Nicht-invasive Beatmung bei chronisch obstruktiver Lungenerkrankung 1

Schweiz Med Wochenschr 1999;129:1013–24 Peer reviewed article I. Laube, K. E. Bloch Abteilung für Pneumologie, Departement Innere Medizin, Universitä...
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Schweiz Med Wochenschr 1999;129:1013–24 Peer reviewed article

I. Laube, K. E. Bloch Abteilung für Pneumologie, Departement Innere Medizin, UniversitätsSpital Zürich

Übersicht

Nicht-invasive Beatmung bei chronisch obstruktiver Lungenerkrankung1

Summary

Non-invasive ventilation refers to ventilatory support without establishing an endotracheal airway. The advent of positive-pressure ventilation delivered through a nasal or face mask has greatly expanded the use of non-invasive ventilation. In patients with acute respiratory failure due to chronic obstructive lung disease, non-invasive positive pressure ventilation reduces the need for intubation and related complications, shortens the duration of hospital stay and improves survival. The role of inter-

mittent non-invasive long-term ventilation in the management of chronic respiratory failure related to chronic obstructive lung disease remains to be defined. The advantages of this therapy as an adjunct to conventional medical treatment and long-term oxygen therapy are not well established. Introduction of non-invasive ventilation requires close monitoring by experienced staff. Technical advances in delivery systems have improved the results and acceptance of this promising therapy. Keywords: noninvasive ventilation; chronic obstructive pulmonary disease; positive pressure ventilation; negative pressure ventilation

Unter nicht-invasiver Beatmung versteht man eine mechanische Unterstützung der Atmung ohne endotrachealen Zugang. Die nicht-invasive Überdruckbeatmung, die über Gesichts-, Mund/Nasen- oder Nasenmasken appliziert wird, kann bei Patienten mit akuter respiratorischer Insuffizienz im Rahmen einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung die Notwendigkeit zur Intubation und die damit verbundenen Komplikationen reduzieren, die Hospitalisationsdauer verkürzen und das Überleben verbessern. Die Rolle der nicht-invasiven, intermittierenden Langzeit-Beatmung bei chronischer Hypoventilation als Folge einer chro-

nisch obstruktiven Lungenkrankheit ist zurzeit noch nicht etabliert. Bisherige Studien zeigen keine eindeutigen Vorteile gegenüber der üblichen Behandlung mit Medikamenten und Sauerstoff allein. Die Einleitung einer nicht-invasiven Beatmung erfordert eine engmaschige Überwachung durch erfahrenes Personal. Die Entwicklung von neuartigen Ventilatoren und Masken hat wesentlich zu den Erfolgen und zur zunehmenden Verbreitung der nicht-invasiven Beatmung beigetragen. Keywords: nichtinvasive Beatmung; chronisch obstruktive Lungenkrankheit; Überdruckbeatmung; Unterdruckbeatmung

Non-invasive ventilation in patients with chronic obstructive lung disease

Zusammenfassung

1 Diese Arbeit wurde durch die Lungenliga des Kantons Zürich unterstützt.

Korrespondenz: PD Dr. med. Konrad E. Bloch Pneumologische Abteilung UniversitätsSpital Rämistrasse 100 CH-8091 Zürich

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Übersicht

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Einleitung Unter nicht-invasiver Beatmung versteht man eine mechanische Unterstützung der Atmung ohne endotrachealen Zugang. In den letzten Jahren hat die nicht-invasive Überdruckbeatmung, die über Gesichts-, Mund/Nasen- oder Nasenmaskensysteme appliziert wird, in der Therapie der akuten und chronischen respiratorischen Insuffizienz an Bedeutung gewonnen. Diese systematische Übersichtsarbeit soll die Einsatzmöglichkeiten der nicht-invasiven Beatmung bei der chronisch obstruktiven

Lungenerkrankung (chronic obstructive pulmonary disease, COPD), einer der häufigsten Ursachen der Ateminsuffizienz, erläutern. Über die seit mehreren Jahren erfolgreich durchgeführte nicht-invasive Beatmung von Patienten mit Thoraxdeformitäten und neuromuskulären Erkrankungen wird hier nicht näher berichtet. Mehrere Übersichtsarbeiten haben sich eingehend mit diesem Thema auseinandergesetzt [1, 2].

Methode Wir führten eine Literatursuche in den MEDLINE- und PubMedDatenbanken für die Zeitperiode von 1966 bis 1999 durch. Als Suchbegriffe (MESH-Stichwörter) verwendeten wir «noninvasive ventilation» (64 bzw. 1383 Artikel); «noninvasive positive pressure ventilation» (71 bzw. 288); «noninvasive positive pressure ventilation and COPD» (15 bzw. 86); «negative pressure ventilation» (161 bzw. 43); und «negative pressure ventilation and COPD» (27 bzw. 15). Die Titel und Abstracts wurden durchgesehen und alle relevanten Arbeiten im Detail studiert. Dazu gehörten alle randomisierten, kontrollierten Studien, retrospektive Untersuchungen über technische Aspekte und unerwünschte Wirkungen sowie Über-

sichtsarbeiten, die vor allem die klinischen Parameter in Hinblick auf Überlebensrate, Hospitalisationsdauer, aber auch physiologische Aspekte beurteilten. Weitere Quellen waren Lehrbücher sowie die eigene Erfahrung an der Abteilung für Pneumologie des UniversitätsSpitals Zürich [3]. Die Wertung der Studien erfolgte anhand der 1997 von der American Thoracic Society publizierten Richtlinien [4]. Wo dies nicht anders erwähnt wird, stützt sich unsere Beurteilung der klinischen Wirksamkeit der nicht-invasiven Beatmung auf Untersuchungen, welche die Kriterien für die Evidenz-Kategorie B2 oder mehr erfüllen, was mindestens randomisierten, kontrollierten Studien entspricht [4].

Respiratorische Insuffizienz bei COPD Die akute oder chronische respiratorische Insuffizienz ist eine wichtige Ursache von Morbidität und Mortalität bei der COPD. Bedingt durch die Atemwegsobstruktion und den Verlust an Gasaustauschoberfläche (beim Lungenemphysem) kommt es zur Beeinträchtigung der Sauerstoffaufnahme und der Kohlendioxidabgabe (Abb. 1). Der erhöhte Atemwegswiderstand und die damit verbundene Überblähung mit ungünstiger Thoraxkonfiguration erfordern eine vermehrte Atemarbeit. Eine wichtige Rolle spielt dabei der sogenannte Auto-PEEP (PEEP = positive endexpiratory pressure) oder intrinsische PEEP. Dieser Überdruck in den Alveolen und Atemwegen baut sich durch gefangene Luft, die nicht ausgeatmet werden kann, auf. In Abhängigkeit vom Schweregrad der COPD und bei Exazerbationen kann der Auto-PEEP mehrere Zentimeter H2O betragen [5]. Bei jeder Einatmung muss dieser Überdruck zuerst überwunden werden, bevor ein Atemfluss zustande kommt. Allein zur Überwindung des Auto-PEEP werden bis zu 50% der Atemarbeit aufgebracht [5]. Zusätzlich muss der Druck zur Überwindung des erhöhten Atemwegswiderstands und der Lungen- und Brustwandausdehnung generiert werden. Bei fortschreitender Atemwegsobstruk1014

tion nimmt die Überblähung zu, der AutoPEEP steigt weiter an. Die vermehrte Atemarbeit erhöht wiederum den Sauerstoffbedarf und die Kohlendioxidproduktion. Um die zur Einatmung notwendige Kraft zu vermindern, atmen Patienten mit schwerer COPD oberflächlich und rasch [6, 7]. Dies erhöht die Totraumventilation und beeinträchtigt die CO2Elimination. Die zentrale Atemstimulation (respiratory center drive) ist bei Patienten mit COPD unterschiedlich. Sie ist häufig erhöht [8], kann aber auch vermindert sein, was das Auftreten einer alveolären Hypoventilation begünstigt. Eine ungleichmässige Verteilung der Ventilation und Perfusion in verschiedenen Lungenabschnitten führt zusammen mit dem Verlust an Alveolen zur zunehmenden arteriellen Hypoxämie (respiratorische Partialinsuffizienz). Bei Fortschreiten der COPD, durch interkurrente respiratorische Infekte oder Begleitkrankheiten wie Herzinsuffizienz, wird der Gasaustausch zusätzlich beeinträchtigt, und das Atemzugvolumen nimmt weiter ab. Eine adäquate Minutenventilation kann nicht mehr aufrecht erhalten werden. Dies führt zur Hyperkapnie mit respiratorischer Azidose (respiratorische Globalinsuffizienz). Klinisch präsentieren sich diese Patienten mit

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Abbildung 1 Bei der chronisch obstruktiven Lungenkrankheit ist sowohl die Sauerstoffaufnahme als auch die CO2-Abgabe beeinträchtigt. Die wichtigsten dafür verantwortlichen Faktoren sind schematisch dargestellt. Eine Progression der Grundkrankheit, interkurrente Infekte und andere Erkrankungen können zur akuten oder chronischen Dekompensation mit Hyperkapnie und respiratorischer Azidose führen.

Dyspnoe, Tachypnoe und Hyperkapnie-bedingten Symptomen wie neuropsychischen Störungen mit Kopfschmerzen, Leistungsabfall, intellektuellem Abbau, Hypersomnie und Schlafstörungen. Die Hypoxie führt zur Polyglobulie und zu pulmonaler Hypertonie mit Rechtsherzüberlastung und Ödemen. Trotz Sauerstofflangzeittherapie beträgt die kumulative Überlebensrate bei Patienten mit fortgeschrittener, Sauerstofftherapie-bedürftiger COPD mit einem arteriellen PO2 0,05 versus konventionelle Therapie. Diese bestand in einer medikamentösen Therapie, Sauerstoffgabe und, sofern notwendig, Intubation und mechanischer Beatmung. 2 nur Patienten, bei denen die nicht-invasive Beatmung effektiv durchgeführt werden konnte, eingeschlossen

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Übersicht höhere Überlebensrate nach 60 Tagen (23 von 25 Patienten, 92%) im Vergleich zur Kontrollgruppe (18 von 25, 72%) [31]. Günstige Ergebnisse der erwähnten und früherer Unter-

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suchungen führten zur Vermutung, dass die nicht-invasive gegenüber der invasiven Beatmung auch kosteneffizienter sei [32].

Wirksamkeit der nicht-invasiven Überdruckbeatmung bei COPD mit chronischer respiratorischer Insuffizienz Es ist unbestritten, dass die Langzeitsauerstofftherapie das Überleben der Patienten mit COPD und chronischer Hypoxämie verbessert [9, 10]. Ob eine zusätzliche intermittierende nicht-invasive Beatmung die Prognose günstig beeinflusst, wurde dagegen noch zu wenig gut untersucht. Bei hypoxischen Patienten mit stabiler COPD, bei denen eine zusätzliche Sauerstoffgabe wegen zunehmender Hyperkapnie nicht möglich war, konnte mit nicht-invasiver Beatmung eine Verbesserung der arteriellen Blutgase erzielt werden [33]. Im Vergleich zu einer historischen Kontrollgruppe von Patienten mit COPD und Hypoxämie, die in der NOTT-Studie [9] mit nächtlicher Sauerstofftherapie behandelt wurden, war das 1- und 3Jahres-Überleben bei zusätzlicher nicht-invasiver Beatmung in der erwähnten Studie allerdings nicht besser [33]. Eine signifikante Verbesserung von Blutgaswerten, Schlafqualität

und Lebensqualität konnte mit einer kombinierten Therapie mit Langzeitsauerstoff und nicht-invasiver Überdruckbeatmung in einer randomisierten Cross-over-Studie gezeigt werden [34]. In anderen Untersuchungen wurde die nicht-invasive Beatmung über eine Dauer von 3 Monaten von den Patienten allerdings schlecht akzeptiert, und die Blutgaswerte, die nächtliche Sauerstoffsättigung und die Schlafqualität verbesserten sich nicht [35, 36]. Weitere Daten aus grösseren, kontrollierten Studien [37–39] sind notwendig, um den Stellenwert der nicht-invasiven Beatmung bei chronischer respiratorischer Insuffizienz im Rahmen der COPD zu definieren. Die COPD ist deshalb in den Richtlinien der Schweizerischen Gesellschaft für Pneumologie nicht als Standardindikation zur Langzeit-Heimventilation aufgeführt [40].

Unerwünschte Wirkungen der nicht-invasiven Überdruckbeatmung Druckstellen im Nasen-Mundbereich mit Hautrötungen oder gar Hautnekrosen, insbesondere im Bereich des Nasensteges, kommen als Folgen einer schlecht angepassten Maske vor [13, 15, 41, 42]. Luftlecks durch nicht optimal sitzende Masken können Augenirritationen verursachen. Die Wahl einer anderen Maske kann diese Probleme oft lösen. Befeuchtungssysteme bieten Abhilfe beim Austrocknen der Schleimhäute [15]. Mundlecks, die bei Beatmung über Nasenmasken auftreten, können

entweder mittels einer Kinnbinde behoben werden, oder man verwendet eine Gesichtsoder Mund-/Nasenmaske. Ein gewisses Risiko der nicht-invasiven Beatmung ist die Aspiration von Mageninhalt als Folge einer Magenüberblähung. Die Gefahr ist jedoch bei einem Inspirationsdruck unter 25–30 cm H2O sehr gering [13]. Im Vergleich zur invasiven Beatmung sind Pneumothorax, Hypotension, Pneumonien, Sinusitiden sowie laryngotracheale Verletzungen deutlich seltener.

Praktische Durchführung der nicht-invasiven Überdruckbeatmung Patientenselektion Der Patient sollte wach und kooperativ sein. Bei Gefahr einer Aspiration, z.B. bei gestörtem Schluckreflex, zerebraler Funktionsstörung oder aktiver gastrointestinaler Blutung, sollte auf eine nicht-invasive Beatmung verzichtet und eine maschinelle Beatmung mit endotrachealem Zugang gewählt werden. Dasselbe gilt bei starker Bronchialsekretion, da in dieser 1020

Situation häufig endobronchial abgesaugt werden muss. Hämodynamische Instabilität mit Hypotension oder lebensbedrohliche Arrhythmien sind weitere Kontraindikationen für eine nicht-invasive Beatmung (Tab. 4). Akute Verletzungen oder Verbrennungen des Gesichts oder anatomische Veränderungen von Gesicht oder Nase können ein Maskentragen verunmöglichen. Bei bedrohlicher, therapierefraktärer Hypoxämie mit einem arteriellen Sauer-

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Tabelle 4

Maskenintoleranz wegen fehlendem Komfort, Schmerzen oder Klaustrophobie

Kontraindikationen und Abbruchkriterien für nichtinvasive Beatmung.

Intubation notwendig bei Sekretretention oder Aspirationsgefahr hämodynamische Instabilität Ischämiezeichen in EKG, Arrhythmien fehlende zerebrale Verbesserung 30 Minuten nach Beginn der nicht-invasiven Beatmung, hyperkapnisches Koma, Agitation fehlende Verbesserung von Blutgaswerten oder Dyspnoe unter nicht-invasiver Beatmung

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