Public Relations als Gegenstand der Kulturwissenschaft

Public Relations als Gegenstand der Kulturwissenschaft Carsten Winter Vorbemerkung Public Relations1 sind in entwickelten Industrienationen dabei, den...
Author: Thilo Geier
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Public Relations als Gegenstand der Kulturwissenschaft Carsten Winter Vorbemerkung Public Relations1 sind in entwickelten Industrienationen dabei, den Journalismus als konstitutiven Faktor öffentlicher Meinungsbildung abzulösen. Indiz hierfür mag beispielsweise die Zahl der PRPraktiker in den USA sein, die jene der Journalisten inzwischen übertrifft.2 Verdichtung, Beschleunigung und Vermehrung von Kommunikationen sowie die Möglichkeit einer Realzeitübertragung von Ereignissen aus nahezu jedem Winkel der Erde haben uns eine neue Entwicklungsstufe der Modeme, die Kommunikationsgesellschaft, beschert.3 Wirtschaftliche' politische, soziale und kulturelle Orientierungen prallen in der Vielzahl von Medien- und Teilöffentlichkeiten auf unterschiedlichen Ebenen immer stärker aufeinander, wobei sie sich durchdringen und wechselseitig beeinflußen. Sichtbar wird im gegenwärtigen Strukturwandel von Öffentlichkeiten, daß klassische journalistische Tätigkeiten wie das Sammeln, Recherchieren, Gewichten und Bewerten von Informationen immer unwahrscheinlicher werden. Im Zeitalter von Realzeitkommunikation und bei gleichzeitigem Wettbewerb am Nachrichtenmarkt wird die Verwendung von nicht selbst erstellten Text- und Bildmaterials immer selbstverständlicher. Die kritisch-journalistische Recherche tritt in den Hintergrund, die Journalisten werden zu Verkäufern von "News".4 Der Entfaltung der technischen Seite der Kommunikationsgesellschaft korrespondieren zentrale soziale und kulturelle Veränderungen. Die Halbwertzeit von handlungsorientierenden Erfahrungen verkürzt sich zunehmend: Primäre Erfahrungen werden durch sekundäre, medienvermittelte Erfahrungen ergänzt oder ersetzt. Längst haben sich kulturelle Verhaltensmuster geändert, haben jüngere Generationen ihr Verhalten und Handeln, ihre Entscheidungen und Wertungen von sozialen Räumen und ihren Traditionen gelöst und auf kurzlebigere, medial vermittelte Orientierungen abgestimmt.5 Diese Veränderungen von kulturellen Handlungsmustern und -orientierungen werden häufig systemtheoretisch verkürzt als Phänome jeweils einzelner Handlungsbereiche thematisiert. Es sind aber die Wechselbeziehungen zwischen Kommunikation, Handlungsorientierungen und Handlungen, die von kulturwissenschaftlichem Interesse sind. Drei Trends, die die kulturelle Bedeutung von Public Relations im Kontext des Strukturwandels von Öffentlichkeiten hervortreten lassen, verdeutlichen dies: (1) Die Zunahme und Verdichtung von Kommunikation ermöglicht immer größeren Bevölkerungsteilen Zugang zu Informationen, die ursprünglich nur wenigen vorbehalten waren und handlungsorientierend wirksam werden.

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Ich verwende im folgenden die Bezeichnung "Public Relations", weil sie zusätzlich zu dem für PR entscheidenden Verweis auf "Öffentlichkeit" mit "Beziehungen" auch auf die Wechselseitigkeit von Kommunikation aufmerksam macht. 2 Vgl. Altheide, David L./Robert P. Snow: Media Worlds in the Postjournalism Area. New York 1991 und Ludes, Peter: Auf dem Weg zu einer "fünften Gewalt". Die Auflösung von Öffentlichkeit in Public Relations, in: Medium 2/93, S. 8-11. 3 Vergl. Münch, Richard: Dialektik der Kommunikationsgesellschaft. Frankfurt/M. 1991. 4 Vgl. Ludes, Peter: Von der Nachricht zur News Show. München 1993. 5 Meyrowitz, Joshua: Die Fernseh-Gesellschaft. Wirklichkeit und Identität im Medienzeitalter. Weinheim/Basel1987.

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(2) Immer deutlicher wird, daß in der Gegenwartsgesellschaft jede Handlung eine Vielzahl nicht intendierter aber zu rechtfertigender, weil öffentlich bekannt werdender Folgen in anderen Handlungsbereichen nach sich zieht. (3) Ein Trend zur Visualisierung, dem Ersetzen von Wortbeiträgen durch gemischte oder überwiegend bildsprachliche Beiträge, konstituiert supranationale, kultur- und sprachraumunabhängige soziale und kulturelle Rollen über das Fernsehen. Die Zunahme von Informationen und Handlungsorientierungen, der Informationszwang und die Visualisierung von Themen haben nachhaltigen Einfluß auf unsere Erwartungen, Interessen und Ordnungsmuster. Diese Erwartungen, Interessen und Ordnungsmuster werden im folgenden als Elemente von Kultur konzeptualisiert, die vor allem Gegenstand und Ziel, aber auch Auslöser und Hintergrund von Public Relations sind. Kultur wird im Plural, als eine Vielzahl unterscheidbarer Modelle von und für Verhalten verstanden, die Verhalten und Handeln in allem gesellschaftlichen Handlungsbereichen orientieren.6 Es kann deshalb nicht von der Kultur gesprochen werden, sondern vielmehr eine Vielzahl von kulturellen Orientierungen, die sich gegenseitig verändern können, sich wechselseitig durchdringen, aber auch einer gewissen Eigendynamik und Tradition nicht entbehren. Zur Entwicklung der Kulturwissenschaft7 In den achtziger Jahren wurden verschiedene, theoretisch sowie praktisch auf unterschiedliche Handlungsbereiche ausgerichtete kulturwissenschaftliche Studienangebote eingerichtet (Bremen: 1986, Lüneburg: 1986, Hildesheim: 1979, Passau: 1989, Hamburg: 1989). Ihr Charakteristikum ist die Überwindung traditioneller Fächergrenzen sowie der Anspruch, bisher 'fakultäts- oder fächeregoistisch' getrennte Aspekte zu integrieren. Ein weiterer und wesentlicher Aspekt kulturwissenschaftlichen Studierens ist die Orientierung an praktischen und gesellschaftlich relevanten, den an historisch-fachspezifischen Problemen.8 Die Vielzahl der Gegenstandsbereiche kulturorientierter Studienangebote wie z.B. charakterisieren die Kulturwissenschaft weniger als ihr spezifisch multiperspektivischer Zugriff. Praktische, theoretische und disziplinspezifische Perspektiven werden vom Problem her entwickelt und sollen im Zusammenspiel zu neuartigen Perspektiven und Lösungen verhelfen, wie Auszüge aus Studienordnungen und Selbstdarstellungen verdeutlichen:9

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Die Konzeption von Kultur gleichzeitig als Modell von und als Modell für Verhalten geht auf Cliffort Geertz zurück. Geertz, Clifford: Religion als kulturelles System. In: ders.: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. Frankfurt/M. S. 44-95. 7 Ich vernachlässige hier theoretische Entwicklungen z.B. in der Kulturanthropologie, der Kultursoziologie oder - philosophie; ihr Einfluß auf die Entwicklung der sich seit den achtziger Jahren entwickelnden Kulturwissenschaft ist ähnlich gering, wie der Einfluß etwas der Idee der "Humanities" (USA) oder des "Cultural Studies Approach" (GB). 8 Eine Charakterisierung wie "berufsbezogen" trifft für kulturwissenschaftliche Studienangebote aus drei Gründen nicht zu: (1) Um berufsbezogen studieren zu können, müßten Berufe benannt werden können, rur die KulturwissenschaftlerInnen ausgebildet werden. (2) Um zumindest Berufsbezogenheit als zentrales Merkmal rechtfertigen zu können, müßten die Studien- und Prüfungsordnungen auf diesen Punkt abheben. (3) Der These stehen empirische Zahlen entgegen. Eine empirische Studie belegt, daß die Ausrichtung auf einen konkreten Beruf kein Grund zur die Wahl eines kulturwissenschaftlichen Studiums ist und auch keine Auswirkung auf die Studienplanung hat. vgl. Blamberger, Günter et al. (Hg.): Berufsbezogen studieren. Neue Studiengänge in den Literatur-, Kultur und Medienwissenschaften. München 1993. 9 Die Geschichte einer deutschen Nachkriegskulturwissenschaft reicht indes weiter zurück: Erste, grundständig kulturwissenschaftlich ausgerichteten Studienangebote "Kulturwissenschaft & Ästhetik" entstanden bereits Mitte der sechziger Jahre in der ehemaligen DDR (Berlin 1964, Leipzig 1965). Sie waren Versuche, sich von der

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"Charakteristisch für den Studiengang ist die Kombination von wissenschaftlicher und künstlerisch praktischer Auseinandersetzung mit Kultur. Wesentliches Merkmal dieses Studienganges ist seine fächerübergreifende Ausrichtung." (Hildesheim) "Exemplarisches Lernen an sehr unterschiedlichen Gegenständen, Interdisziplinarität, sowie vielfältige methodische Zugangsweisen charakterisieren das Studium deutlicher als ein klarer Gegenstandsbereich. " (Bremen) "Der Studiengang zielt auf eine neuartige Verbindung von kulturwissenschaftlichen und wirtschaftswissenschaftlichen Studieninhalten, die dem strukturellen Wandel gegenwärtiger und künftiger beruflicher Anforderung Rechnung trägt." (Lüneburg) "Die Passauer Diplomkulturwirte sollen durch die Vermittlung fachübergreifender und praxisnaher Fähigkeiten und die Kenntnis fremder Kulturen und ihrer Sprachen in die Lage versetzt werden: (1) wichtige Schlüsselqualifikationen zu erwerben, (2) die Grundlage erhalten, mit komplexen Problemen fertig zu werden, (3) beruflich und räumlich mobil zu werden." (Passau)

Jüngere kulturwissenschaftliche Studienangebote der frühen neunziger Jahren knüpfen hier an (Ludwigsburg: 1991, Karlsruhe: 1991, Frankfurt/Oder: 1993, Münster: 1993, kurz vor der Realisation stehen Studiengänge in Potsdam und in Saarbrücken). Ein Vergleich der Entwicklung des höheren deutschen mit der Entwicklung des höheren amerikanischen Bildungssystems verdeutlicht die Sonderstellung der Kulturwissenschaft. Zunächst war die Ausrichtung am Modell der deutschen Universität Orientierungshilfe für die Entwicklung des amerikanischen Hochschulsystems.10 Die fortschreitende, fachdisziplinäre Spezialisierung innerhalb der Geisteswissenschaften und die damit verbundene Abwendung von praktischen und konkreten Problemen entsprach nicht den amerikanischen Anforderungen. Der Besuch einer höheren Bildungsstätte sollte nicht unmittelbar für ein Berufsfeld oder ein bestimmtes Fach qualifizieren, sondern zunächst die qualifizierte Auseinandersetzung mit den sich aus der fortschreitenden Veränderung der Gesellschaft ergebenden praktischen und aktuellen Problemen ermöglichen,11 woran sich gegebenenfalls die Wahl eines spezialisierten, wissenschafts- oder praxisorientierten Studiums anschloß.12 Die Trennung zwischen allgemeinem und speziellem Studium ermöglicht es dem amerikanischen Hochschulsystem, auf die in unterschiedlichen Handlungsbereichen auftretenden Probleme und Veränderungen flexibel zu reagieren. Die rasche Ausbildung von sowohl forschungsadäquaten als auch berufsadäquaten Ausbildungsstrukturen13 dürfte mit für die international exponierte Stellung amerikanischer Bildungseinrichtungen verantwortlich sein, die Spezialisten für Praxis und Wissenschaft bereitstellen. Als Belege können Ansehen und Leistungen amerikanischer Theoretiker und Praktiker gelten. So arbeiten amerikanische Geistes- und Sozialwissenschaftler derzeit abstrakter werdenden ästhetischen Philosophie ab und einer eher an Phänomenen des kulturellen Alltags ausgerichteten Auseinandersetzung mit Kultur und ästhetischer Wahrnehmung zuzuwenden. Die Gründung des "Instituts rur empirische Kulturforschung" 1973 in Tübingen war eine Abwendung von der traditionellen Volkskunde. 10 Vgl. Münch, Richard: Die Struktur der Moderne. Grundmuster und differentielle Gestaltung des institutionellen Aufbaus der modernen Gesellschaften. Frankfurt/M. 1992 (1984), S. 255. 11 Vgl. Parsons, Talcott/Gerald Platt: Die amerikanische Universität. Frankfurt/M. 1972, S. 219 ff. 12 Die Trennung von Graduate und Undergraduate ist die Voraussetzung dafür, daß ein Großteil der Studierenden der Philosophie oder auch anderer geisteswissenschaftlicher Fächer in den USA relativ problemlos später z.B. auch im Führungsbereich der Wirtschaft Arbeit finden kann. Es ist das Undergraduate Studium, das die Realitätstüchtigkeit gewährleistet, die von Berufspraktikern immer wieder eingefordert wird, die GeisteswissenschaftlerInnen in Deutschland aber überwiegend abgesprochen wird. 13 Vgl. Parsons/Platt 1972, S. 299ff, besonders 304f.

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international richtungsweisend; im Managementbereich waren die USA lange Zeit führend, weil sie aus ihren an den wirtschaftlichen Erfordernissen abgestimmten Ausbildungsstrukturen schöpfen konnten. Über 200 PR-Ausbildungsangebote etwa stellen eine rasche Reaktion auf die Verdichtung, Beschleunigung und Vermehrung von Kommunikationen dar.14 Für die folgenden Überlegungen ist die im amerikanischen Bildungssystem nach dem "undergraduate" angelegte Trennung zwischen berufspraktischer und theoretisch-wissenschaftlicher Ausbildung zentral.15 Sie entspricht begrenzt der deutschen Trennung zwischen Fachhochschul- und Universitätsstudium.16 Die Einrichtung kulturwissenschaftlicher Studienangebote weist in eine neue Richtung. Kulturwissenschaft spekuliert auf die Möglichkeit, der amerikanischen Entwicklung auf anderem Niveau zu entsprechen. Sie weist ergänzend zu den in Amerika getrennten drei traditionellen Elementen, der allgemeinen Ausbildung, dem theorieorientierten Studiums und den auf Vermittlung von Berufsfertigkeiten ausgerichteten Professional Schools ein viertes Studienelement auf. In ihm soll die Integration disziplinspezifischer, theoretischer und praktischer Studieninhalte geleistet werden. Wie und ob dies gelingen kann, scheint, für die sich gegenwärtig etablierende Kulturwissenschaft zu der zentralen Frage zu werden. Integration heißt hier nicht Nivellierung oder gar Einebnung von Unterschieden oder produktiven Widersprüchen. Es geht um die Herausbildung beweglicher Strukturen, mit denen es gelingt, das Studiums an unterscheidbaren Problemen, zu orientieren, die an Schnittstellen gesellschaftlicher Handlungsbereiche wie Wirtschaft, Soziales, Politik o.ä. entstehen.17 Die Erprobung neuartiger Integrations-, Vermittlungs- und Reflexionsformen wird für ein kulturwissenschaftliches Studium unumgänglich. Neben obligatorischen Berufspraktika finden deshalb verstärkt Projekte Eingang in das Studium. In Bremen und Tübingen ist beispielsweise der Besuch eines mehrsemestrigen Projektes vorgeschrieben. Ein solches kommt zustande, wenn sich mehrere Lehrende unterschiedlicher Disziplinen zur Zusammenarbeit in einem fächerübergreifenden Studienprojekt entschließen. In Hildesheim werden ganze Semester für Projektstudien vorgesehen, in denen nur an Projekten gearbeitet wird etc.18 Trotz häufiger Schwierigkeiten in derartigen Projekten, die sowohl für Lehrende als auch Studierende einen Mehraufwand bedeuten, sind hier in Zukunft Schwerpunkte kulturwissenschaftlichen Studierens zu erwarten. Vor allem an die Zusammenarbeit unterschiedlicher Disziplinen in transdisziplinären Projekten nicht nur unter Geisteswissenschaftlern, sondern gemeinsam mit den Natur- und/oder Wirtschaftswissenschaftlern knüpfen Lehrende und Studierende hohe Erwartungen. Bisher sind konkrete Erfahrungen mit transdisziplinären Arbeitsforen und -formen jedoch noch zu gering, um kulturwissenschaftliche Erfahrungen darlegen zu können. 14

Benno Signitzer sprach im Rahmen der Bamberger Fachtagung "Aus- und Weiterbildung: Public Relations. Modelle - Probleme - Perspektiven" am 22.123.1.1993 davon, daß 273 von 290 amerikanischen Hochschuleinrichtungen der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft PR-Programme anbieten würden. 15 Deutlich wird sie nicht zuletzt bei Parsons/Platt 1972. Sie entwickeln zwar die Perspektiven und Probleme in den drei Bereichen "allgemeine Ausbildung - undergraduate studies", "fachspezifisches Studium - graduate studies" und "berufsspezifische Ausbildung - professional schools", gehen aber nicht auf Probleme und Möglichkeiten der Integration theoretisch-abstrakten Wissens und berufsspezifischer Spezialisierungen und Erfahrungen ein (S. 143ff, S. 219fT, S. 299ft). 16 Insgesamt zeigen die stärkere Berücksichtigung von Fachhochschulen in der Hochschulplanung sowie die zahlenmäßige Überlastung der geisteswissenschaftlichen Studienfächer aber, wie schwer Strukturveränderungen innerhalb der insgesamt eher unbeweglichen deutschen Hochschullandschaft durchzusetzen sind. 17 Fragen, die die speziellen Inhalte und die Vermittlung und Reflexion abstrakt-theoretischen Wissens oder die Vermittlung von Grundlagen oder berufspraktischen Fähigkeiten betreffen, sind wichtig und sollten von jedem Studiengang selbständig reflektiert und thematisiert werden, sie bilden jedoch m.E. nicht den Kernbereich der Kulturwissenschaft. 18 Vgl. hierzu die Rubrik "Projekte" in dem jährlich aktualisierten "Überblick über kulturorientierte Studiengänge in Deutschland. Eine Information der Gesellschaft für Kulturwissenschaft e.V."

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Kulturwissenschaft und Public Relations Obwohl Public Relations in jüngerer Zeit vermehrt Gegenstand theoretischer Erörterungen geworden sind, gibt es bislang keine weitreichende PR -Theorie.19 Eine Berücksichtigung kulturwissenschaftlich relevanter Fragestellungen ist dann auch nicht zu erwarten. Nicht zuletzt der Titel eines Aufsatzes des PR-Theoretikers Manfred Rühl: "Public Relations ist, was Public Relations tut",20 verdeutlicht: Es dominiert die Praxis. Sein gemeinsam mit Franz Ronneberger dargelegter Theorieentwurf,21 der Public Relations als autopoietisches System konzipiert, ist als kulturwissenschaftlicher Bezugsrahmen zu eng. Eine Thematisierung der durch PR initiierten und mitgestalten Kommunikationsprozesse und deren Durchdringung gesellschaftlicher Bereiche entzieht sich angemessener theoretischer Darstellung. Der Gesamtzusammenhang von PR gerät zugunsten der Untersuchung des selbstreflexiv vorgestellten Systems PR in den Hintergrund. Im Gegensatz hierzu konstruiert Werner Faulstich PR nicht als Kommunikation innerhalb eines PRSystems, sondern als Interaktionen zwischen System und Umwelt; wobei er Interaktion als gesellschaftliches Handeln versteht, das sich "auf Erwartungen, Wertvorstellungen, Interessen, Ordnungsmuster anderer (Umwelt-) Systeme [bezieht], die sich natürlich wandeln und ihrerseits verändert werden können."22 Im Vordergrund seines funktionalistischen Ansatzes stehen die Systemerfordernisse des jeweils PR betreibenden Systems. Die Wirkung oder der Einfluß von PR auf Kultur, auf unterscheidbare Erwartungen, Wertvorstellungen, Interessen und Ordnungsmuster sowie die Wirkungen dieser Erwartungen, Wertvorstellungen, Interessen und Ordnungsmuster auf PRKommunikationen werden nicht explizit als Bestandteile eines sich wechselseitig durchdringenden, verstärkenden und dynamischen kulturellen Prozesses thematisiert. PR als kultureller Bestandteil der Kommunikationsgesellschaft Die gegenwärtig einflußreichsten Gesellschaftstheorien ranken sich aus unterschiedlichen Perspektiven um das Phänomen Kommunikation: Jürgen Habermas hat eine Theorie des kommunikativen Handelns entwickelt, in deren Vordergrund die qualitative Differenz zwischen systemisch vermittelter, medialer Handlungskoordination und der lebensweltlich vermittelten Sprachhandlungskoordination steht;23 für Niklas Luhmann ist die Unwahrscheinlichkeit gelingender Kommunikation das zentrale Bezugsproblem einer Theorie sozialer Systeme;24 bei Richard Münch schließlich bildet die mit der Kommunikationsentwicklung westlicher Industrienationen einhergehende Vermehrung, Beschleunigung, Verdichtung und Globalisierung von Kommunikation das Bezugsphänomen. Als Bezugsrahmen für eine kulturwissenschaftliche Analyse von PR als gesellschaftlich oder kulturell relevantem Phänomen erscheinen die Ansätze von Luhmann und Habermas unzureichend. Der Versuch etwa, Habermas' Theorie als Gerüst für eine Theorie verständigungsorientierter PR zu nutzen, verdeutlichen dies: Öffentlichkeitsarbeit bleibt hier auf die Regelung von Konflikten beschränkt.25 Eine theoretische Konstruktion vernetzter, sich wechselseitig durchdringender und beeinflussender Kommunikationen ist weder mit Luhmanns noch mit Habermas' Gesellschaftstheorie möglich; die von ihnen ausgehende Dynamik wird erst bei Münch Gegenstand der Theoriebildung. Münch erinnert an 19

Faulstich, Werner: Grundwissen Öffentlichkeitsarbeit. Kritische Einführung in Problemfelder der Public Relations. Bardowick 1991, S. 13ff. 20 Rühl, Manfred: Public Relations ist, was Public Relations tut. Fünf Schwierigkeiten, eine allgemeine PRTheorie zu entwerfen. In: pr-magazin 4/92, S. 35-46. 21 Vgl. Ronneberger, Franzl/Manfred Rühl: Theorie der Public Relations. Ein Entwurf. Opladen 1992. 22 Faulstich 1991, S. 50. 23 Habermas, Jürgen: Theorie des kommunikativen Handelns. Bd. 1 & 2 Frankfurt/M. 1981. 24 Luhmann, Niklas: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt/M. 1984. 25 Vgl. z.B. Burkhart, Roland: Public Relations als Konfliktmanagement. Ein Konzept für eine verständigungsorientierte Öffentlichkeitsarbeit. Wien 1993, bes. S.19-37.

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das von Parsons entwickelte Konzept der Interpenetration26 und entwickelt es im Kontext der Entwicklung neuer Medien und den sich durch sie verändernden Kommunikationsbedingungen weiter.27 Er zeigt, wie der sich zwischen gesellschaftlichen Funktionsbereichen aufspannende, öffentliche Diskurs zunehmend an Einfluß gewinnt und eine wechselseitige Durchdringung der unterschiedlichen, funktional ausdifferenzierten Bereiche erzwingt und vorantreibt. Ihm kann sich heute keine gesellschaftliche Organisation mehr unbeschadet entziehen: "Über den Erfolg der Unternehmen entscheidet immer noch der Markt. Aber der Markt funktioniert längst nicht mehr unabhängig von öffentlichen Diskursen. Unternehmen, die in den öffentlichen Diskursen schlecht abschneiden, gefährden ihren Markterfolg. Auch die Durchdringung der Unternehmen durch die Entwicklung ihrer Unternehmenskultur wird die diskursive Formung des wirtschaftlichen Handelns weiter vorantreiben und sie in eine neue Welt hineinführen. Die Öffentlichkeitsarbeit der Unternehmen ist unter diesen Bedingungen kaum noch als strategische Imagepflege zu verwirklichen. Sie wird immer aufwendiger und zu einem Teil des öffentlichen Diskurses."28 Die veränderten Kommunikationsbedingungen in modernen Gesellschaften erzwingen nach Münch eine immer aufwendigere Öffentlichkeitsarbeit. Seine systemtheoriepolemische These, daß sich über den öffentlichen Diskurs die Mehrzahl der Handlungen unweigerlich eher an den Rändern als im Inneren der noch bei Luhmanns oder Habermas relativ abgeschlossen konstruierten Handlungswelten wiederfinden, rückt Public Relations und technische Verbreitungsmedien in das Zentrum seiner Gesellschafts- und vor allem seiner Modernisierungstheorie: Nach Münch war es nicht die Ausdifferenzierung immer spezialisierterer Systeme, die die Entwicklung der europäischen Kultur vorantrieb, sondern der Prozeß der wechselseitigen Durchdringung voneinander differenzierter Bereiche.29 Öffentlichkeiten können im Zeitalter modernster Kommunikationstechnologien jederzeit und fast an jedem Ort unterschiedliche, zuweilen gegensätzliche Erwartungen, Interessen und Ordnungsmuster zusammenbringen. Auf diese Weise wirken sie auf Handlungsorientierungen und Strukturen nachhaltig ein und verändern sogar deren innere Logik.30 PR wird bei Münch im dialektischen Prozeß der Fortentwicklung der Kommunikationsgesellschaft ein gewichtiger Stellenwert eingeräumt, weil sie als Interaktion und/oder Kommunikation zum zentralen Faktor gesellschaftlicher Öffentlichkeiten geworden ist und damit kulturelle Orientierungen immer stärker zu beeinflussen beginnen. Public Relations kann im Rahmen von Münchs Theorie als eine über gestaltete Kommunikation gesteuerte Einflußnahme auf Kultur, verstanden als Vielzahl von Modellen von und für Verhalten konzeptualisiert werden, die auf eine bewußte Veränderung eben dieser Modelle angelegt ist. Es sind mithin drei Dimensionen von PR analytisch voneinander zu unterscheiden: PR wirkt (erstens) selbst als Modell von und für Verhalten, es kann (zweitens) andere Modelle von und für Verhalten verändern 26

Vgl. Münch, Richard: Theorie des Handelns. Zur Rekonstruktion der Beiträge von Ta1cott Parsons, Emile Durkheim und Max Weber. Frankfurt/M. 1988 (1982). 27 Vgl. Münch 1991. 28 Münch 1991, S. 143. 29 Vgl. Münch, Richard: Die Kultur der Moderne Bd 1. Frankfurt/M. 1993 (1984), S. 11ff. und ders: Die Struktur der Moderne. Grundmuster und differentielle Gestaltung des institutionellen Aufbaus der modernen Gesellschaften. Frankfurt/M. 1993 (1986), S. 23ff. 30 Entscheidende Bedeutung kommt hier den technischen Medien, allen voran dem Fernsehen, als zentrale und gesellschaftsweit relevante Öffentlichkeit zu, das dabei ist, vielfältige Formen von Öffentlichkeiten zu verdrängen, deren Funktionen es jedoch nicht zu übernehmen (vgl. Winter, Carsten: Kulturelle Öffentlichkeiten. Kritik des Modells bürgerlich-liberaler Öffentlichkeit. In: Faulstich, Werner (Hg.): Öffentlichkeit. Bardowick 1993, S. 29 - 46.)

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und schließlich kann PR (drittens) durch die Veränderung von Modellen von und für Verhalten längerfristig die Strukturen in Handlungsbereichen verändern. PR im Studium der Kulturwissenschaft Kulturwissenschaft wird sich stärker als bisher mit der Gestaltung und Wirkung von PR auseinandersetzen müssen. Die im kulturwissenschaftlichen Studium angelegte Integration abstrakter und praktischer Elemente muß im Hinblick auf Public Relations deutlicher herausgearbeitet werden. Dabei trifft sich der Anspruch der Kulturwissenschaft mit den veränderten Erwartungen einer neuen Studentengeneration, die sich nicht mehr ausschließlich am Bildungsideal Humboldts orientiert. Sie versteht unter einem Studium zunehmend nicht mehr nur einen fachlich, sondern auch gesellschaftlich und beruflich qualifizierenden Lebensabschnitt. Ein stärker problem- und projektorientiertes Hauptstudium könnte allen drei Aspekten gleichermaßen genügen. Es wäre z.B. denkbar, daß Studentengruppen im Hauptstudium ein eigenständiges Projekt durchführen, das unterschiedliche Ebenen und verschiedene Aspekte komplexer gesellschaftlicher Probleme berührt. Die Durchführung solcher Projekte würde nach Genehmigung eines Projektantrages durch einen akademischen Prüfungsausschuß erfolgen, der im Vorwege die Wissenschaftlichkeit des Projektes zu prüfen hätte. PR-Forschung und -lehre an kulturwissenschaftlichen Studiengängen muß sich Integrationsproblemen zwischen verschiedenen Bereichen zuwenden. Sie hat stärker auf die Analyse und Bestimmung der jeweils in Handlungsbereichen vorherrschenden kulturellen Modellen von und für Verhalten und den sich aus den unterschiedlichen, zuweilen widersprüchlichen Orientierungen ergebenden Problemen für die Praxis abzuheben. Die Tatsache, daß PR zu einem zentralen Kommunikationsinstrument von Organisationen geworden ist, läßt es sinnvoll erscheinen, die Möglichkeiten zu erkunden, die zusätzlich zu einer Kenntnis der vielfältigen kulturellen Modelle von und für Verhalten auch die unterschiedlichen Strukturen, Funktionen von Bereichen haben. Das Wissen um die kulturell orientierenden Modelle von und für Verhalten und Handeln derer, der PR betreibenden und derer, die durch PR erreicht werden sollen, verbunden mit einem Wissen um die unterschiedlichen Selbstorganisationsbedürfnisse der an PR-Kommunikation beteiligten Personen sind als PR-Prozeß selbst zum Gegenstand mehrdimensionalen kulturwissenschaftlichen Forschens und Lehrens zu machen. Zusätzlich könnte z. B. auch untersucht werden, wie sich disziplinspezifische oder berufspraktische Begründungszusammenhänge, z. B. aus der BWL, der Publizistik, der Politikwissenschaft, der Medienwissenschaft etc. oder unterschiedlichen Berufsfeldern in PRStrategien auswirken. Die Frage nach den an PR-Kommunikation beteiligten Personen und die Spezifika der PR-Kommunikation könnten dazu beitragen, daß die Integration theoretischer und berufspraktischer Inhalte die kulturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit PR bereichert. Es läßt sich sodann folgende analytische Unterscheidung integrierender Aspekte von PR, als einem nicht nur einseitigem Kommunikationsinstrument vornehmen: 1. PR kann kurzfristig in der Kommunikation eigenständiger kultureller Handlungs- und Verhaltensorientierungen bestehen. Ihr Erfolg wird von der Orientierungsleistung der PRKommunikation hinsichtlich der Selbstorganisationsbedürfnisse der Adressaten der PRKommunikation abhängen. 2. PR kann längerfristig auf die Veränderung bestehender kultureller Modelle von und für Handeln und Verhalten abgestimmt sein. Ihr Erfolg wird von der Stabilisierung der Orientierungsleistung dieser Modelle im Hinblick auf ihre Funktionen für gesellschaftliche Strukturen abhängen. 7

3. PR kann längerfristig über die Integration disziplinspezifischer Begründungszusammenhänge auf gesellschaftliche Strukturen wirken. Erfolgreich ist diese wissenschaftlich fundierte PRKommunikation wenn die Kommunikation im Hinblick auf die theoretische Durchdringung der Gegenstände wahrheitsfähig ist. Die hier aufgeführten, nicht mehr nur praktischen Aspekte von Public Relations werden mit zunehmender kommunikativer Vernetzung an Bedeutung gewinnen. PR als handlungsgeleiteter Aktionismus dürfte in Zukunft kaum noch Chancen haben, will sie nicht die in unterschiedlichen Handlungsbereichen und auf unterschiedlichen Ebenen möglichen Integrationen längerfristig verhindern und die Widersprüche der modernen Gesellschaft nicht noch verstärken. Die Ausdifferenzierung der Gesellschaft in eine Vielzahl spezialisierter Teilbereiche wird im Zusammenhang mit der technisch bedingten Verdichtung, Beschleunigung und Verbreitung von Kommunikation zu einer Entdifferenzierung in vielen Bereichen der Gesellschaft führen. Das Gelingen der Integration unterschiedlicher Werte, Ziele und Bedeutungen setzt integrationsfähige Kommunikationsstrukturen voraus. Public Relations könnte zur Herausbildung solcher Strukturen einen wichtigen Beitrag leisten. Wer sich in der "Kommunikationsgesellschaft" behaupten will, ist auf Public Relations im wahrsten Sinne des Begriffes angewiesen. Wer Public Relations nicht nutzt, wird nicht nur immer häufiger mißverstanden werden, sondern auch nicht in der Lage sein, zu einer auch aus der Perspektive anderer Handlungsbereiche akzeptablen Lösung der eigenen Probleme zu gelangen. Nachbemerkung Die Relevanz der dargelegten Überlegungen verdeutlichen abschließend Ergebnisse einer ProjektStudie "Aus- und Fortbildung in der Kulturpädagogik, Kulturarbeit und Kulturellen Bildung": Alle Befragten schätzen die Wichtigkeit von Öffentlichkeitsarbeit für ihre Einrichtung/ihren Verband/ihr Programm sehr hoch ein.31 Eine eigene, bundesweite Befragung unter den Studierenden sechs kulturwissenschaftlicher Fachbereiche32 bestätigt, daß Öffentlichkeitsarbeit! Public Relations zu den bevorzugten Berufsfeldern gehört, welche von KulturwissenschaftlerInnen angestrebt werden: Von insgesamt 814 Studierenden entschieden sich im Januar 1993 auf die Frage "Wo siehst Du Dein Berufsfeld (eher)?" 48,3 % für den Bereich der Öffentlichkeitsarbeit, der damit an zweiter Stelle hinter dem "Kulturbereich" (65,4%) und noch dem "journalistischen Bereich" (36,7%) rangierte. Am stärksten war diese Orientierung in Richtung Öffentlichkeitsarbeit in Lüneburg (53,9%) ausgeprägt, am geringsten in Leipzig (37,0%). Der Orientierung der Befragten zum Medienbereich (Öffentlichkeitsarbeit: 48,3%; Journalismus: 36,7%; Verlagswesen: 19,9%) steht in den meisten Studiengängen derzeit allerdings kaum ein adäquates Lehr- oder Projektangebot gegenüber.

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Vgl.: Liebald, Christiane/Bernd Wagner: Aus- und Fortbildung in der Kulturpädagogik, Kulturarbeit und Kulturellen Bildung. In: dies.: Aus- und Fortbildung rür kulturelle Praxisfelder. Dokumentation zweier Forschungsprojekte der Kulturpolitischen Gesellschaft e.V. und des Deutschen Kulturrates. Hagen/Bonn 1993, S. 92f. 32 Die Befragung wurde im WS 92/93 durchgeführt. Der Anteil der Befragten an dem jeweiligen Studiengang liegt bei ca. 30% der kulturorientiert immatrikulierten Studierenden: Berlin (128), Bremen (108), Hildesheim (187), Leipzig (27), Ludwigsburg (20) und Lüneburg (344). Zum Thema Berufsperspektiven kulturorientiert Studierender vgl.: Winter, Carsten und Marcus-A. Schoene: "Von A wie Arbeitslos bis Z wie Zusatzqualifikation - Studentische Perspektiven auf Kulturwissenschaft". In: Binas, Ekkehard (Hg.): "...und wieder Kulturarbeit". Protokoll der Fachtagung vom 17. - 18. Januar. Potsdam 1994.

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