfältig, wie die Kernphänomene, die sie erklären sollen. Das Zustandekommen der Kernkräfte ist hier nur ein kleiner Teil. Ziel der Forschung ist es, die mannigfaltigen Theorien und damit natürlich auch die vier Naturkräfte3 - die als Urheber aller physikalischen Vorgänge anzusehen sind - in einer einzigen Theorie zu vereinigen. Man versucht somit diese Wechselwirkungen als Teil einer einzigen zu erfassen, die grundsätzlichen Charakter besitzen soll. Diese Theorien nennt man GUT (Grand Unification Theories). Am Rande sei erwähnt, dass dies bei der elektromagnetischen und der schwachen Wechselwirkung geglückt, und auch experimentell bewiesen ist. Die daraus vereinigte Kraft nennt man die elektroschwache Kraft. Doch dieser Abstecher sollte genügen. 3 Die

4 Naturkräfte sind die Kräfte, die die Gesetze der Physik und Chemie erklären. Sie sind die Grundlage der Naturwissenschaften.

9

1.4 W IE IST E NERGIEGEWINNUNG AUS K ERNSPALTUNG MÖGLICH ?

Wechselwirkung relative Stärke Reichweite Gravitation 10−38 unendlich − 11 schwache 10 10−13 cm elektromagnetische 1 unendlich starke 15 10−13 cm Tabelle 4: Vergleich der Wechselwirkungen (bezogen auf die elektromagnetische Wechselwirkung)

Die starke Kraft tut sich auch noch in anderer Hinsicht aus den übrigen Naturkräften hervor. Wie aus der Tabelle ersichtlich ist sie von einer außerordentlich kurzen Reichweite (10−13 cm), und kommt daher nur im Bereich des Atomkerns bzw. in Größenordnungen der Kernbausteine selbst zur Wirkung. Auch ihre relative Stärke fällt in der besagten Entfernung plötzlich so rapide ab, dass sie außerhalb des Atomkerns überhaupt nicht zur Wirkung kommt. Weiterhin ist die starke Kraft die stärkste unter den bekannten Naturkräften. Sie ist etwa um den Faktor 1000 stärker als die elektromagnetische Kraft. Und ihre Bindungsenergie übersteigt die der Gravitation schon um 40 Zehnerpotenzen. Es wird nun klar, warum die Coulombabstoßung der Protonen nicht genügt, um diese auseinanderzutreiben. Sie werden von einer Gegenkraft - in Form der starken Kraft - zurückgehalten. Da die Neutronen in etwa den gleichen Betrag an Kernkräften liefern, wie die Protonen, aber elektrostatisch neutral sind, wirken sie sozusagen als zusätzliches Bindemittel im Kern und stabilisieren so den Kräftehaushalt. Wir haben nun das Modell eines Atomkerns vor uns, der aus Neutronen und Protonen besteht, die durch das Wechselspiel von Coulombabstoßung und Kernkräften (in der Hauptsache die starke Kraft) zusammenhalten.

4.2

Die Kernspaltung und die Kernverschmelzung Bedeutsam, um die Nutzung dieser Kräfte zur Energiegewinnung zu verstehen ist eine Betrachtung der Bindungsenergien der Kernbausteine. Wir betrachten dazu die durchschnittliche Bindungsenergie eines Nukleons im Kern. Dieser Energiebetrag kommt zu Stande aus der Differenz der Kernkräfte und der Coulombabstoßung, und wird dann auf die Anzahl der Nukleonen gemittelt. Aus der Graphik wird ersichtlich, dass die mittleren Bindungsenergien bei mittelschweren Elementen ein Maximum erreichen. Rechts und links des Maximums fällt die Stärke der Bindung wieder ab. Zu leichteren Kernen hin stark, zu schwereren Kernen hin weniger stark Wenn wir uns an die anfänglichen Ausführungen über die Energiegewinnung aus Kräftesystemen

10

1.4 W IE IST E NERGIEGEWINNUNG AUS K ERNSPALTUNG MÖGLICH ?

Abbildung 5: Durchschnittliche Bindungsenergien pro Nukleon im Kern. [Franzen, 1980, Seite 3] erinnern, so wird hier die prinzipielle Möglichkeit klar, durch Bildung von mittelschweren Kernen (durch Zusammenfügen leichterer Kerne) oder eben Spaltung schwererer Kerne, Energie zu gewinnen. Denn in beiden Fällen ist die anfängliche Bindungsenergie eines Nukleons höher, als im Endzustand des neuen Atomkerns. Und tatsächlich ist diese Anomalie der Bindungsenergie die Voraussetzung für die zwei einzigen Methoden der Kernenergienutzung: Die Verschmelzung leichterer Atomkerne zu schwereren bezeichnet man als Kernfusion oder Kernverschmelzung (engl. fusion). Die Teilung schwerer Atomkerne in leichtere Bruchstücke bezeichnet man als Kernspaltung (engl. fission). Im Gegensatz zu chemischen Reaktionen ist aber hier die Energiegewinnung um Zehnerpotenzen größer, da die Bindungsenergien millionenfach größer sind als die chemischen Bindungsenergien zwischen den Atomhüllen in Molekülen. Die Kernspaltung wiederum ist aber pro beteiligtem Reaktionsteilchen weniger Energie freisetzend als die Kernfusion. Ein Problem stellt sich nur in der technischen Realisierung der Kernfusion. Die Bedingungen, um eine Kernfusion kontrolliert ablaufen zu

11

1.4 W IE IST E NERGIEGEWINNUNG AUS K ERNSPALTUNG MÖGLICH ? lassen4 sind hier auf der Erde nur sehr schwer herzustellen. Um ein Beispiel zu nennen: der klassische Fall der Kernverschmelzung findet auf der Sonne statt. Die Reaktionsbedingungen muß man sich wie folgt vorstellten. Unter extremem Druck und bei Millionen Grad Kelvin findet diese Umwandlung von Wasserstoff in Helium statt. Riesige Kräfte müssen wirken, um die Reaktionspartner beieinander zu halten. Ansonsten hätten wir den "Bombeneffekt". Man behilft sich auf der Erde, in dem man den enormen Druck durch Magnetfelder simuliert, die Reaktion bedingt aber auch dann noch Temperaturen von ca. 1 Milliarde Grad Kelvin. Technisch ist die Realisierung eines Fusionsreaktors schon weit über das Probierstadium hinaus, doch ist mit der wirtschaftlichen Inbetriebnahme eines solchen Reaktors nicht vor dem 1. Drittel des nächsten Jahrhunderts zu rechnen. Trotz der Zusammenführung der einzeln realisierten Reaktionsbedingungen - technisch sind diese Temperaturen und auch die Bildung eines entsprechend starken Magnetfeldes kein Problem - gelang es bisher noch nicht, die Kernfusion am laufen zu halten. Die Kernfusion ist aber auf jeden Fall die Alternative für die Kernenergie im kommenden Jahrhundert. Die Kernspaltung ist technisch einfacher zu bewerkstelligen. Sie findet bei normalen Temperatur- und Druckbedingungen statt, wie sie hier auf der Erde herrschen. Deshalb ist sie, trotz ihrer im Vergleich zur Kernfusion geringeren Energieausbeute heute schon in der Anwendung. Der Bindungsenergiesprung vom Wasserstoff zum Helium ist eben um ein Vielfaches höher als von z.B. Uran zu einem mittelschweren Atom. Wir bleiben aber von nun an bei der Kernspaltung, da diese eigentliches Thema der Facharbeit ist.

4.3

Wie kommt nun die Anomalie der Bindungsenergie zustande? Um dieser Frage nachzugehen, bedarf es einer genaueren Klärung der Parameter, die die Bindungsenergien eines Nukleons bzw. des gesamten Kerns beeinflussen. Grundlage dieser Theorie ist das sog. Tröpfchenmodell des Atomkerns. Dieses Modell besagt, dass - analog zu einem Wassertropfen - die Kernbausteine Proton und Neutron wie die Wassermoleküle in einem Wassertropfen zueinander angeordnet sindCharakteristisch ist der stets konstante Abstand der Nukleonen voneinander (bedingt durch quantenmechanische Vorgänge, die hier nicht näher erläutert werden sollen). Aus diesem konstanten Abstand folgt, dass mit steigender Nukleonenzahl proportional das Kernvolumen ansteigt. Gleiches gilt dem4 die

Wasserstoffbombe zum Beispiel in der die Kernverschmelzung stattfindet, ist eine unkontrollierte Freisetzung der Energien

12

1.5 D IE K ERNSPALTUNG nach für die sog. Volumenenergie EV , die auch proportional mit der Nukleonenzahl A ansteigt. Sie ist die Energie, die durch die Wirkung der Kernkräfte zustande kommt. Besonders bei kleineren Atomkernen spielt aber der Umstand eine Rolle, dass die Kräfte der Nukleonen an der Oberfläche eines Kernes nicht voll wirksam werden können. Sie sind ja nicht vollkommen von anderen Nukleonen umgeben und demnach nicht so stark gebunden. Dieser Umstand lockert bei kleinen Atomkernen die Bindung stark. Bei größeren Kernen kommt dies nicht in dem Maß zu Tragen, da das Volumen im Verhältnis zur Oberfläche viel stärker ansteigt. Schwerere Kerne bedingen ein anderes Problem. Mit steigender Nukleonenzahl steigt natürlich auch die Zahl der Protonen. Und mit ihnen die Coulombenergie, die den Kernkräften entgegenwirkt. Nun könnte man annehmen, dass dies mit einer erhöhten Anzahl von Neutronen ausgeglichen werden könnte. Dies ist bis zu einem gewissen Grad auch so. Bei schwereren Elementen ist allgemein auch ein solcher Neutronenüberschuss zu verzeichnen. Jedoch ist ab einer bestimmten Protonenzahl kein stabiler Kern mehr möglich. Man ist dann am Ende des Periodensystems der stabilen Elemente angelangt. Generell wirkt sich eine erhöhte Protonenzahl aber negativ auf die Energiebilanz eines Kernes aus. Deshalb die Anomalie der Bindungsenergie. Diese Darstellung wird natürlich keiner exakten physikalischen Bestimmung gerecht, ist jedoch für die grundsätzliche Darstellung an dieser Stelle ausreichend. Weitere quantenmechanische Abstecher würden hier zu weit führen.

5 5.1

Die Kernspaltung Wie kommt es zur Kernspaltung? Nun, da wir wissen, was die Kernspaltung theoretisch bewirkt - die Freisetzung der Bindungsenergiedifferenzen - möchte ich an diese Stelle die Ausführung des Besprochenen setzen. Um eine Kernspaltung zu bewirken, muss der Kern dazu gebracht werden, in kleinere Bruchstücke zu zerfallen. Wir wissen, dass dies am Ende des Periodensystems spontan (d.h. ohne äußere Einwirkung) geschieht, wenn ein Maximum an Kernbausteinen (insbesondere Protonen) erreicht ist. Es muss also gelingen einen sehr schweren Kern, der gerade noch stabil ist aus seiner Gleichgewichtslage zu bringen. Das Wort stabil bezieht sich hier auf einen sehr großen Zeitraum, hat aber auch keinen Ewigkeitscharakter, da praktisch alle schwereren Elemente auf lange Sicht hin gesehen mehr oder weniger schnell zerfallen. Ein Mittel, dies zu bewerkstelligen, ist ein stoßendes Teilchen, das dem Kern kinetische Energie (oder in diesem Fall sog. Anregungsenergie)

13

1.5 D IE K ERNSPALTUNG zuführt und ihn so zur Spaltung bringt. Dieses stoßende Teilchen ist ein Neutron, das aufgrund seiner Ladungsneutralität als einziges Elementarteilchen das Atom (und zwar das gesamte) ohne Störung zu durchdringen in der Lage ist. Erst der Atomkern ist ein Hindernis für das Neutron, und dies machen sich eben die Kerntechniker zunutze. Das Proton käme für die Auslösung einer Kernspaltung nicht in Frage, da es den mehrfach positiv geladenen Atomkern erst gar nicht erreichen würde. Es wird vorher abgelenkt. Es müssen schon sehr große Geschwindigkeiten aufgebracht werden (kinetische Energie), um ein Vordringen eines Protons in den Kern zu bewirken. Dies ist nur mit Hilfe sehr großer (und sehr teurer) Teilchenbeschleuniger möglich, die Protonen auf entsprechend hohe Energien beschleunigen können. Wie gesagt funktioniert dies schon mit relativ energiearmen Neutronen bei labilen (sehr schweren) Elementen. Nur hier ist die Bindungsenergie der Bruchstücke im Falle einer Spaltung zusammen kleiner als die Energie des Ausgangskerns. Die Energiedifferenz wird freigesetzt und nutzbar (in welcher Form sie freigesetzt wird, wird später behandelt). Bei mittelschweren bis schweren Elementen hingegen ist die Bindungsenergie der Bruchstücke schon größer als der Energieinhalt des Ausgangskerns. Eine Spaltung ist hier nur mit sehr energiereichen (schnellen) Teilchen möglich. Am Beispiel des Uran-235-Kerns möchte ich eine Spaltung exemplarisch darstellen. Uran-235 ist ein Isotop des Elements Uran (92 Protonen) und spaltbar. Beide kommen in der Natur vor. Jedoch beträgt der Anteil (spaltbaren) U-235 nur 0,721 % am Natururan. Im Gegensatz dazu hat das nicht ohne weiteres spaltbare Uran-238 einen Löwenanteil von 99,274 %. Der Rest beinhaltet im wesentlichen das Isotop U-234 (es spielt für die Nutzung in Kernreaktoren keine Rolle). Ein Uran-235 Kern wird mit einem thermischen Neutron beschossen. Thermisch bedeutet hier, dass das Neutron einem bestimmten Energieinhalt (Geschwindigkeit) genügt. Es bildet sich ein hoch angeregter Zwischenkern ("Uran-236"), der aber augenblicklich in zwei Bruchstücke (hier Jod-139 und Yttrium-96) zerfällt. Zusätzlich wird ein Neutron frei. 235

U92 + nth → (236 U92 )∗ → I 139 +96 Y39 +1 n0 + E

Algorithmus 1: Energiefreisetzung beim Zerfall von Uran 253 Da, wie schon erklärt, die durchschnittlichen Bindungsenergien eines Nukleons in den Spaltprodukten höher sind als im Ausgangskern, wird bei dieser Reaktion Energie frei. Zudem wird radioaktive Strah-

14

1.5 D IE K ERNSPALTUNG

Abbildung 6: Kernspaltung des Uran-235 mit den Spaltprodukten Yttrium-96 und Jod-139 lung - hier ein Gamma-Quant - ausgesandt. Die durchschnittliche Bindungsenergie eines Nukleons im Uran-235 Kern beträgt ca. 7,6 MeV5 . In den leichteren Kernen Yttrium und Jod sind gemittelt die Nukleonen mit einer höheren Energie von ca. 8,5 MeV gebunden. Die Energiedifferenz von ca. 0.9 MeV wird also pro Nukleon freigesetzt. Pro Spaltung sind dies ca. 210 MeV (bei 235 Nukleonen). Dies entspricht ca. 9, 345 ∗ 10−18 kWh. Es mag zwar auf dem ersten Blick wenig erscheinen, bewirkt aber im Verbund mit anderen U-235 Kernen, wie wir später noch sehen werden, eine gewaltige Energiefreisetzung. Zudem ist es, verglichen mit der chemischen Energiefreisetzung6 pro Reaktionspartner ein enormer Energiebetrag. Die Energie einer Kernspaltung wird hauptsächlich (zu etwa 80 %) als kinetische Energie der auseinanderfliegenden Spaltstoffe frei. Die Zerfallsprodukte selbst sind meist radioaktiv und zerfallen deshalb weiter. Dabei wird weitere Zerfallsenergie frei (ca. 6 % der Spaltenergie). Man bezeichnet diese verzögert stattfindenden Zerfälle auch als Nachzerfälle. Die zugehörige Energiefreisetzung nennt man Nachzerfallswär5 MeV:

Inder Atom- und Kernphysik gebräuchliche Energieeinheit. Ein Elektronenvolt ist die von einem Elektron oder sonstig einfach geladenen Teilchen gewonnene kinetische Energie beim Durchlaufen einer Spannung von 1 Volt im Vakuum. Abgeleitete Größen: keV = 1.000 eV MeV = 1.000.000 eV GeV = 1.000.000.000 eV 6 Energiegewinnung im Vergleich, bei Einsatz in üblichen Kraftwerken:

15

1.5 D IE K ERNSPALTUNG me. Selbst wenn die Kettenreaktion schon beendet ist, erwärmt sich das Material weiter. Man muss dies z.B. bei der Endlagerung von verbrauchtem Material berücksichtigen (geeignete Endlagerstätte, die diese Wärme abführen kann oder ausreichende Kühlung bei Zwischenlagerung verbrauchten Spaltstoffes). Die dargestellte Gleichung ist nur eine von vielen möglichen Arten des Zerfalls von U-235. Es entstehen keineswegs immer nur die gleichen Bruchstücke. Meist sind es zwei Teile, in die der Kern zerfällt, sehr selten drei. Die Massen der Bruchstücke sind fast immer verschieden. Die Spaltung in zwei gleich große Spaltprodukte ist äußerst unwahrscheinlich. Ebenso ist die Zahl der freiwerdenden Neutronen je nach Spaltung unterschiedlich. Im statistischen Mittel sind es bei den möglichen U-235 Zerfällen - um bei diesem Beispiel zu bleiben - 2,4 Neutronen pro Spaltung. Man kann nur Wahrscheinlichkeiten über die Art des Zerfalls angeben, d.h. die statistische Häufigkeit für die verschiedenen Spaltungsreaktionen ist verschieden. Mit diesen Wahrscheinlichkeitsangaben lassen sich genauere Angaben über die entstehenden Spaltprodukte und die zur Verfügung stehenden Neutronen machen. Die verbliebenen Neutronen dienen wiederum als thermische Neutronen zur Spaltung weiterer U-235 Kerne. Es entsteht eine Kettenreaktion, die, würde immer spaltbares Material nachgeliefert, nicht nur ohne Ende sein würde. Auch die Energiefreisetzung einer solchen unkontrollierten Kettenreaktion ist gewaltig, insofern genug spaltbare Masse vorhanden ist. Das Material würde zu schmelzen beginnen, wenn nicht gar explodieren. Damit eine Kettenreaktion von selbst ablaufen kann, d.h. ohne künstliches Zuführen von Neutronen, müssen immer mindestens genauso viele Neutronen freigesetzt werden, wie durch Spaltungen verbraucht wurden. Berücksichtigt werden muss auch noch, dass eine Spaltung rein zufällig durch in alle mögliche Richtung fliegender Neutronen hervorgerufen wird. Hält man sich die Größenverhältnisse eines Atoms noch einmal vor Augen, so wird der Zufallscharakter einer Spaltung einleuchten. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Neutron in einem kleinen Raum auf einen (spaltbaren) Kern trifft, ist extrem gering. Deshalb

16

1.5 D IE K ERNSPALTUNG

Abbildung 7: Kettenreaktion ist es notwendig, eine gewisse Masse spaltbaren Materials zusammenzubringen, damit eine Kettenreaktion stattfinden und von selbst ablaufen kann. Diese Masse nennt man kritische Masse. Sie liegt bei Uran-235 bei ca. 5 kg. Dies ein theoretischer Wert, der in der Praxis nicht erreicht wird, da noch andere Faktoren die kritische Masse bestimmen. Wichtig ist auch die geometrische Form, in der das Material vorliegt. Es sollten ja möglichst wenig Neutronen aus dem System entweichen können, ohne mit einem Kern in Kontakt gekommen zu sein. Eine Masse U-235 von, sagen wir 7 kg, auf eine große Fläche verteilt (z.B. in Form einer dünnen Platte) wäre überhaupt nicht kritisch, da viel zu viele Neutronen aus dem Material entweichen könnten. Die selbe Masse in Form einer kompakten Kugel dagegen würde in Sekundenbruchteilen gewaltige Energien freisetzen. Dieser Umstand macht man sich auch bei der Konstruktion von Atombomben zunutze. So bedrückend diese fragwürdige Anwendung der Kernenergie auch ist, sie sollte hier Erwähnung finden. Doch von den Kriterien einer ablaufenden Kettenreaktion mehr im Kapitel kontrollierte Kernspaltung. Uran-235 ist auch nicht der einzige spaltbare Stoff. Die Spaltstoffe unterscheiden sich darin, welchen Energiegehalt (Geschwindigkeit) ein Neutron besitzen muss, um bei ihnen eine Spaltung mit genügend hoher Wahrscheinlichkeit hervorzurufen. Längst nicht alle Neutronen, die bei einer Kernspaltung frei werden, sind in der Lage, einen bestimmten Spaltstoff zur Kernteilung zu bringen. Ein ganz bestimmter Energieinhalt erhöht die Wahrscheinlichkeit für eine Spaltung ganz enorm. Man unterscheidet deshalb die Neutronen nach diesem Kriterium. Die oben genannten thermischen Neutronen bezeichnet man so, weil

17

1.6 D IE R ADIOAKTIVITÄT sie sich im thermischen Gleichgewicht mit dem umgebenden Medium befinden. Das heißt, sie haben Geschwindigkeiten wie die Gasmoleküle bei Raumtemperatur. Diese Geschwindigkeit beträgt bei bei 293,6 Kelvin (Zimmertemperatur) ca. 2200 m/s. Dies kommt einer kinetischen Energie von ca. 0,0253 eV gleich. Ein Rechenbeispiel soll das Zustandekommen der Zahlen erklären7 : mit m Ruhemasse Neutron = 1, 6749543 ∗ 10−27 kg und v Neutron = 2220 ms E = 12 mv2 E = 12 ∗ 1, 6749543 ∗ 10−27 kg ∗ (2200 ms )2 E = 4, 053389 ∗ 10−21 Joule = 2, 530126 ∗ 10−8 MeV = 0, 025301 eV ⇒ E ≈ 0, 025 eV Algorithmus 2: Ruhemasse und Ruheenergie

Man unterscheidet weiterhin langsame, mittelschnelle und schnelle Neutronen. Neutronen nennt man langsam, wenn ihre kinetischen Energien unterhalb von 10 eV liegen. Man spricht von schnellen Neutronen, wenn diese eine kinetische Energie von mehr als 0.1 MeV (100.000 eV) aufweisen. Neutronen mit Energien dazwischen nennt man mittelschnell.

6

Die Radioaktivität Die Radioaktivität, oder der radioaktive Zerfall ist ein Vorgang der sehr eng an die Kernspaltung geknüpft ist. Radioaktiv ist ein Stoff (Kern) dann, wenn er unter Emittierung sog. radioaktiver Strahlung sein überschüssiges Energieniveau abbaut. Dieser Abbau von Energie wird dann nötig, wenn ein Atomkern kein ausgewogenes Kräftegleichgewicht zwischen seinen Kernteilchen herstellen kann- Dies kann z.B. durch den Einfang eines schnellen Neutrons geschehen, ohne das eine Kernspaltung erfolgt. Der Kern sendet dann so lange radioaktive Strahlung aus, bis ein geeignetes Energieniveau erreicht ist. Der Begriff radioaktive Strahlung ist eigentlich irreführend. Es kann sich zwar auch um emittierte elektromagnetische Strahlung handeln, jedoch ist auch Teilchenemission möglich. Einen radioaktiven Kern nennt man Radionuklid. Besonders die bei der Kernspaltung entstehenden Spaltkerne sind radioaktiv. Auch in der Natur gibt es radioaktive Nuklide. Gerade die Erforschung der Kernenergie ist der Entdeckung dieses Phänomens 7 Zur

den Begriffen Ruhemasse und Ruheenergie, siehe Glossar

18

1.6 D IE R ADIOAKTIVITÄT

226 Ra

88

→222 Rn86 +4 He2

Abbildung 8: Zerfall des Radiumatoms. zuzuschreiben. Erstmalig wurde es durch Becquerel 1896 am Uran entdeckt. Sind die Radionuklide natürlichen Ursprungs, so wird von natürlicher Radioaktivität gesprochen. Durch den Menschen erzeugt (z.B. durch den Betrieb von Kernkraftwerken, die Durchführung von Atombombentests oder Stoffe, die in der Medizin zur Anwendung kommen) nennt man sie künstliche Radioaktivität. Auf die Gefährlichkeit der radioaktiven Strahlung im Verbund mit den verschiedenen Strahlungsarten hingewiesen werden. Die wichtigsten radioaktiven Strahlen sind: 1. Alphastrahlen (α) 2. Betastrahlen (β ) 3. Gammastrahlen (γ) 4. Neutronenstrahlung (n)

6.1

Alphastrahlung Die alpha-Strahlung ist eine Teilchenstrahlung. Ist ein Atomkern ein Alphastrahler, so sendet er Heliumkerne (bestehend aus zwei Neutronen und zwei Protonen) aus. Der Kern ändert dadurch seine Massenzahl A um 4 und seine Kernladungszahl Z um . Für die Alphastrahler, wie für alle radioaktiven Stoffe gilt, dass eine Voraussage über den radioaktiven (alpha-)Zerfall nur statistisch möglich ist. Man gibt daher die sog. Halbwertszeit für einen Stoff an. Sie beinhaltet den Zeitraum, nachdem die Hälfte der Radionuklide in einer bestimmten Zerfallsart zerfallen sind. Die bekannte Umwandlung des radioaktiven Radiums in das ebenfalls radioaktive Radon sei ein Beispiel (siehe Abbildung 8). Dieser alpha-Zerfall des Radiums hat eine Halbwertszeit von 1600 Jahren.

19

1.6 D IE R ADIOAKTIVITÄT

Abbildung 9: Stark vereinfachte Darstellung der Ursachen des β− Zerfalls, der sogenannten Neutronenwandlung. Ein Neutron wandelt sich in ein Proton und ein Eletron um. Das bedeutet, die Radioaktivität eines Materialstücks Radium wäre auch nach 1600 Jahren noch zur Hälfte vorhanden. Dieser radioaktive alpha-Zerfall des Radiums ist nur Teil einer langen Zerfallskette des Uran-238 - die Uran-Radium-Reihe - welches sich in vielen Zwischenschritten (die wahrscheinlichsten ergeben eine Kette mit 14 Nukliden) in Millionen von Jahren letztendlich in stabiles Blei (Pb-206) umwandelt. Die Zerfallsreihen werden aber noch ausführlicher behandelt. Alphastrahlen sind nicht sehr energiereich und lassen sich schon mit einem normalen Blatt Papier abbremsen und auch ihre Reichweite in Luft liegt nur im Zentimeterbereich.

6.2

Betastrahlung Der zweite Zerfallsprozess wird Betazerfall genannt. Es ist dies der Fall, wenn sich die Ordnungszahl um eine Einheit ändert, aber die Massenzahl konstant bleibt. Dies geschieht durch die Umwandlung eines Protons im Kern. Dabei entsteht grob gesagt ein Neutron und ein Elektron (beta-minus-Zerfall bzw. β− -Zerfall). Diese Erklärung genügt für die Darstellung, wird aber den waren, komplizierteren Vorgängen nicht gerecht, würde aber wiedereinmal zu weit führen. Weiterhin bekannt ist der sog. beta-plus-Zerfall -β+ , bei dem ein Positron, das Antiteilchen zum Elektron, das einfach positiv geladen ist emittiert wird. Auch hier ist eine Erklärung der quantenmechanischen Vorgänge zu kompliziert. Betastrahlen sind recht energiereich, jedoch lassen sie sich auch durch relativ dünne Materialschichten (z.B. 100 Blatt Papier oder 1-2 cm Kunststoff oder ca. 1 cm Aluminium) abschirmen. Gerade der Mechanismus des Beta-Zerfalls war lange Zeit unbekannt und führte schließlich zur Entdeckung zahlreicher Neuerungen über den Aufbau der Atomkerne.

20

1.6 D IE R ADIOAKTIVITÄT

Abbildung 10: Zerfallsarten in einer Übersicht - α, β, γ

6.3

Gammastrahlung Die Gammastrahlung ist eine sehr energiereiche elektromagnetische Röntgenstrahlung. Sie ist sehr kurzwellig und besitzt eine außerordentliche Durchschlagskraft. Gammastrahlung entweicht einem radioaktiven Atomkern in Form sog. Gammaquanten. Gammaquanten sind Portionen elektromagnetischer Strahlung eines bestimmten Energiegehalts. Der Gammazerfall eines Atomkerns bewirkt eine Energieabnahme des Kernes aber keine Änderung von Massenzahl oder Kernladungszahl. Gammastrahlung besitzt eine enorme Durchdringungskraft und ist am besten durch Stoffe sehr hoher Dichte, wie z.B. Blei, abzuschwächen. Die Energie der Gammastrahlen, die direkt von der Wellenlänge abhängig ist, kann zwischen 0.01 und 10 MeV schwanken. Gammastrahlung tritt meist im Verbund mit dem alpha oder beta-Zerfall auf. Gerade bei Kernspaltungen wird Gammastrahlung freigesetzt.

6.4

Neutronen Neutronen müssen auch als radioaktive Strahlen angesehen werden. Über ihre Herkunft und Energieinhalte haben wir bereits gesprochen.

21

1.6 D IE R ADIOAKTIVITÄT

6.5

Biologische Auswirkungen Bei aller Theorie darf die Auswirkung der radioaktiven Strahlung für lebendige Organismen nicht unerwähnt bleiben. Der Grund der Gefährlichkeit radioaktiver Strahlung liegt in ihrer ionisierenden Wirkung. Man nennt deshalb die gerade besprochenen 4 Strahlungsarten auch ionisierende Strahlung. Sind Moleküle oder Atome dieser Strahlung ausgesetzt, so bewirkt dies Veränderungen im Aufbau der Atomkerne nach sich, besonders bei der Neutronenstrahlung trifft dies zu. Die betroffenen Stoffe werden dadurch meist selbst radioaktiv, wie es z.B. im kerntechnischen Anlagen bei Stoffen, die sich in der Nähe des Kernreaktors befinden der Fall ist. Sind Veränderungen an der Atomhülle vorgekommen - hier reißt die Teilchenstrahlung Elektronen aus der Atomhülle - wird das Atom wird zum Ion. Besonders die α, β und γ-Strahlung kann die chemischen und physikalischen Eigenschaften eines Atoms im Molekülverband erheblich verändern. Besonders gravierend ist dies dann, wenn grundlegende Moleküle unseres Körpers - z.B. die DNS-Moleküle, die die Erbinformationen beinhalten - betroffen sind. Mutationen oder Missbildungen können die Folge sein. Man unterscheidet radioaktive Strahlung nach ihrer biologischen Wirksamkeit. Sie ist ein Mass für die Schädlichkeit einer Strahlungsart auf lebendige Organismen. Entscheidend ist hierbei die Höhe der Energieabgabe an ein Atom oder Molekül. Eine Betrachtung der 4 Strahlungsarten könnte glauben machen, dass Gammastrahlung viel gefährlicher - weil energiereicher - als Alphastrahlung sei. Gerade für die belebte Welt ist allerdings das Gegenteil der Fall. Für den Fall der Inkorporierung (Aufnahme in den Körper) besitzt die Alphastrahlung eine bis 20 mal größere biologische Wirksamkeit. Die Ursache liegt in der kurzen Reichweite der α-Strahlen. Radioaktive Partikel werden vom Körper als als Solche erkannt, da sie sich in ihren chemischen Eigenschaften meist nicht von ihren ”Brüdern” unterscheiden und werden deshalb meist wie alle anderen Stoffe behandelt und in Körpergewebe eingebaut. Ein Paradebeispiel ist die Einlagerung von Jod in die Schilddrüse. Der Körper unterscheidet nicht zwischen dem radioaktivem Isotop Jod-139 und natürlichem Jod. Dieses sammelt sich dann in der Schilddrüse an. Gelangt nun ein Alphastrahler in den Körper (man spricht von Inkorporation), so strahlt er seine gesamte Energie im Bereich weniger Zentimeter ab und schädigt so biologisches Gewebe weit mehr als ein γoder β-Strahler. Zusätzlich reichern sich radioaktive Partikel im Körper an, d.h. dass sie mit größerer Wahrscheinlichkeit in den Körper gelangen, als sie ihn wieder verlassen.

22

1.6 D IE R ADIOAKTIVITÄT Nun gibt es aber eine Menge radioaktiver Elemente in der Natur. Ihr Vorkommen ist zu einem gewissen Teil normal. Meist sind es Isotope wichtiger biologischer Elemente. Die Natur und das Leben mussten zu allen Zeiten mit einem gewissen Pensum dieser Elemente auskommen. Die Organismen haben Reparaturmechanismen entwickelt, um die durch natürliche Radioaktivität entstehende Schäden auszugleichen [v. Ditfurth, 1986]8 . Jedoch hat mit Beginn des Atomzeitalters in verantwortungsloser Weise und sehr kurzer Zeit (im Vergleich irdischer Existenz) eine Freisetzung riesiger Mengen radioaktiven Materials stattgefunden. Besonders das Durchführen oberirdischer Atombombentests der Supermächte spielten hierbei die Hauptrolle. Die friedliche Nutzung der Kernenergie hat, bis auf den Reaktorunfall in Tschernobyl im Mai 1986 und einige weitere Kernreaktorunfälle einen verschwindend geringen Anteil an der radioaktiven Verseuchung der Umwelt. Ich sage dies mit bestem Wissen und Gewissen. größte Priorität im Umgang mit radioaktivem Material muss haben, radioaktive Stoffe von der belebten Hemisphäre fernzuhalten. Gerade hier in Deutschland ist man bestrebt, diesen Grundsatz strengstens einzuhalten, dies kann man zum gegenwärtigen Zeitpunkt von einigen europäischen Nachbarstaaten nicht behaupten. Diese Aussage ist keine Augenwischerei. Doch man muss sich - wie schon im Vorwort erwähnt - die Frage stellen, ob eine friedliche Nutzung der Kernenergie wie sie heute vielerorts in leichtsinniger Form betrieben wird, überhaupt verantwortbar ist. Leider ist die Klärung dieser Frage nicht Thema dieser Facharbeit. Es sei an dieser Stelle auf die Literatur zum Thema verwiesen und die Meinungsbildung dem Leser überlassen. Die kontrollierte Kernspaltung als Grundlage der Funktionsweise eines Kernkraftwerks Wir haben nun gesehen, wie eine Kernspaltung im Einzelnen abläuft und wie eine Kettenreaktion entstehen kann. Will man nun die entstehende Energie nutzen, so genügt es nicht einfach, eine kritische Masse zusammenzutragen, und die entstehende Wärme abzuführen. Da ein Kernspaltungsprozedur in etwa 10−12 s in Anspruch nimmt, und deshalb ein extrem schneller Vorgang ist, würde die Energiefreisetzung durch Kettenreaktion binnen kürzester Zeit erfolgen. Ein dauerhaftes Betreiben einer solchen Anlage wäre - ganz abgesehen von der enormen zerstörerischen Energiefreisetzung - unmöglich. 8 Ich

kann jedem Interessierten die Lektüre des immer noch aktuellen Buches von Hoimar von Ditfurth ans Herz legen. Dieses Buch hat zwar nur indirekt etwas mit dem Thema diese Buches zu tun. Es beschreibt jedoch sehr ausführlich die Gefährlichkeit des (kosmischen) radioaktiven Strahlung für das Leben auf der Erde.

23

1.7 B EGRIFFSDEFINITIONEN Was liegt näher, als die Kettenreaktion durch Beeinflussung der Anzahl der zur Verfügung stehenden Neutronen zu regeln. Damit wird es möglich, die Energiefreisetzung, gleichbedeutend mit der Zahl der stattfindenden Spaltungen pro Zeiteinheit, zu kontrollieren. Das System, in dem eine kontrollierte Kettenreaktion abläuft nennt man Kernreaktor9 . Er bildet den wesentlichen Teil eines Kernkraftwerks. Zur technischen Realisierung später. Eine Beschreibung dieser Vorgänge ist mit mathematischer Hilfe möglich. Um den Neutronenhaushalt einer Kettenreaktion zu betrachten, bedarf es der Einführung einiger wesentlicher Begriffe, die Grundlage der Reaktorphysik sind. Mit deren Hilfe ist es möglich, einen Reaktortyp sowohl in seiner technischen wie auch physikalischen Arbeitsweise zu charakterisieren. Es ist dann von vornherein möglich, bestimmte Aussagen über seine Eigenschaften zu machen, wie wir bei späteren Ausführungen über unterschiedliche Reaktortypen noch sehen werden. Zunächst sind aber einige Begriffsdefinitionen notwendig10 .

7 7.1

Begriffsdefinitionen Wirkungsquerschnitt Die grundlegenden Reaktionen in der Reaktorphysik sind Wechselwirkungen zwischen Atomkernen und Neutronen. Der Wirkungsquerschnitt gibt die Wahrscheinlichkeit für eine Reaktion eines Neutrons einer bestimmten Geschwindigkeit mit einem Atomkern eines Stoffes der Dichte N an. Er ist deshalb eine rein statistische Größe, weil sich keine exakten Voraussagen über Art und Weise einer Kernreaktion machen lassen (d.h. wie sie stattfindet und ob überhaupt). Man kann den Wirkungsquerschnitt geometrisch veranschaulichen (!), wenn man ihn als ”fiktive Fläche” ansieht, die "mit der Wahrscheinlichkeit für das Eintreten irgendeines Stoßes gekoppelt ist” [Emendörfer and Höcker, 1986, Seite 60]. Diese Erklärung erscheint mir sehr anschaulich, hat der Wirkungsquerschnitt doch auch die Dimension (Einheit) cm2 . Seine Größe genügt folgender Formel: 9 Oft

wird fälschlicherweise für ein Kernkraftwerk der Ausdruck Atomkraftwerk, oder für den Kernreaktor das Wort Atomreaktor verwendet. 10 Die folgenden Ausführungen in Anlehnung an [Hermann and Schumacher, 1987, Seite 87-92] und [Emendörfer and Höcker, 1986].

24

1.7 B EGRIFFSDEFINITIONEN

Abbildung 11: Gedankenversuch zur Herleitung der Formel für den Wirkungsquerschnitt

σ=

R N∗Φ

R = Reaktionsrate N = Atomkerndichte des zu spaltenden Materials Φ= Neutronenfluss Algorithmus 3: Wirkungsquerschnitt Herleitung: Die Herleitung dieser Formel beruht auf der mathematischen Behandlung eines einfachen Reaktionsbeispiels. Man stelle sich den einfachen Umstand vor, dass sich ein mit einer bestimmten Geschwindigkeit v bewegender Neutronenstrom der Neutronendichte n senkrecht auf ein Materialstück hinbewegt (siehe Abbildung 11). Das Materialstück (der zu spaltende Stoff) habe die (Spalt-) Atomkerndichte N.

N=

L ∗ρ A

Algorithmus 4: Atomkerndichte (mit L Loschmidtzahl (6 ∗ 1023 mol −1 ), A Atomgewicht in g und ρ Dichte in g/cm3 ) Folgerichtig durchlaufen nun n ∗ v Neutronen in einer Sekunde in unserem Beispiel eine Querschnittsfläche von 1 cm2 Diese Größe nennt man den Neutronenfluss Φ. Er ist unabhängig von der Neutronenflugrichtung (also ein Skalar und kein Vektor). In Kernreaktoren gibt er die zur Verfügung stehenden

25

1.7 B EGRIFFSDEFINITIONEN Neutronen (man unterscheidet im Energiegehalt) pro Volumeneinheit an. Der Neutronenfluss Φ errechnet sich wie besagt: Φ = n∗v n = Neutronendichte des Neutronenstrahls (Anzahl der Neutronen pro cm3 . v = Neutronengeschwindigkeit Algorithmus 5: Neutronenfluss Wenn diese Neutronen nun mit den Atomkernen zusammenstoßen, und man die Zusammenstöße pro Volumeneinheit und Zeiteinheit zählt, so spricht man von der Reaktionsrate R. Sie lässt sich errechnen, wenn der Wirkungsquerschnitt eines bestimmten Stoffes unter den in der Formel angegeben Bedingungen bekannt ist. Die oben angegebene Formel wird üblicherweise nicht dazu verwendet, den Wirkungsquerschnitt zu bestimmen, sondern wird angewandt, um die Reaktionsrate R zu errechnen, denn der Wirkungsquerschnitt ist eine empirisch zu bestimmende statistische Größe (siehe nächster Abschnitt: Neutronenreaktionen). Seine Dimension ist eigentlich cm2 , jedoch benutzen die Kernphysiker den praktischeren Wert barn (1 barn = 10−24 cm2 ). So vermeidet man die logarithmische Schreibweise.

7.2

Neutronenreaktionen Wir nähern uns langsam der waren Komplexität der Vorgänge in einem Kernreaktor. Ebens nähern wir uns den vielen Parametern, die bei einer mathematischen Erfassung zu berücksichtigen sind. Wenn wir von Wirkungsquerschnitt sprechen, dann ist dies ein Mass für die Wahrscheinlichkeit einer Begegnung Neutron-Kern. Man muss nun unterscheiden, welcher Art diese Begegnung ist und was sie bewirkt. Dieses sind die verschiedenen Neutronenreaktionen. Grob unterscheidet man zwei grundlegende Arten von Neutronenreaktionen: Streuungsprozesse und Absorptionsprozesse. Im ersten Fall bleibt das Neutron als solches erhalten. Beide Reaktionspartner entfernen sich also nach der Begegnung wieder voneinander. Analog zu physikalischen Stoßprozessen von Körpern unterscheidet man die unelastische Streuung von der elastischen. Die elastische Streuung bewirkt, das das Neutron seine Flugrichtung ändert und nur einen Teil seiner Energie an den Kern abgibt. Der zugehörige Wirkungsquerschnitt wird mitσel bezeichnet. Er ist ein Mass für die Wahrscheinlichkeit dieses Stoßprozesses.

26

1.7 B EGRIFFSDEFINITIONEN

(a) elastische Streuung

(b) unelastische Streuung

Abbildung 12: Streuungsreaktionen Im Falle einer unelastischen Streuung verliert das Neutron einen Großteil seiner Energie an den Kern. Ein Atomkern ändert sich dadurch beträchtlich, und es kann zu Kernteilungen kommen. Der Streuungsquerschnitt analog mit σunel bezeichnet. Es gilt:

σStreuung = σel + σunel Algorithmus 6: Streuungsquerschnitt Die zweite Möglichkeit ist die Absorption eine Neutrons durch einen Atomkern. Das Neutron wird sozusagen geschluckt. Diese Absorption führt zu einer Anregung des Atomkerns mit der kinetischen Energie des Neutrons. Je nach Kern und je nach Energiegehalt der Neutronen ergeben sich bestimmte Ausgangssituationen. Man unterscheidet in der Art der Kernreaktionen. Die bedeutsamsten sind die eigentliche Kernspaltung (zugehörig σ f is , da engl. fission = Kernspaltung), bei der je nach Kern z.B. Gammastrahlung, n Neutronen und Antineutrinos frei werden. Ebenso ist der Einfang eines Neutrons durch ein Element möglich. Dieses wird dann (meist nur kurzzeitig) ein Isotop des Ausgangskerns. Es bleibt entweder stabil oder wird radioaktiv. Der zugehörige Einfangquerschnitt ist σc (engl. capture = Fang).

σAbsorption = σ f is + σc + ... Algorithmus 7: Einfangquerschnitt ”Wirkungsquerschnitt” ist eine recht allgemeine Formulierung. Ein ”Wirkungsquerschnitt” an sich existiert nicht.

27

1.7 B EGRIFFSDEFINITIONEN

(a) Einfang eines Neutrons ohne Folgen

(b) Auslösung einer Kernspaltung durch Einfang eines Neutrons

Abbildung 13: Absorptionsreaktionen

28

1.7 B EGRIFFSDEFINITIONEN Es muss immer eine Bezugsgröße vorhanden sein (z.B. Streuung, Spaltung etc.) Unzählige Arten von möglichen Variationen einer Kernreaktion und deren zugehöriger Wirkungsquerschnitte, wie all die unterschiedlichen Zerfallsarten mit verschiedensten Endprodukten, sind bekannt. Ein kleiner, wichtiger Teil wurde hier exemplarisch aufgezählt. Diese 4 Wirkungsquerschnitte sind auch die für die Reaktorphysik bedeutsamsten. Von verschiedenen Forschungszentren der Welt wurden umfangreiche Sammlungen von Wirkungsquerschnitten herausgegeben, die zur genaueren Vorhersage von Kernreaktionen und der Berechnung der Eigenschaften von Kernreaktionen dienen. Eine Analyse der experimentell gewonnenen Diagramme der Wirkungsquerschnitte in Abhängigkeit von der Neutronenenergie macht deutlich, dass die Wirkungsschnitte innerhalb eines bestimmten Energiebereichs stark ansteigen (die logarithmische Darstellung täuscht leicht über den waren Anstieg hinweg). Generell kann man erkennen, dass mit fallender Neutronenenergie der Wirkungsquerschnitt ansteigt. Der Grund liegt in einer abnehmenden Wahrscheinlichkeit der Wechselwirkung zwischen Neutron und Kern mit höherer Geschwindigkeit. Da mit höherer Geschwindigkeit die Verweildauer eines Neutrons am Kern geringer ist, ist dieses dem Einflussbereich des Kerns schneller wieder entzogen, als ein langsames Neutron. Dementsprechend verringert sich der Wirkungsquerschnitt. Das ständige Auf und Ab in einem bestimmten Bereich der Neutronenenergie lässt sich nicht mit diesem Modell erklären. Die starke Abhängigkeit vom Energiegehalt der Neutronen ist die Ursache. Man nennt diese starken Änderungen den Resonanzbereich. Sie treten verstärkt bei schweren Kernen auf und haben mit der Bildung des angeregten Zwischenkernes vor der Spaltung zu tun. Je nach Energiegehalt der Neutronen werden sie entweder als niederenergetische Neutronen eingefangen oder als höherenergetische Neutronen absorbiert und lösen damit eine Kernspaltung mit höherer Wahrscheinlichkeit aus. Jedoch würde eine genauere Analyse über die Ursache dieses Problems hier zu weit führen.

7.3

Moderatoren Da der Wirkungsquerschnitt erheblich von der Neutronengeschwindigkeit abhängig ist, ist es notwendig, geeignete Neutronen für eine Kettenreaktion bereitzustellen. Der Kernspaltungsvorgang aber liefert nur sehr schnelle Neutronen mit einer Geschwindigkeit von ca. 14000 km/sec - entsprechend 1 MeV kinetischer Energie - für die die Wahrscheinlichkeit einer Wechselwirkung nur sehr gering ist. Dies ließe sich dadurch ausgleichen, dass man die Dichte der spaltbaren Teilchen vergrößert. Wenn wir uns erinnern besteht aber Na-

29

1.7 B EGRIFFSDEFINITIONEN

(a) Wirkungsquerschnitte des Uran-235. Man beachte die Erhöhung des Spaltquerschnittes zu niederenergetischen Neutronen hin.

(b) Wirkungsquerschnitte von Uran-238. Auch hier zeigt sich die prinzipielle Abnahme der Wirkungsquerschnitte mit steigender Neutronenenergie. Zusätzlich fällt auf, dass U-238 erst mit Neutronen sehr hohen Energiegehalts eine Kernspaltung durchführt.

Abbildung 14: Beispiele für Wirkungsquerschnitte (in barn - 7.1) [Hermann and Schumacher, 1987, Seite 89]

30

1.7 B EGRIFFSDEFINITIONEN

Abbildung 15: Arbeitsprinzip eines Moderators [Volkmer, 1986, Seite 17] tururan nur zu ca. 0,7 % aus spaltbarem Uran-235, das in den meisten Kernkraftwerken als Brennstoff dient. Man müsste diesen Anteil künstlich enorm erhöhen, um eine Kettenreaktion überhaupt erst zu ermöglichen. Deshalb gibt es auch für Natururan praktisch keine kritische Masse (wenn dies so wäre, gäbe es in Folge von Kettenreaktionen auch lange kein Natururan mehr). Den Prozess der künstlichen Erhöhung des Spaltstoffanteils nennt man Anreicherung. Er ist allerdings technisch recht aufwendig und teuer, weshalb er nur bis zu einem bestimmten Grad wirtschaftlich durchgeführt werden kann. Auch würde sich durch hoch angereichertes Uran die Reaktortechnik nur unnötig komplizieren, denn eine hohe Spaltstoffdichte bedingt nun einmal die Gefahr einer schnell anwachsenden Kettenreaktion. Ich werde besonders auf diesen Aspekt im Kapitel über den HTR-Reaktortyp eingehen. Man beschreitet deshalb einen anderen Weg. Man bremst einfach die Neutronen auf die für die für die Kernspaltung benötigten Energien ab, und steigert dadurch den Wirkungsquerschnitt. Stoffe, die in der Lage sind, Neutronen abzubremsen, nennt man Moderatoren. Dazu sind längst nicht alle Stoffe geeignet, weil sie sich dabei nicht selbst umwandeln dürfen. Sie würden sonst die wichtigen Neutronen dem System entziehen. Geeignete Moderatoren, wie sie auch in Kernkraftwerken Anwendung finde sind Graphit, schweres Wasser und leichtes Wasser. 7.3.1

Wasser Leichtes Wasser ist unser bekanntes H2O, schweres Wasser dagegen ist sog. Deuteriumoxid D2O. Deuterium ist ein Isotop des Wasserstoff und besitzt ein Proton und ein Neutron - gegenüber Wasserstoff, dass nur ein Proton in seinem Kern besitzt. Es ist also doppelt so schwer wie ein Wasserstoffatom. Deuterium ist wesentlich besser als Moderator geeignet, weil es weniger Neutronen als normales Wasser absorbiert.

31

1.7 B EGRIFFSDEFINITIONEN

Abbildung 16: Streuquerschnitt von H2O und D2O. Der Streuquerschnitt ist bei H2 O zwar höher, dies bleibt auch über den dargestellten Energiebereich hin so, dafür absorbiert aber D2 O nur etwa 1/700 der Neutronen. Dieser Punkt ist für den Neutronenhaushalt entscheident, weshalb man mit D2 O Natururanreaktoren (zu Forschungszwecken) betreiben kann.

[Emendörfer and Höcker, 1986, Seite 105] Deuterium kommt zwar in der Natur vor, ist aber sehr selten. Seine Häufigkeit beträgt etwa 0,0154 % an allen Wasserstoffisotopen. Ein Reaktor mit schwerem Wasser moderiert, würde sogar mit Natururan arbeiten, da es sich äußerst positiv in der Neutronenbilanz auswirkt, weshalb es überwiegend in Forschungsreaktoren zur Anwendung kommt. Der Moderator bremst die Neutronen ab, da diese ihre Bewegungsenergie (teilweise) an diesen abgeben. Dies geschieht durch eine Anzahl von Streuungsvorgängen, die möglichst unelastisch sein sollten, damit die Neutronen möglichst schnell abgebremst werden. Unterstützt wird eine hohe Energieabgabe noch durch ein geringes Atomgewicht des Moderators. Schwere Atome sind aufgrund der Massenträgheit weniger zum unelastischen Stoß mit einem leichteren Teilchen geeignet. Bedingt durch die große Masse eines schweren Atoms ist auch das Trägheitsmoment entsprechend hoch, so dass ein leichtes Neutron sozusagen einfach abprallt, ohne dabei Energie zu verlieren. Eine wirkungsvolle Neutronenbremsung ist zudem von der Teilchendichte abhängig, da mit erhöhter Moderatorteilchendichte die Wahrscheinlichkeit für eine Kollision und damit Abbremsung steigt. Ein Moderator sollte also alle 4 Kriterien möglichst gut erfüllen. Man kann anhand der Eigenschaften des Moderators auf die Größe (räumlich) eines Reaktors schließen. Moderatoren mit geringerem Abbremsungsgrad - sei es bedingt durch geringeren Streuungsquerschnitt

32

1.7 B EGRIFFSDEFINITIONEN oder geringere Moderatorteilchendichte - bedingen ein relativ zur Leistung größeres Volumen und umgekehrt. Der Moderator erhitzt sich durch die Abbremsung der Neutronen (erhöhte Teilchenbewegung der Moderatoratome), aber auch die kinetische Energie der Spaltprodukte, die Ausdruck der umgewandelten Kernenergie ist, trägt zur Erhitzung des Moderators bei. Der Moderator dient also gleichzeitig als Kühlmedium und hat damit einen wichtigen Anteil an der Umwandlung von der Kernenergie zu nutzbarer Wärmeenergie. Die gleichzeitige Funktion des Moderators als Kühlmedium findet jedoch nicht immer statt, bzw. ist nicht immer erwünscht. Oft trennt man stofflich Moderator und Kühlmedium (z.B. Graphit und Gas) aus bautechnischen Gründen. Die Abführung der Wärme durch den Moderator kann also direkt oder indirekt (durch Zwischenschalten von weiteren Wärmetauschern) erfolgen. Doch davon später mehr. Leichtes Wasser weist einen hohen Streuungsquerschnitt auf (Wirkungsquerschnitt für das Eintreten einer Streuung), gepaart mit einer hohen Teilchendichte. Der Wert der Neutronenabsorption ist dann schon so groß, dass eine Anreicherung des Natururans auf ca. 3 % notwendig wird. Schweres Wasser hat zwar einen geringeren Streuungsquerschnitt und ein höheres Atomgewicht (Deuterium), jedoch beträgt seine Absorptionsquote nur ca. 0,143 % des leichten Wassers, weshalb - wie gesagt - Natururan zum Betrieb eines Reaktors bei schwerer Moderation genügt. Schweres Wasser in größeren Mengen, bzw. angereichert herzustellen ist jedoch relativ teuer, weshalb man außer in Forschungsreaktoren leichtes Wasser verwendet. Leichtwasserreaktoren sind demnach etwas kompakter als Schwerwassersysteme. Ich bitte nochmals zu berücksichtigen, dass als Reaktor hier nur die räumliche Anordnung der Spaltzone zu verstehen ist (der Kernreaktor), nicht etwa das Kraftwerk mit all seinen Einrichtungen! 7.3.2

Graphit Graphit (mit sich selbst gebundener Kohlenstoff) ist ein weiterer Moderator. Sein Atomgewicht ist allerdings relativ groß, seine Bremswirkung relativ zu Deuterium geringer. Zudem besitzt Graphit einen geringeren Streuungsquerschnitt als Deuterium. Graphitmoderierte Natururanreaktoren sind deshalb relativ groß. Gewichtiger aber ist der Vorteil des Graphits mit seiner geringen Neutronenabsorption, womit diese für die Aufrechterhaltung der Kettenreaktion erhalten bleiben. Der erste Kernreaktor, der kontrolliert ablaufende Kettenreaktionen ermöglichte, war ein von E. Fermi und seinen Mitarbeitern in Chicago errichteter graphitmoderierter Natururanreaktor (am 2.12.1942 wurde er kritisch).

33

1.8 N EUTRONENHAUSHALT Graphit hat materialspezifisch vollkommen andere Eigenschaften als Wasser. Es ist bekanntlich ein Feststoff und hält zusätzlich noch extrem hohen Temperaturen stand. Wasser dagegen siedet schon bei 100°C und muss bei Betriebstemperaturen um 300°C unter sehr hohem Druck gehalten werden, was technisch nicht ganz unkompliziert ist. Graphit wird deshalb in sogenannten Hochtemperaturreaktoren (HTR) verwendet, die Betriebstemperaturen von fast 1000°C erreichen. Dieser Reaktortyp und andere werden später noch ausführlicher behandelt.

8

Neutronenhaushalt Die Zahl der Kernspaltungen ist in erheblichem Masse von Anzahl und Art der zur Verfügung stehenden Neutronen abhängig. Eine Kettenreaktion kommt nur zustande, wenn mindestens genauso viele Neutronen (und zwar zur Kernspaltung geeignete) durch Kernspaltungen entstehen, wie durch sie verbraucht werden. Dies ist die einfache Definition der von selbst ablaufenden Kettenreaktion. In der Kernphysik verwendet man auch den Begriff der Kritikalität. Ein Stoffgemenge ist genau dann kritisch, wenn eine Kettenreaktion ohne äußeres Zutun (z.B. durch eine andere Neutronenquelle) abläuft. Man kann auch sagen: die Zahl der Kernspaltungen pro Zeiteinheit ist konstant. Das ist dann der Fall, wenn eine Kernspaltung und deren Sekundärneutronen im Durchschnitt wieder genau eine Spaltung ausgelöst hat. Eine einfache Bilanz. Zum Zwecke der Charakterisierung dieses Zustandes hat man eine Konstante eingeführt. Es ist die Multiplikationskonstante oder die Vermehrungszahl k. Die Konstante k ist die Größe, die die Zahl der vorhandenen Neutronen (den Neutronenfluss) in Abhängigkeit von den stattfindenden Kernspaltungen, und weiteren den Neutronenhaushalt bestimmenden Faktoren angibt. Multiplizierend ist sie deshalb, weil sie den bestehenden Neutronenfluss, hinsichtlich eines geeigneten Wertes für eine ablaufende Kettenreaktion beeinflusst.

34

1.8 N EUTRONENHAUSHALT å Hat k den Wert 1, so ist der Reaktor gerade kritisch, d.h. eine Kettenreaktion läuft gerade von selbst ab. å Ist k kleiner als 1, so ist der Neutronenfluss zu gering, um eine Kettenreaktion aufrecht zu erhalten. Sie bricht ab. I å Ist kgrößer als 1, so beginnt sich das System aufzuschaukeln. Mehr Neutronen bewirken mehr Kernspaltungen. Mehr Kernspaltungen setzen in vermehrtem Neutronen frei u.s.w.. Jedoch bewirken in diesem Fall verschiedene Faktoren eine Selbststabilisation, wie wir noch sehen werden. Algorithmus 8: Multiplikationskonstante / Vermehrungszahl Ich will nun eine Darstellung der wichtigsten; den Neutronenhaushalt betreffender Parameter geben. Diese Parameter sind von enormer Wichtigkeit für den Betrieb eines Kernreaktors, da erst durch sie eine Berechnung der kontrollierten Kernspaltung möglich wird. So machen Sie die genaue Auslegung der Anlage mit dem Betrieb von Natururan - Auslegung ist der Ausdruck für die technische und leistungsorientierte Konstruktion eines Kernreaktors - möglich. Unser Orientierungspunkt sei ein thermischer Natururanreaktor, da dieses Beispiel ohne komplizierte Parameter auskommt.

8.1

Neutronenschicksal Die erste Möglichkeit für den Verbleib oder Nichtverbleib eines Neutrons in seinem Ausgangszustand, entscheidet sich bei der Wechselwirkung mit einem Atomkern. Im ersten Fall gehen wir aber nur von Wechselwirkungen mit spaltbaren Atomkernen aus. Wechselwirkungen mit anderen Atomkernen (z.B. Moderatoratome oder U-238 Kerne) sind in dieser ersten Begegnung nicht enthalten. Welche Möglichkeiten gibt es also: Die Neutronen können eingefangen werden (σcapture ) ohne dass dabei eine Kernspaltung stattfindet. Das Neutron geht dem System verloren. Das Neutron kann aber auch eine (Kern-) Spaltung auslösen. Dabei werden wieder durchschnittlich 2,42 (bei Spaltung von U 235) Neutronen frei. Es hat also eine Vermehrung an Neutronen stattgefunden. Dem Vorgang der Absorption sind somit zwei Ausgänge zuzuordnen. Generell ist der Anteil der Kernspaltungen und damit die Höhe der Emission von Neutronen je Absorptionsvorgang sehr groß. Die Neurtronenausbeute je Absorption beträgt z.B. Uran-235 durchschnittlich 2,07 und ist demnach wenig geringer, als die Neutronenausbeute, wenn nur Spaltungen auftreten. Mathematisch ergibt sich

35

1.8 N EUTRONENHAUSHALT

schnelle Neutronen je Spaltung je Absorption

U-233 2,55 2,48

U-235 2,54 2,32

U-239 3,01 2,97

Langsame (thermische) U-233 U-235 U-239 Neutronen je Spaltung 2,55 2,54 3,01 je Absorption 2,48 2,32 2,97 Tabelle 7: Mittlere Zahl der Spaltneutronen bei der Kernspaltung. [E]=1 MeV [Emendörfer and Höcker, 1986, Seite 40]

daraus die Wahrscheinlichkeit p für eine Kernspaltung (die uns wichtige Reaktion, da sie zur Kettenreaktion benötigte Neutronen liefert) pro Absorption folgendermaßen: mit p = p=

number o f . f issions number o f absorbtions :

σ f iss σ f iss = σabsor. σcap + σ f iss

Algorithmus 9: Wahrscheinlichkeit für eine Kernspaltungsreaktion Dabei benennt p die Wahrscheinlichkeit des Ereignisses einer Kernspaltung bei einer Absorption eines thermischen Neutrons. σ f iss und σabsorb. sowie σcap sind dabei Wirkungsquerschnitte für Kernspaltung, Absorption und Einfang. Bei einem Materialstück mit der Teilchendichte N (Erinnerung: N ist die Zahl der Atomkerne pro Volumeneinheit) ergibt sich somit die durchschnittliche Neutronenausbeute η pro Absorptionsvorgang mit

Neutronenausbeute η = ν ∗

σ f iss ∗ N . σcap ∗ N + σ f iss ∗ N

Algorithmus 10: Neutronenausbeute Dabei gibt ν die emittierten Sekundärneutronen an. Kernspaltungen finden aber nur statt, wenn auch Absorptionen stattfinden. Man muss also die Wahrscheinlichkeit, berücksichtigen, mit

36

1.8 N EUTRONENHAUSHALT

Abbildung 17: Mittlere Zahl der Spaltneutronen (Neutronenfreisetzung) pro Spaltung am Beispiel von Plutonium-239 und Uran-235. Uran-235 weist geringere Multiplikatioseigenschaften auf, als Pu-239. Die Eigenschaft des Pu-239, bei schnellen Neutronen viele Spaltneutronen zu bilden, macht es für Anwendungen interessant, die viele zusätzliche Neutronen benötigen (Brutvorgang).

[Hermann and Schumacher, 1987, Seite 94]

37

1.8 N EUTRONENHAUSHALT der ein Absorptionsvorgang in spaltbaren Kernen geschieht. Man nennt den zugehörigen Parameter die thermische Nutzung f th . In unserem Beispiel ergeben sich nach den bisherigen Ausführungen also η ∗ f th schnelle Neutronen. Denn bei der Spaltung von Uran-235 werden nur schnelle Neutronen mit Energien zwischen 1 und 2 MeV frei. Im Kernreaktor bremst man nun aber die Neutronen, die bei Kernspaltungen entstehen, mit Hilfe des Moderators ab. Damit erreicht man wesentlich günstigere Werte für die Spaltquerschnitte. Für schnelle Neutronen im MeV-Bereich, beträgt der Wirkungsquerschnitt für eine Spaltung des Uran-235-Kerns ca. 1 barn. Für niederenenergetische Neutronen (ca. 1/100 eV) beträgt er aber ca. 600 barn! Man müsste nun die durch abgebremste Neutronen entstehenden zusätzlichen Kernspaltungen, bzw. die dadurch entstandenen Sekundärneutronen als Vermehrungsfaktor εberücksichtigen. In der Literatur wird dieser Parameter als ε235 - die Hochzahl steht für den verwendeten Spaltsoff Uran-235 - angegeben. Für andere Spaltstoffe gilt die analoge Schreibweise. Bei Reaktoren mit angereichertem Spaltstoffanteil (besonders in Leichtwasserreaktoren) spielt der Vermehrungsfaktor ε eine entscheidende Rolle, da eine erhöhte Spaltstoffdichte die Moderation besonders wirkungsvoll macht. Es besteht aber auch die Möglichkeit, dass schnelle Neutronen Kernspaltungen auslösen. Prinzipiell ist dies bei Uran-238 möglich. Dabei entstehen wieder Sekundärneutronen. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit für dieses Ereignis recht gering. Trotzdem muss man es berücksichtigen, da es eine Vermehrung der Neutronen zur Folge hat. Man nennt den zugehörigen Faktor ε238 . Er beträgt bei üblichen Leichtwasserreaktoren bis zu 1,1. Das Produkt beider Faktoren nennt man den Schnellspaltfaktor ε. Der Schnellspaltfaktor ist gemäß seiner Definition immer größer als 1. ε = ε235 ∗ ε238 > 1 Algorithmus 11: Schnellspaltfaktor So ergibt sich nun die Anzahl der Sekundärneutronen nach einer Spaltung mit ν = η ∗ f th ∗ ε. Algorithmus 12: Sekundärneutronen

38

1.8 N EUTRONENHAUSHALT Es besteht auch noch die Möglichkeit, dass ein Neutron von einem Uran-238 Kern eingefangen und absorbiert wird, ohne eine Kettenreaktion hervorzurufen. Dieses Ereignis fand schon bei den Resonanzeffekten Erwähnung. Neutronen können dabei in ganz bestimmten Bereichen kinetischer Energie absorbiert werden. Die Wahrscheinlichkeit w, mit der dies geschieht, berechnet sich wie folgt:

w=

R a,Resonanz R a,Resonanz + R a,thermisch

Algorithmus 13: Wahrscheinlichkeit für Einfangen von Neutronen ohne Kettenreaktion Dabei ist R a,Resonanz die behandelte Absorption schneller Neutronen im Resonanzbereich ohne Spaltung, unter Emission von Gammastrahlung und R a,thermisch bezeichnet den bloßen Einfang langsamer (thermischer) Neutronen, die ja somit auch dem System verloren gehen. Beide Male sind dies Wechselwirkungen mit Uran-238. Die Wahrscheinlichkeit p, dass nun ein Neutron den Resonanzbereich des Uran-238 überlebt und damit dem System erhalten bleibt, ist nun gerade p Neutron alive = 1 − w Denn wir möchten ja die Wahrscheinlichkeit des Entkommens in die Rechnung einbeziehen, und nicht die Wahrscheinlichkeit der Dezimierung. Man nennt sie deshalb auch Entkommwahrscheinlichkeit oder Bremsnutzung. p dezimiert die Zahl der Neutronen und ist demnach immer kleiner als 1. So beinhaltet die Größe der Bremsnutzung aber nicht Absorption durch Uran-238 (in unserem Modellreaktor), sondern beinhaltet auch die Absorption durch andere Materialien, wie sie in der Konstruktion eines Kernreaktors auftreten (z.B. Absorbermaterialien, Reaktoreinbaumaterialien etc.), jedoch spielen diese nicht die entscheidende Rolle. Theoretisch haben wir nun eine vereinfachte Formel für die Multiplikationskonstante erstellt, die uns hier als Bezugsgröße zu den vorhandenen Sekundärneutronen veranschaulicht wird. In Reaktoren habe wir es aber immer mit offenen Systemen zu tun. In unserem Fall bedeutet dies, dass ständig Neutronen in Folge des Abbremsvorgangs, denn dabei werden sie gestreut, aus dem System entweichen. Folglich muss man die sogenannte Leckagewahrscheinlichkeit Ls berücksichtigen. Die Verbleibwahrscheinlichkeit Ws (oft auch als Ps bezeichnet) ist demnach

39

1.8 N EUTRONENHAUSHALT

Ws = 1 − Ls Algorithmus 14: Verbleibwahrscheinlichkeit Man spricht beim Vorgang der Leckage auch von aus dem System herausdiffundierenden schnellen(!), noch nicht abgebremsten Neutronen. Berücksichtigt werden muss weiterhin die Diffusion thermischer Neutronen mit der Wahrscheinlichkeit Lth in der Verbleibwahrscheinlichkeit Wth = 1 − Lth Algorithmus 15: Verbleibwahrscheinlichkeit bei Diffusion Diese beiden letzten Größen werden selbst von vielen Parametern beeinflusst. So spielt die geometrische Form des Reaktoraufbaus eine Rolle: große Oberflächen erhöhen die Diffusion. Die Konzentration des Spaltstoffs sowie Art und Material der Reaktoreinbauten Verwendung unterschiedlicher Kühlmittel und nicht zuletzt die Art der Absorbermaterialien beeinflussen die Leckage. Die Trennung der Verbleibwahrscheinlichkeiten in von der Neutronenenergie, rührt von dem Verhalten schneller und langsamer Neutronen her. Schnelle Neutronen entweichen aufgrund ihrer Teilchengeschwindigkeit mit viel höherer Wahrscheinlichkeit, als langsame Neutronen, da, bedingt durch eine höhere Zahl von Stößen pro Zeiteinheit eine schnellere Ausbreitung bzw. Verteilung im Raum stattfindet. Unsere Formel, die allerdings keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt11 , da sich der wahre Sachverhalt noch weitaus komplexer darstellt, lässt sich nun für einen Natururanreaktor komplettieren. Gehen wir von einem unendlich großen Reaktor aus, so kann man die Leckage vernachlässigen. Dies kann man ebenso tun, wenn man konstruktiv dafür sorgt, dass Neutronen in das System zurückgestreut werden. Man erreicht dies durch bestimmte Stoffe, sogenannte Neutronenreflektoren. Gerade Moderatoren sind durch ihre Eigenschaften (s.o.) dazu geeignet, und werden als solche verwendet. 11 Diese

allgemeine Definition und besonders die 4-Faktor-Formel muss bei fortgeschrittenen Reaktortypen, wie den Brutreaktoren noch durch einen Faktor ergänzt werden, der die durch den Vorgang des Brütens verlorengegehender bzw. die verzögert entstehenden Neutronen berücksichtigt. Dieser Prozess hat einen wesentlichen Einfluss auf den Neutronenhaushalt.

40

1.9 D ER B RUTVORGANG

k unendlich = η ∗ f th ∗ ε ∗ p Man nennt diese Formel auch die 4-Faktor-Formel. Unter Berücksichtigung der Leckage ergibt sich:

k e f f ektiv = η ∗ f th ∗ ε ∗ Ws ∗ Wth Algorithmus 16: 4 Faktor Formel Die Multiplikationskonstante k gibt also genaue Auskunft über den Zustand des Reaktors. Besser formuliert: über den Neutronenhaushalt und damit die Kettenreaktion. Mit ihrer Hilfe wird die Berechnung eines Reaktorsystems möglich. Abweichend von unserem Natururanreaktor ergeben sich andere oder/und weitere Parameter. Für alle Kernreaktoren gilt eine allgemeine Definition von k: k=

Anzahl der erzeugten Neutronen Anzahl der absorbierten Neutronen

Sie deutet den einfachen Sachverhalt, dass k mit der Anzahl der nach einer erfolgten Kernspaltung zur Verfügung stehenden Neutronen korreliert ist, die letztendlich eine Kernspaltung auslösen. Ist k = 1, so ist unter Berücksichtigung aller Vermehrungs- bzw. Verminderungsfaktoren pro erfolgter Kernspaltung (also pro verbrauchtem Neutron) genau ein Neutron vorhanden, das mit höchster Wahrscheinlichkeit wieder eine Kernspaltung auslöst.

9

Der Brutvorgang Der Anteil spaltbaren Materials am Natururan ist nur sehr gering (ca. 0,721 %). Trotz dieses auch noch in angereichertem Uran (2-3 %) relativ geringen Anteils spaltbaren Materials, wie es z.B. in einem Leichtwasserreaktor Anwendung findet, erfolgt eine beachtliche Energiefreisetzung. Jedoch wären alle Reaktoren ohne Ausnahme auf diesen Spaltstoff angewiesen, wenn man sich nicht den Brutvorgang zunutze machen könnte. Brüten bedeutet (im kernphysikalischen Sinne), dass ein ”Erzeugen” von spaltbaren Atomkernen aus Nichtspaltstoffen möglich ist. Dies geschieht durch Neutroneneinfang. Die folgende Umwandlung eines sog. Brutstoffs (dafür sind nicht alle Elemente geeignet), nennt man Konversion. Oft verwendete Brutstoffe sind das Uran-238 (dessen Anteil am Natururan beträgt 99, 274

41

1.9 D ER B RUTVORGANG

Abbildung 18: Brutprozess bei Uran-238 % ) und Thorium-232 (232 Th90 kommt etwa 500 mal häufiger vor, als 235 U ). 92 Der Mechanismus dieser Kernumwandlung ist uns schon bei der Radioaktivität begegnet. Schwere Atomkerne können Neutronen einfangen, und werden dadurch radioaktiv. Die verschiedenen Zerfallsarten (α, β, γ) liefern dabei Isotope oder gar neue Elemente, wenn sich die Kernladungszahl entsprechend vermindert. Es handelt sich beim Brutvorgang zwar um einen radioaktiven Zerfall, jedoch darf man diesen nicht mit dem natürlichen radioaktiven Zerfall gleichsetzen, da natürliche und künstlich hervorgerufene Zerfallsreihen nicht in jedem Fall übereinstimmen müssen. Dies ist in erheblichem Maß von der Anregungsenergie des Neutrons abhängig, das den Zerfall auslöst. So erfolgt in der Natur die Kernumwandlung spontan. Hier ist sie erzwungen, da wir den Kern durch Beschuss mit einem Neutron künstlich zur Umwandlung bringen.

9.1

Der Brutstoff Uran-238 Betrachten wir zuerst den Brutstoff Uran-238. Trifft ein (schnelles) Neutron auf einen U-238-Kern, so treten zwar Kernspaltungen auf, aber in sehr viel größerem Masse fängt der Kern das Neutron ein, und wird dadurch zum radioaktiven Isotop 239 U92 . Wie aus der Abbildung ersichtlich, steigt der Wirkungsquerschnitt für Neutroneneinfang bei Neutronen mittlerer und höherer Energie stark an (ca. 1000 eV). Hier werden in einem relativ breiten Energiespektrum viele Neutronen absorbiert. Das radioaktive 239 U92 ist nicht stabil und zerfällt mit einer Halbwertszeit von 23,5 Minuten unter β− -Zerfall in das Element Neptunium (239 N p93 ). Dieses ist ein β− -Strahler und zerfällt mit einer Halbwertszeit von ca. 2,355 Tagen in das Element Plutonium-239 (239 Pu94 ). Plutonium-239 schließlich ist das spaltbare Element. Plutonium-239 ist zwar selbst wieder radioaktiv (α-Strahler), aber seine HWZ ist mit

42

1.9 D ER B RUTVORGANG

Abbildung 19: Einfangquerschnitt des Brutstoffs Uran-238. Eine Absorption ist im Bereich von 1 bis 103 eV besonders wahrscheinlich. Der Einfang reduziert zwar auf den ersten Blick die Neutronenzahl, die Brutreaktion stellt aber darüberhinaus die Produktion von geeigneten Neutronen sicher.

[Emendörfer and Höcker, 1986, Seite 101] 24400 Jahren so groß, dass dies beim Betrieb eines Kernreaktors keine Rolle spielt. Plutonium-239 lässt sich ausgezeichnet durch schnelle Neutronen spalten, weniger gut durch Langsame (thermische). Der Bruterfolg bei Uran-238 erfordert Neutronen hoher Energie (schnelle Neutronen). Diese stehen in Leichtwasserreaktoren aber meist nicht in erforderlichem Maß zur Verfügung. Dies ist auch der Grund, weshalb die Nutzung von Plutonium als Brennstoff in thermischen Leichtwasserreaktoren, die normalerweise mit angereichertem Uran-235 arbeiten, nicht sehr wirkungsvoll ist. Hier tragen im wesentlichen nur die wenigen, noch nicht abgebremsten Neutronen zum Erbrüten und damit zur Spaltung von Pu-239 bei12 . Das Erbrüten geschieht hier nicht gezielt, trägt aber dennoch zu einer Leistungssteigerung eines LWR bei. Erheblich effektiver wird die Nutzung in sogenannten Schnellen Brütern, die mit. schnellen Neutronen (0,01 bis 10 MeV) arbeiten. Dem Betrieb eines solchen Reaktors kommt also entgegen, dass sowohl Spaltstoff als auch Brutstoff bei schnellen Neutronen ihre höchsten Wirkungsquerschnitte besitzen. Doch davon später mehr. Manchmal hört man, dass in Kernreaktoren entstehende Plutonium sei für den Bau von Atombomben geeignet. Dies ist nur zum Teil richtig. Für den Bau von Atombomben benötigt man hochreines Pu-239. Dieses Isotop entsteht zwar beim Betrieb von Kernreaktoren, die mit dem 12 Weitere

Pu-Isotope: Im LWR entstehen außer Pu-239 (55-60%) durch Aufnahme weiterer Neutronen auch die Isotope Pu-240 (20-25%) und Pu-242 (5-10%) sowie geringe Mengen Pu-238.

43

1.9 D ER B RUTVORGANG Brutstoff U-238 arbeiten, jedoch sind die Anteile anderer Pu-Isotope in diesem Reaktorplutonium so groß, dass eine Verwendung für den Bau von Atomwaffen stark eingeschränkt ist. Theoretisch ist zwar der Bau einer Reaktorplutoniumbombe möglich, jedoch scheitert dies an hohen technischen Schwierigkeiten. Grund für den hohen Anteil nicht spaltbarer Pu-lsotope ist die lange Betriebszeit von Kernreaktoren, denn mit dieser steigt der Anteil nicht spaltbarer Pu-Isotope im Brennmaterial stark an. Länder, die Atomwaffen herstellen, haben zu diesem Zweck spezielle Reaktoren (meist schnelle Brüter) konstruiert, in denen die Brutstoffe nur eine sehr geringe Zeit (Tage bis wenige Wochen) im Reaktor verbleiben13 . Diese eignen sich jedoch nicht oder nur sehr wenig zur konventionellen und wirtschaftlichen Stromerzeugung, da der Betrieb vergleichsweise teuer ist.

9.2

Brennstoff Thorium Entscheidend beim Einsatz eines fortgeschrittenen Reaktortyps, wie des THTR (Thorium Hochtemperaturreaktor) ist das Erbrüten von spaltbarem Uran-233 (233 U92 ) aus dem Brutstoff Thorium-232 (232 Th90 ). Die Vorkommen an Thorium-232 sind etwa 500 mal so groß, wie die von Uran-235. Thorium muss, ähnlich wie Uran-238 mit Neutronen mittlerer bis hoher Energie beschossen werden, damit die Brutreaktion mit genügend hoher Wahrscheinlichkeit stattfindet. Der entstehende Spaltstoff Uran-233 ist ein ausgezeichneter Spaltstoff bei langsamen Neutronen. Wird nun ein Neutron von einem Thoriumkern absorbiert, so entsteht ein angeregter Zwischenkern Thorium-233. Dieses Isotop wandelt sich mit einer HWZ von ca. 22,3 min unter β− -Zerfall in das ebenfalls radioaktive Isotop Protaktinium-233 um. Dieses zerfällt letztendlich unter β− -Emission (HWZ 27 Tage) in das spaltbare Uran-233. Dieses hat eine HWZ von ca. 159200 Jahren. Das dieses Uran-Isotop in der Natur nicht vorkommt, tut seiner Verwendbarkeit in Kernreaktoren keinen Abbruch. Wichtig ist, ebenso wie bei Plutonium, dass man durch den Brutprozess diese sonst eigentlich nicht nutzbaren Spaltstoffe zur Verfügung hat, und somit die nutzbaren Rohstoffvorkommen um ein Vielfaches erweitern kann. Auch vermeidet man mit dem Brutstoff Thorium die Produktion hochgiftigen Plutoniums in größerem Maßstab. 13 Eine

besonders gefährliche Konstruktion stellt die Reaktortypreihe RBMK-1000 (Tschernobyl) dar, die das Be- und Entladen der Kernbrennstoffe zur Laufzeit des Reaktors ermöglicht. Hier wird fast täglich Kernbrennstoff entnommen, um daraus Plutonium für die Waffenproduktion zu gewinnen.

44

Abbildung 20: Einfangquerschnitt des Brutstoffs Thorium-232. Eine Absorption ist im Bereich von 1 bis 103 eV besonders wahrscheinlich. Der Einfang reduziert zwar auf den ersten Blick die Neutronenzahl, die Brutreaktion stellt aber darüber hinaus die Produktion sicher.

[Emendörfer and Höcker, 1986, Seite 101] Plutonium weist eine außerordentlich hohe Radiotoxizität auf (α-Strahler), die seine chemische Giftigkeit als Schwermetall vernachlässigbar erscheinen lässt. Ablagerungen in der Lunge oder der Einbau in Lebendgewebe oder Knochen bedingt durch den Stoffwechsel des Körpers, machen die hohe biologische Wirksamkeit des Plutoniums aus. Da ein Entweichen dieses hochgiftigen Stoffes aus dem Brennstoffkreislauf - ebenso gilt dies für alle anderen KKW’s entstehenden radioaktiven Stoffe - unter allen Umständen verhindert werden muss, überwiegt der Vorteil der Erschließung weiterer Quellen von Spaltstoffen durch Erbrüten. Zudem ist Pu-239 ein sehr wirkungsvoller Spaltstoff. Dass die technische Ausführung eines Brutreaktors mit unter gravierende Probleme aufwirft, werden wir im Kapitel Reaktortypen noch genauer betrachten.

45

2.

Kapitel 2

Das Kernkraftwerk 1

Grundaufbau und Funktionsprinzipien Ein Kernkraftwerk (KKW) unterscheidet sich in seinem prinzipiellen Aufbau nicht von einem Kraftwerk, das andere Energiequellen (wie z.B. die fossilen Energieträger Kohle oder Erdöl) nutzt. Die durch Kernspaltung freigesetzte Energie wird in Wärmeenergie umgewandelt, die Wasser erhitzt und eine Dampfturbine, die mit einem Generator gekoppelt ist, antreibt. Das Endprodukt ist Strom. Es auch das Endprodukt Wärme denkbar. Jedoch sind KKW’ s hinsichtlich ihrer Schwerfälligkeit gegenüber Bedarfsschwankungen ungeeignet (sie lassen sich nicht so einfach wie Erdöl- oder Kohleverbrennungsanlagen regeln), Die Größe eines heutigen KKW’ s, dass wirtschaftlich arbeiten soll übersteigt den Bedarf reiner Wärmeproduktion bei weitem. Das Betreiben kerntechnischer Anlagen erfordert zudem bestimmte konstruktive Maßnahmen, die ein Entweichen radioaktiver Stoffe in die belebte Welt mit Sicherheit verhindern. Aus diesem Grund hält man in den meisten Kraftwerkstypen den nuklearen Wärmekreislauf vom Dampfererzeugungskreislauf getrennt. Je nach Reaktorkonzept unterscheiden sich diese Kreisläufe hinsichtlich des verwendeten Wärmeträgersystems sowie der Anzahl der Kreisläufe. Weiterhin ergeben sich Unterschiede in der konstruktiven Auslegung eines KKW. Dies ist abhängig vom verwendeten Spaltstoff bzw. Brutstoff, dessen Anreicherungsgrad, dem Moderator und dem Kühlmedium. Aus der Fülle der möglichen Kombinationen haben sich im Laufe der Reaktorentwicklung Konstruktionen im kommerziellen Betrieb bewährt. Im folgenden möchte ich aber zuvor auf die Grundelemente eines Kernkraftwerkes, besonders des nuklearen Teils näher eingehen. Wesentlichster und charakteristischster Teil eines KKW ist der nukleare Teil

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2.1 G RUNDAUFBAU UND F UNKTIONSPRINZIPIEN

Abbildung 21: Rechts das Steuerelement mit eingefahrenen Absorber, bzw. Regelstäben. Es handelt sich um das Brennelement eines typischen Druckwasserreaktors. Die Regelstäbe greifen hier von oben ein und können allein durch Schwerkraft, durch Lösen einer Magnethalterung in den Reaktor einfallen (Störfall). Während des normalen Betriebs sorgen hydraulische oder elektrische Armaturen für die Beweglichkeit. Die Steuerstäbe eines Brennelements werden zum Steuerelement zusammengefasst. Links eine Schemazeichnung eines Reaktordruckbehälters (RDB). Wieder am Beispiel des Druckwasserbehälters.

[Franzen, 1980, Seite 25] des Kraftwerkes. Er beinhaltet alle Einrichtungen, die ein Ablaufen der kontrollierten Kettenreaktion ermöglichen. Hier ist auch der Kernreaktor installiert, der Ort, an dem die eigentlichen Kernspaltungsprozesse stattfinden. Seine technische Ausführung ist von verschiedenen Parametern abhängig. Der Kernreaktor enthält in erster Linie die Brennelemente. Dies sind im normalen Fall Bündel kleinerer Einheiten, der Brennstäbe, die zu Tabletten gepresste Brennstoff- bzw. Spaltstoff (Pellets) enthalten. Der Hochtemperaturreaktor weicht in seinem konstruktiven Aufbau von dem bereits Gesagten ab, jedoch gelten für ihn die gleichen prinzipiellen Aussagen. Da ihm später ein umfangreiches Kapitel gewidmet ist, spare ich mir im Weiteren gesonderte Ausführungen über diesen Kernkraftwerkstyp. Die Brennstofftabletten sind keineswegs aus reinem, metallischen Spaltstoff gefertigt. Sie bestehen vielmehr aus den oxidierten Formen der Spaltstoff- bzw. Brutstoffmetalle (Plutonium, Uran, Thorium), die zu den genannten Pellets gesintert14 werden. Es sind dies PuO, U0 sowie 14 Unter

Sintern versteht man das Zusammenbacken feinkörniger Substanzen

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2.1 G RUNDAUFBAU UND F UNKTIONSPRINZIPIEN

Abbildung 22: Ein typischer Brennstab, wie er in üblichen LWR (in einer modifizierten Form auch im SBR) zum Einsatz kommt. Der Spaltgasraum nimmt die entstehenden Spaltgase auf, da sonst ein hoher Druck im Laufe des Betriebs entstehen würde. Die Abstandshalter geben eine genau definierte Distanz der Brennstäbe vor, die bei verschiedenen Reaktortypen unterschiedlich ausfällt.

[Volkmer, 1986, Seite 41]

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2.1 G RUNDAUFBAU UND F UNKTIONSPRINZIPIEN

Tabelle 8: Kernbrennstoffe und ihre keramischen Formen in Vergleich. [Emendörfer and Höcker, 1986, Seite 103] ThO. Diese Verbindungen sind um ein vielfaches temperaturbeständiger als die Metallformen. Diese Hochtemperaturfestigkeit ist besonders wichtig für eventuelle Störfälle, die einen starken Temperaturanstieg der Kernbrennstoffe zur Folge haben. Die Freisetzung größerer Mengen des radioaktiven Materials in den Reaktorkreislauf können so im Ernstfall eingeschränkt werden. ] Sie lassen zudem einen höheren Abbrand zu, d.h. man kann eine Brennstofffüllung länger betreiben, ohne dass ihre Energieleistung wesentlich nachließe. Weiterhin weisen diese keramischen Verbindungen eine gute Verträglichkeit mit anderen Reaktormaterialien auf [Emendörfer and Höcker, 1986, Seite 101 f]. Die Einbindung der Spaltstoffe in ein Molekül hat auf die Kernspaltungsvorgänge keinen Einfluss (abgesehen von den gelegentlichen Absorptionen von Neutronen durch die Sauerstoffatome oder dessen Moderatorwirkung) . Andere Kernbrennstoffverbindungen (Metalllegierungen - reines Metall; keramische Verbindungen wie Karbide - Kohlenstoffverbindungen; oder Nitride - Stickstoffverbindungen) finden normalerweise nur in Forschungsreaktoren Anwendung. Diese Pellets werden dann zusammen in sogenannten Brennstäbe eingebaut. Diese, auch Hüllrohre genannten Brennstoffhüllen schließen die Pellets gegen äußere, chemische Einflüsse durch z.B. das Kühlwasser ein. Sie stellen neben den Pellets selbst die zweite Barriere gegen den Rückhalt der Spaltprodukte dar. Das Material, aus dem die Brennstäbe gefertigt sind, ist eine Metalllegierung Zirkaloy, auch Zirkonium genannt ( das zugehörige Metall ist Zirkon). Allgemein sollten Reaktormaterialien einen geringen Neutroneneinfangquerschnitt besitzen. Hierfür kommen Zirkon, Magnesium durch Erhitzen bis auf Temperaturen, bei denen die Substanzen weich werden (nicht schmelzen!).

49

2.1 G RUNDAUFBAU UND F UNKTIONSPRINZIPIEN und Aluminium in Frage. Normaler Stahl (Fe) oder Stahllegierungen (Eisen und Molybdän, Wolfram, Nickel, Chrom etc.) absorbieren in etwa 10 mal so viel Neutronen wie die genannten Metalle. Besonders bei Reaktoren, die mit langsamen Neutronen arbeiten, sind die Einfangquerschnitte für die verwendeten Metalle sehr groß. Schnelle Neutronen bringen kleine Einfangquerschnitte mit sich, weshalb man z.B. in schnellen Brutreaktoren nicht auf ganz exotische Materialien angewiesen ist. Hier kommen auch überwiegend Edelstähle zur Anwendung, die in langsamen Reaktoren wegen ihrer hohen Einfangsquerschnitte eine hohe Anreicherung erfordern würden. Besonders wichtig ist auch die Temperaturfestigkeit der Materialien. Nicht nur im Hinblick auf den Dauerbetrieb, sondern besonders auf einen Störfall. Bei einer unkontrollierten Erhitzung sollte die mechanische Stabilität des Reaktors auf jeden Fall gewährleistet bleiben. Hier scheiden Magnesium und Aluminium gegenüber Zirkon aus (siehe Tabelle). Zwar ist Zirkon relativ teuer, aber im Hinblick auf einen Langzeitbetrieb, zahlt sich die Verwendung niedrig absorbierender Materialien aus, da die sonst nötige Anreicherung die Kosten des Dauerbetriebs erhöhen würde. Die Brennstäbe enthalten einen sog. Spaltgasraum, der die entstehenden Spaltgase aufnimmt, da sich sonst ein hoher Druck im Inneren der Brennstäbe aufbauen wurde. Mehrere Brennstäbe fasst man zu sog. Brennelementen zusammen. Die Anzahl der Brennstäbe pro Brennelement ist je nach Reaktortyp verschieden. Diese wiederum bilden in einer bestimmten geometrischen Anordnung den Reaktorkern. Haben wir im Kapitel 2 von der kontrollierten Kernspaltung gesprochen, so wurde noch nicht der eigentliche Regelmechanismus behandelt. Man bewirkt dies durch sogenannte Steuerstäbe, die nach Belieben in die Brennelemente eingefahren werden können. Die Steuer- oder Regelstäbe bestehen aus Absorbermaterialien, die einen sehr hohen Einfangquerschnitt für langsame Neutronen aufweisen. Mann nennt Materialien mit dieser Eigenschaft auch Neutronengifte. Es sind dies in besonderem Masse leichtere Elemente, wie z.B. Bor (10 B5 ), Lithium (6 Li3 ) und Helium (3 He2 ), die sich durch Empfang eines Neutrons unter Emission eines α-Teilchens (Li, B) oder eines Protons (He) umwandeln. Bor setzt man in definiertem Mass dem Kühlwasser zu, wenn der Reaktor gerade angefahren wird (Beginn der Kettenreaktion und damit Beginn der Wärmeproduktion). Dieses verhindert um Anfang ein schnelles Ansteigen der Kernreaktionen. Es wird dann im Laufe der Zeit wieder aus dem Kühlwasser entfernt. Zudem gleicht man mit Bor in Leichtwasserreaktoren den stattfindenden Aktivitätsverlust der immer mehr abbrennenden Brennelemente aus, um so eine gleichmäßige Reaktorleistung über die lange Betriebszeit von einem ca. Jahr zu gewährleisten. Auch eine Reihe von schweren Elementen sind ausgezeichnete Absorbermaterialien. Es sind dies besonders die Metalle Cadmium, Indium und Silber. Andere Neutronengifte

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2.1 G RUNDAUFBAU UND F UNKTIONSPRINZIPIEN

Abbildung 23: Absorptionsquerschnitte von Cadmium, Indium und Silber. [Emendörfer and Höcker, 1986, Seite 112] spielen bei Reaktormaterialien eine untergeordnete Rolle. Cadmium absorbiert vorzüglich Neutronen geringerer Energie (bis ca. 0,5 eV), während Indium eine Absorptionsspitze im mittleren (Maximum bei 1,44 eV), Silber dagegen im höheren Energiebereich (Maximum bei 5,5 eV) besitzt. Ein Gemisch dieser Stoffe gibt einen ausgezeichneten Absorber für langsame Neutronen ab, die ja gerade für die Kernspaltung (im thermischen Reaktor) benötigt werden. So verwendet man in einem typischen Leichtwasserreaktor (DWR) Gemische aus 80 % Silber, 15 % Indium und ca. 5 % Cadmium. Zum Einsatz kommt auch das chemisch an Kohlenstoff gebundene Bor in Form des B4 C. Eine gewisse Rolle als Neutronengift spielt auch das bei der Kernspaltung als Spaltprodukt15 entstehende Xenon. Es ist ein starker Neutronenabsorber und stellt bei Langzeitbetrieb einen Minderungsfaktor im Neutronenhaushalt dar. Die Verteilung der Spaltprodukte eines LWR gestaltet sich etwa, wie in Abbildung 24 auf Seite 52 dargestellt (Spaltung von U-235). Besonders häufig entstehen Spaltprodukte mittlerer Massenzahlen (95/140). 15

51

2.1 G RUNDAUFBAU UND F UNKTIONSPRINZIPIEN Element 3 He 6 Li Li 10 B B 113 Cd Cd 135 Xe 16

σA (für thermische Neutoronen) 5 327 945 71 3 837 759 20 000 2 450 2 636 000

HWZ stabil stabil stabil stabil stabil stabil stabil 9,2 h

Tabelle 9: Absorptionsquerschnitte und Halbwertszeiten von Neutronengiften. [Emendörfer and Höcker, 1986, Seite 110]

Abbildung 24: Verteilung der Spaltprodukte eines Leichtwasserreaktors

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2.2 D IE VERSCHIEDENEN S TANDARDREAKTORTYPEN Die Steuerstäbe werden in Führungen, die in den Brennelementen vorhanden sind, eingefahren und erlauben so eine genaue Steuerung der Kettenreaktion. Gänzlich eingefahrene Steuerstäbe stoppen die Kettenreaktion. Der Langzeitbetrieb wird durch langsames und kontinuierliches Ausfahren Regelstäbe erreicht. Je nach Konstruktion werden so die Brennelemente von oben oder von unten her langsam abgebrannt. So einfach, wie sich dieses hier anhört ist es aber dennoch nicht. Bedingt durch Nachzerfallsreaktionen, bei denen wieder um Neutronen frei werden können, ist auch nach dem Einfahren von Regelstäben eine Zeit lang ein gewisses Potential an Neutronenquellen vorhanden. Man bezeichnet diese verspätet auftretenden Neutronen als verzögerte Neutronen. Sie machen jedoch nur etwa 1% der gesamter Spaltneutronen aus. Sie und die weiteren Zerfälle der entstandenen radioaktiven Stoffe bilden bei entsprechend groß dimensionierten Kernreaktoren ein beachtliches Wärmepotential. Der Anteil dieser Nachwärme beträgt in den ersten Sekunden nach dem völligen abschalten, noch etwa 5% der Leistung des Reaktors vor dem Abschalten. Unter normalen Betriebsbedingungen stellt die Abführung dieser Wärme kein Problem dar, jedoch im Falle eines Kühlmittelverlustes (Störfall) ist sie der Hauptproblempunkt, da dann unter Umständen das Spaltmaterial zu Schmelzen beginnt. Doch davon später mehr. Die zwei wichtigsten Grundbausteine eines Kernreaktors sind die Brennelemente und die Regelmechanik. Nicht minder wichtig ist nun die Abfuhr der entstandenen Wärme und deren weitere Verwendung. Was bis hier noch für alle Reaktortypen grundsätzlich richtig war, unterscheidet diese nun in der technischen Ausführung all der Behelfsinstallationen, die auch letztendlich zur Produktion von Strom oder anderem Enprodukten (Wärme) führen. lm Folgenden eine genauere Darstellung der unterschiedlichen Reaktortypen, ihrer Vorteile und Nachteile, sowie die technische Realisierung. Ich möchte dies für die ersten drei Reaktortypen in einer Kurzbeschreibung tun, um dann genauer auf den Hochtemperaturreaktor einzugehen.

2 2.1

Die verschiedenen Standardreaktortypen Siedewasserreaktor (SWR) Der SWR ist die - von seinem Grundaufbau her - einfachste Art eines Kernreaktors. Er ist ein Leichtwassermoderierter (thermischer) Reaktor, der mit auf ca. 2,7 % angereichertem Natururan arbeitet. Die in den Brennelementen erzeugte Wärme bringt das Wasser, das hier gleichzeitig Kühlmedium ist und unter relativ geringem Druck (ca. 70 bar) steht, zum Sieden. Der entstehende Dampf wird direkt zum Antrieb einer Dampfturbine verwendet, ohne Zwischenwärmetauscher. Dieses Aufbauprinzip charakterisiert den Aufbau eines typischen SWR.

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2.2 D IE VERSCHIEDENEN S TANDARDREAKTORTYPEN

Abbildung 25: Prinzipschaltbild Siedewasserreaktor [Franzen, 1980, Seite 38] So werden die Steuerstäbe von unten in den Reaktor eingefahren, da die zur Wasser-Dampftrennung nötigen Installationen viel Platz im oberen Teil des Reaktordruckbehälters in Anspruch nehmen. Sie müssen oberhalb des Reaktordruckgefässes angeordnet sein, da hier auch der Dampf austritt. Eine Trennung des Dampfes von Wasser ist generell notwendig, da ein zu hoher Wasseranteil im Dampf sich negativ auf die nachfolgenden Rohrleitungen (Dampferosion) und auf die Effektivität der Dampfleitung (hohe Reibungsverluste) auswirkt. Diese Konstruktion bewirkt aber den Verlust der einfachsten Form der mechanischen Schnellabschaltung im Störfall: Einfallen der Steuerstäbe durch die Wirkung der Schwerkraft. Diese Methode wird normalerweise verwendet, da sie praktisch nicht versagen kann. Ausgeglichen wird dieses Manko durch die mehrfache Auslegung der Antriebe der Regelstäbe. Das Wasser im Reaktordruckgefäß wird zusätzlich noch ständig mittels der Hauptkühlmittelpumpen umgewälzt, damit eine gleichmäßige Temperaturverteilunq gewährleistet wird. Alles in allem also ein sehr hoher konstruktiver Aufwand. Auch nimmt man bei der Konstruktion eines SWR in Kauf, dass radioaktive Stoffe in die Turbine gelangen, wodurch das Maschinenhaus ebenfalls zum nuklearen Sicherheitsbereich wird. Ein moderner17 SWR mit einer Leistung von ca. 1300 MW Leistung (Strom) besitzt einen Reaktordruckbehälter (RDB) von nahezu 23 m Höhe, bei einem Innendurchmesser von 6,6 m. Sein Gewicht beträgt einschließlich des gewichtigen Gefäßdeckels 785 t. Er enthält ca. 140 t 17 Modern ist hier nicht ganz richtig, denn SWR werden aufgrund ihrer unsicheren

und aufwendigen Konstruktion nicht mehr gebaut.

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2.2 D IE VERSCHIEDENEN S TANDARDREAKTORTYPEN

Abbildung 26: Siedewasserreaktor Einbauten rund um den Reaktordruckbehälter. Man beachte die enorme Größe des Reaktordruckbehälters, die Tatsache, dass die Regelstäbe unten(!) sitzen. Reaktordruckbehälter mit Einbauten eines Siedewasserreaktors mit einer elektrischen Nettoleistung von 1249 MW (KKW Grundremmigen)

[Franzen, 1980, Seite 38 und 46]

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2.2 D IE VERSCHIEDENEN S TANDARDREAKTORTYPEN Uran, dass in Form von Pellets in 784 Brennelementen á 62 Brennstäbe untergebracht ist. Ferner enthält er die komplette Dampfabscheiderarmatur. Der RDB ist von einem 1 m dickem biologischen Schild umgeben, welches die Strahlung abschirmt. Der SWR hat eine spezielle Sicherheitseinrichtung, die Kondensationskammern. Sie kondensieren den im Störfall entweichenden Dampf und verhindern so ein zu starkes Ansteigen des Drucks im Reaktorgebäude und sollen damit ein Entweichen radioaktiver Stoffe in die Umwelt vermeiden. Aus diesem Grund besitzen SWR älteren Typs, wie sie auch heute noch in Betrieb sind, keine druckfeste Sicherheitshülle um die Einbauten. In neueren Konstruktionen verwendet man druckfeste Sicherheitsbehälter um den RDB. Ebenso - wie alle in der BRD betriebenen Kernreaktoren - müssen diese gegen wahrscheinliche Naturkatastrophen, wie Erdbeben oder Überschwemmungen, sowie gegen Fluzeugabstürze gesichert sein. Dies geschieht mit meterdicken Betonwänden, die um das gesamte Reaktorgebäude mit seinen Sicherheitseinrichtungen gebaut sind. Sie sind jeweils für die denkbar ungünstig Unfallsituation konstruiert.

2.2

Druckwasserreaktor (DWR) Der DWR arbeitet ebenso mit angereichertem Natururan (ca. 3-4%) und ist leichtwassermoderiert. Sein wesentlicher Unterschied zum SWR liegt in der Trennung des Wasser/Dampf-Kreislaufs (Sekundärkreislauf) vom nuklearen Wasserkreislauf (Primärkreislauf). Der Primärkreislauf steht unter enorm hohem Druck (ca. 150 bar), so dass das Wasser nicht siedet. Die Temperatur des Wassers beträgt hier etwa 320°C. Dementsprechend unterscheidet sich der Aufbau des RDB erheblich von Siedewasserreaktoren. Das Wasser durchläuft den RDB von unten nach oben. Dabei wird es an den Brennelementen vorbeigeführt, welche das Wasser aufheizen. Die Regelstäbe greifen von oben in den RDB. Das Inventar an spaltbarem Material beträgt ca. 100 t (Urandioxid : UO2 ). Damit der RDB dem enormen Druck von ca. 150 bar und darüber (Sicherheitspielraum) standhalten kann, hat er eine Wandstärke von 25 cm Stahl! Das Gefäß wiegt etwa 400 t und hat eine Höhe von 10 Metern. Der Durchmesser beträgt 5 m. Die Brennelemente befinden sich in einem Gerüst (Kerngerüst) wie beim SWR. Der Primärkreislauf ist in sich geschlossen. Das überhitzte Wasser des Primärkreislaufs wird nun in einen separaten Dampferzeuger geführt. Er ist nach dem einfachen Prinzip eines Wärmetauschers aufgebaut. Dieser besteht aus hunderten von Uförmig gebogenen Rohren, durch die Primärwasser strömt. An ihnen

56

2.2 D IE VERSCHIEDENEN S TANDARDREAKTORTYPEN

Abbildung 27: Siedewasserreaktors Reaktordruckbehälter mit Einbauten eines Kraftwerks mit einer elektrischen Nettoleistung von 1249 MW (KKW Grundremmigen)

[Franzen, 1980, Seite 44]

57

2.2 D IE VERSCHIEDENEN S TANDARDREAKTORTYPEN verdampft das Wasser, wie an einem Tauchsieder und wird den Turbinen zugeführt. Der Dampf hat dann eine Temperatur von ca. 270 °C und steht unter einem Druck von ca. 50 bar. Ein typischer DWR mit 1300 MW elektrischer Leistung besitzt 4 Primär- und 4 Sekundärkreisläufe, die jeweils eigene Dampferzeuger betreiben. Diese Form eines Kernkraftwerkes vermeidet viele Schwachstellen des SWR. Die Steuerstäbe werden im normalen Betrieb, wie beim SWR hydraulisch oder- elektrisch eingefahren. Jedoch ist eine Notabschaltung durch Schwerkraft möglich, da die Regelstäbe hängend an Magneten angeordnet sind. Eine Stromunterbrechunq lässt sie selbstständig und sofort einfallen, egal in welcher Position sie sich gerade befinden. Weiterhin ist eine Notkühlung (Nachwärmeabfuhr) des Reaktorkerns durch die mehrfache Auslegung der Kühlkreisläufe (primär) gegeben. Auch bei starkem Druckverlust. Man musste jedoch auf Grund der großen Masse an Wasser im Primärkreislauf, die unter hohem Druck steht, eine zusätzliche, druckfeste Sicherheitshülle installieren. Bei einem Störfall (z .B. dem Bruch einer Kühlmittelleitung) muss diese Hülle den Druckaufbau durch das spontan verdampfende Wasser (300 °C, 150 bar) aushalten, um eine Freisetzung aus dem Reaktorgebäude zu verhindern. Sie hat bei heutigen Druckwasserreaktoren einen Durchmesser von 56 m bei einer Wandstärke (Stahl) von 3 cm. Sie besitzt die Form einer Kugel, die stabilste Form für einen Druckaufbau. Die Sicherheitshülle umschließt alle Einbauten des Reaktorgebäudes: Primär- und Sekundärkreislauf. Das Maschinenhaus mit den Dampfturbinen ist nebenangestellt. Um das Inventar der beiden Kreisläufe ist noch ein zylinderförmiger Sicherheitsbehälter gebaut, ähnlich dem biologischen Schild des SWR, der Beschädigungen der Sicherheitshülle bei Störfällen verhindern soll. Denn z.B. beim Riss einer Hauptkühlmittelleitung, die unter hohem Druck steht, fliegen gefährliche zentimeterdicke Metallsplitter umher.

2.3

Schneller Brutreaktor Der schnelle Brüter ist von Aufbau her ein erweiterter DWR mit 3 Kühlkreisläufen: er besitzt einen zusätzlichen Zwischenkühlkreislauf. Er verwendet Pu-239 als Spaltstoff und Uran-232 als Brutstoff im Mischungsverhältnis 5:1. Dieser Brennsstoff macht einige Besonderheiten hinsichtlich der Materialauswahl notwendig. Wir wissen, dass Pu am besten durch schnelle Neutronen gespalten wird und das die Brutrate von Uran-238 bei schnellen Neutronen ihre höchsten Werte erreicht. Somit scheidet die Moderation durch Wasser von vorne herein aus, da sie die Neutronen abbremsen würde. Hinzu kommt noch, dass schnelle Brutreaktoren, um eine genügend hohe Brutrate zu erhalten, eine äußerst hohe Leistungsdichte erfordern.

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2.2 D IE VERSCHIEDENEN S TANDARDREAKTORTYPEN

Abbildung 28: Druckwasserreaktor [Franzen, 1980, Seite 29 und 35] Der Aufbau des Kraftwerks ist ganz auf Störfallsicherheit ausgelegt. Eine wesentliche bauliche Besonderheit ist die räumliche Trennung von RDB und Kühlmittelpumpen. Sie sind außerdem oberhalb der Reaktorkerns angebracht. Die gesamte Einrichtung ist von einer druckfesten Sicherheitshülle umgeben. Nur Wasser des (nichtradioaktiven) Sekundärkreislaufs verlässt das Hauptgebäude. Im Störfall kondensiert das Wasser an den Wänden der Sicherheitshülle und steht wieder zur Kühlung zur Verfügung. Entsprechende Notkühlsysteme sind vorhanden.

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2.2 D IE VERSCHIEDENEN S TANDARDREAKTORTYPEN

Abbildung 29: Dampferzeuger und Reaktordruckbehälter eines modernen DWR [Franzen, 1980, Seite 30 und 31]

60

2.2 D IE VERSCHIEDENEN S TANDARDREAKTORTYPEN

Abbildung 30: Prinzipschaltbild eines schnellen Brutreaktors (SBR). Die Stickstoff bzw. Argonfüllung um den Reaktordruckbehälter soll eine Reaktion des Natrium (im Störfall) mit dem Luftsauerstoff verhindern.

[Franzen, 1980, Seite 60] Abbildung: Prinzipielles Schaltbild eines schnellen Brutreaktors (SBR). Die Stickstoff, bzw. Argonfüllung um den Reaktordruckbehälter soll eine Reaktion des Natriums im Störfall mit dem Luftsauerstoff verhindern. Die Leistungsdichte hängt mit der Spaltstoffkonzentration pro Volumeneinheit zusammen. Sie bezeichnet die pro Volumeneinheit freigesetzte Energiemenge (meist in kW pro Ltr). Um dies zu erreichen, muss ein äußerst kompakter Reaktorkern konstruiert werden, der bedingt durch die hohe Wärmeproduktion - ein sehr effektives Kühlmedium benötigt. Deshalb scheiden auch gasförmige Kühlmittel, die zwar wenig moderieren wurden, als Kühlmedium aus. Ein Moderator im eigentlichen Sinne ist ja eher unerwünscht, da schnelle Neutronen bevorzugt werden. Man fand das geeignete Kühlmittel im Natrium. Dieses Metall, dass einen sehr niedrigen Schmelzpunkt besitzt (110 °C), ist bei Betriebstemperatur (ca. 550 °C) flüssig. Natrium hat zudem ausgezeichnete Kühleigenschaften. Es kann die hohen Energiemengen fasst drucklos (12 bar) abführen, seine Wärmeleitfähigkeit übertrifft die des Wassers um das 100fache. Der Wärmeübergang Kernbrennstoff/Natrium wird dadurch erheblich beschleunigt. Jedoch ist die Wärmekapazität (Maß für die Energiespeicherung pro Zeiteinheit) nur ein Drittel so groß, wie die von Wasser, andere Vorteile überwiegen allerdings in diesem Fall. Weiterhin ist Natrium durch sein hohes Atomgewicht ein idealer Neutronenstreuer (elastisch), so dass die Energien der Neutronen erhalten

61

2.3 H OCHTEMPERATURREAKTOR (THTR) bleiben. Der hohe Siedepunkt von Natrium liefert auch gewisse Sicherheitsreserven in der Nachwärmeabfuhr. Im Falle eines Kühlmittellecks ist durch entsprechende Maßnahmen eine ständige Kühlung (Reaktorkern) möglich. Doch all den Vorteilen des Natriums aus neutronenphysikalischer Sicht, steht das aggressive chemische Element gegenüber. Natrium ist sehr aggressiv. Es greift nicht nur andere Metalle und Reaktormaterialien an und erfordert deshalb hochwertige Stähle. Natrium muss auch vollkommen unter Sauerstoffabschluss gehalten werden, damit es nicht oxidiert. Zudem reagiert Natrium äußerst heftig mit Wasser, und dieses ist - in Folge des Betriebs von Dampfturbinen - immer in unmittelbarer Nähe vorhanden. Zwar hat man durch einen Natrium/Natrium Zwischenkühlkreislauf den nuklearen vom Dampfkreislauf getrennt, jedoch besteht immer die Gefahr eines Lecks im Dampferzeuger, womit ein Eintreten von Dampf/Wasser in das Sekundärnatrium nicht mehr zu verhindern ist. Bei der Natrium/Wasser-Reaktion entsteht in großen Mengen Wasserstoff. Die Bildung von Knallgas (O2 und H2) will man durch einen Luftabschluss, aller Natrium/Wasser- Kühlsysteme verhindern. Der Druckanstieg durch die Wasserstofffreisetzung wird vom Sekundärkreislauf ausgehalten. Er ist für einen solchen Störfall ausgelegt. Was spricht, angesichts der schwierigen Natriumtechnologie für den schnellen Brüter? Da der SBR Plutonium als Spaltstoff verwendet, kann in ihm in Leichtwasserreaktoren erbrütetes Plutonium zum Einsatz kommen, das sonst endgelagert werden müsste. Ein anderer Vorteil überwiegt aber noch stärker: der SBR erzeugt sozusagen seinen Spaltstoff selbst. Aus sonst nicht nutzbarem Uran-238 macht er spaltbares Pu-239. Er erweitert also die zur Verfügung stehenden Spaltstoffreserven um ein Vielfaches. SBR nutzen das Uran ca. 60mal besser aus, als herkömmliche Leichtwasserreaktoren. Doch trotz all dieser Vorteile ist die Natriumtechnologie, wie sie in den Maßstäben eines Kernkraftwerkes zum Einsatz kommt/ noch sehr teuer und es muss die Frage gestellt werden, ob ein Kernreaktor mit ebenso vielen Gefahrenquellen überhaupt noch nötig ist - in Anbetracht der Tatsache, dass Kernkraftwerke höchstwahrscheinlich das Ende ihrer Rohstoffquelle Uran nicht mehr erleben werden.

3

Hochtemperaturreaktor (THTR) Den folgenden Abschnitt möchte ich in besondere Weise einem fortgeschrittenen Reaktortyp widmen, der sich in einiger - besonders si-

62

2.3 H OCHTEMPERATURREAKTOR (THTR) cherheitstechnischer Weise - aus den übrigen Reaktorkonzepten hervortut. Der Hochtemperaturreaktor arbeitet - wie der Name sagt - mit sehr hohen Betriebstemperaturen (bis zu ca. 1000 °C). Dies macht ihn für bestimmte Anwendungsbereiche der Prozesswärmenutzung interessant. Besonders markant ist die Möglichkeit, sehr kleine Leistungseinheiten (um 100 MW elektischer Leistung) noch wirtschaftlich zu bauen und zu betreiben.

3.1

Das konstruktive und physikalische Grundprinzip Es gibt unterschiedliche Konzepte für einen Hochtemperaturreaktor. Eines davon ist der gasgekühlte, graphitmoderierte und thermische Thorium-Hochtemperaturreaktor (THTR). Die Entwicklung dieses Reaktortyps (besonders hier in Deutschland mit dem Versuchsreaktor AVR (Arbeitsgemeinschaft Versuchsreaktor) in Jülich, erfolgte mit dem Ziel, einen im Hinblick auf Störfallfolgen wirklich sicheren und im Hinblick auf ökonomische Bedürfnisse sinnvollen Kernreaktor zu entwickeln. Zum ersten ist der THTR ein Brutreaktor, der die Umwandlung von Thorium-232 in spaltbares Uran-235 nutzt. Wichtigstes Merkmal der Konstruktion ist der sog. Kugelhaufenkern. Der Reaktorkern (das Core) besteht nicht, wie gewöhnlich aus einer Konstruktion mit Brennelementen und Brennstäben, sondern aus einer lösen Schüttung von Brennelement- und Moderatorkugeln, die von entsprechenden Einbauten gehalten und lose geführt werden. Diese Kugeln haben alle den gleichen Durchmesser von 6 cm. Die Moderatorkugeln bestehen zu 100% aus Graphit. Die Brennelementkugeln bilden eine Synthese aus Moderator- und Spaltstoff- bzw. Brutstoffanteilen. Der Neutronenlieferant für die benötigten Brutreaktionen ist hochangereichertes Uran-235 (93 %). Es liegt in der Oxidform UO2 vor. Brutstoff ist Thorium-232, ebenfalls in der Oxidform ThO2 . Insgesamt kommen bei einem Standardelement, wie es für fast alle Prototypen Verwendung findet, auf 1 Teil Uran 10 Teile Thorium. Diese werden in sog. coated particles (beschichtete Partikel) mit einem Durchmesser von ca. 0,5 mm zusammengefasst. Das Mischoxid wird zu diesem Zweck zu kleinen Kernen gepresst. Dann werden die Kerne mit mehreren Schichten umgeben. Diese bilden einen druckfesten Abschluss der Teilchen. Damit wird eine Spaltstofffreisetzung effektiv verhindert. Die inneren, porösen Pyrokohlenstoffschichten dienen der Aufnahme der entstehenden Spaltgase. Eine dritte Schicht aus Siliziumcarbit (SiC) bildet zusammen mit einer äußeren Pyrokohlenstoffschicht

63

2.3 H OCHTEMPERATURREAKTOR (THTR)

Abbildung 31: Standard-HTR-Brennelement. Anstelle eines Mischoxidkerns kann für die coated particles auch Natururan (angereichert) verwendet werden. [Deutsches Atomforum e.V., 1984], Anhang Seite 107

den druckfesten Abschluss des Teilchens. Der wesentliche Vorteil dieser Brennelement-Form ist die Möglichkeit der kontinuierlichen Beladunq, bzw. des kontinuierlichen Abzugs von Brennelementen aus dem Core - auch während des Betriebs. Dies geschieht pneumatisch, mit Hilfe eines Rohrpostsystems. Dieser Be- und Entladetechnik hat man seit Inbetriebnahme des ersten deutschen THTR, des AVR (Allgemeiner Versuchsreaktor) 1967 sehr gute Erfahrungen gemacht. Generell waren die durchweg positiven Ergebnisse dieses Prototypkerrrreaktors der Anstoß für die Weiterentwicklung dieses Reaktorkonzepts. Man hat Graphit sowohl als, Moderator, als auch als Konstruktionsmaterial im Reaktor gewählt, weil er sowohl neutronenphysikalisch, als auch in seinen Materialeigenschaften eine optimale Lösung der gestellten Probleme ermöglicht. Der HTR ist auf eine hohe Betriebs- und Ausgangstemperatur hin konzipiert. Graphit verträgt als keramischer Werkstoff außerordentlich hohe Temperaturen, ohne dabei seine Struktur oder Stabilität zu zu verlieren. Erst bei Temperaturen weit über 2000 °C verändern sich seine Eigenschaften. Graphitsublimation findet ab ca. 3500 C° statt hohe Sicherheitsreserven. Zudem besitzt Graphit ausgezeichnete Moderatoreigenschaften. Zwar ist die Abbremsung auf Grund des relativ hohen Atomgewichts nicht so groß, wie bei Wasser, jedoch zeichnet sich Kohlenstoff durch eine äußerst geringe Neutronenabsorption aus. Die geringere Moderation bedingt im Vergleich zu üblichen Leichtwasserreaktoren bei gleicher Leistung, ein sehr großes Core, bzw. einen sehr großen Moderatoran-

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2.3 H OCHTEMPERATURREAKTOR (THTR)

Abbildung 32: Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme eines aufgebrochenen beschichteten Partikels mit SiC-Schicht. [Deutsches Atomforum e.V., 1984, Seite 107] teil am Spalt-Brutmaterialvolumen. Die Brennelemente sind von Graphitreflektoren umgeben, um die Leckage zu minimieren. Der gesamte Innenausbau des Reaktorgefäßes ist nach dem Baukastenprinzip mit ineinandergreifenden Graphitbausteinen konzipiert. Ermöglicht wird dies durch die relativ einfache Vearbeitunq des Graphits. Es lässt sich bohren, fräsen oder pressen. Diese Konstruktion hat den Vorteil eines einfachen, unkomplizierten Aufbaus und ermöglicht materialspezifisch fein Versagen der Stabilität, auch bei starken Kernaufheizungen. Eine solche Konstruktion wird durch den verschwindend geringen Wärmeausdehnungskoeffizienten des Graphits zusätzlich begünstigt. Man vermeidet so, die Statik beeinflussende Eigenspannungen bei starken Temperaturschwankungen. Die Brennelemente werden durch Heliumgas gekühlt. Dieses hat zwar im Vergleich zu Flüssigkeiten geringere Wärmeleit- und Speicherungseigenschaften, aber es zeigt erstens als Edelgas keine neutronenphysikalischen Reaktionen und besitzt während des Betriebs eine sehr geringe Kühlgasaktivität (geringe Konzentration an radioaktiven Partikeln). Man erhöht die Geschwindigkeit des Wärmeübergangs Graphit/Helium durch einen gewissen Betriebsdruck, der im Normalfall etwa 40 bar beträgt. Eine Erhöhung der radioaktiven Aktivität des Kühlgases erfolgt ausschließlich durch feste Teilchen. Dies können z.B. Graphitstaub oder geringe Mengen an Spaltstoffgas oder -teilchen sein, die auf Grund von Fertigungsfehlern der coated particles den Brennelementen entweichen konnten. Erfahrungen und Experimente mit den beschichteten Teilchen haben gezeigt, dass der Anteil undichter Partikel (defekte SiC-Schicht) bei heute üblicher Herstellung weniger als 20 ∗ 10−6 an der Gesamtpro-

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2.3 H OCHTEMPERATURREAKTOR (THTR)

Abbildung 33: Prinzipschaltbild eines THTR mit Spannbetonbehälter und Dampferzeuger. [Franzen, 1980, Seite 49] duktion beträgt. Dies ist ein Wert, der den gesetzten Grenzwert von 60 ∗ 10−6 defekten Partikel deutlich unterschreitet. Die Steuerung des THTR-Core erfolgt mit Regelstäben, die direkt in den Kugelhaufen einfahren. Aufgrund der geringen Leistungsdichte genügen bei manchen Anlagen Absorberstäbe, die lediglich in Bohrungen des äußeren Neutronenreflektors eingelassen sind, zur Steuerung.

3.2

Der aktuelle Stand der THTR-Entwicklung Die Entwicklung von Hochtemperaturreaktoren wird weltweit vorangetrieben. Besonders die USA, Japan und die UdSSR sind daran maßgeblich beteiligt. Die USA haben sich auf blockförmige Brennelemente beschränkt und einen THTR großer Leistung (1160 MW/el) konstruiert. Man ist von diesem Konzept aber wieder abgekommen, da ein THTR dieser Leistung die wesentlichen Sicherheitseigenschaften eines HTR nicht mehr ausnutzen kann. Eindeutige amerikanische sowie deutsche Sicherheitsstudien18 zeigen den Verlust HTR-spezifischer Sicherheitsaspekte und bedingen deshalb aufwendige Sicherheitsmaßnahmen, wie wir sie von den Leichtwasserreaktoren her kennen. Die UdSSR experimentieren mit kleineren Anlagen zwischen 50 und 400 MW/el, die nach dem Kugelhaufenprinzip arbeiten. Japan und die VR China zeigen großes Interesse an kleineren THTR-Anlagen zum Zwecke der Prozesswärmeproduktion. 18 AIPA

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2.3 H OCHTEMPERATURREAKTOR (THTR)

Tabelle 10: Technische Daten des AVR. [Franzen, 1980, Seite 49] 3.2.1

AVR In Deutschland begann die eigentliche Entwicklung auf dem Gebiet des HTR mit dem Bau des Versuchsreaktors AVR bei Jülich in Nordrhein-Westfalen. Dieser Prototyp, auf den ich aber nicht näher eingehen will, zeigte schon alle wesentlichen Merkmale heutiger THTR-Konstruktionen: Den Kugelhaufen, die Graphitmoderation, die Heliumkühlung und den Einsatz des Brutstoffes Thorium-232. Dies ermöglichte zahlreiche Weiterentwicklungen in der Materialforschung. Der AVR war von Anfang an mit dem Ziel gebaut worden, einen inhärent sichern Reaktorkern zu erhalten. Inhärent sicher bedeutet, dass im Falle eines Kernaufheizstörfalles (Kühlmittelverlust), der Reaktorkern selbststabilisierend reagiert und so ein Kernschmelzunfall in jedem Fall vermieden wird. Die technischen Daten des AVR können der Tabelle entnommen werden.

3.2.2

THTR-300 In Folge des AVR entwickelte die HochtemperaturKernkraftwerk GmbH einen leistungsfähigeren THTR-300, wie seit September 1983 in Uentrop/Hamm seinen Dienst tut. Er stellte in mancherlei Hinsicht hinsichtlich der Bauausführung ein Betreten absoluten technischen Neulands dar.

67

2.3 H OCHTEMPERATURREAKTOR (THTR) Der große Core eines 750 MW/th Reaktors, macht die herkömmliche Konstruktion eines Reaktordruckgefässes aus Stahl schwierig. Man entschied sich auch wegen des geringen Betriebsdruckes von nur 40 bar für einen vorgespannten Betonbehälter. Er ist innen von einer Stahldichthaut ausgekleidet und enthält neben dem Kernreaktor mit Graphiteinbauten auch die Dampferzeugungssysteme. Eine besondere Führung der Spanndrähte des Betonbehälters, entlastet diesen vom Innendruck. Der Spannbetonbehälter hat 4-5(!) Meter dicke Wände und einen Durchmesser (außen) von ca. 25 Metern. Zwischen Kernreaktor und RDB-Innenwand befinden sich - um das zylindrische Core angeordnet - 6 Dampferzeuger. Sie bilden zusammen mit den Gebläseeinrichtungen und Heissgaskanälen zur Kühlmittelumwälzung eine Einheit. Der Core beinhaltet etwa 675 000 Kugeln, davon etwas mehr als die Hälfte Brennelementekugeln (53%), der Rest besteht aus Moderator(Graphit)kugeln (40%) und Absorberelementen (7%). Sie durchlaufen den Core mehrmals von oben nach unten und werden - haben sie einen bestimmten Abbrand erreicht, ausgesondert. Das Heliumgas durchströmt den Core ebenfalls von oben nach unten nach dem Gegenstromprinzip. Dabei erhitzt es sich und gibt seine Wärmeenergie an den sekundären Wasser-/ Dampfkreislauf ab, der eine Turbine antreibt. Die Absorberstäbe tauchen zum einen Teil direkt in den Kugelhaufen ein (42 Stück) und bewegen sich zum anderen Teil (36 Stück) in Bohrungen des Neutronenreflektors. Das verwendete Mischoxidverhältnis beträgt 10:1 ( ThO2 : UO2 ). Die höhere Leistungsdichte des THTR-300 schließt aber einen Kernaufheizstörfall mit der Folge der Freisetzung radioaktiver Spaltprodukte aus den Brennelementen leider nicht mehr aus. So liegt die Versagensgrenze für Spaltstoffrückhaltung der coatet particles bei ca. 1600 C°, die maximale Coretemperatur berechnet sich aber im Störfall mit 2300 - 2400 °C. Diese liegt aber immer noch unter dem Schmelzpunkt der Brennstoffteilchen. Graphit ist bei diesen Temperaturen hinsichtlich der Stabilität - immer noch zuverlässig. Grund für die Gutmütigkeit in Bezug auf Coreaufheizstörfälle sind die physikalischen Störfalleigenschaften des THTR. Der THTR hat eine außerordentlich geringe Leistungsdichte. Leistungsdichte mit sich. Sie ist abhängig von der Leistung des Gesamtreaktors und beträgt bei einem 300 MW/el Reaktor (THTR-300) nur 6 KW/Ltr. Im Vergleich dazu hat ein DWR von 1300 MW/el mit 92 kW/Ltr. Oder ein gleich dimensionierter SWR mit 51 kW/Ltr. erheblich kritischere Werte.

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2.3 H OCHTEMPERATURREAKTOR (THTR)

Abbildung 34: Reaktoranlage des THTR-300 Besonderheiten: geringe Leistungsdichte (6 kW/Ltr.), 300 MW/el, 700 MW/th, Kugelhaufcore, Heliumkühlung.

[Franzen, 1980] Der extreme Vergleich mit einem 300 MW/el SBR von 375 kW/Ltr zeigt, wie gering die Leistungsdichte ist. Sie nimmt mit geringerer Leistung noch stärker ab. Was bedeuten nun diese Zahlen? Die geringe Leistungsdichte, gepaart mit der großen Wärmekapazität der massereichen Graphiteinbauten eines THTR, schließen bei Konstruktionen unter etwas 500 MW/th Gesamtleistung einen Kernschmelzunfall gänzlich aus. Allein ein Modell, wie der THTR-300 bringt es auf mehrere hundert Tonnen Graphit, die ein beachtliches Wärmespeichervermögen besitzen. Das Ansteigen der Temperaturen erfolgt selbst bei völligem Kühlmittelverlust so langsam, dass eine Nachwärmeabfuhr allein Konvektion (Energieabgabe durch Wärmeabstrahlung, ohne Wärmeübergang auf ein direktes Kühlmittel) möglich ist. Diese verzögerte Aufheizung des Cores gibt ausreichend Zeit, Gegenmaßnahmen zur zusätzlichen Kühlung - falls überhaupt erforderlich - einzuleiten. Unterstützt wird diese Sicherheitseigenschaft noch von der Möglichkeit, eine Kühlung auch durch Luft, mittels des Heliumkühlkreislaufes vorzunehmen. Auch bei Ausfall eines oder mehrerer Gebläse ist eine Nachwärmeabfuhr sichergestellt, da diese von vorne herein für diese Art Störfall ausgelegt wurden.

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2.3 H OCHTEMPERATURREAKTOR (THTR)

Abbildung 35: Blick in den Core des THTR-300 vor Inbetriebnahme. Aktivitätsmessungen bei der Erstbeladung des Reaktorkerns.

[Franzen, 1980] Auf andere mögliche Störfälle komme ich noch zu sprechen. Abschließend kann man sagen, dass der THTR-300 nicht in vollem Maß von den möglichen Sicherheitsaspekten eines THTR profitiert. Der Vergleich mit einem etwas anderen Konzept soll die möglichen Sicherheitsleistungen dieser Reaktortechnik aufzeigen. 3.2.3

HTR-MODUL 100 Der vielversprechendste Anwendungsbereich der Hochtemperaturtechnik ist die Prozesswärmenutzung. Die hohen Ausgangstemperaturen prädestinieren ihn für diesen Anwendungsbereich. So wurde auch das HTR-Modul von vorne herein für Betriebstemperaturen von 700 bis 950°C vorgesehen. Die Idee war, einen universell einsetzbaren Reaktor geringer Leistung zu konstruieren, der das Gefahrenpotential des Betriebs und der Störfallsituation eines Kernkraftwerkes auf ein Minimum reduziert. Man stützte sich im wesentlichen auf die Grundkonzeption des AVR. Der von KWU (Kraftwerksunion) 1980-81 entwickelte HTR-MODUL ist das Ergebnis der Bestrebungen, eine wirtschaftliche Durchführung der Kohlevergasung zu ermöglichen. Die Sicherheit, die man bei heutigen Reaktoren durch umfangreiche Sicherheitseinrichtungen erreichen muss, sollte der HTR-MODUL allein durch eine einfache Grundkonstruktion. Wichtigster Teil der

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2.3 H OCHTEMPERATURREAKTOR (THTR)

Abbildung 36: HTR-100

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2.3 H OCHTEMPERATURREAKTOR (THTR)

Abbildung 37: Maximale Störfalltemperatur im Kern des HTRMODUL als Funktion der Leistungsdichte. [Deutsches Atomforum e.V., 1984, Seite 45] MODUL-Konzeption ist die ist die Beschränkung auf eine geringe Ausgangsleistung und eine geringe Leistungsdichte. Wie wir nun wissen, ist dies die wichtigste Voraussetzung für ein gutmütiges Coreaufheizverhalten im Störfall. Die zweite Grundidee ist die des Kugelhaufenreaktors. Im Besonderen sind damit die Eigenschaften der Brennelemente gemeint. Eine Aktivitätsfreisetzung sollte schon Einheit, den coated particles verhindert werden. Dazu musste man sich der großen Sicherheitsreserven - der maximalen Temperaturen vor Spaltstofffreisetzung - dieser mehrfach beschichteten Teilchen bedienen. Die Bedingung, dass die maximale Brennelemtetemperatur für den Störfall deshalb 1600 °C auf keinen Fall überschreiten darf, führt direkt zu einer Leistungsdichte von 3 KW/Ltr. Dies entspricht einer Leistung von ca. 200 MW/th, wie sie der MODUL aufweist. Damit ist die Grundlage für die volle Ausschöpfung aller Sicherheitsreservern eines HTR bei maximaler Leistungsausbeute gegeben. Der HTR-MODUL arbeitet wie der AVR mit Heliumkühlung. Jedoch bedient er sich in einer ersten Brennstoffvariante nicht des Erbrütens von Uran-233 aus Thorium-232. Vielmehr arbeitet er mit auf 8% angereichertem Natururan, das aber ebenso in UO2-Form verwendet wird. Das Helium durchläuft den mit Graphit ummantelten Kugelhaufen von oben nach unten und heizt sich dabei je nach Anwendungsbereich von 250 auf bis zu 950°C auf.

72

2.3 H OCHTEMPERATURREAKTOR (THTR) Wesentliches Konstruktionsmerkmal des MODUL ist dabei die räumliche Trennung des RDB (der aus Stahl gefertigt ist) und des Sekundärkreislaufs. Dies ist so, weil sich auf diese Weise sekundär verschiedene Varianten der Ankoppelung anbieten. In jedem Fall folgt ein Wärmetauscher, der den primären/nuklearen Heliumkreislauf vom Sekundärkreislauf trennt. Dies kann z.B. ein Dampferzeuger, ein Röhrenspaltofen (für die Kohlevergasung) oder ein weiterer Helium/HeliumKreislauf sein. Auffallend ist der geringe Durchmesser des Cores. Er beträgt nur 3 Meter. Dies hat zwar nachteilige Auswirkungen auf den Neutronenhaushalt, aber ein groß dimensionierter Neutronenreflektor aus Graphit mindert diesen Nachteil. Ein weiterer, sicherheitstechnisch interessantes konstruktives Detail: die Steuerstäbe fahren nicht direkt in den Kugelhaufen ein, sondern es genügt, 6 Absorberstäbe im Neutronenreflektor zu führen. In anderen funktionalen Details folgt er dem grundsätzlichen Aufbau eines THTR-300 oder AVR. Besonders erwähnenswert sind die Sicherheitseigenschaften des HTRMODUL. Ein Kernschmelzunfall ist unmöglich! Und zwar hundertprozentig. Dies ist aus folgendem Grund so - ein weiterer Sicherheitsaspekt: Wird der Moderator erhitzt, so bewegen sich die Moderatorteilchen entsprechend schneller. Das hat zur Folge, dass bei thermischen Reaktoren die Neutronen nicht genügend abgebremst werden. Bei Leichtwasserreaktoren ist dieser Effekt ebenfalls vorhanden, aber nicht besonders ausgeprägt. Dort kommt er leider, auf Grund der hohen Leistungsdichten, und den damit verbundenen steilen Anstieg der Temperaturen bei Kühlmittelverlust, praktisch nicht zum Tragen. Wirkt sich dieser Effekt negativ auf die Neutronenbilanz aus, so spricht man von einem negativen Temperaturkoeffizienten. Wirkt sich umgekehrt eine steigende Temperatur positiv auf die Kettenreaktion aus, so spricht man von einem positiven Temperaturkoeffizienten. Letzteres ist bei speziellen Reaktortypen, wie z.B. bei dem Unglücksreaktor von Tschernobyl der Fall. Bei HTR wirkt dieser selbststabilisierende Effekt besonders bei höheren Temperaturen aus, da dort die Schwingungen eine Thermalisierung der Neutronen verhindern. Folge eines negativen Temperaturkoeffizienten ist also eine selbstständige (inhärente) Verringerung des Neutronenflusses. Weiterhin ist die Konstruktion des HTR-MODUL auf eine Nachwärmeabfuhr allein durch Konvektion ausgelegt. Deshalb auch der geringe Kerndurchmesser. Flächenkühler an der Außenseite des Reaktorgefäßes unterstützen diese Form der Wärmeabgabe.

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2.3 H OCHTEMPERATURREAKTOR (THTR)

Abbildung 38: Zeitlicher Verlauf lokaler Temperaturen bei Ausfall der Kühlung beim HTR-MODUL. [KFA, 1985, Seite 82]

Abbildung 39: HTR-MODUL [Franzen, 1980]

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2.3 H OCHTEMPERATURREAKTOR (THTR)

Abbildung 40: HTR-MODUL Querschnitt mit Dampferzeuger. [Franzen, 1980]

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2.3 H OCHTEMPERATURREAKTOR (THTR) 3.2.4

Andere HTR-Konzepte Ich möchte mir an dieser Stelle Ausführungen über weitere HTRKonzepte sparen, sie jedoch der Vollständigkeit halber erwähnen. Die Hochtemperatur-Reaktorbau (HRB)-GmbH hat nach der erfolgreichen Inbetriebnahme des THTR-300 ein Folgeprojekt vorgestellt. Es ist ein THTR mit einer Leistung von 500 MW/el: der THTR-500. Er folgt in seinem technischen und physikalischen Aufbau exakt seinem kleinen Bruder. jedoch erfolgt die Leistungssteigerung unter Inkaufnahme gewisser Sicherheitseinbußen. Ein Kernaufheizstörfall mit Freisetzung von Spaltprodukten kann nicht mehr ausgeschlossen werden. Wohl aber immer noch eine Kernschmelze, da die maximalen Coretemperaturen immer unter dem Level der 2800°C-Grenze bleiben. Ein weiterer Reaktortyp wurde in Gemeinschaftsarbeit der HRB und BBC entwickelt. Es ist der HTR-100. Er folgt dem Beispiel des AVR nur im Grundaufbau. Der Kugelhaufencore mit einer Leistungsdichte von 4,2 kW/Ltr wird vom Kühlgas Helium von unten nach oben durchströmt. Der Druck in dem aus Stahl gefertigten RDB beträgt 70 bar. Die normale Betriebstemperatur beträgt 700°C. Im oberen Teil des Reaktors befinden sich 3 Dampferzeuger/ Gebläseeinheiten. Sie sind so dimensioniert, dass die Nachwärmeabfuhr im Störfall durch ein einzelnes System gewährleistet ist. Der HTR-100 verzichtet also auf die Möglichkeit der Nachwärmeabfuhr durch Konvektion!

3.3

Störfälle beim Betrieb von HTR-Anlagen Die Konstruktion des HTR macht einige Störfalltypen, die auch schon teilweise beim Betrieb der Anlagen aufgetreten sind, wahrscheinlich. Es sind dies der Verlust des Kühlmittels, wie wir ihn besprochen haben. Interessant sind aber vor allen Dingen die Folgen solcher Störfälle. Ein solcher Störfall ist der Bruch einer Leitung im Dampferzeugersystem. Es erfolgt ein Wassereinbruch in der Core. Folge eines Wassereinbruchs in den Kugelhaufen ist Leistungsanstieg. Je nach Menge des eingedrungen Wassers (siehe Abbildung 41 auf Seite 77) steigt die Aktivität bis max ca. 16% an. Der Grund liegt in der Moderatorwirkung des Wassers, das für den Moment des Einbruchs viel besser moderiert als das Graphit, denn es weist einen höheren Bremsquerschnitt auf. Man ging bei der Kurve in Abbildung 41 auf Seite 77 von einen Brennelement mit 10 g Uran aus. Ein übliches Standardbrennelement, wie es z.B. im THTR-300 zum Einsatz kommt, enthält sogar 11,34 g Uran.

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2.3 H OCHTEMPERATURREAKTOR (THTR)

Abbildung 41: Reaktivitätsanstieg als Funktion des Wasserdampfinventars (Wassereinbruch ) in der Kugelschüttung. [Franzen, 1980, Seite 71] Da mit steigender Brennstoffkonzentration sich die Aktivitätssteigerung entsprechend erhöht, entschloss man sich im HTR-MODUL, Brennelemente mit einem Gehalt von nur 7 g Schwermetall zu verwenden. Der hypothetisch ungünstigste Störfall hätte einen Wassereinbruch von 600 kg in den Primärkreis zur Folge. Die Aktivitätssteigerung betrüge dann nur 0,3% (bei einem 7g Brennelement). Eine weitere Rolle spielen die durch das eingedrungene Wasser hervorgerufenen Korrosionserscheinungen am Graphit. Sie bewirken Korrosion der Graphitkugeln an deren Oberfläche. Dieser Umstand ist Folge der stattfindenden Wassergasreaktion. Sie findet besonders bei sehr hohen Temperaturen statt und liefert Wasserstoff und Kohlenmonoxid. Dieses Wassergas ist in geeigneter Konzentration hochexplosiv. Bei erhöhter Temperatur erhöht sich zwar auch die Korrosion des Graphits, und damit erhöht sich auch die Produktion von Wassergas, jedoch bleiben die Werte für die Korrosion im Schnitt unter 0.3% pro Brennelement. Dies entspricht einer umgesetzten Kohlenstoffmenge im HTRMODUL von ca. 45 kg (bei 600 kg Dampfeintritt). Im Vergleich zur Gesamtmasse Kohlenstoff von 72 t ist diese Menge vernachlässigbar.

77

2.4 V ERGLEICH DER R EAKTORKONZEPTIONEN Wird die Schäden an der Anlage behoben, so ist ein weiteres Betreiben des Reaktors nach dem Störfall ohne Probleme möglich. Die geringen Mengen Wassergas stellen kein ernsthafte Gefahr dar. Abbildung: Korrosion der Graphitkugeln nach der Wasserreaktion. Solche Korrosionen treten auch in den Graphiteinbauten (Graphitreflektor) auf. Da jedoch die Stärke der Korrosion in erheblichem Masse von der Temperatur abhängig ist, sind die Schäden i.d.R. nur minimal.

4 4.1

Vergleich der Reaktorkonzeptionen Sicherheit Nach den Ausführungen erübrigt sich ein Vergleich im Hinblick auf absolute Betriebssicherheiten von HTR-Anlagen kleineren Maßstabs mit denen üblicher Reaktorkonzeptionen (DWR, SWR, SBR) . Die hohen Leistungsdichten im DWR, SWR oder SBR-Konzept können einen Kernschmelzunfall bei Kühlmittelverlust nicht mehr verhindern. Man ist deshalb gezwungen, sich bei der Konstruktion solcher Anlagen, allein auf Minderung der Folgen der Unfallauswirkungen eines Kernschmelze zu konzentrieren. Diese müssen so ausgelegt sein, dass die Folgen eines GaU19 in jedem Fall so eingeschränkt werden, dass eine Freisetzung gefährlicher Mengen radioaktiven Materials in die Umwelt unter allen Umständen vermieden wird. Dies gilt für den Bau und Betrieb von kerntechnischen Anlagen in der Bundesrepublik Deutschland. Neben den USA sind es die strengsten Sicherheitsvorschriften, die ein Land bei Bau und Betrieb solcher Anlagen verlangt. Jedoch kann die grundsätzliche Konzeption eines LWR oder SBR nicht so ausgeführt werden (in wirtschaftlich sinnvollem Rahmen), dass ein Kernschelzunfall unmöglich wird. Die Kosten für die Sicherheitseinrichtungen eines modernen LWR machen in etwa die Hälfte der gesamten Baukosten aus. Im Hinblick auf Betriebssicherheit müssen diese entweder mehrfach vorhanden sein (redundant) oder/und in verschiedener baulicher Ausführung mit gleicher Sicherheitswirkung konstruiert werden (diversitär). An dieser Stelle muss ich auch bei aller Kritik auf den jahrelangen und bis auf übliche Störfalle, wie sie auch in konventionellen Kraftwerken auftreten - störungsfreien Betrieb deutscher KKW hinweisen. Es gab immerhin in der Bundesrepublik auch noch keinen Reaktorunfall, bei dem Menschenleben erheblich bedroht, oder bei dem etwa 19

GaU größter anzunehmender Unfall. Konzept der AIPA (Accident Initiation and Progresion Analysis). Sicherheitsstudie.

78

2.4 V ERGLEICH DER R EAKTORKONZEPTIONEN

Abbildung 42: Maximale Störfalltemperaturen einiger HTR-Anlagen. Menschen ums Leben gekommen wären. Dies kann man von vielen, im Ausland betriebener kerntechnischer Anlagen (nicht nur Kernkraftwerken) nicht behaupten. Beispiele, wie Windscale, Hurrisburg oder gar Tschernobyl zeugen von - meiner Meinung nach - verantworungslosem Umgang mit der Kernenergie. Interessant scheint mir ein VergIeich der unterschiedlichen HTRKonzeptionen zu sein. Ein Gesamtvergleich der maximalen Coretemperaturen, wie sie beim Verlust des Kühlmittels (völliger Verlust) auftreten zeigt, wie sehr diese Temperatur von der Leistungsdichte und damit von der Gesamtleistungsgröße eines HTR abhängig ist. So zeigen die Kurven ein klares Überschreiten der Brennstoffschmelztemperatur beim HTR mit 1160 MW/el (HTR-1160). Auch die Sublimationsgrenze des Graphit wird bei diesem Störfall überschritten. Die Berechnungen stützen sich auf die denkbar schlechteste Bruchstelle, die zu einer maximalen Coretemperatur führt. Der HTR-500 erreicht schon nicht mehr die Schmelztemperatur des Kernbrennstoffes, wohl aber den Bruch der Spaltstoffbarriere, die SiCSchicht der coated particles. Dies führt - ebenso wie beim HTR-300 mit einer Leistung von 300 MW/el (für ihn lagen leider keine entsprechenden Grafiken vor) zur Aktivierung des Kühlgases. Der Kurvenverlauf des HTR-300 würde sich etwa zwischen dem des HTR-500 und des MODUL-Reaktors befinden. Eine Aktivierung des Kühlgases und der Bruch der Kühlmittelleitung (oder eines vergleichbaren Bruches, der zu einem Leck im Primärkreislauf führt), führen zu

79

2.4 V ERGLEICH DER R EAKTORKONZEPTIONEN

Abbildung 43: Korrosion einer Graphitkugel nach der Wassergasreaktion. Solche Korrosionen treten auch in den Graphitaufbauten (Graphitreflektor) auf. Da jedoch die Stärke der Korrosion in erheblichem Masse von der Temperatur abhängig ist, sind die Schäden hier nur minimal.

[Franzen, 1980, Seite 113] einer Freisetzung von radioaktiv kontaminiertem20 Helium in das Reaktorgebäude. Hier wird es aber in jedem Fall vor einer Freisetzung in die Umgebung zurückgehalten (dichte Sicherheitshülle). Eine radioaktive Belastung der Umgebung des KKW erfolgt nur in geringem Masse, dass sich in keiner Weise gefährlich darstellt. Die vorgeschriebenen Grenzwerte werden nicht überschritten. Erkennbar wird aus der Grafik zudem, dass der Core des HTR-Modul in jedem Fall eine Temperatur, die einen Bruch der coated particles zur Folge hätte, unterschreitet. Dies ist, wie ausführlich besprochen, auf die konsequente Ausnutzung HTR-spezifischer, inhärenter Sicherheitseigenschaften zurückzuführen.

4.2

Anwendungsbereiche Während sich übliche Leichtwassereaktoren auf Grund ihrer hohen Gesamtleistung besonders für die Stromerzeugung eignen, bietet der HTR auf Grund seiner völlig anderen Konzeption eine Reihe interessanter Anwendungsmöglichkeiten. 20 Kontamination ist die Verunreinigung mit radioaktivem Material. Sie kann oberflächlich oder eindringend (Inkorporation) sein. So bezeichnet man die Verunreinigung der Oberfläche der Reaktoreinbauten (Staub, radioaktive Partikel) als Kontamination.

80

2.4 V ERGLEICH DER R EAKTORKONZEPTIONEN

Abbildung 44: Störfalltemperaturen unterschiedlicher Reaktoronzepte. In dieser Arbeit nicht behandelte Reaktoranlagen sind in der Abbildung belassen worden, da sie zusätzlich den Zusammenhang zwischen Leistungsdichte und maximaler Störfalltemperatur veranschaulichen. [Franzen, 1980, Seite 113]

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2.4 V ERGLEICH DER R EAKTORKONZEPTIONEN

Abbildung 45: Reaktoranlagen im Vergleich Der HTR-MODUL z.B. bietet dem Betreiber durch die räumlich getrennte Anordnung von Primär- und Sekundärkreislauf unterschiedliche Anschlussmöglichkeiten. Ein Dampferzeuger dient entweder der Produktion von Strom durch den Betrieb einer Dampfturbine mit sehr hohem Wirkungsgrad (deutlich über 40%) oder man koppelt hocherhitzten Hochdruckdampf aus, der den Betrieb einer sogenannten Tertiärölgewinnung zulässt. Diese erfordert hohe Reaktionstemperaturen und dient zur Verarbeitung von schweren Erdölen, die in chemischen Prozessen zu kleineren Kohlenwaserstoffverbindungen umgewandelt werden. Eine weiter Anschlussmöglichkeit bietet der HTR in der Kohlevergasung. Diese Technik ermöglicht die Herstellung von sogenanntem Synthesegas, das in seinen Anwenungsmöglichkeiten dem Erdgas gleichzusetzen ist. So kann es als wertvoller Rohstoff für die Chemie verwendet werden. Hier ist es wertvoller Ausgangsstoff für wertvolle Endprodukte, wie Methanol oder Benzin. Die Technik der Kohlevergasung erfordert sehr hohe Temperaturen (950°C). Zu diesem Zweck dient das Helium des Primärkreislaufs zum Betrieb eines Röhrenspaltofens (hier findet eine Methangasspaltung statt). Ausgangsprodukt ist das erwähnte Synthesegas. Das Methan entsteht bei der hydrierenden Vergasung der Kohle, welche ebenfalls vom HTR mit Energie versorgt

82

2.4 V ERGLEICH DER R EAKTORKONZEPTIONEN wird. Die zweite Art der Kohlevergasung, die Wasserdampfvergasung erfordert - da diese Methode sehr raumfordernd ist - eine räumliche Trennung des Primärkreislaufs von der Wasserdampfvergasungseinrichtung. Zu diesem Zweck wird an den Primärkreislauf ein Helium/Helium Zwischenwärmetauscher angeschlossen, der dann die Reaktion mit Energie versorgt.

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2.4 V ERGLEICH DER R EAKTORKONZEPTIONEN

Zusätzlich verwendetet Literatur: å [Deutsches Atomforum e.V., 1986a] å [Deutsches Atomforum e.V., 1984] å [Deutsches Atomforum e.V., 1986b] å [KFA, 1984] å [Koelzer, 1983] å [Münch, 1980] å [Praxis der Naturwissenschaften - Chemie, 1985] å [Hochtemperatur Kernkraftwerk GmbH (HKC), 1986]

84

Verzeichnisse Hinweis für die PDF Version: Bei einem Mausklick auf Internetverweise (http://...) öffnet der im Acrobat Reader eingestellte Webbrowser die zugehörige Seite.

85

Literatur [Deutsches Atomforum e.V., 1984] Deutsches Atomforum e.V. (1984). Jahrestagung Kerntechnik - Sicherheit von HTR Anlagen. Deutsches Atomforum e.V. 64, 65, 72, 84, 90 [Deutsches Atomforum e.V., 1986a] Deutsches Atomforum e.V. (1986a). Htr-Materialentwicklung, Versorgung und Entsorgung. Tagungsbericht der Fachstagung. Fachsitzung Deutsches Atomforum e.V. 84 [Deutsches Atomforum e.V., 1986b] Deutsches Atomforum e.V. (1986b). Kernthemen. Atomforum. Nummer 8 und Nummer 3. 84 [Emendörfer and Höcker, 1986] Emendörfer, D. and Höcker, K. H. (1986). Theorie der Kernreaktoren, volume Der stationäre Reaktor. BI Wissenschaftsverlag. 24, 32, 36, 43, 45, 49, 51, 52, 88, 89, 91 [Franzen, 1980] Franzen, L. F. (1980). Stellungnahmen zu Kernenergiefragen - Aufbau und Wirkungsweise von Kernkraftwerken. GRS - Gesellschaft für Reaktorsicherheit. 11, 47, 54, 55, 57, 59, 60, 61, 66, 67, 69, 70, 74, 75, 77, 80, 81, 87, 88, 89, 90, 91 [Hermann and Schumacher, 1987] Hermann, R. and Schumacher, A. (1987). Das Ende des Atomzeitalters. Verlag Moos und Partner München. 6, 24, 30, 37, 87, 88 [Hochtemperatur Kernkraftwerk GmbH (HKC), 1986] Hochtemperatur Kernkraftwerk GmbH (HKC) (1986). Der THTR-300. Hochtemperatur Kernkraftwerk GmbH (HKC). 84 [KFA, 1984] KFA (1984). Nutzen und Risiko der Kernenergie. Seminar Programmgruppe Technik und Gesellschaft der KFA im Februar. 84 [KFA, 1985] KFA (1985). Sicherheit von Hochtemperaturreaktoren. Tagungsbericht der Fachtagung im März. Kernforschungsanlage Jülich GmbH (KFA). 74, 90 [Koelzer, 1983] Koelzer, W. (1983). Lexikon zur Kernenergie. Kernforschungszentrum Karlsruhe. Erstauflage 1980 - Jetzt aktuell im Internet verfügbar. 84 [Münch, 1980] Münch, E. (1980). Tatsachen über Kernenergie. 2. AUflage. Verlag W. Girardet - Essen. Seite 109-126. 84 [Praxis der Naturwissenschaften - Chemie, 1985] Praxis der Naturwissenschaften - Chemie (1985). Kern und Radiochemie. Praxis der Naturwissenschaften - Chemie, 15. Oktober 1985. 84

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Abbildungsverzeichnis 1

2 3 4

Vereinfachtes Atommodell nach Bohr (Größenverhältnisse nicht wirklichkeitsgetreu) [Volkmer, 1986, Seite 4] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3

Elektronenhüllenmodell (Elektronen Dichteverteilung im Benzol) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

4

Aufbau des Atomkerns und Bezeichnungen [Volkmer, 1986, Seite 5] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5

Nuklidkarte. Sie zeigt die gegenwärtig bekannten Elemente und Kerne, sowie ihre Isotope. [Hermann and Schumacher, 1987, Seite 71] Die schwarz gezeichneten Kästchen stellen die künstlich erzeugten Kerne dar. Dazwischen (weiß) befinden sich die in der Natur vorkommenden Kerne. Erkennbar ist die relative Zunahme der Neutronen im Vergleich zur Zahl der Protonen im Kern: die Kurve neigt sich nach unten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

.

6

5

Durchschnittliche Bindungsenergien pro Nukleon im Kern. [Franzen, 1980, Seite 3] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

6

Kernspaltung des Uran-235 mit den Spaltprodukten Yttrium-96 und Jod-139 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

7

Kettenreaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

8

Zerfall des Radiumatoms. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

9

Stark vereinfachte Darstellung der Ursachen des β− Zerfalls, der sogenannten Neutronenwandlung. Ein Neutron wandelt sich in ein Proton und ein Eletron um. . . . 20

10

Zerfallsarten in einer Übersicht - α, β, γ . . . . . . . . . . 21

87

11

Gedankenversuch zur Herleitung der Formel für den Wirkungsquerschnitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

12

Streuungsreaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

13

Absorptionsreaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

14

Beispiele für Wirkungsquerschnitte (in barn - 7.1) [Hermann and Schumacher, 1987, Seite 89] . . . . . . . . 30

15

Arbeitsprinzip eines Moderators [Volkmer, 1986, Seite 17] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

16

Streuquerschnitt von H2O und D2O. Der Streuquerschnitt ist bei H2 O zwar höher, dies bleibt auch über den dargestellten Energiebereich hin so, dafür absorbiert aber D2 O nur etwa 1/700 der Neutronen. Dieser Punkt ist für den Neutronenhaushalt entscheident, weshalb man mit D2 O Natururanreaktoren (zu Forschungszwecken) betreiben kann.

[Emendörfer and Höcker, 1986, Seite 105] . . . . . . . . . 32 17

Mittlere Zahl der Spaltneutronen (Neutronenfreisetzung) pro Spaltung am Beispiel von Plutonium-239 und Uran-235. Uran-235 weist geringere Multiplikatioseigenschaften auf, als Pu239. Die Eigenschaft des Pu-239, bei schnellen Neutronen viele Spaltneutronen zu bilden, macht es für Anwendungen interessant, die viele zusätzliche Neutronen benötigen (Brutvorgang).

[Hermann and Schumacher, 1987, Seite 94] . . . . . . . . 37 18

Brutprozess bei Uran-238 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

19

Einfangquerschnitt des Brutstoffs Uran-238. . . . . . . . . 43

20

Einfangquerschnitt des Brutstoffs Thorium-232. Eine Absorption ist im Bereich von 1 bis 103 eV besonders wahrscheinlich. Der Einfang reduziert zwar auf den ersten Blick die Neutronenzahl, die Brutreaktion stellt aber darüber hinaus die Produktion sicher.

[Emendörfer and Höcker, 1986, Seite 101] . . . . . . . . . 45 21

Rechts das Steuerelement mit eingefahrenen Absorber, bzw. Regelstäben. Es handelt sich um das Brennelement eines typischen Druckwasserreaktors. Die Regelstäbe greifen hier von oben ein und können allein durch Schwerkraft, durch Lösen einer Magnethalterung in den Reaktor einfallen (Störfall). Während des normalen Betriebs sorgen hydraulische oder elektrische Armaturen für die Beweglichkeit. Die Steuerstäbe eines Brennelements werden zum Steuerelement zusammengefasst. Links eine Schemazeichnung eines Reaktordruckbehälters (RDB). Wieder am Beispiel des Druckwasserbehälters.

[Franzen, 1980, Seite 25] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

88

22

Ein typischer Brennstab, wie er in üblichen LWR (in einer modifizierten Form auch im SBR) zum Einsatz kommt. Der Spaltgasraum nimmt die entstehenden Spaltgase auf, da sonst ein hoher Druck im Laufe des Betriebs entstehen würde. Die Abstandshalter geben eine genau definierte Distanz der Brennstäbe vor, die bei verschiedenen Reaktortypen unterschiedlich ausfällt.

[Volkmer, 1986, Seite 41] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 23

Absorptionsquerschnitte von Cadmium, Indium und Silber. [Emendörfer and Höcker, 1986, Seite 112] . . . . . . . . . 51

24

Verteilung der Spaltprodukte eines Leichtwasserreaktors 52

25

Prinzipschaltbild Siedewasserreaktor . . . . . . . . . . . . 54

26

Siedewasserreaktor Einbauten rund um den Reaktordruckbehälter. Man beachte die enorme Größe des Reaktordruckbehälters, die Tatsache, dass die Regelstäbe unten(!) sitzen. Reaktordruckbehälter mit Einbauten eines Siedewasserreaktors mit einer elektrischen Nettoleistung von 1249 MW (KKW Grundremmigen)

[Franzen, 1980, Seite 38 und 46] . . . . . . . . . . . . . . . 55 27

Siedewasserreaktors Reaktordruckbehälter mit Einbauten eines Kraftwerks mit einer elektrischen Nettoleistung von 1249 MW (KKW Grundremmigen)

[Franzen, 1980, Seite 44] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 28

Druckwasserreaktor [Franzen, 1980, Seite 29 und 35] Der Aufbau des Kraftwerks ist ganz auf Störfallsicherheit ausgelegt. Eine wesentliche bauliche Besonderheit ist die räumliche Trennung von RDB und Kühlmittelpumpen. Sie sind außerdem oberhalb der Reaktorkerns angebracht. Die gesamte Einrichtung ist von einer druckfesten Sicherheitshülle umgeben. Nur Wasser des (nichtradioaktiven) Sekundärkreislaufs verlässt das Hauptgebäude. Im Störfall kondensiert das Wasser an den Wänden der Sicherheitshülle und steht wieder zur Kühlung zur Verfügung. Entsprechende Notkühlsysteme sind vorhanden. . . . . . . . . . . . .

. 59

29

Dampferzeuger und Reaktordruckbehälter eines modernen DWR [Franzen, 1980, Seite 30 und 31] . . . . . . . . . . . . . . . 60

30

Prinzipschaltbild eines schnellen Brutreaktors (SBR). Die Stickstoff bzw. Argonfüllung um den Reaktordruckbehälter soll eine Reaktion des Natrium (im Störfall) mit dem Luftsauerstoff verhindern.

[Franzen, 1980, Seite 60] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

89

31

Standard-HTR-Brennelement. Anstelle eines Mischoxidkerns kann für die coated particles auch Natururan (angereichert) verwendet werden. [Deutsches Atomforum e.V., 1984], Anhang Seite 107 . . . . . . .

. 64

32

Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme eines aufgebrochenen beschichteten Partikels mit SiC-Schicht. [Deutsches Atomforum e.V., 1984, Seite 107] . . . . . . . . 65

33

Prinzipschaltbild eines THTR mit Spannbetonbehälter und Dampferzeuger. [Franzen, 1980, Seite 49] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66

34

Reaktoranlage des THTR-300 Besonderheiten: geringe Leistungsdichte (6 kW/Ltr.), 300 MW/el, 700 MW/th, Kugelhaufcore, Heliumkühlung.

[Franzen, 1980] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 35

Blick in den Core des THTR-300 vor Inbetriebnahme. Aktivitätsmessungen bei der Erstbeladung des Reaktorkerns.

[Franzen, 1980] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 36

HTR-100 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71

37

Maximale Störfalltemperatur im Kern des HTRMODUL als Funktion der Leistungsdichte. [Deutsches Atomforum e.V., 1984, Seite 45] . . . . . . . . 72

38

Zeitlicher Verlauf lokaler Temperaturen bei Ausfall der Kühlung beim HTR-MODUL. [KFA, 1985, Seite 82] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

39

HTR-MODUL [Franzen, 1980] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

40

HTR-MODUL Querschnitt mit Dampferzeuger. [Franzen, 1980] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75

41

Reaktivitätsanstieg als Funktion des Wasserdampfinventars (Wassereinbruch ) in der Kugelschüttung. [Franzen, 1980, Seite 71] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77

42

Maximale Störfalltemperaturen einiger HTR-Anlagen. . . 79

43

Korrosion einer Graphitkugel nach der Wassergasreaktion. Solche Korrosionen treten auch in den Graphitaufbauten (Graphitreflektor) auf. Da jedoch die Stärke der Korrosion in erheblichem Masse von der Temperatur abhängig ist, sind die Schäden hier nur minimal.

[Franzen, 1980, Seite 113] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80

90

44

Störfalltemperaturen unterschiedlicher Reaktoronzepte. In dieser Arbeit nicht behandelte Reaktoranlagen sind in der Abbildung belassen worden, da sie zusätzlich den Zusammenhang zwischen Leistungsdichte und maximaler Störfalltemperatur veranschaulichen. [Franzen, 1980, Seite 113] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81

45

Reaktoranlagen im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . 82

Tabellenverzeichnis 2

Die vier fundamentalen Wechselwirkungen und ihre Vereinigungstheorien. Daneben Ladung, Feldquanten und Auftreten. [Volkmer, 1986, Seite 46] . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

4

Vergleich der Wechselwirkungen (bezogen auf die elektromagnetische Wechselwirkung) . . . . . . . . . . . . . . 10

7

Mittlere Zahl der Spaltneutronen bei der Kernspaltung. [E]=1 MeV [Emendörfer and Höcker, 1986, Seite 40] . . . . . . . . . . 36

8

Kernbrennstoffe und ihre keramischen Formen in Vergleich. [Emendörfer and Höcker, 1986, Seite 103] . . . . . . . . . 49

9

Absorptionsquerschnitte und Halbwertszeiten von Neutronengiften. [Emendörfer and Höcker, 1986, Seite 110] . . . . . . . . . 52

10

Technische Daten des AVR. [Franzen, 1980, Seite 49] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

Formelverzeichnis 1 2 3

Energiefreisetzung beim Zerfall von Uran 253 . . . . . . . 14 Ruhemasse und Ruheenergie . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Wirkungsquerschnitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

91

4

5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16

Atomkerndichte (mit L Loschmidtzahl (6 ∗ 1023 mol −1 ), A Atomgewicht in g und ρ Dichte in g/cm3 ) . . . . . . . . . . . . . . . . Neutronenfluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Streuungsquerschnitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einfangquerschnitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Multiplikationskonstante / Vermehrungszahl . . . . . . Wahrscheinlichkeit für eine Kernspaltungsreaktion . . Neutronenausbeute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schnellspaltfaktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sekundärneutronen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wahrscheinlichkeit für Einfangen von Neutronen ohne Kettenreaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verbleibwahrscheinlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . Verbleibwahrscheinlichkeit bei Diffusion . . . . . . . . 4 Faktor Formel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

92

. . . . . . . . .

25 26 27 27 35 36 36 38 38

. . . .

39 40 40 41

Index 4-Faktor-Formel, 41

starke, 8 kritische Masse, 31

Absorptionsprozesse, 26 Alphastrahlen, 19 Anreicherung, 31 Atom Elektronen, 6 Isotope, 7 Kern, 5 Neutron, 5 Nuklid, 7 Proton, 5 Atombomben, 43 Atommodelle, 2

Moderatoren, 29 Deuteriumoxid, 31 Graphit, 33 Nachzerfall, 15 Neutron langsames, 18 schnelles, 18 thermische, Rechenbeispiel, 17 thermisches, 14 Neutronendichte, 25 Neutronenfluss, 25 Neutronenhaushalt, 34 Kritikalität, 34 Multiplikationskonstante, 34 Vermehrungszahl, 34 Neutronenreaktionen, 26 Neutronenreflektoren, 40 Neutronenschicksal, 35 Absorptionsvorgang, 35 Entkommwahrscheinlichkeit, 39 Leckagewahrscheinlichkeit, 39 Neutronenausbeute, 36 Sekundärneutronen, 36 Neutronenstrahlung, 19 Neutronenwandlung, 20

Betastrahlen, 19 Bindungsenergie, 8 Anomalie, 12 Uran-235, 15 Brennstoff, 44 Brutstoff, 42 Brutvorgang, 41 Konversion, 41 Coulombabstoßung, 8 Elementen, 14 Endlagerung, 16 Energie Kernspaltung, 11 Kernverschmelzung, 11 Energiedifferenz, 1 Gammaquanten, 21 Gammastrahlen, 19 Grand Unification Theories, 9

Radioaktivität, 18 Resonanzbereich, 29

Heisenberg’sche Unschärferelation, 4

Spaltstoffanteil, 31 Streuung elastische, unelastisch, 26 Streuungsprozesse, 26

Kernspaltung, 13, 23 Kettenreaktion, 16 Kraft

Wasser

93

schweres, 31 Wasser:leichtes, 33 Wechselwirkung starke, 8 Wechselwirkungen, 4 Wirkungsquerschnitt, 24

94