HISTORISCHE ZEITSCHRIFT

HISTORISCHE ZEITSCHRIFT BEGRÜNDET VON HEINRICH VON SYBEL FORTGEFÜHRT VON FRIEORICH MEINECKE UND THEOOOR SCHIEOER In Verbindung mit Jochen B1eicken, Kn...
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HISTORISCHE ZEITSCHRIFT BEGRÜNDET VON HEINRICH VON SYBEL FORTGEFÜHRT VON FRIEORICH MEINECKE UND THEOOOR SCHIEOER In Verbindung mit Jochen B1eicken, Knut Borchardt, Johannes Fried, Klaus Hildebrand, Hartmut Leppin, Erich Meuthen, Gerhard A. Ritter, Eberhard Weis herausgegeben von Lothar Gall

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R. Oldenbourg Verlag München 2002

Die Absolutismusdebatte

- eine Antipolemik

Von Heinz Duchhardt

Der Würzburger Frühneuzeithistoriker Peter Baumgart hat sich mit seiner - rasch nach dem Ereignis selbst (1999) publizierten - Abschiedsvorlesung, also an einem markanten und hervorgehobenen Punkt seiner Wissenschaftlerkarriere, in die seit einigen Jahren andauernde Debatte um den .Absolutismus" eingeschaltet.' Da die Debatte, recht betrachtet, von dieser Zeitschrift ihren Ausgang genommen hat-, wähle ich erneut die Historische Zeitschrift als wissenschaftliches Forum, um darauf zu replizieren. Denn Tenor und Argumentation der Baumgartsehen Abhandlung ebenso wie die Sache selbst machen eine Replik unumgänglich.

* Baumgart, seit seiner Dissertation über Zinzendorfs Geschichtsdenken vor allem - die Helmstedt gewidmete Habilitationsschrift blieb allerdings leider unveröffentlicht - im Bereich der frühneuzeitlichen Bildungs- und Universitätsgeschichte ausgewiesen, aber auch mit einigen gut konzipierten und weiterführenden Sammelbänden zur preußischen Geschichte und durch seine Mitarbeit an der Fortsetzung der Acta Borussica bekannt geworden, zudem mit einem für akademische Übungen konzipierten Quellenbändchen zum preußischen Absolutismus, muß ganz ohne Frage als ein exzellenter Kenner (brandenburg- )preußischer Staatlichkeit und Kultur seit dem Großen Kurfürsten angesehen werden. Nicht ohne Grund wurde ihm auch der (wichtige) biographische I Peter Baumgart. Absolutismus ein Mythos? Aufgeklärter Absolutismus ein Widerspruch? Reflexionen zu einem kontroversen Thema gegenwärtiger Frühneuzeitforschung, in: ZHF 27, 2000, 573-589. 2 Hein: Duchhardt, Absolutismus - Abschied von einem Epochenbegriff?, in: HZ 258, 1994, 113-122.

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Historische Zeitschrift Band 275 (2002)

Essay über den "Soldatenkönig" in dem jüngst erschienenen repräsentativen Sammelband über Preußens Herrscher anvertraut.' Seine oben angesprochene Abschiedsvorlesung thematisiert drei Forschungsfelder: die Frage des österreichisch-preußischen "Dualismus" im 18. Jahrhundert, die Absolutismusdiskussion und den Diskurs über den Aufgeklärten Absolutismus (bzw, die in jüngster Zeit in Vorschlag gebrachten Alternativbegriffe). Der erste und der dritte Teil des Beitrags beruhen auf sich; meine Replik zielt nur auf den Mittelteil. In ihm läßt Baumgart nicht ohne Ironie und spitze Bemerkungen "einige" deutsche Historiker, darunter den Verfasser dieser Zeilen, sehr deutlich wissen, für wie überflüssig er die gesamte Diskusssion über den .Absolutismus'' hält. Er geht so weit, den Autor dieser Miszelle als eine Art Konjunkturritter zu charakterisieren, der bisher mit dem Absolutismus-Begriff gut gelebt und ihn üppig benutzt habe und sich nun einem modischen Revisionismus anschließe. Zu diesem Behuf wird gleich mehrfach+ auf den Titel meines Grundriß-Bandes> abgehoben, der allein für sich schon die ganze Widersprüchlichkeit widerspiegele. Baumgart weiß sehr genau, daß der fragliche Grundriß-Band zunächst einem anderen Autor anvertraut war und ich erst zu einem Zeitpunkt in das Vorhaben einstieg und den Band übernahm, als mit diesem keine Einigung über das Manuskript erzielt werden konnte (und er es dann in einem anderen Verlag - unter dem Titel .Absolutismus" - publizierte). Es war völlig klar, daß nach jahrelanger Vorankündigung und Bewerbung durch den Verlag der Titel zum Zeitpunkt des Autorwechsels nicht mehr zu ändern war. Aber jeder Leser kann sich glücklicherweise anhand des Vorworts zur Erstauflage", das in die Folgeauflagen jeweils übernommen wurde, selbst einen Eindruck verschaffen von den massiven Bedenken des Autors, der in bezug auf den Titel ausdrücklich von einer "Verlegenheitslösung" sprach und der in einem längeren Forschungsbericht? insbesondere auch jene Arbeiten vorstellte, die sich kritisch mit dem Begriff auseinandersetzten und seine Sinnhaftigkeit mit Fragezeichen versahen. Und dieses Unbehagen setzte sich schließFrank-Lothar Kroll (Hrsg.), Preußens Herrscher. Von den ersten Hohenzollern bis Wilhelm 11.München 2000, 134-159. 4 Baumgart. Absolutismus ein Mythos? (wie Anm. I), Anm. 23, 24, 42. 5 Hein: Duchhardt, Das Zeitalter des Absolutismus. (Oldenbourg Grundriß der Geschichte, Bd. 11.) München 1989, 3. Aufl. ebd.1998. 3

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Ebd. XII. Ebd. 166-171.

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lieh auch in vielen anderen Publikationen fort; meine "Deutsche Verfassungsgeschichte 1495-1806". um nur ein Beispiel anzuführen, spiegelt das wohl deutlich genug wider." In einem vor etlichen Jahren festgelegten Titel eines Teilbandes einer "Geschichte Europas", der jetzt abgeschlossen ist. taucht der Begriff "Absolutismus" selbstredend nicht auf. Kann es vor dem Hintergrund eines solchen eigenen Reftexionsprozesses verwundern. daß man ein - wie ich trotz aller seiner SchwachsteIlen nach wie vor glaube: wichtiges - Buch? zum Anlaß nimmt, Fragen zu stellen (und diese Fragen in der üblichen Form - durch eine Rezension und die Anregung eines wissenschaftlichen Gesprächs - an das Fachpublikum weiterzugeben)? Es ist keine internationale Konferenz .zelebriert"!" worden, sondern es ist, wie es guter Brauch in der Geschichtswissenschaft war, ist und sein wird, ein Kreis von kompetenten Sachkennern eingeladen worden, um im Pro und Contra über Henshalls Thesen zu diskutieren - auch und gerade mit ihm selbst! Das waren längst nicht nur Kollegen und Kolleginnen, die Henshalls Position teilten. vielmehr fand damals in Münster ein rundum ehrlicher Meinungsaustausch statt - rechtfertigt das die Begrifflichkeit "zelebrieren", rechtfertigt das die Unterstellung, deutsche Historiker hätten "eilfertig"!! auf einen ..derartigen peripheren Anstoß von außen'
* Erlaubt sein muß es nicht zuletzt, über Alternativbegriffe nachzudenken. Die Ansichten, den Barock-Begriff, der von Nachbardisziplinen ohne Bedenken nach wie vor auf die fragliche Epoche appliziert wird, auch für die Geschichtswissenschaft neu fruchtbar zu machen, mögen geteilt sein, aber grundsätzlich glaube ich - mit Olaf Mörke->, aber auch mit Paul Münch= -, daß es der Geschichtswissenschaft gut anstünde, auf Begriffe bedacht zu sein, die von der etatistischen Ebene wegführen und die, dies nun mein besonderes Anliegen, auch für andere Disziplinen akzeptabel sind. .Konfessionalisierung" ist einer dieser Begriffe, der für einen distinkten Zeitraum politische und geistesgeschichtliche Prozesse zusammenbindet und der zugleich so viel "Griffigkeit" besitzt, um im Ohr des breiten Publikums zu bleiben. Es würde sicher auch der preußenorientierten Geschichtswissenschaft zum Vorteil gereichen, nicht am Mythos eines preußischen (und europäischen) .Absolutismus" zu kleben, sondern bei der Suche nach einem neuen historiographischen Leitbegriff konstruktiv mitzuwirken.

Vgl. Anm. 23. Dia! Morke, Die Diskussion um den Absolutismus als Epochenbegriff. Ein Beitrag über den Platz Katharinas 11. in der europäischen Politikgeschichte. in: Eckhard Hübner/Jan KusberlPeter Nitsche (Hrsg.), Rußland zur Zeit Katharinas 11. Absolutismus - Aufklärung - Pragmatismus. KölnfWeimar/Wien 1998,9-32. 26 Vg!. oben Anm. 16. 24 25

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Zusammenfassung Die Diskussion über den Absolutismus als Herrschaftsform und als Epochenbezeichnung hat seit dem aufrüttelnden Buch von Nicholas Henshall (1992) vor allem in Deutschland auf breiter Front eingesetzt und hat unter den Frühneuzeitlern einen unübersehbaren Trend ausgelöst, den Begriff kritisch auf den Prüfstand zu stellen und die Kompatibilität von Epochenspezifik und Begrifftichkeit zu überdenken. Diese "revisionistische" Sicht wird freilich nicht von allen in der und über die Epoche arbeitenden Historikern geteilt. Ein einschlägiger Aufsatz Peter Baumgarts wird zum Anlaß genommen, erneut auf die Sinnhaftigkeit und Fruchtbarkeit der Diskussion hinzuweisen und zu unterstreichen, daß das Klischee vom "absoluten", von den Bedürfnissen seiner Untertanen weit entfernten Fürsten, der alles - Ressourcen und Menschen in den Dienst der Befriedigung seiner Launen stellt, mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat. Die Miszelle warnt zudem nachdrücklich davor, im Zuge von "Rettungsaktionen" den Absolutismus-Begriff nun gar auf viel größere Zeiträume, als bisher üblich, auszudehnen. Die Forderung der Stunde ist, konstruktiv über seine Fragwürdigkeit nachzudenken, nicht, ihn zu .nniversalisieren".