NICHTLINEARE DYNAMIK

NICHTLINEARE DYNAMIK Einf¨ uhrung in die theoretischen Grundlagen der nichtlinearen Dynamik und des deterministischen Chaos in konservativen Hamiltons...
Author: Hertha Becke
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NICHTLINEARE DYNAMIK Einf¨ uhrung in die theoretischen Grundlagen der nichtlinearen Dynamik und des deterministischen Chaos in konservativen Hamiltonschen Systemen. Vorlesung von Prof. Dr. M. Brack gehalten im WS 2001/2 im Rahmen des Graduiertenkollegs 638 der Universit¨at Regensburg: Nichtlinearit¨ at und Nichtgleichgewicht in kondensierter Materie

Wiederverwendet in den WS 2004/5 und 2006/7 im Rahmen der Vorlesung: Nichtlinearit¨ at in klassischer und Quantenphysik (1 Modul)

Skript: Ch. Amann und M. Brack (2002), M. Brack (seit 2004)

Regensburg, 25. August 2008

1

2

Inhaltsverzeichnis 1 Variationsprinzip und Lagrange-Gleichung

5

2 Hamilton-Gleichungen

6

3 Kanonische Transformationen 3.1 Poissonklammern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Erzeugende Funktionen von kanonischen Transformationen . . . 3.3 Der 1-dimensionale harmonische Oszillator: . . . . . . . . . . . .

7 7 8 10

4 Der 4.1 4.2 4.3

Phasenraum Phasenraumportraits . . . . Das Theorem von Liouville Das mathematische Pendel 4.3.1 E < mgl . . . . . . . 4.3.2 E > mgl . . . . . . . 4.3.3 Grenzf¨ alle . . . . . . 4.3.4 Phasenraumportrait

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10 12 14 15 15 17 18 18

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Koordinaten . . . . . . . .

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19 19 20 20 21 21 23

6 Integrable Systeme: regul¨ are Bewegung 6.1 Definition der Integrabilit¨at . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Beispiele f¨ ur integrable Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Sph¨ arisches Potential in N = 3 Dimensionen . . . . . 6.2.2 Integrable Billards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.3 Weitere Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Torusvariablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1 Einf¨ uhrung der Torusvariablen . . . . . . . . . . . . . 6.3.2 Beispiel: Der zweidimensionale harmonische Oszillator 6.4 Periodische Bahnen auf dem N -Torus . . . . . . . . . . . . . 6.5 EBK-Quantisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5.1 Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.6 Semiklassische Spurformeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.6.1 Integrable Systeme: die Berry-Tabor-Spurformel . . . 6.6.2 Chaotische Systeme: die Gutzwiller-Spurformel . . . .

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24 24 24 24 25 25 25 25 27 28 29 30 31 31 32

7 Nicht-integrable Hamiltonsche Systeme 7.1 Poincar´e-Schnitte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.1 Spezialfall N = 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Familien von entarteten periodischen Bahnen . . . . . . . . . . 7.3 Beispiele von Poincar´e-Schnitten (N = 2) . . . . . . . . . . . . 7.3.1 Inkommensurabler harmonischer Oszillator (integrabel!) 7.3.2 Isotroper harmonischer Oszillator (integrabel!) . . . . .

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33 33 35 37 37 37 38

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5 Hamilton-Jacobi-Theorie 5.1 Die Hamilton-Jacobi-Gleichung . . 5.2 Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Eindimensionale Systeme . 5.2.2 Separable Systeme . . . . . 5.2.3 Separation in krummlinigen 5.2.4 Das Keplerproblem . . . . .

3

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7.4

7.5

7.3.3 Das Toda-Gitter (integrabel!) . . . . . . . . . . . . . 7.3.4 Das H´enon-Heiles Potential (nicht-integrabel!) . . . Der Lyapunov-Exponent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.1 Lineare Stabilit¨atsanalyse einer Trajektorie . . . . . 7.4.2 Definition des Lyapunov-Exponenten . . . . . . . . . 7.4.3 Praktisches Verfahren zur Berechnung von σ1 . . . . Stabilit¨ at von periodischen Bahnen . . . . . . . . . . . . . . 7.5.1 Monodromie-Matrix und Stabilit¨atsmatrix . . . . . . 7.5.2 Stabilit¨ at von periodischen Bahnen f¨ ur N = 2 . . . . 7.5.3 Beispiel: zweidimensionaler harmonischer Oszillator 7.5.4 Beispiel: zweidimensionale harmonische Sattelfl¨ache 7.5.5 Umgebung von Fixpunkten auf Poincar´e-Schnitten . 7.5.6 Wie findet man periodische Bahnen? . . . . . . . . .

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39 42 45 45 46 46 47 47 48 49 51 51 54

8 Zweidimensionale Billards 8.1 Wahl der Poincar´e-Variablen . . . . . . . . . 8.2 Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.1 Das Kreisbillard . . . . . . . . . . . . 8.2.2 Das elliptische Billard . . . . . . . . . 8.2.3 Ein asymmetrisch deformiertes Billard

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56 56 57 57 58 58

9 Logistische Abbildungen 9.1 Eindimensionale Abbildungen . . . . . 9.1.1 Lineare Abbildung . . . . . . . 9.1.2 St¨ uckweise lineare Abbildungen 9.1.3 Quadratische Abbildung . . . . 9.2 Zweidimensionale Abbildungen . . . .

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62 62 63 63 65 70

10 Bifurkationen 10.1 Parametrische Resonanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.1 Das gleichf¨ ormig rotierende mathematische Pendel . . . 10.2 Bifurkationen in Hamiltonschen Systemen . . . . . . . . . . . . 10.2.1 Beispiel der Hill-Gleichung f¨ ur eine gradlinige Libration 10.2.2 Klassifizierung der generischen Bifurkationen f¨ ur N = 2 10.2.3 Die transkritische Bifurkation . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.4 Bifurkationskaskaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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72 72 72 74 74 77 79 80

11 St¨ orungstheorie 11.1 Elementare St¨ orungstheorie . . . . . . . 11.2 Kanonische St¨ orungstheorie . . . . . . . 11.2.1 Eindimensionaler Fall . . . . . . 11.2.2 Beispiel: Harmonischer Oszillator 11.2.3 Mehrdimensionaler Fall . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . St¨orung . . . . .

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81 81 83 83 85 85

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87 87 89 90 92

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. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . mit kubischer . . . . . . . .

12 Das Poincar´ e-Birkhoff-Theorem und das KAM-Theorem 12.1 Das Theorem von Poincar´e und Birkhoff . . 12.2 Kettenbr¨ uche . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3 Das KAM-Theorem . . . . . . . . . . . . . 12.3.1 Beispiel: L¨ ucken im Asteroideng¨ urtel

4

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1

Variationsprinzip und Lagrange-Gleichung

Ein System besitze nach Abzug der holonomen Zwangsbedingungen N unabh¨ angige Freiheitsgrade. Zur Festlegung der Lagrange-Funktion werden N verallgemeinerte Koordinaten qi (t) und die dazugeh¨origen verallgemeinerten Ged qi (t) definiert. Wir schreiben in Kurznotation: schwindigkeiten q˙i = dt q(t) = {qi (t)} ,

q(t) ˙ = {q˙i (t)} .

(i = 1, 2, 3, . . . N )

(1)

Die Lagrange-Funktion selbst ist definiert durch ˙ L [q(t), q(t), t] = T − V .

(2)

Hierbei bezeichnet T die kinetische Energie, die bei Energieerhaltung bilinear in den Geschwindigkeiten ist N X 1 T = mij q˙i q˙j , 2 i,j=1

(3)

sowie V das ¨ außere Potential V = V (q, t) .

(4)

Der Massentensor kann selber ortsabh¨angig sein; z.B. im Falle von Polarkoordinaten: T = 21 m(r˙ 2 + r2 φ˙ 2 ). In den meisten F¨allen vereinfacht er sich allerdings zu mij = mi δij . In konservativen Systemen gilt ∂L ∂t = 0. Die Energie ist in diesem Fall erhalten: E = T + V = const. Zur Herleitung der Lagrange-Bewegungsgleichungen wird zun¨achst die Hamiltonsche Prinzipalfunktion (oft kurz: das Wirkungsintegral) definiert: Z t2 ˙ L [q(t), q(t), t] dt . (5) R := t1

Die Bewegungsgleichungen folgen nun, wenn man fordert, dass bei infinitesimaler Variation von q(t) unter Festhalten der Anfangs- und Endpunkte q(t) → q(t) + δq(t) ,

δq(t1 ) = δq(t2 ) = 0 ,

(6)

das Wirkungsintegral bis zur ersten Ordnung in δqi station¨ar bleibt: δR =0 δqi (t)

+ O[(δqi )2 ] .

Damit erh¨ alt man die Lagrange-Gleichungen 2. Art:   ∂L d ∂L − = 0. (i = 1, 2, 3 . . . N ) ∂qi dt ∂ q˙i

(7)

(8)

Bemerkungen: • Bei den Lagrange-Gleichungen handelt es sich um N Differentialgleichungen 2. Ordnung. Zur eindeutigen L¨osung werden pro Freiheitsgrad zwei Randbedingungen ben¨ otigt. Dies k¨onnen z.B. die 2N Anfangswerte qi (0), q˙i (0) sein, oder die N Koordinaten zu verschiedenen Zeiten: qi (t1 ), qi (t2 ). 5

• q(t) heißt Trajektorie bzw. Bahn (im Ortsraum). • Eine wichtige Rolle beim L¨osen von Bewegungsgleichungen nehmen Er˙ haltungsgr¨ oßen ein. Dies sind Funktionen f [q(t), q(t)], die nicht explizit zeitabh¨ angig und entlang der Bahn konstant sind: ˙ f [q(t), q(t)] = const.

2



d f = 0. dt

(9)

Hamilton-Gleichungen

¨ F¨ ur den Ubergang vom Lagrange- zum Hamilton-Formalismus werden die verallgemeinerten Impulse pi definiert (auch als die zu qi kanonisch konjugierten Impulse bezeichnet): pi :=

∂L , ∂ q˙i

p(t) = {pi (t)} .

(i = 1, 2, 3, . . . N )

(10)

Die Hamilton-Funktion erh¨ alt man nun durch eine Legendre-Transformation: H(q, p, t) :=

N X i=1

˙ t) . pi q˙i − L (q, q,

(11)

Dabei sind jetzt die Variablen pi , qi als voneinander unabh¨angig zu betrachten. Aus (8) - (11) folgen die Hamilton-Gleichungen: ∂H = −p˙i . ∂qi

∂H = q˙i , ∂pi

(12)

Bemerkungen: • Bei den Hamilton-Gleichungen handelt es sich um 2N gekoppelte Differentialgleichungen 1. Ordnung, ideal f¨ ur die Beschreibung des Systems im Phasenraum (s. Kap. 4). • pi und qi sind zueinander konjugierte Variablen. Ihr Produkt pi qi hat immer die Dimension einer Wirkung. • Falls ∂L ∂t = 0, folgt des Systems ist.

∂H ∂t

= 0, so dass H = E = const. die erhaltene Energie

• Die Gleichungen (12) k¨ onnen auch aus dem Variationsprinzip hergeleitet werden. Einerseits gilt: ! X ˙ t) dH(q, p, t) = d pi q˙i − L (q, q, i

= = =

X



∂L dt ∂t





i

i

∂L d ∂L dqi − dq˙i dpi q˙i + pi dq˙i − dt ∂ q˙i ∂ q˙i

X

X i

=



∂L ∂L dqi − dq˙i dpi q˙i + pi dq˙i − ∂qi ∂ q˙i

X i

(dpi q˙i + pi dq˙i − p˙i dqi − pi dq˙i ) − (dpi q˙i − p˙i dqi ) − 6

∂L dt . ∂t

∂L dt ∂t

∂L dt ∂t

Vergleicht man dies andererseits mit  X  ∂H ∂H ∂H dpi + dqi + dt , dH(q, p, t) = ∂p ∂q ∂t i i i

(13)

so folgt daraus (12). Dieses Variationsprinzip kann in Kurznotation auch so geschrieben werden: ! Z ➁ X pi dqi − Hdt = 0 . (14) δ ➀

i

Dabei stehen ➀ und ➁ f¨ ur die Randwerte q1 , t1 bzw. q2 , t2 .

3

Kanonische Transformationen

3.1

Poissonklammern

Sei f (q, p, t) eine beliebige differenzierbare Funktion. Dann gilt f¨ ur die totale Zeitableitung:   ∂f ∂f X ∂f ∂f df = + q˙i + p˙i = + [H, f ]p,q . (15) dt ∂t ∂qi ∂pi ∂t i Hierbei wurden bei der letzten Umformung die Bewegungsgleichungen (12) eingesetzt. Das Symbol [H, f ]p,q auf der rechten Seite ist dabei definiert als PoissonKlammer: (Achtung Reihenfolge! Ist in einigen B¨ uchern umgekehrt!)   X ∂g ∂f ∂g ∂f [g, f ]p,q := − . (16) ∂pi ∂qi ∂qi ∂pi i Bemerkungen: • Statt [g, f ]p,q verwenden wir im Folgenden die kurze Bezeichnung [g, f ]. Um Verwechslung mit dem quantenmechanischen Kommutator zu vermeiden, wird oft auch das Symbol {g, f } verwendet. • Aus Obigem folgt: Falls H = E, ∂f ∂t = 0 und [H, f ] = 0 folgt f = const., und damit ist auch f eine Erhaltungsgr¨oße. • Allgemeiner gilt das Theorem von Poisson: Falls f und g erhalten sind, so ist auch [g, f ] erhalten. • Beispiele von Poissonklammer-Relationen: [qi , qj ]

=

[pi , qj ]

= δij .

[pi , pj ] = 0 , (17)

• F¨ ur den Drehimpuls L = r × p gilt komponentenweise: [Li , Lj ] = −ǫijk Lk .

7

(i, j, k = 1, 2, 3)

(18)

3.2

Erzeugende Funktionen von kanonischen Transformationen

Folgende drei Aussagen sind ¨aquivalent: 1. (qi , pi ) sind kanonische Variablen, d.h., sie erf¨ ullen die PoissonklammerRelationen (17). 2. Es gelten die Hamilton-Gleichungen (12). 3. Es gilt das Variationsprinzip (14). Wir suchen nun eine kanonische Transformation qi pi

−→ Qi (q, p, t) −→ Pi (q, p, t) e −→ H(Q, P, t)

H(q, p, t)

(19)

e in den neuen kanonischen so, dass f¨ ur die transformierte Hamilton-Funktion H Variablen (Qi , Pi ) ebenfalls die Gleichungen (12) und (14) erf¨ ullt sind. Dazu schreiben wir nochmals das Variationsprinzip in den alten und neuen Variablen hin: ! ! Z ➁ X Z ➁ X e pi dqi − Hdt = δ δ Pi dQi − Hdt = 0 . (20) ➀

i

|

{z

dA

Es muss daher gelten

δ

Z



}



dA = δ

Z

|

i

{z

dB



}

dB .

(21)





Es d¨ urfen sich also dA und dB h¨ochstens um ein totales Differential dF unterscheiden, so dass gilt δ

Z





(dA − dB) =: δ

Z





dF = δ[F (t2 ) − F (t1 )] = 0 .

(22)

(Denn die Variationen an den Endpunkten sind immer gleich null!) Wir folgern daraus weiter: ! ! X X e dF = dA − dB = pi dqi − Hdt − Pi dQi − Hdt . (23) i

i

Diese Gleichung gen¨ ugt, damit die Hamilton-Gleichungen in beiden Paaren von Variablen g¨ ultig sind. (Der Beweis der Notwendigkeit existiert, ist aber schwierig.) Eine Funktion F , die Gl. (23) erf¨ ullt, heißt die erzeugende Funktion der kanonischen Transformation (19). Sie ist im Allgemeinen eine Funktion von allen 4N Variablen pi , qi , Pi , Qi . Es reicht aber, die Diskussion auf 4 Typen von erzeugenden Funktionen zu beschr¨anken,1 welche jeweils von N alten und N neuen Variablen abh¨ angen. Diese werden meist mit Fn (n = 1, 2, 3, 4) bezeichnet. 1 siehe

eine ausf¨ uhrliche Diskussion in Kuypers [2]

8

1. Typ: F = F1 (q, Q, t). Aus (23) folgt sofort: ∂F1 = pi , ∂qi

∂F1 = −Pi , ∂Qi

e = H + ∂F1 . H ∂t

Durch die Legendre-Transformation F2 (q, P, t) := F1 (q, Q, t) + der 2. Typ: F = F2 (q, P, t) mit ∂F2 = pi , ∂qi

∂F2 = Qi , ∂Pi

(24) P

i

Qi Pi folgt

e = H + ∂F2 . H ∂t

(25)

Analog findet man Erzeugende vom 3. und 4. Typ: F3 (p, Q, t) und F4 (p, P, t). e = H + ∂Fn /∂t. Falls ∂Fn /∂t = 0 gilt, so ist nur ein In allen vier F¨ allen gilt H e notwendig: H(Q, e Ersetzen der Koordinaten in H P, t) = H[q(Q, P), p(Q, P), t]. Beispiele:

(A) Identische Transformation: X F2 = qi P i = q · P



i

pi = Pi ,

Qi = qi .

(B) Punkttransformation (d.h. reine Koordinatentransformation): X X ∂fj F2 = Pi fi (q, t) ⇒ Qi = fi (q, t) , pi = Pj . ∂qi i j

(26)

(27)

Die neuen Koordinaten Qi h¨angen hier nur von den alten qi ab. Eine Bei¨ spiel ist der Ubergang von kartesischen auf sph¨arische Polarkoordinaten: q = (x, y, z) → Q = (r, θ, φ). Die neuen Impulse P = (pr , pθ , pφ ) k¨onnen dabei aus (27) bestimmt werden! (C) Vertauschung der Orts- und Impulskoordinaten: X F1 = qi Qi = q · Q ⇒ pi = Qi , i

Pi = −qi .

(28)

Bemerkungen: • Durch Wahl einer geeigneten kanonischen Transformation kann ein Problem vereinfacht werden. Insbesondere k¨onnen durch eine “ideale” Transformation alle neuen Koordinaten Qi zyklisch werden. Dies geht per Definition in integrablen Systemen (s. Beispiel 3.3 und Kap. 6.1)! • Allgemein gilt der Satz: Die Poisson-Klammer [f, g]p,q ist invariant unter kanonischen Transformationen: [f, g]p,q = [f˜, g˜]P,Q .

(29)

• Insbesondere gilt [Pi , Pj ]p,q

=

[Qi , Qj ]p,q = 0 ,

[Pi , Qk ]p,q

= δik ,

(30)

genau dann, wenn die zuge¨orige Transformation kanonisch ist. (Beweis siehe Goldstein [1].) 9

3.3

Der 1-dimensionale harmonische Oszillator:

p2 m + ω2 q2 . 2m 2 Sei die erzeugende Funktion 1. Art gegeben durch H(q, p) =

(31)

m 2 ω q cot Q . 2

F1 (q, Q) =

(32)

Dann findet man leicht p = mω q cot Q , und daraus q=

p

P =

2P/mω sin Q ,

1 m ω q2 2 2 sin Q

p=

(33)

√ 2mωP cos Q .

(34)

Merke: Die neue Hamiltonfunktion h¨angt nach der Transformation nur mehr vom Impuls P ab; Q ist somit eine zyklische Variable: e e )=E. H(Q, P ) = ωP cos2 Q + ωP sin2 Q = ωP = H(P

(35)

Dies ist also eine “ideale” kanonische Transformation, denn die Integration der Hamilton-Gleichungen wird nun trivial: e ∂H = −P˙ = 0 ⇒ ∂Q

e ∂H = Q˙ = ω = const. ⇒ ∂P

P = const. =

E , ω

Q(t) = ωt + α .

(36)

Zur¨ uckeingesetzt in die urspr¨ unglichen Koordinaten ergibt sich die bekannte L¨ osung: p q(t) = 2E/mω 2 sin(ωt + α) , (37) √ 2Em cos(ωt + α) . (38) p(t) =

4

Der Phasenraum

Unter dem Phasenraum Γ versteht man das direkte Produkt aus Ortsraum RN und Impulsraum PN : Γ = RN ⊗ PN ,

q ∈ RN

p ∈ PN .

Die Elemente von Γ sind Phasenraumvektoren ξ der Gestalt   q1  ..      .    q qN  , = ξ = {ξi } = ξ ∈ Γ.   p  p1   .   ..  pN

10

(39)

(40)

Ferner soll der folgende 2N -dimensionale Nabla-Vektor definiert werden T  ∂ ∂ ∂ ∂ ∂ ∇ := = ,..., , ,..., . ∂ξ ∂q1 ∂qN ∂p1 ∂pN

(41)

Mit seiner Hilfe k¨ onnen die Hamilton-Gleichungen kompakt geschrieben werden: ! ∂ ∂p H ˙ξ = = J ∇H(ξ, t) . (42) ∂ − ∂q H Die Matrix J sorgt hierbei f¨ ur Vertauschen der Orts- und Impulskomponenten und Richtigstellen der Vorzeichen und hat die Gestalt:   0 1 , (43) J := −1 0 wobei 1 = 1N die Einheitsmatrix bzw. 0 = 0N die Nullmatrix in N Dimensionen ist. J ist die symplektische Einheitsmatrix mit den Eigenschaften J2 = −12N , J−1 = JT = −J, JT J = 12N . Ferner spricht man bei ∇H(ξ, t) vom Hamiltonschen Fluss(-vektor) und bei ξ(t) von der Phasenraumtrajektorie oder Bahn des Teilchens im Phasenraum. Bemerkungen: • F¨ ur N > 1 ist die Darstellung des Phasenraums auf einer Zeichenebene nicht m¨ oglich. Es kann nur ein Unterraum visualisiert werden. • F¨ ur konservative Systeme (E=const.) liegt die Trajektorie ξ(t) auf einer (2N − 1)-dimensionalen Hyperfl¨ache (“Energieschale”). Bei N = 1 gibt dies eine 1-dimensionale Phasenraumkurve (siehe die Beispiele unten). • Eine Kurve ξ(t) kann sich nie in einem Punkt ξ 0 kreuzen (außer mit Winkel null, s.u.). Dies folgt aus der Eindeutigkeit der L¨osungen der HamiltonGleichungen bei gegebenem Anfangspunkt ξ 0 . • Falls ξ(t + T ) = ξ(t) mit 0 < T < ∞, dann heißt die Bahn periodisch. In 1-dimensionalen Systemen ist jede Bahn eines gebundenen Teilchens periodisch. • Das Wirkungsintegral S einer periodischen Bahn definiert sich zu I I X N Z T N X pi q˙i dt . S = p · dq = pi dqi = i=1

i=1

(44)

0

S ist invariant unter kanonischen Transformationen: I I (q, p) −→ (Q, P) : S = p · dq = P · dQ . Das Wirkungsintegral, oder kurz: die Wirkung S ist eine Funktion der Energie des Teilchens: S(E). Aus der Funktion S(E) erhalten wir die Periode T (E) durch die Beziehung T (E) =

11

dS(E) . dE

4.1

Phasenraumportraits

Es ist oft aufschlussreich, die Phasenraumkurven oder Phasenraumportraits zu betrachten, die durch Elimination der Zeitvariablen t aus q(t) und p(t) (f¨ ur verschiedene festgehaltene Werte der Energie E) entstehen. Im Folgenden zeigen wir einige Beispiele von Phasenraumportraits von eindimensionalen Systemen. Dabei sind besonders die sogenannten Fixpunkte (q0 , p0 ) zu beachten, an denen gilt q(q ˙ 0 , p0 ) = p(q ˙ 0 , p0 ) = 0. Diese k¨onnen stabil oder instabil sein; was dies bedeutet, ist in den folgenden Beispielen offensichtlich. Allgemein werden wir uns mit der sog. linearen Stabilit¨atsanalyse periodischer Bahnen im Abschn. 7.4 befassen. Beispiele: (A) 1-dim. harmonischer Oszillator: m 2 2 V (q) = ω q 2

p

(45) 1

2

q

Es ergeben sich Ellipsen. Die Umlaufzeit (Periode) ist unabh¨angig von der Energie T = 2π/ω.

V(q)

Fixpunkt: (0, 0) (stabil). E0

1

0

q0 q

(B) Quartischer Oszillator: p

V (q) = q 4

(46) -1

Die Kurven sind nicht mehr Ellipsen, haben aber dieselbe Topologie. Fixpunkt: (0, 0) (stabil).

q

V(q)

E0

0

12

q0 q

(C) Quartischer Oszillator mit Sattelpunkt: V (q) =

1 4 1 2 q − q 4 2

p

(47) q

Merke: F¨ ur E = E ∗ (E ∗ = Energie des Maximums bei q = 0) ergibt sich eine Figur-8-Bahn mit Kreuzpunkt bei p = q = 0. (Diese entspricht einer uneigentlichen L¨ osung mit unendlicher Periode, genannt Separatrix.) F¨ ur E < E ∗ ergeben sich zwei getrennte geschlossene Kurven. Fixpunkte: (0, 0) (instabil), (±1, 0) (stabil).

V(q)

E0 0

(D) Kubischer Oszillator: 1 1 V (q) = q 2 − q 3 2 3

q0 q

p (48)

In diesem Fall ist der Phasenraum offen bzw. nicht kompakt. Teilchen mit einer Energie E > E ∗ (E ∗ = Energie des Maximums) sind nicht gebunden. Fixpunkte: (0, 0) (stabil), (1, 0) (instabil).

3

q

E0 0 q0

q

V(q)

(E) Beispiel eines nicht-konservativen Systems: ged¨ ampfter harmonischer Oszillator: q¨ + λq˙ + ω 2 q = 0 .

p

(49)

Die bekannte L¨ osung ist (f¨ ur ω > λ/2) q(t) = q0 e−λt/2 sin(ν t + α) p mit ν = ω 2 − λ2 /4.

(50)

Fixpunkt: (0,0) (stabil).

13

q

(F) Die Riccati-Gleichungen p˙ q˙

= p − q − p (q 2 + p2 ) = p + q − q (q 2 + p2 )

beschreiben ein weiteres nicht-konservatives System und sind also keine Hamilton-Gleichungen! Man kann sie aber l¨osen mit dem Ansatz R(t) = q 2 (t) + p2 (t), der auf die eindimensionale Gleichung R˙ = 2 R (1 − R) f¨ uhrt, und findet die L¨ osung C1 e2t R(t) = C1 e2t + C2 mit beliebigen Konstanten C1 , C2 . Da R(t) −→ 1 f¨ ur t → ∞ gilt, sind die Phasenraumkurven also Spiralen, die – je nach Wahl der Konstanten C1 , C2 von innen oder außen kommend – sich dem Einheitskreis R = q 2 + p2 = 1 ann¨ahern. (0,0) ist instabiler Fixpunkt; der Kreis R = 1 ist eine stabile “Fixkurve” (zweidimensionaler Fixpunkt), hier Attraktor oder Grenzzyklus genannt. Dieses System ist auch unter dem Namen R¨ ossler-Oszillator bekannt.

4.2

Das Theorem von Liouville

Das Theorem von Liouville lautet in folgenden ¨aquivalenten Formulierungen: • Der Hamiltonsche Fluss ist divergenzfrei:  X  ∂ q˙i ∂ p˙i ˙ + =0 ∇·ξ = ∂qi ∂pi i

(51)

bzw. der Phasenraum ist inkompressibel. • Das Volumenelement dΓ des Phasenraums ist invariant unter kanonischen Transformationen: ! ! N ! ! N N N Y Y Y Y ! dΓ := (52) dpi = dqi dPi . dQi i=1

i=1

i=1

i=1

• Die Jacobi-Determinante einer kanonischen Transformation ist eins: ∂(Q1 , . . . , QN , P1 , . . . , PN ) ∂(q1 , . . . , qN , p1 , . . . , pN ) =

∂Q1 ∂q1

...

.. .

∂PN ∂q1

...

∂Q1 ∂qN

∂Q1 ∂p1

∂PN ∂qN

∂PN ∂p1

14

...

∂Q1 ∂pN

.. .

...

∂PN ∂pN

= 1.

(53)

4.3

Das mathematische Pendel

Das mathematische Pendel ist der Prototyp eines 1-dimensionalen nichtlinearen Systems. Wir besprechen es deshalb ausf¨ uhrlich und f¨ uhren bei der Gelegenheit die elliptischen Integrale und die Jacobischen elliptischen Funktionen ein.

y

V(φ) ϕ

x

−π

l

π

Aus l = const. folgt N = 1; die verallgemeinerte Koordinate sei φ. m 2 ˙2 l φ + mgl cos φ , 2 pφ = ml2 φ˙ , p2φ H(φ, pφ ) = − mgl cos φ . 2ml2 ˙ = L (φ, φ)

(54) (55) (56)

Die Bewegungsgleichungen lauten nach Lagrange (bzw. Newton): lφ¨ + g sin φ = 0

(57)

und nach Hamilton: φ˙ p˙φ

pφ , ml2 = −mgl sin φ . =

(58)

Zur Bestimmung der allgemeinen L¨osung benutzt man die Energieerhaltung: E= woraus folgt t(φ) = l

r

m 2 ˙2 l φ − mgl cos φ , 2 m 2

Z

0

φ

dφ′ √ . E + mgl cos φ′

(59)

(60)

Im letzten Schritt wurde o.B.d.A. φ(t = 0) = 0 gew¨ahlt. Die folgenden Schritte dienen zur Transformation des Integrals auf die Standardform eines elliptischen Integrals (nach Landau & Lifshits [3]). 4.3.1

E < mgl

Man f¨ uhre eine Konstante φ0 so ein, dass E = −mgl cos φ0 .

15

(61)

Dann folgt

s

Z

φ

dφ′ √ . (62) cos φ′ − cos φ0 0     Mit cos φ′ − cos φ0 = 2 cos2 (φ′/2) − cos2 (φ0 /2) = 2 sin2 (φ0 /2) − sin2 (φ′/2) und der Substitution sin(φ′ /2) sin ξ = (63) sin(φ0 /2) t(φ) =

l 2g

folgt t(φ)

s

=

l 1 g 2 sin(φ0 /2)

s Z l γ = g 0 wobei wir definiert haben γ

=

k2

=

Z

φ

q

dφ′

1 − sin2 ξ(φ′ ) s dξ l p F (γ, k) , = 2 g 1 − k 2 sin ξ 0



 sin(φ/2) arcsin , sin(φ0 /2) sin2 (φ0 /2) .

(64)

(65) (k 2 < 1)

(66)

Die rechte Seite von (64) enth¨alt das unvollst¨ andige elliptische Integral erster Art F (γ, k) als Funktion einer Variablen γ und eines Parameters k: Z γ dξ p F (γ, k) := . (67) 0 1 − k 2 sin2 ξ

F¨ ur einen vollen Ausschlag des Pendels ist der Endwinkel gleich dem Umkehrwinkel, φ = φ0 , und damit sin γ = 1 ⇒ γ = π/2. In diesem Falle erh¨alt man das vollst¨ andige elliptische Integral erster Art K(k): π  ,k . (68) K(k) := F 2

Die volle Periode ist vier mal der Zeit aus der Nullpunktslage bis zum Umkehrpunkt und betr¨ agt damit s l T =4 K(k) . (69) g F¨ ur den Grenzfall E → mgl folgt k → 1. Dabei divergiert K(k) und somit T → ∞. Im Falle kleiner Energien E → −mgl ergibt sich dagegen, wegen qφ0 → 0 π k → 0 und K(0) = 2 , die Periode des harmonischen Pendels: T = 2π gl (vgl.

die Diskussion der Grenzf¨ alle in 4.3.3). Das elliptische Integral 1. Art kann auch invertiert werden. Die Umkehrfunktion heißt Jacobische elliptische Funktion und wird mit sn(u, k) bezeichnet. Sie ist definiert durch sn(u, k) := sin γ ,

16

u = F (γ, k) .

(70)

sn(u, k) ist eine periodische Funktion mit der reellen Periode 4K(k). Mit r  g sin(φ/2) sn t, k = sin γ = (71) l sin(φ0 /2) erhalten wir daraus die exakte analytische L¨osung der Pendelgleichung:   r g t, k . (E < mgl) φ(t) = 2 arcsin sin(φ0 /2) sn l

(72)

Im Grenzfall E ↑ mgl und damit k → 1 wird die Jacobi-elliptische Funktion zu sn(u, k) −→ tanh(u) ,

(k → 1)

(73)

d.h. sie wird aperiodisch mit Periode T = ∞ und stellt die sog. Separatrix dar (s. Abschn. 4.3.4). Im anderen Grenzfall φ0 ≪ 1, E → −mgl und damit k → 0 wird sie zur Sinusfunktion: sn(u, k) −→ sin(u) ,

(k → 0)

(74)

und die allgemeine L¨ osung (72) geht in die bekannte harmonische L¨osung kleiner Auslenkungen u ¨ber (s. Abschn. 4.3.3). 4.3.2

E > mgl

Hier definieren wir eine neue Konstante µ durch µ = mgl/E < 1 .

(75)

Das Integral (60) kann dann direkt aus Integraltabellen gefunden werden:  r  Z φ dξ 2µ φ √ =F . (µ < 1) (76) , 2 1+µ 1 + µ cos ξ 0 Mit q2 = wird also t(φ) =

2mlg 2µ = 0. Diese sind definiert entlang den elementaren Schleifen Cn : I 1 In = p · dq . (n = 1, . . . , N ) (126) 2π Cn Beachte, dass die Gr¨ oßen In > 0 eindeutig sind. [Die pi (q) sind i.A. zwei¨ deutig; bei dem Integral (126) m¨ ussen beide Aste verwendet werden.]

• Die “optimale” kanonische Transformation ist also (qi , pi )

−→ (Φi , Ii ) , e −→ H(I) .

H(q, p)

(127)

Die neuen Winkel/Wirkungs-Variablen (Φi , Ii ) (englisch: action-angle variables) werden oft auch Torusvariablen genannt. Die Hamilton-Gleichungen und ihre trivialen L¨osungen in den Torusvariablen lauten: e ∂H =0 I˙i = − ∂Φi e ∂H Φ˙ i = = Ωi = const. ∂Ii



Ii = const.,



Φi (t) = Ωi t + βi .

(128)

Die Phasen βi bilden dabei neben den Ii weitere N Integrationskonstanten. 26

• F¨ ur N = 1 kann das Integral I1 = I (126) folgendermaßen Hinterpretiert werden: Betrachtet man die Variablen (q, p), so ist 2πI = S = p dq genau die Fl¨ ache, die von der Phasenraumkurve eingeschlossen wird (a). In den Variablen (Φ, I) dagegen ist 2πI der Umfang eines Kreises mit Radius I (b) oder die Fl¨ ache eines Rechtecks mit den Seiten I, 2π (c) – je nachdem, ob man Φ und I als polare oder kartesische Koordinaten auffasst. a)

b)

c)

p

I

Φ I

S

S

q

2π Φ

0

Die Wahl der (Φi , Ii ) als polare Variablen (im Phasenraum) ist die nat¨ urliche im Hinblick auf ihre Definition auf dem N -Torus. Man beachte auch, dass die Ωi = Φ˙ i echt physikalische Kreisfrequenzen darstellen. 6.3.2

Beispiel: Der zweidimensionale harmonische Oszillator

Gegeben sei die Hamiltonfunktion H=

1 m 2 2 (p2 + p22 ) + (ω q + ω22 q22 ) = E = E1 + E2 , 2m 1 2 1 1

wobei Ei = p2i /2m + (m/2)ωi2 qi2 . Aufl¨osen nach pi ergibt q (i = 1, 2) pi (qi ) = ± 2mEi − ωi2 m2 qi2 .

(129)

(130)

Da H in (129) separabel ist, k¨onnen wir als elementare Schleifen Ci gerade die Phasenraumbahnen in den einzelnen Ebenen (pi , qi ) w¨ahlen, die jeweils Ellipsen sind (siehe 4.1). Damit folgt f¨ ur die Wirkungen Ii 1 Ii = 2π

I

1 pi (qi ) dqi = π Ci

(0)

mit den Grenzen ±qi

Z

(0)

+qi

(0)

pi (qi ) dqi

(i = 1, 2)

p = ± 2Ei /mωi2 . Das obige Integral ergibt:

Ii = Ei /ωi



(131)

−qi

e H(I) = ω1 I1 + ω2 I2 .

(132)

F¨ ur die Erzeugende der Transformation findet man

S = S1 (q1 , I1 ) + S2 (q2 , I2 )

(133)

mit Z

qi

q

2mIi ωi − m2 ωi2 q ′ 2 dq ′ 0 r  q mωi 1 2mIi ωi − m2 ωi2 qi2 qi . = Ii arcsin qi + 2Ii 2

Si (qi , Ii ) =

27

(134)

Damit sind die Winkelvariablen ∂Si Φi = = arcsin ∂Ii

r

mωi qi 2Ii



.

(i = 1, 2)

(135)

Geht man zur¨ uck auf die urspr¨ unglichen Koordinaten, so findet man mit (135) und (128) die bekannten Oszillatorl¨osungen: (0)

qi (t) = qi sin(ωi t + αi ) .

(136)

F¨ ur diese L¨ osungen gilt Folgendes: • Die Bahnen {qi (t)} sind i.A. aperiodisch oder quasiperiodisch, d.h. sie schließen sich u ¨berhaupt nie (resp. erst bei t = ∞). • Es existieren immer periodische L¨osungen in Form von Librationen entlang den beiden Achsen qi . • Im Sonderfall, wo ω1 : ω2 rational ist, gibt es ausschließlich periodische Bahnen, die bekannten Lissajous-Figuren (s.a. Abschn. 7.5.3). Weitere Beispiele, wie man Torusvariablen auffindet, werden im Abschn. 6.5.1 gezeigt bzw. erw¨ ahnt.

6.4

Periodische Bahnen auf dem N -Torus

Im Phasenraum bewegen sich im Falle von N = 2 die Trajektorien auf einen 2Torus. Falls das Frequenzverh¨altnis Ω1 : Ω2 6∈ Q, also irrational ist, windet sich die Bahn um den Torus und schließt sich nicht in endlicher Zeit. Der Phasenraum wird komplett durchlaufen, die Torusoberfl¨ache wird dabei gleichm¨aßig u ¨berdeckt. Man spricht auch von einem ergodischen System. Nur die beiden Bahnen entlang den elementaren Schleifen sind hier periodisch. Ist das Frequenzverh¨ altnis dagegen rational: n Ω1 = , Ω2 m

n, m ∈ N

(137)

so spricht man oft von “rationalen Tori”. Periodische Bahnen sind isolierte, in sich geschlossene Kurven, die nicht die ganze Torusoberfl¨ache u ¨berdecken. Durch Variation der Anfangsbedingungen k¨onnen sie aber entlang des Torus kontinuierlich verschoben werden. ¨ Im N -dimensionalen Fall gilt Ahnliches. Die Bedingung f¨ ur die Periodizit¨ at einer Bahn lautet, dass alle Verh¨altnisse Ωi : Ωj = n : m rational sein m¨ ussen: Ωi : Ωj = n : m

∀ (i, j) ,

n, m ∈ N .

(138)

(i = 1, . . . , N )

(139)

Dies kann auch so ausgedr¨ uckt werden: Ωi =

e 2π ∂H = ni , ∂Ii T

ni ∈ N .

Jede periodische Bahn kann also durch einen Satz n = {ni } von N ganzen Zahlen charakterisiert werden. (Achtung: die Umkehrung gilt nicht!) 28

Merke: Die Frequenzen Ωi (139) sind zwar konstant, h¨angen aber im Allgemeinen von den Ij ab: e ∂ H(I) = Ωi (I) , (140) ∂Ii e d.h., H(I) ist i.A. nicht linear in den Ii . Der harmonische Oszillator bildet mit (132) eine Ausnahme!

6.5

EBK-Quantisierung

Die EBK-Quantisierung, so genannt nach Einstein, Brillouin und Keller, stellt die mehrdimensionale Verallgemeinerung der WKB-Quantisierung dar. In einer Dimension lautet diese bekanntlich (s. [10], Abschn. 2.2) I S = p dq = h (n + α) , n ∈ N (141) wobei h = 2π~ das Plancksche Wirkungsquantum ist. Die Konstante α fehlte bei der urspr¨ unglichen Bohr-Sommerfeld-Quantisierung. Im Normalfall ist α ≥ 0 . Liegt ein “weiches Potential” V (q) vor, dessen Ableitungen an den klassischen (0) (0) Umkehrpunkten qi – definiert durch E = V (qi ) – endlich sind, so ergibt sich durch lokales Anpassen der WKB-Wellenfunktion an die exakte L¨osung mit linearisiertem Potential an beiden Umkehrpunkten je eine Phase von π/4, ¨ also insgesamt α = 1/2. Eine ¨ahnliche Uberlegung f¨ uhrt bei unendlich steilen W¨ anden (Billard, “hartes Potential”) zu einer Phase π/2 pro Reflexion und damit zu α = 1. Falls an einem Umkehrpunkt eine “harte” und am anderen eine “weiche” Reflexion stattfindet (z.B. im “halben” harmonischen Oszillator mit einer refektierenden Wand bei x = 0 oder f¨ ur einen Massepunkt im Schwerefeld der Erde, der am Boden reflektiert wird), dann wird α = 3/4. F¨ ur ein N -dimensionales integrables System kann nun in den Torusvariablen einzeln genauso verfahren werden: die Quantisierung (141) kann einzeln f¨ ur jedes der Ii durchgef¨ uhrt werden. Dies liefert die EBK-Quantisierung: I 1 p · dq = ~ (ni + αi ) . ni = 0, 1, 2, . . . (142) Ii = 2π Ci Die αi heißen Maslov-Indizes und sind wie oben definiert, d.h. f¨ ur jede Schleife Ci durch αi

=

1 × (Zahl der ”weichen” Umkehrpunkte) 4 1 × (Zahl der ”harten” Umkehrpunkte) . + 2

(143)

Bemerkungen: • Die EBK-Gleichungen (142) ergeben eine implizite Quantisierungsbedingung f¨ ur die Energie: e e E = H(I) = H[~(n + α)]



E = E(n1 , . . . , nN ) = EnEBK .

(144)

Dabei sind n = (n1 , . . . , nN ) die Quantenzahlen, welche die diskreten Energien EnEBK (und die entsprechenden Zust¨ande) charakterisieren, und α = (α1 , . . . , αN ) ist der Vektor der N Malov-Indices. 29

e • Oft kann H(I) nicht explizit angegeben werden. In diesem Fall m¨ ussen die En anhand der Gleichung (144) numerisch iteriert werden.

e • Achtung: im Allgemeinen h¨angen die Ωi = ∂ H/∂I i von den I und damit auch von der Energie und den anderen Erhaltungsgr¨oßen ab: Ωi (I) = Ωi (E, . . . ). Der harmonische Oszillator bildet hier eine Ausnahme.

• In den meisten F¨ allen gilt EnEBK 6= Enqm , d.h., die EBK-Quantisierung gibt nicht das exakte quantenmechanische Spektrum. Die EBK-N¨aherung wird jedoch besser f¨ ur gr¨oßere Werte der ni ; dies entspricht dem Bohrschen Korrespondenzprinzip. Harmonische Oszillatoren (s. das Beispiel A unten), integrable polygonale Billards (Beispiele B und C) und das Coulomb-Potential (Beispiel D) bilden Ausnahmen: f¨ ur sie wird die EBKQuantisierung exakt. • Die Zahl der Umkehrpunkte ist null, und damit αi = 0, wenn die verallgemeinerte Koordinate qi = ϕ ein zyklischer Winkel ist, der den ganzen Bereich [0, 2π) u ¨berstreicht. Weil dann ϕ = 0 identisch mit ϕ = n 2π (n ∈ N) ist, gibt es hier keinen Umkehrpunkt. 6.5.1

Beispiele

(A) Harmonischer Oszillator: e= H

N X

ωi Ii ,

ωi = const.

(145)

i=1

Hier sind die Maslov-Indices αi = 1/2. Die Integrale in (142) sind analytisch durchf¨ uhrbar und liefern das bekannte quantenmechanische Resultat: E(n) =

N X

~ωi (ni + 1/2) .

(146)

i=1

Die EBK-Quantisierung ist in diesem Falle exakt. Die Maslov-Indizes sorgen f¨ ur die richtigen Nullpunktsenergien. (B) Das Rechtecksbillard mit Seitenl¨angen a und b: Der Impuls pi wechselt bei jeder Reflexion an einer Wand in Richtung i (qi = x, y) sein Vorzeichen: pi → −pi . Sein Betrag bleibt jedoch erhalten: |pi | = const. Ferner gilt pi dqi > 0. W¨ahlt man nun2 I 1 a I1 = px dx = |px | , (147) 2π Cx π I 1 b I2 = py dy = |py | , (148) 2π Cy π dann transformiert sich die Hamiltonfunktion zu   π 2 I12 I22 1 2 . (px + p2y ) = + H= 2m 2m a2 b2

(149)

2 Ein Rechteck, bei dem die gegen¨ uberliegenden Seiten periodisch aufeinander zur¨ uckgefaltet werden, ist a ¨quivalent zu einem 2-Torus!

30

Hier sind die Maslov-Indices aufgrund der “harten” Reflexionen αi = 1. Es folgt Ii = ~ (ni + 1) mit ni = 0, 1, . . . und damit das EBK-Spektrum   π 2 ~2 n21 n22 En1 ,n2 = , n1 , n2 = 1, 2, 3, . . . (150) + 2m a2 b2 Wieder werden die quantenmechanischen Eigenwerte (bei Dirichlet-Randbedingung!) exakt wiedergegeben. (C) Das gleichseitige Dreiecksbillard: siehe [9], Abschn. 3.2.7. (D) Das Coulomb-Potential: man erh¨alt das exakte Rydberg-Spektrum f¨ ur das H-Atom! (Siehe [10], Abschn. 2.3.3.)

6.6

Semiklassische Spurformeln

Semiklassische Spurformeln bilden eine Br¨ ucke zwischen Quantenmechanik und klassischer Mechanik. Sie erlauben es, die quantenmechanische Zustandsdichte (oder Niveaudichte) durch eine Summe u ¨ber die periodischen klassischen Bahnen eines gegebenen Systems auszudr¨ ucken. Meist klappt dies nur n¨aherungsweise, liefert aber oft recht gute N¨ aherungen. In einigen integrablen Systemen gibt es exakte Spurformeln, d.h., die Summe u ¨ber alle klassischen periodischen Bahnen liefert die exakte quantenmechanische Zustandsdichte (s. [9], Abschn. 3.2 und [10], Abschn. 3.1 f¨ ur Beispiele). 6.6.1

Integrable Systeme: die Berry-Tabor-Spurformel

In einem integrablen System kann man mit Hilfe der EBK-Quantisierung ein gen¨ ahertes Energiespektrum und damit eine gen¨aherte Niveaudichte berechnen: X X g EBK (E) = δ(E − EnEBK ) ≈ g qm (E) = δ(E − Enqm ) . (151) n

n

Die ganzen Zahlen-N -tupel n = {ni } (i = 1, . . . , N ) bedeuten hierbei die N Quantenzahlen, die das Energiespektrum vollst¨andig charakterisieren. Es kann nun gezeigt werden (Berry und Tabor, 1976, 1977; Creagh und Littlejohn, 1992), dass folgende semiklassische Spurformel f¨ ur die Niveaudichte gilt:   X 1 (152) g (E) ≈ Am (E) cos Sm (E) − βm . ~ m Die ganzen Zahlen-N -tupel m = {mi } (i = 1, . . . , N ) charakterisieren hierbei die periodischen Bahnen des Systems entsprechend Gl. (139). Die Phasen βm h¨ angen mit den Maslov-Indices zusammen, und die Wirkungen Sm sind gegeben durch Sm = 2π m · I . (153) Bemerkung: • Die Spurformel (152) enth¨alt auch eine “Bahn der L¨ange Null”, definiert durch das “leere” N -tupel m = (0, 0, . . . , 0). Dieses ergibt genau den mittleren Anteil ge (E) der Niveaudichte, der auch im (erweiterten) ThomasFermi-Modell berechnet werden kann (s. [9], Kap. 4). 31

Die Spurformel (152) kann im Wesentlichen dadurch hergeleitet werden, dass man von der linken Seite von Gl. (151) ausgeht und dann die Summationen u ¨ber die Quantenzahlen ni mittels der Poisson-Summenformel (siehe [10], Abschn. 3.1.1) n¨ aherungsweise auswertet, indem man die darin auftretenden Integrale (teilweise) in Sattelpunkts-N¨aherung l¨ost (siehe [9] Abschn. 2.7 und 6.1.4, sowie [10] Abschn. 3.1.8). 6.6.2

Chaotische Systeme: die Gutzwiller-Spurformel

F¨ ur nicht-integrable Systeme gibt es keine globalen Tori und keine allgemeine Quantisierungsvorschrift. Eine Spurformel f¨ ur den oszillierenden Anteil δg (E) = g (E) − ge (E) der Niveaudichte wurde dennoch von Gutzwiller (1971) hergeleitet (s. dae Buch [4] und die darin zitierten Originalartikel von Gutzwiller) und hat die Form:   X π 1 (154) Spo (E) − σpo . δg(E) ≈ Apo (E) cos ~ 2 po Sie gilt streng genommen nur f¨ ur chaotische Systeme, in denen alle periodischen Bahnen (“po”) isoliert und hyperbolisch instabil sind. Inzwischen gibt es auch Verallgemeinerungen f¨ ur Systeme mit entarteten Bahnen (d.h. Systeme mit kontinuierlichen Symmetrien) und spezielle uniforme N¨aherungen f¨ ur Bifurkationen ¨ und symmetriebrechende Uberg¨ ange, wo (154) divergiert. F¨ ur weitere Details zur Gutzwiller-Theorie und zur Definition der in (154) auftretenden Gr¨oßen verweisen wir auf das Lehrbuch [9], Kap. 5 und 6, sowie das Vorlesungsskript [10].

32

7

Nicht-integrable Hamiltonsche Systeme

Im Folgenden soll ein konservatives Hamiltonsches System mit N ≥ 2 Freiheitsgraden untersucht werden: H(q, p) =

p2 + V (q) = E , 2m

q, p ∈ RN .

(155)

Die Dynamik des Systems wird durch die Hamilton-Gleichungen beschrieben:   ∂H ∂H q(t) , p˙i = − , ⇒ ξ(t) = . (156) q˙i = p(t) ∂pi ∂qi 2N Der gesamte Phasenraum ist ein 2N -dimensionaler Vektorraum R . Durch  2N (155) wird er auf die “Energieschale” RE := ξ ∈ R H(ξ) = E mit (2N −1) Dimensionen eingeschr¨ ankt. Im Allgemeinen sind die Phasenraumkurven ξ(t) ∈ RE ab N = 2 nur schwierig zu visualisieren. Daher beschr¨ankt man sich auf gewisse Unterfl¨ achen, wie sie von Poincar´e eingef¨ uhrt wurden.

7.1

Poincar´ e-Schnitte

Henri Poincar´e gewann 1890 mit einer 270-seitigen Abhandlung u ¨ber das Dreik¨ orperproblem einen am schwedischen Hof ausgeschriebenen Preis f¨ ur L¨osungsvorschl¨ age zu den damals aktuellsten mathematischen Problemstellungen. In seiner Arbeit erkannte Poincar´e, dass das Dreik¨orperproblem keine geschlossenen L¨ osungen zul¨ asst (wir sagen heute: dass es nicht integrabel ist) und analysierte in bahnbrechender Weise die Dynamik von nicht-integrablen Systemen. Er legte damit die Grundlagen zur Chaos-Theorie, obwohl diese erst sehr viel sp¨ ater (unter Zuhilfenahme von Computern) entwickelt wurde. Poincar´e f¨ uhrte u.a. Schnitte der Kurven ξ(t) mit einer (2N − 1)-dimensionalen Hyperfl¨ ache Σqi ein, die wie folgt definiert ist: n o (0) Σqi := ξ ∈ R2N qi = qi , (157) (0)

d.h. man legt eine (beliebige) Variable qi auf einen bestimmten Wert qi fest. Auf Σqi registriert man nun die Durchstoßpunkte der Trajektorie ξ(t) zu genau den Zeiten tn , an denen sie Σqi in einer (z.B. positiver) Richtung (also z.B. mit pi > 0) durchkreuzt. Dies ergibt eine diskrete Folge von Punkten ξ(tn ) mit n = 0, 1, . . . , wobei ξ(t0 ) als Anfangspunkt gew¨ahlt wird. Die Punkte ξ(tn ) vermitteln nun ein stroboskopisches Abbild der Trajektorie. Merke: Σqi ist verschieden von der Energieschale RE ! Der Durchschnitt von Σqi mit RE ergibt eine (2N − 2)-dimensionale Hyperfl¨ache ΣEqi : n o (0) (158) ΣEqi := Σqi ∩ RE = ξ ∈ R2N qi = qi , H(ξ) = E .

Aus der Energie-Erhaltung

(0)

H(q1 , . . . , qi , . . . , qN , p1 , . . . , pN ) = E

(159)

kann nun der zu qi geh¨ orige Impuls pi > 0 eindeutig aus E, qi und den u ¨brigen 2N − 2 Variablen (außer qi , pi ) berechnet werden. (Die Wahl von pi > 33

0 entspricht positiver Durchstoßrichtung von ξ durch Σqi .) Damit k¨onnen qi und pi als bekannt vorausgesetzt werden. Die Menge aller u ¨brigen Variablen spannt dann eine (2N − 2)-dimensionale Hyperfl¨ache auf, die wir die Poincar´eSchnittfl¨ ache (engl.: Poincar´e surface of section, PSS) nennen und kurz mit Σ bezeichnen: n o (0) Σ := ξ ∈ R2N qi = qi , pi = 0 . (160)

Die Punkte in Σ bezeichnen wir im Folgenden mit ξ Σ . Die diskrete Folge von Punkten ξ Σ (tn ) heißt kurz der Poincar´e-Schnitt. [Achtung: In der Mathematik bezeichnet man mit “Poincar´e-Schnitt” meist die (2N − 1)-dimensionale Hyperfl¨ ache Σqi resp. die darin liegenden Durchstoßpunkte.] Merke: Das in (160) definierte Σ ist die Projektion von ΣEqi auf pi = 0 und liegt damit selber nicht in der Energieschale RE ! Aber jeder Punkt ξ Σ ∈ Σ (0) legt mittels der Kenntnis von E, qi = qi und der aus (159) bekannten Funk(0) tion pi (ξ Σ , E, qi ) die Trajektorie ξ(t) eindeutig fest. Die Folge der Punkte ξ Σ (tn ) ∈ Σ ergibt also ein vollst¨ andiges (2N − 2)-dimensionales stroboskopisches Abbild der Trajektorie ξ(t). Bemerkungen: • F¨ ur ein gebundenes System liegen alle Punkte ξ Σ in einem kompakten Teilgebiet von Σ. Dessen Rand ∂ΣE entspricht dem Durchschnitt von Σ mit der Energieschale: ∂ΣE = Σ ∩ RE

(161)

und enth¨ alt genau die Punkte mit pi (tn ) = 0, also bloß Ber¨ uhrungspunkte ur die von ξ(t) mit Σqi oder Trajektorien, die ganz in Σqi liegen (und f¨ streng genommen gar keine Durchstoßpunkte definiert werden k¨onnen!). • Periodische Bahnen mit ξ(t + T ) = ξ(t) erzeugen eine endliche Menge von Schnittpunkten, die zyklisch durchlaufen werden. Diese Punkte heißen Fixpunkte der (iterierten) Poincar´e-Abbildung ξ Σ (tn ) → ξ Σ (tn+1 ) → ξ Σ (tn+2 ) . . . . Wenn ξ Σ (tn ) = ξ Σ (tn+m ) mit kleinstm¨oglichem m gilt, dann ist tn+m − tn = T die “primitive” Periode der Bahn. Man spricht dann oft von einer “Bahn der Periode m”. • Nicht-periodische Bahnen f¨ uhren hingegen zu unendlich vielen Schnittpunkten. Diese werden i.A. endliche Teilgebiete der Schnittfl¨ache Σ u ¨berdecken. In einem voll chaotischen System wird das ganze energetisch erlaubte Teilgebiet von Σ gleichm¨aßig u ur t → ∞; Ergodenhypo¨berdeckt (f¨ these!). • F¨ ur ein integrables System liegen die Poincar`e-Schnittpunkte auf dem Durchschnitt von Σ mit dem zugeh¨origen N -Torus. F¨ ur N = 2 ist dies eine eindimensionale Schleife:

34

periodische Bahn, endliche Menge von Punkten ’rationale Tori’

q p

aperiodische Bahn dichte Menge ’irrationale Tori’

¨ • Charakteristisch f¨ ur chaotische Bahnen ist, dass eine kleine Anderung δq(t0 ), δp(t0 ) der Anfangsbedingungen nach kurzer Zeit zu großen Abweichungen von der urspr¨ unglichen Bahn f¨ uhrt. Bei regul¨aren Bahnen bleiben dagegen die Abweichungen klein (vgl. Abschn. 7.4): t chaotische Bahn

ξ(t)+δξ2(t)

regulaere Bahn

ξ (t)

t ξ(t)+δξ2(t)

(q ,p )

t

0 0

t

(q ,p ) 0 0

ξ(t)+δξ1(t)

t t

ξ (t)

ξ(t)+δξ1(t)

7.1.1

Spezialfall N = 2

In einem zweidimensionalen System (N = 2) ergibt sich f¨ ur den Poincar´e-Schnitt Folgendes. Aufgrund der Energieerhaltung H=

1 2 (p + p2y ) + V (x, y) = E 2m x

(162)

liegen die Bahnen ξ(t) auf einer dreidimensionalen Energieschale R3E . Einer der Impulse, z.B. px , wird dadurch festgelegt: q px = px (E, py , x, y) = ± 2mE − p2y − 2mV (x, y) (163)

und kann eliminiert werden. Eine weitere Variable wird durch Wahl der Poincar´e-Schnittfl¨ ache festgelegt (oder umgekehrt!): z.B. x = 0. Damit verbleiben noch zwei freie Variablen, welche die Punkte (y, py ) ∈ Σ bilden. Ein Punkt (y, py )(t0 ) legt demnach eine Bahn ξ(t) eindeutig fest (bei vorgegebener Energie E). Der Poincar´e-Schnitt ergibt also ein vollst¨andiges Portrait der Bahn. Wird eine gen¨ ugend große Zahl von Anfangspunkten (und damit von verschiedenen Bahnen) gew¨ ahlt, so erh¨ alt man ein mehr oder weniger komplettes Portrait von der Dynamik des untersuchten Systems. Praktisch sieht das bei der Wahl der Schnittfl¨ ache (y, py ) (mit x = 0) so aus:

35

Bahnkurve x(t),y(t)

Poincare-Schnitt (x=0, x>0) py

y 1

1

4

3 4

x

2

y

2 3

Es werden alle Schnittpunkte y (n) der Kurve y(x) mit der y-Achse und einem (n) festem Vorzeichen von px , hier px > 0, ermittelt und die Punkte y (n) , py in die Schnittfl¨ ache eingetragen. Bemerkung: Manchmal werden auch in Systemen mit N > 2 Dimensionen zweidimensionale Poincar´e-Schnittfl¨ achen Σ(q, p) verwendet. Dies kann dann so veranschaulicht werden: p2 ... p N 2N-dim Phasenraum q 2 ... q N t2 t1 p Trajektorie q 2-dim Flaeche ’surface of section’

Aber Achtung: F¨ ur N > 2 reicht ein solcher Poincar´e-Schnitt nicht aus, um die ganze Dynamik zu erfassen. Es k¨onnen so nur Teilmengen des Phasenraums dargestellt werden. Durch Konstruktion von mehreren Schnitten in verschiedenen Ebenen kann die Information erweitert werden. Bei Vorhandensein von weiteren Erhaltungsgr¨ oßen neben E kann ein vollst¨andigeres Bild erreicht werden, indem man f¨ ur die zus¨ atzlichen Erhaltungsgr¨oßen bestimmte feste Werte w¨ ahlt. Beipielsweise ist in einem 3-dimensionalen System mit axialer Symmetrie der Drehimpuls Lz erhalten. Man kann daher f¨ ur jeden festen Wert von Lz einen zweidimensionalen Poincar´e-Schnitt machen und daraus (bei gen¨ ugender Variation von Lz ) auf die Dynamik des Systems schließen.

36

7.2

Familien von entarteten periodischen Bahnen

Wenn in einem System mit N ≥ 2 außer der Energie zus¨atzliche Erhaltungsgr¨ oßen existieren, dann treten die periodischen Bahnen i.A. in sogenannten “Familien” auf. Diese enthalten nicht-abz¨ H ahlbar unendlich viele Bahnen mit demselben Wirkungsintegral S(E) = p · dq, deren Phasenraumkurven sich aber voneinander durch Gestalt oder Orientierung unterscheiden. Die Zahl der Parameter, welche einzelne Bahnen der Familien beschreiben, nennt man den Entartungsgrad f . Meist entsprechen diese Parameter kontinuierlichen geometrischen Symmetrien, welche den zus¨ atzlichen Erhaltungsgr¨oßen zugrundeliegen. Die Fixpunkte von Familien mit f > 0 in einer Poincar´e-Schnittfl¨ache Σ liegen also dicht auf f -dimensionalen Hyperfl¨achen von Σ (im integrablen Fall: Torus-Schnitten). Nicht entartete Bahnen haben f = 0; ihre Fixpunkte liegen isoliert in Σ (resp. im gesamten Phasenraum). Beispiel: Die periodischen Bahnen im Kreisbillard. Dies sind endliche geschlossene Polygonz¨ uge, welche um den Mittelpunkt gedreht werden k¨onnen (Parameter φ, entspricht dem erhaltenen Drehimpuls Lz ), ohne dass sich ihre Wirkungsintegrale S(E) ¨ andern. Also ist f = 1. (Andere Beispiele s.u.)

7.3

Beispiele von Poincar´ e-Schnitten (N = 2)

In nicht-integrablen Systemen k¨onnen Poincar´e-Schnitte i.A. nur numerisch untersucht werden. Um zu lernen, wie wir solche Schnitte zu “lesen” haben, folgen zun¨ achst Poincar´e-Schnitte von drei integrablen zweidimensionalen Systemen. Die ersten zwei sind wieder einmal harmonische Oszillatoren, deren Integrabilit¨ at direkt aus der Separabilit¨at folgt. Das dritte Beispiel (das Toda-Gitter) ist nichtlinear und nicht offensichtlich separabel, aber integrabel. Das vierte Beispiel schließlich (das H´enon-Heiles-System) ist nicht-integrabel und hat bei hohen Energien eine chaotische Dynamik. 7.3.1

Inkommensurabler harmonischer Oszillator (integrabel!) m 2 2 V (x, y) = (ω x + ωy2 y 2 ) , ωx : ωy irrational. (164) 2 x Das System besitzt die Erhaltungsgr¨oßen Ex und Ey und ist damit integrabel. Die beiden einzigen periodischen Bahnen sind Oszillationen (Librationen) entlang den beiden Achsen: p (165) Bahn Ax : x(t) = 2Ex /mωx2 cos(ωx t + φx ) , q Bahn Ay : y(t) = 2Ey /mωy2 cos(ωy t + φy ) . (166) Sie sind isoliert (f = 0). Die Wirkungsintegrale l¨angs dieser Bahnen berechnen sich zu I 2πEi . (167) Si = pi dqi = ωi Ai

Alle anderen Bahnen sind aperiodisch. Die Poincar´e-Schnittpunkte (y n , pny ) bei fester Energie E = Ex + Ey liegen auf Ellipsen. F¨ ur Ex , Ey > 0 werden diese durch die Punkte (y n , pny ) f¨ ur tn → ∞ gleichm¨aßig u ¨berdeckt. (Man muss also unendlich lange warten, bis die gestrichelten Ellipsen in der folgenden Abbildung gleichm¨ aßig aufgef¨ ullt werden!) Die Bahn Ax (mit Ey = 0) entspricht dem 37

einzigen Fixpunkt (0,0), der isoliert und stabil ist. Die Bahn Ay (mit Ex = 0) liegt auf der Schnittfl¨ ache (x = 0) und erscheint deshalb als die volle Randkurve ∂ΣE (hier eine Ellipse) des energetisch zug¨anglichen Phasenraums in der (y, py )Ebene.

p

y

Randkurve des zugaenglichen Phasenraums ( Ay) Ex =0

y isolierter Fixpunkt, stabil ( Ax) E y =0

7.3.2

aperiodische Bahnen mit Ex>0, Ey>0

Isotroper harmonischer Oszillator (integrabel!) m 2 2 m 2 2 V (x, y) = ω (x + y 2 ) = V (r) = ω r . 2 2

(168)

Hier sind drei Erhaltungsgr¨ oßen vorhanden: Ei = p2i /2m + mω 2 qi2 /2 (i = x, y, qx = x, qy = y) und Lz = L = xpy − ypx . Die allgemeine L¨osung der Bewegungsgleichungen lautet: p x(t) = x0 cos(ωt) , x0 = 2Ex /mω 2 , (169) q y(t) = y0 cos(ωt + φ) , y0 = 2Ey /mω 2 . (170)

Die Periode betr¨ agt T = 2π/ω und der Drehimpuls berechnet sich zu L = p (2/ω) Ex Ey sin φ. Bei der Bahnbewegung gibt es verschiedene F¨alle:

• Librationen: (φ = 0 bzw. L = 0). Dies sind Oszillationen entlang einer Geraden in derp(x, y)-Ebene mit Neigungswinkel α, f¨ ur welchen gilt: tan α = y0 /x0 = ± Ey /Ex . • Kreise: (φ = ± π/2 bzw. L = ±Lmax = ± E/ω, Ex = Ey ). In Polarkoordinaten ist das effektive Potential Vef f (r) = V (r) + L2 /2mr2 ; dasp Minimum ′ gibt den Kreisradius r0 : Vef (r ) = 0; dieser ergibt sich zu r = E/mω 2 . 0 f 0

• Ellipsen: (0 < |φ| < π/2 , L 6= 0). Diese Bahnen haben alle einen endlichen Drehimpuls L 6= 0; die l¨angere Achse soll den Neigungswinkel α zur xAchse haben. Wir k¨ onnen somit diese Bahnen durch die zwei Parameter −Lmax < L < Lmax und 0 ≤ α < π eindeutig charakterisieren.

• Auch hier ist der Rand ∂ΣE des Poincar´e-Schnitts eine Ellipse. Da alle Bahnen periodisch sind mit Wirkung S = 2πE/ω und Periode T = 2π/ω pro Umlauf, ist jeder Punkt innerhalb von ∂ΣE ein Fixpunkt! Die Ellipsenbahnen bilden eine zweifach entartete Familie (f = 2), deren einzelne Mitglieder anhand der zwei Parameter L (6= 0) und α (resp. α und φ) charakterisiert und stetig ineinander u uhrt werden k¨onnen. Diese ¨bergef¨

38

spezielle Entartung entspricht der SU (2)-Symmetrie des Systems. Die Librationen sind einfach entartet (f = 1) entsprechend den Werten des Parameters Ey /Ex . Die Kreisbahnen sind isoliert (f = 0) und erzeugen die einzigen isolierten Fixpunkte. Alle Bahnen außer den Librationen haben zus¨ atzlich eine zweifach diskrete Entartung entsprechend ihrem Umlaufssinn (L > 0 oder L < 0). y α x

py

Ellipsen

y Kreis

r0

x

y α

y

α α=π/2

Librationen

α x

L0

• Die Poincar´e-Schnitte enthalten nur (marginal) stabile Fixpunkte. Die verschiedenen Bahnfamilien bewegen sich f¨ ur jedes feste L auf einer der abgebildeten Schnittkurven, wenn man α ∈ [0, π) variiert; die Kreisbahnen bilden die beiden isolierten Fixpunkte f¨ ur L = ±Lmax . Die Libration entlang der y-Achse (α = π/2) ergibt wieder die Randkurve des Poincar´e-Schnitts. 7.3.3

Das Toda-Gitter (integrabel!)

Toda untersuchte 1967 eine eindimensionale periodische Kette von N Teilchen, die dem folgenden Potential unterliegen: V (q1 , . . . , qN ) = V0

N X

eα(qi −qi+1 ) .

(α > 0)

(171)

i=1

qi sind die Koordinaten entlang der Kette; dabei sei qN +1 ≡ q1 , so dass das Problem zyklisch wird. Nach numerischen Untersuchungen durch Ford (1973), die trotz der Nichtlinearit¨ at des Systems keine Hinweise auf einen chaotischen Phasenraum erbrachten, gelang 1974 unabh¨angig H´enon und Flaschka der analytische Beweis [11], dass das Todagitter f¨ ur alle N tats¨achlich integrabel ist. Im Falle N = 3 kann das Problem durch Separation des Schwerpunkts zu einem zweidimensionalen Potentialproblem transformiert werden. Dazu werden die Jacobi-Koordinaten verwendet: R 1 x = √ (q1 − q2 ) , 2

=

1 (q1 + q2 + q3 ) , 3 1 y = √ (q1 + q2 − 2 q3 ) . 6

(172) (173)

Nach einer zus¨ atzlichen Streckung der Koordinaten (bei welcher der Parameter α absorbiert wird) erh¨ alt man schließlich das zweidimensionale Toda-Potential 39

(die Koordinate R f¨ allt heraus):  1 √ 1  2y+2√3x V (x, y) = e + e2y−2 3x + e−4y − . 24 8

(174)

Es ist hier so normiert, dass es sein Minimum bei (x, y) = (0, 0) mit dem Wert Vmin = V (0, 0) = 0 hat. Die zweite Erhaltungsgr¨oße, die von H´enon f¨ ur das 3-Teilchen-Todagitter gefunden wurde, lautet √ √ √ √ F = 8px (p2x −3p2y )+(px+ 3py ) e2y−2 3x +(px− 3py ) e2y+2 3x −2px e−4y . (175) Bei kleinen Energien, wo die kubischen Terme in F vernachl¨aßigt werden k¨onnen, geht F (nach Taylor-Entwicklung der Exponentialterme) in den Drehimpuls u ¨ber: F −→ −12 (xpy − ypx ) = −12Lz . Die Bahnkurven von L¨osungen der Bewegungsgleichungen mit F 6= 0) sind also Rotationen, wobei das Vorzeichen von F den Drehsinn festlegt. F¨ ur F = 0 erh¨alt man Librationen. Beispiele von solchen Bahnkurven sind in der Figur auf der n¨achsten Seite abgebildet (alle bei der Energie E = 1/6 berechnet). Zun¨achst aber betrachten wir einen Poincar´e-Schnitt f¨ ur x = 0: 0.6 0.4

py

0.2 0.0 -0.2 -0.4 -0.6

. . .. . . .. ..... .. .... ... . .. .... . . . F=0 . .. . . .... ... . .... . .. .. . ... .. .... . ... .... ... ................................................................ . . . .. . . . .. .. . ... ... ........................................................................ .....B................. .. . . ... . .... ......................... .... .... ... .. .. ... .. .. ... ........ .. . . . . .. .. . .. ...... . . ... .... ................. ...A . . . .. . .. . ....... . .. . .... .. .. . . . . . . . . .... . . . F > 0 . . . ... ..... .. < .0 . . ....... . .. . . .. . . F . ... ........ . .. ... . ... .. ......... .. .. . .... .... ....... ................ .. ... .. . .. .. . .... ... ..C.. ... ...... ............B........ ..... ... . . . ... . . .. .C.... . . .. ......... . . . . . . . . ..... . .. ... . ....... ... . .. . . . . .... . . .... ... .................. ...... . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ... .. . . . . . . . . . . A . . . . . . . . . . . . .. .. .. ...................... .... . ..... . ..... ..... .. . . . . . .. .. .. ....... .... ............................................................................................................B.................... .... . ... . ... . ........ . . ... ................... . . . . . . . . . .. .... . .. . . .. . ..... ... ..... . .. .. .. ..

-0.4

-0.2

0.0

y

0.2

0.4

0.6

¨ Mit einiger Ubung erkennt man sofort, dass dieses System regul¨ar ist. Alle Punkte (außer C und C) liegen auf kontinuierlichen Torus-Schnitten entsprechend einfach entarteten Familien (f = 1). Dass diese nicht kontinuierlich erscheinen, liegt daran, dass einige in der Figur erfassten Bahnen periodisch sind (“rationale Tori” mit endlich vielen Punkten), und andere nur f¨ ur eine endliche Zeit verfolgt wurden. Wir sehen zwei isolierte stabile Fixpunkte (rot: C und C), welche isolierten (f = 0) Rotationen in entgegengesetzten Orientierungen entsprechen. Ihre Bahnkurven haben die Form von deformierten Kreisen; ein Beispiel ist in der Figur auf der n¨ achsten Seite oben links abgebildet (rot). Um diese Fixpunkte herum liegen Torusschnitte mit F > 0 und F < 0, getrennt durch die Separatrix F = 0 (gr¨ un), auf der eine Familie von Librationen liegt. Einzelne Punkte auf der Separatrix sind mit A und B gekennzeichnet; sie entsprechen den Bahnen A und B im H´enon-Heiles Potential, welche dort isoliert sind (s. 7.3.4). Einige Bahnen mit F = 0 sind in der n¨achsten Figur unten links abgebildet (gr¨ un). (Die Bahn, welche entlang der y-Achse libriert, liegt auf dem Poincar´e-Schnitt; sie erscheint in der obigen Figur als Berandung ∂ΣE (gr¨ un) der 40

energetisch zug¨ anglichen Fl¨ ache.) Oben rechts (blau) ist eine Bahn der ’Periode 8’ mit F 6= 0 abgebildet; sie entspricht den 8 Fixpunkten, die auf einem ellipsen¨ ahnlichen Torusschnitt um den Fixpunkt C herum liegen (blau). Die u ¨brigen Punkte auf demselben Torusschnitt entsprechen anderen Bahnen mit Periode 8, welche mit der abgebildeten entartet sind: sie haben etwas verschiedene Formen, aber alle dieselbe Wirkung und geh¨oren zur selben Familie. Unten rechts schließlich ist eine quasiperiodische Bahn (lila) mit F 6= 0 abgebildet; sie entspricht den vielen Punkten auf Toruschnitten, welche in der N¨ahe der Separatrix liegen (lila). (Von allen Bahnen mit F 6= 0 gibt es zwei zeitliche Orientierungen, entsprechend F > 0 oder F < 0, und entsprechend auch zwei Reihen von Punkten auf Torusschnitten, die beiderseits der Separatrix liegen.) Die schwarze Kurve ¨ in allen vier Teilbildern ist die Aquipotentiallinie, entlang der V (x, y) = E gilt (= Menge der klassischen Umkehrpunkte). isolated orbit C (period 1)

period 8 orbit (degenerate)

y

0.4

y

0.4 0.0

0.0

-0.4

-0.4 -0.4

0.0

x

0.4

-0.4

orbit family F=0 (period 1)

0.0

x

0.4

quasiperiodic orbit

y

0.4

y

0.4 0.0

0.0

-0.4

-0.4 -0.4

0.0

x

0.4

-0.4

0.0

x

0.4

Zwischen dem Toda-Potential und dem im folgenden Abschnitt beschriebenen nicht-integrablen H´enon-Heiles Potential gibt es folgenden Zusammenhang. Entwickelt man das Potential (174) in eine Taylorreihe um xi = (x, y) = 0:   1 1 1 (176) V (x, y) = (x2 + y 2 ) + x2 y − y 3 + (x2 + y 2 )2 + O(x5i ) , 2 3 2 so ergeben die Terme einschließlich dritter Ordnung genau das H´enon-Heiles Potential (177) (mit ε = 1). Bis zur zweiten Ordnung erh¨alt man nat¨ urlich den harmonischen Oszillator, was der u blichen harmonischen N¨ a herung im Minimum ¨ entspricht. Wenn man nun die Anharmonizit¨at des vollen Potentials (174) nur bis zur dritten (oder h¨ oherer endlicher) Ordnung entwickelt, findet man ein nicht-integrables System mit teilweise chaotischer Dynamik, obwohl das volle Potential integrabel mit regul¨ arer Dynamik ist! 41

7.3.4

Das H´ enon-Heiles Potential (nicht-integrabel!)

H´enon und Heiles untersuchten 1964 das folgende zweidimensionale Potential als Modell f¨ ur das mittlere Gravitationspotential eines Himmelsk¨orpers in einer flachen Galaxie:   1 2 1 V (x, y) = (x + y 2 ) + ε x2 y − y 3 2 3 1 2 ε 3 r − r cos(3φ) . (177) = V (r, φ) = 2 3 Dasselbe Potential wird auch f¨ ur die Beschreibung der Vibrationsanregungen von dreiatomigen Molek¨ ulen verwendet. Es besteht aus einem isotropen harmonischen Oszillator (m = ω = 1), dem ein kubischer St¨orterm mit dreiz¨ahliger diskreter Rotationssymmetrie u ¨berlagert wird. Der St¨orterm (ε 6= 0) ist verantwortlich f¨ ur eine nichtlineare Bewegung. Die Dynamik des Systems ist abh¨angig von der Gesamtenergie E. Bei E → 0 dominiert der harmonische Beitrag und die Bewegung erfolgt quasi-regul¨ ar. N¨ahert sich die Energie dem Wert E ∗ = 1/6ε2 , f¨ ur den es in der Landschaft V (x, y) drei Sattelpunkte gibt, so wird die Bewegung zunehmend chaotisch. F¨ ur E > E ∗ kann das Teilchen u ¨ber einen der S¨attel ins Unendliche entweichen. Damit wir nicht beide Parameter E und ε variieren m¨ ussen, f¨ uhren wir skalierte Variablen u = εx und v = εy ein. Die skalierte Gesamtenergie e, in Einheiten der Sattelpunksenergie E ∗ berechnet, wird dann e = E/E ∗ = 6 ε2 E = 3 (u˙ 2 + v˙ 2 ) + 3 (u2 + v 2 ) + 6 v u2 − 2 v 3 ,

(178)

so dass die Dynamik jetzt nur noch von einem Parameter e abh¨angt. ¨ Die Aquipotentiallinien in der (u, v)Ebene sind in der nebenstehenden Figur gezeigt; bei der Sattelpunktsenergie e=1 bilden sie drei Geraden, die sich in einem gleichseitigen Dreieck an den Sattelpunkten schneiden. Die drei k¨ urzesten periodischen Bahnen (bei e = 1) sind ebenfalls eingezeichnet: eine Rotation C und zwei Librationen A und B. (Die letzteren existieren in drei um jeweils 120 Grad verdrehten Lagen.)

1.0

e=1

A

0.5

v C 0.0

B -0.5 -1.0

-0.5

0.0

u 0.5

1.0

Dass die Dynamik bei kleinen Energien fast regul¨ar ist, sehen wir im Poincar´e-Schnitt f¨ ur u = 0 oben auf der n¨achsten Seite, der bei e = 0.1 berechnet wurde. Alle Punkte liegen auf (fast!) kontinuierlichen Schnittlinien mit QuasiTori. Wir erkennen entlang pv = 0 die beiden elliptischen Fixpunkte, die der stabilen Bahn C in ihren beiden Umlaufsrichtungen entsprechen. Die drei hyperbolischen Fixpunkte geh¨ oren zur instabilen Bahn B in ihren drei Lagen. Zwei der stabilen Bahnen A bilden die dazwischenliegenden elliptischen Fixpunkte mit v = 0; die dritte liegt auf der Schnittfl¨ache (mit u = 0) und bildet die Randkurve des Poincar´e-Schnitts (v, pv ). Im Unterschied zum Poincar´e-Schnitt des integrablen Toda-Potentials in Abschn. 7.3.3 sehen wir, dass die dortige Separatrix, welche einer Familie von Librationen mit F = 0 entspricht, hier in eine alternierende Abfolge von je drei stabilen und instabilen Fixpunkte aufgebrochen ist, welche den Bahnen A und B entsprechen. In der Umgebung der stabilen 42

Fixpunkte, die (hier wie dort) den isolierten Bahnen C und C entsprechen, sehen die Schnitte ganz a ¨hnlich aus.

In der folgenden Figur sehen wir einen Poincar´e-Schnitt bei der Energie e = 0.892, bei welcher der Phasenraum schon deutlich gemischt ist. Es wurde nur eine einzige chaotische Bahn u ullt ¨ber eine sehr lange Zeit verfolgt; sie f¨ den energetisch verf¨ ugbaren Phasenraum zu u ¨ber 80 Prozent aus. Wir sehen deutlich zwei große stabile Inseln, in deren Mitte die beiden C-Bahnen liegen. Darum herum liegen Ketten von kleineren Inseln, welche stabilen periodischen Bahnen mit l¨ angeren Perioden entsprechen.

43

In der folgenden Figur ist die Dynamik bei der Sattelpunktsenergie e = 1 illustriert. Wir sehen links oben eine quasiperiodische Bahn und rechts oben eine (einzige!) chaotische Bahn. (Sie entstand durch eine winzige St¨orung einer der instabilen B-Bahnen.) Darunter sind die entsprechenden Poincar´e-Schnitte (f¨ ur u = 0) abgebildet. Wir sehen, dass die chaotische Bahn fast den ganzen Phasenraum ergodisch ausf¨ ullt. Es bleiben nur zwei kleine Inseln u ¨brig, in denen die quasiperiodische Bahn liegt (und daneben auch die Bahnen C und zwei stabile Bahnen D der Periode 2). 1.0 0.5

v 0.0 -0.5 -1.0

0.5

-0.5

. ..

0.0

-0.5

1.0 -1.0

.. .

0.0

v

0.5

-0.5

0.0

u

0.5

1.0

. .. . ......... .......................... . ......... ................................ . .. .......................... ........................ .............................................................................................. .............................. ...... .......................................................................................... .. .. . ... . . . . . . . ..... . ............................................................................................ ...... ........................................................................... ............................................... .. .............................. ......... ............. ... ...................... . ..... ............................... ..................................................... .................................................................................................. . . . ...................................................................................................................................... ...... .......................................................................... .......... . .......................... ... ............ .

... .. ..

. .. ...

0.0 . ..

0.5

.. .

pv

-0.5

u

1.0

-0.5

0.0

v

0.5

1.0

Das H´enon-Heiles-System ist ein Paradebeispiel f¨ ur ein System mit gemischter Phasenraumdynamik. Bei kleinen Energien ist die Bewegung quasi-regul¨ar (im Grenzfall e → 0 kann man die kubischen Terme des Potentials vernachl¨aßigen und man erreicht das integrable System eines isotropen harmonischen Oszillators). Bei wachsenden Energien entstehen immer mehr chaotische Bahnen, die immer gr¨ oßere Teile des Phasenraums ausf¨ ullen. Aber auch bei Energien e > 1, bei denen der Phasenraum offen ist (d.h. die Bahnen sind nicht mehr alle gebunden), existieren immer noch stabile periodische Bahnen, welche Fixpunkten in winzigen regul¨aren Inseln inmitten des Chaos entsprechen. Daneben gibt es eine exponentiell anwachsende Zahl von instabilen periodischen Bahnen; alle sind gebunden, d.h. sie liegen in einem endlichen Gebiet des ansonsten unendlichen Phasenraums. Vielleicht wird das System auch im Grenzfall e → ∞ nicht zu 100% chaotisch; einen Beweis daf¨ ur gibt es jedenfalls nicht. Allgemein nennt man ein System chaotisch (oder “hart chaotisch”), wenn alle Bahnen (und damit auch alle periodischen Bahnen, von denen es dann meist unendlich viele gibt) instabil sind. Zum Schluss erinnern wir nochmals daran, dass das H´enon-Heiles-Potential (177) (mit ε = 1) aus dem Toda-Potential (174) durch eine nach der dritten Ordnung in x und y abgebrochenen Taylorreihe um die Ruhelage (x = y = 0) herum erhalten werden kann. Dabei geht die Integrabilit¨at des Toda-Systems verloren. Dies sollte als eine Warnung davor dienen, was bei einer abgebrochenen Taylor-Entwicklung alles passieren kann!

44

7.4

Der Lyapunov-Exponent

7.4.1

Lineare Stabilit¨ atsanalyse einer Trajektorie

Die Hamilton-Gleichung (42) f¨ ur den Phasenraumvektor ξ(t) kann komponentenweise so geschrieben werden: ξ˙i (t) = Fi [ξ1 (t), . . . , ξ2N (t)] .

i = 1, . . . , 2N

(179)

Wir gehen von einer bestimmten L¨osung ξ (0) (t) aus, die eindeutig durch den Anfangspunkt ξ (0) (0) gegeben ist. Wir machen nun eine kleine St¨orung δξ(0) bei t = 0 und untersuchen den Verlauf der gest¨orten Bahn ξ(t) = ξ (0) (t) + δξ(t): (0)

ξ (t) (0)

ξ (t=0)

(0)

ξ (t)+δξ(t)

Statt die exakte L¨ osung zu bestimmen, linearisieren wir nun die Bewegungsgleichungen um die ungest¨ orte Bahn ξ (0) (t) herum. Dies ergibt in erster Ordnung von δξ(t) 2N

X d δξi (t) = δ ξ˙i (t) = dt j=1



 2N X ∂Fi Yij (t) δξj (t) , δξj (t) = ∂ξj ξ =ξ (0) (t) j=1 | {z }

(180)

Yij (t)

oder in Matrix-Vektor-Schreibweise:

˙ δ ξ(t) = Y(t) δξ(t) .

(181) 2

p Oder, von einer Hamiltonfunktion der Form H(q, p) = 2m + V (q) ausgehend:      1 d δq δq IN 0N m . (182) = δp δp −V 0N dt

Dabei sind IN und 0N die N -dimensionalen Einheits- und Nullmatrizen und ∂ 2 V i, j = 1, . . . , N (183) Vij = ∂qi ∂qj ξ (0) (t)

ist die sogenannte Hesse-Matrix. Die Gleichung (181) beschreibt die Propagation kleiner St¨orungen um ξ (0) (t) herum. Sie stellt ein System linearer DGL 1. Ordnung dar. Wir konstruieren nun 2N linear unabh¨ angige L¨osungen δξ (j) (t) mit den Anfangsbedingungen (j) δξi (0) = δij (i, j = 1, . . . , 2N ) und bilden daraus den sogenannten Matrizanten X (t) [12]:   (j) (184) Xij (t) = δξi (t) oder X (t) = δξ (1) , . . . , δξ (2N ) .

Dieser erf¨ ullt dieselbe Gleichung (181) wie δξ(t): X˙ (t) = Y(t) X (t)

mit 45

X (0) = I2N .

(185)

Außerdem beschreibt er die zeitliche Propagation einer Anfangsst¨orung δξ(0) δξ(t) = X (t) δξ(0)

(186)

X (t + T ) = X (t)X (T ) .

(187)

und hat die Eigenschaft

Als weiteres soll eine Norm eingef¨ uhrt werden: p d(t) := |δξ(t)| = [δξ(t)]2 .

(188)

Diese misst den Abstand der gest¨orten Bahn zur urspr¨ unglichen, aber nur im Limes f¨ ur |δξ(0)| → 0, da andernfalls obige Linearisierung nicht mehr gerechtfertigt ist. W¨ achst nun der Abstand exponentiell mit der Zeit d(t) ∼ d(0) eσt ,

(σ > 0)

(189)

so heißt die Bahn ξ 0 (t) instabil. W¨achst der Abstand f¨ ur alle m¨oglichen St¨orungen δξ(0) h¨ ochstens mit einer endlichen Potenz von t: d(t) ∼ d(0) ta (mit a ∈ R, a < ∞), so heißt die Bahn stabil. 7.4.2

Definition des Lyapunov-Exponenten

Ein Maß f¨ ur die Instabilit¨ at einer Bahn ist der Lyapunov-Exponent σ, der streng wie folgt definiert wird:    1 d(t) σ := lim . (190) lim ln t→∞ t d(0)→0 d(0) Die beiden Grenzwerte sind notwendig: d(0) → 0 wegen der Linearisierung und t → ∞ wegen m¨ oglicher Einschwingungsvorg¨ange. Es l¨asst sich zeigen, dass es 2N charakteristische Lyapunov-Exponenten σi gibt, abh¨angig von der Richtung der St¨ orung δξ(0) im Phasenraum, die man so anordnen kann: σ1 ≥ σ2 ≥ · · · ≥ σ2N .

(191)

Der gr¨ oßte Lyapunov-Exponent σ1 ist ein Maß f¨ ur die Chaotizit¨at des Systems. Einer oder mehrere der σi k¨ onnen null sein; f¨ ur eine stabile Bahn sind alle σi gleich null. Zur numerischen Bestimmung von σ ist (190) nicht geeignet. Man kann daf¨ ur die folgende praktische Methode heranziehen. 7.4.3

Praktisches Verfahren zur Berechnung von σ1 (1)

δξ (t) d(0)=1

d1 =d(τ) τ



1 (2)

δξ (t)

1 d2

(0)

ξ (t)

(a) Normiere d(0) auf 1: d(0) = 1. (b) L¨ ose (185,186) auf dem Computer u ¨ber ein kleines Zeitintervall τ = ∆t entlang der urspr¨ unglichen Bahn ξ (0) (t). 46

(c) Bei t = τ : Normiere d(τ ) wieder auf 1 und verfahre wie in (b), aber von t = τ nach t = 2τ . Wiederhole dies M mal, jeweils mit der Startbedingung δξ (n+1) (nτ ) = (d) Berechne σM =

1 (n) δξ (nτ ) , dn 1 Mτ

PM

n=1

dn = |δξ (n) |(nτ ) .

n = 1, 2, . . . , M (192)

ln dn .

(e) Der Lyapunov-Exponent ergibt sich nun als σ1 = limM →∞ σM . Falls τ klein genug ist, h¨ angt σ1 nicht von τ ab.

7.5 7.5.1

Stabilit¨ at von periodischen Bahnen Monodromie-Matrix und Stabilit¨ atsmatrix

Sei eine Bahn periodisch, d.h. ξ (0) (t + T ) = ξ (0) (t). Dann ist die Matrix Yij (t) in (180), (181) ebenfalls periodisch: Y(t) = Y(t + T ) .

(193)

Der Matrizant mit Argument T heißt die Monodromie-Matrix M := X (T )

(194)

und beschreibt die zeitliche Entwicklung einer kleinen St¨orung u ¨ber eine Periode: δξ(T ) = M δξ(0) .

(195)

Die Eigenwerte λi der Matrix M enthalten Informationen u ¨ber die Stabilit¨at der periodischen Bahn ξ (0) (t). F¨ ur Hamiltonsche Systeme gelten folgende Beziehungen: • det M = 1. • M ist reell und symplektisch:

wobei J =



0N −IN

IN 0N



M† J M = J ,

(196)

die symplektische Einheitsmatrix ist.

• Ist λ ein Eigenwert von M, dann sind auch 1/λ und λ∗ Eigenwerte von M. Das heißt: alle Eigenwerte liegen symmetrisch zum Einheitskreis und zur reellen Achse. Imλ

1 Reλ

47

• In konservativen Systemen gibt es immer ein Paar von Eigenwerten λ1 = λ2 = 1. Sie entsprechen St¨orungen entlang der Bahn und orthogonal zur Energieschale. Diese zwei “trivialen” Eigenwerte λ = 1 interessieren meist nicht und man transformiert deshalb die Monodromiematrix auf folgende Gestalt:   e A M , (197) M= B C wobei



 A=

a1,1 .. .

a1,2 .. .

a2N −2,1 a2N −2,2



 ,

B=



0 ... 0 ... | {z

0 0

2N −2



, }

C=



1 α 0 1



(198)

Matrizen mit beliebigen Zahlen ai,j und α sind. Die (2N − 2) × (2N − 2) Matrix e heißt Stabilit¨ M atsmatrix oder reduzierte Monodromiematrix. Sie beschreibt die Entwicklung einer St¨ orung δξ ⊥ , die im Phasenraum orthogonal zur urspr¨ unglichen Bahn ξ (0) ist, aber auf der Energieschale liegt: e δξ ⊥ (0) . δξ ⊥ (T ) = M

(199)

Mn = X (nT ) = Mn .

(200)

e alle auf dem komplexen Einheitskreis, dann ist Liegen die Eigenwerte von M (0) die Bahn ξ (t) stabil. Ist dies nicht der Fall, so definiert der gr¨oßte reelle und positive Eigenwert den Lyapunov-Exponenten σ1 . F¨ ur die n−te Wiederholung einer primitiven periodischen Bahn (das ist eine Bahn mit nur einem Umlauf), kann die Monodromiematrix folgendermaßen bestimmt werden.

en = M e n. Dieselbe Beziehung gilt auch f¨ ur die Stabilit¨atsmatrix: M 7.5.2

Stabilit¨ at von periodischen Bahnen f¨ ur N = 2

F¨ ur N = 2 Dimensionen gelten folgende Besonderheiten f¨ ur die Stabilit¨atsmae ist eine 2 × 2-Matrix und besitzt die Eigenwerte λ und 1/λ. Da diese trix: M auch noch zueinander konjugiert sind, liegen sie entweder auf dem komplexen Einheitskreis oder auf der rellen Achse. • |λ| = 1 → λ = exp(±iν), ν 6= 2πn (n ∈ Z): Die Bahn ist dann stabil und die reelle Zahl ν nennt man Stabilit¨ atswinkel. • λ ∈ R → λ = ± exp(±χ), χ > 0: Hier ist die Bahn instabil mit dem Lyapunov-Exponenten σ1 = χ/T . In beiden F¨ allen gilt f¨ ur die n-te Wiederholung einer Bahn: Tn = nT ,

χn = nχ1 ,

νn = nν1 .

e benutzt: Meist wird zur Charakterisierung der Stabilit¨at die Spur von M e = λ + 1/λ tr M

(201)

(202)

e also eindeutig die Eigenwerte fest. Es werden drei F¨ ur N = 2 legt die Spur tr M F¨ alle unterschieden: 48

e < 2 → λ = exp(±iν), ν 6= 2πn (n ∈ Z): • |tr M| → stabile oder elliptische Bahn.

e > 2 → λ = exp(±χ), χ > 0 : • |tr M| → instabile oder hyperbolische Bahn. Man unterscheidet weiter zwischen e > 2) und invers hyperbolisch (tr M e < 2). direkt hyperbolisch (tr M

e = 2 → λ = ±1 : • |tr M| → neutrale (marginal stabile) Bahn. Es wird zwischen direkt parabolisch e = 2) und indirekt parabolisch (tr M e = −2) unterschieden. Solche (tr M Bahnen sind charakteristisch f¨ ur integrable Systeme. F¨ ur eine isolierte Bahn ist λ = +1 immer mit einer Bifurkation verbunden (vgl. Abschn. 10.2). Bei mehr als zwei Dimensionen kann auch der Fall λ = exp(±χ±iν) mit χ, ν 6= 0 auftreten. Dieser wird dann als loxodromischer Fall bezeichnet. 7.5.3

Beispiel: zweidimensionaler harmonischer Oszillator

Gegeben sei der zweidimensionale harmonische Oszillator mit zun¨achst irrationalem Frequenzverh¨ altnis H=

1 1 2 (p + p2y ) + (ωx2 x2 + ωy2 y 2 ) , 2 x 2

ωx : ωy = irrational .

(203)

Die einzigen periodischen Bahnen verlaufen, wie schon fr¨ uher erw¨ahnt, entlang den beiden Achsen. Ax : x(t) = x0 cos(ωx t + αx ) ; Ay : x(t) = px (t) = 0 ;

y(t) = py (t) = 0 , y(t) = y0 cos(ωy t + αy ) .

(204) (205)

Die Gleichung (185) ist hier gleichbedeutend mit der vollen Hamiltongleichung (179), da dieses System bereits linear ist, und hat eine konstante Koeffizientenmatrix Y:   0 0 1 0  0 0 0 1   X (t) . (206) X˙ (t) =  −ωx2 0 0 0  0 −ωy2 0 0

Die L¨ osung des Systems mit Xij (0) = δij ist gegeben durch:   cos(ωx t) 0 sin(ωx t)/ωx 0  0 cos(ωy t) 0 sin(ωy t)/ωy  . X (t) =  −ωx sin(ωx t)  0 cos(ωx t) 0 0 −ωy sin(ωy t) 0 cos(ωy t)

F¨ ur die Bahn Ax ist die Periode Tx = 2π/ωx trix  1 0  0 cos(2πω y /ωx ) Mx = X (Tx ) =   0 0 0 −ωy sin(2πωy /ωx ) 49

(207)

und damit ist die Monodromiema 0 0 0 sin(2πωy /ωx )/ωy  .  1 0 0 cos(2πωy /ωx )

(208)

Die Stabilit¨ atsmatrix lautet demnach   cos(2πr) sin(2πr)/ωy e , Mx = −ωy sin(2πr) cos(2πr)

r = ωy /ωx .

(209)

Ihre Eigenwerte sind λx = exp(±2πir) und liegen auf dem Einheitskreis. Die Bahn ist stabil mit Stabilit¨ atswinkel νx = 2πr = 2πωy /ωx . Ebenfalls stabil ex bleibt die n-te Wiederholung (wegen ωx /ωy = irrational). Die Spur von M berechnet sich leicht zu e x = 2 cos(2πr) = 2 cos(2πωy /ωx ) , tr M e x| < 2 . ⇒ |tr M

(210)

(211)

Analoges gilt f¨ ur die Bahn Ay : νy = 2πωx /ωy usw. F¨ ur den Fall von rationalen Frequenzverh¨altnissen ωx : ωy = m : l mit m, l ∈ N werden alle Bahnen periodisch und sind i. A. zweidimensional: x(t) = x0 cos(ωx t + αx ) , y(t) = y0 cos(ωy t + αy ) .

(212)

F¨ ur m/l 6= 1 existiert die lineare Bahn Ax ; ihr Stabilit¨atswinkel ist νx = π. Die Bahn ist isoliert, aber alle ihre 2nl-fachen Wiederholungen mit n ∈ N werden marginal stabil. Die zweidimensionalen Bahnen mit x(t), y(t) 6= 0 heissen auch “Lissajous-Figuren” und sind ebenfalls marginal stabil. Nehmen wir das Beispiel ωx : ωy = 2 : 1 mit x0 = y0 = 1 und αx = 0 in (212): 2

isolierte Bahn Ax

mit Ax entartete Familie

1.0

1.0

0.5

0.5

y

y 2

Ax

0.0

Ax

0.0

-0.5

-0.5

-1.0

-1.0 -1.0

-0.5

0.0

x

0.5

1.0

-1.0

-0.5

0.0

x

0.5

1.0

e x = −2), Die Bahn Ax und alle ihre ungeraden Vielfachen sind isoliert (mit tr M 2 siehe links in der Abbildung. Die Bahn Ax ist entartet mit allen m¨oglichen Lissajous-Figuren f¨ ur m : l = 2 : 1, die durch Variation von αy in (212) entstehen (Abbildung rechts). Die geradzahligen Vielfachen A2n x mit n > 1 sind entartet mit den n-fachen Vielfachen der Lissajous-Figuren. Zusammen bilden alle diese Bahnen einfach entartete Familie (f = 1) mit identischen Wirkungen Sn = n2πE/ωx und Perioden Tn = n2π/ωx (n gerade).

50

Im isotropen Fall ωx = ωy = ω wird f¨ ur jede periodische Bahn die Monodromiematrix identisch mit der Einheitsmatrix: M = I4 und damit wird die e = I2 . Der Stabilit¨atswinkel ist also 2π und tr M e = 2. Alle Stabilit¨ atsmatrix M Bahnen bilden marginal stabile Familien und haben die Form von Ellipsen oder Kreisen (f = 2) oder gradlinigen Librationen (f = 1) (vgl. Abschn. 7.3.2). e = 2 f¨ Es gilt allgemein tr M ur alle periodischen Bahnen, die in entarteten Familien auftreten, wie sie f¨ ur Systeme mit kontinuierlichen Symmetrien charakteristisch und f¨ ur integrable Systeme sogar die Regel sind. Diese Bahnen liegen ja auf Tori, welche auf der Poincar´e-Schnittfl¨ache zu kontinuierlichen Kurven f¨ uhren, welche die darauf dicht liegenden Schnittpunkte der Familien enthalten. 7.5.4

Beispiel: zweidimensionale harmonische Sattelfl¨ ache

Wir betrachten jetzt eine harmonische Sattelfl¨ache mit positiver Kr¨ ummung in x- und negativer Kr¨ ummung in y-Richtung: H=

1 1 2 (p + p2y ) + (ωx2 x2 − ωy2 y 2 ) . 2 x 2

(213)

Die einzige periodische Bahn, die man hier finden kann, ist die Libration entlang der x-Achse: x(t) = x0 cos(ωx t) , y(t) = 0 .

(214)

Jede Bahn mit y 6= 0 ist nicht-kompakt, d.h. sie entweicht ins Unendliche. Die allgemeine L¨ osung der Bewegungsgleichung in y-Richtung lautet: y(t) = a eωy t + b e−ωy t .

(215)

Die Stablit¨ atsmatrix f¨ ur die x-Bahn (214) erh¨alt man aus (209), indem man ωy durch iωy ersetzt, somit wird sie hier   cosh(2πr) sinh(2πr)/ωy ex = , r = ωy /ωx . (216) M ωy sinh(2πr) cosh(2πr)

e x = 2 cosh(2πr) > 2 f¨ Damit wird tr M ur ωy 6= 0; die Bahn ist also instabil. Die e x sind λx = e±2πr und der maximale Lyapunov-Exponent ist Eigenwerte von M χ = 2πr resp. σ1 = 2πr/Tx = ωy , wie auch direkt aus (215) ersichtlich ist! 7.5.5

Umgebung von Fixpunkten auf Poincar´ e-Schnitten

Auf dem Poincar´e-Schnitt lassen sich obige drei F¨ alle leicht unterscheiden. Bei einer stabilen periodischen Bahn liegen um den elliptischen Fixpunkt herum konzentrische Ellipsen. Diese r¨ uhren von einer leicht gest¨ orten Bahn her und sind die Schnittpunkte mit einem (lokalen) Torus. Die gest¨ orte Bahn bleibt auch immer in der N¨ ahe des Fixpunkts. 51

elliptischer Fixpunkt δp

δq T gestoerte Bahn

Liegt dagegen eine St¨ orung einer instabilen Bahn vor, so befinden sich die Poincar´e Schnittpunkte auf hyperbolischen Li¨ nien. Hierbei spielen die beiden Aste der Separatrix, die sich im Fixpunkt schneiden, eine besondere Rolle. Entlang diesen ¨ Asten l¨ auft die St¨ orung entweder exponentiell direkt zum Fixpunkt hin (stabile Mannigfaltigkeit) oder vom Fixpunkt weg (instabile Mannigfaltigkeit). Bei invershyperbolischen Bahnen springt die Abbildung dabei immer zwischen zwei Hyperfl¨ achen u ¨ber die Separatrix hin und her.

δp

hyperbolischer Fixpunkt

δq invers hyperb. Bahn stabile, instabile Mannigfaltigkeit

Im marginal stabilen (parabolischen) Fall liegt lokal ein integrables System vor. Hier findet das rechts liegende Szenario statt. Alle entarteten Familien von Bahnen, sowohl in integrablen Systemen wie auch in nicht integrablen Systemen mit kontinuierlichen Symmetrien, sind marginal stabil. Ferner tritt diese Situation bei Bifurkationen von isolierten Bahnen auf (vgl. Abschn. 10.2).

δp parabolischer Fixpunkt

δq

Untersucht man das Verhalten von Fl¨achenelementen (diese entsprechen einem Ensemble von benachbarten Bahnen) auf einem Poincar´e-Schnitt, so gibt es ebenfalls einen großen Unterschied zwischen Fl¨achen in der N¨ahe von stabilen oder instabilen Fixpunkten. In beiden F¨allen bleibt zwar der Fl¨acheninhalt unter der Abbildung konstant (dies folgt aus dem Liouville-Theorem, d.h. der Erhaltung des Phasenraumvolumens). Liegt die Fl¨ache nahe einem stabilen Fix¨ punkt, so ergeben sich keine große Anderungen, w¨ahrend bei einem instabilen Fixpunkt große Verzerrungen auftreten (→ Chaos). ∆p∆q

δp

∆p’∆q’

δp

∆p∆q

δq

δq ∆p’∆q’

Die stabile Mannigfaltigkeit M− und die instabile Mannigfaltigkeit M+ , die sich am instabilen Fixpunkt kreuzen, werden in der linearisierten Abbildung durch die linearen Asymptoten der Hyperbeln angen¨ahert. Im voll nichtlinearen System stellen sie (f¨ ur N = 2) unendlich lange eindimensionale Kurven dar, die den ganzen chaotischen Teil der Poincar´e-Schnittfl¨ache ausf¨ ullen. Sie haben interessante Eigenschaften, deren mathematische Beweise sehr kompliziert sind. Sie d¨ urfen sich selber nicht schneiden (was ja f¨ ur jede Phasenraumbahn 52

gilt), schneiden sich gegenseitig aber unendlich oft und kommen jedem instabilen Fixpunkt jeweils transversal zueinander beliebig nahe. Durch die gegenseitigen Schnitte entstehen Schleifen, die immer enger und l¨anger werden, aber konstante Fl¨ achen enthalten. Man beschreibt diesen Sachverhalt mit dem Begriff “homoklinisches Kn¨ auel” (engl. “homoclinic tangle”) [8]. Es ist ohne Computersimulationen recht schwierig vorzustellen (was aber Poincar´e nicht davon abhielt, viele der mathematischen Eigenschaften korrekt vorauszusehen bzw. zu beweisen). In der n¨ achsten Figur zeigen wir einen Poincar´e-Schnitt des H´enon-HeilesPotentials bei e = 0.8. Bei y0 = −0.198457, py = 0 liegt der instabile Fixpunkt einer der Bahnen B (rotes Dreieck). Die rote Kurve ist die instabile Mannigfaltigkeit M+ , die durch diesen Fixpunkt geht. Es kann davon nat¨ urlich nur ein endliches St¨ uck abgebildet werden; wir sehen aber, wie kompliziert M+ in engen Schleifen durch einen großen Teil des Phasenraums verl¨auft. Dabei vermeidet es die regul¨ aren Inseln. Um M+ auf dem Computer zu abzubilden, nimmt man einfach ein winziges Intervall entlang der instabilen Asymptote im Fixpunkt und bildet alle darin befindlichen Punkte m mal ab. Mit wachsendem m erh¨ alt man so ein immer l¨anger werdendes St¨ uck von M+ . F¨ ur diese Figur wurde das Intervall py ∈ [0, 0.001] (y = y0 ) m = 15 mal abgebildet.

Um die stabile Mannigfaltigkeit M− zu abzubilden, m¨ usste man von einem winzigen Intervall entlang der stabilen Asymptote ausgehen und dieses dann r¨ uckw¨ arts in der Zeit abbilden, da M+ und M− bei der Zeitumkehr ihre Rollen tauschen.

53

In der n¨ achsten Abbildung sehen wir etwas k¨ urzere St¨ ucke (mit m = 10 gerechnet) der instabilen Mannigfaltigkeiten aller drei B-Bahnen in den Farben rot, gr¨ un und blau. Sie umschlingen sich gegenseitig, kreuzen einander aber nie. Dies kann mathematisch bewiesen werden (“non crossing theorem”).

7.5.6

Wie findet man periodische Bahnen?

Zur Bestimmung von Fixpunkten auf dem Poincar´e-Schnitt und damit auch von periodischen Bahnen kann folgendes iteratives Verfahren verwendet werden (Newton-Raphson-Methode). Das Prinzip wird im folgenden f¨ ur ein zweidimensionales System gezeigt, es l¨ asst sich aber ohne Weiteres auf mehrdimensionale Phasenraumvektoren verallgemeinern. z sei hier also die (eindimensional dargestellte) Phasenraumvariable z = (x, px ) eines zweidimensionalen Systems auf der Poincar´e-Schnittfl¨ ache mit y = 0. z1’

z*

z1 z δz 1

δz1’

z ∗ sei der zu bestimmende Fixpunkt, z1 ein beliebiger Ausgangspunkt (der allerdings schon m¨ oglichst nahe am Fixpunkt liegen soll). Nach der ersten Abbildung erh¨ alt man z1′ . Nun gilt: e δz1 δz1′ = M (217)

e die Matrix der Fixpunktabbildung ist. In der Praxis ist diese, so wie z ∗ , wobei M nat¨ urlich noch nicht bekannt; man verwendet stattdessen die Stabilit¨atsmatrix 54

der Abbildung z1 → z1′ . Nun gilt weiter: δz1 δz1′

= z1 − z ∗ = z1′ − z ∗

(218) (219)

Bekannt ist auch noch dz = z1′ − z1 und daher: dz → δz1 → z2

e − I2 ) δz1 = z1′ − z1 = δz1′ − δz1 = (M e − I2 )−1 dz = (M e − I2 )−1 dz = z1 − (M

(220) (221) (222)

Aufgrund der nicht exakt bekannten Stabilit¨atsmatrix ist der neue Punkt nicht exakt der Fixpunkt; bei iterativem Anwenden erfolgt aber sehr schnelle Kone = 2 wird. Dies vergenz. Ein Problem entsteht, wenn f¨ ur eine isolierte Bahn tr M tritt auf, wenn entweder (i) die Bahn nicht isoliert ist, sondern aus einer entarteten Familie stammt (was in integrablen Systemen meist der Fall ist), oder (ii) eine Bifurkation stattfindet (siehe Abschn. 10.2). Die Matrixinversion in (221) e − I2 ) = 2 − tr M e = 0 wird. Praktisch divergiert in diesem Falle, da dann det (M kommt man aber mit der Newton-Raphson-Iteration sehr nahe an entartete Bahnen oder an Bifurkationspunkte heran, so dass diese Divergenz in der Regel keine Rolle spielt. Wir schließen dieses Kapitel mit einem Zitat von Henri Poincar´e:

“Periodische Bahnen sind der Schl¨ ussel zu unserem Verst¨andnis der nichtlinearen Dynamik.” Hat Poincar´e damit schon die Spurformel (154) vorausgeahnt, welche Gutzwiller 80 Jahre sp¨ ater herleitete? Wohl deshalb nicht, weil es ja damals noch keine Quantenmechanik gab. Aber trotzdem hat er die wichtige Rolle der periodischen Bahnen in der nichtlinearen Dynamik erkannt.

55

8

Zweidimensionale Billards

Wir haben uns bereits im Abschnitt 6.1 kurz mit zweidimensionalen Billards besch¨ aftigt. Sie sollen im Folgenden noch etwas ausf¨ uhrlicher besprochen werden.

8.1

Wahl der Poincar´ e-Variablen

Zur Untersuchung der Dynamik von zweidimensionalen Billards erweist sich ein Koordinatensystem [13] als besonders g¨ unstig, bei dem als kanonische Variablen der Poincar´e-Abbildung der Reflexionspunkt und der Reflexionswinkel der Trajektorie gew¨ ahlt werden. Die Ortsvariable ist hierbei genauer die Berandungsl¨ ange s von einem beliebigen Punkt s0 bis zum Reflexionspunkt P : s=

Z

P

ds .

(223)

s0

Die Impulsvariable ist p = cos α, wobei α der Winkel der Trajektorie zur Tangente am Reflexionspunkt P ist. Es zeigt sich, dass das Paar (s, p) kanonisch konjugiert ist. Eine Bahn definiert also durch aufeinanderfolgende Reflexionen die Poincar´e-Abbildung (sn , pn ) → (sn+1 , pn+1 ) .

(224)

Diese Abbildung ist i.A. nichtlinear und kann oftmals auch nicht analytisch angegeben werden. Eine wichtige Eigenschaft der Abbildung ist die Fl¨achenerhaltung: ∂(sn+1 , pn+1 ) (225) ∂(sn , pn ) = 1 .

Es ist klar, dass die Form (und auch die Stabilt¨at) einer Bahn nicht von der Energie, sondern ausschließlich von der Form der Berandung abh¨angt. Man sagt, dass das System “skaliert”: bei Variation der Energie ¨andert sich die Form der Trajektorien nicht; da diese zwischen den Reflexionen eine freie geradlinige Bewegung darstellen, ist die Wirkung entlang einer Bahn einfach durch S = pL √ gegeben, wobei L deren L¨ ange und p = 2mE der Betrag des Impulses ist. Man √ kann sich also auf den Fall 2mE = p = 1 beschr¨anken und die Wirkung bei beliebiger Energie durch eine einfache Skalierung rekonstruieren. Pro Teilst¨ uck gibt die linearisierte Abbildung mn+1,n mit     δsn δsn+1 ; det (mn+1,n ) = 1 (226) = mn+1,n δpn δpn+1 Auskunft u at. Aus der Kenntnis der lokalen Kr¨ ummungsradien ¨ber die Stabilit¨ Rn , Rn+1 bei den Reflexionspunkten, der L¨ange ρ der Trajektorie von n nach n + 1, sowie der Winkel αn und αn+1 kann man mn+1,n wie folgt berechnen (s.a. [9], App. C.5): ! ρ ρ sin αn − sin αn sin Rn sin αn+1 − sin αn+1 αn+1 . (227) mn+1,n = αn+1 − Rn Rρn+1 + sinRαnn+1 + sinRα1 n Rn+1ρsin αn − sin sin αn

56

F¨ ur eine periodische Bahn mit N Reflexionspunkten gilt (sN , pN ) = (s0 , p0 ) .

(228)

Ihre Stabilit¨ atsmatrix ist damit einfach das Produkt der einzelnen mn+1,n : eN = M

N −1 Y

mn+1,n .

(229)

n=0

Besonders einfach wird die Situation, wenn eine periodische Bahn mit N = 2 Reflexionspunkten beiderseits rechtwinklig reflekiert wird (α0 = α1 = π2 , R0 = R1 = R). Dann ist e 2 = m21 = M



ρ R −1 ρ 2 R − R2

−ρ ρ R −1

2

.

(230)

e 2 | ergeben sich die folgenden F¨alle f¨ Je nach dem Wert von |tr M ur die Stabilit¨at dieser Bahn: • ρ > 2R instabil,

• ρ = 2R marginal stabil, • ρ < 2R stabil.

8.2

Beispiele

Allgemein k¨ onnen die periodischen Bahnen in einem zweidimensionalen Billard durch die Zahl N der Ecken (Reflexionspunkte) und eine Windungszahl w charakterisiert werden; dabei u ¨berstreicht der Polarwinkel der Reflexionspunkte in einer Periode den Wert 2π w. Die Zuordnung ist allerdings nicht eindeutig: zu einem Paar (N, w) k¨ onnen mehrere verschiedene Bahnen existieren. Im den folgenden zwei Beispielen sollen zwei integrable Billards nochmals kurz besprochen werden, und im dritten Beispiel gehen wir etwas ausf¨ uhrlicher auf ein nicht-integrables Billard ein. 8.2.1

Das Kreisbillard

Hier gibt es neben der Energie noch den Drehimpuls Lz = xpy − ypx als Erhaltungsgr¨ oße. Das System ist dadurch integrabel. F¨ ur die Reflexionswinkel von periodischen Bahnen gilt αn = const. = αN w = πw/N . Im Poincar´e-Schnitt (s, p) erscheinen nur waagrechte Linien mit den Werten p = cos(αn ). F¨ ur periodische Bahnen sind die sog. “rationalen Tori” mit jeweils N Fixpunkten diskret besetzt, die sich kontinuierlich entlang der Linien verschieben, wenn man die Bahn entlang der kreisf¨ ormigen Berandung rotiert. (Diese Rotation, welche die Kreissymmetrie des Billards ausn¨ utzt, erzeugt also eine Familie unendlich vieler entarteter periodischer Bahnen mit f = 1.) F¨ ur aperiodische Bahnen (αn 6= πw/N ) werden die “irrationalen Tori” f¨ ur t → ∞ dicht aufgef¨ ullt. Hausaufgabe: Zeige, dass f¨ ur alle periodischen Bahnen (w, N ) im Kreisbile lard gilt: tr MN = +2. 57

8.2.2

Das elliptische Billard

Die elliptische Randkurve kann definiert werden durch x = A cos ϕ ,

y = B cos ϕ .

(231)

(Achtung: ϕ ist nicht der Polarwinkel des Punkts x, y!) Die Exzentrit¨at ǫ ist gegeben durch Cp C = ǫ= 1 − ǫ2 ; A2 − B 2 = C 2 ; (232) A B dabei sind ±C die Brennpunkte auf der x-Achse. Ferner gilt f¨ ur den Kr¨ ummungsradius 1 (B 2 cos2 ϕ + A2 sin2 ϕ)3/2 (233) R(ϕ) = AB Auch das elliptische Billard besitzt eine zweite Erhaltungsgr¨oße, n¨amlich das Produkt der Drehimpulse L1 , L2 um die beiden Brennpunkte: F = L1 L2 =

p2 − ǫ4 cos2 ψ , 1 − ǫ4 cos2 ψ

tan ψ = −

B cot ϕ . A

(234)

Alle periodischen Bahnen mit mehr als zwei Reflexionspunkten (N > 2) treten e = 2 auf. Charakteristisch ist dabei, in entarteten Familien (f = 1) mit tr M dass gewisse Bereiche des Billards nicht erreichbar sind und durch eine sogenannte Kaustik abgegrenzt werden. Die Kaustik kann eine konfokale Ellipse oder eine Hyperbel sein. Außerdem gibt es zwei isolierte Bahnen (f = 0) mit N = 2, n¨ amlich die Librationen entlang den Hauptachsen. Weiter treten in diesem System auch Bifurkationen auf, und zwar von den 2m-ten Wiederholungen (m > 0) der k¨ urzeren der beiden Librationen, die immer stabil bleibt. (Siehe Kap. 10 u ur weitere Einzelheiten des ¨ber Bifurkationen.) Siehe auch [9] f¨ elliptischen Billards. 8.2.3

Ein asymmetrisch deformiertes Billard

Die Randkurve habe folgende Gestalt: y 2 = (R2 − x2 )(1 + αx) .

(235)

F¨ ur α 6= 0 wird das System asymmetrisch bez¨ uglich der y-Achse und ist nicht mehr integrabel. Alle periodischen Bahnen mit N > 2 werden isoliert; auch die Pendelbahnen mit N = 2 sind isoliert, mit Ausnahme der horizontalen e = 2). Bahn entlang der x-Achse, die f¨ ur alle α marginal stabil bleibt (tr M [Aufgabe: Man zeige dies unter Verwendung von Gleichung (230)!] In den folgenden drei Bildern werden f¨ ur wachsende Werte von α = 0.01, 0.1 und 0.61 Poincar´e-Schnitte (pα , φ) gezeigt, wobei φ hier die Polarwinkel der Reflexionspunkte sind und pα = cos α wie oben definiert ist. (Die Abbildung in den Variablen pα und φ ist nicht fl¨achenerhaltend, was aber f¨ ur die qualitative Diskussion keine Bedeutung hat.) Wir sehen, dass mit zunehmendem α die Dynamik chaotischer wird. Jeweils oben im Bild ist das Billard gezeigt mit den k¨ urzesten periodischen Bahnen, deren Fixpunkte im jeweiligen Poincar´eSchnitt deutlich erkennbar sind. Stabile Bahnen sind durch ausgezogene (gr¨ une), instabile durch gepunktete (rote) und marginal stabile Bahnen durch strichpunktierte (blaue) Linien dargestellt. 58

α = 0.01:

Der Torus der Dreiecksbahnen (N = 3) ist bereits f¨ ur die durch α = 0.01 erzeugte winzige St¨ orung der Integrabilit¨at aufgebrochen, und zwar in eine Kette von drei regul¨ aren Inseln (mit stabilen Fixpunkten in der Mitte) entlang pα = ±0.5, getrennt durch drei instabile Fixpunkte. Diese Fixpunkte entsprechen dem stabilen und dem instabilen Dreieck im oberen Bild. Den vier Librationen mit N = 2 entsprechen die acht Fixpunkte entlang pα = 0 (Kreise: stabil, Kreuze: sonstige). Die u ¨brigen Tori des integrablen Kreisbillards mit N > 3 u ¨berleben die St¨ orung fast intakt. Das Aufbrechen von Tori eines integrablen Systems durch eine kleine nichtintegrable St¨ orung wird quantitativ durch das sog. KAM-Theorem abgesch¨atzt (s. Abschn. 12.3). 59

α = 0.1:

In der N = 3 Inselkette beginnt das Chaos von den instabilen Fixpunkten aus sich auszudehnen. Auch der N = 2 Torus ist jetzt deutlich aufgebrochen: entlang pα = 0 erkennt man die stabilen (Kreise), instabilen (Kreuze bei φ ∼ π/2 und φ =∼ 3π/2) und marginal stabilen Fixpunkte (Kreuze bei φ = 0, π und 2π). Auch von den h¨ oheren aufgebrochenen Tori mit N > 3 erkennt man einige Inselketten (Quadrate entsprechen den stabilen Fixpunkten zu N = 4). Nur f¨ ur große N u berleben noch die urspr¨ u nglichen Tori des integrablen Kreisbillards. ¨

60

α = 0.61:

F¨ ur α = 0.61 ist der Phasenraum fast vollst¨andig chaotisch geworden. Von den urspr¨ unglichen Tori ist keine Spur mehr zu sehen. Die sechs deutlich erkennbaren regul¨ aren Inseln entsprechen dem stabilen Dreieck (mit gr¨ unen Dreiecken an den Fixpunkten); gegen deren Rand hin erkennt man sog. “KAM-Tori” mit jeweils 8 stabilen Inselchen (rot). Die oben gezeigte V-f¨ormige stabile Bahn (mit ihrer an der x-Achse gespiegelten Partnerin) erzeugt die 8 stabilen Fixpunkte, die unten mit Quadraten (gr¨ un) markiert sind; um sie herum befinden sich nur ganz winzige stabile Inseln im Chaos.

61

9

Logistische Abbildungen

Viele Untersuchungen auf dem Gebiet der nichtlinearen Dynamik werden anhand von logistischen Abbildungen durchgef¨ uhrt. Diese zeichnen sich in der Regel weniger durch eine physikalische Relevanz als vielmehr durch ihre mathematische Einfachheit aus. Im Gegensatz zur Poincar´e-Abbildung eines Hamiltonschen Systems, die meist nur durch numerische Integration der Bewegungsgleichungen bestimmt werden kann, gibt man bei logistischen Abbildungen eine analytische Vorschrift f¨ ur die Abbildung vor. Solche Abbildungen stellen also in gewissem Sinne ein einfaches Abbild (oder eine Karrikatur) dessen dar, was sich auf dem Poincar´e-Schnitt eines Hamiltonschen Systems abspielt. Wir beginnen mit eindimensionalen logistischen Abbildungen, wo bereits ¨ wesentliche Elemente wie der Ubergang von regul¨arem zu chaotischen Verhalten sowie Bifurkationsketten mit universalem Skalenverhalten auftreten, obwohl diese nicht einem energieerhaltenden Hamiltonschen System entsprechen k¨onnen. Anschliessend wird darum auch noch kurz auf zweidimensionale fl¨achenerhaltende Abbildungen eingegangen.

9.1

Eindimensionale Abbildungen

Gegeben sei eine eindimensionale Abbildung fr :

R



x 7→

R,

(236)

fr (x) .

Durch diese wird folgende Rekursion vermittelt: xn+1 = fr (xn ) .

n∈N

(237)

Zus¨ atzlich zur Variablen x tritt mit r ein reeller Kontrollparameter auf. Ausserdem werde die k−fache iterierte Abbildung von f eingef¨ uhrt und mit f k bezeichnet: f k (xn ) := f (f (. . . f (xn ) . . . ) = xn+k . (238) | {z } k mal Fixpunkte der logistischen Abbildung sollen mit x∗ (oder expliziter: x∗r ) bezeichnet werden, d.h. f¨ ur diese gilt x∗r = fr (x∗r ) .

(239)

Auch hier lassen sich stabile und instabile Fixpunkte unterscheiden. Ein stabiler Fixpunkt liegt vor, wenn in einer Umgebung U von x∗ alle Punkte sich dem Fixpunkt n¨ ahern: lim xn = lim f n (x1 ) = x∗

n→∞

n→∞

f¨ ur alle

x1 ∈ U(x∗ ) .

(240)

Dies trifft zu, wenn |f ′ (x∗ )| < 1. Im umgekehrten Fall, also wenn |f ′ (x∗ )| > 1, so ist der Fixpunkt x∗ instabil. Die Stabilit¨at von Fixpunkten h¨angt in der Regel vom Kontrollparameter r ab; damit verbunden ist die Frage, ob das System regul¨ ares oder chaotisches Verhalten aufweist. Dies wird in den folgenden Abschnitten anhand prominenter Beispiele untersucht werden. 62

Der Lyapunov-Exponent in einem beliebigen Punkt x0 wird anhand der k-fachen Abbildung f k (x0 ) folgendermaßen definiert:  k  f (x0 + ǫ) − f k (x0 ) 1 σ(x0 ) = lim lim ln k→∞ k ǫ→0 ǫ " # k 1 df (x) = lim (241) ln k→∞ k dx x=x0

Das heißt also, dass ein kleines Intervall ǫ um x0 herum bei der k-fachen Abbildung wie ekσ anw¨ achst. Wenn σ > 0, ist der Punkt x0 (und die daraus entstehende Folge x1 , x2 , . . . ) instabil.

9.1.1

Lineare Abbildung

Die einfachste lineare Abbildung ist von der Form fr :

R



R

x 7→

(242)

rx .

F¨ ur r 6= 1 ist x∗ = 0 der einzige Fixpunkt. Aus frk (x∗ ) = rk x∗

(243)

l¨ asst sich ablesen, dass im Falle |r| < 1 jedes x0 ∈ R zu x∗ konvergiert, der Fixpunkt ist daher stabil. F¨ ur |r| > 1 dagegen liegt ein instabiler Fixpunkt vor. Das Gleiche gilt f¨ ur den Abstand ∆xn = |xn+1 − xn |. Der Lyapunov-Exponent wird σ(x0 ) = ln |r| und ist damit unab¨angig vom Punkte x0 . Zusammengefasst ergibt sich daher: |r| < 1 |r| > 1

9.1.2

x∗ = 0 stabiler FP x∗ = 0 instabiler FP

limn→∞ xn → 0 limn→∞ xn → ±∞

σ0

St¨ uckweise lineare Abbildungen

Wir betrachten die auf dem Einheitsintervall definierte Dreiecksabbildung fr :

[0, 1]



x 7→

[0, 1]

 1 fr (x) = r 1 − 2 − x . 2 

(244)

F¨ ur r < 1/2 ist x∗ = 0 der einzige FP. Die Ermittlung des Stabilit¨atsverhaltens wird in den n¨ achsten zwei Abbildungen illustriert. Ausgehend von einem beliebigen Startwert x0 l¨ asst sich dessen Grenzwert graphisch ermitteln. Dazu wird der Funktionswert horizontal auf die Winkelhalbierende projiziert. Die anschließende senkrechte Projektion ergibt den neuen Funktionswert, u.s.w. Man erkennt, dass f¨ ur r < 1/2 jedes x0 gegen Null konvergiert. Dieser FP ist daher stabil. F¨ ur Werte r > 1/2 wird der Fixpunkt x∗ = 0 instabil und ein neuer FP bei x∗r = 2r/(1 + 2r) kommt hinzu. Dieser liegt beispielsweise f¨ ur r = 1 bei x∗1 = 32 und ist ebenfalls instabil. F¨ ur fast alle Punkte x0 gilt: σ(x0 ) = ln(2r). Lediglich die Punkte x0 = 1, 21 , 31 , . . . bilden Ausnahmen. Sie werden schließlich auf einen der Fixpunkte abgebildet. 63

In der folgenden Abbildung ist der Fall r = 0.4 < 1/2 gezeigt; x∗ = 0 ist hier der einzige stabile Fixpunkt:

Im Beispiel r = 1 > 1/2 gibt es zwei instabile Fixpunkte. Neben dem alten bei x∗ = 0 liegt der neue bei x∗1 = 23 :

Dieses Beispiel einer 1-dimensionalen logistischen Abbildung zeigt uns, wie durch Ver¨ anderung eines Parameters r der Lyapunov-Exponent von negativ zu ¨ positiv werden kann, d.h. wie ein Ubergang von Regularit¨at zu Chaos geschehen kann (s. Abbildung auf der n¨ achsten Seite). Eine andere ber¨ uhmte st¨ uckweise lineare Abbildung ist das sogenannte Bernoulli-Shift: xn+1 = 2xn modulo 1 = 2xn − [2xn ] , f¨ ur das wir auf die Literatur verweisen [6, 7].

64

x ∈ [0, 1] ,

(245)

¨ Ubergang zum Chaos in der st¨ uckweise linearen Abbildung (244): 1 0.5 0 -0.5

σ (r)

-1 -1.5 -2

regulär

Chaos

-2.5 -3 -3.5 -4 0

9.1.3

0.2

0.4

r

0.6

0.8

1

Quadratische Abbildung

Die wohl bekannteste logistische Abbildung wird durch fr : resp.

[0, 1]



x → 7 xn+1 =

[0, 1] fr (x) = r x(1 − x) r xn (1 − xn )

(246)

definiert. Diese Abbildung wurde 1845 von Verhulst als Modell f¨ ur die Wachstumsrate in einem beschr¨ ankten Gebiet vorgeschlagen. Die Anzahl der n¨achsten Generation xn+1 ist dabei proportional sowohl zur momentanen Bev¨olkerung xn als auch zur Gr¨ oße des vorhandenen Lebensraumes, der proportional zu 1 − xn ist. Eine neuere Interpretation stammt von Peitgen und Richter (1984), welche diese Abbildung als Modell f¨ ur ein Sparkonto mit selbstregulierendem Zinssatz ansahen. Das Verhalten der Fixpunkte h¨angt erneut von dem Parameter r ab. • F¨ ur r < 1 ist x∗ = 0 der einzige FP, der wegen |fr′ (0)| = r < 1 stabil ist. • F¨ ur 1 < r < 3 gibt es zwei Fixpunkte von fr , n¨amlich x∗1 = 0 und x∗2 = 1 − 1/r. Ersterer ist instabil ( |fr′ (0)| = r > 1), letzterer dagegen stabil ( |fr′ (x∗2 )| = | r − 2 | < 1). • F¨ ur r > 3 ist x∗2 = 1 − 1/r immer noch Fixpunkt; er ist aber wegen |fr′ (x∗2 )| = | r − 2 | > 1 jetzt instabil! • Wenn man das Modell so erweitert, dass man auch negative Werte von x zul¨ asst, dann gibt es im Intervall r ∈ (0, 1) auch zwei Fixpunkte: den ur 0 < r < 1 stabilen bei x∗1 = 0 und einen instabilen bei x∗2 = 1−1/r, das f¨ negativ wird. Bei r = 1 vertauschen die beiden Fixpunkte ihre Stabilit¨at (sog. “transkritische Bifurkation”; vgl. Abschn. 10.2).

65

Die folgenden zwei Figuren illustrieren die Situationen f¨ ur r = 0.8 (einziger stabiler FP bei x∗ = 0):

und f¨ ur r = 2.0 (stabiler FP bei x∗2 = 0.5, instabiler FP bei x∗1 = 0):

Beim kritischen Wert r1 = 3 wechselt die Stabilit¨at des Fixpunkts x∗2 : hier ist |f ′ (x∗2 ) = 1|. Um besser zu verstehen, was f¨ ur r > 3 vorgeht, betrachten wir die iterierte Abbildung f 2 (vgl. auch die n¨achsten zwei Figuren): gr (x) := fr2 (x) = r2 x(1 − x) − r3 x2 (1 − x)2 .

(247)

Sie weist folgende Eigenschaften auf: • gr (x∗ ) = x∗ , falls x∗ FP von fr ist, d.h. x∗ ist auch FP von fr2 . ur r > 3. Daher ist der Fixpunkt x∗2 • gr′ (x∗2 ) = 4 − 4r + r2 = (r − 2)2 > 1 f¨ bei r > 3 auch f¨ ur die iterierte Abbildung fr2 instabil. • gr′′ (x∗2 ) = −2r(r2 − 5r + 6) wechselt bei r = 3 das Vorzeichen. fr2 (x∗2 ) besitzt also bei r = 3 einen Wendepunkt. 66

• fr2 (x) hat ein Minimumbei x1 = 21 und zwei Maxima bei p x2,3 = 12 1 ± 1 − 2/r mit fr2 (x2,3 ) = 4r .

2 zwei neue stabile • F¨ ur r > 3 besitzt h fr p i Fixpunkte bei  1 1 ∗ x1,2 = 2 1 + r 1 ± 1 − 4/(1 + r) ; der FP x∗2 ist jetzt instabil (s.o.).

Die neuen stabilen Fixpunkte x∗1,2 haben bez¨ uglich der urspr¨ unglichen Abbildung fr (x) (unteres Bild) die folgende Eigenschaft: fr (x∗1 ) = x∗2 , fr (x∗2 ) = x∗1 . ¨ Beim Ubergang von r < 3 nach r > 3 ist es zu einer Bifurkation gekommen: ein zun¨ achst stabiler Fixpunkt wird am kritischen Punkt r1 = 3 instabil und dabei entstehen zwei neue Fixpunkte der iterierten Abbildung fr2 (oberes Bild). Man spricht von einer “Perioden-verdoppelnden Pitchfork-Bifurkation” (engl. pitchfork = Heugabel).

Man nennt das Paar (x∗1 , x∗2 ) auch einen “Attraktor” von fr mit der Periode 2. Dies wird im n¨ achsten Bild illustriert.

67

Unabh¨ angig vom Startpunkt x0 ∈ [0, 1] sieht die Iteration immer so aus: 1

r = 3.2

0.8

x

0.6

0.4

0.2

0 0

5

10

15

20

25

30

n

Betrachtet man nun die vierfach iterierte Abbildung fr4 , so findet man, dass ur bei einem kritischen Wert r2 > r1 die Fixpunkte x∗1 , x∗2 instabil werden und f¨ r > r2 vier neue stabile Fixpunkte existieren. Dieses Verhalten wiederholt sich ad infinitum, wobei die kritischen Werte rk immer dichter liegen. Bei jedem dieser Werte rk geschehen 2k−1 periodenverdoppelnde Pitchfork-Bifurkationen. Dabei entsteht also eine unendliche Folge von stabilen und instabilen Fixpunkten. Dieses Szenario wird nach seinem Entdecker M. Feigenbaum (1978) auch das Feigenbaum-Szenario genannt. Die Zahlenfolge r1 , r2 , . . . bildet eine geometrische Progression zu einem H¨aufungspunkt r∞ . F¨ ur r > r∞ liegen fast ausschließlich instabile Fixpunkte vor, das Verhalten des Systems ist praktisch chaotisch geworden. Einige “regul¨are Inseln” existieren auch noch f¨ ur r > r∞ (s. auch die n¨ achste Figur), sie haben jedoch ein abnehmendes Gewicht. F¨ ur r > r∞ entstehen neue Kaskaden von periodenver-m-fachenden Bifurkationen mit m ≥ 3. F¨ ur r > 4 kann gezeigt werden, dass es u ¨berhaupt keine stabilen Fixpunkte mehr gibt, dass das System also hart chaotisch wird (vgl. auch [7]. Feigenbaum hat die geometrische Folge der rk untersucht und dabei das folgende interessante Skalenverhalten entdeckt: const. , (248) r∞ − rk = δk respektive (rk − rk−1 ) 1 lim = . (249) k→∞ (rk−1 − rk−2 ) δ Die “Feigenbaumkonstante” δ = 4.6692016091 kann nur numerisch ermittelt werden; sie l¨ asst sich nicht durch irgendwelche bekannten irrationalen oder rationalen Konstanten ausdr¨ ucken. Sie ist universell in dem Sinne, dass sie nicht 68

nur f¨ ur obiges Beispiel g¨ ultig ist, sondern f¨ ur alle eindimensionalen Abbildungen, die ein quadratisches Maximum besitzen, z.B. also auch f¨ ur die Abbildung f (x) = sin(xπ). Die Auftragung der Fixpunkte x∗ gegen den Steuerparameter r ergibt das folgende ber¨ uhmte Bild, in welchem die “Heugabeln” deutlich zu sehen sind:

Ein weiteres Skalenverhalten ergibt sich, wenn man die Gr¨oße |frk (x∗rk ) − 1/2| dk = min ∗ xr

(250)

k

untersucht. Sie beschreibt den Abstand des zur Symmetrielinie mit x = n¨ achsten gelegenen Fixpunktes. Es gilt dk = −α k→∞ dk−1 lim

1 2

am

(251)

mit α = 2.5029075, welches ebenfalls eine f¨ ur eindimensionale quadratische Abbildungen universell g¨ ultige Konstante ist. Dieser Sachverhalt beschreibt die Selbst¨ ahnlichkeit des Fixpunkt-Verzweigungsbaumes. Untersucht man andere eindimensionale Abbildungen mit Maxima h¨oherer Ordnung, etwa f (x) = 1 − a |x|n , (252) so ergeben sich andere sog. Universit¨atsklassen. Die Werte der Skalierungskonstanten δ und α finden sich in nachfolgender Tabelle. n δ

2 4.66920. . .

4 9.316. . .

6 13.3721. . .

69

8 17.3987. . .

... ...

9.2

Zweidimensionale Abbildungen

Bislang wurden eindimensionale Abbildungen untersucht. Liegt jedoch ein konservatives Hamiltonsches System vor, so besitzt der zugeh¨orige Poincar´e-Schnitt eine geradzahlige Dimension und die Abbildung darauf ist fl¨achenerhaltend. Dies gibt die Motivation f¨ ur das Studium von zweidimensionalen fl¨achenerhaltenden Abbildungen, die allerdings immer noch eine recht modellhafte Vereinfachung der physikalischen Realit¨ at sind. Bekannt ist hierbei das sogenannte H´enon-Map: f : R2 (x, y)

→ R2

(253) 2

7→ (by − 1 − ax , x)

und damit die Iteration xn+1 = byn − 1 − ax2n , (254) yn+1 = xn .   −2ax b ∂f Wegen det( ∂x,∂y = −b ist diese fl¨achenerhaltend genau ) = det 1 0 dann, wenn |b| = 1 ist. Die Monodromiematrix eines Fixpunkts lautet in diesem Falle   −2ax∗ b Mx∗ = (255) 1 0

und hat damit Spur trMx∗ = −2ax∗ . F¨ ur b = −1 kann das System (254) auch auf eine Gleichung reduziert werden: xn+1 = −xn−1 + 1 − ax2n . (256)

Die Fixpunkte x∗ ergeben sich als L¨osungen der quadratischen √ Gleichung a(x∗ )2 + 2x∗ − 1 = 0 und besitzen die Werte x∗1,2 = a1 (−1 ± 1 + a). Sie haben das folgende Stabilit¨ atsverhalten √ 1 • x1 = a (−1 + 1 + a) . √ Es gilt |trMx∗1 | = |2 − 2 1 + a| < 2 genau dann wenn −1 < a < 3 und der Fixpunkt ist in diesem Bereich stabil F¨ ur a > 3 wird er instabil und es kommt zu einer Bifurkation der 2-ten Iterierten bei a=3. √ • x2 = a1 (−1 − 1 + a) . √ Dieser Fixpunkt ist wegen trMx∗2 = 2 + 2 1 + a > 2 f¨ ur alle a > −1 instabil. Es kommt erneut zu einer Periodenver-2k+1 -fachung bei dem Wert ak . Auch bei dieser zweidimensionalen Abbildung streben die ak einen Grenzwert an und besitzen ein charakteristisches Skalenverhalten (nach Bountis 1981): k ak

lim

k→∞

1 3



2 4

3 4.12045 . . .

lim ak  ak−2 − ak−1 ak−1 − ak k→∞

4 4.13436 . . .

... ...

= a∞ = 4.1361667 . . .

(257)

= δ = 8.72109720 . . .

(258)

70

Beim Skalenverhalten der Fixpunktabst¨ande von einer Symmetrielinie muss zwischen den beiden Koordinaten x und y unterschieden werden; die Selbst¨ahnlichkeit der Verzweigungsdiagramme in den entsprechenden Poincar´e-Schnitten (y = 0 resp. x = 0) kann durch zwei Skalierungskonstanten α und β erfasst werden: • Progression der Abst¨ ande von x∗k von der Symmetrieline x = 0: α = −4.0180767 , • Progression der Abst¨ ande von yk∗ von der Symmetrinie y = 0: β = 16.3638 . Diese Konstanten sind wiederum universell f¨ ur eine ganze Reihe von quadratischen Abbildungen von der Form (de Vogelaere map) xn+1

= −yn + f (xn ) ,

yn+1 = xn − f (xn + 1) , f (x) = px − (1 − p)x2 .

(259)

Diese fl¨ achenerhaltende Abbildung wurde von Greene et al. (1981) studiert und ergab dieselben Konstanten α, β und δ wie das fl¨achenerhaltende H´enon-Map. Diese Beispiele von fl¨ achenerhaltenden zweidimensionalen logistischen Abbildungen illustrieren den wichtigsten Weg zum Chaos, der auch in Hamiltonschen Systemen aufzufinden ist. Bei Variation eines Systemparameters (beliebiger Parameter des Potentials, auch die Energie oder die St¨arke eines ¨außeren angelegten Feldes) geschieht eine Kaskade von aufeinanderfolgenden Bifurkationen, wobei eine unendliche Zahl von neuen periodischen Bahnen (mit entsprechenden Fixpunkten) ensteht. Einige davon sind unmittelbar nach der Bifurkation stabil, werden dann aber sp¨ ater auch wieder instabil in Verbindung mit neuen Bifurkationen. Dieser Prozess kann sich ad libitum wiederholen, wobei mehr und mehr instabile Bahnen entstehen und damit mehr und mehr Irregularit¨at in die Dynamik gelangt. Im sog. “generischen” Fall (ohne diskrete Symmetrie der Hamilton-Funktion) sind die Pitchfork-Bifurkationen periodenverdoppelnd. Bei Vorliegen von diskreten Symmetrien (wozu auch die Zeitumkehr-Symmetrie z¨ ahlt) k¨ onnen sie aber auch “isochron” sein, d.h. die neuen Bahnen haben ungef¨ ahr (am Bifurkationspunkt genau) dieselbe Periode wie die urspr¨ ungliche Bahn. Auch treten dann andere Formen von Bifurkationen auf. Diese werden im folgenden Kapitel ausf¨ uhrlicher besprochen und klassifiziert.

71

10

Bifurkationen

Wir haben im obigen Kapitel bereits zwei Typen von Bifurkationen kennengelernt. Hier wollen wir uns noch ausf¨ uhrlicher mit Bifurkationen besch¨aftigen. Wir besprechen zun¨ achst ein typisches Beispiel f¨ ur die sogenannte parametrische Resonanz, die zu Bifurkationen f¨ uhrt. Danach gehen wir n¨aher auf Bifurkationen in Hamiltonschen Systemen ein.

10.1

Parametrische Resonanz

Eine weit verbreitete Klasse von Ph¨anomenen, bei denen Bifurkationen auftreten, werden unter dem Begriff der parametrischen Resonanz zusammengefasst. Im Allgemeinen handelt es sich dabei um Systeme, die durch eine periodisch zeitabh¨ angige ¨ außere St¨orung angetrieben werden. Wenn die Periode der St¨ orung mit einer der Perioden des ungest¨orten Systems zusammenf¨allt, tritt Resonanz auf (siehe die St¨ orungstheorie in Kap. 11) und dabei kann es zu einer Bifurkation der entsprechenden periodischen Bahn kommen. Im Folgenden besprechen wir ausf¨ uhrlich das Beispiel des gleichf¨ormig rotierenden mathematischen Pendels. Andere Beispiele f¨ ur parametrische Resonanz sind: • Pendel mit oszillierendem Aufh¨angepunkt. Dabei kann der instabile Fixpunkt bei φ = ±π (vgl. Abschn. 4.3) stabil werden! • Pendel mit oszillierender L¨ange. Eine praktische Realisierung davon ist das Schaukeln: jedes Kind lernt intuitiv, durch periodisches Strecken und Anziehen der Beine Resonanz zu erzeugen. • Der periodisch getriebene Oszillator: x ¨(t) = −ω 2 (t) x(t) ,

(260)

wobei ω(t) eine periodische Funktion ist und wiederum von einem ¨außeren Antrieb kommen kann. • Die Gleichung (260) erscheint aber auch in einem autonomen Hamiltonschen System, wenn man die Bewegungsgleichungen entlang einer periodischen Bahn linearisiert (vgl. Abschn. 7.5.2) und kleine St¨orungen senkrecht dazu (hier: in x-Richtung) studiert. In diesem Zusammenhang heißt (260) auch die Hill-Gleichung, benannt nach G. W. Hill, der sie bei seinem Studium der Mondbahn um die Erde unter dem Einfluss der St¨orung durch die Sonne herleitete [14] (s.a. [4], Abschn. 5.6). In Abschn. 10.2.1 werden wir uns ausf¨ uhrlicher mit der Hill-Gleichung besch¨aftigen. 10.1.1

Das gleichf¨ ormig rotierende mathematische Pendel

Dieses kann z.B. so realisiert werden, dass eine punktf¨ormige Perle der Masse m reibungslos entlang einer vertikal montierten kreisf¨ormigen Drahtschleife (masselos, Radius l) gleiten kann und dabei dem Gravitationsfeld der Erde ausgesetzt ist. Zus¨ atzlich l¨ aßt man nun aber die Drahtschleife um die Vertikale (z-Achse) mit einer konstanten Kreisfrequenz ω rotieren. Die Koordinaten des Massepunktes wollen wir in dreidimensionalen Polarkoordinaten (r, θ, φ) ausdr¨ ucken. Dabei hat die Variable r den konstanten Wert r = l des Schleifenradius, und der Azimuthwinkel φ ist linear in der Zeit: φ = ωt mit der konstanten Winkelgeschwin72

digkeit φ˙ = ω. Die Koordinaten der Perle lauten also: x = l sin θ cos(ωt) ,

y = l sin θ sin(ωt) ,

z = l cos θ .

(261)

In der rotierenden (!) (x, y)-Ebene haben wir also ein normales zweidimensionales mathematisches Pendel vorliegen, das wir in Abschn. 4.3 behandelt haben. (Der dortige Winkel φ entspricht hier θ.) Die Lagrange-Funktion berechnet sich nun leicht zu   ˙ = T − V = m l2 θ˙2 + ω 2 sin2 θ + mgl cos θ , (262) L(θ, θ) 2

woraus wir die Bewegungsgleichung finden:

g θ¨ = − sin θ + ω 2 sin θ cos θ . l

(263)

Man beachte, dass die zeitabh¨ angige Zwangsbedingung φ = ωt das System nichtHamiltonsch macht (trotz ∂L/∂t = 0!). W¨ urde man das Pendel frei um die zAchse rotieren lassen, dann erhielte man das integrable Hamiltonsche System des mathematischen Kugelpendels. Dabei sind aber θ(t) und φ(t) gekoppelt und φ˙ ist i.A. nicht konstant! F¨ ur ω = 0 ist (263) nat¨ urlich die alte Pendelgleichung (57); der neue Term auf der rechten Seite kommt vom ¨außeren Antrieb her (Rotation der Drahtschleife). Wir k¨ onnen die Gleichung (263) auch als Newtongleichung mit einem effektiven Potential schreiben:   g ω2 l 1 d ¨ Vef f (θ) = − sin θ 1 − cos θ (264) θ=− 2 ml dθ l g mit Vef f (θ) = −mgl cos θ −

m 2 2 2 l ω sin θ . 2

(265)

Wenn man sich das Potential Vef f (θ) aufzeichnet, sieht man leicht, dass es f¨ ur 0 < ω 2 l < g nur ein Minimum bei θ = θ0 = 0 hat, was dem u ¨blichen stabilen Fixpunkt des Pendels entspricht. F¨ ur ω 2 l > g hingegen entstehen zwei Minima 2 bei θ = ±θ1 mit cos θ1 = g/ωpl, getrennt durch ein Maximum bei θ0 = 0. Bei der kritischen Frequenz ωcrit = g/l der Rotation geschieht also eine Bifurkation, bei welcher der zun¨ achst stabile Fixpunkt bei θ0 instabil wird und zwei neue Stabile Fixpunkte bei ±θ1 entstehen: 2

1 0

0

0

-2 0

1

-

1

/

crit

2

3

Dies ist genau das Diagramm einer Pitchfork-Bifurkation, wobei der instabil gewordene Fixpunkt gestrichelt gezeichnet ist. Im Unterschied zu den PitchforkBifurkationen beim Feigenbaum-Szenario geschieht hier keine Periodenverdoppelung; dies h¨ angt an der Spiegelungssymmetrie des Potentials Vef f (θ) um θ = 0. 73

Bemerkungen: p • Man beachte, dass die kritische Frequenz ωcrit = g/l genau der Schwingungsfrequenz des ungest¨ orten (d.h. nicht rotierenden) Pendels bei kleinen Auslenkungen entspricht. • Dass dieses System nicht Hamiltonsch ist, erkennt man auch daran, dass ˙ 6= T + V H(θ, pθ ) = pθ θ˙ − L(θ, θ) gilt. Die Energie des ¨ außeren Antriebs, d.h. die Rotationsenergie des Massenpunkts um die z-Achse, ist zeitlich nicht konstant, da sein Tr¨agheitsmoment mit sin2 θ(t) variiert! • Das System kann aber auf ein Hamiltonsches System abgebildet werden, wenn man schreibt: H = pθ θ˙ − L = Hef f (θ, pθ ) =

p2θ + Vef f (θ, ω) 2ml2

(266)

(Dabei ist p2θ /2ml2 aber nicht die gesamte kinetische Energie des Massenpunktes im rotierenden Pendel!) Das System Hef f in (266) beschreibt einen Massepunkt auf einer (ruhenden!) Kreisbahn mit festem Radius l im Potential (265), das von dem zus¨ atzlichen Parameter ω abh¨angt. Bei Variation dieses Parameters kommt es zur Bifurkation am kritischen Wert ωcrit . Damit ist ein Beispiel f¨ ur ein Hamiltonsches System gegeben, bei dem die Variation eines Parameters zu einer Bifurkation f¨ uhrt.

10.2

Bifurkationen in Hamiltonschen Systemen

Wir betrachten nun periodische Bahnen in einem Hamiltonschen System bei Variation eines kontinuierlichen Parameters α. Dieser kann z.B. die Energie, eine Deformation des Potentials oder auch ein ¨außeres Magnetfeld B sein. Bei ¨ einer Anderung des Parameters α kann sich im Allgemeinen die Stabilit¨at einer periodischen Bahn ¨ andern. Es gilt der folgende Satz: Wenn f¨ ur eine isolierte Bahn ein Paar oder mehrere Paare von Eigene an der Stelle α = αb den Wert +1 annehmen, werten der Stabilit¨ atsmatrix M dann geschieht bei αb eine Bifurkation. Dabei entstehen oder verschwinden eine oder mehrere (neue) periodische Bahnen. In einem zweidimensionalen System e b ) = +2. ist dann tr M(α Anstelle eines generellen Beweises wollen wir diese Situation am Beispiel der gradliningen A-Bahn im H´enon-Heiles-System diskutieren. 10.2.1

Beispiel der Hill-Gleichung f¨ ur eine gradlinige Libration

Wir betrachten die in Abschnitt 7.3.4 besprochene Bahn A im H´enon-Heiles (HH)-Potential, die entlang der y-Achse oszilliert. F¨ ur m = ε = 1 lauten die Bewegungsgleichungen f¨ ur das Potential (177) in der Newtonschen Form: x ¨ + (1 + 2y) x = 0 ,

y¨ + y − y 2 + x2 = 0 . 74

(267)

F¨ ur die A-Bahn mit x = x˙ = 0 kann die zweite Gleichung analytisch gel¨ost und die periodische Funktion yA (t) durch eine Jacobi-elliptische Funktion ausgedr¨ uckt werden [15, 16]. Wenn wir nun kleine St¨orungen x(t) senkrecht zur Bahn betrachten, ist daf¨ ur die erste Gleichung verantwortlich, die in x bereits linear ist (also nicht mehr linearisiert zu werden braucht). Wenn wir darin f¨ ur y die bekannte periodische Funktion yA (t) einsetzen x ¨(t) + [1 + 2yA (t)] x(t) = 0 ,

(268) 2

hat sie genau die Form der Hill-Gleichung (260) mit ω (t) = 1 + 2yA (t); die Periode dieser Funktion ist dabei die Periode TA (e) der A-Bahn. Die Parameter, die in yA (t) vorkommen, h¨ angen von der (skalierten) Energie e ab, insbesondere auch die Amplitude der Funktion yA (t). Im Allgemeinen hat (268) keine periodischen L¨osungen, da die A-Bahn ja isoliert ist und kleine St¨ orungen mit x(t) 6= 0 deshalb zu aperiodischen Bahnen f¨ uhren m¨ ussen. F¨ ur ganz bestimmte Werte von e hingegen k¨onnen periodische L¨ osungen von x(t) auftreten, n¨amlich an den Werten eb , bei denen die e A der A-Bahn die Eigenwerte +1 hat, also Eigenwerte der Stabilit¨ atsmatrix M e A = +2 ist. (Dies folgt aus der Sturm-Liouville-Theorie f¨ wenn tr M ur Differentialgleichungen zweiter Ordnung; f¨ ur Einzelheiten siehe [17]). Diese L¨osungen beschreiben die Bewegung x(t) der bei der Bifurkation neu enstehenden (oder verschwindenden) Bahnen und existieren nur f¨ ur e ≥ eb (resp. f¨ ur e ≤ eb ). An den Bifurkationsenergien eb haben sie dieselbe Periode TA (eb ) wie die A-Bahn (oder ein Mehrfaches m davon, n¨amlich dann, wenn es sich um eine periodenverm-fachende Bifurkation handelt). Der obige Satz kann also auch in folgender Form formuliert werden: e b ) = +2 ist gleichbedeutend damit, dass die HillDie Bedingung tr M(α Gleichung f¨ ur die Stabilit¨ at einer periodischen Bahn periodische L¨ osungen in transversaler Richtung zur Bahn besitzt. Dies trifft genau an den Werten αb des Parameters α zu, an denen die betrachtete periodische Bahn eine periodenverm-fachende Bifurkation erf¨ ahrt. Die periodischen L¨ osungen der Hill-Gleichung, und damit die bei der Bifurkation neu enstehenden (oder verschwindenden) Bahnen, existieren nur f¨ ur α ≥ αb (resp. α ≤ αb ). Bei α = αb sind die bifurkierten Bahnen identisch mit der m-fachen Wiederholung der bifurkierenden Bahn (und haben deren m-fache Periode); f¨ ur α > αb (rep. α < αb ) entwickeln sie sich unabh¨ angig von der alten Bahn. Mathematisch wird die Hill-Gleichung mit der Bedingung der Periodizit¨ at von x(t) zu einer Eigenwertgleichung; die Eigenwerte entsprechen den diskreten Werten αb des Bifurkationsparameters. Im Falle des HH-Potentials wird (268) identisch mit der sog. Lam´e-Gleichung, bennant nach G. Lam´e, der 1839 diese Gleichung untersuchte. Deren (periodische) L¨ osungen werden heute die (periodischen) “Lam´e-Funktionen” genannt und k¨ onnen nach Jacobi-elliptischen Funktionen entwickelt werden. Damit k¨ onnen im HH die bei Bifurkationen der A-Bahn entstehenden Bahnen (nahe der Bifurkationen) analytisch beschrieben werden (s. [16] f¨ ur Details). In der folgenden Figur zeigen wir zwei aufeinanderfolgende Bifurkationen der Bahn A im HH-Potential bei Variation der skalierten Energie e (vgl. Abschn. 7.3.4). Bei der Energie eb ≃ 0.96931 wird die A-Bahn (ausgezogene Linie) instabil; dabei entsteht eine neue Bahn R (gestrichelt), die zun¨achst stabil ist und bei e ≃ 0.99 invers hyperbolisch instabil wird. Bei e ≃ 0.98671 wird A wieder stabil; dabei entsteht eine neue Bahn L (strich-punktiert), die immer hyperbolisch instabil bleibt. 75

4 A

3

L

tr M

2 1

A

R

A

0 -1 -2 -3 -4 0.95

0.96

0.97

0.98

0.99

1.0

e An den Bifurkationspunkten sind die alten (A) und die neuen (R bzw. L) Bahnen nicht voneinander zu unterscheiden; oberhalb entwickeln sie ihre eigene Gestalt. In der n¨ achsten Figur sind die Formen aller drei Bahnen in den Koordinaten u = εx, v = εy bei e = 1 abgebildet (v.l.n.r.: A, R, L).

1.0

v

0.5 0.0 -0.5 -0.5 0.0 0.5

u

-0.5 0.0 0.5

u

-0.5 0.0 0.5

u

Die Bahnen R und L haben (abgesehen von der um jeweils 120 und 240 Grad gedrehten Lage, die wegen der R3 -Symmetrie des HH-Potentials m¨oglich ist) gegen¨ uber der Bahn A eine zweifache diskrete Entartung: die Rotation R kann in zwei Richtungen durchlaufen werden, und die Libration L hat eine an der v(resp. y-) Achse gespiegelte Symmetriepartnerin. In den folgenden Poincar´e-Schnitten (f¨ ur v = 0) sehen wir, was beiderseits einer der Bifurkation geschieht. Vor der Bifurkation (e < 0.96931, links) erkennen wir eine stabile Insel mit einem elliptischen Fixpunkt (wenn auch die elliptischen Phasenraumkurven sehr langgezogen sind), welcher zur stabilen Bahn A geh¨ ort. Nach der Bifurkation (e > 0.96931, rechts) ist an der Stelle des elliptischen (u = pu = 0) ein hyperbolischer Fixpunkt zu sehen, welcher zur instabil gewordenen Bahn geh¨ort. Daneben befinden sich zwei regul¨are Inseln mit den elliptischen Fixpunkten, die den beiden (im positiven und negativen Sinne durchlaufenen) R-Bahnen entsprechen.

76

e=0.969 (below bifurcation)

e=0.970 (above bifurcation)

0.01

0.01 . . . .. ... ... ... .. . .. .. . .. . .. .. . . . . .. . . . .. . . . . . . . .. . .. .. .. . . . . .. . .. . .. . . . . . . .. . . . . . .. .. . . . . . .. . . .. .. . . . . .. ...... . .. . . .. .... . . .. .. .. . . .. .. .. . .. . .. .. .. . .. .. .. .. . . .. . .. . .. . .. . . . . . . . . . . . .... . . . . .. .. ........... . . . .. . . . .. . . ............... .. . .. . .. . . . ............ . . . .. .. . .. .............. . . . .. . .. . .. . . ........... .. . . . .. . . ................ .. . .. . . . .... . .. . . . ............ . . . .. . . .. . . ........... . . .. . .. .. . .. .. . .. .. . . .. .. . . .. . .. .. .. .. . .. .. .. .. . . . . . . .. . .. . .... ..... . . ... .. . . . . .. . .. . .. . . . . .. .. . . . .. . . .. .. . . . .. . .. .. .. . .. .. .. .. . . .. .. .. . .. . . . . . . . .. . . .. .. . .. .. .. . . .... .. . ... . .. . . . ... . .. .. . .. .. . .. . ..

0.0

-0.005

-0.01

0.005

0.0

-0.005

-0.01 -0.02 -0.01

0.0

u

0.01

0.02

.

.

.

.. .. .......

.. ..

..... .... ....... . . .... .. . . ... . . .. .... . . . ... . . . . . . . . . .. . .. .. . ......... ... . . ... ... . .... .. . ......... ..... . .... .. . .. .. .... .... . .. . .. . .... .. .. ... .. . .. . .. . ...... .. . .... ..... . .. ... . . . . . . .. .. . . .. . .. . .. .. .. ... . ... .. .. .. .. .. . ... . . . . .... .. . . .. .. . . .. . . .. .... . .. . ..... .... ...... ... . ........ . .... . . . . .... . . .. . . .. . . .. . .. .. ... ... .. . .. . ... .... ......... .. . .... . . . . . . . . . .. . ...... . . .. . .. . ... ......... .. . .... ... . ... ..... .... . .. ... . . .. . ... . .. . ... . . .... . ... .. . . .... . . . . .. . . ... ..... . . . . ... . ..... ..... . . ... .. . . . ... . . . ............................... . . .... ..... . . . . . . . . . . . ... . ....... ...... . . .. . .. ... . ..... .. . .. .. . . ........ .... . . .... . . . . . .... ... . . .... .. . .. .. . ... ..... .... . .... ............ ... . . .... ... . . . . .......... ... ... . .. . . . . . . . . . . . . .. .. .. . . ... ... . .. .. .... .... . .. . ......... ... .. . ... . . .. . ........ . .......... ......... . .. . . . ... . . ... . ... ... ... ......... ... ... ...... . ... . .. . . .. . . .. . ... .. .. . ... . ... ........ .... . . . ......... . ... . . . ... ... .... . .. . ... .... ... . . . . . . .. ... ... .. . .. . . .. .. ... ... ..... ..... . .. ...... . ... . ... .. .. .............. .... ... . .. . . . .. ... . . . . . .. . . . . .... . ... . .. .. .. ... . ... ... . ... .. ..... . ... . . ........ . . . . .. .. . . . . .

pu

pu

0.005

.. .

-0.02 -0.01

0.0

u

... ....

0.01

.. . . . . . .

0.02

Diese Bifurkation ist vom selben Typ der Pitchfork-Bifurkation wie diejenigen, die wir in der quadratischen Abbildung in Abschn. 9.1.3 und beim rotierenden Pendel in 10.1.1 angetroffen haben: aus einem stabilen Fixpunkt wird ein instabiler, und daneben entstehen zwei neue stabile Fixpunkte. Wie im letzteren Fall ist die Bifurkation auch hier nicht periodenverdoppelnd: wie man aus den obigen Formen der Bahnen A, R und L leicht sieht, haben alle an einer Bifurkation beteiligten Bahnen dort dieselbe Periode. Der Unterschied zum Fall der quadratischen Abbildung beruht auch hier auf der diskreten Spiegelsymmetrie des HH-Potentials um die Achse, entlang derer sich die A-Bahn bewegt. 10.2.2

Klassifizierung der generischen Bifurkationen f¨ ur N = 2

Eine vollst¨ andige Klassifizierung aller sogenannt generischen (lose gesprochen:3 typischen) Bifurkationen exisitiert nur f¨ ur Systeme mit zwei Freiheitsgraden, bei denen ein Parameter variiert wird. Sie wurde von K. Meyer [18] vorgenommen und ist, f¨ ur den Phyiker leichter verst¨andlich umgesetzt, im Buch von Ozorio de Almeida [8] zu finden. Die wichtigsten Eigenschaften der generischen Bifurkationen (f¨ ur N = 2) sind in der nachfolgenden Tabelle zusammengestellt, wo e wir auch die Diagramme von trM(α) und schematische Ausschnitte aus den Poincar´e-Schnitten abbilden. Man klassifiziert die Bifurkationen nach dem Verh¨altnis m = TB /TA der Perioden der alten (A) und der neuen (B) Bahnen am Bifurkationspunkt. Die Zahl m bedeutet gleichzeitig die Wiederholungszahl der bifurkierenden Bahn e = +2 wird. Das heißt, eigentlich ist es die m-te WiederhoA, f¨ ur welche tr M lung von A, hier mit Am bezeichnet, welche bifurkiert, wobei an der Bifurkation e Am = +2 und TB = mTA gilt. Im Falle m = 1 spricht man von einer tr M isochronen Bifurkation; f¨ ur m > 1 spricht man von periodenver-m-fachenden (engl. “period m-tupling”) Bifurkationen. Der isochrone generische Fall m = 1 3 Die genaue mathematische Definition des Begriffs “generisch” im Zuesmmenhang mit Bifurkationen m¨ ussen wir uns aus Platzgr¨ unden ersparen (siehe [18] f¨ ur Mathematiker).

77

ist insofern speziell, als dabei auf einer Seite der Bifurkation keine periodischen Bahnen existieren und auf der anderen Seite der Bifurkation ein Paar von stabilen und instabilen Bahnen entspringt. In allen anderen F¨allen ist vor und nach der Bifurkation mindestens eine Bahn vorhanden. Man beachte, dass f¨ ur m = 4 sowohl die “Touch-and-go”- als auch die darunter gezeigte “m-Island chain”-Bifurkation vorkommt; letztere ist f¨ ur alle m > 4 der einzige Typ. Diese Bifurkationen existieren sowohl in fl¨achenerhaltenden generischen zweidimensionalen Abbildungen wie in allen “generischen” Hamiltonschen Systemen.4 m

1

Tangenten-Bifurk. (Saddle-node-Bif.)

Poincare-Schnitt αα 0

tr M(α)

Name,Bedingung

B

tr M 2

A

tr M A=+2

α

2

Pitchfork-Bifurk.

A2

tr M 2 A2

tr MA =-2

B α

A

-2

A2

tr M 2

B 2

A

α 3

Touch-and-go Bif. tr M A=-1

4

Touch-and-go Bif.

B

m-Island chain Bif. (auch m=4)

B

B

B

α

B B

A4

tr M 2

A3

B

tr M 2

B A

A

A3

tr M =0

5 6 7 ...

B

B

B

tr M 2

B

A4

A

B

B

B

B

B A

B

C Am

B

Am α

A C

B

In Systemen mit diskreten Symmetrien kommen im Prinzip genau dieselben Typen von Bifurkationen vor, was deren Erscheinungbild in den Poincar´e¨ Schnitten betrifft. Die Anderungen geschehen einzig in den Periodenverh¨altnis4 Auch

hier enthalten wir uns des Versuchs einer mathematischen Definition des Begriffs “generisches System”. Eine Vermutung ist, dass die generischen Bifurkationen in Systemen ohne jegliche diskrete Symmetrie die einzigen sind.

78

sen. Pitchfork-Bifurkationen k¨onnen z.B. isochron sein (wie im obigen Beispiel des HH-Potentials). Je nach Anzahl und genauer Art der diskreten Symmetrien k¨ onnen die generischen Bifurkationstypen f¨ ur Periodenver-m-fachungen allgemein auch schon bei kleineren Werten von m auftreten, mit Ausnahme von der Tangentenbifurkation, die immer isochron ist. F¨ ur eine ausf¨ uhrliche Diskussion ¨ dieser Anderungen verweisen wir auf eine Diplomarbeit [19]. 10.2.3

Die transkritische Bifurkation

Außer den oben beschriebenen generischen Typen von Bifurkationen kann auch in Hamiltonschen Systemen die sog. transkritische Bifurkation auftreten, bei der zwei Bahnen ihre Stabilit¨at austauschen und am Bifurkationspunkt identisch werden mit gleicher Periode (d.h. diese Bifurkation ist isochron). Diesen Typ haben wir bei der eindimensionalen quadratischen logistischen Abbildung in Abschn. 9.1.3 bereits kennengelernt (r = 1). Als Hamiltonsches Beispiel zeie gen wir in der folgenden Abbildung links oben das Diagramm tr M(e) einer solchen Bifurkation, die in einer verallgemeinerten Variante des H´enon-HeilesPotentials bei eb = 0.854447 auftritt [20]. Rechts oben wird die Differenz der Wirkungen ∆S = SB − SA′ der beiden sich kreuzenden Bahnen A’ und B gezeigt; unten sind die Formen der beiden Bahnen vor und nach der Bifurkation gezeigt. (In den oberen Figuren geben die Symbole – Kreuze und Kreise – die numerischen Resultate wieder; die ausgezogenen Linien entsprechen den theoretischen Voraussagen anhand der sog. “Normalform” dieser Bifurkation [20].) 2+0.29*(e-0.854447) 2-0.29*(e-0.854447)

SB-SA’ 3 -0.00335*(x-0.854447)

1.e-08

2.005

A’4

S

tr M

B4 0.0

2.0 -1.e-08

B5

A’5

1.995 0.84

0.85

0.86

e

0.87

0.84

e=0.6

0.3

0.85

0.87

B4

y

y

0.86

e=1.0

0.3

A’4 0.0

e

B5

-0.3

0.0

A’5

-0.3 -0.5

0.0

x

0.5

-0.5

0.0

x

0.5

Wenn man die Zeitumkehr-Symmetrie des System dadurch bricht, dass man ein ¨ außeres magnetisches Feld anlegt, “zerf¨allt” die transkritische Bifurkation in zwei (generische) Tangenten-Bifurkationen. Die transkritische Bifurkation kann aber auch in Systemen ohne Zeitumkehr-Symmetrie noch vorkommen (s. [20]). In der Menge aller Hamiltonschen Systeme, die gradlinige Librationen besitzen, ist die transkritische Bifurkation sogar generisch [21]. 79

10.2.4

Bifurkationskaskaden

Die oben gezeigten Pitchfork-Bifurkationen der A-Bahn im H´enon-Heiles-Potential, bei denen die neuen Bahnen R und L entstehen, sind die ersten zwei einer unendlichen, sich an der Sattelpunktsenergie e = 1 h¨aufenden BifurkationsKaskade. Diese wird im folgenden Bild durch drei aufeinanderfolgende “zooms” (von unten nach oben) illustriert. 4

tr M

2

A10

L10

A9

R11

R9

0

A11

-2 R5, R7

-4 0.99998

0.99999

1.0

e 4

tr M

2

A8

L8

A7

R9

0

R7

A9

-2 R5

-4 0.99925

0.9995

0.99975

1.0

e 4

tr M

2

A6

L6

A5

R7

0

R5

A7

-2 -4 0.97

0.98

e

0.99

1.0

Die Zahlen, die als Suffixe bei den Namen der Bahnen erscheinen, sind deren Maslov-Indices σ [s. Gl. (154)]. Es treten fraktale Strukturen und Selbst¨ahnlichkeiten der bifurkierten Bahnen auf, die an das Feigenbaum-Szenario erinnern. Die Skalierungskonstanten k¨ onnen hier sogar analytisch berechnet werden; sie sind aber nicht universell, sondern h¨ angen von einzelnen Parametern des Potentials ab (siehe [15] f¨ ur Einzelheiten). ¨ Ahnliche Kaskaden von Pitchfork-Bifurkationen wurden auch in verallgemeinerten H´enon-Heiles-Systemen [16, 20] und f¨ ur periodische Bahnen der Elektronen von Atomen in starken Magnetfeldern gefunden [22, 23].

80

11

Sto ¨rungstheorie

Im Folgenden betrachten wir das System H(q, p) = H0 (q, p) + ǫH1 (q, p) ,

(269)

wobei H0 integrabel und ǫ ≪ 1 eine dimensionslose Zahl sein soll. Die L¨osung q(t) von H0 sei als bekannt vorausgesetzt, gesucht wird eine gen¨aherte L¨osung des gest¨ orten Systems in der Form einer Potenzreihe in ǫ: q(t) = q0 (t) + ǫ q1 (t) + ǫ2 q2 (t) + . . .

(270)

Wir werden im Folgenden zuerst die elementare Form und dann die kanonische Form der St¨ orungstheorie behandeln.

11.1

Elementare St¨ orungstheorie

Obiger Ansatz (270) wird in die Hamilton-Gleichungen eigesetzt und anschliessend Ordnung f¨ ur Ordnung f¨ ur wachsende Potenzen von ǫ sukzessive gel¨ost. Wir illustrieren zuerst die elementare St¨orungsreihe anhand des Beispiels der eindimensionalen Differentialgleichung x(t) ˙ = x + ǫ x2

(271)

mit der Anfangsbedingung x(0) = A. Wir erhalten O(ǫ0 ) : 1

O(ǫ ) :

x˙ 0 x˙ 1

= x0 x20 = 2 2t

= x1 + = x1 + A e

etc.

→ x0 (t) = Aet → x1 (t) = A2 et (et − 1)

(272)

so dass wir schließlich bis zur Ordnung ǫ2 zum folgenden Resultat kommen:   x(t) = Aet 1 + ǫA(et − 1) + ǫ2 A2 (et − 1)2 + . . . . (273)

Diese L¨ osung kann nun verglichen werden mit der exakten L¨osung, die durch die “linearisierende Substitution” x = 1/y, x˙ = −y/y ˙ 2 explizit gewonnen werden 5 kann. Die damit erhaltene Differentialgleichung f¨ ur y(t) ist n¨amlich linear: y˙ = −y + ǫ und kann elementar gel¨ost werden. Zur¨ uck¨ ubersetzt auf das alte System ergibt sich dabei Aet x(t) = (274) 1 − ǫA(et − 1) mit konvergenten L¨ osungen f¨ ur t < tC = ln[(1 + ǫA)/ǫA]. Entwickelt man die exakte L¨ osung (274), ergibt sich obige Entwicklung (273). Ein Problem, das bei der St¨orungstheorie auftritt, ist aber das der Resonanznenner. Dies soll im folgenden Beispiel veranschaulicht werden. Wir l¨osen folgende Gleichung: x ¨ + ω02 x = ǫ x3 . (275) 5 Mit

diesem Verfahren kann allgemein die Bernoullische Differentialgleichung x˙ = x + ǫxα gel¨ ost werden!

81

Entwicklung nach Potenzen von ǫ ergibt in diesem Fall: O(ǫ0 ) : O(ǫ1 ) :

x ¨ + ω02 x = 0 → x0 (t) = A cos(ω0 t) , x ¨1 + ω02 x1 → x1 (t)

A3 [cos(3ω0 t) + 3 cos(ω0 t)] 4 = A1 cos(ω0 t) + B1 sin(ω0 t) 3A3 A3 cos(3ω t) + t sin(ω0 t) . (276) − 0 32ω02 8

= A3 cos3 (ω0 t) =

Der letzte Term ist nicht beschr¨ankt und divergiert f¨ ur t → ∞. Die Ursache daf¨ ur liegt an der Tatsache, dass der treibende inhomogene Term f¨ ur die DG der Ordnung O(ǫ1 ) in Resonanz mit der Eigenfrequenz ω0 liegt. Eine L¨osung dieses Problems wurde u.a. von Poincar´e (1892) vorgeschlagen. Die Idee besteht darin, sowohl die L¨ osung x(t) als auch die Frequenz ω in eine Potenzreihe zu entwickeln: x(t) = x0 (t) + ǫ x1 (t) + ǫ2 x2 (t) + . . . ω

= ω0 + ǫ ω1 + ǫ2 ω2 + . . .

(277)

Damit ergibt sich d2 d2 x = ω2 x =: ω 2 x′′ (ωt) = (ω0 + ǫ ω1 + . . . )2 [x′′0 (ωt) + ǫ x′′1 (ωt) + . . . ] . 2 dt d(ωt)2 (278) Bei der Entwicklung nach ǫ O(ǫ0 ) :

x0

O(ǫ1 ) :

ω02 (x′′1 + x1 )

= A cos(ω0 t) , ω = ω0 1 3 A cos(3ω0 t) = 4 3 +2Aω0 ω1 cos(ω0 t) + A3 cos(ω0 t) (279) 4

w¨ ahlt man nun ω1 so, dass die beiden Resonanzterme in (279) verschwinden, d.h. man setzt ω1 = −(3A2 )/(8ω0 ). Die bis zur 1. Ordnung gen¨aherte L¨osung hat dann die Form   A3 x(t) = A cos(ω0 t) + ǫ A1 cos(ω0 t) + B1 sin(ω0 t) − cos(3ω0 t) (280) 32ω02 und bleibt f¨ ur alle Zeiten t beschr¨ankt. Dieses Verfahren kann in allen Ordnungen von ǫ fortgesetzt werden und damit ist das Problem der Resonanzen beseitigt. Dies funktioniert aber bloß in eindimensionalen Systemen. Eine elegantere Form der St¨orungstheorie, bei der die resonanten Nenner soweit wie m¨oglich entfernt werden, wird im folgenden Abschnitt besprochen.

82

11.2 11.2.1

Kanonische Sto ¨rungstheorie Eindimensionaler Fall

Das Verfahren soll zun¨ achst f¨ ur ein 1-dimensionales Problem erkl¨art werden. Hier liegt immer ein integrables System vor und die Hamiltonfunktion kann in den Wirkungs-Winkel-Variablen (θ, I) so geschrieben werden, dass der Winkel θ in H nicht auftaucht. Das ungest¨orte System besitzt die Bewegungsgleichungen ∂ H0 (I) = 0 ⇒ I = const. , ∂θ ∂ H0 (I) = ω0 (I) . ∂I



= −

θ˙

=

(281)

Mit dem Reihenansatz H(θ, I) = H0 (I) + ǫ H1 (θ, I) + ǫ2 H2 (θ, I) + . . .

(282)

erhalten wir f¨ ur das gest¨ orte System die Gleichungen ∂H1 ∂H2 ∂ H(θ, I) = − ǫ − ǫ2 + O(ǫ3 ) , ∂θ ∂θ ∂θ ∂ ∂H1 ∂H2 H(θ, I) = ω0 (I) + ǫ + ǫ2 + O(ǫ3 ) . ∂I ∂I ∂I



= −

θ˙

=

(283)

¨ Ziel ist es nun, eine kanonische Transformation vom Typ 2 f¨ ur den Ubergang von den alten Variablen (θ, I) zu neuen Variablen (Φ, J) zu finden: F2 (θ, J) = S(θ, J) mit I = ∂S(θ, J)/∂θ, Φ = ∂S(θ, J)/∂J, so dass die neue Hamiltonfunktion K nur noch eine Funktion der neuen Wirkung J wird. Da f¨ ur ein konservatives System die alte Funktion H und die neue Funktion K beide konstant und gleich der Energie E sind, folgt aus (282) die Jacobi-Gleichung       ∂S ∂S ∂S 2 + ǫ H1 θ, + ǫ H2 θ, + · · · = K(J) . (284) H(θ, I) = H0 ∂θ ∂θ ∂θ Um sie zu l¨ osen, werden nun sowohl S als auch K(J) nach Potenzen von ǫ entwickelt, wobei S0 (θ, J) = J θ die Erzeugende der identischen Transformation J = I, Φ = θ ist: S(θ, J) K(J)

= S0 (θ, J) + ǫ S1 (θ, J) + ǫ2 S2 (θ, J) + . . . , = K0 (J) + ǫ K1 (J) + ǫ2 K2 (J) + . . .

(285)

Setzt man dies in (284) ein, dann folgt:     ∂ ∂ H0 (S0 + ǫ S1 + . . . ) + ǫ H1 (S0 + ǫ S1 + . . . ) + . . . ∂θ ∂θ   ∂S1 ∂H0 = H0 (J) + ǫ + H1 ∂θ ∂J # "  2 ∂S1 ∂ 2 H0 ∂S2 ∂H0 ∂S1 ∂H1 2 1 + + + H2 + . . . +ǫ 2 ∂θ ∂J 2 ∂θ ∂J ∂θ ∂J = K0 (J) + ǫ K1 (J) + ǫ2 K2 (J) + . . .

83

(286)

In 0. Ordnung erhalten wir einfach J0 = I, Φ0 = θ, K0 (J) = H0 (I). In 1. Ordnung gilt es folgende Gleichung zu l¨osen: ∂ S1 (θ, J) + H1 (θ, J) . ∂θ

K1 (J) = ω0 (J)

(287)

K1 (J) darf aber nicht von θ abh¨angen! Wir k¨onnen daher die rechte Seite der obigen Gleichung durch ihren P Mittelwert u ¨ber θ u ¨ber eine Periode ersetzen. Da ∞ auch I = ∂S(θ, J)/∂θ = J + n=1 ǫn ∂Sn /∂θ konstant sein muss, ist der Mittelwert von ∂Sn /∂θ gleich null, d.h. alle Sn sind periodisch in θ. Die Mittelung ergibt daher auf der rechten Seite von (287) nur einen Beitrag von H1 : K1 (J) = H 1 (J) =

1 2π

Z



H1 (θ, J) dθ

(288)

0

und wir erhalten somit K(J) = H0 (J) + ǫ H 1 (J) + O(ǫ2 ) .

(289)

Wir m¨ ussen jetzt noch S1 (θ, J) bestimmen. Dazu l¨osen wir die Gleichung (287) (ohne Mittelung!), wobei darin nur noch der periodische Anteil δH1 (θ, J) = H1 (θ, J) − H 1 (J) von H1 beitr¨agt: ∂ 1 S1 (θ, J) = − δH1 (θ, J) . ∂θ ω0 (J)

(290)

Gel¨ ost werden kann diese Gleichung durch Entwicklung in Fourier-Reihen: δH1 (θ, J) S1 (θ, J)

= =

∞ X

k=1 ∞ X

Ak (J) eikθ , Bk (J) eikθ ,

(291)

k=1

wodurch sich folgende Beziehung zwischen den Ak und Bk ergibt Bk (J) =

i Ak (J) . k ω0 (J)

(292)

Da die Funktion H1 (θ, I) vorgegeben ist, k¨onnen wir die Ak als bekannt voraussetzen. Damit ist die Transformation bis zur 1. Ordung vollzogen worden, und die neuen Variablen (Φ, J) sind bis zu dieser Ordnung durch folgende Gleichungen bestimmt: Φ1 J1

∂S1 (θ, J) , ∂J ∂S1 (θ, J) . = I −ǫ ∂θ

= θ+ǫ

(293)

Dies kann zu allen Ordnungen in ǫ fortgesetzt und summiert werden. Die Reihe muss konvergieren, da wir ja wissen, dass f¨ ur ein eindimensionales System auch das komplette H(θ, I) = K(J) existieren muss, obwohl es vielleicht nicht leicht explizit zu finden ist. 84

11.2.2

Beispiel: Harmonischer Oszillator mit kubischer St¨ orung

Wir illustrieren die kanonische St¨orungstheorie anhand der Hamiltonfunktion H=

1 2 1 2 2 p + ω0 q + ǫ q 3 . 2 2

(294)

In den Wirkungs-Winkel-Variablen gelten folgende bekannte Beziehungen: H0 q ⇒ H1 (θ, I)

1 2 1 2 2 p + ω0 q = Iω0 , 2 2 r 2I sin θ , θ = ω 0 t + φ0 , = ω0  23 2I sin3 θ = A sin3 θ . = ω0 =

(295)

Obiges Verfahren darauf angewandt ergibt einen verschwindenden Mittelwert: H1 = 0 und damit wird ω0



K1 (J) = 0 ,

∂S1 = −A sin3 θ ∂θ

(296)

(297)

mit der L¨ osung 1 S1 (θ, J) = ω0 11.2.3



2J ω0

32 

 2 1 2 sin θ cos θ + cos θ . 3 3

(298)

Mehrdimensionaler Fall

Es wird sich herausstellen, dass eine Verallgemeinerung des obigen Verfahrens ab der Dimension N = 2 zu Problemen f¨ uhrt. Es ist dennoch lehrreich, den Weg zu beschreiben, da dadurch ein Einblick in die tiefere Problematik der St¨orungstheorie gegeben wird. Zun¨ achst sollen folgende Gr¨oßen eingef¨ uhrt werden: θ = {θ1 , . . . , θN }

und I = {I1 , . . . , IN } .

(299)

Die Bewegungsgleichungen des gest¨orten Systems H(θ, I) = H0 (I) + ǫH1 (θ, I) + . . .

(300)

lauten damit ∂H I˙ = − , ∂θ ∂H = ω 0 (I) . θ˙ = ∂I

(301) (302)

Erneut soll eine Transformation (θ, I) → (Φ, J) gesucht werden, mit der man erreicht, dass die neue Hamiltonfunktion K nur noch von von J abh¨angt: H(θ, I) → K(J). Erreicht wird dies mit der erzeugenden Funktion S(θ, J) = θ · J + ǫ S1 + ǫ2 S2 + . . . 85

(303)

Die n¨ achsten Schritte geschehen genau gleich wie oben, aber in vektorieller Form, und es ergibt sich schließlich in 1. Ordnung die zu (287) entsprechende Gleichung ∂S1 ∂H0 · + H1 (θ, J) = K1 (J) . ∂θ ∂I

(304)

Die Mittelung zur Bestimmung der L¨osung von K1 (J) muss in diesem Fall auf mehrere Dimensionen erweitert werden: Z Z Z 1 2π 1 2π 1 2π K1 (J) = H 1 (J) = dθ1 dθ2 . . . dθN H1 (θ, J) . (305) 2π 0 2π 0 2π 0 Bis hierher konnten alle Schritte von oben reibungslos durchgef¨ uhrt werden. Das Problem entsteht nun beim Versuch, Gleichung (304) zu l¨osen. Der FourierReihen-Ansatz, X H 1 (J) = Ak eik·θ , k6=0

S1 (θ, J)

=

X

Bk eik·θ ,

(306)

k6=0

f¨ uhrt zur Bestimmungsgleichung Bk =

iAk . k · ω 0 (J)

(307)

Diese unterscheidet sich jedoch grundlegend von (292), indem hier der Nenner null werden kann, wenn auch alle Frequenzen ω0 ungleich null sind. Dies geschieht n¨ amlich genau dann, wenn die Gleichung k · ω 0 (J) = 0 ,

k = (k1 , . . . , kN ) ,

kn ∈ N

(308)

erf¨ ullt ist. Dies ist aber genau die Bestimmungsgleichung f¨ ur periodische Bahnen, die sogenannten “rationalen” oder “resonanten Tori” (vgl. Abschn. 6.4)! Es sind also die periodischen Bahnen des ungest¨orten Systems, welche zu Divergenzen der kanonischen St¨orungstheorie f¨ ur N ≥ 2 f¨ uhren. Aber auch bei “irrationalen Tori” kann der Nenner, wenn zwar nicht exakt null, so doch beliebig klein werden. Das Problem der kleinen Nenner f¨ uhrte gegen Ende des 19. Jahrhunderts zum Scheitern der Versuche, konvergente L¨osungen des Mehrk¨orperproblems auf Basis von st¨ orungstheoretischen Methoden zu finden und gab Anlass zu Poincar´es bahnbrechenden Arbeiten. Es gibt keinen Ausweg aus dieser Situation. Die Divergenz der St¨orungsreihe ist eine tiefliegende Eigenschaft nicht-integrabler Systeme und ist mit deren Tendenz verkn¨ upft, Chaos zu entwickeln. Ein mathematischer Ansatz, die Situation wenigstens bei kleinen St¨orungen in den Griff zu kriegen, wird im letzten Kapitel kurz angesprochen.

86

12

Das Poincar´ e-Birkhoff-Theorem und das KAM-Theorem

Wir haben gesehen, dass bei der St¨orungsrechnung das Problem der kleinen Nenner auftritt. Speziell die Tori, deren Umlauffrequenzen zueinander rational sind, d.h. m · ω = 0, erzeugen Divergenzen und k¨onnen mit der St¨orungstheorie nicht erfasst werden. Die Frage, ob ein integrables System unter dem Einfluss einer nicht-integrablen St¨ orung stabil bleibt, muss daher auf eine andere Weise beantwortet werden. F¨ ur das Verhalten von rationalen Tori gibt allgemein ein Theorem von Poincar´e und Birkhoff Auskunft: diese brechen in Insel-Ketten mit alternierenden stabilen und instabilen Fixpunkten auf, wie wir dies am Beispiel des asymmetrisch deformierten Billards (Abschn. 8.2.3) gesehen haben. Eine wichtige Rolle spielt hierbei die Irrationalit¨ at von reellen Zahlen. Daher folgt nach der Diskussion des Poincar´e-Birkhoff-Theorems ein kurzer Abschnitt u uche. ¨ber Kettenbr¨ Eine Antwort auf die Frage, welche Tori in welchem Masse in Insel-Ketten aufbrechen, und bei welchen St¨orungen, gaben Kolmogorov (1954), Moser (1962) und Arnold (1963). In verschieden Etappen entwickelten sie das ber¨ uhmt gewordene KAM-Theorem, welches in einfachen Worten besagt: “Gen¨ ugend irrationale Tori bleiben bei gen¨ ugend kleinen St¨orungen erhalten”. Dies soll im letzten Abschnitt kurz erl¨ autert werden.

12.1

Das Theorem von Poincar´ e und Birkhoff

Das sogenannte “Fixpunkt-Theorem” von Poincar´e und Birkhoff besagt, dass ein rationaler Torus mit Frequenzverh¨altnis ω1/ω2 = q/s ∈ Q bei einer (gen¨ ugend kleinen) St¨ orung der Integrabilit¨at in eine “Inselkette” von 2ks Fixpunkten aufbricht (k = 1, 2, . . . ), von denen alternativ ks stabil und ks instabil sind. Dies l¨ asst sich qualitativ wie folgt verstehen. Wir gehen von einem zweidimensionalen integrablen System aus mit E = H0 (I1 , I2 ), wobei I1 , I2 die Wirkungs- und θ1 , θ2 die Winkelvariablen auf dem 2-Torus sind. Eine Poincar´e-Schnittfl¨ ache kann z.B. durch das Paar (I1 , θ1 ) := (r, θ) definiert werden, da die Angabe von I1 ja u ¨ber E = H0 (I1 , I2 ) auch I2 festlegt. Im integrablen Fall hat eine Poincar´e-Abbildung also die Form: ri+1

= ri ,

θi+1

= θi + 2π

ω1 . ω2

(309)

Der Radius r (= I1 ) ist eine Erhaltungsgr¨oße, w¨ahrend der Winkel θ sich um einen bestimmten Betrag ¨ andert. Es l¨asst sich zeigen, dass dieser nur vom Radius r abh¨ angig ist, was die sogenannte Twist-Abbildung motiviert:  ′      r r r = =T . (310) θ′ θ + 2πa(r) θ Legt man nun eine St¨ orung an: E = H0 + ǫH1 (θ1 , θ2 , I1 , I2 ), aber so, dass die Gesamtabbildung fl¨ achenerhaltend bleibt, dann ergibt sich:     ri+1 ri + ǫf (ri , θi ) . (311) = θi + 2πa(ri ) + ǫg(ri , θi ) θi+1 87

Im ungest¨ orten System bestehen die rationalen Tori aus lauter Fixpunkten der s-fach angewandten Abbildung T : T s (x∗ ) = x∗ .

(312)

Bei den benachbarten irrationalen Tori wandern hingegen die Punkte auf dem Torus, wobei der Umlaufsinn f¨ ur r > rrat und r < rrat entgegengesetzt ist (vgl. Teil a der folgenden Abbildung). b)

a) x*



Ts( R ε )

r rat

c) instabiler FP stabiler FP

Legt man nun die St¨ orung an, so bleiben, wenn diese nicht zu groß ist, die irrationalen Tori aufgrund des KAM-Theorems erhalten (s.u.). Auch deren Umlaufverhalten ¨ andert sich nicht grundlegend. Es gibt zwar keine Aussage f¨ ur die rationalen Tori dazwischen. Man kann aber aufgrund des Mittelwertsatzes folgern, dass auf jedem Radiusstrahl mindestens ein Punkt liegt, dessen Winkelkomponente auch unter der gest¨orten Abbildung erhalten bleibt. Zusammen bilden diese Punkte einen verformten Kreis Rǫ . Wendet man T s darauf an so ergibt sich T s (Rǫ ) (Abb. b). Wegen der Fl¨achenerhaltung kann diese Kurve weder echt innerhalb noch echt außerhalb von Rǫ liegen: es existieren also Schnittpunkte Rǫ ∩ T s (Rǫ ) und damit Fixpunkte der Abbildung T s . Die Art der Fixpunkte kann durch Analyse der Flusslinien ermittelt werden (Abb. c). Die Anordnung wechselt demnach immer zwischen einem stabilen und einem instabilen Fixpunkt. Ferner ist die Anzahl immer ein Vielfaches von 2s. Das liegt daran, dass bei einem gegebenen stabilen Fixpunkt x∗ die Punkte T (x∗ ), T 2 (x∗ ), . . . , T s−1 (x∗ ) ebenfalls stabile Fixpunkte sind, was insgesamt zu s stabilen Fixpunkten f¨ uhrt. Mit den ebenfalls vorhandenen s instabilen Punkten ergibt sich damit die Insel-Kette und damit die Aussage des Theorems von Poincar´e und Birkhoff. Eine weitere Besonderheit, die durch diesen Satz bedingt ist, ist die selbstahnliche Struktur. In der Umgebung jedes der entstandenen stabilen Fixpunkte ¨ kann die obige Betrachtung erneut gemacht werden; statt der Abbildung T s allerdings mit der Abbildung T ns . Es entsteht erneut eine Kette von stabilen und instabilen Fixpunkten und damit die selbst¨ahnliche Struktur.

88

12.2

Kettenbru ¨ che

Kettenbr¨ uche tauchen bei der Beantwortung der Frage nach der bestm¨oglichen Approximation einer irrationalen Zahl α durch eine rationale Zahl r/s auf: man w¨ unscht bei einem vorgegebenen maximalen s einen m¨oglichst kleinen Fehler |α − r/s|. Ein m¨ ogliches, uns allen wohlvertrautes und t¨aglich benutztes Verfahren ist die Dezimalbruchentwicklung: α = a0 +



X a2 a1 10−k ak . + + ··· = 10 100

(313)

k=0

Der maximale Fehler, der bei Abbruch nach der n-ten Stelle auftritt, betr¨agt 10−n und damit ergibt sich f¨ ur den Fehler: |α − r/s| ≤ 1/s. Eine wesentlich bessere – und tats¨achlich die beste – N¨aherung ergibt sich aber mit Hilfe von Kettenbr¨ uchen: 1

α = a0 +

=:

1

a1 +

a2 +

{a0 , a1 , a2 , . . . } ,

(314)

1 ...

wobei a0 ∈ N0 , ak ∈ N und k ≥ 2 gilt. Die N¨aherung bis zur n−ten Stelle soll mit αn = {a0 , . . . , an } (315) bezeichnet werden. Die Bestimmung der ak kann rekursiv erfolgen: a0 α1

= =

a1

=

αn+1

... =

an+1

=

[α] (ganzzahliger Anteil von α) , α − a0 ,   1 , α1 , αn − an ,   1 . αn+1

(316)

Beispiel: π = 3.14159 . . . 1

π =3+

= {3, 7, 15, 1, 292, . . . }

1

7+

(317)

1

15 + 1+

1 292 + . . .

mit den N¨ aherungen: π1

=

π2

=

π3

=

22 = 3.1428571 . . . , 7 333 = 3.1415094 . . . , 106 355 = 3.1415929 . . . 113 89

(318) (319) (320)

Vor allem die N¨ aherung π3 liegt sehr nahe bei dem wahren Wert. Die Ursache hierf¨ ur ist die Zahl 292 im Kettenbruch, die groß im Vergleich zu den vernachl¨ assigten Termen ist. Der maximale Fehler bei Abbruch eines Kettenbruchs nach der n-ten Stelle ist im Vergleich zur Dezimalbruchentwicklung deutlich besser: |α −

1 rn |≤ , sn sn sn+1 r 1 |α − | ≤ 2 . s s

(321)

Besonders schnell konvergieren hierbei transzendente Zahlen wie π oder e. Beispielsweise gilt f¨ ur die Eulersche Zahl e: e = {1, 1, 2, 1, 1, 4, 1, 1, 6, 1, . . . } = {1, 1, 2n, 1}∞ n=1

(322)

mit st¨ andig√wachsenden Eintr¨agen in der Entwicklung, w¨ahrend f¨ ur die Quadratwurzel 3 = {1, 2, 1, 2, . . . } = {1, 2} die an alle sehr klein sind. Besonders langsam konvergieren die Zahlen 1

{0, 1} =

1+

(323)

1 1 + ...

und {1}

=

1

1+ 1+

1 1 + ...

,

(324)

und allgemein Zahlen, die ab einem gewissen an nur noch Einsen in der Entwicklung besitzen, die sogenannten “noble numbers”. Bekannt ist vor allem der oben √ angegebene goldene Schnitt: {0, 1} = 12 ( 5 − 2) = 0.118033988 . . . Wir werden sehen, dass die “noble numbers” im Zusammenhang mit dem KAM-Theorem eine besondere Rolle spielen.

12.3

Das KAM-Theorem

Im Folgenden soll das KAM-Theorem f¨ ur N = 2 Dimensionen diskutiert werden. In h¨ oheren Dimensionen gelten ganz analoge Aussagen; gewisse Absch¨atzungen lassen sich jedoch nicht so pr¨azise formulieren. Gegeben sei ein integrables System H0 und eine St¨ orung ǫH1 . H0 + ǫH1 soll in einem Bereich des komplexen Phasenraums C 2n analytisch sein. Ferner darf das System nicht entartet sein, d.h. |∂ωi /∂Ii | = 6 0. Dann folgt, dass unter einer hinreichend kleinen St¨ orung (ǫ ≪ 1) diejenigen Tori erhalten bleiben, deren Frequenzverh¨altnis ω1 /ω2 gen¨ ugend irrational ist. Die genaue Bedingung hierf¨ ur lautet: ω1 r k(ǫ) (325) ω2 − s > s2.5 ,

wobei die Gr¨ oße k(ǫ) von der St¨orung abh¨angig ist und limǫ→0 k(ǫ) = 0 gilt.

90

Man k¨ onnte nun annehmen, dass obige Bedingung nirgends erf¨ ullt ist, da die rationalen Zahlen dicht in R liegen. Sch¨atzt man allerdings die Gesamtl¨ange L des Bereichs ab, wo (325) nicht gilt X X ω1 X r X X k(ǫ) < L< − < k(ǫ) s−1.5 , (326) ω2 2.5 s s s r