NEWSLETTER ARBEITSRECHT

DÜSSELDORF MÜNCHEN TOKIO

AUSGABE JANUAR 2018

AKTUELLES AUS GESETZGEBUNG UND RECHTSPRECHUNG

Um das Ziel des Gesundheitsschutzes zu gewährleisten, gelten die Schutzfristen des alten MuSchG von 6 Wochen vor und 8 Wochen nach der Entbindung auch nach der Reform weiter. Allerdings gilt die verlängerte Schutzfrist von 12 Wochen bei Früh- und Mehrlingsgeburten nach neuem Recht nun auch für die Geburt eines behinderten Kindes.

I. GESETZESÄNDERUNG: MEHR SCHUTZ FÜR MÜTTER DURCH DAS NEUE MUTTERSCHUTZGESETZ Am 1. Januar 2018 ist das „Gesetz zur Neuregelung des Mutterschutzes“ mit seinen wesentlichen Neuerungen in Kraft getreten. Die verlängerten Schutzfristen nach der Geburt eines behinderten Kindes bzw. einer Fehlgeburt gelten schon seit dem 30. Mai 2017. In Zukunft werden mehr Frauen durch das Mutterschutzgesetz (MuSchG) geschützt. Gleichzeitig steigt das Schutzniveau. Zudem sollen die neuen Regelungen Frauen bessere Rahmenbedingungen ermöglichen, um ihrem Beruf während der Schwangerschaft und der Stillzeit weiter nachzugehen.

Damit ein Beschäftigungsverbot nicht mehr gegen den Willen der Mutter ausgesprochen werden kann, ist dessen Ausspruch nach neuem Recht erst möglich, wenn einer unabwendbaren Gefährdung nicht durch Anpassung der Arbeitsbedingungen oder Umsetzung der Mutter auf einen geeigneten Arbeitsplatz begegnet werden kann. Zur Interpretation des neu eingefügten Begriffs der unabwendbaren Gefährdung wird beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ein Mutterschutzausschuss gebildet, der insbesondere Leitlinien zur Auslegung des Begriffs erarbeiten soll.

Eine wesentliche Neuerung betrifft die Ausweitung des persönlichen Anwendungsbereichs. Waren nach altem Recht nur Arbeitnehmerinnen und Heimarbeitnehmerinnen geschützt, so knüpft § 1 Abs. 2 S. 1 MuSchG n.F. an den weiten Begriff des Beschäftigungsverhältnisses aus § 7 SGB IV an. So sind in Zukunft auch sozialversicherungspflichtige Fremdgeschäftsführerinnen vom Regelungsbereich des MuSchG erfasst. Zudem findet das MuSchG zukünftig – unabhängig vom Bestand eines Beschäftigungsverhältnisses – auch auf arbeitnehmerähnliche Personen Anwendung, die somit ebenfalls vom Sonderkündigungsschutz und etwaig einschlägigen Beschäftigungsverboten erfasst sind, allerdings gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 7 MuSchG keine Vergütung für den Zeitraum ihrer Nichtbeschäftigung erhalten. Insgesamt findet das neue Mutterschutzgesetz zukünftig auf die folgenden Personengruppen Anwendung:

Auch nach der Novellierung des MuSchG ist eine Kündigung während der Schwangerschaft bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Geburt unwirksam, sofern nicht die zuständige Aufsichtsbehörde die Kündigung ausnahmsweise für zulässig erklärt. Neu ist indes ein Kündigungsverbot für Frauen, die nach der 12. Schwangerschaftswoche eine Fehlgeburt erlitten haben, bis zum Ablauf von vier Monaten nach der erlittenen Fehlgeburt. Praxisrelevant dürfte vor allem die Neuerung sein, dass das mutterschutzrechtliche Kündigungsverbot „entsprechend für Vorbereitungsmaßnahmen des Arbeitgebers“ gilt. Die Neuregelung kann vor allem bei ordentlichen Kündigungen zu einer faktischen Verlängerung des Sonderkündigungsschutzes führen. Der Arbeitgeber wird eine (wirksame) Kündigung direkt im Anschluss an das Auslaufen der Schutzfrist nicht mehr aussprechen können, da er erst zu diesem Zeitpunkt mit den vorbereitenden Maßnahmen der Kündigung, etwa der Anhörung des Betriebsrats, der Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung oder einer erforderlichen Zustimmung des Integrationsamts beginnen kann.

• Auszubildende und Praktikantinnen, • Frauen mit einer Behinderung, die in einer Behindertenwerkstatt tätig sind, • Entwicklungshelferinnen, • Frauen, die einen Freiwilligendienst ableisten, • Frauen, die als Mitglieder einer geistlichen Genossenschaft, Diakonissen oder als Angehörige einer ähnlichen Gemeinschaft tätig sind, • Frauen in arbeitnehmerähnlicher Stellung • Frauen, die in Heimarbeit beschäftigt sind • Schülerinnen und Studentinnen, sofern die Ausbildungsstelle Ort, Zeit und Ablauf der Ausbildungsveranstaltung verpflichtend vorgibt

Weitgehend unverändert bleiben die Regelungen über die Mehrund Nachtarbeit, wonach eine Beschäftigung zwischen 20:00 und 06:00 Uhr verboten ist. Um die Flexibilität und Selbstbestimmung zu erhöhen, erlaubt das neue Gesetzt aber unter bestimmten Voraussetzungen eine Beschäftigung bis 22:00 Uhr. Sonn- und Feiertagsarbeit kann zukünftig geleistet werden, wenn die Mutter ausdrücklich einwilligt, die Voraussetzungen von § 10 ArbZG erfüllt sind und ein Ersatzruhetag gewährt wird. 1

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FAZIT: Durch die Neuregelung werden erhöhte Anforderungen an Arbeitgeber gestellt. So müssen etwa neu in den geschützten Personenkreis aufgenommene Mitarbeiterinnen in die Prozessabläufe aufgenommen werden (u.a. Meldung an die Arbeitsschutzbehörde und Beachtung der Schutzfristen) und möglicherweise bestehende Gefährdungsbeurteilungen nachgeholt und neu dokumentiert werden. Zudem müssen die innerbetrieblichen Regelungen zu Beschäftigungsverboten überprüft und ggf. angepasst werden. Nur auf diese Weise kann die ab dem 1. Januar 2019 grundsätzlich mögliche Bußgeldbewährung von bis zu EUR 30.000 vermieden werden (vgl. § 32 Abs. 1 Nr. 6 MuSchG n.F.). Kündigungen vorbereitende Maßnahmen sollten in den geltenden Schutzfristen vermieden werden.

vorzugswürdig ist. Ein rechtliches Vorgehen durch den Arbeitgeber wird immer mit großer Aufmerksamkeit des gewählten Betriebsrates, der Belegschaft, ggf. einer Gewerkschaft oder sogar der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Eine Intervention des Arbeitgebers in einen Prozess, dessen Durchführung allein in der Verantwortung der Arbeitnehmerseite liegt, wird regelmäßig als ein schwerwiegender Eingriff betrachtet werden, der das Verhältnis der Betriebspartner und der Belegschaft zum Arbeitgeber langfristig prägen kann. Insbesondere ein gerichtliches Vorgehen im Vorfeld oder während des Wahlverfahrens wird häufig ein noch offensiverer Charakter beigemessen, der in eine starke Konfrontation und auch Emotionalisierung des Diskurses münden kann. Die hierdurch entstehende Drucksituation kann insbesondere von denjenigen Akteuren in der Belegschaft genutzt werden, die eine konfrontative und ggf. ideologisch geprägte Haltung gegenüber dem Arbeitgeber einnehmen. Pragmatisch orientierte Mitarbeiter, die eine Kandidatur erwägen, aber durchaus unternehmensloyal ausgerichtet sind, können hierdurch verschreckt oder geschwächt werden.

II. BETRIEBSRATSWAHLEN 2018 2018 - im selben Turnus wie die Fußball-Weltmeisterschaft - finden in allen deutschen Unternehmen die Betriebsratswahlen statt. Während des Wahlzeitraums vom 1. März bis zum 31. Mai kann es zu Fehlern kommen, die im Extremfall sogar zur Nichtigkeit der Wahl führen können. Arbeitgeber stehen grundsätzlich unterschiedliche Rechtsmittel zur Verfügung, um Fehler bei Betriebsratswahlen zu beanstanden.

Auch die nachträgliche Anfechtung einer Betriebsratswahl durch den Arbeitgeber führt typischerweise zu Irritationen im Betrieb. Allerdings kann der Arbeitgeber argumentieren, lediglich eine nachträgliche Rechtmäßigkeitskontrolle anzustreben, ohne jedoch selbst in das Geschehen eingegriffen zu haben. Zudem sind die rechtlichen Anforderungen einer nachträglichen Überprüfung geringer als bei einem Eingriff in den laufenden Prozess.

Im Vorfeld einer Wahl kann der Arbeitgeber zunächst im Rahmen eines Statusverfahrens bspw. klären lassen, ob eine betriebsratsfähige Organisationseinheit vorliegt oder ob eigenständige Betriebe oder Gemeinschaftsbetriebe bestehen. Während des Wahlverfahrens kann der Arbeitgeber etwaige Fehler im Wege einer einstweiligen Verfügung beanstanden, die etwa auf die Korrektur von Fehlern im Wahlverfahren, auf die Aussetzung der Wahl bis zur Entscheidung in der Hauptsache und sogar auf den Wahlabbruch abzielen kann. Allerdings werden an diese Anträge grundsätzlich strenge Anforderungen gestellt, da durch die häufig endgültige Wirkung dieser Entscheidung die Hauptsache vorweggenommen wird. Bei den Aussetzungs- und Abbruchsverfügungen kommt hinzu, dass diese einen (möglicherweise langen) betriebsratslosen Zustand zur Folge haben können, so dass diese – wenn überhaupt – nur in Betracht kommen, wenn die Mängel des Wahlverfahrens nicht korrigierbar und derart schwerwiegend sind, dass sie mit Sicherheit zur Nichtigkeit der Betriebsratswahl führen. Nach der Betriebsratswahl hat der Arbeitgeber gemäß § 19 BetrVG die Möglichkeit, die Wahl innerhalb von zwei Wochen ab Bekanntgabe des Wahlergebnisses anzufechten und bei entsprechend schwerwiegenden Verstößen die Nichtigkeit der Wahl feststellen zu lassen. Daneben besteht gemäß § 24 Nr. 6 BetrVG die Möglichkeit gerichtlich feststellen zu lassen, dass ein gewähltes Betriebsratsmitglied nicht wählbar war.

FAZIT: Sofern sich der Arbeitgeber zu einem Einschreiten entscheidet, so sollte sein Vorgehen auch hinreichende Aussicht auf Erfolg haben, um nicht danach geschwächt in die Zusammenarbeit mit dem im Amt bestätigten Gremium zu gehen. Die Analyse der Ziele, Einflussfaktoren und Risiken eines gerichtlichen Vorgehens sollte möglichst unter Beteiligung etwaiger Bereichsverantwortlicher im Unternehmen erfolgen. Etwaige negative Auswirkungen auf das Betriebsklima und die konstruktive Gremienzusammenarbeit sollten ein wesentlicher Bestandteil dieses Abwägungsvorgangs sein. Nur wenn die Vorteile deutlich überwiegen und ein gerichtliches Vorgehen hinreichende Aussichten auf Erfolg verspricht, sollten entsprechende Schritte in Erwägung gezogen werden.

Nach erfolgreicher Identifikation eines Fehlers bei der Betriebsratswahl stellt sich die in der Praxis oftmals schwierig zu beantwortende Frage, ob eine Intervention aus Arbeitgebersicht gegenüber der Hinnahme des Prozesses mitsamt seinem Ergebnis 2

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Der Antrag verlief in allen Instanzen erfolglos. Das BAG erklärte die Anordnung des d´Hondtschen Höchstzahlverfahrens zur Verteilung der Betriebsratssitze bei der Betriebsratswahl in § 15 Abs. 1 und Abs. 2 WO BetrVG für verfassungsgemäß. Das Verfahren verletze weder den Grundsatz der Gleichheit der Wahl noch die Koalitionsfreiheit. Bei der Umrechnung von Wählerstimmen in Betriebsratssitze ließe sich bei der Verhältniswahl mit keinem der gängigen Sitzzuteilungsverfahren eine vollständige Gleichheit des Erfolgswertes einer Wählerstimme erreichen, da nur ganze Sitze verteilt werden können. Daher fiele die Entscheidung über das Verfahren in den Gestaltungsspielraum des Verordnungsgebers. Das d´Hondtsche Höchstzahlverfahren fördere zudem die Mehrheitssicherung und diene damit einem – unter Berücksichtigung der Funktion der betriebsverfassungsrechtlichen Arbeitnehmervertretung – anzuerkennenden Ziel.

AKTUELLES AUS DER RECHTSPRECHUNG

I. VERTEILUNG DER BETRIEBSRATSSITZE NACH DEM D´HONDTSCHEN HÖCHSTZAHLVERFAHREN VERFASSUNGSGEMÄSS BAG, Beschluss vom 22.11.2017 - 7 ABR 35/16 Im Angesicht der bevorstehenden Betriebsratswahlen im Frühjahr 2018 hat das BAG eine rechtsweisende Entscheidung getroffen. In Betrieben mit mehr als 50 wahlberechtigten Arbeitnehmern erfolgt die Wahl des Betriebsrates grundsätzlich per Listen bzw. Verhältniswahl (§ 14a Be-trVG). Das in der Wahlordnung zum Betriebsverfassungsgesetz (WO) vorgesehene Verteilungsverfahren, das auf den belgischen Juristen d´Hondt zurückgeht, wurde nun durch das BAG als verfassungsgemäß bestätigt.

FAZIT: Mit der vorliegenden Entscheidung hat das BAG kurz vor den Betriebsratswahlen im Frühjahr 2018 den Kritikern der geltenden WO den Wind aus den Segeln genommen. Für die anstehenden Betriebsratswahlen bedeutet der Beschluss Rechtssicherheit für Arbeitgeber und Wahlvorstände über das anzuwendende Verfahren bei der Verteilung der Sitze im Gremium. Relevant ist der Beschluss des BAG für alle Betriebe, die im regulären Verfahren wählen, d.h. in denen mehr als 100 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt werden bzw. – sofern nicht das vereinfachte Wahlverfahren vereinbart wurde – bereits ab 51 wahlberechtigten Arbeitnehmern.

Das d‘Hondtsche Verfahren, oder auch Höchstzahlverfahren, ist ein Berechnungssystem zur Verteilung der Sitze innerhalb eines Gremiums im Rahmen einer Verhältniswahl. Dabei wird die Anzahl der erhaltenen Stimmen einer Partei nacheinander durch eine aufsteigende Folge natürlicher Zahlen (1, 2, 3, 4, 5, …, n) geteilt. Die sich daraus ergebenden Quotienten (sogenannte Höchstzahlen) werden sodann absteigend in eine Reihenfolge gebracht, aus der sich die Verteilung der Sitze ergibt, d.h. dass dem höchsten Quotienten der erste Sitz des Gremiums, dem zweithöchsten Quotienten der zweite Sitz des Gremiums u.s.w. zugeordnet wird. Dieses Verfahren führt naturgemäß zu einer leichten Begünstigung ohnehin stärkerer Parteien bei der Wahl. Im Deutschen Bundestag wurde das d´Hondtsche Verfahren deshalb inzwischen durch das „Verfahren der mathematischen Proportion“ nach HareNiemeyer abgelöst (vgl. § 6 BWG), sodass hier die Sitze proportional zu den auf die einzelnen Parteien entfallenen Stimmen verteilt werden.

II. UNANGEMESSENE BENACHTEILIGUNG EINES ARBEITNEHMERS DURCH DREIJÄHRIGE KÜNDIGUNGSFRIST BAG, Urteil vom 26.10.2017 - 6 AZR 158/16 Das BAG hatte darüber zu entscheiden, ob die Verlängerung einer Kündigungsfrist auf 3 Jahre wegen unangemessener Benachteiligung des Arbeitnehmers i. S. d. 307 Abs.1 S. 1 BGB als unwirksam zu betrachten ist. Der Fall war ungewöhnlich, da hier ausnahmsweise einmal der Arbeitgeber geklagt hatte, und zwar auf die gerichtliche Feststellung, dass eine vom Arbeitnehmer ausgesprochene Kündigung erst nach dreijähriger Kündigungsfrist wirksam würde.

In dem zugrundeliegenden Fall fand im Mai 2014 eine Betriebsratswahl statt, bei der ein Betriebsrat aus 17 Mitgliedern gewählt wurde. Von den insgesamt 1.142 abgegebenen Stimmen entfielen gut 48 Prozent auf die Liste V (557 Stimmen), knapp 27 Prozent auf die Liste D (306 Stimmen) und gut 24 Prozent auf die Liste H (279 Stimmen). Nach dem d´Hondtschen Höchstzahlverfahren entfielen auf die Liste V neun Sitze und auf die Listen D und H jeweils vier Sitze. Die antragstellenden Arbeitnehmer haben die Wahl mit der Begründung angefochten, das in der Wahlordnung vorgesehene d´Hondtsche Höchstzahlverfahren sei verfassungswidrig, da es kleinere Gruppierungen benachteilige. Damit verletze es den Grundsatz der Wahlgleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) und die Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG). Die Verteilung der Sitze habe deshalb nach dem Verfahren Hare/Niemeyer oder dem Verfahren Sainte-Laguë/Schepers vorgenommen werden müssen, wonach die Liste D fünf Sitze und die Liste V acht Sitze erhalten.

Grundsätzlich können Arbeitsverhältnisse gemäß § 622 Abs. 1 BGB mit einer Frist von 4 Wochen zum 15. oder zum Monatsende gekündigt werden (§ 622 Abs. 1 BGB). Zum Schutz des Arbeitnehmers verlängert sich diese grundsätzliche Kündigungsfrist nach § 622 Abs. 1 BGB, wenn das Arbeitsverhältnis eine gewisse Dauer erreicht hat. Diese verlängerten Kündigungsfristen nach § 622 Abs. 2 BGB gelten aber nur für Kündigungen, die der Arbeitgeber ausspricht. Etwas anderes kann sich daraus ergeben, dass auch für den Arbeitnehmer längere Kündigungsfristen in einem Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag vereinbart werden.

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Frage einer im Geschäftsleben unüblich langen Kündigungsfrist von 3 Jahren Fragen aufwirft, verwundert nicht. Allerdings weist das BAG auch daraufhin, dass die Frage der Wirksamkeit jeweils nur im Einzelfall unter Berücksichtigung der Gesamtumstände beurteilt werden kann und deutet an, dass nicht ausgeschlossen ist, dass längere Kündigungsfristen bei entsprechenden, dem Arbeitnehmer gewährten Kompensationen, etwa durch die Gestaltung einer attraktiven Gehaltsstruktur, auch als wirksam erachtet werden können.

In dem zugrundeliegenden Fall hatten Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag geschlossen. Neben einer Lohnerhöhung sollte darin das Entgelt für drei Jahre unveränderbar eingefroren werden. Bei einer etwaigen dann folgenden weiteren Lohnerhöhung sollte diese wiederum für weitere zwei Jahre unverändert bleiben. Gleichzeitig verlängerten die Parteien die Kündigungsfrist für beide Seiten auf drei Jahre zum Monatsende. Nachdem ein Kollege des Arbeitnehmers festgestellt hatte, dass auf den Computern der Niederlassung im Hintergrund das zur Überwachung des Arbeitsverhältnisses geeignete Programm „PC Agent“ installiert war, kündigte er das Arbeitsverhältnis und wählte dabei in seinem Kündigungsschreiben eine Auslauffrist von nur einem Jahr. Der Arbeitgeber erhob daraufhin Klage und ließ in erster Instanz erfolgreich feststellen, dass das Arbeitsverhältnis nach einer Auslauffrist von einem Jahr nicht wirksam beendet werde. In der Berufungsinstanz gab das LAG Chemnitz dagegen dem Arbeitnehmer Recht und erachtete die dreijährige Kündigungsfrist wegen unangemessener Benachteiligung i. S. d. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB für unwirksam. Die lange Kündigungsfrist erschwere einen nahtlosen Übergang in ein neues Arbeitsverhältnis. Ein Arbeitgeberwechsel könne unter diesen Umständen praktisch nicht geplant werden. Zudem bestehe die Möglichkeit einer unverhältnismäßig langen Freistellung nach erfolgter Kündigung. Dies verschlechtere ebenfalls die Vermittlungschancen des Arbeitnehmers zu seinen Lasten.

III. BERÜCKSICHTIGUNG VON LEIHARBEITNEHMERN BEI DEN SCHWELLENWERTEN FÜR EINE MASSENENTLASSUNGSANZEIGE BAG, Beschluss vom 16.11.2017 - 2 AZR 90/17 (A) § 17 Abs. 1 KSchG legt den Schwellenwert für eine Anzeigepflicht gegenüber der Arbeitsagentur bei Massenentlassungen fest. Unterlässt der Arbeitgeber eine Massenentlassungsanzeige trotz Erreichens der in § 17 KSchG genannten Schwellenwerte, ist die Kündigung unwirksam. Bisher ungeklärt ist die Frage, ob Arbeitgeber bei der Prüfung des Erreichens des Schwellenwerts Leiharbeitnehmer bei der Bestimmung der Betriebsgröße zu berücksichtigen haben. Um eine europarechtskonforme Auslegung sicherzustellen, hat sich das BAG nun entschieden, diese Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen

Dem schloss sich das BAG nun grundsätzlich an. Denn auch dann, wenn eine vom Arbeitgeber vorgegeben Kündigungsfrist für beide Vertragsparteien gilt und nicht länger als fünf Jahre und sieben Monate beträgt, d.h. wenn sie die gesetzlichen Grenzen des § 622 Abs. 6 BGB und des § 15 Abs. 4 TzBfG einhält, ist sie nach Auffassung des BAG unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls daraufhin zu überprüfen, ob sie eine unangemessen Beschränkung der beruflichen Bewegungsfreiheit darstellt. Dies hat das BAG im vorliegenden Fall bejaht und darauf hingewiesen, dass der durch die Verlängerung der Kündigungsfrist für den Arbeitnehmer entstandene Nachteil auch nicht durch die vorgesehene Gehaltserhöhung aufgewogen werden könne, zumal die Zusatzvereinbarung das Vergütungsniveau langfristig einfror.

Ausgangspunkt dieser Vorabentscheidungsanfrage war eine Kündigungsschutzklage. Die beklagte Arbeitgeberin betreibt Bildungseinrichtungen, in denen sie regelmäßig weniger als 120 bei ihr fest angestellte Arbeitnehmer beschäftigte. Durch die Beschäftigung von Leiharbeitnehmern wurde diese Zahl regelmäßig überschritten. Gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 2 KSchG ist der Arbeitgeber in Betrieben mit in der Regel mindestens 60 und weniger als 500 Arbeitnehmern verpflichtet, eine Massenentlassungsanzeige zu erstatten, wenn er 10 % der beschäftigten Arbeitnehmer entlässt. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte innerhalb von 30 Tagen die Arbeitsverhältnisse von mindestens 12 Arbeitnehmern gekündigt ohne zuvor eine Massenentlassungsanzeige zu erstatten. Gegen die Kündigungsschutzklage wehrt sich die Beklagte mit dem Argument, dass die bei ihr eingesetzten Leiharbeitnehmer bei der Berechnung der Arbeitnehmerzahl zu berücksichtigen seien und somit keine Massenentlassungsanzeige erforderlich war.

FAZIT: Die Bindung von besonderen Talenten und Wissensträgern ist vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung und des besonderen Wettbewerbs um Talente auf dem Arbeitsmarkt von immer stärker werdender Bedeutung. Die Vereinbarung längerer Kündigungsfristen ist dabei ein Mosaikstein der zahlreichen Gestaltungsmöglichkeiten für Arbeitgeber zur stärkeren Bindung ihrer wichtigen Arbeitnehmer.

In seiner Vorabentscheidungsanfrage bittet das BAG den EuGH um Auslegung von Art. 1 Abs. 1 lit. (1a) der (Massenentlassungs-) Richtlinie 98/59/EG, auf der § 17 KSchG basiert, da es im vorliegenden Fall entscheidungserheblich ist, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen Leiharbeitnehmer bei der Bestimmung der Zahl der in einem entleihenden Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KSchG zu berücksichtigen sind.

Wie lange eine Kündigungsfrist höchstens sein kann, wurde zwar auch in dieser Entscheidung nicht abschließend geklärt. Allerdings wird deutlich, ab welchen Zeiträumen zumindest starke Indizien für eine erreichte „Schmerzgrenze“ sprechen könnten. Dass die 4

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IV. DER „HERR IM EIGENEN BETRIEB“ – ÜBERSTUNDENVERGÜTUNG BEI ABSTRAKTER KENNTNIS VON MEHRARBEIT

In der vorherigen Instanz hatte das LAG Düsseldorf der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Die Beklagte hätte nach Auffassung des LAG eine Massenentlassungsanzeige erstatten müssen, da Leiharbeitnehmer bei der Anwendung des § 17 KSchG grundsätzlich nicht zu berücksichtigen seien. Für diese Auffassung spreche, dass § 17 KSchG auch den individualrechtlichen Schutz des Arbeitnehmers vor Ausspruch einer Kündigung bezwecke. Würden Leiharbeitnehmer bei der Bestimmung der Betriebsgröße berücksichtigt werden, würde dieser Schutzzweck konterkariert. Auch eine differenzierte Betrachtungsweise nach denen Leiharbeitnehmer bei der Bestimmung der Betriebsgröße zu berücksichtigen seien, nicht aber bei der Anzahl der Entlassungen, überzeuge nicht. Denn je größer ein Betrieb, umso mehr Arbeitnehmer müssten entlassen werden, um die Anzeigepflicht aus § 17 KSchG auszulösen. Auch dies widerspräche dem bezweckten individualrechtlichen Schutz des Arbeitnehmers.

LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28.6.2017 - 15 Sa 66/17 Das LAG hat sich im Rahmen eines Berufungsverfahrens mit der Vergütung von Überstunden befasst und die Ansicht vertreten, dass allein die abstrakte Kenntnis von geleisteten Überstunden einer Duldung der Ableistung von Überstunden gleichzusetzen ist. Nebenbei hat es deutliche Kritik an der Rechtsprechung des BAG geübt. Im zugrundeliegenden Fall klagte die Führungskraft eines Logistikunternehmens gegen seinen Arbeitgeber auf Abgeltung von über 500 Überstunden. Diese hatte er nach eigener Darlegung in nur acht Monaten angehäuft. Der Arbeitsvertrag enthielt eine Regelung zur Überstundenvergütung. Für den Arbeitnehmer hatte der Arbeitgeber zwar ein Arbeitszeitkonto eingerichtet. Eine automatische Aufzeichnung der Arbeitszeit erfolgte jedoch nur in den ersten drei Wochen mit einem Chip.

Das BAG hatte in anderen Kontexten mit Verweis auf den jeweiligen Schutzzweck der Normen anders entschieden und Leiharbeitnehmer bei der Bestimmung verschiedener Schwellenwerten berücksichtig (§ 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG, § 111 Satz 1 BetrVG, § 9 Satz 1 BetrVG und § 9 Abs. 1 und Abs. 2 MitbestG). Im vorliegenden Fall sieht er sich aufgrund des europarechtlichen Kontextes nicht in der Lage eigenständig über eine Auslegung der Bestimmung zu entscheiden. Dabei hatte es wohl den Hinweis des EuGH im Sinn, dass die Berechnungsmodalitäten für diese Schwellenwerte nicht zur Disposition der Mitgliedstaaten stehen, da eine derartige Auslegung es den Mitgliedstaaten erlauben würde, den Anwendungsbereich der Richtlinie zu verändern und ihr damit ihre volle Wirksamkeit zu nehmen (EuGH, Urteil vom 18.1.2007 – C-385/05; NZA 2007, 193). Bei befristeten Beschäftigten hat der EuGH jedenfalls – anders als dies das LAG bei Leiharbeitnehmern beurteilt – bereits entschieden, dass diese bei der Betriebsgröße zu berücksichtigen seien (EuGH, Urteil vom 11.11.2015 – C-422/14; NZA 2015, 1441).

Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens war insbesondere die Frage, welche Tatsachen der Arbeitnehmer bei einer Überstundenklage zu beweisen hat und wann von einer Duldung der Ableistung von Überstunden ausgegangen werden kann. Das BAG hat hierzu eine Stufenlogik entwickelt. So muss der Arbeitnehmer auf der ersten Stufe die Überstunden an sich nachweisen. Er hat also darzulegen von wann bis wann er zusätzlich zur regelmäßigen Arbeitszeit gearbeitet oder sich auf Anweisung des Arbeitgebers bereitgehalten hat. Gelingt ihm dieser Nachweis, obliegt es dem Arbeitgeber, substantiiert zu erwidern, welche Arbeiten er dem Arbeitnehmer zugewiesen hat und an welchen Tagen sich der Arbeitnehmer nicht an diese Anweisungen gehalten hat.

FAZIT: Insbesondere für Arbeitgeber mit einem regelmäßig signifikanten Anteil von Leiharbeitnehmern in ihrer Belegschaft ist die anstehende Entscheidung von besonderer Bedeutung. Vorhersagen zu treffen macht bekanntlich wenig Sinn. Interessant ist allerdings, dass der EuGH in seinem Urteil zu befristet Beschäftigten darauf hinweist, dass der europäische Gesetzgeber durch die Berücksichtigung der Gesamtbeschäftigtenzahl bei der Berechnung der Schwellenwerte übermäßige Belastungen der Arbeitgeber vermeiden wollte. Einen Aspekt, den das LAG Düsseldorf gänzlich unberücksichtigt gelassen hat. Die Entscheidung der Richter in Luxemburg kann somit mit Spannung erwartet werden.

Auf einer zweiten Stufe muss der Arbeitnehmer darlegen, dass der Arbeitgeber seine Überstunden veranlasst hat und inwiefern ihm diese zuzurechnen sind. Üblicherweise wird an dieser Stelle verlangt, dass die geleisteten Überstunden angeordnet, gebilligt oder geduldet oder zumindest zur Verrichtung der Arbeit notwendig gewesen waren. Eine Duldung von Überstunden wird nach der Rechtsprechung des BAG jedenfalls dann angenommen, wenn der Arbeitgeber in Kenntnis einer Überstundenleistung diese hinnimmt und keine Vorkehrungen trifft, die Leistung von Überstunden künftig zu unterbinden, er also nicht gegen die Leistung der Überstunden einschreitet, sie vielmehr weiterhin entgegen nimmt. Im vorliegenden Fall ist der klagende Arbeitnehmer nach Ansicht des LAG – in Abweichung von der erstinstanzlichen Entscheidung – den BAG-Anforderungen gerecht geworden. Die erforderliche Duldung der abgeleisteten Überstunden ergäbe sich bereits aus dem Vortrag des Arbeitgebers, dass bei ihr alle Führungskräfte unentgeltlich Mehrarbeit leisteten.

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hat in den vergangenen Jahren die Anforderungen an das (BEM) stets verschärft und zu einem wesentlichen Bestandteil des betrieblichen Gesundheitsmanagements entwickelt.

Nebenbei hat das LAG den Rechtsstreit zum Anlass genommen, die dargestellten, vom BAG entwickelten Darlegungsanforderungen an den Arbeitnehmer bei einer Überstundenklage mit dem rechtspolitischen Hinweis, in Deutschland würden jährlich eine Milliarde Überstunden weder bezahlt noch durch Freizeit abgegolten, grundsätzlich zu hinterfragen. Es sei nicht nachvollziehbar, warum es nicht ausreichen könne, dass der Arbeitnehmer auf der ersten Stufe die Leistung der Überstunden darlegt. In der Praxis könne der Arbeitnehmer häufig die Duldung der abgeleisteten Überstunden durch den Arbeitgeber nicht darlegen, weshalb Überstundeklagen überwiegend abgewiesen würden. Das Argument des BAG für dieses Darlegungserfordernisses, dem Arbeitgeber müssten die Überstunden zuzurechnen sein und dürften diesen nicht aufgedrängt werden, überzeugte das LAG nicht. Der Arbeitgeber könne als „Herr im eigenen Betrieb“ Arbeitnehmer nach Ableistung der regulären Arbeitszeit nach Hause schicken und seine Betriebsorganisation entsprechend gestalten. Tue er dies nicht, sei es konsequent, ihm die geleisteten Überstunden zuzurechnen.

In der vorliegenden Entscheidung hatte sich das BAG mit der Rechtsauffassung des LAG Baden-Württemberg zu befassen, dass bei Versetzungen, die auch auf Gründe gestützt werden, die im Zusammenhang mit dem Gesundheitszustand des Arbeitnehmers stehen, die Durchführung oder zumindest die Initiierung des betrieblichen Eingliederungsmanagements zur Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Versetzung machen wollte. Das BAG ist dieser Rechtauffassung nicht gefolgt und hat klargestellt, dass das BEM keine formelle Voraussetzung für eine Versetzung sei, sondern es vielmehr darauf ankomme, dass die Versetzung insgesamt billigem Ermessen i.S.v. § 106 Satz 1 GewO, § 315 Abs. 1 BGB entspräche. Im zugrundeliegenden Fall war der Kläger bei der Beklagten als Maschinenbediener zunächst in einer Wechselschicht (Frühschicht/Spätschicht) tätig und wurde seit 2005 fast ausschließlich in der Nachtschicht eingesetzt. In der Zeit zwischen 2013 und 2014 war der Kläger an jeweils 35 Tagen arbeitsunfähig erkrankt. Zwischen Dezember 2014 und Februar 2015 war er zusätzlich aufgrund einer suchtbedingten Therapiemaßnahme arbeitsunfähig und wurde danach wieder in der Nachtschicht eingesetzt. Im März 2013 erfolgte ein sogenanntes Krankenrückkehrgespräch mit dem Arbeitgeber (Beklagte), welches von der Beklagten nicht als BEM beabsichtigt und ausgestaltet war. Nach dem Krankenrückkehrgespräch erfolgte eine Versetzung des Klägers in die Wechselschicht. Nach Auffassung der Beklagten, sei eine Tätigkeit in der Wechselschicht weniger gesundheitsbelastend als eine Tätigkeit in der Dauernachtschicht. Hinzukomme, dass der Kläger bei Fehlzeiten in der Wechselschicht leichter ersetzbar als in der Nachtschicht sei. Der Kläger hingegen hielt die Versetzung für unwirksam und klagte auf Beschäftigung in der Nachtschicht.

FAZIT: Die Auffassung des LAG vermag nicht zu überzeugen. Es kann bereits hinterfragt werden, ob allein die abstrakte Kenntnis von der Ableistung von Überstunden durch Führungskräfte, die nach Aussage des Arbeitgebers ihre Zeit weitestgehend frei einteilen können, die vom BAG gestellte Anforderung an die Darlegung einer konkreten Duldung nicht abgegoltener Überstunden erfüllt. Die darüber hinausgehende Annahme, es könne durch eine entsprechende Betriebsorganisation gänzlich auf dieses vom BAG entwickelte Kriterium verzichtet werden, indem die Arbeitnehmer nach Ableistung ihrer regulären Arbeitszeit nach Hause geschickt würden, ist gerade in komplexeren Unternehmensstrukturen wenig praktikabel und aufgrund sich häufig verändernder (Wettbewerbs-) Anforderungen vielen Unternehmen kaum zumutbar. Um Streitigkeiten in Zusammenhang mit Überstunden möglichst zu vermeiden, kann Arbeitgebern nur geraten werden, funktionierende Arbeitszeitmodelle bzw. Systeme mit entsprechenden arbeitsvertraglichen Vereinbarungen zu etablieren.

FAZIT: Der Gesetzgeber hat keine unmittelbaren Sanktionen an die Nichtdurchführung eines BEM geknüpft. In der Rechtsprechung ist das BEM in der Vergangenheit insbesondere im Zusammenhang mit krankheitsbedingten Kündigungen relevant geworden. Dabei wurden die Anforderungen stets verschärft und das BEM auf diese Weise zu einem wesentlichen Bestandteil des betrieblichen Gesundheitsmanagements entwickelt. Nach Auffassung des BAG hat ein pflichtwidrig unterlassenes BEM erhebliche Auswirkungen auf die Verhältnismäßigkeit einer krankheitsbedingten Kündigung, da der Arbeitgeber von sich aus denkbare und vom Arbeitnehmer bereits genannte Beschäftigungsalternativen widerlegen muss. Es ist konsequent, dass es eine entsprechende Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen einer Versetzung allerdings nicht einfordert, da diese bereits selbst ein milderes Mittel gegenüber einer möglicherweise in Betracht kommenden Kündigung darstellt. Gleichzeitig wird ein für Arbeitgeber dringend erforderlicher Gestaltungsspielraum beim Personaleinsatz aufrechterhalten. Dem Schutz der Arbeitnehmer wird im Übrigen schon dadurch in aus-

V. BETRIEBLICHES EINGLIEDERUNGSMANAGEMENT ALS FORMELLE VORAUSSETZUNG FÜR EINE VERSETZUNG DURCH DEN ARBEITGEBER? BAG, Urteil vom 18.10.2017 - 10 AZR 47/17 Das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) findet seine Grundlage in § 84 Abs. 2 Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) und ist für den Arbeitgeber verpflichtend, wenn ein Arbeitnehmer krankheitsbedingte Fehlzeiten von mehr als 6 Wochen im Jahr aufweist. Mit dem Erkrankten sollen dann – ggf. unter Beteiligung von Betriebsarzt und Betriebsrat – in einem Gespräch Möglichkeiten gesucht werden, wie weiteren Arbeitsunfähigkeitszeiten vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Die Rechtsprechung 6

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Rechtsmissbrauchs werde dem Arbeitgeber untersagt, sich auf einen Sachgrund zu berufen.

reichendem Maße Rechnung getragen, dass er selbst oder der Betriebsrat eine Versetzung auf ihre Billigkeit und Rechtmäßigkeit vor den Arbeitsgerichten prüfen lassen kann.

Eine Missbrauchskontrolle der Sachgrundbefristung sei aber nur dann durchzuführen, wenn mindestens das Vierfache eines der beiden Werte des § 14 Abs. 2 TzBfG (Gesamtdauer von maximal zwei Jahren oder maximal drei Verlängerungen) oder das Dreifache beider Werte überschritten sei. Der Rechtsmissbrauch sei indiziert, wenn entweder beide Werte um das jeweils Vierfache oder einer der beiden Werte um mehr als das Fünffache überschritten werde. In diesen Fällen müsse der Arbeitgeber darlegen und beweisen, dass kein Rechtmissbrauch vorliege.

VI. BEFRISTUNG EINES ARBEITSVERTRAGS – VORAUSSETZUNG DES INSTITUTIONELLEN RECHTSMISSBRAUCHS BAG, Urteil vom 17.05.2017 - 7 AZR 420/15 In der Rechtsprechung spielt das Thema „Missbrauch von Kettenbefristungen“ – anders als etwa im Rahmen sachgrundloser Befristungen – soweit ersichtlich vor allem im Zusammenhang mit öffentlichen Arbeitgebern eine Rolle. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass private Arbeitgeber, die nicht an finanz- und haushaltspolitische Vorgaben gebunden sind, Arbeitnehmer, die sich bewährt haben, in der Regel binden wollen.

Das BAG gibt damit der Praxis eine Schablone vor. Der Einwand, dass keine Personalreserve in Form unbefristet beschäftigter Vertretungskräfte bestehe, könne demnach nicht vorgebracht werden, denn tatsächlich habe ein dauerhafter Beschäftigungsbedarf bestanden. Der Arbeitgeber, bei dem ein dauerhafter Beschäftigungsbedarf vorliege, dürfe somit nicht auf befristete Arbeitsverträge zurückgreifen, obwohl im Einzelfall ein zulässiger Befristungsgrund vorliege. Dieses Ergebnis sei im Lichte des arbeitsrechtlichen Grundsatzes zu sehen, wonach ein unbefristetes Arbeitsverhältnis der Normalfall sei und dem befristeten Vertrag nur ein Ausnahmecharakter zukommen solle.

In dem vorliegenden Fall hat sich das BAG mit der Zulässigkeit von mehrfach hintereinander geschalteten Sachgrundbefristungen eines Arbeitsverhältnisses und dem damit einhergehenden Vorwurf eines institutionellen Rechtsmissbrauchs in einer öffentlichen Schule befasst.

FAZIT: Das BAG bestätigt seine ständige Rechtsprechung zur Missbrauchskontrolle bei Sachgrundbefristung. Dabei stellt es nicht auf branchenspezifische Besonderheiten im Schulwesen ab, sodass die in der Entscheidung bestätigten Grundsätze branchenübergreifend anwendbar sind.

Rechtlicher Hintergrund ist § 5 Nr. 1 Buchst. a der EGBUNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG. Dieser verlangt, dass über den Befristungsgrund hinaus konkret geprüft wird, ob die Verlängerung aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge oder -verhältnisse der Deckung eines zeitweiligen Bedarfs dient und ob eine nationale Vorschrift nicht in Wirklichkeit eingesetzt wird, um einen ständigen und dauerhaften Arbeitskräftebedarf des Arbeitgebers zu decken. Die zusätzliche Prüfung erfolgt im deutschen Recht nach den Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs (§ BGB § 242 BGB).

Es konstruiert allerdings im vorliegenden Fall bei der Vertretungsbefristung nach § 14 Abs.1 TzBfG aus einem „häufigen Vertretungsbedarf“ einen „dauerhaften Beschäftigungsbedarf“. Demnach werden Arbeitgeber zum Aufbau einer Personalreserve gezwungen, obwohl auch das BAG anerkennt, dass eine Pflicht zur Vorhaltung einer solchen Reserve nicht besteht. Wünschenswert wäre es indes gewesen, wenn das BAG eine griffige Formel gefunden hätte und das Problem nicht weiterhin in die Darlegungs- und Beweislast verlegt hätte.

Im zugrundeliegenden Fall klagte ein Diplom-Sportlehrer ohne Lehramtsbefähigung gegen das Land wegen einer Vielzahl aufeinanderfolgender Arbeitsverträge. Grund für die letzte Befristungsabrede war die Einstellung zur Vertretung der in Elternzeit befindlichen Lehrkraft. Tatsächlich wurde der Kläger jedoch im Rahmen eines Ringaustauschs als Klassenlehrer einer 8. Klasse sowie als Sportlehrer eingesetzt. Der Kläger vertrat die Auffassung, dass aufgrund der langjährigen Dauer seiner Beschäftigung und der Anzahl der abgeschlossenen befristeten Verträge – einer beträchtlichen Anzahl von fünfundzwanzig Verlängerungen – die letzte Befristung rechtsmissbräuchlich sei.

Alternativ könnte der Gesetzgeber im Rahmen des § 14 Abs.1 TzBfG – ähnlich wie bei § 14 Abs.2 TzBfG – Höchstgrenzen für die Kettenbefristung vorgeben. (Öffentlichen) Arbeitgebern ist jedenfalls bis auf weiteres zur Vermeidung eines etwaigen Missbrauchsvorwurfs zu raten, vertragliche Grundlagen zu schaffen, in denen sich die Laufzeit der geschlossenen befristeten Verträge und die voraussichtliche Vertretungsdauer entsprechen.

Das BAG bestätigte, dass ein sachlicher Grund für die Befristung gem. § 14 Abs.1 S.2 Nr.2 TzBfG und § 21 I BEEG aufgrund der Vertretung der Lehrkraft bestehe. Die Befristungskontrolle der Gerichte dürfe sich aber nicht nur auf das Vorhandensein eines Sachgrunds beschränken. Bei Vorliegen eines institutionellen 7

NEWSLETTER ARBEITSRECHT AUSGABE JANUAR 2018

VII. BEFRISTUNG VON ARBEITSVERTRÄGEN BEI PROFIFUSSBALLERN

FAZIT: Das BAG fällte mit seiner Entscheidung ein Grundsatzurteil für Lizenzfußballspieler und deren Vereine. Es bestätigt die gelebte Befristungspraxis, die nach dem erstinstanzlichen Urteil aus Mainz zu kippen drohte und lässt die Fußballvereine aufatmen. Ob die in diesem Newsletter ebenfalls skizzierten Vorgaben des BAG zur Prüfung eines institutionellen Rechtsmissbrauchs (BAG Urteil vom 17.05.2017 – AZR 420/15) bei entsprechender Befristungsdauer einmal zur Anwendung kommen könnten, ist eher zu bezweifeln, sind diese doch stark im Zusammenhang mit Vertretungsbefristungen zu sehen und nicht mit dem vergleichsweise besonderen Befristungstatbestand der „Eigenart der Arbeitsleistung“.

BAG , Urteil vom 16.01.2018 - 7 AZR 312/16 Der Profifußball unterliegt rechtlich verschiedenen verbandsinternen und sonstigen sportrechtlichen Sonderregeln. Für das Anstellungsverhältnis der Akteure – seien es Spieler oder Trainer – gilt jedoch im Ausgangspunkt das „normale“ Arbeitsrecht, da auch die hochbezahlten Profifußballer Arbeitnehmer sind. In der Praxis schließen Bundesligavereine mit ihren Profis ausnahmslos befristete Arbeitsverträge ab. Dies ist keine verhandelbare Bedingung. Verhandelbar ist allein die Dauer der Befristung. Es stellte sich die Frage, ob die gängige Befristungspraxis der Bundesligavereine mit den Vorgaben des Teilzeit- und Befristungsgesetzes vereinbar ist, d.h. ob es einen Sachgrund für die Befristungen nach dem TzBfG gibt.

VIII. KURZ NOTIERT: Neues zum Mindestlohn – Ende der Übergangsfrist und Fortsetzung der BAG Rechtsprechung zur Anrechnung und Nichtanrechnung von Vergütungsbestandteilen auf den Mindestlohn

Der Kläger Heinz Müller war bei dem beklagten Verein FSV Mainz 05 in der Fußball-Bundesliga seit dem 01. Juli 2009 als Lizenzspieler beschäftigt. Sein Arbeitsvertrag von 2012 enthielt eine Befristung bis zum 30. Juni 2014 und die Option, den Vertrag bis zum 30. Juni 2015 zu verlängern, wenn der Kläger in der Saison 2013/14 in mindestens 23 Bundesligaspielen eingesetzt werde. Der Kläger absolvierte in der Saison 2013/14 neun der ersten zehn Bundesligaspiele. Am elften Spieltag wurde er in der Halbzeit verletzt ausgewechselt und in den verbleibenden Spielen der Hinrunde verletzungsbedingt nicht mehr eingesetzt. Nach der Hinrunde wurde der Kläger nicht mehr in Bundesligaspielen eingesetzt und in die zweite Mannschaft des Beklagten versetzt. Der Kläger begehrte daraufhin die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgrund der vereinbarten Befristung am 30. Juni 2014 geendet hatte.

BAG, Urteil vom 24.5.2017 – 5 AZR 431/16 BAG, Urteil vom 6.9.2017 – 5 AZR 317/16 BAG, Urteil vom 20.9.2017 - 10 AZR 171/16 Seit dem 1.1.2018 gilt der Mindestlohn ohne Ausnahme für alle Branchen. Die Übergangsfrist für solche Tarifverträge, die Löhne unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns vorsehen, ist somit ausgelaufen. Bis zur nächsten Anpassung zum 1. Januar 2019 wird der Mindestlohn EUR 8,84 betragen. Des Weiteren hat das BAG in 2017 – ausgehend von einem umfassenden Entgeltbegriff – seine Rechtsprechung zur An- bzw. Nichtanrechnung verschiedener Vergütungsbestandteile auf den Mindestlohn konsequent fortgesetzt. Danach zählen zum Mindestlohanspruch alle Geldleistungen des Arbeitgebers, die im Austausch für tatsächlich gezahlte Arbeitsleistungen gezahlt werden. Die Erfüllungswirkung fehle nur bei Zahlungen, die der Arbeitgeber ohne Rücksicht auf eine tatsächliche Arbeitsleistung des Arbeitnehmers erbringt oder die auf einer besonderen gesetzlichen Zweckbestimmung beruhen. Entsprechend wird auch eine arbeitsvertraglich vereinbarte Leistungszulage auf den Mindestlohn angerechnet (BAG, Urteil vom 6.9.2017 – 5 AZR 317/16). Gleiches gilt für arbeitsvertraglich vereinbarte Sonn- und Feiertagszuschläge (BAG, Urteil vom 24.5.2017 – 5 AZR 431/16), wohingegen ein zusätzlich tariflich zugesagter Anspruch auf einen Nachtzuschlag und auf Urlaubsgeld, das zusätzlich zum Urlaubsentgelt gewährt wird, nicht auf den Mindestlohn angerechnet werden kann und somit zusätzlich zu zahlen ist (BAG, Urteil vom 20.9.2017 - 10 AZR 171/16).

Das BAG schloss sich der Auffassung des LAG Rheinland-Pfalz an und entschied, dass eine Sachgrundbefristung wegen der „Eigenart der Arbeitsleistung“ gem. § 14 Abs.1 S.2 Nr. 4 TzBfG gerechtfertigt und somit wirksam sei. Der Begriff der „Eigenart der Arbeitsleistung“ dürfe dabei aber nicht zu weit gefasst werden, da grundsätzlich jede Arbeitsleistung bestimmte Besonderheiten aufweise. Erfasst werden daher nur vertragstypische Eigenarten, die einem Arbeitsverhältnis innewohnende Besonderheiten in einem außergewöhnlichen Maß übersteigen. Hierbei sei auf branchenspezifische Merkmale zu achten. Im kommerzialisierten Spitzenfußball schulde der Profi-Fußballer eine solche besondere Arbeitsleistung. Von ihm werden sportliche Höchstleistungen erwartet, die auch der Grund für seine weit überdurchschnittliche Vergütung seien. Ob der Spieler überhaupt und für wie lange er diese Erwartungshaltung erfüllen könne, sei ungewiss. Daraus ergäbe sich ein berechtigtes Interesse der Bundesligavereine für ein befristetes Arbeitsverhältnis. Zu weiteren, möglicherweise in Betracht kommenden Rechtfertigungsgründen hat sich das BAG in diesem Zusammenhang nicht geäußert. 8

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