Neue Zeitschrift für

Arbeitsrecht Zweiwochenschrift für die betriebliche Praxis

NZA Sonderausgabe Arbeit 4.0 31. Januar 2018 In Zusammenarbeit mit der Neuen Juristischen Wochenschrift herausgegeben von: Prof. Dr. Jobst-Hubertus Bauer, Rechtsanwalt, Stuttgart – Dr. Susanne Clemenz, Rechtsanwältin, Gütersloh – Prof. Dr. Johannes Peter Francken, Präsident des LAG Baden-Württemberg a. D., Freiburg – Edith Gräfl, Vorsitzende Richterin am BAG, Erfurt – Prof. Dr. Matthias Jacobs, Bucerius Law School, Hamburg – Dr. Thomas Klebe, Leitung Hugo Sinzheimer Institut für Arbeitsrecht, Frankfurt a. M. – Prof. Dr. Eckhard Kreßel, Leiter Personal- und Arbeitspolitik der Daimler AG, Stuttgart – Prof. Dr. Mark Lembke, Rechtsanwalt, Frankfurt a. M. – Maria Britta Loskamp, Ministerialdirektorin, Leiterin der Abteilung Arbeitsrecht und Arbeitsschutz im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Berlin – Prof. Dr. Stefan Lunk, Rechtsanwalt, Hamburg – Prof. Dr. Dr. h. c. Ulrich Preis, Universität zu Köln – Prof. Dr. Reinhard Richardi, Universität Regensburg – Ingrid Schmidt, Präsidentin des BAG, Erfurt – Prof. Dr. Klaus Schmidt, Präsident des LAG Rheinland-Pfalz a. D., Heidelberg – Prof. Dr. Jens Schubert, Leiter der Abteilung Recht und Rechtspolitik in der Bundesverwaltung der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Berlin – Prof. Dr. Achim Schunder, Rechtsanwalt, Frankfurt a. M.

Schriftleitung: Prof. Dr. Achim Schunder, Dr. Jochen Wallisch und Martin Wildschütz Beethovenstr. 7b, 60325 Frankfurt a. M.

Editorial

Vorsprung durch Information – aktuell und umfassend Strukturierte Zusammenstellung der NZA-Aufsätze zu Arbeit 4.0 Liebe Leserinnen und Leser, Arbeit 4.0 ist in aller Munde. Es bezeichnet das Phänomen der Veränderung der Arbeits- und Produktionsprozesse durch Digitalisierung und Globalisierung. Es wird erst nach und nach zu Tage treten, welche grundlegenden Auswirkungen die digitalen Trends zur Veränderung des Arbeitsumfelds wie zB Blockchain, Drohnen, Internet der Dinge (etwa Smart Home), Künstliche Intelligenzen und Exo-Skelette, 3D-Druck, Virtuelle Realität (VR), Augumented Reality (AR) sowie der Umgang mit den digitalen Logiken haben werden. Die NZA begleitet solche elementaren Umwälzungen von Anfang an mit Beiträgen namhafter Autoren aus den verschiedensten Blickwinkeln von Wissenschaft und Praxis. Die Leserinnen und Leser der NZA erhalten dadurch Heft für Heft eine aktuelle und umfassende Handreichung für den rechtssicheren Umgang mit der digitalen und globalisierten Arbeitswelt. Diesen Informationsvorsprung geben wir Ihnen als neue Abonnenten mit dieser Sonderausgabe gerne weiter. Sie enthält zusammengestellt in einem Heft die bisher in der NZA erschienenen Aufsätze zum Thema Arbeit 4.0: Die Rubriken reichen vom Allgemeinen Überblick über Human Resources, Vergütung, Arbeitnehmerdatenschutz, Mitbestimmung im Betrieb und Unternehmen bis hin zum Kirchlichen Arbeitsrecht. Wir wünschen Ihnen für die tägliche Praxis eine gewinnbringende Lektüre und freuen uns, Sie hoffentlich als Dauerabonnenten begrüßen zu können, denn: Mit der NZA sind Sie immer einen Schritt voraus. Ihre NZA-Redaktion &

Dzida, Big Data und Arbeitsrecht

NZA · Sonderausgabe Arbeit 4.0

Quellen:

https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/ publikation/did/d21-digital-index-2015/

ftp. zew.de/pub/zew-docs/gutachten/Kurzexpertise_ BMAS_ZEW2015.pdf

https://de.slideshare.net/BirgitWintermann/digitalisierung-im-mittelstand

https://www.heise.de/newsticker/meldung/GabrielDeutschland-bei-Digitalisierung-wie-ein-Entwicklungsland-3639900.html

http://www.bbc.com/news/technology-27426942

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http://www.holacracy.org http://winfuture.de/news,89081.html

https://de.statista.com/infografik/1064/top-10-laendermit-dem-schnellsten-internetzugang/

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http://www.maxmarmer.com/blog/the-t-model/

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https://de.statista.com/infografik/2811/internetkenntnisse-in-europa/

https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/ Unternehmen-nutzen-haeufiger-Faxgeraete-alsSoziale-Netzwerke.html

https://de.statista.com/infografik/3346/nutzer-vonsozialen-medien-prozentanteil-innerhalb-der-jeweiligenbildungsgruppe/

https://3dprint.com/138664/huashang-tengda-3dprint-house/ http://www.digitaltrends.com/cool-tech/fastbrickrobotics-bricklayer-robot-hadrian-x

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Human Resources Rechtsanwalt Dr. Boris Dzida*

NZA 2017, 541: Big Data und Arbeitsrecht Big Data hält nun auch in den Personalabteilungen Einzug. Mit Hilfe von Datenanalysen versuchen Unternehmen ihre Personalentscheidungen zu optimieren. Datenanalysen sollen beispielsweise dabei helfen, die richtigen Bewerber einzustellen, die besten Arbeitnehmer zu befördern oder Maßnahmen der Mitarbeiterbindung gezielter einzusetzen. Im Vergleich zu herkömmlichen Datenanalysen besteht der gegenwärtig stattfindende Quantensprung darin, dass Big Data die Verknüpfung von Daten aus dem Personalbereich mit anderen Unternehmensdaten oder sonstigen Daten ermöglicht. Dies eröffnet die Chance aussagekräftigerer Ergebnisse der Datenanalyse. Aber Big Data birgt auch Risiken aus Sicht des Arbeitnehmerdatenschutzes und des Persönlichkeitsrechts der Arbeitnehmer. Damit stellt sich die Frage der rechtlichen Grenzen von Big-Data-Analysen im Personalbereich. I. Einleitung Die Diskussion über das „Arbeitsrecht 4.0“1 ist im vollen Gange, denn die Digitalisierung der Arbeitswelt2 schreitet voran. Die Industrie und die Dienstleistungsbranche sind hiervon gleichermaßen betroffen. Branchenunabhängig setzen sich in der Personalarbeit neue Formen der Datenanalyse durch. „People Analytics“3 lautet das Schlagwort, das auch im deutschen Sprachgebrauch verwendet wird. Gemeint ist eine Datenanalyse, die Personal-, Unternehmens- und sonstige Daten miteinander verknüpft und beispielsweise mit Vorhersagemodellen Personalentscheidungen unterstützen soll. Big Data4 macht es möglich. Einsatzmöglichkeiten solcher Datenanalysen sind in nahezu allen wichtigen Bereichen

der Personalarbeit denkbar: bei der Auswahl möglichst leistungsstarker Bewerber, bei der Prüfung, welche Schlüsselmitarbeiter sich gerade „auf dem Absprung“ befinden, bei der Frage, welche zur Beförderung anstehenden Arbeitnehmer das größte Potential haben, zur Vorbeugung von Compliance-Risiken durch Fehlverhalten von Arbeitnehmern, bei der Analyse der Unternehmenskultur oder bei der Auswahl von Führungskräften. Dabei geht es gegenwärtig vor allem darum, Personalentscheidungen durch Datenanalysen zu unterstützen, beispielsweise bei der Vorauswahl von Bewerbungen.5 Dagegen dürfte es derzeit noch Zukunftsmusik sein, dass Computer anstelle eines menschlichen Personalmitarbeiters oder Vorgesetzten Personalentscheidungen treffen oder Anweisungen geben, auch wenn dies in der Praxis teilweise bereits vorkommt.6 * 1 2

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Der Autor ist Partner bei Freshfields Bruckhaus Deringer in Hamburg. Dzida, NZA-Editorial Heft 17/2015. Günther/Böglmüller, NZA 2015, 1025; Däubler/Klebe, NZA 2015, 1032; Lingemann/Otte, NZA 2015, 1042; Kothe, NZA 2015, 1417; Steffan, NZA 2015, 1409; Jacobs, NZA 2016, 733; Groß/Gressel, NZA 2016, 990; Uffmann, NZA 2016, 977; Krause, NZA 2016, 1004; Wiebauer, NZA 2016, 1430; Annuß, NZA 2017, 345; Grimm, ArbRB 2015, 336; Dzida, ArbRB 2016, 19; ders., ArbRB 2016, 146; Schipp, ArbRB 2016, 177; Grimm/Heppner, ArbRB 2016, 180; Fröhlich, ArbRB 2017, 61; Wildhaber/Lohmann, AJP 2017, 135; Wildhaber, AJP 2017, 213; dies., ZSR 2016, 315. Teilweise auch „HR Analytics“ oder „Workforce Analytics“ genannt. Zu den datenschutzrechtlichen Herausforderungen bei Big Data Werkmeister/Brandt, CR 2016, 233. Wildhaber, ZSR 2016, 315 (337 ff.), zum Einsatz von entsprechenden Softwareprogrammen durch Internet-Stellenplattformen und durch Start-up Unternehmen. Dzida, FAZ v. 12.9.2015, S. 11.

10 NZA · Sonderausgabe Arbeit 4.0 Für Big-Data-Analysen im Personalbereich besteht ein vielfältiges Angebot an technischen Lösungen. Im folgenden Beitrag geht es nicht darum, die rechtliche Zulässigkeit des Einsatzes einzelner Software-Programme zu beurteilen. Vielmehr sollen anhand ausgewählter Beispiele einige Probleme illustriert werden, die das Arbeitsrecht, der Arbeitnehmerdatenschutz und der Schutz des Persönlichkeitsrechts aufwerfen können. II. „People Analytics“ im Bewerbungsverfahren Herkömmliche Auswahlkriterien, wie etwa die Noten eines Diploms oder eines Schulabschlusses, verlieren zunehmend an Bedeutung. Die Zeugnisse der bisherigen Arbeitgeber eines Arbeitnehmers haben kaum noch Aussagekraft. Erfahrung und Judiz der Personalverantwortlichen sind entscheidend für die Auswahl der richtigen Bewerber, jedoch können subjektive Erwägungen oder unbewusste Vorurteile zu Fehlentscheidungen führen. Big-Data-Analysen sollen dabei helfen, Bewerbungen nach anderen als den herkömmlichen Kriterien zu beurteilen. So können Unternehmen ihre erfolgreichsten Führungskräfte oder ihre besten Vertriebsmitarbeiter analysieren, um sodann Algorithmen zu entwickeln, mit denen Bewerbungen geprüft werden. Hat ein Unternehmen beispielsweise herausgefunden, dass seine innovativsten Softwareentwickler in ihrer Freizeit ganz bestimmten Hobbys nachgehen, dann können Bewerbungen für entsprechende Stellen hieraufhin durchgesehen werden. In Zeiten von Big Data sind der Anzahl möglicher Kriterien, mit denen Bewerbungen auf diese Weise analysiert werden, kaum Grenzen gesetzt.

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fließen nicht die Daten der Bewerber in den Algorithmus ein, sondern die der Schlüsselmitarbeiter. Eine Rechtfertigung nach § 32 I 2 BDSG scheidet ebenfalls aus, da es nicht um die Aufdeckung von Straftaten geht. Jedoch ist an eine Rechtfertigung nach § 28 BDSG zu denken. Nach zutreffender Ansicht wird § 28 I 1 Nr. 1 BDSG zwar von § 32 BDSG verdrängt, die übrigen Regelungen des § 28 BDSG bleiben jedoch neben § 32 BDSG anwendbar.10 Zu einer Rechtfertigung käme man, wenn man argumentierte, dass die Verarbeitung der Daten der Schlüsselmitarbeiter für die Erfüllung eigener Geschäftszwecke des Arbeitgebers erfolgt, zur Wahrung seiner berechtigten Interessen erforderlich ist und kein Grund zu der Annahme besteht, dass das schutzwürdige Interesse der Schlüsselmitarbeiter daran, dass ihre Daten nicht in den Algorithmus einfließen, überwiegt (§ 28 I 1 Nr. 2 BDSG). Die Erforderlichkeit zur „Wahrung berechtigter Interessen“ ist zu bejahen, weil der Arbeitgeber zu Recht nur die Bewerber einstellen will, bei denen die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Karriere im Unternehmen besonders hoch ist. Damit entscheidet sich die Rechtfertigung an der Frage, ob ein schutzwürdiges Interesse der Arbeitnehmer überwiegt, dass ihre Daten nicht verwendet werden. Hier wird man danach differenzieren müssen, wie sensibel die Daten sind,11 die in den Algorithmus einfließen sollen. So dürfte bei Daten, welche die Ausbildung und Qualifikation betreffen, kein überwiegendes Interesse des Arbeitnehmers bestehen, bei Daten hinsichtlich seines Gesundheitszustands dagegen schon. Zwischen diesen beiden Polen liegt eine große Grauzone.

1. Rechte der analysierten Arbeitnehmer Analysiert ein Unternehmen seine erfolgreichen Arbeitnehmer, um ihre Eigenschaften in einen Algorithmus zur Prüfung von Bewerbungen einfließen zu lassen, dann werden dabei in der Regel personenbezogene Daten verarbeitet: Details über Ausbildung, Beruf, Fähigkeiten, Leistung oder Arbeitsverhalten eines Arbeitnehmers sind Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse iSd § 3 I BDSG.7 Auch besondere Arten personenbezogener Daten gem. § 3 IX BDSG, beispielsweise die Gesundheit oder Gewerkschaftszugehörigkeit, können für eine Analyse interessant sein. Es stellt sich daher die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Daten von Arbeitnehmern, die als „Rollenmodell“ dienen sollen, verarbeitet werden dürfen. Zunächst ist der Fall zu betrachten, in dem ein Unternehmen lediglich einige wenige besonders erfolgreiche Arbeitnehmer auswählt, um ihre Daten für den Algorithmus zu verwenden, mit dem anschließend Bewerbungen analysiert werden. Dann kann die datenschutzrechtliche Prüfung nicht bereits mit dem Hinweis beendet werden, dass die Arbeitnehmerdaten anonymisiert sind und es sich damit mangels Bestimmbarkeit8 nicht mehr um „personenbezogene“ Daten handelt. Denn bei einem kleinen Kreis von Schlüsselmitarbeitern wird es häufig ohne unverhältnismäßigen Aufwand9 möglich sein, Rückschlüsse von bestimmten Daten auf einen konkreten Mitarbeiter zu ziehen. Auch eine Rechtfertigung nach § 32 I 1 BDSG kommt nicht in Betracht: Wenn Daten von Schlüsselmitarbeitern für den Algorithmus erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, ist dies für die „Durchführung“ der Arbeitsverhältnisse dieser Mitarbeiter nicht erforderlich. Ob es für die „Begründung des Beschäftigungsverhältnisses“ mit den Bewerbern iSd § 32 I 1 BDSG erforderlich ist, kann dahinstehen, denn es

Deshalb ist zu erwägen, eine Einwilligung der betroffenen Mitarbeiter einzuholen, ihre Daten für den Algorithmus verwenden zu dürfen. Nach zutreffender Ansicht stellt eine Einwilligung nach § 4 a I BDSG auch im Arbeitsverhältnis einen wirksamen Rechtfertigungstatbestand dar.12 So hat auch das BAG im Jahr 2014 klargestellt: „Von einer generellen Unwirksamkeit der Einwilligung von Arbeitnehmern, weil diese im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses nicht ‚frei entscheiden‘ könnten, ist nicht auszugehen“13. Dies wird erst Recht nach Inkrafttreten der neuen DSGVO gelten, wie auch Erwägungsgrund 155 der DSGVO klarstellt.14 Folgerichtig ist es auch nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zu § 26 II BDSG-E grundsätzlich möglich, dass 7 8 9 10 11 12

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HWK/Lembke, ArbR-Komm., 7. Aufl. 2016, Vorb. BDSG Rn. 13; Gola/Pötters/Wronka, HdB Arbeitnehmerdatenschutz, 7. Aufl. 2016, Rn. 186. Gola/Schomerus, BDSG, 12. Aufl. 2015, § 3 Rn. 10. Simitis/Dammann, BDSG, 8. Aufl. 2014, § 3 Rn. 25. Gola/Schomerus, BDSG, § 32 Rn. 2; Thüsing, NZA 2009, 865 (869); aA ErfK/Franzen, 17. Aufl. 2017, § 32 BDSG Rn. 3. Vgl. Taeger in Taeger/Gabel, BDSG, 2. Aufl. 2013, § 28 Rn. 63. Thüsing/Traut in Thüsing, Beschäftigtendatenschutz und Compliance, 2. Aufl. 2014, § 5 Rn. 11; HWK/Lembke, ArbR-Komm., Vorb. BDSG Rn. 60; Gola/Schomerus, BDSG, § 4 a Rn. 22 a f.; Riesenhuber, RdA 2011, 257 (261); Wybitul/Böhm, BB 2015, 2101 (2104); aA Spindler/ Nick in Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl. 2015, § 4 a BDSG, Rn. 7; diff. DKWW/Däubler, BDSG, 4. Aufl. 2013, § 4 a Rn. 23; ders., Gläserne Belegschaften, 6. Aufl. 2015, Rn. 152 ff. u. 161 ff. BAG, NZA 2015, 604. VO (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.4.2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der RL 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung [DSGVO]), ABl. 2016 L 119, 1 ff. v. 4.5.2016.

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personenbezogene Daten im Beschäftigungskontext auf der Grundlage einer Einwilligung der Beschäftigten verarbeitet werden dürfen.15 Allerdings kann ein Arbeitnehmer seine Einwilligung jederzeit unter Beachtung des Grundsatzes von Treu und Glauben widerrufen.16 Deshalb ist auch die Einwilligung kein perfektes Mittel, um einen „People Analytics“-Algorithmus auf eine rechtssichere Grundlage zu stellen.17 Denn der Arbeitgeber muss mit dem Restrisiko leben, dass er seinen Algorithmus ändern muss, wenn ein Arbeitnehmer von seinem Widerrufsrecht wirksam Gebrauch macht. Schließlich ist zu erwägen, die Daten von so vielen Arbeitnehmern für den Algorithmus zu verwenden, dass es nicht mehr oder nur noch mit unverhältnismäßigem Aufwand18 möglich ist, Rückschlüsse von einem bestimmten Datum auf einen konkreten Mitarbeiter zu ziehen. Denn dann werden keine personenbezogenen Daten mehr verarbeitet, sondern anonymisierte Daten.

2. Rechte der analysierten Bewerber a) Analyse von Bewerbungen im Hinblick auf Eignung, Erfahrung und Qualifikation. Des Weiteren sind die Rechte der Bewerber zu beachten, deren Bewerbungen mit Hilfe des Algorithmus analysiert werden. Nach § 32 I 1 BDSG dürfen personenbezogene Daten eines Bewerbers erhoben, verarbeitet und genutzt werden, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses erforderlich ist. Werden Daten eines Bewerbers, die sich aus seinen Bewerbungsunterlagen oder aus einem Bewerbungsgespräch ergeben, dahingehend analysiert, ob sie mit Merkmalen besonders erfolgreicher Schlüsselmitarbeiter des Arbeitgebers übereinstimmen, so muss diese Datenverarbeitung also „erforderlich“ sein. Dies ist der Fall, weil der Arbeitgeber seine Einstellungsentscheidung hiermit an einem weiteren Kriterium ausrichten kann, das objektiv ist und beispielsweise nicht durch unbewusste Vorurteile beeinträchtigt wird. Wird das Ergebnis der Datenanalyse als eines von mehreren Entscheidungskriterien verwendet, rundet es das Bild über den Bewerber ab und erhöht die Chance einer „richtigen“ Auswahlentscheidung. Dies ist mit Blick auf den betroffenen Bewerber datenschutzrechtlich zulässig, solange mit einer Big-Data-Analyse seine Eignung, Erfahrung und Qualifikation durchleuchtet wird. Wie sogleich noch näher ausgeführt wird, kann dies anders sein, wenn die Big-Data-Analyse das „Wesen“ und die Persönlichkeit des Bewerbers analysieren möchte. Rechtlich zulässig ist die Datenanalyse allerdings nur, wenn der Algorithmus, mit welchem die Bewerberdaten analysiert werden, keine diskriminierenden Elemente enthält. Sollte die Datenanalyse beispielsweise Bewerbungen „aussortieren“, weil der Algorithmus eine Schwerbehinderung des Bewerbers erkennt und negativ bewertet, wäre dies unzulässig. Ein Arbeitgeber, der eine negative Auswahl aufgrund einer solchen Big-Data-Analyse vornimmt, kann sich nach dem AGG schadensersatzpflichtig19 machen. Ebenfalls unzulässig ist es, wenn bei der automatischen Datenanalyse Bewerbungen nach Kriterien „aussortiert“ werden, die nicht vom Fragerecht des Arbeitgebers im Bewerbungsverfahren erfasst sind. Die Big-Data-Analyse darf Bewerbungen also beispielsweise nicht dahingehend analysie-

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ren, ob es Anhaltspunkte dafür gibt, dass eine Bewerberin schwanger ist20 oder dass ein Bewerber einer Gewerkschaft21 oder einer politischen Partei22 angehört. Wie einleitend erwähnt, ermöglicht Big Data die Verknüpfung von Daten aus dem Personalbereich mit sonstigen Daten. Wegen des eingeschränkten Fragerechts des Arbeitgebers im Bewerbungsverfahren wäre es somit beispielsweise unzulässig, eine Big-Data-Analyse dahingehend vorzunehmen, ob eine Bewerberin sich aktuell in sozialen Netzwerken äußert, in denen es um Schwangerschaftsthemen geht. b) Persönlichkeitsanalyse. Arbeitgeber können Bewerber auch in anderer Hinsicht einer Analyse unterziehen. So werden Programme angeboten, die Texte analysieren und hieraus mit Vorhersagemodellen Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Verfassers ziehen wollen. Da heute zahllose Diplom-, Master- oder sonstige Abschlussarbeiten online verfügbar sind und immer mehr Dissertationen auch im Internet veröffentlicht werden, wird „im Netz“ oftmals genügend Material vorhanden sein, um Texte eines Bewerbers einer Datenanalyse zu unterziehen und sodann Rückschlüsse auf seine Persönlichkeit vorzunehmen. Ein ähnliches Rechtsproblem wurde diskutiert, lange bevor das Internet erfunden war: Die Einholung graphologischer Gutachten, mit denen beispielsweise der handgeschriebene Lebenslauf eines Bewerbers analysiert wird.23 Nach der Rechtsprechung des BAG ist die ausdrückliche Zustimmung des Bewerbers erforderlich, bevor sein handgeschriebener Lebenslauf graphologisch begutachtet werden darf. Grund hierfür ist die damit verbundene Gefährdung des durch Art. 1 I und Art. 2 I GG geschützten Persönlichkeitsrechts: „Es gehört zum Selbstbestimmungsrecht des Menschen, selbst frei darüber entscheiden zu können, ob und inwieweit er dem Ausleuchten seiner Persönlichkeit mit Mitteln, die über jedermann zur Verfügung stehende Erkenntnismöglichkeiten hinausgehen, gestatten will“24. Diese Erwägung dürfte auf Big-Data-Analysen, mit denen das „Wesen“ und die Persönlichkeit eines Bewerbers durchleuchtet werden soll, übertragbar sein. Wenn sich kein Bewerber ohne seine Zustimmung einer Persönlichkeitsanalyse durch Graphologen unterziehen lassen muss, liegt es nahe, dass das gleiche für eine Persönlichkeitsanalyse durch Computerprogramme gilt. Bei der Diskussion über graphologische Gutachten wurde zutreffend darauf hingewiesen, dass allein in der Einsendung eines handgeschriebenen Lebenslaufes keine stillschweigende Einwilligung in die Einholung eines solchen Gutachtens zu sehen ist.25 An15 GE der BReg.– Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Datenschutzrechts an die VO (EU) 2016/679 und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680, Begründung, S. 34. 16 HWK/Lembke, ArbR-Komm., Vorb. BDSG Rn. 58. 17 Vgl. Bissels/Meyer-Michaelis/Schiller, DB 2016, 3042 (3045). 18 Simitis/Dammann, BDSG, § 3 Rn. 25. 19 Vgl. HWK/Rupp, ArbR-Komm., § 15 AGG Rn. 1; Stoffels, RdA 2009, 204. 20 Übersicht zur Zulässigkeit von Fragen im Bewerbungsverfahren bei Wisskirchen/Bissels in Tschöpe (Hrsg.), ArbR-HdB, 9. Aufl. 2015, Teil 1 C Rn. 117. 21 Küttner/Kreitner, Personalbuch 2016, 23. Aufl. 2016, Auskunftspflichten Arbeitnehmer Rn. 18. 22 Es sei denn es handelt sich um die Bewerbung für eine Tätigkeit in einer politischen Partei, vgl. Schaub/Linck, ArbR-HdB, 16. Aufl. 2015, § 26 Rn. 29. 23 Schaub/Linck, ArbR-HdB, § 26 Rn 12. 24 BAG, NJW 1984, 446. 25 Bepler, NJW 1976, 1872; Michel/Wiese, NZA 1986, 505; Brox, Anm. zu BAG, AP BGB § 123 Nr. 24.

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Freyler, Lohnrechtliche Fragen betrieblicher Nutzung von Mobile Devices

Vergütung Ass. iur. Carmen Freyler*

NZA 2017, 1296: Vergütung 4.0 – Lohnrechtliche Fragen der betrieblichen Nutzung von Mobile Devices Nutzen Arbeitnehmer außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit mobile Kommunikationsgeräte zu beruflichen Zwecken, treten neben arbeitszeit-, arbeitssicherheits-, datenschutzund datensicherheitsrechtlichen auch vergütungsrechtliche Fragestellungen auf. Während beispielsweise die arbeitszeitrechtliche Einordung in Wissenschaft und Praxis viel diskutiert wird (siehe etwa zuletzt Wank, RdA 2014, 285; Jacobs, NZA 2016, 733), bleibt die Frage, ob die Erreichbarkeit und das Tätigkeitwerden der Mitarbeiter mittels Mobile Devices eine Vergütungspflicht des Arbeitgebers auslösen, bislang unbeantwortet. Aufgrund der fortschreitenden Verbreitung von Smartphone, Laptop und Co. im betrieblichen Alltag ist gerade die lohnrechtliche Bedeutung der erweiterten Erreichbarkeit aber nicht zu vernachlässigen. Es ist etwa zu klären, ob ein Vergütungsanspruch entsteht, wenn der Arbeitnehmer freiwillig in seiner Freizeit E-Mails abruft, oder wie es sich auf den Arbeitslohn auswirkt, wenn der Arbeitsbeginn am folgenden Werktag wegen der Unterbrechung der Ruhezeit durch Entgegennahme eines Anrufs verschoben wird. Auch ist zu untersuchen, ob Nacht-, Sonnoder Feiertagszuschläge zu zahlen sind, wenn ein Arbeitnehmer spätabends oder am Wochenende E-Mails beantwortet. I. Bestehen eines Vergütungsanspruchs 1. Grundsätze der Entlohnung Der Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers aus § 611 a II BGB in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag entsteht mit der Erbringung von Arbeitsleistungen. Vergütung und Dienstbzw. Arbeitsleistung iSd §§ 611 I, 611 a BGB stehen im Synallagma.1 Für die Frage, ob die Erreichbarkeit über das Mobiltelefon und das Tätigwerden mit Mobile Devices einen Lohnanspruch auslösen, ist daher entscheidend, ob der Arbeitnehmer damit eine arbeitsvertraglich versprochene Arbeitsleistung erbringt. Grundsätzlich richtet sich der Anspruch auf Vergütung nach dem Arbeitsvertrag. Findet sich dort keine Vereinbarung, greift § 612 BGB als Auffangregel ein. Dabei kommt die Vorschrift auch dann zur Anwendung, wenn eine Vergütungsabrede getroffen wurde, der Arbeitnehmer darüber hinaus aber weitere Leistungen erbringt, hinsichtlich derer nicht feststeht, ob sie von der vereinbarten Vergütung umfasst sind.2 Nach § 612 I BGB ist maßgeblich, ob eine objektive Vergütungserwartung besteht.3 Enthält der Arbeitsvertrag keine vergütungsrechtliche Regelung zum Umgang mit mobilen Kommunikationsgeräten, ist daher zu prüfen, ob beispielsweise das Abrufen von E-Mails eine Dienstleistung darstellt und ob der Arbeitnehmer berechtigterweise davon ausgehen kann, hierfür Lohn zu erhalten. Auf die arbeitszeitrechtliche Einordnung kommt es dabei nicht an.4 Der vergütungsrechtliche Arbeitszeitbegriff steht losgelöst vom arbeitszeitrechtlichen sowie vom betriebsverfassungsrechtlichen Begriff. Während für die Klassifizierung als Arbeitszeit im Sinne des öffentlich-rechtlichen Arbeits-

zeitgesetzes der Gesundheitsschutz des Arbeitnehmers maßgeblich ist,5 hängt die vergütungsrechtliche Einordnung von anderen Aspekten ab. Daher können beispielsweise Zeiten von Bereitschaft geringer vergütet werden, obwohl sie – wie im Fall von Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst – arbeitszeitrechtlich uneingeschränkt als Arbeitszeit gelten.6 2. Vorliegen einer Dienstleistung im Sinne des § 612 I BGB Um eine Dienst- bzw. Arbeitsleistung handelt es sich bei „(…) jede(r) Tätigkeit, die der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient.“7 Entscheidend ist daher, ob der Arbeitnehmer nicht vorwiegend eigen-, sondern fremdnützig agiert.8 Ruft der Arbeitnehmer ohne entsprechende Weisung des Arbeitgebers in seiner Freizeit betriebliche E-Mails ab, liegt der Schluss nahe, dass er dies aus eigenem Interesse tut.9 Auch profitiert er von der örtlich und zeitlich flexiblen Arbeit durch eine Vereinfachung der Gestaltung seines Privatlebens neben dem Beruf. Für die Fremdnützigkeit spricht jedoch, dass der Arbeitnehmer Hard- und Software des Arbeitgebers benutzt und die beantworteten E-Mails oder Telefonate unabhängig von der Tageszeit und des Aufenthaltsortes berufliche Angelegenheiten betreffen. Eine ergebnisorientierte Betrachtung führt daher dazu, dass gegebenenfalls zwar die Wahl von Ort und Zeit im Interesse des Arbeitnehmers liegen, das Resultat daraus aber die Bedürfnisse des Arbeitgebers befriedigt. Dasselbe gilt für die Erreichbarkeit über Mobiltelefon oder Smartphone. Die Schaffung und Aufrechterhaltung des Zustands der Erreichbarkeit ist als Arbeitsleistung iSd § 612 I BGB anzusehen. Abweichend davon zu beurteilen sind indes mobile Tätigkeiten (E-Mails, SMS oder Anrufe), die lediglich dazu dienen, den privaten Kontakt zu Arbeitskollegen zu pflegen und daher nicht vorwiegend für den Arbeitgeber von Nutzen sind. 3. Objektive Vergütungserwartung Zu klären bleibt, ob mobile Arbeitsleistungen objektiv nur gegen eine Vergütung zu erwarten sind und ob diese bereits mit der Vergütung für die Hauptleistung abgegolten werden. *

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Die Autorin ist Doktorandin bei Frau Professorin Dr. Martina Benecke, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels-, Arbeits- und Wirtschaftsrecht, Universität Augsburg und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungsinstitut für Automobilrecht in Ingolstadt. ErfK/Preis, 17. Aufl. 2017, § 611 BGB Rn. 389. BAGE 96, 45 (48) = NZA 2001, 458 (459); BAG, NZA 2003, 1168. BAGE 96, 45 (52) = NZA 2001, 458 (460). BAGE 96, 45 (48 f.) = NZA 2001, 458 (459); EuGH, ECLI:EU: C:2005:728 = NZA 2005, 89 (90) – Dellas u. a. Baeck/Deutsch, ArbZG, 3. Aufl. 2014, § 2 Rn. 29. BAGE 109, 254 (260 f.) = NZA 2004, 656 (657); ErfK/Wank, ArbZG, § 2 Rn. 14. Hueck/Nipperdey, Lehrbuch ArbR I, 7. Aufl. 1963, § 9 III 1 Fn. 6; BAGE 11, 23 (26) = DB 1961, 778; BAG, NZA 2002, 1163. BAGE 96, 45 (51 f.) = NZA 2001, 458 (460). So Neumann/Biebl, ArbZG, 16. Aufl. 2012, § 7 Rn. 13 a.

Freyler, Lohnrechtliche Fragen betrieblicher Nutzung von Mobile Devices

Für eine objektive Vergütungserwartung sind insbesondere Art, Umfang und Dauer der Tätigkeit entscheidend.10 Die Art der Tätigkeit spricht bei mobilen Arbeitsleistungen regelmäßig gegen eine berechtigte Vergütungserwartung. Mobile Arbeitsleistungen können zeitlich und örtlich flexibel erbracht werden und erfordern daher häufig keinen nennenswerten Aufwand. Insbesondere muss nicht erst der Arbeitsplatz im Betrieb aufgesucht werden. Die Tätigkeiten können vielmehr am aktuellen Standort und ohne zusätzliches Equipment erbracht werden. Dasselbe gilt hinsichtlich der Erreichbarkeit über mobile Kommunikationsgeräte, für die lediglich ein empfangsbereites Smartphone mitgeführt werden muss. Daher ist auf den Umfang und die Dauer der mobilen Tätigkeit abzustellen. Kurze Telefonate, E-Mails mit geringem Umfang und andere zeitlich geringfügige Arbeitsleistungen lösen objektiv betrachtet keine Vergütungserwartung aus. Dabei kommt es weniger auf die persönliche Einschätzung der Arbeitsvertragsparteien als auf die Verkehrssitte an.11 In der Regel wird bei Tätigkeiten, die eine Dauer von zehn Minuten nicht überschreiten,12 nicht von einer Vergütungspflicht auszugehen sein, da es sich um eine vergleichsweise geringe, im Verhältnis zum Umfang der insgesamt geschuldeten Arbeitsleistung nicht nennenswerte Zeitspanne handelt, welche der Arbeitnehmer einstweilen zur Befriedigung fremder Bedürfnisse aufwendet. Hingegen kann der Arbeitnehmer bei mobilen Tätigkeiten, deren Erledigung einen größeren Zeitaufwand erfordert, berechtigterweise davon ausgehen, eine Vergütung zu erhalten. In diesem Fall stellt sich die Frage, ob die Arbeitsleistung bereits von der vertraglich vereinbarten Vergütung für die Hauptleistung erfasst ist oder einen zusätzlichen Vergütungsanspruch begründet. Hierbei ist danach zu differenzieren, ob mit der mobilen Tätigkeit Teile der geschuldeten Leistung erbracht werden (sich der Arbeitnehmer bspw. Aufgaben mit nach Hause nimmt, um dort zeitlich flexibel zu arbeiten) oder es sich um (quantitative) Mehrarbeit handelt. Nur im letzten Fall kommt ein Anspruch auf zusätzliche Vergütung in Frage. Allerdings existiert kein allgemeiner Grundsatz, dass über die geschuldete Tätigkeit hinausgehende Leistungen stets zu vergüten sind.13 Es ist daher zu prüfen, ob die Mehrarbeit individual- oder kollektivvertraglich abgegolten ist. Auch besteht kein weiterer Vergütungsanspruch bei einer ohnehin überdurchschnittlichen Bezahlung des Arbeitnehmers oder wenn dieser Dienste höherer Art schuldet, was insbesondere bei leitenden Angestellten relevant wird.14 Daneben muss die erweiterte Erreichbarkeit mittels mobiler Kommunikationsgeräte nur dann vergütet werden, wenn der Arbeitnehmer für einen konkreten Zeitraum sicherstellen muss, erreichbar zu sein. Die Vergütung kann sich in diesem Fall hinsichtlich der Höhe an der für die Rufbereitschaft üblichen Vergütung orientieren,15 § 612 II BGB, bzw. unter dieser liegen, da der Arbeitnehmer bei Abruf seiner Arbeitsleistung seinen Arbeitsplatz nicht aufsuchen muss, wenn er die erforderliche Tätigkeit mit dem Smartphone oder Laptop an seinem aktuellen Aufenthaltsort erledigen kann. Dabei kann sich eine Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Erreichbarkeit während eines bestimmten Zeitraums aus einer ausdrücklichen arbeitsvertraglichen Vereinbarung, der Einteilung in einen „Bereitschaftsplan“,16 entsprechenden Weisungen oder konkludent aus einer Terminierung (zB bei möglicher Hinzuziehung des Arbeitnehmers zu einer Telefonkonferenz) ergeben. Darüber hinaus ist fraglich, ob und in welchem Umfang eine Pflicht zur Erreichbarkeit bereits durch die Aushändigung mobiler Kommunikationsgeräte

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begründet wird.17 Hierbei wird es auf die jeweiligen (Begleit-)Umstände des Einzelfalls ankommen. Für die Frage der Vergütung kann dies allerdings offengelassen werden, da ohne weitere Vereinbarung jedenfalls der Bezug zu einem konkreten Zeitraum, auf welchen sich die vergütungsauslösende Pflicht zur Sicherstellung der Erreichbarkeit bezieht, fehlt. Ist der Arbeitnehmer lediglich faktisch erreichbar, ohne dass er die Erreichbarkeit sicherstellen muss, besteht keine objektive Vergütungserwartung. II. Vergütungsrechtliche Folgen der Unterbrechung der Ruhezeit 1. Arbeitsausfall Befindet sich der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der mobilen Tätigkeit bereits in der zwingend einzuhaltenden Ruhezeit nach § 5 I ArbZG, wird diese durch die Arbeitsleistung unterbrochen, was zu einem Neubeginn der elfstündigen Ruhezeit führt.18 Hierdurch können auch vergütungsrechtliche Folgen ausgelöst werden. Der Arbeitnehmer kann unter Umständen am nächsten Tag nicht wie üblich die Arbeit beginnen, da er das Ende der Ruhezeit abwarten muss. Das wiederum kann zu einem Ausfall von Arbeitszeit führen, wenn der Arbeitnehmer beispielsweise feste Schichten einzuhalten hat und die tägliche Arbeitszeit nicht beliebig legen oder verschieben kann. 2. Lohnanspruch trotz Arbeitsausfall? a) Meinungsstand in der Literatur. Strittig ist, ob ein Lohnanspruch für die dadurch entfallende Arbeitszeit besteht. Nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht kann der Arbeitnehmer Bezahlung verlangen, da der Arbeitsschutz andernfalls hinsichtlich des Lohns zulasten des Arbeitnehmers geht.19 Zudem trage der Arbeitgeber nach der Betriebsrisikolehre das Lohnzahlungsrisiko für ausfallende Arbeit, da der Arbeitnehmer während seiner Ruhezeit für den Arbeitgeber tätig werde.20 Allein die arbeitgeberseitige Inanspruchnahme des Arbeitnehmers sei der Grund für den Arbeitsausfall, nicht die einzuhaltende Ruhezeit, weshalb der Arbeitgeber den Ausfall verschulde.21 Nach anderer Ansicht besteht hingegen kein Anspruch auf Vergütung für die ausgefallene Arbeitszeit,22 wenn der Ar10 BAG, DB 1960, 644; BAGE 96, 45 (52) = NZA 2001, 458 (460); BAGE 139, 181 (188) = NZA 2012, 145 (148) Rn. 31. 11 BAGE 96, 45 (52) = NZA 2001, 458 (460). 12 Vgl. zur arbeitszeitrechtlichen Behandlung geringfügiger Tätigkeiten von max. 10–15 Minuten Wirtz, BB 2014, 1397 (1401); iE sehr str. s. etwa Falder, NZA 2010, 1150 (1152). 13 ErfK/Preis, BGB, § 612 Rn. 18; MüKoBGB/Müller-Glöge, 7. Aufl. 2016, § 612 Rn. 21; BAGE 139, 44 = NZA 2011, 1335. 14 BAGE 19, 126 = NJW 1967, 413; BAGE 38, 194 = NJW 1982, 2139; BAG, NZA 2012, 861. 15 So auf Grundlage eines Tarifvertrags die Funktelefonentscheidung BAGE 95, 210 = NZA 2001, 165. 16 BAGE 95, 210 = NZA 2001, 165. 17 S. hierzu HK-ArbR/Holthaus, 3. Aufl. 2013, § 7 BUrlG Rn. 8. 18 Neumann/Biebl, ArbZG, § 5 Rn. 4; Anzinger/Koberski, ArbZG, 4. Aufl. 2013, § 5 Rn. 12; Baeck/Deutsch, ArbZG, § 5 Rn. 13; str. im Hinblick auf kurzzeitige Unterbrechungen Bissels/Domke/Wisskirchen, DB 2010, 2052 (2054); v. Steinau-Steinrück, NJW-Spezial 2012, 178 (179); Jacobs, NZA 2016, 733 (736 f.); aA Falder, NZA 2010, 1150 (1152 f.); Kohte, NZA 2015, 1417 (1423); Krause, NZA 2016, 1004 (1005); Buschmann/Ulber, ArbZG, 8. Aufl. 2015, § 5 Rn. 8, § 2 Rn. 23. 19 HK-ArbZG/Linnenkohl, 2. Aufl. 2004, § 5 Rn. 7; Buschmann/Ulber, ArbZG, § 5 Rn. 8; HK-ArbR/Ernst, § 5 ArbZG Rn. 8. 20 Linnenkohl, BB 1982, 2053 (2054); zust. Gitter, ZfA 1983, 375 (386) Fn. 51. 21 Buschmann/Ulber, ArbZG, § 5 Rn. 8. 22 Anzinger/Koberski, ArbZG, § 5 Rn. 80; Neumann/Biebl, ArbZG, § 5 Rn. 4; AR/Krauss, 8.Aufl. 2016, § 5 ArbZG Rn. 1.