Solidarisch durch die Krise Beschäftigungswirksame Strategien des DGB NRW zur zukunftsfähigen Überwindung der Wirtschaftskrise

Inhalt 1.

Beschäftigung stärken, um die Wirtschaftskrise in NRW erfolgreich zu überwinden ...... 2

2.

„Stunden streichen, nicht Stellen“ .................................................................................. 3

3.

Ausbildung und Übernahme sicherstellen, Weiterbildung fördern .................................. 5 3.1.

Ausbildung und Studium ..........................................................................................5

3.2.

Weiterbildung ...........................................................................................................6

4.

Gute Arbeit statt prekärer Beschäftigung ....................................................................... 8

5.

Zukunftsinvestitionen ....................................................................................................11 5.1.

Ressourceneffiziente Industrie ...............................................................................11

5.2.

Soziale Dienstleistungen ........................................................................................12

5.3.

Bildung ...................................................................................................................12

5.4.

Stärkung der Attraktivität des Standortes NRW ......................................................12

5.5.

Innovation, Wachstums und Beschäftigung durch Mitbestimmung .........................13

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1. Beschäftigung stärken, um die Wirtschaftskrise in NRW erfolgreich zu überwinden Nordrhein-Westfalen ist als Standort exportorientierter Industrieunternehmen in hohem und besonderem Ausmaß von der Krise betroffen. Während sich die vor allem mittelständisch orientierte Wirtschaft in den zurückliegenden Jahren - unter zum Teil erheblichen Arbeitsplatzverlusten - modernisiert und sich erfolgreich auf die Anforderungen internationaler Märkte eingestellt hat, verzeichnen die Unternehmen nun in Folge der Krise massive Auftragseinbußen und Produktionsrückgänge. Industrielle Arbeitsplätze in NRW, die im Zuge der Krise abgebaut werden, drohen auf immer zu verschwinden. Damit würde unser Land wichtiger Zukunftschancen beraubt. Die Regionaldirektion NRW der Bundesagentur für Arbeit geht davon aus, dass bis Ende des Jahres 2009 erheblich mehr Menschen in NRW arbeitslos werden. Diese Prognose aber nur zu beklagen, wäre fatal. So wie es zu Beginn der Krise gelungen ist, durch staatliche Intervention einen Zusammenbruch des Bankensystems zu verhindern, gilt es jetzt, dass Wirtschaft und Politik einem Kollaps auf dem Arbeitsmarkt entgegen wirken. Das oberste Ziel des DGB NRW ist, bestehende Arbeitsplätze soweit als irgend möglich zu erhalten und neue Arbeitsplätze zu erschließen. Für den DGB NRW ist die Krise erst dann beendet, wenn die Zahl der Erwerbstätigen wächst und das Einkommen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer steigt. Hierzu schlägt der DGB unter dem Motto „Solidarisch durch die Krise“ ein arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitisches Konzept für NRW vor. Dabei darf allerdings auch keineswegs vernachlässigt werden, unvermeidbare Arbeitslosigkeit sozial abzufedern und eine schnelle Rückkehr in das Arbeitsleben zu fördern.  Hierzu sollte der Bezug des Arbeitslosengeld I – zumindest für eine befristete Dauer um neun Monate verlängert werden. Zumindest muss aber gewährleistet werden, dass der Übergang von ALG 1 in Hartz IV um diesen Zeitraum verlängert wird.  Immer mehr Menschen, die heute ihren Arbeitsplatz verlieren, sind unmittelbar auf Hartz IV angewiesen. Um insbesondere befristet und unstetig Beschäftigten einen leichteren Zugang zum Arbeitslosengeld zu eröffnen, ist die gesetzliche Rahmenfrist von bisher zwei Jahren ist wieder auf drei Jahre auszudehnen, in der eine beitragspflichtige Beschäftigung von 12 Monaten nachgewiesen werden muss. Wirtschaftskrise, Beschäftigungssicherung und neues Wachstum Auch wenn der konjunkturelle Abschwung sich in den letzten Wochen nicht mehr fortsetzt, ist die tiefgreifende Wirtschafts- und Finanzkrise längst noch nicht zu Ende. Ihre Ursachen und Folgen werden Betriebe und Beschäftigungsverhältnisse, die öffentliche Hand und die Sozialversicherungssysteme weiter unter Druck setzen. Bislang ist die Arbeitslosigkeit im Vorjahresvergleich erst leicht gestiegen. Doch dies kann sich ändern:  

Im verarbeitenden Gewerbe NRWs ging die Produktion im ersten Halbjahr d.J. um fast 25% gegenüber dem Vorjahr zurück. Beschäftigte aus fast 21.000 Unternehmen befanden sich im Juli in NRW in Kurzarbeit (Juni 2009: 318.000 Kurzarbeitende).

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Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen stieg bundesweit im ersten Halbjahr bundesweit um 15%. Viele Kommunen in NRW sind hoffnungslos überschuldet. Ihnen droht der dauerhafte Verlust ihrer Investitionsfähigkeit. Die Sozialversicherungssysteme stabilisieren zwar derzeit die Konjunktur, leiden aber unter Mindereinnahmen. Die Banken orientieren sich am Ziel der Stabilisierung ihrer Bilanzen und nehmen ihre Aufgabe der Versorgung mit Krediten oft unzureichend wahr.

Auf Dauer kann Beschäftigung unter diesen Bedingungen nur dann gesichert und geschaffen werden, wenn die Politik und Gesellschaft, Betriebe und Beschäftigte „Solidarisch durch die Krise“ gehen und gleichzeitig ein Pfad für spürbares wirtschaftliches Wachstum erreicht wird. Die entscheidenden Weichenstellungen finden in den folgenden vier Themen statt: 

Werden die Anstrengungen der tariflichen und betrieblichen Akteure angemessen unterstützt, solidarische Lösungen zu vereinbaren wie z.B. Arbeitszeitverkürzungen, Sanierungstarifverträge?



Wird Bildung, Qualifizierung und Weiterbildung zukünftig als wichtige Ressource für Wachstum und Produktivität wahr genommen?



Wird die Förderung schlecht bezahlter, prekärer Arbeitsverhältnisse zu Lasten regulärer Beschäftigung gestoppt und der Arbeitsmarkt neu geordnet?



Werden private und öffentliche Zukunftsinvestitionen angemessen getätigt, gefördert und unterstützt?

für

neues

Wachstum

2. „Stunden streichen, nicht Stellen“ Obwohl die Abwärtsspirale der Weltwirtschaft den Exportmeister besonders hart trifft, hat die Arbeitslosigkeit in Deutschland bislang weniger zugenommen als im übrigen Europa. Dass die Jobverluste bisher recht glimpflich ausgefallen sind, hat vor allem eine Ursache: Die Arbeitszeit vieler Beschäftigten wurde an die gesunkene Nachfrage angepasst. Die neuen Regelungen und die weitergehende Förderung des Kurzarbeitergeldes sind eine entscheidende Voraussetzung, damit diese Beschäftigungsbrücke genutzt werden kann. 318.600 Beschäftigte waren im Juni 2009 in NRW in Kurzarbeit. Bei einem durchschnittlichen Anteil von 34,5% der Arbeitszeit entsprach das rund 96.310 Arbeitsplätzen (Vollzeitäquivalente), die durch Kurzarbeit erhalten wurden. Gleichzeitig wurde in den Unternehmen vielfach von den Möglichkeiten der flexiblen Arbeitszeitgestaltung Gebrauch gemacht, d.h. es wurden weniger Überstunden geleistet, Guthaben auf Arbeitszeitkonten abgebaut und tarifliche Spielräume zur Verkürzung der Wochenarbeitszeit genutzt. Die verbreitete Inanspruchnahme des Kurzarbeitergeldes und die tariflichen Regelungen zu befristeten Arbeitszeitverkürzungen zeigen, dass öffentlich geförderte, tariflich gesicherte und individuell vereinbarte Arbeitszeitverkürzung wichtige Ansatzpunkte sind, um Beschäftigung zu sichern, Know-how im Unternehmen/Betrieb zu halten und damit Brücken in Beschäftigung aufrecht erhalten werden. DGB NRW, Oktober 2009

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Diese Beschäftigungsbrücken sollten auch dann weiter gestützt und ausgebaut werden, wenn die Möglichkeiten der Kurzarbeit ausgeschöpft sind. Das Potenzial einer flexiblen Arbeitszeitverkürzung ist längst noch nicht ausgeschöpft. Nach der neuen EU-Studie zur Entwicklung der Arbeitszeiten im Jahr 2008, arbeiten die Vollzeit beschäftigten Arbeitnehmerinnen bzw. Arbeitnehmer in Deutschland pro Woche im Schnitt 41,2 Stunden. Im Vergleich zum Jahr 2003 haben die Beschäftigten in der Woche durchschnittlich 1,6 Stunden länger gearbeitet. Damit gehören die deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zusammen mit Rumänen, Tschechen und Österreichern zur europäischen Spitzengruppe. Mehrere Studien, sowohl der DGB Index „Gute Arbeit“, belegen: Beschäftigte in Vollzeit möchten gerne weniger Stunden je Woche arbeiten, Teilzeitkräfte dagegen mehr. Die bestehenden Arbeitszeitregelungen kommen den Wünschen der Beschäftigten nicht immer entgegen. In der Praxis reduzieren überlange Arbeitszeiten von Vollzeitkräften die Beschäftigungschancen von Jobsuchenden; starre Zeitregeln erschweren die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Qualifizierung. In den meisten Fällen orientiert sich die Flexibilität von Arbeitszeiten nur an den Interessen der Arbeitgeber. Mehr Arbeitszeitsouveränität der Beschäftigten würde nicht nur dazu beitragen, die Diskrepanzen zwischen tatsächlicher und präferierter Arbeitszeit abzubauen, sondern per saldo auch mehr Beschäftigung schaffen. So können die Beschäftigungsbrücken in der Krisenzeit und darüber hinaus, weiter ausgebaut werden, damit der Kurs „Stunden streichen, nicht Arbeitsplätze“ für Beschäftigte und Betriebe weiterhin gangbar ist. Der DGB NRW schlägt deshalb vor, dass tarifvertraglich kollektiv vereinbarte und individuell zu wählende Modelle der flexiblen Arbeitszeitverkürzung durch gesetzliche Rahmenbedingungen und die Agentur für Arbeit unterstützt werden: •

Der DGB und die Gewerkschaften fordern schon seit langem, den Insolvenzschutz von Arbeitszeitkonten nicht nur für Langzeit- sondern auch für Kurzzeitkonten auszubauen. Die bisherigen Regelungen greifen zu kurz und schaffen keine Absicherung der weit verbreiteten Kurzzeitkonten.



Die Verlängerung der Altersteilzeitförderung, die Älteren einen flexiblen Ausstieg bei gleichzeitiger Wiedereinstellung eines/einer jungen Beschäftigten ermöglicht.



Ein wichtiger Pfeiler in der Krise ist das Kurzarbeitergeld; dessen maximale Bezugsdauer sollte von zwei auf drei Jahre ausgedehnt werden (somit könnten Beschäftigte Freiräume für das Nachholen eines beruflichen Abschlusses gewinnen).



Ausbau und Stärkung der individuellen Gestaltung der Arbeitszeit in beide Richtungen: Sowohl die Anspruchsvoraussetzung auf Teilzeitreduzierungen als auch auf Vollzeitaufstockungen sind zu verbessern. .



Erleichterung von Maßnahmen der aktiven betrieblichen Beschäftigungssicherung durch soziale Absicherung der Betroffenen: Unter der Voraussetzung einer Beschäftigungsgarantie durch den Betrieb sollte für Beschäftigte, die aufgrund beschäftigungssichernder betrieblicher Maßnahmen oder aufgrund von Kurzarbeit ein Einkommen erzielen, das den Haushalt zum Bezug von aufstockenden Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende SGB II berechtigen würde, die Bedürftigkeitsprüfung vorübergehend im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitssuchende ausgesetzt werden. Das heißt für diesen Personenkreis entfällt für die Dauer von bis zu zwei Jahren (oder bis zum Sommer 2011) die

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vermögensbezogene Bedürftigkeitsprüfung und die Anrechnung des Einkommens der Partnerin oder des Partners. •

Leider haben die Regierungen in Bund und Ländern in den letzten Jahren mehr und mehr eine führende Rolle bei den politischen Vorstößen für längere Arbeitszeiten eingenommen. In den Tarifverhandlungen zum TVöD und TVL konnten die Gewerkschaften Arbeitszeitverlängerungen für die Tarifbeschäftigten im öffentlichen Dienst größtenteils verhindern, für die Beamtinnen und Beamten wurde sie jedoch per Gesetz verordnet. In den Stellen- und Haushaltsplänen wird deutlich, dass diese Arbeitszeitverlängerungen im öffentlichen Dienst negative Beschäftigungseffekte ausgelöst haben. Deshalb ist als erster Schritt die Angleichung der Arbeitszeit für Beamte an die Arbeitszeit der Tarifbeschäftigten notwendig.

3. Ausbildung und Übernahme sicherstellen, Weiterbildung fördern Große Sorgen bereitet dem DGB NRW, dass sich die Krise vor allem negativ auf junge Menschen unter 25 Jahren auswirkt. So stieg ihre Arbeitslosigkeit seit Beginn der Krise um 18,3% im September. (August 2009: 21,1 %) Im Vergleich dazu ist die Zahl der Arbeitslosen in diesem Zeitraum insgesamt um 9,4 % angestiegen. Viele Jugendliche, die ihre Ausbildung erfolgreich abschließen, werden von den Betrieben nicht übernommen. Ihnen droht Arbeitslosigkeit, noch bevor sie in das Erwerbsleben einsteigen konnten. Zudem ist davon auszugehen, dass aufgrund der Krise die Unternehmen ihre Ausbildungsplätze noch weiter verringern. Öffentlich geförderte Aus- und Weiterbildung und betriebliche Qualifizierungen können für beide Gruppen neue Perspektiven im Erwerbsleben eröffnen und bieten zugleich den Unternehmen die Möglichkeit, Kompetenzen aufzubauen und zu erhalten.

3.1.

Ausbildung und Studium

Seit dem es das System der dualen Berufsausbildung gibt, war ein bedarfsdeckendes Angebot nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts die absolute Ausnahme. In Krisenzeiten wie diesen verschärft sich die Situation am Ausbildungsmarkt noch einmal dramatisch. Grundsätzlich muss jeder junge Mensch ein Grundrecht auf Bildung und Ausbildung haben – unabhängig von der jeweils aktuellen Lage. Um ausreichend Ausbildungsplätze, vor allem im dualen Bereich, vorhalten zu können, müssen die Unternehmen ihre Ausbildungsaktivitäten ausweiten. Zusätzlich ist eine Ausweitung der öffentlichen Förderung der Ausbildung im dualen System unverzichtbar.



Jedes Unternehmen muss an Ausbildung oder der Finanzierung von Ausbildung beteiligt werden. In einem ersten Schritt sollten die Prüfungsgebühren voll aus Kammerbeiträgen finanziert werden, damit die Betriebe, die ausbilden, entlastet werden. Dieses ist vor allem für kleinere Betriebe hilfreich.



In NRW sollten 2010, ergänzend zur BAE der Arbeitsagentur, 5000 zusätzliche außerbetriebliche Ausbildungsplätze mit hohem Praktikumsanteil öffentlich finanziert werden. In den folgenden Jahren bedarf es einer systematischen Planung, an der die Sozialpartner und die Kammern zu beteiligen sind. Strukturen wie der Ausbildungs-

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konsens sind dafür zu nutzen. Ab 2011 soll allen Jugendlichen, die eine mindestens einjährige Berufsvorbereitung absolviert haben, ein Ausbildungsplatz in einem anerkannten Ausbildungsberuf angeboten werden. (Ausbildungsgarantie) Dabei soll das erste Jahr angerechnet werden. Steht ein betriebliches Angebot nicht zur Verfügung, sind außerbetriebliche bzw. partnerschaftliche Ausbildungen anzubieten. Zur Gegenfinanzierung können Warteschleifen bei Trägern und an Berufskollegs drastisch reduziert werden. •

Die Möglichkeiten des neuen Berufsbildungsgesetzes, Ausbildungsanteile anzurechnen, sollten deutlich besser genutzt werden. Gelingt es, dass 10.000 Jugendliche ihre Ausbildung um ein Jahr verkürzen, stehen in den Folgejahren 3000 zusätzliche Ausbildungsplätze zur Verfügung. Zudem kann die Zulassung zur Kammerprüfung nach einer vollzeitschulischen Ausbildung ausgeweitet werden.



Jüngeren Beschäftigten, die als Opfer der Ausbildungsmisere der vergangenen Jahre keinen Berufsschulabschluss haben, sollte eine zweite Chance gegeben werden. Soweit dies über Mittel der Arbeitsagentur nicht finanziert werden kann, sollte das Land selber in die zweite Chance investieren.



Es gilt möglichst viele junge Menschen, die ihre Ausbildung erfolgreich abgeschlossen haben, in den Unternehmen zu übernehmen. Hierzu können die Regelungen zur Kurzarbeit genutzt werden. Die Ausgebildeten, die nicht übernommen werden können, sollen in reguläre Beschäftigung in anderen Betrieben vermittelt werden – nicht in Leiharbeit und Arbeitsgelegenheiten, wie es derzeit gängige Praxis ist.



Mit einer Akademikerquote von 26,1 % gibt es in NRW zu wenig akademisch ausgebildete Fachkräfte. Ausreichend Studienplätze müssen geschaffen werden und gebührenfrei zur Verfügung stehen. Ergänzend zum Bafög soll ein Stipendiensystem entwickelt werden, dass es allen Studierwilligen ermöglicht, unabhängig von der sozialen Herkunft, ein Studium aufzunehmen. Jetzt ist die Zeit darüber nachzudenken, ob die fehlenden Ingenieurinnen und Ingenieure aus der Facharbeiterschaft kommen könnten und somit auch Zugangsmöglichkeiten für Nichtabiturienten zum Studium zu schaffen. Rheinland Pfalz hat hier einen wegweisenden Gesetzentwurf verabschiedet, an dem sich NRW orientieren kann. Insbesondere jungen arbeitslosen Absolventen einer Berufsausbildung ist ein umgehender Einstieg in das Studium zu ermöglichen. Berufskollegs können dabei eine vorbereitende Funktion übernehmen.

3.2.

Weiterbildung

Als wissensbasierte Industriegesellschaft ist NRW zur Bewältigung der Krise und nach der Krise zunehmend auf qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer angewiesen. Immer wird betont, wie wichtig Weiterbildung ist. Im europäischen Vergleich jedoch ist die betriebliche Weiterbildung stark unterentwickelt. Auch die Angebote der Agenturen für Arbeit weisen eine rückläufige Tendenz auf. Berufliche Weiterbildung in all ihren Facetten sowohl auf betrieblicher als auch überbetrieblicher Ebene sollte als zukunftsfähige Beschäftigungsbrücke genutzt und durch öffentliche Förderung ausgebaut werden. Bisher wird Kurzarbeit nur wenig zur Qualifizierung von Beschäftigten genutzt. Gleichzeitig läuft das in der Krise erfolgreiche Programm WeGebAU Gefahr, nur noch mit Restmitteln weiter fortgeführt zu werden.

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Erste Erkenntnisse deuten darauf hin, dass derzeit „Qualifizierungsmaßnahmen während der Kurzarbeit“ eher eine geringere Rolle einnehmen. In der betrieblichen Praxis scheint es aufgrund der Arbeitsorganisation auch oder gerade in Zeiten von Kurzarbeit durchaus erhebliche Probleme zu geben, Weiterbildungsmaßnahmen und Arbeitszeiten miteinander in Einklang zu bringen, da in vielen Betrieben die durch Kurzarbeit „gewonnene“ Arbeitszeit in Dauer und Lage nicht mit organisierten Weiterbildungsaktivitäten kompatibel ist. Zudem ist auch fraglich, ob in den Betrieben während der Kurzarbeit sinnvolle und notwendige Weiterbildung realisiert werden kann. Konzepte zur Förderung müssen daher Hemmnisse bei Qualifizierung in der Kurzarbeit so weit als möglich abbauen. Zusätzlich zum Instrument der Kurzarbeit werden weitergehende Maßnahmen benötigt, um die negativen Folgen der Krise für Unternehmen und Beschäftigte so gering wie möglich zu halten und somit für die Zukunft gerüstet zu sein. Dies umfasst auch das in NRW erfolgreiche Modell der Transfergesellschaften. Zudem sind Qualifizierungen von Erwerbslosen deutlich zu verbessern sowie die Weiterbildungseinrichtungen qualitativ zu stärken.



Insbesondere in kleinen und mittelgroßen Betrieben fehlt es oftmals an Ressourcen, um Weiterbildung und Qualifizierung selbst zu organisieren. Die Bundesagentur für Arbeit könnte derartige Qualifizierungen organisieren sowie im Rahmen ihres Arbeitgeber-Services wichtige Beratungsarbeit auch in diesen Fragen leisten. Hier sollte die Zusammenarbeit mit den betrieblichen und gewerkschaftlichen Interessenvertretungen intensiviert und ausgebaut werden.



Neben der Nutzung der aktuellen Fördermöglichkeiten zur Qualifizierung sollte das Programm WeGebAU, das bisher vorrangig der Weiterbildung von gering qualifizierten und älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern diente, finanzielle neu ausgestattet und über 2010 gesichert werden. Weiterhin ist notwendig, dass bei den geförderten Weiterbildungsmaßnahmen auch ein Anteil für abschlussbezogene Qualifizierung zur Verfügung steht und insgesamt für alle Beschäftigten geöffnet wird.



Beschäftigte, die während der Kurzarbeit eine qualifizierende, abschlussbezogene Weiterbildung anstreben, sollten von der Notwendigkeit, dem Betrieb zur Verfügung zu stehen, im großen Umfang befreit werden. Voraussetzung ist eine Freistellung mit Lohnersatz (ähnlich der in Österreich praktizierten Bildungskarenz). Mittelfristig sollte ein Erwachsenen-Bafög sowie ein Anrecht auf Freistellung Weiterbildung ermöglichen, die auf eine abschlussbezogene Zusatzausbildung für Beschäftigte (z.B. zum Bachelor-Studium, zum Nachholen eines Master-Studiums, zum Erwerb einer (zusätzlichen) Berufsausbildung) zielt. In diesem Sinne sollte das Kurzarbeitergeld auf 36 Monate verlängert werden.



Die Möglichkeiten von Transfer-Kurzarbeit sollten ausgebaut werden. Sinnvoll ist es, über die Möglichkeit von Kurzarbeit hinaus, Transfer- und Qualifizierungsgesellschaften mit Rückkehrrecht zu schaffen. Dabei muss die Übernahme der Sozialversicherungsbeiträge durch die BA sowie die Verlängerung des Transferkurzarbeitergeldes ermöglicht werden. Dies kann Beschäftigungsperspektiven für Arbeitnehmende auch jenseits des eigenen Betriebs eröffnen und die Angst vor drohender Arbeitslosigkeit dämpfen. In Kooperation von BA und Sozialpartnern beziehungsweise in alleiniger Trägerschaft der BA dort, wo keine Mitbestimmungsstrukturen bestehen, sind geeignete Maßnahmen zu entwickeln, die u.a. das Matching und die Vermittlungschancen verbessern. Grundlage hierfür sollten ein Profiling, intensive Beratung, mögliche Qualifizierungen und die unterstützende Begleitung der Beschäftigten sein. Als Zielorientierung soll die langfristige Sicherung und der Ausbau der Beschäftigungsfähigkeit, z.B. über aufstiegsorientierte

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Qualifizierung (Meister-Lehrgänge, Facharbeiterausbildung, Hochschulstudium) oder die Ausbildung in zukunftsträchtigen Berufen sowie der Erwerb neuer beruflicher Kenntnisse und Kompetenzen sein. •

Um die Nutzung von Transferleistungen zur Verhinderung von Arbeitslosigkeit weiter zu befördern, sind zusätzliche Maßnahmen zur Einbeziehung vor allem kleiner Unternehmen oder regional verteilter Unternehmenseinheiten zu entwickeln. Hier gilt es (regionale/branchenbezogene) Poollösungen zu ermöglichen und finanziell wie organisatorisch zu unterstützen.



Angesichts der Krisenentwicklung ist zu befürchten, dass es nicht gelingt, die Instrumente der Beschäftigungssicherung allumfassend erfolgreich zu gestalten. Wenn Beschäftigte in Arbeitslosigkeit geraten, gilt es vor allem deren Beschäftigungsfähigkeit zu erhalten und Qualifizierung zu sichern und auszubauen. Hierzu fordert der DGB NRW eine Qualifizierungsoffensive der Agenturen für Arbeit. In diesem Kontext sind auch wieder verstärkt Umschulungsmaßnahmen mit Berufsabschlüssen für Arbeitssuchende zu installieren.



In der gegenwärtigen Krise wird offensichtlich, dass der Weiterbildungssektor in NRW qualitativ gestärkt werden muss. Notwendig ist eine hoch flexible Weiterbildungsbranche, die Strukturveränderungen in den unterschiedlichen Branchen problem- und lösungsorientiert begleitet. Hierzu gehören auch zertifizierte Qualitätsstrategien der Einrichtungen. Diese müssen sowohl die Lernbedingungen für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, als auch die Arbeitsbedingungen und Bezahlung der in den Weiterbildungseinrichtungen Beschäftigten beinhalten.

4. Gute Arbeit statt prekärer Beschäftigung Beschäftigte in der Leiharbeit und befristet Beschäftigte waren die ersten Opfer der Krise. So haben in NRW rund 60.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Leiharbeitsunternehmen ihren Arbeitsplatz verloren. Befristete Arbeitsverhältnisse laufen aus und werden vielfach nicht verlängert. Ihre Zahl ist erheblich, da schon vor der Krise rund die Hälfte der neuen Arbeitsverhältnisse befristet war. Prekäre Beschäftigung (unfreiwillige Teilzeit, Minijobs, Soloselbständige, befristete Arbeitsverträge oder Leiharbeit) ermöglicht den Unternehmen eine kostengünstige Beschäftigungsanpassung. Schon in den Jahren des wirtschaftlichen Aufschwungs haben sich die Unternehmen einen flexiblen – und zudem kostengünstigen - Beschäftigungskorridor aufgebaut können. In der Folge werden Risiken und Lasten der Krise einseitig auf prekär Beschäftigte abgewälzt. Die sozialen Folgen(kosten) werden nach außen gegeben, das heißt, auf die Allgemeinheit übertragen. Die sozialen Sicherungssysteme werden unterhöhlt, und der Druck auf den Niedriglohnbereich steigt. Mit der Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse einher ging das rasante Anwachsen des Niedriglohnsektors. In NRW ist mittlerweile jeder vierte Beschäftigte im Niedriglohnbereich beschäftigt, wobei schätzungsweise 200.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu einem Stundenlohn von weniger als fünf Euro pro Stunde arbeiten. Die Zunahme von prekärer Beschäftigung in Deutschland ist kein Zufall, sondern Ergebnis einer Politik, die in den letzten Jahren Schutzmechanismen abgebaut hat und die Flexibilisierung als Wunderwaffe gegen Arbeitslosigkeit anpreist. Die Hartz-Reformen haben einen DGB NRW, Oktober 2009

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politisch gewollten Wachstumsschub der Niedriglohnbeschäftigung – auch in etablierten Bereichen - ausgelöst, dessen Ende nicht absehbar ist. Fehlende Mindeststandards und hoher Druck zwingen Arbeitssuchende, Arbeit zu „fast jedem Preis und zu jeder Bedingung“ anzunehmen. Besonders junge Menschen sind besonders häufig von prekärer Beschäftigung betroffen. Jeder zweite junge Beschäftigte unter 30 Jahren hat ein Arbeitsverhältnis, das als prekär eingestuft werden kann. Sie arbeiten entweder unter Niedriglöhnen von unter 1.500 Euro oder/und ihr Arbeitsverhältnis bietet einen eingeschränkten Kündigungsschutz (befristete Beschäftigung). In der Krise trennen sich die Unternehmen zuerst von den Beschäftigten, deren Beschäftigungsschutz relativ gering ist; und das sind nun mal jüngere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Zu befürchten ist, dass im Zuge der Krise prekäre Beschäftigung zunimmt. Dieses ist für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unzumutbar. Zugleich wirkt sich diese Form der Entwertung von Arbeit auch negativ auf die Konjunktur, die staatlichen Haushalte und die Sozialsysteme aus. Für den DGB NRW sind deshalb Beschäftigungssicherung in der Krise und Förderung guter Arbeitsbedingungen zwei Seiten einer Medaille. Für eine zukunftsfähige Bewältigung der Krise ist die Politik gefordert, Beschäftigung zu stärken und von konjunkturellen Risiken zu entlasten. •

Damit das Arbeitsentgelt für die Beschäftigten nicht länger unter die offizielle Armutsgrenze gedrückt werden kann, ist eine untere Haltelinie bei den Löhnen in Höhe von mindestens 7,50 Euro unabdingbar. Die bisher in NRW geltenden Mindestlöhne nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz müssen auch für weitere Branchen aufgegriffen und umgesetzt werden.



Für NRW muss umgehend ein Gesetz, das die Tariftreue im Fokus hat, auf den Weg gebracht werden.



Bei der Arbeitnehmerüberlassung – Leiharbeit – muss gelten, dass grundsätzlich ab dem ersten Tag der Beschäftigung im Entleihbetrieb das Prinzip der Gleichbehandlung beim Entgelt und den übrigen Arbeitsbedingungen gilt. Ausnahmen dürfen nur in einem engen Rahmen zugelassen werden, z.B. wenn in Tarifverträgen für tarifgebundene Betriebe Einarbeitungszeiten zugelassen werden. Zusätzlich bietet es sich an, wie in Frankreich eine sog. Prekaritätsprämie in Höhe von 10 % des Lohns einzuführen. Um den Beschäftigten in der Leiharbeit ein Mindestmaß an Schutz zu bieten, muss ausgeschlossen werden, dass die Beschäftigung in einem Verleihbetrieb von der konkreten Einsatzzeit in einem Entleihbetrieb abhängig gemacht wird. Hierfür muss das Synchronisationsverbot wieder eingeführt werden.



Der Zugang der Leiharbeitskräfte zu Weiterbildungsangeboten muss verbessert werden. Auch dies fordert ausdrücklich die EU-Leiharbeitsrichtlinie. So könnten z.B. Zeitarbeitsunternehmen Beiträge zu einem branchenbezogenen Weiterbildungsfonds leisten, aus dem Qualifizierungsmaßnahmen für Zeitarbeitnehmer finanziert werden können.



Die Überwachung der Verleihbetriebe ist unzureichend. Verstöße gegen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz können nur sanktioniert werden, indem die Verleiherlaubnis entzogen wird. In der Praxis ist dies jedoch eine zu hohe Hürde, weil der Entzug das komplette Unternehmen gefährdet. Der DGB schlägt deswegen vor, unterhalb dieser Grenze weitere Tatbestände einzuführen, die bei Verstößen mit Geldbußen geahndet werden können.

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Die Arbeitszeit bei geringfügiger Beschäftigung – Mini-Jobs - muss in einem ersten Schritt auf 15-Wochen-Stunden begrenzt werden. Weiterhin strebt der DGB NRW an, dass alle Arbeitsverhältnisse als reguläre Beschäftigung gelten und vom ersten Euro an in die Systeme der sozialen Sicherung eingebunden werden.



Bei der Solo-Selbständigkeit muss auch der Auftraggeber zur Finanzierung der sozialen Sicherung herangezogen werden. Die Zunahme gebrochener Erwerbsbiografien führt ohne Gegensteuern zu einem Anstieg von Altersarmut. Zudem droht durch den Strukturwandel in der Arbeitswelt die Aushöhlung der Finanzierungsbasis der gesetzlichen Rentenversicherung. Deshalb muss die gesetzliche Rentenversicherung zu einer Erwerbstätigenversicherung fortentwickelt werden.



Es muss eine ausführliche und klare Definition von Praktika u.a. Lernverhältnissen im Berufsbildungsgesetz (BBiG) geben. Dazu gehören die Festlegung einer Maximaldauer auf drei Monate, ein Ausbildungsvertrag mit Ausbildungsinhalten und –zielen sowie eine Mindestvergütung von 300 Euro pro Monat. Die Mindestvergütung für Volontariate u.ä. Berufseinstiegsprogramme muss 7,50 Euro pro Stunde betragen (falls keine tarifvertragliche Regelung greift).



Bei der Verweisung von arbeitslosen Menschen in eine Erwerbstätigkeit muss die Zumutbarkeit auf sozial abgesicherte und tariflich bezahlte, mindestens aber durch gesetzlichen Mindestlohn abgesicherte Erwerbstätigkeit begrenzt sein. Junge ausgelernte Erwerbslose dürfen nicht länger in Arbeitsgelegenheiten gezwungen werden. Ein angemessene Berücksichtigung der Qualifizierung und eine Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt stehen auch jungen Erwerbslosen zu.



Die Umstrukturierung der Jobcenter darf nicht zu Lasten der dortigen Beschäftigten und zu Lasten der ALG-II-Empfänger gehen.

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5. Zukunftsinvestitionen Das Wachstumsmodell der vergangenen Jahre beruht auf der Ausrichtung der nordrheinwestfälischen Wirtschaft auf internationale Wettbewerbsfähigkeit und auf wachsende Exporte. Damit waren viele Unternehmen aus NRW erfolgreich. Industrielle Produktion und Beschäftigung stiegen insbesondere in den Jahren 2006 bis Mitte 2008 stark an. Die Kehrseite einer einseitigen Orientierung auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen liegt in der Ausbreitung von Niedriglöhnen und in stagnierenden öffentlichen (und in der Folge auch privaten) Investitionen. Deregulierung und Entstaatlichung haben letztlich zur Vernachlässigung von Zukunftsinvestitionen geführt und die Schwächung binnenwirtschaftlicher Wachstumskräfte sowie der privaten und öffentlichen Nachfrage billigend in Kauf genommen. Laut Schätzungen des IWF wird der Welthandel mit – 12% in diesem Jahr erheblich stärker schrumpfen als die Weltwirtschaft insgesamt (-1,4%). Darunter leiden exportorientierte Länder wie Japan, Deutschland und eben auch Nordrhein-Westfalen besonders stark. Deshalb ist es jetzt notwendig neue Wachstumspfade für NRW zu erschließen. Wirtschaftlicher Erfolg basiert letztlich auf dem Zusammenspiel unternehmerischen Engagements, qualifizierter Arbeit sowie direkter und indirekter öffentlicher Unterstützung (gesetzliche Rahmenbedingungen, Errichtung einer öffentlichen Infrastruktur, Ausrichtung der Bildungs- und Wissenschaftspolitik, Steuer- und Finanzpolitik u.a.). Zukunftsfähige Wachstumspfade werden die Stärkung binnenwirtschaftlicher Wachstumskräfte mit einer erneuerten Exportfähigkeit verbinden. Neben der Stabilisierung der Lohnbildungsverhältnisse und der Wiederherstellung eines funktionsfähigen Finanzsektors geht es dabei v.a. um die Förderung von privaten und öffentlichen Investitionen.

5.1.

Ressourceneffiziente Industrie

Nordrhein-Westfalen ist das Energie- und Industrieland Nr. 1 in der Bundesrepublik. Vor dem Hintergrund der derzeitigen weltweiten Wandlungsprozesse (z.B. Klimawandel, Ressourcenknappheit) wird sich diese Position zukünftig nur dann halten und ausbauen lassen, wenn die erforderlichen Zukunftsinvestitionen in industrielle Infrastrukturen in NRW getätigt werden (Stichwort: Green Industries). Dazu gehören insbesondere: • • •

• • • •

Der Ersatz alter durch neue, effizientere Kraftwerke Die Förderung von Abscheidung, Transport und Speicherung von Kohlendioxid (CCS-Technologien) Der Ausbau der Nah- und Fernwärmeversorgung für den verstärkten Einsatz der Kraft-Wärme-Kopplung und für den Aufbau eines intelligenten Stromnetzes (Hochleistungsübertragungsleitungen, intelligente Stromzähler, automatisierte Kontrollen, digitalisierte Sensoren etc.) Investitionen in neue (schadstoffarme) Fahrzeuggenerationen, Antriebssysteme (z.B. Elektromobilität) und neue Mobilitätskonzepte Weiterentwicklung der industriellen Verbund-Infrastruktur für die chemische Industrie Sanierung der Wasser- und Abwassersysteme Stärkung der Abfall- und Kreislaufwirtschaft

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5.2.

Soziale Dienstleistungen

Die Verlängerung der Lebenserwartung, die Individualisierung von Lebensentwürfen, das Streben von Männern und Frauen, durch eigene Erwerbstätigkeit ökonomisch selbständig zu sein, haben zusammen mit den gewachsenen Mobilitätsanforderungen der Arbeit den Bedarf an sozialen Dienstleistungen enorm ansteigen lassen. Vielfach in der Vergangenheit individuell erbrachte Leistungen , vor allem in den Bereichen gesundheitliche Versorgung, Betreuung und Pflege (Care), werden auch vor dem Hintergrund des sozialen und demografischen Wandels zukünftig zu noch größeren Teilen nur noch gesellschaftlich erbracht werden können. Der DGB NRW sieht mit großer Sorge, dass die Ausweitung sozialer Dienstleistungen unter einem extremen Verdrängungswettbewerb stattfindet. So ist durch zunehmende Privatisierung bereits heute ein neuer Niedriglohnsektor entstanden, in dem immer mehr Beschäftigte ohne tariflichen Schutz und unter prekären Arbeitsund Einkommensbedingungen arbeiten. Um die Qualität der Versorgung zu gewährleisten und weiterzuentwickeln sowie gleichzeitig neue, gute Arbeit zu unterstützen hält es der DGB NRW für unerlässlich, die öffentliche Infrastruktur für professionelle soziale Dienstleistungen zu stärken. Hierin liegen Chancen für die nachhaltige Gestaltung dieser zukunftsträchtigen Wachstums- und Beschäftigungsfelder.

5.3.

Bildung

Eine wissensbasierte Industriegesellschaft wie in Nordrhein-Westfalen braucht möglichst viele gute ausgebildete Menschen, die innovative Entwicklungen ermöglichen und fördern. So wird jetzt schon deutlich, dass mit Überwindung der Krise der schon in den letzten Jahren spürbare Mangel an Fachkräften deutlich zunimmt und damit Wachstum hemmt. Investitionen in Bildung sind somit der Schlüssel für die Erschließung neuer Wachstums- und Beschäftigungsfelder. Maßstab bei den Bildungsinvestitionen sind die Beschlüsse des Dresdener Bildungsgipfels von mind. 10% des Brutto-Inlandsproduktes. Hier hat NRW - auch im internationalen Vergleich - erheblichen Nachholbedarf. Gleichzeitig ist der Bildungsbereich selbst ein wichtiges Beschäftigungsfeld. So muss die öffentlich Bildungsinfrastruktur von der frühkindlichen Betreuung über die schulische Bildung bis hin zur Weiterbildung massiv personell aufgestockt und die Lehrkräfte entsprechen ausgebildet werden.

5.4.

Stärkung der Attraktivität des Standortes NRW

Die Wachstumsmuster der letzten Jahre zeigen: Nicht allein Kostenrelationen sondern in hohem Maße auch qualitative Kriterien (Qualität der Umwelt, der Bildungs- und Kulturangebote, der Wohn- und Lebenswelten) entscheiden mit über Zukunftsinvestitionen und Beschäftigungsverhältnisse. Die Sicherung und Weiterentwicklung der kommunalen Selbstverwaltung, der öffentlichen Infrastruktur und Daseinsvorsorge wird damit auch zu einem Wachstumsfaktor. In NRW bedeutet dies insbesondere: • •

Die Investitionsfähigkeit aller Städte und Kommunen muss durch eine umfassende Reform des Finanzierungssystems auch in und nach der Krise gesichert werden. Die öffentliche Infrastruktur insbesondere im Verkehrsbereich muss mit der gewachsenen und wachsenden Nachfrage mithalten.

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• • • • •

Wohnungen, Wohnquartiere und Stadtviertel müssen stabilisiert und erneuert werden. Kultur- und Kreativwirtschaft brauchen Räume und Freiräume Die öffentlichen Gebäude des Landes und der Kommunen müssen energetisch saniert werden Die Quantität und Qualität der Bildungseinrichtungen (insbesondere Schulen) müssen stabilisiert und weiter entwickelt werden. Lokale Jugend- und Freizeitangebote müssen ausgeweitet werden.

Zur Attraktivität des Lebensortes gehört zudem, dass ausreichend und qualitativ gute Wohnfläche zur Verfügung steht. In NRW jedoch ist durch Wegfall staatlicher Förderung der Bau von Eigenheimen/-wohnungen rückläufig. Deshalb sollte der Wohnungsbau wie von den Verbänden und der Gewerkschaft des Baugewerbes (IG BAU in ihrem gemeinsamen „Initiative Wohnungsbau in Deutschland“ dargelegt gefördert werden. Dies ist auch vor dem Hintergrund der energetischen Verbesserung des Baubestandes als wichtiger Beitrag zum Klimaschutz unerlässlich

5.5.

Innovation, Wachstums und Beschäftigung durch Mitbestimmung

Mitbestimmung hat einen vielfältigen gesellschaftlichen und ökonomischen Nutzen. Mitbestimmung dient demokratischer Kontrolle wirtschaftlicher und politischer Entscheidungen und sorgt für höhere Akzeptanz unternehmerischer bzw. administrativer Beschlüsse. Mitbestimmung fördert das Betriebsklima, die Mitarbeitermotivation und verbessert den Betriebsfrieden. Mitbestimmung ist kein Hemmschuh, sondern elementare Voraussetzung für Innovationen. Veränderungen der Organisations- und Arbeitsstrukturen gehören zum Alltag der Beschäftigten in den Betrieben und im öffentlichen Dienst. Sie können jedoch nur erfolgreich umgesetzt werden, wenn Beschäftigte und ihre Interessenvertretungen beteiligt werden. Die stärkere Beteiligung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern an der Gestaltung der betrieblichen Produkte und Prozesse ist daher auch ein Wettbewerbsfaktor. Der DGB NRW hat gemeinsam mit der TBS NRW und dem Arbeitsministerium NRW ein zusätzliches Beratungsangebot für Betriebsräte entwickelt. Damit sollen die Arbeitnehmervertreter in ihren Betrieben qualifiziert dabei unterstützt werden, in wirtschaftlichen Krisensituationen gemeinsam mit Belegschaften und Unternehmensleitungen Arbeitsplätze sichern zu können und Innovationen für Wachstum und Beschäftigung anzuregen. Der DGB NRW fordert daher: • •



Stärkere Ausrichtung der Struktur -und der Innovationspolitik auf die Förderung guter Arbeitsbedingungen und attraktiver Arbeitsplätze. Ausbau der Mitbestimmung (z.B. Entscheidungen über die Zukunft von Unternehmenstandorten, Mitbestimmung bei neuen Produkten, Investitionen und dem Angebot bzw. der Organisation von öffentlichen Dienstleistungen) Stärkung der Infrastruktur für gute Arbeit (z.B. betriebliche Zukunftsschecks für Beschäftigte, Ausbau der Arbeitsforschung in NRW, Einrichtung eines Lehrstuhles für Mitbestimmung)

DGB NRW, Oktober 2009