Herausgeber: Prof. Dr. Monika Jachmann-Michel Holger Radke Prof. Dr. Thomas Voelzke Prof. Dr. Stephan Weth RA Prof. Dr. Christian Winterhoff

Herausgeber: Prof. Dr. Monika Jachmann-Michel Holger Radke Prof. Dr. Thomas Voelzke Prof. Dr. Stephan Weth RA Prof. Dr. Christian Winterhoff M2 Die M...
Author: Imke Albrecht
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Herausgeber: Prof. Dr. Monika Jachmann-Michel Holger Radke Prof. Dr. Thomas Voelzke Prof. Dr. Stephan Weth RA Prof. Dr. Christian Winterhoff

M2 Die Monatszeitschrift

FEBRUAR

2016

Beilage zum Anwaltsblatt

Topthema:

In dieser Ausgabe:

Cybercrime – was ist das?

Neues Europäisches Erbrecht in Kraft getreten – der Beratungsbedarf ist nicht einmal ansatzweise gedeckt

StA Martin Reiter

RA u. FA für Familienrecht, Notar Heinz Jürgen Steiniger

Mediation – eine rechtsvergleichende und interdisziplinäre Skizze RA‘in Dr. Carolin Kühne, Master en Droit

Die

auch unter www.juris.de

Die Sanktion nach dem SGB II nach der Beendigung einer Erwerbstätigkeit RiSG Dr. Oliver Schur

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Expertengremium: Wolfgang Ball | RA Prof. Dr. Guido Britz | Prof. Dr. Harald Dörig | Dr. Heinz-Jürgen Kalb | Prof. Dr. mult. Michael Martinek | Dr. Wolfram Viefhues

INHALT

JM 2

FEBRUAR

2016

AUFSÄTZE UND ANMERKUNGEN Zivil- und Wirtschaftsrecht

Neues Europäisches Erbrecht in Kraft getreten – der Beratungsbedarf ist nicht einmal ansatzweise gedeckt RA u. FA für Familienrecht, Notar Heinz Jürgen Steiniger S. 46 Mediation – eine rechtsvergleichende und interdisziplinäre Skizze Ra‘in Dr. Carolin Kühne, Master en Droit S. 51 Kein Land in Sicht – das Dilemma des Safe-Harbor-Urteils EuGH, Urt. v. 06.10.2015 - C-362/14 Prof. Dr. Dirk Heckmann und Wiss. Mit. Tobias Starnecker S. 58 Anforderungen an einen wirksamen Verzicht auf künftigen Trennungsunterhalt BGH, Beschl. v. 30.09.2015 - XII ZB 1/15 W. a. RiAG a.D. Dr. Wolfram Viefhues S. 61

Arbeitsrecht

Sozialrecht

Kartellrechtliche Missbrauchskontrolle von Wasserpreisen BGH, Beschl. v. 14.07.2015 - KVR 77/13 Dr. Manuel Karb

S. 64

Stichtagsklauseln als „getarnte“ Differenzierungsklauseln BAG, Urt. v. 15.04.2015 - 4 AZR 796/13 Prof. Dr. Stefan Greiner

S. 66

Die Sanktion nach dem SGB II nach der Beendigung einer Erwerbstätigkeit RiSG Dr. Oliver Schur

S. 70

V

Die Monatszeitschrift

INHALT

AUFSÄTZE UND ANMERKUNGEN Verwaltungsrecht

Topthema:

Notenschutz für Legastheniker BVerwG, Urt. v. 29.07.2015 - 6 C 35/14 RiOVG Dr. Holger Wöckel

S. 78

Steuerrecht

Aufwendungen eines Arbeitnehmers für die Feier des Geburtstages und der Bestellung zum Steuerberater BFH, Urt. v. 08.07.2015 - VI R 46/14 RiBFH Dr. Stephan Geserich S. 81

Strafrecht

Cybercrime – was ist das? StA Martin Reiter

S. 83

NACHRICHTEN

Keine Urhebervergütung für bloßes Bereitstellen von Fernsehgeräten in Hotelzimmern

S. 86

Erfolglose Verzögerungsbeschwerde wegen Dauer eines Verfassungsbeschwerdeverfahrens S. 86

BÜCHERSCHAU

VI

„Enge“ Bestpreisklauseln kartellrechtswidrig

S. 86

Tillmann/Schiffers/Wälzholz/Rupp, Die GmbH im Gesellschafts- und Steuerrecht RiBFH Prof. Dr. Monika Jachmann-Michel

S. 87

Rödder/Herlinghaus/Neumann, Körperschaftsteuergesetz RiBFH Prof. Dr. Monika Jachmann-Michel

S. 87

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EDITORIAL

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2016

Die moderne Welt verlangt nach modernen Regularien – nicht nur für Cybercrime bor-Urteil des EuGH. Heckmann und Starnecker machen die Friktionen einseitig europäischer Datenschutzstandards deutlich (S. 58).

Prof. Dr. Monika Jachmann-Michel Richterin am Bundesgerichtshof

Der Raum der unbegrenzten Möglichkeiten wird zunehmend zum Ort krimineller Machenschaften. Wahrgenommen wird der Tatort Internet wohl am ehesten, wenn es um Betrug bei Online-Auktionen, Beleidigung in sozialen Netzwerken oder Bedrohung bzw. Erpressung in Chatrooms geht. Die Frage, ob der eigene Computer Teil eines sog. Botnetzes sein könnte, also einer Sammlung kompromittierter PC’s („Bots“), die ein Angreifer aus der Ferne kontrollieren kann, stellt sich aber wohl kaum jemand. Schon eine konkrete Vorstellung vom Phänomen „Cybercrime“ bzw. „IuKKriminalität“ (Internet- und Kommunikationskriminalität) dürfte dem Durchschnitts-PC-Nutzer fehlen. Treffend stellt Reiter daher die Frage „Cybercrime – was ist das?“, und führt aus, welche neuen Herausforderungen für Strafrecht und Strafverfolgung sich insoweit stellen (S. 83). Dabei ist von einer Art verzerrtem Spiegelbild der legalen Wirtschaft die Rede, von nachladbarer Schadsoftware, von Spamming, Malware oder Phishing und von einer neuen Tätergeneration, die etwa aus sog. Schwärmen agiert. Jugendschutz und Jugendkriminalität stehen im Fokus. Freilich ist effektive Strafverfolgung nicht nur bei Cybercrimedelikten selbst auf das Internet angewiesen. Für den Laien ein ähnlich unsicheres Feld wie das Internet ist der Datenschutz, dies gerade nach dem Safe-Har-

Das vorliegende Heft der jM zeigt dem geneigten Leser aber nicht nur sub specie Internet und Datenschutz aktuelle Probleme auf. So ist auch ein neues Europäisches Erbrecht in Kraft getreten. Steiniger erläutert den damit einhergehenden Paradigmenwechsel aus der Perspektive des Rechtsberaters (S. 46). Gegenstand aktueller Symposien ist die Streitkultur in Deutschland, ein Kernthema dabei die Mediation. Kühne gibt hierzu einen rechtsvergleichenden und interdisziplinären Überblick (S. 51). Moderne Lebensformen implizieren erhöhte Scheidungsraten. Es liegt nahe, schon vor der Ehe Trennungsfolgen zu regeln; hierfür gibt es aber rechtliche Grenzen. Viefhues erläutert die Anforderungen an einen wirksamen Verzicht auf künftigen Trennungsunterhalt (S. 61). Moderne Daseinsvorsorge geschieht vielfach im Wettbewerb der Anbieter. Angesichts der staatlich legitimierten Monopolisierung des Wassermarkts erscheint eine besondere kartellrechtliche Missbrauchskontrolle von Wasserpreisen geboten (dazu Karb, S. 64). Die aktuellen Entscheidungen im Tarifrecht sind konfliktreich; dies erörtert Greiner anlässlich der neuen BAGRechtsprechung zu Stichtagsklauseln, die ganz erhebliche Differenzierungen gestattet (S. 66). Im Sozialrecht sind die Regelungen zu „Hartz IV“ auch nach über zehn Jahren keineswegs einfach zu verstehen und anzuwenden. Zentralen Fragen zu den Sanktionen bei der Beendigung einer Erwerbstätigkeit geht Schur nach (S. 70). Eine für den Steuerpflichtigen positive neue Entscheidung des BFH bespricht Geserich (S. 81): Aufwendungen eines Arbeitnehmers für eine Feier aus nur zum Teil beruflichem Anlass sind nunmehr anteilig als Werbungskosten abziehbar. Im Trend unserer modernen Zeit liegt das Thema von Wöckels Anmerkung zur Rechtsprechung des BVerwG zum Notenschutz für Legastheniker (S. 78), geht es doch auch hier um die angemessene Berücksichtigung einer Behinderung. Insgesamt verspricht Heft 2 der jM 2016 eine ebenso vielfältige wie spannende Lektüre moderner Herausforderungen wie Fragestellungen aus den verschiedensten Feldern unserer Rechtsordnung. Monika Jachmann-Michel

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Die Monatszeitschrift

AUFSÄTZE UND ANMERKUNGEN

Zivil- und Wirtschaftsrecht

Neues Europäisches Erbrecht in Kraft getreten – der Beratungsbedarf ist nicht einmal ansatzweise gedeckt RA u. FA für Familienrecht, Notar Heinz Jürgen Steiniger A. Einleitung Die Europäische Erbrechtsverordnung (EuErbVO) vom 07.06./27.07.2012 ist gem. Art. 84 Abs. 1 EuErbVO am 17.08.2015 Rechtswirklichkeit geworden. Sie gilt für Erbfälle ab dem 17.08.2015 und führt zu einem nachhaltigen Paradigmenwechsel im internationalen Erbrecht.1 Die Vorschriften der EuErbVO sollen eine Nachlassspaltung in der Regel vermeiden. Dies ist insbesondere der Fall bei Ländern, die in ihrem internationalen Privatrecht für die Beerbung des unbeweglichen Nachlasses das Belegenheitsrecht (= lex rei sitae) anwenden. Die Einbettung der neuen Regelungen in das nationale Erbrecht hat zahlreiche Anpassungen erforderlich gemacht. Am 29.06.2015 hat der deutsche Gesetzgeber das internationale Erbrechtsverfahrensgesetz (IntErbRVG) verabschiedet, was auch Vorschriften zum Erbschein etc. betrifft, und dieses Gesetz ist ebenfalls am 17.08.2015 in Kraft getreten.2 B. Anwendung I. Warum sollte/muss der Rechtsberater (Rechtsanwalt/Notar) diese Regelungen kennen, und was sind die Auswirkungen dieser neuen Regelungen? In den letzten Jahren hat es neben den oben aufgeführten Regelungen weitere neue Regelungen im internationalen Eherecht gegeben, wobei auf das internationale Eherecht nach ROM-III (EU-Verordnung Nr. 1259/2010) ergänzend verwiesen wird. Diese Verordnung gilt für Trennungs- oder Ehescheidungsverfahren, wobei die eingetragenen Lebenspartnerschaften ausgenommen sind. Zentrale – als auch neuralgische – Begriffe der Neuregelungen, sowohl im internationalen Eherecht (ROM-III) als auch in der neuen EuErbVO, sind drei Punkte: 1. Der gewöhnliche Aufenthalt 2. Die Rechtswahlmöglichkeit 3. Das Europäische Nachlassverzeichnis (ENZ) Es gilt zu berücksichtigen, dass auch der in der Bundesrepublik Deutschland tätige Rechtsanwalt und/oder Notar mit ausländischem Recht konfrontiert werden kann, wenn

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der Inhalt seines Mandats oder der Inhalt der Beurkundung einen Auslandsbezug aufweist. II. Was ist jedoch ausländisches Recht? Ausländisches Recht ist nach § 293 ZPO das „in einem anderen Staat geltende Recht“, also solches Recht, welches in keinem Teil des Inlands unmittelbar Geltung beansprucht. Ausländisches Recht muss der Rechtsanwalt/Notar grundsätzlich wohl nicht kennen. Aber: Das deutsche internationale Privatrecht (EG-Recht), bindende Staatsverträge etc. sind kein ausländisches Recht. Infolgedessen bleibt also festzuhalten, dass zumindest die Kenntnis der Grundzüge des internationalen Privatrechts, welches nationales deutsches Recht darstellt (!), zum Repertoire des Rechtsanwalts oder Notars gehört. III. Was ist neu? Sowohl im internationalen Recht nach ROM-III als auch nach der neuen EuErbVO haben wir einen Paradigmenwechsel zur Kenntnis zu nehmen, und dies ist für den Rechtsberater von fundamentaler Wichtigkeit. Bislang hatte der Gesetzgeber bei Auslandsbezug sowohl im Eherecht als auch im Erbrecht stets auf die Staatsangehörigkeit abgestellt und dies war der grundsätzliche Anknüpfungspunkt. Maßgebend ist nun der gewöhnliche Aufenthalt. Die neue EuErbVO gilt für die gesamte Rechtsnachfolge von Personen, die nach dem 17.08.2015 verstorben sind. Die Verordnung gilt allerdings nicht für Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten. Für das anzuwendende Recht regelt der neue Art. 21 EuErbVO, dass die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen dem Recht des Staates unterliegt, in dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Hier wird also erstmals der Paradigmenwechsel deutlich, in dem der Gesetzgeber nicht mehr nach der Staatsangehörig-

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Steiniger, ZAP 2013, 231 ff. BGBl. I 2015, 1042 ff.

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keit des Erblassers fragt, sondern danach, wo der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Wenn also das „deutsche Rentnerehepaar“ seinen Lebensmittelpunkt und seinen gewöhnlichen Aufenthalt bspw. aufgrund des guten Wetters auf Mallorca hat, dann wäre spanisches Erbrecht, trotz der Staatsangehörigkeit der beiden Erblasser als allgemeine Kollisionsnorm zugrunde zu legen. Maßgebend ist nämlich nicht die Staatsangehörigkeit, sondern der gewöhnliche Aufenthalt im Zeitpunkt des Todes des Erblassers.

II. Regelanknüpfung gem. Art. 21 EuErbVO

Ergibt sich ausnahmsweise aus der Gesamtheit der Umstände, dass der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen als dem Staat hatte, dessen Recht nach Abs. 1 anzuwenden wäre, so ist auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen das Recht dieses anderen Staates anzuwenden (Art. 21 Abs. 2 EuErbVO). Anknüpfungspunkt ist also zunächst nicht die Staatsangehörigkeit, sondern der gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers. Hier kann man eine Parallele ziehen zu dem internationalen Eherecht (ROM-III), wo ebenfalls auf den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts abgestellt wird.

Wichtig ist dabei zu berücksichtigen, dass die Anknüpfung an den letzten gewöhnlichen Aufenthalt auch in den Drittstaatsfällen (vgl. Art. 20 EuErbVO) ebenfalls gilt, wobei es in solchen Fällen allerdings regelmäßig an der Zuständigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten im Rahmen der Art. 4 ff. EuErbVO fehlen wird. Möglicherweise hilft hier aber die Regelung in Art. 10 EuErbVO. Hatte der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt seines Todes nicht in einem Mitgliedstaat, sondern einem Drittstaat, knüpft Art. 10 Abs. 1a EuErbVO für die Zuständigkeit im Hinblick auf den gesamten Nachlass an die Mitglieds-/Staatsangehörigkeit des Erblassers an, wenn sich in diesem Drittstaat Nachlassvermögen befindet. Subsidiär greift Art. 10 Abs. 1b EuErbVO, wonach bezüglich der Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat abgestellt wird, in dem der Erblasser in den letzten fünf Jahren seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.

Rechtsberater werden also nun künftig danach fragen, wie der gewöhnliche Aufenthalt zu definieren ist und wie er juristisch nachvollziehbar und belegbar gefasst werden kann. Weder in dem internationalen Eherecht (ROM-III) noch in der neuen EuErbVO gibt es eine Legaldefinition eines gewöhnlichen Aufenthalts! Mit der Festlegung auf diesen Anknüpfungspunkt sind Schwierigkeiten vorprogrammiert und zu erwarten, denn den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts genau festzustellen, dürfte im Einzelfall nicht leicht fallen. C. Ermittlung des Erbstatuts I. Vorrang bilateraler Übereinkommen Bevor man zur EuErbVO gelangt, ist in erster Linie zu prüfen, ob bilaterale Übereinkommen (Staatsverträge etc.) mit der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossen sind. Beispiele hierfür sind: 1. Das deutsch-iranische Niederlassungsabkommen vom 17.02.1929 2. Der deutsch-sowjetische Konsularvertrag vom 25.04.1958 3. Der deutsch-türkische Konsularvertrag vom 28.05.1929 Diese Staatsverträge bleiben nach Art. 75 Abs. 1 EuErbVO mit ihren von der EuErbVO abweichenden Regelungen vorrangig, da die Mitgliedstaaten ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen weiter nachkommen müssen.

Gemäß der allgemeinen Kollisionsnorm des Art. 21 Abs. 1 EuErbVO unterliegt die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen dem Recht des Staates, in dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Ein Deutscher also, der beispielhaft seinen Lebensmittelpunkt und seinen Lebensabend in Italien verbringt, wird dieserhalb nach italienischem Recht beerbt.

Deutlich wird aber auch hier, wie der Gesetzgeber in letzter Konsequenz wieder auf den „letzten gewöhnlichen Aufenthalt“ abstellt, der weiterer Erläuterung und Klärung bedarf. III. Gewöhnlicher Aufenthalt Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass eine Person jedenfalls nur einen einzigen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne der Erbrechtsverordnung haben kann, da nicht zwei oder mehrere Erbrechte nebeneinander zur Geltung kommen können/dürfen. Zur Feststellung des gewöhnlichen Aufenthalts einer Person ist eine Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers vorzunehmen. Der gewöhnliche Aufenthalt ist nicht gleichzusetzen mit dem Wohnsitz. Er ist sowohl nach rein objektiven als auch nach subjektiven Kriterien zugrunde zu legen und zu ermitteln. Da die Verordnung keine Legaldefinition enthält, kann zumindest auf die Erwägungen (in Nr. 23 und 24) Bezug genommen werden, wobei auf persönliche, soziale und familiäre Hintergründe des Erblassers abgestellt wird. Zu berücksichtigen sind die Dauer und die Regelmäßigkeit eines Aufenthalts, ergänzend auch die Staatsangehörigkeit, sowie die Belegenheit der wesentlichen Vermögensgegenstände im Rahmen einer Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers.

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Die Monatszeitschrift

Wo hatte der Erblasser seinen Lebensmittelpunkt, seine wesentlichen Vermögensgegenstände, wie war sein Wille, dort dauerhaft zu leben, welche Staatsangehörigkeit hatte er, wie viel Zeit hat er in diesem Land verbracht, wie war sein gesellschaftliches Engagement, evtl. auch Vereinsmitgliedschaften etc., wie war die Verweildauer des Erblassers in dem Land, welche Beziehung hatte der Erblasser zu dem Ort etc.? Die diesbezüglichen Indizien zeigen, wie schwierig es in Zukunft sein wird, den diesbezüglichen letzten gewöhnlichen Aufenthalt festzustellen.3 IV. Problematische Fälle bei der Festlegung des gewöhnlichen Aufenthalts 1. Berufspendler, Wanderarbeiter, beispielhaft Angehörige europäischer Institutionen, die während der Woche beispielhaft in Frankreich, Belgien, Luxemburg tätig sind, aber jedes Wochenende wieder zu ihrem deutschen Wohnsitz zurückfliegen, wo die Familie lebt. 2. Grenzpendler, beispielhaft Deutsche, die aus Steuergründen in der Schweiz, Österreich, Italien etc. wohnen, aber jeden Tag zur Arbeit nach Deutschland pendeln und auch in der Freizeit viel Zeit mit Freunden und Verwandten in Deutschland verbringen. 3. Pflegebedürftige oder geschäftsunfähige Personen, beispielhaft nahe Angehörige bringen den Vater/die Mutter wegen der geringeren Pflegekosten in eine Pflegeeinrichtung im Ausland (Demenzkranke in ausländischen Pflegeheimen (Polen, Thailand etc.)). 4. Abgeordnete Diplomaten, Soldaten, Auslandsstudenten etc. (hierbei kann auf eine offensichtlich engere Verbindung gem. Art. 21 Abs. 2 EuErbVO ggf. Rückgriff genommen werden). 5. Sog. „Mallorca-Rentner“, also Personen, die die Hälfte des Jahres im Süden und die andere Hälfte des Jahres im Heimatland verbringen (auch hier wird man möglicherweise auf Gewohnheiten, Staatsangehörigkeit, enge Bindung zum Heimatland Rückgriff nehmen können). V. Güterrechtliche Qualifikation des § 1371 BGB Dies ist beispielhaft der Fall, wenn ein deutsches Ehe-Güterrecht neben ausländischem Erbrecht zur Anwendung kommt, also typischerweise dann, wenn in einer gemischtnationalen Ehe deutsches Ehe-Güterrecht gilt und beim Tod des ausländischen Ehegatten dann ein ausländisches Erbstatut berufen wird. Die übrigen Mitgliedstaaten kennen in der Regel eine PendantVorschrift zu § 1371 Abs. 1 BGB nicht. Im Erbfall bekommt nach deutschem Recht ja der überlebende Ehegatte, der im

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gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft lebt, neben seinem Viertelanteil (§ 1931 BGB) ein weiteres Viertel im Rahmen des Ehe-Güterrechts nach § 1371 Abs. 1 BGB. Nach fast überwiegender Meinung in der deutschen Literatur soll es bei der autonomen Auslegung der güterrechtlichen Qualifikation des § 1371 BGB verbleiben. Die Regelung gilt also problemlos neben dem deutschen Erbrecht.4 D. Rechtswahl Wenn das deutsche Ehepaar seinen Lebensmittelpunkt an die Côte d’Azur in Frankreich verlegt hat, aber nicht damit einverstanden ist, dass französisches Erbrecht für es gilt, stellt sich die Frage, ob und inwieweit hierfür per Rechtswahl die nicht gewünschten erbrechtlichen Folgen des gewöhnlichen Aufenthaltsstaates vermieden werden können. In erster Linie setzt dies voraus, dass der rechtsberatende Anwalt weiß, welche erbrechtlichen Regelungen in den jeweiligen Mitgliedstaaten zur Anwendung kommen. Dabei ist auszuführen, dass sowohl die erbrechtlichen Regelungen als auch Pflichtteilsrechte sowie Vermächtnisrechte etc. in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft etc. ganz unterschiedlich ausgestaltet und kodifiziert sind. Will man sich dem Diktat des Rechtes des gewöhnlichen Aufenthalts nicht unterwerfen, dann gibt es als probates Mittel die sog. Rechtswahl. Die diesbezügliche Regelung findet sich in Art. 22 EuErbVO wieder. Eine Person kann für die Rechtsnachfolge von Todes wegen das Recht des Staates wählen, dem sie im Zeitpunkt der Rechtswahl oder im Zeitpunkt ihres Todes angehört. Eine Person, die mehrere Staatsangehörigkeiten besitzt, kann das Recht eines der Staaten wählen, denen sie im Zeitpunkt der Rechtswahl oder im Zeitpunkt ihres Todes angehört. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Rechtswahl ausdrücklich (vgl. Art. 22 Abs. 2 EuErbVO) in einer Erklärung in Form einer Verfügung von Todes wegen erfolgen oder sich aus den Bestimmungen einer solchen Verfügung ergeben muss. Auch die materielle Wirksamkeit der Rechtshandlung, durch die die Rechtswahl vorgenommen wird, unterliegt dem gewählten Recht. Eine einmal vorgenommene Rechtswahl kann auch geändert oder widerrufen werden! Die Änderung oder der Widerruf einer Rechtswahl muss den Formvorschriften für die Änderung oder den Widerruf einer Verfügung von Todes wegen entsprechen (vgl. Art. 22 Abs. 4 EuErbVO).

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Steiniger, ZAP 2013, 231 ff. Dutta/Herrler, Die europäische Erbrechtsverordnung in 2014, IV, Rn. 14 ff.

JM 2 Eine Sonderanknüpfung erhält die Regelung zu Art. 24 EuErbVO, mit Ausnahme eines Erbvertrages. Der Rechtsberater wird also seinen rechtsuchenden Mandanten darüber aufklären, dass eine Rechtswahlmöglichkeit besteht, in welcher Form diese errichtet werden kann und dass diese auch geändert und widerrufen werden kann. Die Rechtswahlmöglichkeit in der neuen EuErbVO ist jedoch beschränkt auf das Recht des Staates, dem der Erblasser im Zeitpunkt der Rechtswahl oder im Zeitpunkt seines Todes angehört. Hier zeigt sich eine Verkürzung (Beschränkung) im Rahmen der Rechtswahl (im Erbrecht) gegenüber dem neuen internationalen Eherecht nach ROM-III. Dort ist die Rechtswahl möglich und zwar: 1. das Recht des Staates, in dem die Ehegatten zum Zeitpunkt der Rechtswahl ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, oder 2. das Recht des Staates, in dem die Ehegatten zuletzt ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, sofern einer von ihnen zum Zeitpunkt der Rechtswahl dort noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder 3. das Recht des Staates, dessen Staatsangehörigkeit einer der Ehegatten zum Zeitpunkt der Rechtswahl besitzt, oder 4. das Recht des Staates des angerufenen Gerichts. Die Rechtswahlmöglichkeit in der neuen EuErbVO ist dieserhalb beschränkt und verkürzt, sodass bspw. nicht das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts etc. gewählt werden kann. Die Rechtswahl selbst kann auch bedingt oder befristet werden, wie sich aus der Regelung zu Art. 22 Abs.4 EuErbVO ergibt. Dies eröffnet z.B. die Möglichkeit, das Staatsangehörigkeitsrecht nur für den Fall zu wählen, dass der Testator (späterer Erblasser) gleichzeitig mit oder nach seinem Ehegatten verstirbt. Fraglich ist, ob die in einer Verfügung von Todes wegen nach § 22 EuErbVO getroffene Rechtswahl hinsichtlich der Rechtsnachfolge von Todes wegen bindend erfolgen kann (Bindungswirkung der Rechtswahl?). Die in einem Einzeltestament vorgenommene Rechtswahl ist jederzeit widerruflich, vgl. im Übrigen auch § 2253 BGB. In einem gemeinschaftlichen Ehegattentestament wäre die Rechtswahl wohl nicht widerruflich, wenn sie wechselbezüglich (§ 2270 BGB) und in einem Erbvertrag sowie vertragsmäßig im Rahmen des § 2278 BGB erfolgte. Da jedoch nach § 2270 Abs. 3 i.V.m. § 2278 Abs. 2 BGB nur Erbeinsetzungen, Vermächtnisse und Auflagen wechselbezüglich oder vertragsmäßig sein können, verneint ein Großteil der Literatur die Möglichkeit einer bindenden Rechtswahl.5

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I. Einzeltestament 1. Ohne notarielle Beurkundung a) Variante 1 „Ich besitze derzeit die Staatsangehörigkeit der Bundesrepublik Deutschland. Ich habe meinen gewöhnlichen Aufenthalt in … (den Niederlanden). Mein überwiegendes Vermögen befindet sich in Deutschland und eine kleine Immobilie in den Niederlanden. Ob und wie sich diese Situation künftig ändert, kann ich nicht mit hinreichender Sicherheit absehen. Ich wähle hiermit das Recht der Bundesrepublik Deutschland für die gesamten Rechtsnachfolgen von Todes wegen und für die Zulässigkeit und die materielle Wirksamkeit meiner Verfügung von Todes wegen. Diese Rechtswahl ist unbedingt erklärt, also ohne Rücksicht darauf, wo ich künftig und bei meinem Tod meinen gewöhnlichen Aufenthalt habe und welche Staatsangehörigkeit ich bei meinem Tod besitze. Ich weiß, dass sich diese Rechtswahl nicht nur auf dieses Testament, sondern umfassend auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen auswirkt, insbesondere auch auf das Pflichtteilsrecht und etwaige Noterbrechte.“ b) Variante 2 „Sofern und soweit dies jetzt oder bei meinem Ableben zulässig sein sollte, wähle ich für meine Rechtsnachfolge von Todes wegen das Recht der Bundesrepublik Deutschland. Gewählt sind die Bestimmungen des deutschen Rechts mit allen Änderungen, die sich künftig ergeben.“ 2. Bei notarieller Beurkundung (Belehrung)6 „Der Notar hat darauf hingewiesen, dass vorstehende Rechtswahl im Ausland möglicherweise nicht anerkannt wird und ausländisches Recht möglicherweise nur nach Maßgabe der Bestimmungen des ausländischen Rechts vererbt werden kann. Hierzu übernimmt der Notar keine Belehrung oder Beratung. Umgekehrt kann die vorstehende Rechtswahl auch ungünstige Auswirkungen haben, wenn sich der Lebensmittelpunkt aus Deutschland heraus verlagert und/oder sich das wesentliche Vermögen künftig im Ausland befinden sollte. Der Notar hat hierzu empfohlen, die heutigen Bestimmungen hieraus stets zu überprüfen und ggf. neu zu testieren.“

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Wie könnte nun eine sog. Rechtswahl in einer letztwilligen Verfügung i.S.d. Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 22, 25 EuErbVO aussehen?

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Nieder/Kössinger, Handbuch der Testamentsgestaltung, 5. Aufl. 2015, § 5 Rn. 30 ff. Nieder/Kössinger, Handbuch der Testamentsgestaltung, 5. Aufl. 2015, § 5 Rn. 30 ff.

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II. Besonderheiten bei Erbverträgen/gemeinschaftlichen Testamenten „Wir wählen hiermit für unser jeweiliges Erbrecht das Recht der Bundesrepublik Deutschland. Gewählt sind die Bestimmungen des deutschen Rechts für alle Änderungen im Recht der Bundesrepublik Deutschland, die sich künftig ergeben. Diese Rechtswahl treffen wir, soweit möglich, mit erbvertraglich bindender Wirkung. Sollte sich auch nur bei einem von uns erweisen, dass dies nicht möglich ist, trifft insoweit jeder von uns die vorstehende Rechtswahl als einseitige testamentarische Verfügung. Die erbvertragliche Bindung entfällt dann insofern beiderseits.“ In der internationalen Eherechtsverordnung (ROM-III) ist aufgeführt, dass der nationale deutsche Gesetzgeber als Formvorschrift die notarielle Beurkundung einer Rechtswahl verlangt, wobei auf Art. EG 46d Abs. 1 und Abs. 2 EGBGB verwiesen wird. Eine Pendant-Vorschrift in der neuen EuErbVO hierzu fehlt, sodass also die Rechtswahl grundsätzlich formfrei möglich wäre. In diesem Zusammenhang ist aber darauf hinzuweisen, dass der deutsche Gesetzgeber für bestimmte Regelungen von Todes wegen (Erbverträge) etc. die notarielle Beurkundung vorschreibt (§ 2276 Abs. 2 i.V.m. § 1410 BGB) Hier stellt sich dann auch das Problem, dass in solch einem Ehe- und Erbvertrag auch unterschiedliche Rechtswahlmöglichkeiten eröffnet sind mit den daraus möglicherweise entstehenden Folgen. So ist die Rechtswahlmöglichkeit zum Eherecht, mit Rücksicht auf Art. 8 ROM-III Verordnung wesentlich weiter ausgestaltet als die Rechtswahlmöglichkeit nach Art. 22 EuErbVO. Das führt also zu der Überlegung, dass für das Eherecht ein anderes Recht beurkundet wird als für das Erbrecht. Ob also in einem konkreten Fall eine diesbezügliche Rechtswahl veranlasst ist, bedarf sorgfältiger rechtsberatender Prüfung. Es stellt sich in diesem Zusammenhang auch umgekehrt noch die Frage, was zu veranlassen ist, wenn der potenzielle Erblasser sich überlegt, dass er das Recht seines gewöhnlichen Aufenthalts als Erbrecht vorzieht. Ist dann eine negative Erklärung erforderlich dergestalt, dass keine Rechtswahl gewollt ist? Sollte man diese Wirkung später einmal erreichen wollen, ist vorsorglich eine in der früheren Verfügung von Todes wegen enthaltene konkludente Rechtswahl ausdrücklich aufzuheben.7

sich in zwei Absätze, wobei der Absatz 1 den Nachlass einer Person betrifft und der Absatz 2 den Nachlass mehrerer Personen. Ferner ist in Art. 25 Abs. 3 geregelt, dass nur das Recht des Staates gewählt werden kann, dem die Person, deren Nachlass betroffen ist, zum Zeitpunkt der Errichtung angehört hat oder das früher zulässigerweise für die Rechtsnachfolge von Todes wegen gewählt werden konnte. Beim mehrseitigen Erbvertrag kann jeder Erblasser für die Frage der Zulässigkeit das für ihn in Betracht kommende Recht wählen. Es muss nicht zu demselben Recht optiert werden und es müssen auch nicht alle Erblasser wählen. E. Europäisches Nachlasszeugnis Ein Novum auf europäischem Bereich ist das sog. neue europäische Nachlasszeugnis (ENZ). Die Erben haben jetzt die Möglichkeit, ihr Erbrecht in anderen Mitgliedstaaten durch dieses europäische Nachlasszeugnis nachzuweisen (vgl. Art. 63 Abs. 2 lit. a. EuErbVO). I. Erteilung Ein solches europäisches Nachlassverzeichnis wird erteilt im Rahmen der Art. 62 ff. EuErbVO und den Regelungen zu §§ 33 ff. IntErbRVG. Dabei ist international das Gericht zuständig, wo sich der letzte gewöhnliche Aufenthaltsort des Erblassers befand (vgl. Art. 4 EuErbVO). Sachlich ist das Nachlassgericht zuständig. II. Antrag Antragsberechtigt sind für ein solches europäisches Nachlassverzeichnis nicht nur die Erben, sondern auch Vermächtnisnehmer mit unmittelbar dinglicher Beteiligung (was das deutsche Erbrecht bislang gar nicht kannte) sowie auch Testamentsvollstrecker und Nachlassverwalter. Welche Angaben erforderlich sind, richtet sich nach Art. 65 Abs. 3 EuErbVO, wobei ein eigens geschaffenes Formblatt Hilfestellungen gibt.8 III. Gültigkeit Das ENZ ist nur für einen begrenzten Zeitraum von sechs Monaten gültig (Art. 70 Abs. 3 Satz 1 EuErbVO). Eine Verlängerung ist möglich.

7

III. Sonderregelung Erbvertrag (gemeinschaftliches Testament mit Bindungswirkung) Hier ist zunächst einmal auf Art. 25 EuErbVO hinzuweisen. Die materielle Sonderanknüpfung beim Erbvertrag gliedert

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8

Nieder/Kössinger, Handbuch der Testamentsgestaltung, 5. Aufl. 2015, § 5 Rn. 31 ff. Zu Formblatt Art. 81 Abs. 2 EuErbVO i.V.m. Anhang 4, Formblatt IV der Durchführungsverordnung zur europäischen Erbrechtsverordnung. Abrufbar im Übrigen unter www.dnoti.de/arbeitshilfen-kopie/ipr-undausl--ndisches-recht (zuletzt abgerufen am 16.09.2015).

JM 2 Wozu benötigt man dieses europäische Nachlassverzeichnis? Mit dem diesbezüglichen Nachlassverzeichnis ist ein ausreichender Nachweis gegeben, um die Eintragung der oder des Erben beispielhaft (eine Immobilie) im Grundbuch zu erreichen. Eine Apostille oder Legalisation des Nachlasszeugnisses ist nicht mehr erforderlich. Mit einem europäischen Nachlassverzeichnis kann also eine Grundbuchberichtigung/-änderung in einem Mitgliedstaat erreicht werden. Des Weiteren sind die Erben auch nicht verpflichtet, neben dem europäischen Nachlassverzeichnis zusätzlich auch noch beispielhaft einen deutschen Erbschein zu beantragen, um im deutschen Grundbuch die entsprechenden Grundbuchberichtigungen nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GBO zu erreichen. Aufgrund der Regelung des Art. 62 Abs. 3 Satz 2 EuErbVO entfaltet das Nachlasszeugnis auch die Vermutung des Nachweises des Erbrechts. Aber auch hier steckt der Teufel im Detail: Beispielhaft wird für einen deutschen Erblasser (mit Immobilien in Frankreich) ein europäisches Nachlasszeugnis erstellt zur Änderung des Grundbesitzes im französischen Grundbuch.

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Hier ist zu beachten, dass bei Grundbucheintragungen nach französischem Recht stets die Eintragung einer Erbfolge nur aufgrund einer sog. Attestation Notariée erfolgt. Diese kann jedoch allein ein französischer Notar errichten.9 Da nach Art. 1 Abs. 2 lit. 1 EuErbVO die Voraussetzungen für die Eintragung von Rechten an unbeweglichen Gegenständen nicht in den Anwendungsbereich der EuErbVO fallen, wird man auch nach Ausstellung eines ENZ eine Attestation Notariée für erforderlich halten müssen. Jedoch kann der französische Notar die Bescheinigung und Registrierung aufgrund des vorgelegten ENZ vornehmen.10 Das ENZ wird sicherlich zu einer Vereinheitlichung und Verbesserung im europäischen Erbrecht etc. führen, doch werden sowohl noch viele praktische als auch rechtliche Problemfelder behandelt werden müssen. Die Europäisierung wird weitergehen und die neue europäische Güterrechtsverordnung steht bereits in den Startlöchern. 9 10

DNotI Report 15/2015, 116 ff. Döbereiner in: Löhnig/Schwab, Erbfälle unter Geltung der europäischen Erbrechtsverordnung, 2014, 139 ff. (167) und Fallbeispiele bei Everts, NotBZ 2014, 441 ff. und NotBZ 2015, 3 ff.

Mediation – eine rechtsvergleichende und interdisziplinäre Skizze RA‘in Dr. Carolin Kühne, Master en Droit1 A. Aktuelle Beobachtungen „Recht haben oder glücklich sein?“2 – Die Frage nach unserer „Streitkultur“ ist derzeit immer häufiger in der Fachpresse zu finden und auch Gegenstand aktueller Symposien. Dies zeigt beispielsweise das Motto: Streitkultur im Wandel – Weniger Recht?3 des 66. Anwaltstags in Hamburg. Eines der zentralen Themen in der öffentlichen Diskussion betrifft die Frage, wie dem Mediationsverfahren in Deutschland zu einer größeren Popularität verholfen werden könnte. Etwa resümiert die Zukunftsstudie für die deutsche Anwaltschaft im Jahr 2013,4 dass jedenfalls die Rechtsschutzversicherungen die außergerichtliche Streitbeilegung forcieren, die somit an Bedeutung gewinnt.5 In der aktuellen Fachliteratur wird den Versicherern bei der Konfliktbehandlung sogar eine wichtige Lotsenfunktion zugesprochen.6 Aus Sicht des europäischen Gesetzgebers ist unverkennbar, dass er die Mediation insgesamt als alternative Streitbeilegungsmethode nachhaltig in Europa etablieren will. Nachdem er die Mediationsrichtlinie (RL 2008/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.05.2008

über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen) ins Leben gerufen hatte, folgte die ADR-Richtlinie (RL 2013/11/EU des Europäischen Parlaments und Rates vom 21.05.2013 über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten), die bis zum 09.07.2015 umzusetzen war.7 Der entsprechende Gesetzentwurf zum Verbraucherstreitbeilegungsgesetz (VSBG) dient neben der Richtlinienumsetzung auch der Durchführung der Ver-

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Der Aufsatz spiegelt ausschließlich die Auffassung der Autorin wider. Vgl. zu diesem Gedanken Rosenberg, Gewaltfreie Kommunikation, 2011. 66. Deutscher Anwaltstag v. 11.-13.06.2015, zum Programm unter: http://anwaltstag.de/files/anwaltstag.de/2015/downloads/DAT-2015komplette-programm.pdf (zuletzt abgerufen am 21.09.2015). Taumberger, Versicherungswirtschaft und Mediation, 2013, S. 206. Abrufbar unter: http://anwaltverein.de/de/service/dav-zukunftsstudie (zuletzt abgerufen am 21.09.2015). Engel, NJW 2015, 1633, 1636, m.w.N. Es besteht noch ein Disput zwischen Bund und Ländern bzgl. Zuständigkeitsfragen, BT-Drs. 18/5760 v. 12.08.2015, näher auch http:// www.schlichtungs-forum.de/ (zuletzt abgerufen am 21.09.2015).

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ordnung (EU) Nr. 524/2013 vom 21.05.2013 über die Online-Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten. Die neuen Regelungen sollen zukünftig – über ein europaweit flächendeckendes Netz von Schlichtungsstellen – die einfache und kostengünstige Beilegung inländischer und grenzüberschreitender Streitigkeiten zwischen Verbrauchern und Unternehmen ermöglichen.8 Mit Blick auf Deutschland jedenfalls stand auch auf Rechtsprechungsebene die Mediation in letzter Zeit vermehrt im Fokus. Ein Versicherer hatte in seinen Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung die Kostenübernahme von der vorherigen Durchführung eines Mediationsversuchs abhängig gemacht. Das OLG Frankfurt am Main hatte dann in einem im April 2015 veröffentlichten Urteil entschieden, dass diese Klausel eine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers darstellt.9 Zu nennen ist weiter das Mitte Juni 2015 veröffentlichte Urteil des BGH10, das im August 2015 fortgeführt wurde.11 Der III. Zivilsenat hatte Anlegeranträge verworfen, die darauf abzielten, durch Mustergüteanträge die Verjährung von Schadensersatzforderungen zu verhindern. Um einem solchen Missbrauch der verjährungshemmenden Wirkung eines Güteantrags gem. § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB vorzubeugen, hat der BGH die Anforderungen an die Inhalte des Güteantrags in diesem Urteil näher spezifiziert. Insgesamt zu beobachten ist aber, dass in den einzelnen Mitgliedstaaten die Diskussionsschwerpunkte anlässlich der Umsetzung der Mediationsrichtlinie sehr unterschiedlich sind. Vor dem Hintergrund, dass jede Gesellschaft eigene Formen der Konfliktregulierung ausbildet,12 lohnt ein Blick über den Tellerrand hinaus. Die folgenden Ausführungen verstehen sich als eine Auswahl spannender Aspekte aus dem Rechtsvergleich; zur Vertiefung einzelner Länderregelungen wird auf die zahlreiche Literatur verwiesen.13 B. Herausforderungen bei der Umsetzung der Mediationsrichtlinie

Union zur Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ sicherzustellen.14 Dabei sollte der Zugang sowohl zu gerichtlichen als auch zu außergerichtlichen Verfahren der Streitbeilegung geregelt werden. Hierzu umfasst die Richtlinie drei zwingend umzusetzende Vorgaben zu Einklagbarkeit, Vertraulichkeit und Verjährung, sowie drei optionale Regelungen zur Mediation: Sicherstellung der Qualität, verpflichtende Mediation und Information der breiten Öffentlichkeit. Welche Haltung die Mitgliedstaaten gegenüber der Mediation grundsätzlich einnehmen, zeigte sich vor allem durch die öffentliche politische und juristische Debatte während des Umsetzungsprozesses. Auf den ersten Blick fällt eine Gemeinsamkeit ins Auge, die die Länder hier aufweisen: Sie haben juristische Studien zu alternativen Methoden der Streitbeilegung in Auftrag gegeben. Zu nennen sind hier die Lord Woolf’s Studie (England), der Guinchard und Magendie Report (Frankreich) und das Memorandum des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht (Deutschland). I. England und Wales Hier stand die Frage im Mittelpunkt, inwieweit bestimmte Vorschriften der Richtlinie auf nationale Rechtsstreitigkeiten Anwendung finden. Denn dem englischen Gesetzgeber zufolge sollte die Richtlinie nur für Cross-border Streitigkeiten gelten. Andererseits wurde es von einer großen Mehrheit der Mediatoren begrüßt, diese ebenfalls auf nationaler Ebene anzuwenden.15 Die Justiz ihrerseits lehnte eine solche Ausweitung des Anwendungsbereichs ab.16 Dies bezog sich insbesondere auf Vertraulichkeitsanforderungen. Dabei gingen die Ansichten darin auseinander, ob das nationale Recht dies schon umfassend regle oder nicht.17 Eines der Argumente war auch, dass weniger Regulierung die Kreativität in der Mediationspraxis fördern würde.18

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Die Mediationsrichtlinie wurde in England und Wales (hier als Repräsentant der Common law Familie), in Frankreich und Italien (als Vertreter des romanischen Rechtskreises) und in Deutschland (deutschsprachiger Rechtskreis) zwischen den Jahren 2009-2012 mit unterschiedlicher Intensität umgesetzt. Auch wenn Schlüsselthemen in den Mitgliedstaaten abweichend priorisiert wurden, war die Motivation, den Mediationsgedanken zu fördern, identisch: einfacher Zugang zur Justiz, Kosteneffizienz durch Mediation, und eine schnelle außergerichtliche Konfliktlösung, die auf die Bedürfnisse der Parteien angepasst ist. Die Mediationsrichtlinie hatte genau dies zum Ziel, nämlich „einen besseren Zugang zum Recht als Teil der Strategie der Europäischen

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Vgl. Regierungsentwurf, BT-Drs. 18/5295 v. 22.06.2015, S. 1. OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 09.04.2015 - 6 U 110/14. BGH, Urt. v. 17.06.2015 - III ZR 189/14; Pressemitteilung des BGH, Nr. 100/15 v. 17.06.2015. BGH, Urt. v. 20.08.2015 - III ZR 373/14; BGH, Urt. v. 17.06.2015 - III ZR 189/14. Vgl. Max-Planck-Institut, Forschungsschwerpunkt Konfliktregulierung, www.rg.mpg.de/forschung/konfliktregulierung (zuletzt abgerufen am 21.09.2015). Umfassend z.B. De Palo/Trevor, EU Mediation Law and Practice, Oxford 2012. Abl. Nr. L 136, S. 3, Erwägungsgrund Nr. 5. Hildebrand in: De Palo/Trevor, EU Mediation Law and Practice, Oxford 2012, The United Kingdom, S. 374, 377, Nr. 28.14. Ministry of Justice, Konsultation, Nr. 203, S. 45, Frage 43. Ministry of Justice, Konsultation, Nr. 203, S. 45, Frage 44. Steffek, RabelsZ 74 (2010), 841, 874; das deutsche Mediationsgesetz unterscheidet übrigens nicht zwischen nationalen und grenzüber-

JM 2 Für England als eines der Länder, das schon auf ein gut etabliertes System der Mediation zurückgreifen konnte, bestand die Versuchung, die Parteien per Gesetz zu einem Mediationsprozess zu zwingen, ungeachtet des wirtschaftlichen Risikos für die „schwächere“ Partei.19 Allerdings gab es auch Hinweise, dass in Fällen, in denen das Mediationsverfahren erzwungen wurde, etwa durch Vertrag, Gesetz oder einen Richter, die Erfolgsrate unter 50 % fiel. Die Zahl stand im Vergleich zu einer Quote von über 70 %, wenn das Mediationsverfahren aus freien Stücken gewählt wurde.20 Noch vor Umsetzung der Richtlinie in England wurde der Aspekt der Einflussnahme auf die Wahl des Verfahrens – und zwar indirekt durch Kostensanktionen – diskutiert. Das Verhalten einer Partei, das gegenüber dem Mediationsverfahren als „unkooperativ“ gewertet wurde (unccoperative behaviour), konnte vom Gericht geahndet werden mit der Folge, dass diese Partei dann die Kosten des Verfahrens übernehmen muss. Hierzu hat das englische Case law einige spannende Fälle hervorgebracht. In der Entscheidung Halsey v. Milton Keynes General NHS21 entwickelte die Rechtsprechung sechs solcher Kriterien, nach denen die Weigerung zur Mediation jedenfalls gerechtfertigt sei,22 wodurch dann auch keine Kostenübernahmepflicht entsteht. II. Deutschland In Deutschland hingegen kreiste die Diskussion um die gerichtsinterne Mediation23, sodass sich sogar die Richtlinienumsetzung verschob und das deutsche Mediationsgesetz erst am 26.07.2012 in Kraft treten konnte.24 Hier hatte sich im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zur Umsetzung der Richtlinie eine heftige Debatte um den Erhalt der gerichtsinternen Mediation entfacht, was schließlich zur Anrufung des Vermittlungsausschusses führte. In der Diskussion verbarg sich auch der Gedanke, dass eine gesetzgeberische Tätigkeit die experimentelle Phase des Deutschen Pilot Projekts einer bereits langjährig praktizierten gerichtlichen Mediation gefährden könnte.25 Denn im Gegensatz zu den anderen Mitgliedstaaten hatte sich ab den 90er Jahren in Deutschland die Sonderform der gerichtsinternen, also eine durch Richter praktizierte, Mediation etabliert. Das bedeutete, dass zunächst keine echte Gelegenheit bestand, die außergerichtliche Mediation ohne einen Richter zu verfolgen. Im Rahmen einer Übergangsregelung nach Inkrafttreten des deutschen Mediationsgesetzes wurden die praktizierten Verfahrensmodelle der gerichtsinternen Mediation mit Wirkung zum 01.08.2013 (§ 9 MediationsG) durch eine Gesamtregelung abgelöst. Diese ließ in allen Gerichtsbarkeiten das Verfahrensangebot der Mediation im Rahmen des erheblich erweiterten Instituts des Güterichters zu.26 Weiter konzentrierte sich in Deutschland die Debatte auf die Umsetzung

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der Erfordernisse aus Art. 4 der Richtlinie (Sicherstellung der Qualität der Mediation). Im Januar 2014 ist die Verordnung über die Aus- und Fortbildung von zertifizierten Mediatioren im Entwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz veröffentlicht worden. Gem. § 10 der Verordnung tritt sie ein Jahr nach Erlass in Kraft.27 III. Frankreich In Frankreich und in den anderen Ländern wurde in erster Linie die außergerichtliche Mediation vorangetrieben. Der französische Gesetzgeber seinerseits hatte in 1995 gleichfalls die gerichtsinterne Mediation im Zivilrecht geregelt, wenn auch über einen Mediator, der nicht Richter ist (médiateur non-juge). Allerdings wurde dieses Instrument von den Richtern nur sehr wenig benutzt. Dagegen scheint in Frankreich der Médiateur de la République (seit 2010 mit der Bezeichnung „le Défenseur des droits“) eine zentrale Rolle im Rahmen der Mediation auf dem Gebiet der Verwaltung einzunehmen. Möglicherweise haben diese Ambivalenzen auch zu der verspäteten Umsetzung der Richtlinie geführt. Jedenfalls wurden sie der Ausgangspunkt der Debatte in Frankreich. Diese kreiste mehr um die unterschiedlichen Optionen der Streitbelegungsmechanismen als um die effiziente Nutzung des Verfahrens selbst.28 Die französischen Richter ihrerseits waren zurückhaltend dahingehend, sich an einen Mediator (non-juge) zu wenden, angesichts der Vorstellung, dass Mediation eher ein Delegieren von Aufgaben ist als eine alternative Streitbeilegungsmetho-

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schreitenden Streitigkeiten und geht insoweit über die Richtlinie hinaus, BT-Drs. 17/5335 v. 01.04.2011, S. 11. Hopt, RabelsZ 74 (2010), 723, 726, bzgl. Mergers & Acquisitions. Tilmann, European Parliament, Directorate General for internal policies, „Lessons learnt from the implementation of the EU Mediation Directive: the business perspective“, 2011, S. 7. Halsey v. Milton Keynes General NHS Trust, [2004] http://judgemental.org.uk; siehe auch Earl of Malmesbury v. Strutt and Parker, [2008] EWHC 424 (QB); Newman v. Framewood Manor Management Co Ltd. [2012] EWCA Civ 1727. Etwa, wenn die Mediationsverfahrenskosten sehr hoch sind, eine hohe Motivation für eine Entscheidung im streitigen Verfahren besteht oder ein Versäumnis der Klagefrist vorliegt, Civil Court Mediation Service Manual, Februar 2009, S. 6. Ausführlich hierzu z.B. Greger, RabelsZ 74 (2010), 781. Gesetz zur Förderung der Mediation und anderer Verfahren zur außergerichtlichen Konfliktbeilegung, BGBl. I 2012, 1577. Zwickel, Bürgernahe Ziviljustiz, Die französische Juridiction de proximité aus deutscher Sicht, 2010, S. 260, m.w.N.; Ortloff, NJW 2008, 2524, 2525; Gottwald, FPR 2004, 163, 166. Vgl. Fritz in: Fritz/Pielsticker, Mediationsgesetz, Kommentar, 2013, § 9 Rn. 4. Abrufbar unter: www.bmjv.de (zuletzt abgerufen am 21.09.2015). Deckert in: Hopt/Steffek, Mediation, 2008, S. 183, 250.

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de.29 Kritische Stimmen wurden laut, und es kam die Frage auf, warum sich die gerichtsinterne Mediation in Frankreich langsamer als erwartet entwickelte.30 Schließlich erfreute sich das Verfahren der procédure participative31 zunehmender Beliebtheit. Hier waren keine neutralen Dritten anwesend, jedoch jeweils die Anwälte der Parteien.32 Dieses Verfahren erinnert, ohne hier ins Detail zu gehen, an das seit einigen Jahren auch in Deutschland bekannte Kooperative Anwaltsverfahren, das ursprünglich in den USA in den 90ern aus dem Collaborative law entwickelt wurde.33 IV. Italien Italien war einer der Mitgliedstaaten, der sich für die optionale Regelung der verpflichtenden Mediation ausgesprochen hatte. Er ging damit weit über die zwingenden Vorgaben der Richtlinie hinaus, da eine solche Regelung vom europäischen Gesetzgeber lediglich als optional vorgegeben war. Vielleicht war es das Phänomen des „italienischen Paradox“, das hierzu führte: Trotz regelmäßiger Länderberichte über Erfolgsquoten zur Mediation (von oft über 75 %) wurde von ihr wenig oder zumindest nicht sonderlich viel Gebrauch gemacht – ein übrigens nicht nur auf Italien begrenzter Aspekt (daher auch europäisches Paradox genannt).34 Recht euphorisch begrüßte das Europäische Parlament im Juli 2011 in seinem Bericht zur Umsetzung der Richtlinie „den für die anderen Mitgliedstaaten vorbildlichen Schritt“ des italienischen Gesetzgebers zur Einführung einer Pflichtmediation. Hierbei verwies es insbesondere auf die Entlastung der Gerichte.35 Allerdings wurden die Umsetzungsarbeiten in Italien von Protesten einer Gruppe von Anwälten (Organismo Unitario dell’ Avvocatura, OUA) begleitet. Die ablehnende Haltung erreichte ihren Höhepunkt mit der Klage vor dem italienischen Verfassungsgerichtshof zur Frage, ob gegen die mit dem italienischen Umsetzungsgesetz36 eingeführte verpflichtende Mediation für bestimmte Konstellationen verfassungsrechtliche Bedenken bestehen. Nach Art. 5 setzt die Klagezulässigkeit voraus, dass zuvor der Versuch einer Mediation unternommen wurde. Das Verfassungsgericht aber kippte diese Regelung im Oktober 2012 wegen ultra vires, wobei es sich hier jedoch nur um eine formaljuristische Befugnisüberschreitung der Regierung während des Entstehungsverfahrens gehandelt habe. Die Pflicht zur Durchführung von Mediationsverfahren in bestimmten Rechtsgebieten jedoch wurde nicht beanstandet.37 Ohne diese spannende Entwicklung hier weiter vertiefen zu können, ist darauf hinzuweisen, dass zum italienischen Umsetzungsgesetz ein „Konversionsgesetz“ im August 2013 veröffentlicht wurde, wonach die Pflichtmediation in Italien mit Wirkung zum 20.09.2013 wieder eingeführt wurde.38 Nach Art. 5 ist das Mediationsverfahren nun als Voraussetzung für einen Prozess etwa

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bei bestimmten Streitigkeiten über Miet-, Leih- und Pachtverträge, Bank- und Finanzverträge oder im Sachenrecht verpflichtend. Für Verkehrsunfälle wurde die verpflichtende Mediation jedoch wieder aus dem Katalog gestrichen.39 C. Erkenntnisse aus einem Vergleich der Rechtsordnungen für das deutsche Recht Der Charme eines Vergleichs mehrerer Rechtsordnungen besteht auch darin, das eigene Recht besser zu verstehen und über Konstruktionen und Erfolgsfaktoren nachzudenken, die das eigene Recht gerade nicht vorsieht. I. Institutionelle Einbindung Ein Erfolgsfaktor ist in der Tiefe der institutionellen Einbindung des Mediationsverfahrens in die bestehenden Rechtssysteme zu sehen.40 Eine wichtige Frage im Zusammenhang mit der Einbindung in das im jeweiligen Land bestehende Verfahren wäre danach, ob es für die Klageerhebung erforderlich ist, im Vorhinein eine außergerichtliche Einigung versucht zu haben, um mögliche Sanktionen zu vermeiden. Für das englische Recht, das eine ausgeprägte sog. pre-action Phase kennt,41 wurde das oben im Text bejaht. Mit einer 29

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Magendie, Rapport issu du groupe de travail sur la médiation, Célérité et qualité de la justice – la mediation: une autre voie, 15 October 2008, S. 30, 31. Guillaume-Hofnung in: Magendie, Rapport issu du groupe de travail sur la médiation, S. 51. Nach einem Vorschlag aus der Guinchard Kommission, Loi no. 20101609 v. 22.12.2010; siehe auch Niggemann, SchiedsVZ 2012, 258, 260. Vgl. Deckert in: Hopt/Steffek, Mediation, 2013, S. 455, 468. Siehe hierzu näher Fritz in: Fritz/Pielsticker, Mediationsgesetz, Kommentar, 2012, III. Andere Verfahren, S. 797. De Palo‚ The EU Civil and Commercial Mediation paradox… and a possible solution, Rede v. 07.12.2012, http://fra.europa.eu/sites/default/files/wgv_de-palo-speech.pdf (zuletzt abgerufen am 21.09.2015), S. 2 Nr. 11; Hopt/Steffek in: Mediation, Principles and Regulation in Comparative Perspective, 2013, S. 3, 103. EP, Beschl. v. 15.07.2011 - 2011/2026(INI). Decreto Legislativo 04.03.2010, n. 28, Gazzetta Ufficiale 05.03.2010, n. 53. Corte Costitutionale, Sentenza no. 272, Uffizio Stampa, 24.10.2012, sentenza no. 272. Decreto del fare, Nr. 69/2013 v. 21.06.2013 (Art. 83, 84). Die Anwälte dürfen sich bereits aufgrund ihres Berufsstandes als Mediatoren betätigen, näher z.B. unter: www.mediationaktuell.de/news/pflichtmediation-in-italien-teil-2 (zuletzt abgerufen am 21.09.2015). Mediation aktuell v. 13.08.2013, www.mediationaktuell.de/news/ pflichtmediation-in-italien-teil-1 (zuletzt abgerufen am 21.09.2015). Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, Pressemitteilung vom 23.09.2008, www.mpg.de/553932/pressemitteilung200809232 (zuletzt abgerufen am 21.09.2015). Practice Direction Pre-action Conduct, April 2010, www.justice.gov. uk/ (zuletzt abgerufen am 21.09.2015).

JM 2 Sanktion der Nichtbeachtung von § 253 Abs. 3 ZPO scheint sich der deutsche Gesetzgeber dagegen eher schwer zu tun. Denn zu den wesentlichen Charaktereigenschaften des Mediationsverfahrens zählt nach § 1 des deutschen Mediationsgesetzes die Freiwilligkeit. Dahinter steht der Gedanke, dass eine erzwungene Teilnahme selten zu der erwünschten, von innerer Überzeugung getragenen und damit nachhaltigen Konfliktlösung führt.42 Andererseits aber werden Anreize benötigt, sich für ein Mediationsverfahren zu entscheiden. Das wirft die Frage auf, ob sich vielleicht über einen anderen Weg, etwa durch einen Kostenanreiz, die Parteien für ein Mediationsverfahren begeistern lassen.

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solchen Verfahren Gründe entgegenstehen. Allerdings bleibt die Vorschrift im Gegensatz zum Ansatz des englischen Rechts ohne Kostensanktionen. Nur bis zu einem Streitwert von 750 € war im Jahr 2000 im deutschen Recht der fehlende Versuch einer außergerichtlichen Streitbeilegung sanktioniert und davon die Zulässigkeit einer Klage abhängig gemacht worden.47 Aus rechtsvergleichender Sicht ist übrigens auch der vom italienischen Gesetzgeber gewählte steuerrechtliche Anreiz zu nennen, wonach erfolgreiche Mediationsvereinbarungen von der sog. Italienischen Stempelsteuer befreit werden.48 III. Case library

II. Kostenanreiz In England und Wales, lange bevor die Umsetzung der Mediationsrichtlinie anstand, war der Kostenanreiz bereits Thema, sowohl im kodifizierten Recht als auch im Case law. Es wurde eine Kostentragungspflicht etabliert, dies in Abhängigkeit vom Parteiverhalten (siehe oben zum Begriff des uncooperative behaviour). Für das deutsche Recht wird eine solche Verknüpfung im Ergebnis kritisch gesehen. Zum einen wird darauf verwiesen, dass das deutsche Zivilverfahrensrecht solche Mechanismen nicht kennt. Allenfalls nur in Ausnahmefällen wie im Rahmen des richterlichen Ermessens bei Erledigung der Hauptsache (§ 91a ZPO) oder im Falle der sofortigen Anerkennung (§§ 93 ff. ZPO) räumt es einen entfernt vergleichbaren Mechanismus ein.43 In der Tat wurden zwar während des oben erwähnten 66. Deutschen Anwaltstags Kostenaspekte in diesem Zusammenhang diskutiert. Diese endeten jedoch mit der Feststellung, dass auch eine nur indirekte Verknüpfung mit dem Kostenaspekt schon das Freiwilligkeitsprinzip der Mediation gefährden könnte. Wobei Freiwilligkeit der Mediation letztlich bedeutet, dass die Parteien selbst entscheiden, ob sie eine Mediation durchführen wollen, und insbesondere berechtigt sind, die Mediation zu beenden, wenn sie zu keiner Vereinbarung gelangen können.44 Vor diesem Hintergrund wurde dann gegen eine entsprechende Überarbeitung von § 91 ZPO gestimmt.45 Der Kostenanreiz für die Parteien, in ein Mediationsverfahren zu gehen, ist im deutschen Recht etwa in der Vorschrift aus § 5a AVB zu finden. Diese sieht die Rückerstattung der Kosten für ein Mediationsverfahren in bestimmten Fällen vor, gleichsam als eine Art „Mediations-Rechtsschutz“ (im Arbeitsrecht, Familienrecht, u.a.).46 Weiter hat der deutsche Gesetzgeber im Zuge der Richtlinienumsetzung durch Einführung von § 278 Abs. 3 ZPO versucht, die Parteien zu einem Mediationsverfahren verstärkt zu veranlassen. Die Klageschrift muss seitdem die Angabe enthalten, ob der Klageerhebung der Versuch einer Mediation oder eines anderen Verfahrens der außergerichtlichen Konfliktbeilegung vorausgegangen ist, sowie eine Äußerung dazu, ob einem

In diesem Zusammenhang bemerkenswert ist auch der Umstand, dass der außergerichtlichen Streitbeilegung mangels Öffentlichkeit die Rechtsprechung fehlt. Auch wenn etwa die Mediation für eine der Parteien genutzt werden könnte, um gerade die durch ein Urteil bewirkte Öffentlichkeit zu umgehen – mit dem Ziel sogar mögliche Folgeklagen zu verhindern –, führt dies zu der Sorge, dass eine wichtige Quelle für das Recht, hier über die Rechtsprechung, jedenfalls für die mediierten Sachverhaltskonstellationen wegfällt.49 Es wurde der Gedanke schon ausgesprochen, ob nicht eine Datenbank oder case library sogar einen weiteren Erfolgsfaktor darstellen könnte,50 wie ihn das Panel for recognized international market experts in Finance (P.R.I.M.E.) anstrebt.51 IV. Psychologische Aspekte Während der Konferenz „Mediation in Germany, Europe and the world“, 2009, am Max-Planck-Institut in Hamburg, wurde seitens einer Referentin der University of Queens-

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Etscheit in: Fritz/Pielsticker, Mediationsgesetz, Kommentar, 2012, II. Methodik und Anwendungsbereiche der Mediation, Rn. 14. Bercher/Engel, ZRP 2010, 126, 127. Gesetzesbegründung des Regierungsentwurfs zu Art. 1 § 1 Mediationsgesetz, BT-Drs. 17/5335; Ponschab/Wiegard/Kampmann, Die Wirtschaftsmediation, 3/2015, 48. Vgl. Bercher/Engel, ZRP 2010, 126, 127. Näher bei Tögel/Rohlff, ZRP 2009, 209, Fn. 7. Vgl. Art. 15a EGZPO, der nur in engen Grenzen eine verpflichtende Mediation vorsieht. Hopt/Steffek in: Mediation, Principles and Regulation in Comparative Perspective, 2013, S. 3, 33. Vgl. Fiss, Yale Law Journal 1984, 1073, 1085; Engel/Hornuf, SchiedsVZ 2012, 26, 27. Wendenburg in: Conference on Mediation in Germany, Europe and the world, the implementation of the mediation directive on the grounds of international experience, Max Planck Institut, Hamburg, 13.06.2009, Berichte, RabelsZ 74 (2010), S. 882, 887. Näher unter www.biicl.org/files/6005_vanbaren_19-06-12_biicl.pdf (zuletzt abgerufen am 21.09.2015).

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land, Australia, hervorgehoben, dass aus ihrer Sicht in Deutschland die Debatte eine rein wissenschaftlich-rechtliche sei.52 Hinter dieser Aussage wird vermutet, dass jedenfalls von außen nicht klar erkennbar ist, in welcher Tiefe die psychologische Seite, die ein wichtiger Baustein des Mediationsverfahrens ist, in die Diskussion bei uns einbezogen wird.53

des Rechts einher.62 Die verstärkte Beschäftigung mit dem Verfahren der Mediation könnte somit auch die Chance bieten, ein tieferes „Rechtsverständnis“ zu finden. Daran knüpft die Frage an, wie wir unser soziales Miteinander und unsere Streitkultur in der Zukunft gestalten wollen. Die Praxis hat dies mit der eingangs erwähnten Frage: „Wollen Sie Recht haben oder glücklich sein?“ bereits angesprochen.

Ziel der Mediationsrichtlinie war es auch, die Entwicklung von einem Rechtsstreit hin zu einem einvernehmlichen interessenbasierten Prozess zwischen den Parteien zu fördern. Dieser Konsensgedanke, der letztlich aber auch eine Veränderung unserer Streitkultur impliziert, wurde sogar als einer der wichtigsten Aspekte der Mediation bezeichnet.54 Darüber hinaus wurde auch auf das Phänomen hingewiesen, dass einige Fälle zu sozialen Beziehungskonflikten vor Gericht ausgetragen würden, diese ihrerseits dort aber gar nicht hingehörten. Es handele sich dabei um Sachverhaltskonstellationen, die nicht zwingend einen Richter bräuchten, sondern eher eine Interessenaufarbeitung bzw. -klärung.55 Und man kann noch weiter gehen: In der Tat könnten viele Richter und Anwälte aus ihrer Praxis bestätigen, dass Parteien immer wieder prozessierten, obwohl sie eigentlich gar keine Lösung wollten. Aus psychologischer Sicht wird dieses als ambivalent bezeichnete Verhalten damit begründet, dass der Konflikt selbst Lebensinhalt der Parteien ist: Daher sei es nur logisch, dass aus diesem Grund gar kein echtes Interesse daran bestehe, den Konflikt beenden zu wollen, sodass die Parteien immer wieder von neuem vor Gericht ziehen. Ihr Ziel sei es dann auch, die Leere zu füllen, die ohne diesen Konflikt auftreten würde.56 In diesem Zusammenhang wird schließlich auf die wechselseitige Beziehung und den Einfluss zwischen Konfliktlösung und Kultur verwiesen.57 Kultur sei ein maßgeblicher Faktor, der die Art und Weise des Umgangs mit Konflikten im Rechtssystem durch ungeschriebene Regeln, Sprache und Bilder prägt.58

Ein solcher humanistischer Blickwinkel auf die Streitkultur ist aber nicht neu. Schon sehr lange waren im Asiatischen Raum außergerichtliche Streitbeilegungsmethoden, wie das Mediationsverfahren, als ein traditionsreiches Werkzeug anerkannt, im Sinne der Philosophie des Konfuzius zu Harmonie und Kooperation.63 Auch in Europa war das Verfahren längst bekannt, so beispielsweise bei der Beilegung des Dreißigjährigen Krieges im Jahr 1648 im Westfälischen Frieden (Alvise Contarini).64 Im fränkischen Raum war es den Berichten zufolge Fürstbischof Lorenz von Bibra, der im 16. Jahrhundert als Anhänger des Humanismus in Deutsch-

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V. Kultureller Einfluss 59

Die unterschiedlich starke Popularität der Mediation in einzelnen EU-Staaten59 könnte somit auch von einer kulturellen Komponente abhängen. In der Tat, die Überlegung, wie wir miteinander in Zukunft streiten wollen, scheint in den europäischen Ländern unterschiedlich verankert zu sein. Aus rechtssoziologischer Sicht stellt sich sogar die Frage, wie „Recht“ in den Mitgliedstaaten verstanden wird. Bernhard Großfeld hat in seinem Buch mit dem nicht ganz alltäglichen Titel „Dreaming Law“ auf den Begriff der „imagined community“ verwiesen.60 In Anlehnung an den Rechtswissenschaftler und Soziologen Niklas Luhmann61 ist Recht das Recht der Gesellschaft, und eine Veränderung der Gesellschaft geht infolgedessen mit der Veränderung

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Wendenburg in: Conference on Mediation in Germany, Europe and the world, the implementation of the mediation directive on the grounds of international experience, Max Planck Institut, Hamburg, 13.06.2009, Berichte, RabelsZ 74 (2010), S. 882, 887. Montada/Kals, Mediation, Ein Lehrbuch auf psychologischer Grundlage, 2001, S. IX. Greger, Conference on Mediation in Germany, , Europe and the world, the implementation of the mediation directive on the grounds of international experience, Max Planck Institut, Hamburg, 13.06.2009, Berichte, RabelsZ 74 (2010), S. 884, 885. Jung in: Jung/Neumann, Rechtsbegründung − Rechtsbegründungen, Günter Ellscheid zum 65. Geburtstag, S. 68. Diez, Werkstattbuch Mediation, 2005, S. 66, 67. Nolan-Haley, Harvard Negotiation Law Review, Forthcoming Fordham Law Legal Studies Research Paper No. 1713928, 2012, 61, 89, 90 m.w.N. auf Chase, Law, Culture, and Ritual: Disputing Systems in Cross-cultural context 2005, S. 71. McLaughlin, Resolving and Settling Claims in the Financial Services Industry through Mediation − An International Perspective, S. 383, 404, m.w.N. Es kam vor, dass man in einer Buchhandlung bei der Frage nach einem Buch über Mediation eine Empfehlung für ein Buch über Meditation erhielt. Grossfeld, Dreaming Law, 2010, S. 8; Aderson, Die Erfindung der Nation, 2005. Luhmann, Rechtssoziologie, 2008, S. 1, „Alles menschliche Zusammenleben wird direkt oder indirekt durch Recht geprägt“, S. 22. Heldrich in: Drobnig/Rehbinder, Rechtssoziologie und Rechtsvergleichung, Schriftenreihe zur Rechtssoziologie und Rechtstatsachenforschung, Bd. 38, S. 178, 190. Metzner/Stripling, Mediation − Konfliktlösungsmethode mit jahrtausendalter Tradition, www.geschichte-der-mediation.de (zuletzt abgerufen am 21.09.2015). Duchhardt, From the peace of Westphalia to the congress of Vienna, The Oxford Handbook of the History of International Private Law, 2012, Kapitel 4.1.

JM 2 land Reformen durchführte und als kompetenter Mediator gern gerufen wurde, um Streitigkeiten zu lösen.65 Erstaunlich ist es daher schon, dass es der modernen Gesellschaft erst in den letzten Jahren besser gelingt, der Mediation als außergerichtlicher Streitbeilegungsmethode nachhaltig zu vermehrter Aufmerksamkeit zu verhelfen. VI. Schnittstellen und Interdisziplinäre Denkanstöße Mediation beinhaltet das Prinzip, die Parteien zu motivieren, ihr eigenes Verhalten zu reflektieren. Ihnen wird eine einvernehmliche Konfliktlösung in Aussicht gestellt. Wer seine eigenen Interessen und Bedürfnisse erkennen und mitteilen kann, dem fällt es in der Regel auch leichter, die Belange der anderen Partei zu verstehen. Neurologisch gesehen ist es im Alltag jedoch schwierig, dieses Verständnis immer aufzubringen, zumindest dann, wenn man sich gerade im konkreten Streit mit seinem Gegenüber befindet. Denn Verärgerung ist emotional bedingt und blockiert schon seit Urzeiten als Überlebensstrategie diejenigen Regionen des Gehirns, die für rationales Denken zuständig sind.66 Wenden wir aber den Blick von den psychologischen Aspekten auf die juristischen: Wer will was von wem und woraus? Diese studiumsbegleitende Frage- und Prüfungsfolge, die sich rein an den Positionen der Parteien orientiert, kennt jeder Jurist. Es gibt aber Fallkonstellationen, in denen es hilfreich ist, über die Positionen hinaus auch nach dem „Warum?“ zu fragen, also nach den jeweiligen Interessen und Bedürfnissen der Parteien. So liegt es nahe, dass ein erfolgreiches Mediationsverfahren von ausgereiften Fragetechniken und Empathie lebt. Gedankliche Basis hierzu ist das Harvard Prinzip, das auch auf das Beispiel des „Orangen-Falls“ verweist.67 In der Tat werden die Schnittstellen zwischen den Rechtswissenschaften, der Soziologie und Psychologie (sowie anderen) in der heutigen Mediationspraxis abgebildet. Denn der Umstand, dass der Mediator aus unterschiedlichen Professionen bzw. Berufsgruppen neben den Juristen, auch etwa von Psychologen und Sozialpädagogen, stammt, ist Zeichen des interdisziplinären Ansatzes. Sie diskutieren, welche Aspekte der jeweiligen Fachrichtung die besten Voraussetzungen für die Mediation mitbringen. Eine Option ist, je nach Fallkonstellation, gemeinsam mit einem Co-Mediator, der jeweils das andere Fach (z.B. Psychologie) vertritt, zu mediieren. Nicht zuletzt kann die Mediationspraxis deutlich gewinnen, wenn die Modellvorstellungen der Psychologie integriert werden.68

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licher Streitbeilegungsmethoden einen neuen lebhaften Anstoß gegeben. Mit der Anfang 2014 veröffentlichten EUStudie zur „Bewertung der begrenzten Auswirkungen der Umsetzung der Mediationsrichtlinie und Maßnahmen zur Förderung in der EU“ wurde allerdings hinterfragt, warum die Mediation nicht häufiger angewandt wird.69 Bei ihrer Umsetzung und der Frage der Verankerung der Mediation in der jeweiligen Rechtsordnung wurden in jedem Mitgliedsstaat auch zwangsläufig Aspekte im Zusammenhang mit der eigenen Haltung zum Recht und zur Art der Konfliktregulierung hinterfragt. Der englische Professor Richard Susskind führt diesen Gedanken weiter und diskutiert in seinen Publikationen und aktuellen Vorträgen – zum Beispiel auch in Deutschland im Rahmen des internationalen Rechtsanwaltstags in Frankfurt, 2013 –, ob sich die Rolle des Anwalts selbst einem Wandel unterziehen wird.70 Hierbei fällt auf, dass einige Unternehmens- und Rechtsanwälte eine Mediatorenausbildung auch deshalb absolvieren, um die im Rahmen der Ausbildung vermittelten „soft skills“ zu verinnerlichen.71 Dabei wird fast jeder, der mit der Mediation in Berührung kommt, zu ihrem Multiplikator.72 Darüber hinaus bietet die Umsetzung der ADR/ODR-Richtlinie der EU neue Perspektiven, die die zunehmende Digitalisierung auch bei Rechtsstreitigkeiten berücksichtigt. Es liegt beispielsweise nahe, Konflikte dort zu lösen, wo sie entstanden sind, nämlich „online“.73 Aus Sicht der

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D. Fazit 72

Die Mediationsrichtlinie hat der Diskussion in den Mitgliedstaaten über den Nutzen und die Anwendung außergericht-

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Von Bibra, Vortrag „Drei Fürstbischöfe aus einem Geschlecht“, Schwebheim, 18.02.2013. Siehe z.B. Birkenbihl, Stroh im Kopf?, 1991, S. 16. Bühring-Uhle/Eidenmüller/Nelle, Verhandlungsmanagement, 2009, S. 5; näher auch bei Fisher/Ury/Patton, Das Harvard-Konzept, 2009. Montada/Kals, Mediation: Ein Lehrbuch auf psychologischer Grundlage, S. 7. Rebooting‘ the Mediation Directive: Assessing the limited impact of its implementation and proposing measures to increase the number of mediations in the EU“, Bestandsaufnahme der Tätigkeiten des Ausschüsse des Europäischen Parlaments in der siebten Wahlperiode, Rechtsausschuss, beides unter www.europarl.europa.eu (zuletzt abgerufen am 21.09.2015). Susskind, Tomorrows Lawyers, 2013; weiter Macfarlane, The New Lawyer: How settlement is transforming the practice of law, S. 12; Magendie, Cour d’appel de Paris, Rapport issu du groupe de travail sur la médiation, Célérité et qualité de la justice – la mediation: une autre voie, 15.10.2008, S. 30. Näher Eidenmüller, Die Rolle von Verhandlungsmanagement und Mediation in der Juristenausbildung, Vortrag 2012, www.mucdr.org/ upload/doc/vortrag-juristenausbildung.pdf (zuletzt abgerufen am 21.09.2015). Trossen, ZKM, 6/2009, 190; siehe auch Whittaker, Ethical Intelligence for Lawyers, J.I.B.LR. 2015, S. 309. Hierzu näher Barth/Böhm, Konfliktlösung online, 2012.

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Forschung ist zudem darauf hinzuweisen, dass das MaxPlanck-Institut Luxemburg für internationales europäisches und regulatorisches Verfahrensrecht, das im Herbst 2012 eröffnet wurde, die Konfliktregulierung sogar zu seinem Forschungsschwerpunkt erklärte, dies übrigens speziell aus der Perspektive von Finanzmärkten.74 Konkret für die Mediationsrichtlinie kann mit Spannung der Bericht der EU-Kommission zur „Überprüfung der Anwendung und Entwicklung der Mediation in den Mitgliedstaaten“ erwartet werden. Die Kommission muss ihren Bericht bis zum 21.05.2016 dem EU-Parlament, dem Rat und dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss vorlegen (Art. 11 der Mediationsrichtlinie).

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Broschüre des Max-Planck-Instituts Luxemburg, www.mpg.de/ 7229173/broschuere_luxemburg.pdf, S. 5 (zuletzt abgerufen am 21.09.2015).

Kein Land in Sicht – das Dilemma des Safe-Harbor-Urteils EuGH, Urt. v. 06.10.2015 - C-362/14 Prof. Dr. Dirk Heckmann und Wiss. Mit. Tobias Starnecker A. Einleitung Auch wenn es eine Sensation mit Ankündigung (des Generalanwalts) war: Die Entscheidung des EuGH vom 06.10.2015 in Sachen Max Schrems/Facebook/irische Datenschutzbehörde1 hat weltweit für Erstaunen, zuweilen Ratlosigkeit und teilweise auch Entsetzen gesorgt. Sie kann schon heute als historischer Meilenstein des Datenschutzrechts angesehen und in einem Atemzug mit dem Volkszählungsurteil des BVerfG aus dem Jahre 1983 genannt werden. So wie die Parlamente in Deutschland in den 80er Jahren die bis dato eher unbestimmten und pauschalen Datenschutzregelungen durch einen bereichsspezifischen Datenschutz abgelöst haben, wird man die pauschale Rechtfertigung von Datenübermittlungen in „unsichere Drittstaaten“ nun auf ein neues normatives Fundament stellen müssen. Das wird allerdings ungleich schwieriger, weil der EuGH Anforderungen gestellt hat, die praktisch derjenige umsetzen müsste, der nicht dessen Jurisdiktion unterliegt: der Gesetzgeber des Drittstaates (wie etwa die USA). Wenn aber bei einer Divergenz des Schutzniveaus zweier souveräner Staaten(gebilde) keiner nachgeben mag, hat man ein Dilemma.

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B. Übermittlungsanforderungen nach dem EuGH-Urteil Eingangs seiner Entscheidung stellt der EuGH fest, dass die Datenschutzrichtlinie (RL 95/46/EG) im Lichte der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgelegt werden muss und ein hohes Schutzniveau der Grundrechte und Grundfreiheiten gewährleisten soll.2 Ausgehend von dieser grundrechtskonformen Auslegung der Datenschutzrichtlinie definiert der EuGH den Begriff des „angemessenen Schutzniveaus“ als ein dem europäischen Schutzniveau der Sache nach gleichwertiges Schutzniveau.3 Den Drittstaat trifft insoweit eine Gewährleistungsverpflichtung hinsichtlich des Schutzes der Privatsphäre sowie der Freiheiten und Grundrechte von Personen.4 Auch wenn andere Mittel zur Gewährleistung des Schutzniveaus eingesetzt werden, so müssen diese in der Praxis wirksam sein, um einen gleichwertigen Schutz sicherzustellen.5 Als wesentliches Element im Hinblick auf ein System der Selbstzertifizierung – wie es Safe-Harbor beinhaltet – wird die Schaffung wirksamer Überwachungs- und Kontrollmechanismen deklariert, um die Ermittlung und Ahndung von Verstößen zu ermöglichen.6 Näher konkretisiert der EuGH das angemessene Schutzniveau, indem er spezifische Vorgaben für staatliche Eingriffsbefugnisse aufstellt. So müssen Regelungen, die Eingriffe in die Schutzbereiche der Art. 7 und Art. 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) ermöglichen, den Geboten der Normenklarheit, -bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit genügen, um einen wirksamen Schutz der Daten vor Missbrauch, unberechtigtem Zugang und unberechtigter Nutzung zu bieten.7 Ausnahmen und Einschränkungen vom Schutz personenbezogener Daten müssen sich auf das absolut Notwendige beschränken.8 Diesem Erfordernis entsprechen gerade Regelungen, die eine generelle Speicherung oder Nutzung aller in die USA übermittelten personenbezogenen Daten erlauben, ohne Restriktionen hinsichtlich Zweckbestimmung und Zweckbindung vorzusehen, nicht.9 Insbesondere wird der Wesensgehalt von Art. 7 GRC durch eine Regelung, die einen generellen Zugriff auf die Inhaltsdaten der Kommunikation ermöglicht, verletzt.10 Zudem wird der Wesensgehalt des

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EuGH, Urt. v. 06.10.2015 - C-362/14. EuGH, Urt. v. 06.10.2015 - C-362/14. Vgl. EuGH, Urt. v. 06.10.2015 - C-362/14. Vgl. EuGH, Urt. v. 06.10.2015 - C-362/14. Vgl. EuGH, Urt. v. 06.10.2015 - C-362/14. Vgl. EuGH, Urt. v. 06.10.2015 - C-362/14. EuGH, Urt. v. 06.10.2015 - C-362/14. Vgl. EuGH, Urt. v. 06.10.2015 - C-362/14. EuGH, Urt. v. 06.10.2015 - C-362/14. Vgl. EuGH, Urt. v. 06.10.2015 - C-362/14.

JM 2 Grundrechts auf wirksamen Rechtsschutz nach Art. 47 GRC verletzt, wenn dem Betroffenen kein Rechtsbehelf zur Verfügung gestellt wird, damit dieser Zugang zu den zu ihm gespeicherten Daten erhält oder deren Berichtigung bzw. Löschung erlangen kann.11 Nachdem das angemessene Schutzniveau explizit nur für die Übermittlungen nach Art. 25 Abs. 1 der RL 95/46/EG relevant wird, fehlen in der Entscheidung des EuGH Ausführungen zu den neben Safe-Harbor bestehenden Übermittlungsinstrumenten. Für Binding Corporate Rules (BCRs) und Standardvertragsklauseln wird nach Art. 26 Abs. 2 RL 95/46/EG ein angemessenes Schutzniveau in den betreffenden Staaten gerade nicht vorausgesetzt. Stattdessen müssen gem. Art. 26 Abs. 2 RL 95/46/EG Standardvertragsklauseln wie BCRs „ausreichende Garantien hinsichtlich des Schutzes der Privatsphäre, der Grundrechte und der Grundfreiheiten der Personen sowie hinsichtlich der Ausübung der damit verbundenen Rechte durch die verantwortliche Stelle bieten“. Wenn man aber Art. 26 Abs. 2 RL 95/46/EG, wie vom EuGH für die gesamte Datenschutzrichtlinie gefordert, im Lichte der Grundrechte der Charta auslegt, kann dieser nur so zu lesen sein, dass die Vertragsklauseln oder BCRs nur über solche Defizite im Datenschutzrecht hinweghelfen können, die durch private Vereinbarungen auch tatsächlich überwunden werden können.12 Für Mängel im geltenden staatlichen Normgefüge, etwa bei anlasslosen, undifferenzierten Speicherungs- und Nutzungsbefugnissen, dürften diese dann aber keine Geltung erlangen können.13 Damit können die Übermittlungsanforderungen des EuGH auch auf die übrigen neben Safe-Harbor bestehenden Instrumente des Datentransfers – zumindest in modifizierter Form – übertragen werden.

Trotz der angezeigten Zweifel sollen nach einem Teil der Literatur aber Standardvertragsklauseln, BCRs sowie Datenübermittlungsverträge weiterhin – zumindest übergangsweise – als wirksame Rechtsgrundlagen für den Datentransfer ins Ausland dienen.17 So verweist etwa Schröder darauf, dass die Konzeption des Art. 26 Abs. 2 RL 95/46/EG vorsehe, dass die datenschutzrechtlichen Defizite durch die Standardvertragsklauseln ausgeglichen werden.18 Dem steht aber eine grundrechtskonforme Auslegung des Art. 26 Abs. 2 der RL 95/46/EG entgegen.19 Demnach sind Standardvertragsklauseln, aber auch BCRs nicht in der Lage, die verfassungsrechtlichen Defizite in Form der bestehenden US-amerikanischen staatlichen Zugriffsmöglichkeiten auszugleichen.20 Diese Konsequenz besteht unterdessen nicht „ipso iure“. Vielmehr ist aufgrund der Bindungswirkung der Kommissionsentscheidungen21 zu den Standardvertragsklauseln eine erneute Anrufung des EuGH erforderlich, um hier Rechtssicherheit und -klarheit zu schaffen.22 So geht auch Lejeune davon aus, dass der EuGH die Kommissionsentscheidungen bezüglich der Standardvertragsklauseln für unionsrechtswidrig erklären wird.23 Kritisch sieht die Literatur die neben Standardvertragsklauseln, BCRs und Übermittlungsverträgen bestehende Legitimation der Datenübermittlung durch Einwilligung des Betroffenen.24 Insoweit wird auf die sich stellenden Probleme

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Die Entscheidung des EuGH schlägt durch die Absage an Safe-Harbor als Übermittlungsinstrument große Wellen in der rechtsberatenden Praxis. Durch das Urteil hat der EuGH einen Weg zur Datenübermittlung verschlossen, weshalb eine lebhafte Diskussion der alternativ bestehenden Anlegestellen des transatlantischen Datenverkehrs im Gange ist, um die offenen Fragen für die betroffenen Unternehmen zu klären. Die Safe-Harbor-Entscheidung wird insofern als Maßstab zur Beurteilung der weiteren Instrumente angesehen. So nähren die aufgezeigten Übermittlungsanforderungen (siehe B.) die Zweifel an der Rechtmäßigkeit der weiteren Übermittlungsmöglichkeiten in Drittländer.14 Denn sowohl für Standardvertragsklauseln wie auch für BCRs werden wohl dieselben Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen

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gelten, die der EuGH für Safe-Harbor aufgestellt hat.15 Den Standardvertragsklauseln werden insofern ähnliche formale wie inhaltliche Mängel attestiert, unter denen schon Safe-Harbor litt.16

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C. Literatur-Spiegel zum Umsetzungsdilemma

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Vgl. EuGH, Urt. v. 06.10.2015 - C-362/14. Vgl. Moos/Schefzig, CR 2015, 625, 632. Vgl. Moos/Schefzig, CR 2015, 625, 632. Vgl. statt vieler: Petri, DUD 2015, 801, 805. Vgl. Petri, DUD 2015, 801, 805. Vgl. Bergt, MMR 2015, 759, 762; Schwartmann, EuZW 2015, 864, 867. Vgl. Domke, BB 2015, 2804, 2806; Schröder, ZD 2015, 501, 502; Bergt, MMR 2015, 759, 761; nur in Hinblick auf Corporate Binding Rules und Datenübermittlungsverträge: Wybitul, ZD-Aktuell 2015, 04856. Schröder, ZD 2015, 501, 502. Vgl. Moos/Schefzig, CR 2015, 625, 632. Vgl. Moos/Schefzig, CR 2015, 625, 632. EU-Kommission, E. v. 15.06.2001 - 2001/479/EG; EU-Kommission, E. v. 27.12.2004 - 2004/915/EG; EU-Kommission, E. v. 05.02.2010 2010/87/EU. Vgl. Schröder, ZD 2015, 501, 502; ähnlich: Lejeune, ITRB 2015, 257, 260. Vgl. Lejeune, ITRB 2015, 257, 260. Vgl. Domke, BB 2015, 2804, 2806; Bergt, MMR 2015, 759, 762; Schwartmann, EuZW 2015, 864, 868; Moos/Schefzig, CR 2015, 625, 632.

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der Praxistauglichkeit, freien Widerruflichkeit und hohen Anforderungen des Einwilligungsprozesses hingewiesen.25 D. Die Haltung der Datenschutzbehörden zum Umsetzungsdilemma Die Datenschutzbehörden sind neben der Wirtschaft die zweite hauptsächlich adressierte Gruppe des Umsetzungsdilemmas der EuGH-Entscheidung zu Safe-Harbor. Sie sind gehalten, die vom EuGH offen gelassenen Fragen bezüglich der weiteren Übermittlungsinstrumente zu klären und für die zukünftige aufsichtsrechtliche Tätigkeit handhabbar zu gestalten. Eine einstimmige Haltung der Datenschutzbehörden zu den Folgen des Umsetzungsdilemmas der Safe-Harbor-Entscheidung lässt sich bisher nicht erkennen, vielmehr bestehen teils große Diskrepanzen. Zwar besteht innerhalb der europäischen wie deutschen Datenschutzbehörden der umfassende Konsens, dass Datenübermittlungen, die alleine auf Safe-Harbor gestützt erfolgen, rechtswidrig sind.26 Auch wollen die Artikel-29Datenschutzgruppe und die Datenschutzkonferenz die weiteren nach Art. 26 Abs. 2 der RL 95/46/EG bestehenden Möglichkeiten des Datentransfers auf ihre Wirksamkeit hin überprüfen. Die schon jetzt zu ziehenden Konsequenzen aus den sich abzeichnenden Zweifeln an der Rechtmäßigkeit dieser Instrumente divergieren aber zunehmend. Die Artikel-29-Datenschutzgruppe geht davon aus, dass in der Zwischenzeit Standardvertragsklauseln sowie BCRs weiterhin verwendet werden können – zumindest bis zum Ende einer selbst gesetzten „Schonfrist“ Ende Januar 2016. Ob damit auch gemeint ist, dass weitere Genehmigungen (i.S.v. § 4c Abs. 2 Satz 1 BDSG) erteilt werden, wird aus dem bloßen Wortlaut des Statements nicht klar.27 Davon unabhängig besteht eine Befugnis der Datenschutzbehörden, bestimmte Fälle auf ihre Datenschutzkonformität zu untersuchen.28 Die Datenschutzkonferenz hingegen will aufgrund der angezeigten Zweifel keine neuen Genehmigungen für BCRs erteilen.29 Die schärfsten Folgen aus der EuGH-Entscheidung zieht das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD), indem es nach geltendem Recht keine wirksame Datenübermittlung in die USA für möglich hält. Es geht davon aus, dass sowohl Einwilligung als auch Standardvertragsklauseln als Grundlagen der Datenübermittlung in die USA ausscheiden.30 Hinsichtlich der Standardvertragsklauseln sieht das ULD die Vorgaben des EuGH nicht als gewahrt an, da US-amerikanische Datenimporteure nach geltendem US-amerikanischem Recht diese nicht einzuhalten vermögen.31

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In Bezug auf die Einwilligung will das ULD dem Einwilligenden schon die Dispositionsbefugnis versagen. Dies folgert es aus dem Eingriff in den Wesensgehalt des Grundrechts auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 der Grundrechtecharta.32 Anders sieht dies die Datenschutzkonferenz, die eine Einwilligung grundsätzlich für ein taugliches Mittel hält, wenn dieses auch unter hohen Hürden steht und in Bezug auf den wiederholten, massenhaften oder routinemäßigen Datentransfer Grenzen unterliegt.33 E. Würdigung und Ausblick Das „Safe-Harbor“-Dilemma ist kaum auflösbar. Das liegt an einer rechtlich unmöglichen Anspruchshaltung der europäischen Datenschutzordnung. Diese regelt eine Art

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Vgl. Domke, BB 2015, 2804, 2806; Petri, DUD 2015, 801, 805; Schwartmann, EuZW 2015, 864, 868; Wybitul, ZD-Aktuell 2015, 04856; Moos/ Schefzig, CR 2015, 625, 632. Vgl. Datenschutzkonferenz, Positionspapier vom 26.10.2015, abrufbar unter: www.baden-wuerttemberg.datenschutz.de/wp-content/ uploads/2015/10/15-10-26-Positionspapier-DSK-zu-Safe-harbor.pdf (zuletzt abgerufen am 11.12.2015); Artikel-29-Datenschutzgruppe, Statement vom 16.10.2015, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/justice/data-protection/article-29/press-material/press-release/art29_ press_material/2015/20151016_wp29_statement_on_schrems_judgement.pdf (zuletzt abgerufen am 11.12.2015); ULD, Positionspapier vom 14.10.2015, abrufbar unter: www.datenschutzzentrum.de/ artikel/967-Positionspapier-des-ULD-zum-Safe-Harbor-Urteildes-Gerichtshofs-der-Europaeischen-Union-vom-6.-Oktober2015,-C-36214.html (zuletzt abgerufen am 11.12.2015). Davon ausgehend: Spies, ZD-Aktuell 2015, 04869. Vgl. Artikel-29-Datenschutzgruppe, Statement vom 16.10.2015, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/justice/data-protection/article-29/ press-material/press-release/art29_press_material/2015/20151016_ wp29_statement_on_schrems_judgement.pdf (zuletzt abgerufen am 11.12.2015). Vgl. Datenschutzkonferenz, Positionspapier vom 26.10.2015, abrufbar unter: www.baden-wuerttemberg.datenschutz.de/wp-content/ uploads/2015/10/15-10-26-Positionspapier-DSK-zu-Safe-harbor.pdf (zuletzt abgerufen am 11.12.2015). Vgl. ULD, Positionspapier vom 14.10.2015, abrufbar unter: www. datenschutzzentrum.de/artikel/967-Positionspapier-des-ULD-zumSafe-Harbor-Urteil-des-Gerichtshofs-der-Europaeischen-Union-vom6.-Oktober-2015,-C-36214.html (zuletzt abgerufen am 11.12.2015). Vgl. ULD, Positionspapier vom 14.10.2015, abrufbar unter: www. datenschutzzentrum.de/artikel/967-Positionspapier-des-ULD-zumSafe-Harbor-Urteil-des-Gerichtshofs-der-Europaeischen-Union-vom6.-Oktober-2015,-C-36214.html (zuletzt abgerufen am 11.12.2015). Vgl. ULD, Positionspapier vom 14.10.2015, abrufbar unter: www. datenschutzzentrum.de/artikel/967-Positionspapier-des-ULD-zumSafe-Harbor-Urteil-des-Gerichtshofs-der-Europaeischen-Union-vom6.-Oktober-2015,-C-36214.html (zuletzt abgerufen am 11.12.2015). Vgl. Datenschutzkonferenz, Positionspapier vom 26.10.2015, abrufbar unter: www.baden-wuerttemberg.datenschutz.de/wp-content/ uploads/2015/10/15-10-26-Positionspapier-DSK-zu-Safe-harbor.pdf (zuletzt abgerufen am 11.12.2015).

JM 2 „Exportverbot“ für Daten in sog. unsichere Länder, so als ob es sich hier um Produktgattungen wie Waffen handeln würde. Daten, auch wenn sie personenbezogen und damit im Prinzip besonders schutzwürdig sind, lassen sich in einer globalisierten und digitalisierten Weltwirtschaftsordnung unterdessen nicht isoliert unter dem Blickwinkel einer Teilrechtsordnung wie dem EU-Recht betrachten und „isolieren“. Es ist wiederum illusorisch zu glauben, die USA würden sich einseitig europäischen Datenschutzstandards unterwerfen. Letztlich spiegelt das EuGH-Urteil das wider, was man schon vorher wusste, worüber man angesichts ökonomischer Sachzwänge aber nur ungern redete: Der Datentransfer (insbesondere im Internet) folgt internationalen Übertragungswegen, der Datenschutz hingegen „regionalen“ Schutzbemühungen. Das Dilemma besteht dann darin, dass man weder das Internet „regionalisieren“ noch US-Recht „europäisieren“ kann. So bleibt der einzige Ausweg in einem neuen Ansatz informationeller Selbstbestimmung. Es ist nämlich auch nach hiesigem Datenschutzstandard nicht ausgeschlossen, das Risiko freiwillig einzugehen, das mit defizitären ausländischen Rechtsschutzstandards einhergeht. Es muss nur hinreichend, sachlich, nicht verharmlosend und nicht dramatisierend über diese Risiken informiert werden. Das ist bei Weitem nicht einfach, aber letztlich machbar. Man darf gerne weiter über eine Annäherung im Datenschutzniveau verhandeln. Es sollte aber baldmöglichst über innovative Einwilligungskonzepte nachgedacht werden, ggf. mit einer interessengerechten und verhältnismäßigen Begrenzung der Widerruflichkeit. Wenn in diesem Fall die internationale Staatengemeinschaft nicht übereinkommt, muss sich eben der einzelne Betroffene entscheiden. Das muss nicht schlechter sein als das in der Tat „fadenscheinige“ Safe Harbor Abkommen, mit dem man über zehn Jahre schlecht, aber eben doch gelebt hat.

Anforderungen an einen wirksamen Verzicht auf künftigen Trennungsunterhalt BGH, Beschl. v. 30.09.2015 - XII ZB 1/15 W. a. RiAG a.D. Dr. Wolfram Viefhues A. Problemstellung § 1614 BGB ist beim Trennungsunterhalt über §§ 1361 Abs. 4 Satz 4, Abs. 3, 1360a Abs. 3 BGB anwendbar, sodass auf Trennungsunterhalt für die Zukunft nicht verzichtet werden kann.1 Während ein Verzicht auf laufenden Trennungsunterhalt ebenso wie auf zukünftigen Kindesunterhalt folglich unzulässig ist, ist dagegen eine Modifikation erlaubt.

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Die Abgrenzung zwischen dem zulässigen Bereich der vertraglichen Ausgestaltung und dem unzulässigen Bereich des Verzichts ist nicht ganz einfach vorzunehmen. Die Entscheidung des BGH vom 30.09.2015 schafft hier weitergehende Klarheit, führt aber auch zu verschärften Anforderungen beim Abschluss entsprechender Vereinbarungen. B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Die Beteiligten – getrennt lebende kinderlose Eheleute – streiten über Trennungsunterhalt. Die Ehe wurde am 07.01.2005 geschlossen. Im Ehevertrag vom 04.01.2005 begrenzten sie den nachehelichen Unterhalt der Ehefrau auf 3.000 € monatlich, wobei eine Wertsicherungsklausel (Indexierung) vereinbart wurde. Darüber hinaus vereinbarten sie einen Verzicht und erklärten weiter, dass diese Regelung auch für den Trennungsunterhalt zur Anwendung kommen soll. Im Dezember 2011 trennten sie sich. Am 07.05.2013 wurde die Ehe rechtskräftig geschieden. Die Ehefrau macht einen über den fixierten Betrag hinausgehenden, konkret berechneten Trennungsunterhalt geltend. Der Ehemann hat sich für unbeschränkt leistungsfähig erklärt. Im Beschwerdeverfahren hat das Oberlandesgericht den Antrag abgewiesen und dies mit einem wirksamen Unterhaltsverzicht begründet. Diese Entscheidung hat der BGH aufgehoben und an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen habe das Oberlandesgericht zu Unrecht einen wirksamen Verzicht auf Trennungsunterhalt bejaht. Nach §§ 1361 Abs. 4 Satz 4, 1360a Abs. 3 i.V.m. § 1614 BGB ist ein Verzicht auf künftigen Trennungsunterhalt unwirksam und daher nach § 134 BGB nichtig. Die Vorschrift hat sowohl individuelle als auch öffentliche Interessen im Blick und will verhindern, dass sich der Unterhaltsberechtigte während der Trennungszeit durch Dispositionen über den Bestand des Unterhaltsanspruchs seiner Lebensgrundlage begibt und dadurch gegebenenfalls öffentlicher Hilfe anheimzufallen droht.2 I. Noch zutreffend habe das Oberlandesgericht allerdings ausgeführt, dass das gesetzliche Verbot des Verzichts auf künftigen Trennungsunterhalt nicht durch ein sog. pactum de non petendo umgangen werden darf. Ein solches, näm-

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BGH, Urt. v. 27.06.1984 - IVb ZR 21/83. BGH, Beschl. v. 29.01.2014 - XII ZB 303/13 Rn. 48.

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lich die Verpflichtung oder das Versprechen des unterhaltsberechtigten Ehegatten, Trennungsunterhalt nicht geltend zu machen, berührt zwar den Bestand des Unterhaltsanspruchs nicht, begründet aber eine Einrede gegen den Unterhaltsanspruch, die wirtschaftlich zu dem gleichen Ergebnis führt wie ein Unterhaltsverzicht. Deshalb ist in einem pactum de non petendo ein unzulässiges und daher unwirksames Umgehungsgeschäft zu sehen.3 Dem Verlangen der Ehefrau nach einem über den in der Vereinbarung begrenzten Trennungsunterhalt hinausgehenden Trennungsunterhalt stehe nicht die Regelung des Ehevertrags entgegen. Das wäre nur dann der Fall, wenn der Ehevertrag insoweit wirksam wäre, also keinen nach § 1614 Abs. 1 BGB unwirksamen – auch nur teilweisen – Verzicht auf künftigen Trennungsunterhalt beinhalten oder auf einen solchen Verzicht hinauslaufen würde. Ob die Beteiligten einen Verzicht gewollt haben, ist insofern unbeachtlich. Es kommt allein darauf an, ob der dem Unterhaltsberechtigten von Gesetzes wegen zustehende Unterhalt objektiv verkürzt wurde.4 Der Unterhaltsberechtigte dürfe seine Rechte selbst dann nicht aufgeben, wenn ihm hierfür eine gleichwertige Gegenleistung gewährt worden ist.5 II. Allerdings sei anerkannt, dass § 1614 Abs. 1 BGB einer vertraglichen Ausgestaltung des Trennungsunterhalts für die Zukunft nicht entgegensteht. Vielmehr bestehe für die Bemessung des Unterhalts insoweit ein Spielraum, innerhalb dessen interessengemäße, angemessene Regelungen vereinbart werden können. Nur eine Abrede, die unterhalb eines solchen Rahmens des angemessenen Unterhalts i.S.v. § 1361 Abs. 1 Satz 1 BGB liegt, könne keinen Bestand haben.6 In der Rechtsprechung und im Schrifttum wird weitgehend eine Unterschreitung des rein rechnerisch ermittelten Unterhalts von bis zu 20 % noch als angemessen und damit hinnehmbar erachtet, während eine Unterschreitung um ein Drittel im Regelfall als mit § 1614 Abs. 1 BGB unvereinbar angesehen wird. In dem dazwischenliegenden Bereich soll aufgrund der Umstände des Einzelfalls entschieden werden.7 III. Die Beurteilung, ob eine unzulässige Unterschreitung des angemessenen Unterhalts vorliegt, setzt – ungeachtet bestehender Differenzierungen im Rahmen der wiedergegebenen Auffassung – allerdings voraus, dass zunächst die Höhe dieses angemessenen Unterhalts im hierfür erforderlichen Umfang festgestellt worden ist. Denn andernfalls lässt nicht erkennen, ob ein Verzicht vorliegt. Darauf zielende Überlegungen habe das Beschwerdegericht nicht angestellt. Zwar brauchte es keine Feststellungen zur Leistungsfähigkeit des Ehemanns zu treffen, da er unstreitig uneingeschränkt leistungsfähig ist. Es habe aber offenge-

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lassen, wie der aufgrund der gehobenen Einkommensverhältnisse geltend gemachte konkrete Bedarf der Ehefrau zu beurteilen ist. Ebenso wenig sei es dem Einwand des Ehemanns nachgegangen, die Ehefrau treffe nach § 1361 Abs. 2 BGB eine Erwerbsobliegenheit, entweder im Rahmen des von ihr betriebenen Kochstudios oder in ihrem vor der Ehe ausgeübten Beruf als Diplom-Psychologin. Dieser Prüfung war das Oberlandesgericht nicht deshalb enthoben, weil sich andere Teile des Ehevertrags als für die Ehefrau vorteilhaft erweisen. Denn die Wirksamkeit der Regelung des Trennungsunterhalts sei isoliert zu betrachten und werde nicht durch Vereinbarungen zu anderen Gegenständen berührt. Daher könne der Regelung insbesondere nicht zur Wirksamkeit verhelfen, dass die Ehefrau nach den Regelungen des Ehevertrags ohne Wiederheirat den vereinbarten nachehelichen Unterhalt lebenslang beziehen kann. Ohne Erfolg blieb der Einwand, § 1614 Abs. 1 BGB sei teleologisch dahin zu reduzieren, dass nur ein Verzicht auf künftigen Trennungsunterhalt, durch den eine Sozialhilfebedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten entstehe, unwirksam sei; der Ehefrau sei aber ein Mindestunterhalt garantiert, der diese Folge ausschließe. Dass Drittinteressen, insbesondere öffentliche Kassen, von der ehevertraglichen Regelung nicht berührt würden, bleibt auf die Beurteilung ohne Einfluss. Zwar wird die Meinung vertreten, ein Verzicht sei entsprechend dem Normzweck des Verzichtsverbots bis zu der Grenze zulässig, von der an die Hilfsbedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten zu einem Anspruch auf Sozialhilfe führe.8

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BGH, Beschl. v. 29.01.2014 - XII ZB 303/13 Rn. 48 m.w.N. BGH, Urt. v. 27.06.1984 - IVb ZR 21/83. So schon RG JW 1919, 824, 825; allgemeine Meinung, siehe etwa Born in: MünchKomm-BGB, 6. Aufl., § 1614 Rn. 8; Engler in: Staudinger BGB, 14. Aufl. 2000, § 1614 Rn. 11. Vgl. BGH, Urt. v. 27.06.1984 - IVb ZR 21/83. Vgl. OLG Hamm, Urt. v. 01.12.1999 - 12 UF 38/99 und OLG Hamm, Beschl. v. 15.03.2006 - 11 WF 47/06; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19.06.2000 - 5 WF 114/00; OLG Köln, Urt. v. 30.11.1982 - 4 UF 214/82; Wendl/Bömelburg, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 9. Aufl., § 4 Rn. 85; Weber-Monecke in: MünchKommBGB, 6. Aufl., § 1361 Rn. 49; Göppinger/Hoffmann, Unterhaltsrecht, 9. Aufl., Rn. 1478; Voppel in: Staudinger BGB, 16. Aufl. 2012, § 1361 Rn. 305; Kilger/Pfeil in: Göppinger/Börger, Vereinbarungen anläßlich der Ehescheidung, 10. Aufl., 5. Teil Rn. 142; Niepmann/Schwamb, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 12. Aufl., Rn. 153; Hammermann in: Erman BGB, 14. Aufl., § 1614 Rn. 6; Weinreich/Klein/Müting, Familienrecht, 8. Aufl., § 1614 Rn. 12; Soyka in: PWW BGB, 10. Aufl., § 1614 Rn. 3; Viefhues in: jurisPK-BGB, § 1614 Rn. 17; Eschenbruch in: Eschenbruch/Schürmann/Menne, Der Unterhaltsprozess, 6. Aufl., Kap. 1 Rn. 1902; Huhn, RNotZ 2007, 177, 185; Schwackenberg, FPR 2001, 107. Engler in: Staudinger BGB, 14. Aufl. 2000, § 1614 Rn. 10.

JM 2 Dieser Auffassung folgt der BGH nicht. Zwar habe § 1614 BGB auch öffentliche Interessen im Blick; er diene aber gleichermaßen den Interessen des Unterhaltsberechtigten.9 Demgemäß finde sich im Gesetz keine Einschränkung derart, dass ein Verzicht bis zur Grenze der Sozialhilfebedürftigkeit zulässig sei, sondern das uneingeschränkte Verbot, für die Zukunft auf Unterhalt zu verzichten. C. Auswirkungen für die Praxis Bei Regelungen zum Unterhalt sind formelle und inhaltliche Vorgaben zu beachten. I. Formzwang Für einen Ehevertrag gilt die Regelung des § 1410 BGB, wonach die notarielle Beurkundung erforderlich ist. Eheverträge werden bei intakter Ehe geschlossen und sind nicht auf eine bevorstehende oder eingeleitete Scheidung bezogen, auch wenn sie Regelungen für den Fall des Scheiterns der Ehe enthalten. Eine Scheidungsfolgenvereinbarung wird dagegen geschlossen, um einvernehmlich die gescheiterte Ehe nach der Scheidung abzuwickeln. Eine Trennungsvereinbarung regelt allein den Zeitraum nach einer Trennung, wobei die Scheidung zu dieser Zeit nicht immer schon beabsichtigt ist. In der Praxis werden vielfach Regelungen zum Trennungszeitraum und zum Zeitraum nach der Scheidung miteinander verbunden. Grundsätzlich sind Scheidungsfolgenvereinbarung und Trennungsvereinbarung über Unterhalt formfrei zulässig, jedoch muss die Ausnahme des § 1585c Abs. 1 Satz 2 BGB beachtet werden. Danach bedarf eine Vereinbarung von Ehegatten über die Unterhaltspflicht für die Zeit nach der Scheidung, die vor der Rechtskraft der Scheidung getroffen wird, der notariellen Beurkundung. § 127a findet auf eine solche Vereinbarung Anwendung, und zwar abweichend vom missverständlichen Wortlaut des § 1585c BGB auch, wenn die Vereinbarung in einem anderen Verfahren als die Ehesache protokolliert wird. Eine Vereinbarung kann daher insbesondere im Verfahren über den Trennungsunterhalt formwirksam abgeschlossen werden.10

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re Ehepartner soll auch in einer Trennungsvereinbarung vor Verschlechterung seiner wirtschaftlichen und persönlichen Situation geschützt werden.12 Je mehr gesetzliche Rechte abbedungen werden, desto mehr kann sich der Effekt einseitiger Benachteiligung verstärken. III. Speziell Trennungsunterhalt Während bei Beachtung der allgemeinen Wirksamkeitsvoraussetzungen auf Geschiedenenunterhalt auch vollständig verzichtet werden kann, scheitert beim Trennungsunterhalt ein vollständiger Verzicht für die Zukunft an §§ 1361 Abs. 4 Satz 3, 1360a Abs. 3, 1614 Abs. 1 BGB. Dies gilt auch bei einem Verzicht gegen eine Abfindung.13 Auch Umgehungsgeschäfte wie einen Vollstreckungsverzicht (pactum de non petendo) lässt der BGH nicht zu.14 Für die Abgrenzung zwischen zulässiger Anpassung des zukünftigen Unterhaltes und unzulässigem Verzicht gibt der BGH angesichts der Verschiedenartigkeit der Einzelfälle keinen einheitlichen exakten prozentualen Richtwert für die zulässige Unterschreitung des rein rechnerisch geschuldeten Unterhalts vor. Es kommt im konkreten Fall auf die Umstände des Einzelfalles an, die – wichtig für die anwaltliche Praxis – immer von den Beteiligten vorgetragen werden müssen. Die Darlegungslast für die Wirksamkeit des Unterhaltsverzichts trägt derjenige, der aus der Unwirksamkeit für sich günstige Rechtsfolgen herleiten möchte,15 also im konkreten Fall die Ehefrau, die einen höheren Unterhalt verlangt als dies in der Vereinbarung festgelegt worden ist. Zuerst muss faktisch die Höhe des angemessenen Unterhalts im hierfür erforderlichen Umfang festgestellt werden, um anschließend entscheiden zu können, ob eine unzulässige Unterschreitung dieses angemessenen Unterhalts vorliegt. Denn nur durch diesen Vergleich des gesetzlich geschuldeten Unterhaltes mit dem reduziert vereinbarten Unterhalt lässt sich bewerten, ob ein Verzicht vorliegt. Wird im Fall konkret um Quotenunterhalt gestritten, müssen die finanziellen Verhältnisse beider Ehegatten abgeklärt werden, um so die Leistungsfähigkeit des Verpflich-

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II. Allgemeine Wirksamkeitsvoraussetzungen 10

Die allgemeinen Wirksamkeitsvoraussetzungen von familienrechtlichen Verträgen müssen eingehalten sein. Der Schutz vor unangemessener Benachteiligung muss beachtet werden. Die Unterlegenheitsposition einer Partei darf nicht durch ihre einseitige vertragliche Belastung und die unangemessene Berücksichtigung der Interessen der anderen Partei manifestiert sein.11 Der wirtschaftlich schwäche-

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Motive IV 709: „Die Bestimmung rechtfertigt sich durch die sittliche Grundlage der Unterhaltspflicht.“ BGH, Beschl. v. 26.02.2014 - XII ZB 365/12. BVerfG, Beschl. v. 29.03.2001 - 1 BvR 1766/92; BGH, Urt. v. 31.10.2012 - XII ZR 129/10; BGH, Urt. v. 21.11.2012 - XII ZR 48/11. BGH, Urt. v. 25.02.1981 - IVb ZR 544/80; BGH, Urt. v. 15.11.1989 - IVb ZR 3/89; OLG Köln, Urt. v. 23.02.1996 - 26 UF 179/95. Johannsen/Henrich/Graba, Familienrecht, 6. Aufl., § 1614 Rn. 2. BGH, Beschl. v. 29.01.2014 - XII ZB 303/13. BGH, Urt. v. 20.02.2003 - III ZR 184/02; Nassall in: jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 138 BGB Rn. 70.

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teten und die Bedürftigkeit der Berechtigten festzustellen und hieraus den gesetzlich geschuldeten Quotenunterhalt zu errechnen. Allerdings ist auch – wie der BGH weiter betont – die Frage einer Erwerbsobliegenheit der Berechtigten nach § 1361 Abs. 2 BGB zu klären. Bei gehobenen Einkommensverhältnissen muss der geltend gemachte konkrete Bedarf der Antragstellerin beurteilt werden. Diese vom BGH im Zeitpunkt einer aktuellen Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs vorgenommenen Überlegungen sind zutreffend und folgerichtig. In der Gestaltungspraxis treten in der Praxis Schwierigkeiten allerdings in dem Zeitpunkt auf, an dem die Vereinbarung geschlossen wird. Denn bereits im Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung muss die Grundregel konsequent beachtet werden, dass auf zukünftigen Trennungsunterhalt nicht verzichtet werden kann, um die Wirksamkeit der Regelung in einem späteren Zeitpunkt sicherzustellen, an dem tatsächlich Unterhalt geltend gemacht wird. Zwar ist bei einer echten Trennungsvereinbarung, die zeitnah nach dem Abschluss der Vereinbarung wirksam wird, die Feststellung des angemessenen Trennungsunterhaltsanspruchs zu dem Zeitpunkt, in dem die Vereinbarung umgesetzt werden wird, möglich. Vielfach ist der Zeitpunkt, zu dem die einschränkende Festlegung des Unterhaltes „greifen“ soll, noch gar nicht abzusehen – so z.B., wenn die Regelung zum Trennungsunterhalt bereits in einem zu Beginn der Ehe geschlossenen Ehevertrag getroffen wird. Daher ist auch kaum vorhersehbar, in welcher Höhe sich zu diesem Zeitpunkt der gesetzliche Unterhaltsanspruch belaufen wird. Eine einschränkende Trennungsunterhaltsregelung unter diesen Umständen „wasserdicht“ zu machen, wird eine besondere Herausforderung für den beratenden Anwalt und den beurkundenden Notar darstellen.

Kartellrechtliche Missbrauchskontrolle von Wasserpreisen BGH, Beschl. v. 14.07.2015 - KVR 77/13

den Wasserversorgern eine Preissenkung auferlegt oder zumindest eine Verpflichtungszusage zur Preissenkung erreicht wurde. Im Kardinalproblem dieser Verfügungspraxis spiegelt sich eines der wesentlichen Problemfelder der Missbrauchskontrolle im Kartellrecht wider: Die Ermittlung des „wettbewerbsanalogen“ Preises. Der BGH hatte sich vorliegend mit grundsätzlichen Fragen zu der Methodik der kartellrechtlichen Kostenkontrolle von Wasserpreisen auseinanderzusetzen. Hierbei äußert sich der BGH auch ausdrücklich zu der in § 31 Abs. 4 Nr. 3 GWB vorgesehenen Kostenkontrolle. Der Rechtsanwender hat hierbei zu ermitteln, wann die seitens eines Wasserversorgers geforderten Entgelte die Kosten in unangemessener Weise überschreiten, ohne dass die einzelnen Parameter näher durch den Gesetzgeber bestimmt wurden. Die vorliegende BGH-Entscheidung stellt ein weiteres Puzzleteil zur Ermittlung des „wettbewerbsanalogen“ Preises im Wassersektor dar. B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Vorangegangen war ein Beschluss des OLG Stuttgart,3 mit dem dieses eine Missbrauchsverfügung der Landeskartellbehörde Baden-Württemberg wegen überhöhter Wasserpreise in Calw aufgehoben und an die Landeskartellbehörde zurückverwiesen hatte.4 Diesen Beschluss hat der Kartellsenat des BGH aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Der dem Beschluss des Kartellsenats zugrundeliegende Sachverhalt ist recht einfach und damit schnell rapportiert: Die Landeskartellbehörde Baden-Württemberg hatte dem inkriminierten Wasserversorger eine Höchstpreisgrenze für den Nettoarbeitspreis der Tarifkunden in den Jahren 2008 und 2009 unter Beibehaltung des aktuellen Grundpreises aufgegeben. Im Falle einer bereits erfolgten Endabrechnung wurde der Wasserversorger verpflichtet, die Differenz an die Wasserkunden zu erstatten.5

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A. Problemstellung 2

Nachdem das Bundeskartellamt landauf, landab zunächst die Strom- und Gaspreise einer intensiven Überprüfung unterzogen hat,1 sind nunmehr die Wasserpreise in den Fokus der Behörden gerückt. Die dem vorliegenden Beschluss des BGH zugrundeliegende Verfügung der Landeskartellbehörde Baden-Württemberg reiht sich in eine Vielzahl ergangener Entscheidungen der Kartellämter2 ein, wonach

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Vgl. z.B. BKartA, Beschl. v. 02.12.2008 - B10-36/08; BKartA, Beschl. v. 19.03.2012 - B10-16/09. Vgl. BKartA, Beschl. v. 04.06.2012 - B8-40/10; BKartA, Beschl. v. 08.05.2012 - B8-159/11; siehe hierzu auch OLG Frankfurt, Beschl. vom 18.11.2008 - 11 W 23/07 (Kart). OLG Stuttgart, Beschl. v. 05.09.2013 - 201 Kart 1/12. Der BGH hatte sich bereits 2012 mit den Wasserpreisen in Calw beschäftigt und die Angelegenheit schon einmal zur Verhandlung und Entscheidung an das OLG Stuttgart zurückverwiesen – BGH, Beschl. v. 15.05.2012 - KVR 51/11. Siehe BGH, Beschl. v. 14.07.2015 - KVR 77/13 Rn. 3 ff.

JM 2 Zur Ermittlung des „angemessenen“ Preises hatte sich die Behörde in Abweichung zur üblichen Vorgehensweise der Kartellbehörden6 nicht des in § 19 Abs. 2 Nr. 2 HS. 2 GWB7 niedergelegten Vergleichsmarktkonzeptes bedient, sondern sich vielmehr auf eine Gewinn-Kosten-Analyse gestützt. Die Krux oder die Besonderheit der vorliegenden Verfügung ist der seitens der Behörde vorgenommene Rückgriff auf die Regelungen der Netzentgeltverordnungen für Strom und Gas (StromNEV/GasNEV). Hieraus folgt auch bereits die ratio decidendi des BGH. Diese lässt sich letztlich auf die Feststellung des BGH reduzieren, dass bei der Ermittlung des „wettbewerbsanalogen“ Preises für die Lieferung von Trinkwasser nach dem neuen § 31 Abs. 4 Nr. 3 GWB die Grundsätze der Strom- und GasNEV nur teilweise herangezogen werden können. Der BGH stellt hierbei besonders heraus, dass ausschließlich das Ergebnis einer Preisfindung und nicht die zugrunde gelegte Art der Ermittlung einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung begründen könne. Selbstverständlich könne aber der Ansatz von Preisbildungsfaktoren, von denen anzunehmen ist, dass diese bei wirksamem Wettbewerb nicht angesetzt werden könnten, ein Indiz für einen insgesamt missbräuchlichen Preis sein. Der BGH verweist insoweit auch auf den nach dem Erlass der Verfügung der Landeskartellbehörde im Rahmen der 8. GWB-Novelle mit Wirkung zum 30.06.2013 eingefügten § 31 Abs. 4 Nr. 3 GWB, wonach ein Missbrauch auch vorliegt, wenn ein Wasserversorgungsunternehmen Entgelte fordert, die die Kosten einer rationellen Betriebsführung in ungemessener Weise überschreiten. In Abweichung zu der Ansicht des OLG Stuttgart8 geht der BGH davon aus, dass die Behörde hierbei grundsätzlich die Möglichkeit habe, Elemente der Strom- bzw. der GasNEV heranzuziehen – etwa den kalkulatorischen Eigenkapitalzinssatz –, im Übrigen aber auf eine vollständige Übernahme und Anpassung im Hinblick auf die Besonderheiten der Wasserwirtschaft verzichten müsse.9 Der BGH geht im Rahmen seiner Entscheidung auch auf die im Einzelnen beanstandeten Kostenpositionen bzw. Preisbildungsfaktoren ein. Ohne hier im Einzelnen auf jede Positionen eingehen zu wollen, ist ein Gesichtspunkt doch von besonderem Interesse. Die Kartellbehörde hatte dem Wasserversorger unter anderem Ineffizienzen vorgeworfen, weil er Kostensenkungspotentiale in Gestalt von Verhandlungsspielräumen hinsichtlich der Höhe der Konzessionsabgaben nicht ausgeschöpft habe. Der BGH bestätigt insoweit die alleinige Darlegungs- und Beweislast der Behörde für diesen Umstand, ohne aber der grundsätzlichen Annahme „Ineffizienzen im Rahmen von nicht ausgenutzten Verhandlungsspielräumen“ als im Rahmen der Kostenkontrolle vorwerfbaren Ansatzpunkt eine Absage zu erteilen. Es bedürfe jedoch konkreter Anhaltspunkte dafür, dass sich die konzes-

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sionsgebende Stadt oder Gemeinde auf eine geringere als die höchstzulässige Konzessionsabgabe eingelassen hätte. Der BGH weist weiterhin darauf hin, dass das Gesetz zwar bei der Anwendung der Vergleichsmarktmethode eine teilweise Umkehr der Beweislast vorsehe. Im Rahmen der Kostenkontrolle bleibe es aber bei der vollen Beweislast der Behörde. Dem betroffenen Unternehmen obliege jedoch zugleich im Rahmen des Verfahrens eine Mitwirkungspflicht. Verweigere das Unternehmen eine geschuldete Mitwirkung, könne die Kartellbehörde daraus im Rahmen der freien Beweiswürdigung Schlüsse ziehen. Aus verfahrensrechtlicher Sicht stellt der BGH klar, dass im Falle einer nur teilweisen Rechtswidrigkeit einer angefochtenen Verfügung diese nur hinsichtlich des rechtswidrigen Teils aufzuheben und die Beschwerde im Übrigen zurückzuweisen sei. C. Kontext der Entscheidung Der gesamte Wasserbereich gehört anders als der Gas- und Stromsektor zu den kartellrechtlichen Ausnahmebereichen und ist vom allgemeinen, in § 1 GWB normierten, Kartellverbot befreit, § 31 Abs. 1 GWB. Im Rahmen der 8. GWBNovelle wurde eine eigenständige Missbrauchskontrolle für den Wassersektor in § 31 Abs. 4 GWB eingeführt. Hiernach können die Kartellbehörden entweder im Wege eines Vergleiches der Wasserpreise mit Entgelten anderer Wasserversorger oder auf Grundlage einer Gewinn-Kosten-Analyse ein Missbrauchsverfahren durchführen. Zu beachten ist freilich, dass sich nach herrschender Auffassung lediglich Wasserpreise von privatrechtlich organisierten Unternehmen an den Regeln des Kartellrechts messen lassen müssen. Im Falle von öffentlich-rechtlichen Wassergebühren ist der Weg über das Kartellrecht nicht eröffnet.10 D. Auswirkungen für die Praxis Sowohl für Wasserversorger als auch für die Kartellbehörden ist die Entscheidung aufgrund des Gesichtspunkts des teilweisen Rückgriffs auf die Regelungen der Strom- bzw. GasNEV von erheblicher Bedeutung. Trotz der konkreten

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So BKartA, Beschl. v. 04.06.2012 - B8-40/10; OLG Frankfurt, Beschl. v. 18.11.2008 - 11 W 23/07 (Kart). Vgl. hierzu auch § 31 Abs. 4 Nr. 2 GWB und § 103 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 GWB 1990. OLG Stuttgart, Beschl. v. 25.08.2011 - 201 Kart 2/11 Rn. 43; OLG Stuttgart, Beschl. v. 05.09.2013 - 201 Kart 1/12 Rn. 12. Zum Vorstehenden vgl. BGH, Beschl. v. 14.07.2015 - KVR 77/13 Rn. 22 ff. Vgl. hierzu OLG Düsseldorf, Beschl. v. 24.02.2014 - VI-2 Kart 4/12 (V).

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Ausführungen bezüglich der Kostenprüfung bleiben aber auch weiterhin viele Punkte im Hinblick auf die Kalkulation von Wasserentgelten offen. Das OLG Stuttgart wird sich jetzt nochmals mit dem rechtlichen Ausgangspunkt der Kostenprüfung befassen müssen. Es bleibt insoweit abzuwarten, wie sich das OLG Stuttgart hierzu weiter positionieren wird. E. Bewertung Nennen wir das Kind beim Namen: Die seitens der Landeskartellbehörde durchgeführte Kostenkontrolle basiert letztlich auf dem nunmehr auch in § 31 Abs. 4 Nr. 3 GWB kodifizierten Gewinnbegrenzungskonzept.11 Das Gewinnbegrenzungskonzept wurde bereits mit Einführung des § 29 GWB vielfach diskutiert12 und ist für den liberalisierten Strom- und Gassektor mit einem großen Fragezeichen zu versehen. Aufgrund der staatlich legitimierten Monopolisierung des Wassermarktes erscheint das Gewinnbegrenzungskonzept als Alternative zum Vergleichskonzept zumindest legitim. Zu begrüßen ist hierbei die inzidente Klarstellung des BGH, dass auch § 31 Abs. 4 Nr. 3 GWB im Ergebnis der Ermittlung des „wettbewerbsanalogen“ Preises dienen soll. Diese Klarstellung ist vor dem Hintergrund der Konzeptionierung des § 31 Abs. 4 Nr. 3 GWB durchaus von Bedeutung. Das sog. „Als-ob-Wettbewerbskonzept“ hat weder in § 29 GWB noch in § 31 Abs. 4 Nr. 3 GWB eine Verankerung gefunden und das Gewinnbegrenzungskonzept ist konzeptionell nicht ohne weiteres zur Ermittlung eines „wettbewerbsanalogen“ Preises angelegt.13 Erst im Zusammenspiel mit § 32 Abs. 4 Nr. 1 GWB liegt die Vermutung nahe, dass auch hier der Rechtsanwender letztlich zur Ermittlung des „Alsob-Wettbewerbspreises“ aufgefordert wird. Auch wenn eine exakte dogmatische Differenzierung im Rahmen der Entscheidung letztlich unterbleibt, ist die grundsätzliche Klarstellung des BGH vollumfänglich zu befürworten. Dem BGH ist auch beizupflichten, dass eine entsprechende Anwendung der Netzentgeltverordnungen für Gas und Strom allenfalls teilweise in Frage kommen kann. Schließlich wurden diese Verordnungen ausschließlich für die Nutzung von Strom- und Gasnetzen konzipiert und sind insoweit mit der Trinkwasserversorgung nur sehr bedingt vergleichbar. Diese Vorschriften erheben im Ergebnis nicht den Anspruch, einen Wettbewerbspreis widerzuspiegeln, und können demnach zur Ermittlung eines „wettbewerbsanalogen“ Preises nur bedingt herangezogen werden. Auch wenn viele Wasserversorger bereits dazu übergegangen sind, sich sicherheitshalber bei der Kalkulation der Wasserpreise an diesen Verordnungen zu orientieren, muss dennoch hervorgehoben werden, dass die Kalkula-

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tion von Entgelten für die Nutzung von Strom- und Gasnetzen schwerlich mit der Kalkulation für Trinkwasser zu vergleichen ist. Das Vergleichsmarktkonzept erscheint auch vor dem Hintergrund der nunmehr ergangenen Rechtsprechung des BGH als vorzugswürdig. Es hat sich zwar gezeigt, dass ein Verfahren auf Grundlage des Vergleichsmarktkonzeptes sehr aufwendig ist. Eine Verfügung auf Grundlage des Gewinnbegrenzungskonzepts läuft aber immer Gefahr, den eigentlichen Missbrauchsvorwurf zu verfehlen und eine Wertung jenseits der „Wettbewerbsanalogie“ vorzunehmen.

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Vgl. hierzu konzeptionell Knöpfle, BB 1974, 862 ff. Vgl. hierzu Monopolkommission, Sondergutachten 47, Preiskontrollen in der Energiewirtschaft und Handel, S. 14. Knöpfle, BB 1974, 862 ff.

Arbeitsrecht

Stichtagsklauseln als „getarnte“ Differenzierungsklauseln BAG, Urt. v. 15.04.2015 - 4 AZR 796/13 Prof. Dr. Stefan Greiner A. Problemstellung Die aktuellen Entwicklungstendenzen des Tarifrechts sind widersprüchlich und konfliktreich: Einerseits weist der Gesetzgeber des Tarifeinheitsgesetzes in § 4a Abs. 1 TVG den Mehrheitsgewerkschaften die Funktion zu, im Betrieb für Ordnung zu sorgen. Ihre Tarifverträge werden als Rechtsquellen wahrgenommen, die staatliche Gesetzgebung im Arbeitsleben substituieren sollen, und zwar auch im Hinblick auf nicht und anders organisierte Arbeitnehmer. Begründet wird dies mit ihrer Eignung, übergreifende „Verteilungsgerechtigkeit“ im Betrieb herzustellen1 – Privileg und zugleich gesetzgeberisch auferlegte Bürde. Auf derselben Linie liegt der 1. BAG-Senat, der in seiner neueren Rechtsprechung zu § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG den tarifvertraglichen Entgeltstrukturen eine betriebsweit einheitliche Geltungsdimension zuweist: Der einschlägige Tarifvertrag regelt demnach über den Umweg des Betriebsverfassungs-

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Vgl. BT-Drs. 18/4062, S. 8.

JM 2 rechts auch die Entgelt-Verteilungsgrundsätze für Außenseiter.2 Andererseits geht die Tarifpraxis im Einklang mit dem 4. BAG-Senat mitunter ganz eigene Wege: Die IG Metall – und damit eine der stärksten Befürworterinnen des Tarifeinheitsgesetzes – setzt seit Jahren mit großem Erfolg3 auf Differenzierungsklauseln, durch welche die eigenen Mitglieder gezielt besser- und Außenseiter gezielt schlechtergestellt werden. Das ist ein ganz anderes Denkmodell: Übergreifende Regelungsverantwortung und „Verteilungsgerechtigkeit“ treten in den Hintergrund, der Tarifvertrag ist gruppenegoistisches Werbeinstrument der Gewerkschaft. Diese Praxis stand und steht im Widerspruch zu der immer noch gültigen Entscheidung des Großen BAG-Senats von 1967.4 Dieser hatte eine Schlechterstellung von Außenseitern durch Differenzierungsklauseln seinerzeit als „sozial inadäquat“ verworfen. Durch sie entstehe ein mit der negativen Koalitionsfreiheit nicht zu vereinbarender Beitrittsdruck.5 2009 lockerte dann der 4. Senat dieses Verbot für einfache Differenzierungsklauseln, befürwortete aber eine Begrenzung auf Sonderzahlungen und eine quantitative Begrenzung.6 Insbesondere bei laufendem Entgelt sollten Differenzierungsklauseln weiterhin ausgeschlossen sein.7 Spannenklauseln und andere qualifizierte Differenzierungsklauseln wurden nach wie vor für unzulässig gehalten;8 ebenso eine als Stichtagsklausel getarnte Differenzierungsklausel.9 „Neue Richter – neues Recht“:10 In der aktuellen Rechtsprechung des 4. BAG-Senats entfallen (jedenfalls bei „getarnten“, d.h. atypischen Differenzierungsklauseln) alle bisherigen Schranken. In einer Entscheidung vom 21.05.201411 billigte das BAG zunächst eine als „Erholungsbeihilfe“ ausgestaltete Differenzierungsklausel, die ausschließlich den Mitgliedern der IG Metall einen Anspruch gegen einen Dritten (einen Erholungsförderungsverein) auf eine zusätzliche Leistung verschaffte. Die Mittelausstattung hierfür hatte der Arbeitgeber bereitzustellen. Dort ging es zwar um eine fortlaufende Leistung, aber um maximal 250 € pro Bezugsberechtigtem und Jahr. Das hier zu besprechende Urteil vom 15.04.201512 setzt diese Tendenz nun für sog. Stichtagsklauseln – eine weitere atypische Form der Differenzierungsklausel – fort. Dabei geht es aber um ganz andere Dimensionen: Auf einmal sollen Differenzierungen im deutlich fünfstelligen Bereich zulässig sein. Mit dem (durchaus verständlichen) Anliegen, einen Ausgleich für die Beitragslasten der organisierten Arbeitnehmer herbeizuführen,13 ist das nicht einmal im Ansatz erklärbar. Diese Wirkungen will der 4. Senat nicht am Gleichbehandlungsgrundsatz messen, da Außenseiterwirkungen generell außerhalb der Regelungsmacht der Tarifparteien lägen.

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Das ist zwar nicht falsch, greift aber viel zu kurz: Die vielfältigen Außenseiterwirkungen, auf die der Außenseiter schon wegen der überlegenen Vertragsgestaltungsmacht des Arbeitgebers regelmäßig keinen Einfluss hat,14 werden dabei ignoriert – und zwar selbst dann, wenn der Tarifvertrag inhaltlich erkennbar auf Außenseiterwirkungen ausgerichtet wird. Für Außenseiter kann auf diese Weise mit höchstrichterlicher Billigung tarifvertraglich ein stark verschlechtertes Niveau an Arbeitsbedingungen vorgegeben werden. Der Arbeitgeber wird dabei zum Handlanger der Differenzierungsstrategie: Er oktroyiert den Außenseitern arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln, die die Differenzierung wirksam werden lassen. Künftig kann gleichsam „zweispurig“ tarifiert werden: Eine Regelung mit „Richtigkeitsgewähr“15 für die Gewerkschaftsmitglieder, eine schlechtere Regelung für Außenseiter, die über das Mittel der arbeitsvertraglichen Bezugnahme Geltung erlangt. Vom Postulat des Tarifeinheitsgesetzes, dass Tarifverträge übergreifende Verteilungsgerechtigkeit auch für Außenseiter schaffen sollen, ist diese Praxis meilenweit entfernt. Es wirkt daher ein wenig scheinheilig, wenn die IG Metall einerseits das Tarifeinheitsgesetz entschieden befürwortet und dabei das vermeintlich unsolidarische Verhalten anderer Gewerkschaften anprangert, andererseits aber eine massiv auf Binneninteressen der Gewerkschaft bezogene, gegenüber Außenseitern extrem unsolidarische Tarifpolitik

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BAG, Beschl. v. 18.10.2011 - 1 ABR 25/10 Rn. 16; BAG, Urt. v. 13.03.2012 - 1 AZR 659/10 Rn. 30; krit. Reichold, RdA 2013, 108; Salamon, NZA 2012, 899. Allein 2014 konnte sie ca. 110.000 Mitglieder hinzugewinnen, vgl. http://www.welt.de/wirtschaft/article136543908/Die-IG-Metall-waechst-und-wird-immer-reicher.html (abgerufen am 18.11.2015). BAG, Beschl. v. 29.11.1967 - GS 1/67 - AP Nr. 13 zu Art. 9 GG. Kritisch zu dieser – in der Tat zu schematischen – Begründung etwa Gamillscheg, NZA 2005, 146. BAG, Urt. v. 18.03.2009 - 4 AZR 64/08 Rn. 118. BAG, Urt. v. 18.03.2009 - 4 AZR 64/08 Rn. 79. BAG, Urt. v. 23.03.2011 - 4 AZR 366/09. BAG, Urt. v. 09.05.2007 - 4 AZR 275/06 Rn. 32 ff. Hanau, NZA 1996, 841. BAG, Urt. v. 21.05.2014 - 4 AZR 50/13. BAG, Urt. v. 15.04.2015 - 4 AZR 796/13. So auch vielfach der Regelungsansatz im Ausland (etwa der Schweiz oder der Türkei), wo Außenseiter bei Nutzung des Tarifniveaus eine Art „Solidaritätsbeitrag“ an die Gewerkschaft leisten müssen. Vgl. exemplarisch Art. 39 Abs. 5 Türkisches Gewerkschafts- und Tarifvertragsgesetz, wonach der Solidaritätsbeitrag maximal so hoch sein darf wie der Beitrag des Gewerkschaftsmitglieds. Schon deshalb ist die abwertende Bezeichnung als „Trittbrettfahrer“ sachlich verfehlt und nur mit dem korporatistischen Gedanken erklärbar, dass ein anständiger Arbeitnehmer in die Gewerkschaft gehört. Zur Problematik ausf. Krämer, Die Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrags, 2015, insbes. S. 193 f.

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betreibt. Rechtlich steht der dies billigende 4. BAG-Senat allein auf weiter Flur: gegen den Gesetzgeber, gegen die frühere Senatsbesetzung, gegen den Großen Senat, gegen den 1. Senat. Er argumentiert dafür mit Bruchstücken der Lehre von der Tarifautonomie als „kollektiv ausgeübter Privatautonomie“.16 Das passt freilich schon im Ansatz nicht, da die „zweispurige“, final auf Außenseiter abzielende Tarifierungspraxis mit den Grundannahmen dieses Ansatzes erkennbar nicht zu vereinbaren ist. B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Wie für die Verwendung von Differenzierungsklauseln typisch,17 ist Hintergrund der Entscheidung vom 15.04.2015 eine Restrukturierungskonstellation. IG Metall und Unternehmen vereinbarten, dass eine ursprünglich beabsichtigte Betriebsschließung unterbleiben solle. Die betroffene Belegschaft sollte teilweise in Folgegesellschaften weiterbeschäftigt, teilweise in eine Transfergesellschaft überführt werden. In einem „Transfer- und Sozialtarifvertrag“ konstituierten sie die Transfergesellschaft. Der Geltungsbereich dieses Tarifvertrags bezog in persönlicher Hinsicht alle betroffenen Beschäftigten des Betriebes ein. Vereinbart wurde ein durch die Transfergesellschaft zu zahlendes Monatsentgelt von 70 % des bisherigen Bruttoentgelts. Ferner wurden nach Unternehmenszugehörigkeit gestaffelte Abfindungsansprüche begründet. Als Höchstbetrag der Abfindung wurden 110.000 € festgelegt. Unternehmen und Gewerkschaft schlossen am selben Tag einen „Ergänzungstransfer- und Sozialtarifvertrag“, dessen persönlicher Geltungsbereich auf betroffene Arbeitnehmer beschränkt wurde, „die bis einschließlich 23.3.2012, 12:00 Uhr, Mitglied der IG Metall geworden“ waren. Der Stichtag lag gut anderthalb Wochen vor dem Tag des Tarifvertragsschlusses. Für diese Personengruppe wurden die Leistungen des Basis-Sozialtarifvertrags deutlich aufgestockt: Das Monatsentgelt sollte 80 % des bisherigen Bruttoentgelts betragen, ferner eine weitere Abfindung von 10.000 € unabhängig vom Zeitpunkt des Unternehmenseintritts gezahlt werden. Der Maximalbetrag der Abfindungszahlung wurde auf 120.000 € erhöht. Ebenfalls am selben Tag schlossen Unternehmen und Betriebsrat einen Interessenausgleich, der die Gründung von vier Folgegesellschaften, die Überleitung von Arbeitnehmern und eine Namensliste i.S.d. § 1 Abs. 5 KSchG beinhaltete. Ein eigenständiger betrieblicher Sozialplan wurde nicht vereinbart, sondern vielmehr auf den zwischen Unternehmen und IG Metall geschlossenen Basis-Sozialtarifvertrag verwiesen. Zur Umsetzung dieser Vereinbarungen legte das Unternehmen der klagenden Arbeitnehmerin am selben Tag einen vorformulierten dreiseitigen Vertrag unter Einbeziehung

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der Transfergesellschaft zur Unterschrift vor. Hierin wurden die einvernehmliche Aufhebung ihres Arbeitsverhältnisses und ihr Übergang in die Transfergesellschaft geregelt. Im Übrigen wurde auf den Basis-Sozialtarifvertrag mit den dort statuierten Regelungen hinsichtlich Abfindungszahlung und Monatsvergütung Bezug genommen. Die klagende Arbeitnehmerin unterzeichnete diesen Überleitungsvertrag. In der Folge trat sie – ersichtlich um doch noch in den Genuss der verbesserten Bedingungen zu gelangen – der IG Metall bei. Eine Gleichstellung mit den von der Stichtagsregelung profitierenden Gewerkschaftsmitgliedern konnte sie dadurch jedoch nicht erreichen. Gerichtlich machte sie nun die Zahlung der Abfindungs- und Vergütungsdifferenz zwischen Basis- und Ergänzungs-Sozialtarifvertrag geltend. Streitgegenständlich war damit vor allem die Frage, inwieweit die dargestellte Gestaltungspraxis im Zusammenspiel von Unternehmen, Gewerkschaft und Betriebsrat rechtswirksam ist. C. Kritik Die Entscheidung ist in mehrfacher Hinsicht zu kritisieren; sie überzeugt weder in Ergebnis noch in Begründung. I. Gesetzesumgehung Das Gesamtkonstrukt verknüpft trickreich betriebsverfassungsrechtliche, arbeitsvertragliche und tarifvertragliche Gestaltungselemente, um die Bindungen des Betriebsverfassungsrechts (insbes. durch § 75 Abs. 1 BetrVG) abzustreifen, die für Interessenausgleich und Sozialplan eigentlich einschlägig sind. Hierzu wird das Hauptgeschehen auf die tarifvertragliche Ebene verlagert. Zwar ist richtig, dass ein Sozialplantarifvertrag neben einen betriebsverfassungsrechtlichen Sozialplan treten kann.18 Dadurch kann die Bindung an den Gleichbehandlungsgrundsatz des § 75 Abs. 1 BetrVG aber nicht umgangen werden.19 II. Keine Richtigkeitsgewähr, keine Globalbezugnahme Nicht überzeugend wirkt die unreflektierte Anwendung des § 310 Abs. 4 Satz 3 BGB auf die Bezugnahmepraxis in den Außenseiter-Arbeitsverhältnissen: Die „zweispurige“ Regelungspraxis der Tarifparteien führt dazu, dass der Ta-

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Insbes., wenn er die strikt auf eigene Mitglieder begrenzte Regelungsmacht hervorhebt, vgl. BAG, Urt. v. 15.04.2015 - 4 AZR 796/13 Rn. 47. Vgl. Greiner/Suhre, NJW 2010, 131, 134. Vgl. BAG, Urt. v. 24.04.2007 - 1 AZR 252/06. Vgl. schon Franzen, RdA 2006, 1, 9.

JM 2 rifvertrag nicht insgesamt „Richtigkeitsgewähr“ hat, denn neben die Regelung für die eigenen Mitglieder (mit Richtigkeitsgewähr) stellen die Tarifparteien eine benachteiligende Regelung zulasten Dritter (mit Unrichtigkeitsgewähr). Wird Letztere arbeitsvertraglich in Bezug genommen, passt die Privilegierung durch § 310 Abs. 4 Satz 3 BGB erkennbar nicht. Hinzu kommt: Infolge der formalen Aufspaltung auf zwei Tarifverträge, von denen nach Wahl des Arbeitgebers der eine oder der andere in Bezug genommen wird, handelt es sich eigentlich um eine gestaltende Teilbezugnahme. Die privilegierten Kontrollmaßstäbe für Globalbezugnahmen auf Tarifverträge sind daher – entgegen der Ansicht des Senats – nicht einschlägig. III. Differenzierungswirkung; gewerkschaftspolitische Zielsetzung Kritikwürdig ist weiterhin, dass das BAG die bislang anerkannten und sinnvollen Grenzen zugelassener Differenzierungsklauseln mit dem formalistischen Argument beiseiteschiebt, es handele sich um gar keine Differenzierungsklausel. Vielmehr werde lediglich zwischen unterschiedlichen Gruppen von Gewerkschaftsmitgliedern unterschieden: Jenen, die bereits am Stichtag Mitglieder waren, und jenen, die erst später beigetreten sind. Das ist aber erkennbar zu kurz gegriffen und nicht überzeugend: Die benachteiligte Gruppe enthält in erster Linie Arbeitnehmer, die Außenseiter waren und Außenseiter geblieben sind. Die Zahl derer, die in den anderthalb Wochen zwischen Stichtag und Datum des Tarifvertragsschlusses der Gewerkschaft beigetreten sind, dürfte denkbar gering sein. Die stichtagsbezogene Differenzierung lässt sich auch nicht dadurch rechtfertigen, dass das Volumen der Sozialplanleistungen insgesamt für das Unternehmen kalkulierbar bleiben muss. Dies ist zwar richtig, legitimiert für sich genommen aber keine Unterscheidung zwischen altgedienten Gewerkschaftsmitgliedern und benachteiligten Außenseitern. Eine kalkulierbare Beschränkung des Volumens der Sozialplanleistungen hätte gerade auch durch ihre einheitliche Ausgestaltung erreicht werden können. Tatsächlich ist die Aufspaltung der Sozialplaninhalte auf zwei getrennte Tarifverträge, von denen einer für Außenseiter arbeitsvertraglich in Bezug genommen wird, während der andere normativ für die Mitglieder der tarifschließenden Gewerkschaft gilt, sogar eine besonders intensive Differenzierung; das BAG selbst hat es in der Vergangenheit so gesehen.20 Die Verknüpfung mit einem in der Vergangenheit liegenden Stichtag sichert die differenzierende Wirkung wirksam ab, indem selbst der Gewerkschaftsbeitritt dem Außenseiter keinen Anspruch auf die für Gewerkschaftsmitglieder vorgesehenen Leistungen verschaffen kann. Ein konkret-individueller Beitrittsanreiz geht daher

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von der vorliegenden Regelungskonstruktion nicht aus,21 vielmehr wird der Außenseiter unabänderlich für seine in der Vergangenheit liegende Entscheidung gegen einen Gewerkschaftsbeitritt abgestraft. Schützt Art. 9 Abs. 3 GG auch das „Fernbleiberecht“,22 ist die wegen des Nichtbeitritts benachteiligende Stichtagsklausel nach Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG nichtig.23 Sie zielt auf eine gewissermaßen generalpräventive Wirkung: Jedem Außenseiter soll vor Augen geführt werden, dass er in der Situation einer Unternehmenssanierung mit erheblichen Nachteilen rechnen muss, die er dann nicht mehr individuell abwenden kann. Spricht sich dies herum, dürfte der Mitgliederzuwachs stärker ausfallen als bei jeder klassischen Differenzierungsklausel, die den konkret betroffenen Außenseitern immerhin die Möglichkeit lässt, durch Gewerkschaftsbeitritt der Benachteiligung zu entgehen. Das Ziel ist legitim, das eingesetzte Mittel nicht: Der gewerkschaftliche Organisationsgrad ist unstreitig ein zentraler Baustein für die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie. Das eingesetzte „Werbemittel“ wirkt demgegenüber destruktiv: Zum Beitrittsmotiv wird nicht die Überzeugung, dass Gewerkschaftsarbeit gut und förderungswürdig ist, sondern vielmehr die begründete Angst, als Außenseiter stets mit massiver Benachteiligung durch kollusive Tarifklauseln mit Außenseiterwirkung rechnen zu müssen. Ärgerlich an dem vorliegenden Urteil ist nicht zuletzt, dass das – durchaus diskutable – gewerkschaftspolitische Ziel mit keinem Wort erwähnt wird: Das BAG scheut eine offene Darstellung seiner erkennbaren Intention, den gewerkschaftlichen Organisationsgrad durch Zulassung einer entgrenzten Differenzierungsstrategie zu fördern. Es beschränkt sich auf das formalistische und nicht überzeugende Argument, eine Stichtags- sei keine Differenzierungsklausel. Hält man Beitrittsanreize zugunsten der Gewerkschaften für essentiell notwendig, um die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie dauerhaft zu sichern, kann und soll man ein solches Konzept rechtspolitisch zur Diskussion stellen. Eine Legitimation der Tarifparteien zur Gesetzesumgehung – insbes. im Hinblick auf § 75 Abs. 1 BetrVG – lässt sich daraus aber sicher nicht ableiten.

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BAG, Urt. v. 09.05.2007 - 4 AZR 275/06 Rn. 32 ff. Auf diese diametral entgegengesetzte Entscheidung wird im Urteil vom 15.04.2015 nur mit Blick auf einen Randaspekt eingegangen, vgl. BAG, Urt. v. 15.04.2015 - 4 AZR 796/13 Rn. 38. Zutr. LAG München, Urt. v. 25.07.2013 - 4 Sa 166/13 Rn. 53 ff. Vgl. BVerfG, Urt. v. 01.03.1979 - 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 - BVerfGE 50, 290, 367; BVerfG, Beschl. v. 14.11.1995 - 1 BvR 601/92 - BVerfGE 93, 352, 357. Ähnlich LAG München, Urt. v. 28.08.2013 - 10 Sa 135/13, 10 Sa 411/13 Rn. 142 ff.; LAG Hamm, Urt. v. 12.06.2012 - 14 Sa 1275/11 Rn. 152.

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D. Auswirkungen für die Praxis Das BAG öffnet mit der vorliegenden Entscheidung die Tore für tarifvertragliche Differenzierungskonstruktionen weit: Erlaubt ist, was gefällt. Die Tarifparteien sollten allerdings eine hinreichend komplexe Ausgestaltung wählen, damit die Abstrafung der Außenseiter nicht allzu anstößig erkennbar wird. Wieso wirken Unternehmen in Restrukturierungskonstellationen immer wieder bereitwillig bei der Vereinbarung solch problematischer Konstrukte mit? Für sie ist der Preis gering, der Nutzen groß: Das tarifschließende Unternehmen ist vom Mitgliederzuwachs der Gewerkschaft allenfalls geringfügig betroffen – im Fall der vollständigen Betriebsschließung oder Betriebsverlagerung ins Ausland gar nicht, im Fall der partiellen Fortführung nur in beschränktem und kalkulierbarem Maße (zumal die konkret betroffenen Differenzierungsopfer so erbost über die Praxis der Gewerkschaft sein werden, dass sie nicht beitreten oder – wie in casu die Klägerin – ganz schnell wieder austreten). Leiden unter dem steigenden Organisationsgrad der Gewerkschaft vor allem Konkurrenzunternehmen, lässt sich

damit ganz gut leben. Zugleich lässt sich beim Sozialplanvolumen auf Kosten der Außenseiter sparen, ohne dass ein Konflikt mit der Gewerkschaft oder dem gewerkschaftsdominierten Betriebsrat droht – die Interessen von Unternehmen und Gewerkschaft weisen insofern einträchtig in dieselbe Richtung.24 Hier sind die Arbeitgeberverbände gefragt, ihren Mitgliedsunternehmen deutlich die aus Verbandssicht sicher nicht interessengerechten mittelfristigen Folgen einer derartigen Tarifpraxis vor Augen zu halten. Für die Gewerkschaften ist die Differenzierungsstrategie schließlich nicht risikolos: Sie gewinnen Mitglieder nicht durch verantwortungsvolle, inhaltlich überzeugende Tarifpolitik, sondern durch Druck und Benachteiligung. Mit ein wenig Kreativität sollten sich andere Wege zur Profilierung der Gewerkschaften finden lassen, auf denen sie deutlicher als sozial verantwortliche und solidarische Organisationen „zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ erkennbar werden.

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Vgl. Kalb, jM 2015, 107, 113.

Sozialrecht

Die Sanktion nach dem SGB II nach der Beendigung einer Erwerbstätigkeit RiSG Dr. Oliver Schur Im elften Jahr nach der Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende („Hartz IV“) ist die Bilanz widersprüchlich: Einerseits ist die Zahl der erwerbsfähigen Leistungsempfänger gesunken und die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland Ende 2014 erstmals auf mehr als 43 Millionen angestiegen. Andererseits: Immer noch sind mehr als sechs Millionen Menschen in Deutschland auf Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) angewiesen. Jeder dritte Arbeitslose ist ein Langzeitarbeitsloser. Jeder zweite Leistungsempfänger bezieht die staatliche Hilfe schon seit mehr als vier Jahren. Damit einher geht eine ebenso durchwachsene juristische Bilanz; zahlreiche – zumindest teilweise vermeidbare – Korrekturen wurden notwendig, ohne dass – was allerdings auch der ohnehin sich stetig wandelnden Materie der Arbeitsmarktpolitik geschuldet ist – ein Ende der Reformen abzusehen ist.1 Ist die Grundsicherung heute angesichts der reduzierten Anzahl Arbeitsuchender also nur noch ein Hort für die

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„schweren Fälle“ und die mit ihnen verbundenen Familien? Dieser Eindruck dürfte in weiten Teilen der Bevölkerung vorherrschen, insbesondere wenn keine Berührung mit dem System der Grundsicherung besteht. Die meisten Menschen gehen davon aus, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach der Beendigung ihres sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisses zunächst stets vom System der Arbeitslosenversicherung aufgefangen werden und sie deshalb mit dem System der Grundsicherung einstweilen nicht in Berührung kommen. Aus dem Blick gerät dabei allerdings, dass als Folge der in den letzten Jahren immer stärker verbreiteten Befristung von Arbeitsverhältnissen, aber auch durchaus fragwürdiger Einsparaktivitä-

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Zur Entwicklung ausführlich Voelzke, jM 2015, 74.

JM 2 ten öffentlicher Haushalte2 Arbeitslosengeld vermehrt nicht mehr beansprucht werden kann, weil die maßgebliche Anwartschaftszeit3 nicht zurückgelegt wurde. Ebenso oft wird übersehen, dass die Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung mitunter unterhalb des Existenzminimums bleiben und die Betroffenen aufstockend Leistungen der Grundsicherung beziehen müssen. Die Sanktionstatbestände des SGB II sind auch nach der zum 01.04.2011 erfolgten neuerlichen Umgestaltung und einer recht umfangreichen Rechtsprechung keineswegs einfach zu verstehen und anzuwenden. Im Zusammenhang mit Sanktionen nach der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses stellen sich im Wesentlichen die folgenden Fragen: • Kann die Beendigung einer Erwerbstätigkeit als Weigerung interpretiert werden, eine zumutbare Arbeit fortzuführen und deshalb eine Sanktion nach sich ziehen (§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II)? • Wann sind die Voraussetzungen für eine Sperrzeit erfüllt und unter welchen Voraussetzungen droht deshalb eine Sanktion des Jobcenters (§ 31 Abs. 2 Nr. 4 SGB II i. V. m. § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III)? Im vorliegenden Beitrag sollen nicht nur diese Fragen beantwortet werden, sondern die Voraussetzungen für Sanktionen nach der Beendigung einer Erwerbstätigkeit auf Grundlage der am 01.04.2011 nochmals geänderten Rechtslage systematisch dargestellt sowie einige bislang höchstrichterlich noch nicht geklärte Rechtsfragen aufgezeigt werden.

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der Arbeit, sondern betreffen in diesem Kontext nur die Frage der Zumutbarkeit der Fortführung der Tätigkeit (hierzu nachfolgend A. II.). Ein unabhängig von einem Arbeitsverhältnis zu leistendes unentgeltliches Praktikum soll keine Arbeit i.S.d. § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II sein, da es wegen fehlender Erwerbseinkünfte nicht geeignet sei, die Hilfebedürftigkeit unmittelbar zu beseitigen.8 Anderes muss aber für ein Praktikum gelten, bei dessen erfolgreicher Absolvierung konkrete Aussicht auf einen freien Arbeitsplatz für eine Erwerbstätigkeit bei demselben Arbeitgeber besteht. Die wenigen veröffentlichten Entscheidungen zeichnen zur Frage der Einordnung von Praktika ein eher holzschnittartiges Bild, das keine befriedigende Abgrenzung enthält. Gerade bei den Praktika gibt es aber eine Vielzahl von Modellen, die eine differenzierte Behandlung erfordern. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls sollte hier darauf abgestellt werden, ob der Betreffende überwiegend eigen- oder fremdnützig tätig geworden ist. Das Ergebnis eines Praktikums kommt wesentlich dem Leistungsempfänger zugute, wenn es im engen Zusammenhang mit der Arbeitssuche oder Verhandlungen über den Abschluss eines Arbeitsvertrages steht, z.B. bei einer kurzen persönlichen Demonstration der beruflichen Kenntnisse und Eignung während eines Arbeitstages. Demgegenüber ist von einem fremdnützigen Praktikum auszugehen, wenn die Feststellung der Kenntnisse und Eignung im Wesentlichen abgeschlossen ist und zumindest wesentliche Teile einer üblichen Erwerbstätigkeit verrichtet

A. Die Sanktion nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II I. Der Begriff der „Arbeit“ Unter den Begriff der „Arbeit“ in § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II fällt – wenig überraschend – zunächst ein unselbständiges Beschäftigungsverhältnis i.S.d. § 7 SGB IV. Grundsätzlich unterliegt der Begriff aber vorrangig einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise, sodass als Arbeit jede Art einer (Erwerbs-)Tätigkeit verstanden werden kann.4 Damit fällt aber jedenfalls nicht nur eine fremdbestimmte, weisungsabhängige Beschäftigung, sondern auch eine selbstständige Tätigkeit darunter.5 Im Hinblick auf das mit einer selbständigen oder freiberuflichen Tätigkeit verbundene wirtschaftliche Risiko wird zwar die Aufnahme einer solchen Tätigkeit nicht ohne weiteres verlangt werden können.6 Auch kann von einem Selbständigen erwartet werden, eine selbständige Erwerbstätigkeit zugunsten einer konkret angebotenen unselbständigen Beschäftigung aufzugeben, soweit nicht davon auszugehen ist, dass die selbständige Tätigkeit die Hilfebedürftigkeit in absehbarer Zeit entfallen lässt.7 Diese Aspekte ändern aber nichts an der Einbeziehung der selbständigen Tätigkeit in den Begriff

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So etwa die in einigen Bundesländern übliche Befristung der sich an das Referendariat anschließenden öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnisse mehrerer tausend, (noch) nicht verbeamteter Lehrer bis zum Beginn der Sommerferien zur Einsparung von Sozialversicherungsbeiträgen. §§ 136 Abs. 1 Nr. 1, 137 Abs. 1 Nr. 3, 142 ff. SGB III. Sonnhoff in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 31 Rn. 59 m.w.N. Vgl. BSG, Urt. v. 22.03.2010 - B 4 AS 68/09 R Rn. 12 - SozR 4-4200 § 31 Nr. 4; die Frage der Einordnung selbständiger Tätigkeit war aber dort nicht entscheidungserheblich, sodass auch insoweit keine nähere Diskussion erfolgt ist; wie hier Sonnhoff in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 31 Rn. 59; Lauterbach in: Gagel, SGB II/SGB III, § 31 SGB II Rn. 40; a. A. o. Begr. Herold-Tews in: Löns/ Herold-Tews, SGB II, 3. Aufl., § 31 Rn. 21; wohl auch Berlit in: LPKSGB II, 5. Aufl., § 31 Rn. 25: „jede marktvermittelte Beschäftigung auf dem sog. ersten Arbeitsmarkt, die im Wirtschaftsleben als Arbeit qualifiziert wird (wirtschaftliche Betrachtungsweise)“. Valgolio in: Hauck/Noftz, SGB II, K § 31 Rn. 93; Lauterbach in: Gagel, SGB II / SGB III 58. Ergänzungslieferung Juni 2015. Siehe auch die Zumutbarkeitsdefinition in § 10 Abs. 2 Nr. 5 SGB II. Vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 02.05.2008 - L 7 B 321/07 AS ER Rn. 24 f.; in diese Richtung auch LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 12.01.2012 - L 7 AS 242/10 B Rn. 12.

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werden, z.B. in Form einer „Probearbeit“ oder gar einer unbezahlten Einarbeitung.9 Nur der Abbruch eines im Wesentlichen fremdnützigen Praktikums ist als echte Vorstufe eines Arbeitsverhältnisses sanktionswürdig. Eine Ausbildung und die Arbeitsgelegenheit nach § 16d SGB II fallen ebenfalls nicht unter den Begriff der Arbeit: Bei ersterer steht der Erwerb von beruflichen Kenntnissen und Fähigkeiten im Vordergrund, bei letzterer die Schaffung der Voraussetzungen für eine erst danach mögliche (Re-)Integration des Hilfebedürftigen in den ersten Arbeitsmarkt. Das Gesetz zählt diese Varianten deshalb gesondert auf; sie werden hier nicht weiter behandelt. Überflüssig erscheint die gesonderte Nennung des nach § 16e SGB II geförderten Arbeitsverhältnisses: Da es sich um ein im Wesentlichen sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis handelt, fällt es bereits unter den Begriff der „Arbeit“. Der Umfang einer Beschäftigung ist grundsätzlich unerheblich, sodass ggf. auch geringfügige Beschäftigungen unter den Sanktionstatbestand fallen können. Soweit vertreten wird, unter Berücksichtigung der Wertung des § 10 Abs. 1 und des § 2 Abs. 2 Satz 2 SGB II sei (nur) eine Erwerbstätigkeit erfasst, die ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis konstituiere,10 vermag dies vor dem Hintergrund des § 1 Abs. 2 Satz 4 Nr. 1 SGB II nicht zu überzeugen. Danach sind die Leistungen der Grundsicherung insbesondere darauf auszurichten, dass „durch eine Erwerbstätigkeit […] der Umfang der Hilfebedürftigkeit verringert wird“. Eine Einschränkung auf sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen erfolgt zu Recht nicht, da der Gesetzgeber eine schrittweise Wiedereingliederung über ein nicht sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis für erfolgversprechend hält. II. Die Zumutbarkeit der Arbeit und der wichtige Beendigungsgrund Sanktioniert werden kann der Abbruch einer Arbeit nur dann, wenn die Tätigkeit zumutbar ist. Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, ist im Einzelfall (spätestens) vor einer Sanktionierung zu prüfen. Dies wird auch nicht dadurch hinfällig, dass sich der Leistungsberechtigte im Rahmen einer Eingliederungsvereinbarung zur Verrichtung einer bestimmten Arbeit verpflichtet hat bzw. ein entsprechender Verwaltungsakt bestandskräftig ergangen ist. Abgesehen davon, dass die Fortführung einer unzumutbaren Arbeit nicht hingenommen werden muss,11 können der Eingliederungsvereinbarung gerade nicht die eine Sanktion tragenden oder einen Abbruch rechtfertigenden tatsächlichen Bedingungen entnommen werden. Die Kasuistik zur Frage der Zumutbarkeit und des wichtigen Grundes ist differenziert und schwer zu überschauen, da die Entscheidungen zur Absenkung des Arbeitslosengel-

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des und der früheren Arbeitslosenhilfe wegen der insoweit sehr ähnlichen Sach- und Rechtslage herangezogen werden können.12 Nähere Regelungen zur Zumutbarkeit von Arbeit finden sich in § 10 SGB II.13 Zumutbar ist danach zunächst „jede Arbeit, es sei denn, dass ihr einer der nachfolgend aufgeführten zahlreichen Tatbestände – bis hin zum „sonstigen wichtigen Grund“ – entgegensteht. Unter welchen Voraussetzungen es zumutbar ist, eine selbständige oder freiberufliche Tätigkeit fortzuführen, wurde bislang in Rechtsprechung und Literatur kaum erörtert. Solange nicht konkrete andere Erwerbsaussichten bestehen, wird man diese nicht ohne weiteres als unzumutbar ansehen können, wenn zumindest im Durchschnitt mehrerer Jahre Gewinne erwirtschaftet werden, die in noch angemessener Relation zum zeitlichen Einsatz stehen; als grobe Richtgröße können insoweit branchenrelevante Mindestlöhne herangezogen werden.14 Aus der am 01.04.2011 um einen zweiten Satz ergänzten Formulierung des § 31 Abs. 1 SGB II ergeben sich allenfalls auf den ersten Blick Schwierigkeiten, wenn die Zumutbarkeit einerseits nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II Tatbestandsvoraussetzung für die Sanktion ist, andererseits der hinzugefügte § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II bestimmt, dass keine Sanktionierung erfolgt, wenn der Betreffende einen wichtigen Grund darlegt und beweist. Ebenso wie im Arbeitsförderungsrecht15 hat der betroffene Mensch (nur) die Tatsachen darzulegen und nachzuweisen, die in seiner Sphäre bzw. in seinem Verantwortungs-/Einflussbereich liegen;16 nur diese können ein „wichtiger Grund“ nach § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II sein. Deshalb darf sich das Jobcenter keineswegs darauf beschränken, lediglich die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses festzustellen und dessen Zumutbarkeit gleichsam zu vermuten. Vielmehr muss es von Amts wegen die die Zumutbarkeit belegenden Tatsachen ermitteln,

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So etwa die Einarbeitung eines Postzustellers wie bei BSG, Urt. v. 14.11.2013 - B 2 U 15/12 R Rn. 17 - SozR 4-2700 § 2 Nr. 27. LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 02.05.2008 - L 7 B 321/07 AS ER Rn. 25; Rixen in: Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 10 Rn. 25; anders aber S. Knickrehm/Hahn in: Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 31 Rn. 27. Lauterbach in: Gagel, SGB II/SGB III, § 31 SGB II Rn. 40 ff.; zust. Valgolio in: Hauck/Noftz, K § 31, Rn. 120. Zahlreiche Beispiele bei S. Knickrehm/Hahn in: Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 31 Rn. 39, 64 f.; Valgolio in: Hauck/Noftz, K § 31, Rn. 122 ff., 165 ff.; Spellbrink, BB 2006, 1274. Vgl. BSG, Urt. v. 15.12.2009 - B 14 AS 92/09 R Rn. 22. Vgl. hierzu Lauterbach in: Gagel, SGB II/SGB III, § 31 Rn. 40 zur Zumutbarkeit einer Beschäftigung. § 159 Abs. 1 Satz 3 HS. 2 SGB III: „hat die […] maßgebenden Tatsachen darzulegen und nachzuweisen, wenn diese Tatsachen in ihrer Sphäre oder in ihrem Verantwortungsbereich liegen“. Berlit in: LPK-SGB II, § 31 Rn. 67; Valgolio in: Hauck/Noftz, K § 31 SGB II, Rn. 164.

JM 2 soweit diese nicht der persönlichen Disposition der Leistungsberechtigten unterfallen, so etwa, wenn diese einer besonderen Geheimhaltungspflicht unterliegen17 oder gar nur ihnen näher bekannt sind.18 III. Die „Weigerung“ eine Arbeit fortzuführen Nach der Rechtsprechung des BSG liegt eine Weigerung nur vor, wenn das Arbeitsverhältnis aktiv beendet wird, also der leistungsberechtigte Mensch es selbst kündigt, einen Aufhebungsvertrag schließt oder es rein tatsächlich aufgibt.19 Die Betroffenen tun folglich in diesen Fällen gut daran, ihre zugrunde liegenden Motive spätestens im Rahmen der obligatorischen Anhörung näher darzulegen und unter Beweis zu stellen, auch und gerade weil die Auskünfte der Arbeitgeber auf Anfragen des Jobcenters – wie häufig – einsilbig ausfallen. Eine Weigerung ist dagegen stets zu verneinen, wenn eine arbeitgeberseitige Kündigung vorliegt.20 Das gilt selbst dann, wenn eine unberechtigte oder unwirksame Kündigung tatenlos hingenommen oder auch die Kündigung durch eigenes Verhalten herausgefordert wurde. Dass nur die aktive Beendigung sanktionsbewehrt sein kann, ergibt sich aus dem weiteren Absenkungstatbestand des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II, der – für Eingliederungsmaßnahmen – eine Absenkung der Leistungen vorsieht, wenn der Leistungsberechtigte „Anlass für den Abbruch“ gegeben hat. Auch für die Arbeitslosenversicherung ist hierzu ein besonderer Tatbestand definiert.21 Wenn demgegenüber § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II keinen vergleichbaren Tatbestand umfasst, kann keine Sanktion bereits auf ein zur Kündigung führendes Verhalten gestützt werden. Ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen allerdings die Diskussion weitgehend hinfällig ist, weil sich das Jobcenter auf § 31 Abs. 2 Nr. 4 SGB II in Verbindung mit § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III berufen kann, wird noch nachfolgend (unten unter B.) zu diskutieren sein. IV. Die Belehrung oder Kenntnis über die Rechtsfolgen Nach dem Einleitungssatz in § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II ist entweder eine schriftliche Rechtsfolgenbelehrung oder die Kenntnis der Rechtsfolgen Sanktionsvoraussetzung. Die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Rechtsfolgenbelehrung sind in den letzten Jahren durch die beiden Grundsicherungssenate des BSG mehrfach näher beschrieben worden: Allgemein muss der Leistungsberechtigte ohne besondere Rechtskenntnisse und ohne weitergehende mündliche Erläuterung in der Lage sein zu erkennen, • welches konkrete Verhalten von ihm erwartet wird und • welche konkreten Folgen sich bei einem anderen als dem erwarteten Verhalten ergeben, also die Dauer und die Höhe der Absenkung von Leistungen.

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Die Belehrung muss – was aufgrund der differenzierten Gesetzesfassung schwierig sein kann – konkret, verständlich und vollständig sein und so zeitnah erfolgen, dass der Leistungsberechtigte sein Verhalten auch entsprechend einrichten kann. Auf diese formalen Anforderungen sollten sich die Jobcenter mittlerweile im Wesentlichen eingestellt haben. Eben diese Rechtsfolgenbelehrung wird vor der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses aber regelmäßig nicht erfolgen (können), weil das Jobcenter entweder mangels Leistungsbezuges überhaupt nicht beteiligt ist oder es – bei den sog. „Aufstockern“, bei denen die Erwerbseinkünfte oder das Arbeitslosengeld I nicht die grundlegenden Bedarfe abdecken – zwar von der Erwerbstätigkeit weiß, nicht jedoch von der Entscheidung des Leistungsberechtigten, das Arbeitsverhältnis zu beenden. Die Rechtsfolgenbelehrung kann wirksam auch nur vom Jobcenter selbst, nicht hingegen durch Dritte erfolgen, insbesondere nicht durch den Arbeitgeber. Seine Hinweispflichten bei einer Kündigung oder einem Aufhebungsvertrag beschränken sich – soweit hier interessierend – auf die Notwendigkeit, sich unverzüglich arbeitsuchend zu melden und sich selbst aktiv um eine neue Beschäftigung zu bemühen (§ 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III). Selbst ein ggf. darüber hinausgehender und auch formal ordnungsgemäßer Hinweis des Arbeitgebers kann keine Rechtsfolgenbelehrung i.S.d. § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II sein, weil es sich bei ihr um eine behördliche Aufgabe handelt, die ohne Rechtsgrundlage nicht von Dritten erfüllt werden kann.22 Vor diesem Hintergrund spielt nach der Beendigung von Arbeitsverhältnissen die seit dem 01.04.2011 als weitere Tatbestandsalternative aufgenommene Kenntnis der Rechtsfolgen eine wesentliche Rolle – auch wenn diese wohl eher im Hinblick auf die als zu weitgehend empfundenen formalen Anforderungen an die Rechtsfolgenbelehrung geschaffen worden sein dürfte.23 Das BSG hat die Anforderungen an eine Kenntnis bislang nicht näher definiert, auch in den Tatsacheninstanzen kommt es auf die

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Insbesondere medizinische Daten. Etwa die aktuelle Betreuungssituation eines Kindes, § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II, oder die Pflege-/Betreuungssituation, § 10 Abs. 1 Nr. 4. BSG, Urt. v. 22.03.2010 - B 4 AS 68/09 R Rn. 12 - SozR 4-4200 § 31 Nr. 4. BSG, Urt. v. 22.03.2010 - B 4 AS 68/09 R Rn. 12 - SozR 4-4200 § 31 Nr. 4. Heute § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III, zuvor inhaltsgleich in § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III geregelt. Vgl. Valgolio in: Hauck/Noftz, K § 31 Rn. 133. S. Knickrehm in: Kommentar zum Sozialrecht, 3. Aufl., § 31 SGB II Rn. 21.

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Frage augenscheinlich selten an. Im Hinblick auf den erheblichen Leistungseinschnitt wird man schon im Hinblick auf die Anforderungen der sonst notwendigen Rechtsfolgenbelehrung jedenfalls den Nachweis fordern müssen, dass der Leistungsberechtigte zeitnah zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses über Umfang und Dauer der Absenkung informiert war.24 Für die zeitliche Nähe wird man sich am ehesten an § 31a Abs. 1 Satz 5 SGB II (ein Jahr) orientieren können. Maßgeblich müssen aber stets die Umstände des Einzelfalls sein: Das nachzuweisende Wissen um die Konsequenzen kann – z.B. bei deutlich eingeschränkten intellektuellen Fähigkeiten – schon vorher zweifelhaft sein. Inhaltlich genügt ein allgemein gehaltener Hinweis oder die schlichte Wiedergabe des Gesetzestextes sicher nicht, um von einer Kenntnis der Rechtsfolgen auszugehen. Ausreichend erscheint jedoch, wenn das Jobcenter bei einem aufstockenden Leistungsempfänger im Rahmen eines Leistungsbescheides, einer Eingliederungsvereinbarung oder eines Beratungsgesprächs konkret bezogen auf die aktuell ausgeübte Erwerbstätigkeit deutlich gemacht hat, in welcher Höhe im Falle der aktiven Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne zu beweisenden wichtigen Grund eine Absenkung der Leistungen droht.25 Ohne jegliche Beziehung zum Jobcenter wird eine Sanktionierung nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II oft daran scheitern, dass die Kenntnis der Rechtsfolgen nicht nachzuweisen ist. B. Die Sanktion nach § 31 Abs. 2 Nr. 4 SGB II I. Anwendbarkeit neben § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II? Insbesondere wenn sich nach dem Erlass eines Sanktionsbescheides herausstellt, dass die Voraussetzungen für eine Sanktion nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II nicht erfüllt sind, stellt sich die Frage nach dem Verhältnis zu § 31 Abs. 2 Nr. 4 SGB II. Kann die Vorschrift zum „Rettungsring“ für die Sanktionsentscheidung des Jobcenters werden? Der Wortlaut spricht dafür: „Eine Pflichtverletzung [...] ist auch anzunehmen, wenn sie die im Dritten Buch genannten Voraussetzungen für das Eintreten einer Sperrzeit erfüllen, [...]“. Für eine Anwendbarkeit spricht auch, dass das Jobcenter eine mögliche Sanktion nach § 31 Abs. 2 Nr. 4 SGB II in eigener Kompetenz prüft.26 Das BSG hat den nach dem Wortlaut weiten Einsatzbereich allerdings zu Recht beschränkt und danach differenziert, ob der Betroffene zum Zeitpunkt der Handlung, an die die Sanktion anknüpft, in einem Sozialversicherungsrechtsverhältnis zur Bundesagentur für Arbeit steht, insbesondere weil er eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausübt. Es hat herausgearbeitet, dass die an die Voraussetzungen des SGB III anknüpfenden Sanktionstatbestände bezwecken, dass der

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Ruhens- oder Erlöschenstatbestand wegen einer im Geltungsbereich des SGB III eingetretenen Sperrzeit nicht folgenlos bleibt, auch wenn zwischenzeitlich ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II dem Grunde nach entstanden ist bzw. keine Anwartschaft auf Arbeitslosengeld vorliegt. Offen ist allerdings bislang die entsprechende Geltung des § 159 SGB III für die aufstockenden Bezieher von Arbeitslosengeld I geblieben. Dagegen spricht jedoch entscheidend der vom BSG dargelegte Zweck, die Sanktionierung eines Ruhens- oder Erlöschenstatbestandes nur dann dem Jobcenter zu überlassen, wenn er andernfalls wegen des Wechsels in das Leistungssystem des SGB II folgenlos bliebe. Bei aufstockenden Alg I-Empfängern besteht hierzu allerdings kein Anlass, da sie sich weiterhin im Leistungssystem des SGB III befinden. Es bedarf folglich keines über das SGB II vermittelten Zugriffs auf § 159 SGB III, weil die Arbeitsagentur weiterhin selbst sanktionierend tätig werden kann. Einen Fingerzeig auf diese Auslegung ist bereits der Rechtsprechung des BSG zu entnehmen, das die Fallgruppe auf die Menschen, die „keine Anwartschaft auf Arbeitslosengeld“ haben, begrenzt hat. Im Ergebnis droht also nach einer Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses eine Sanktion nach § 31 Abs. 2 Nr. 4 SGB II nur den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die keine Anwartschaftszeit für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld erworben haben. Damit befinden sich aber die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in einem engeren Pflichtenkorsett als die Grundsicherungsempfänger, die nicht oder nur sozialversicherungsfrei gearbeitet haben, weil diesen keine Sanktion nach § 31 Abs. 2 Nr. 4 SGB II droht. Das BSG hat diese Konsequenz durchaus gesehen und als gerechtfertigt betrachtet, weil die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in einem Rechtsverhältnis zur (Arbeitslosen-)Versichertengemeinschaft stehen, die sich ihrerseits dagegen zur Wehr setzt, wenn der Versicherte die Arbeitslosigkeit selbst zu vertreten hat bzw. nicht hinreichend an deren Beseitigung mitwirkt.27 Entsprechend drohen aufstockenden Alg I-Beziehern „nur“ Sanktionen der Arbeitsagentur, nicht hingegen des Jobcenters. Soweit bei dieser Personengruppe eine solche Sanktion im Einzelfall absolut hinter der des Jobcenters zurückbleibt, ist dies im Interesse der hinreichenden Abgrenzung der Leistungssysteme hinzunehmen. 24

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So wohl auch Bayerisches LSG, Urt. v. 18.06.2014 - L 16 AS 297/13 www.sozialgerichtsbarkeit.de. Vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 11.04.2013 - L 20 AS 578/13 B ER, LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 04.04.2013 - L 5 AS 279/13 B ER, beide www.sozialgerichtsbarkeit.de. BSG, Urt. v. 22.03.2009 - B 4 AS 68/09 R - SozR 4-4200 § 31 Nr. 4. BSG, Urt. v. 17.12.2009 - B 4 AS 20/09 R - BSGE 105, 194 = SozR 4-4200 § 31 Nr. 2.

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II. Die Voraussetzungen des § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III

oder bei Schwerbehinderten das Integrationsamt der Kündigung zugestimmt hatte.30

Nach § 31 Abs. 2 Nr. 4 SGB II i. V. m. § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III tritt eine Sperrzeit zunächst bei Lösung eines Beschäftigungsverhältnisses ein. Anders als § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II setzt die Vorschrift nach ihrem Wortlaut zwar nicht voraus, dass die Beschäftigung zumutbar war. Allerdings beschränkt § 159 Abs. 1 Satz 1 SGB III die Sanktionierung auf ein Verhalten, für das Leistungsberechtigte keinen wichtigen Grund haben, und bestimmt in § 159 Abs. 1 Satz 3 SGB III, dass Leistungsberechtigte die für die Beurteilung eines wichtigen Grundes maßgebenden Tatsachen darzulegen und nachzuweisen haben, wenn diese Tatsachen in ihrer Sphäre oder in ihrem Verantwortungsbereich liegen. Trotz dieser sich vom Grundsicherungsrecht unterscheidenden Formulierung bestehen keine Unterschiede hinsichtlich der notwendigen Amtsermittlung und der Verteilung der Beweislast. Im Umkehrschluss ist aus der Regelung des § 159 Abs. 1 Satz 3 SGB III zu entnehmen, dass das Jobcenter primär die arbeitsplatzbezogenen Tatsachen zu ermitteln hat, die zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses geführt haben, letztlich also keine anderen Tatsachen festzustellen hat als im Rahmen der Zumutbarkeit gem. § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II. Sekundär obliegt es dem Leistungsberechtigten, einen eventuellen wichtigen Grund aus seinem persönlichen Umfeld vorzutragen (siehe zuvor A. II.). Die Aufteilung der Feststellungen in arbeitsplatzbezogene und persönliche Sphäre geht bereits auf die Regelungen der §§ 78, 80 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) zurück28 und wurde bei allen nachfolgenden Änderungen des Rechts der Arbeitslosenversicherung fortgeschrieben.29

Schließlich ist zu beachten, dass § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III als weitere, für alle Tatbestandsvarianten geltende Voraussetzung vorsieht, dass der Leistungsberechtigte durch sein Verhalten die Arbeitslosigkeit „vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt“ haben muss. Es genügt also nicht, dass die Kündigung oder das Fehlverhalten für die Beendigung ursächlich ist, sondern die Arbeitslosigkeit muss auch für den Leistungsberechtigten ohne Schwierigkeiten vorhersehbar gewesen sein.31 Entsprechend scheidet eine Sanktion auch bei einer materiell rechtmäßigen verhaltensbedingten Kündigung aus, wenn der Leistungsempfänger subjektiv nicht mit der Kündigung rechnen musste. Hierunter fällt vor allem eine fehlende notwendige Abmahnung.32 Kündigt er dagegen selbst bzw. schließt er einen Aufhebungsvertrag, ist die Arbeitslosigkeit in aller Regel absehbar; letztlich kann sie dann nur durch einen wichtigen Grund gerechtfertigt sein. Letzterer kann zwar in einem vorhandenen Anschlussarbeitsverhältnis bestehen, jedoch kommt es auch dann noch auf die Umstände des Einzelfalls an: Nach der Rechtsprechung des BSG soll etwa ein befristetes Anschlussarbeitsverhältnis nur abhängig von den Einzelfallgegebenheiten ausreichen, wenn das beendete Arbeitsverhältnis unbefristet war.33 Dem ist im Grundsatz zwar zu folgen, sollte aber im Hinblick auf die heute fast allgemein übliche Befristung von Arbeitsverhältnissen neu diskutiert werden. Angesichts der grundlegend gewandelten Arbeitsmarktverhältnisse dürfte es heute kaum noch zu vermeiden sein, zunächst ein befristetes Arbeitsverhältnis einzugehen. Sollen Sanktionen die berufliche Fortentwicklung nicht über Gebühr erschweren, würde es genügen, nur ein erhebliches Verschulden „gegen sich selbst“ mit einem Sperrzeitrisiko zu belegen.

Der Begriff der Lösung entspricht dem der Weigerung im Rahmen des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II und erfasst damit die Kündigung des Arbeitsverhältnisses und den Abschluss eines Aufhebungsvertrages (siehe oben A. III.). Daneben enthält § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGB III aber einen weiteren, über § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II deutlich hinausgehenden Sanktionstatbestand: Leistungsabsenkungen kommen danach auch in Betracht, wenn die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten veranlasst wurde, oder vereinfacht: die Beendigung durch eine verhaltensbedingte Kündigung. Das Jobcenter muss deren Berechtigung in eigener Verantwortung prüfen. Maßgeblich ist aber allein die materielle Rechtmäßigkeit der Kündigung, sodass vom Jobcenter vor einer Sanktion (nur) festzustellen ist, ob das der Kündigung zugrunde liegende Verhalten vertragswidrig war, nicht dagegen, ob die förmlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Unerheblich ist also insbesondere, ob dem Schriftformerfordernis entsprochen oder der Betriebsrat angehört wurde

C. Die verfassungsrechtlich umstrittenen Rechtsfolgen einer Sanktion Die Rechtsfolgen der Sanktion ergeben sich aus den §§ 31a, 31b SGB II. Wohl ausnahmslos wird bei den hier behandelten Sachverhalten eine Sanktion auf erster Stufe im Raum

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Voelzke in: Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 12 Rn. 337. BSG, Urt. v. 14.09.2010 - B 7 AL 33/09 R Rn. 13 - SozR 4-4300 § 144 Nr. 21. Schmitz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, § 159 SGB III Rn. 34. Vgl. Hessisches LSG, Urt. v. 21.09.2012 - L 7 AL 201/11. Schmitz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, § 159 SGB III Rn. 36. BSG, Urt. v. 26.10.2004 - B 7 AL 98/03 R; BSG, Urt. v. 12.07.2006 B 11a AL 73/05 R Rn. 17 und BSG, Urt. v. 12.07.2006 - B 11a AL 55/05 R Rn. 21.

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stehen. Bei mindestens 25 Jahre alten Leistungsbeziehern beträgt diese 30 % der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (§ 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II). Für die mindestens 15- bis unter 25-jährigen Leistungsbezieher sieht § 31 Abs. 2 Satz 1 SGB II sogar den Entfall der gesamten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vor. Für die hier in Rede stehenden Sanktionen nach der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses ist bereits die übergreifende Frage nicht höchstrichterlich geklärt, ob Sanktionsregelungen verfassungsrechtlich zu beanstanden sind, weil durch sie über mehrere Monate in die bereits als menschenwürdiges Existenzminimum definierten Mittel eingegriffen wird. Allerdings hat kürzlich der 14. Senat des BSG34 für Sanktionen nach drei zu berücksichtigenden Meldeversäumnissen (§ 32 SGB II) ausgeführt, dass die Sanktionierung in dieser Höhe das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG) nicht verletze. Der Gesetzgeber sei von Verfassungs wegen nicht gehindert, die Gewährung existenzsichernder Leistungen nach dem SGB II an (Mitwirkungs-)Obliegenheiten zu knüpfen und bei deren Verletzung leistungsrechtliche Minderungen vorzusehen. Zudem handele es sich nicht um einen Eingriff, sondern um eine abgesenkte Form der Leistungsgewährung.35 Eine andere Auslegung würde mittels des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums die Grundsicherung für Arbeitsuchende in Richtung auf ein bedingungsloses Grundeinkommen weiterentwickeln; eine solche Entscheidung müsse jedoch dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben.36 Habe der Gesetzgeber von einer solchen Wertung abgesehen, dürfe er sich bei der Ausgestaltung der Leistungen nach dem SGB II vor diesem Hintergrund von der Erwartung leiten lassen, dass erwerbsfähige Hilfebedürftige und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpften und demzufolge die zum Lebensunterhalt notwendigen Mittel womöglich u.a. durch zumutbare Erwerbsarbeit selbst erwirtschaften. Soweit der Gesetzgeber als Folge dessen negative Konsequenzen an die fehlende Bereitschaft knüpfe, mit den für die Leistungsgewährung zuständigen Stellen (auch nur) in Gespräche über Möglichkeiten zur Überwindung von Erwerbslosigkeit einzutreten, sei ihm das verfassungsrechtlich jedenfalls solange nicht verwehrt, wie sichergestellt sei, dass den Betroffenen die auch in dieser Lage unerlässlichen Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung stünden.37 Bei einer Leistungsminderung von nicht mehr als 30 % sei ausgehend von den in die Ermittlung des Regelbedarfs eingeflossenen Abteilungen der Verbrauchsausgaben zu beachten, dass die Abteilungen 7 (Verkehr), 8 (Nachrichtenübermitt-

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lung), 9 (Freizeit u.a.) und 11 (Beherbergung u.a.)38 nicht dem physischen Existenzminimum, sondern der sozialen Teilhabe zuzuordnen seien. Zudem bezögen sich die Abteilungen 3 (Bekleidung, Schuhe) oder 5 (Innenausstattung u.a.)39 auf Bedarfe, die aktuell nicht jeden Monat anfielen, sondern von der sog Anschaffungsrücklage nach § 12 Abs 2 Satz 1 Nr. 4 SGB II umfasst seien. Zwar seien die im Regelbedarf enthaltenen Beträge für soziokulturelle Bedarfe keine frei verfügbare Ausgleichsmasse. Es sei deshalb nicht auszuschließen, dass sich der Verweis auf Einsparungen in diesem Bereich in besonders gelagerten Fällen als verfassungsrechtlich bedenklich erweise. Vorliegend sei das aber nicht der Fall. Neben der Möglichkeit, ein Darlehen zu erhalten, sei zuerst zu fragen, ob der uneingeschränkte Ausschluss von Sachleistungen bei Minderungsbeträgen von bis zu 30 % bei besonderen Härtefällen verfassungsrechtlich unbedenklich sei. Zu einer solchen Prüfung bestehe hier kein Anlass, weil weder erkennbar noch von der Klägerin im Rahmen einer Rüge vorgetragen worden ist, dass sie sich erfolglos um die Gewährung von Sachleistungen bemüht habe. Insbesondere das Argument eines ohne die Umsetzung von Sanktionen geschaffenen bedingungslosen Grundeinkommens erscheint diskutabel und die Differenzierung zwischen Eingriff und Absenkung sowie der Verweis auf einen – nach dem Gesetzeswortlaut aussichtslosen – Sachleistungsantrag wirken ein wenig spitzfindig. In der Tat garantiert die Verfassung mit dem soziokulturellen Existenzminimum keinen (konkreten Leistungs-)Anspruch auf ein bedingungsloses Grundeinkommen. Aber es ist Ausfluss zweier unveräußerlicher Grundrechte und der Gesetzgeber muss insoweit Eingriffe in besonderem Maße rechtfertigen, gleichgültig ob diese letztlich in abgesenkten oder vorenthaltenen Leistungen bestehen. Bemerkenswert sind dann die weiteren Erwägungen des Senats, der – ähnlich einer Verhältnismäßigkeitsprüfung der Sanktion – konstatiert, dass die „unerlässlichen Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts“ stets zur Verfügung stehen müssten. Wenn das BSG im Weiteren rund 30 bis 40 % der Leistungen letzt-

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BSG, Urt. v. 29.04.2015 - B 14 AS 19/14 R, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4 vorgesehen; BSG, Urt. v. 29.04.2015 - B 14 AS 20/14 R mit vergleichbarem Sachverhalt. BSG, Urt. v. 29.04.2015 - B 14 AS 19/14 R Rn. 52. BSG, Urt. v. 29.04.2015 - B 14 AS 19/14 R Rn. 53. BSG, Urt. v. 29.04.2015 - B 14 AS 19/14 R Rn. 54. Insgesamt sind das 101,86 € oder 28,2 % der Summe der regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben der Einpersonenhaushalte von 361,81 € (§ 5 Abs. 2 RBEG).

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Das sind insgesamt weitere 57,81 € oder 16,0 % der Summe der regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben der Einpersonenhaushalte.

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lich als „notwendig, aber nicht unerlässlich“ zu definieren scheint, könnte damit bereits der Weg für andere Konstellationen vorgezeichnet sein, in denen Obliegenheitsverletzungen eine Rolle spielen.40 Allerdings dürfte man gespannt sein, ob die differenzierte Betrachtung des BSG einer verfassungsrechtlichen Überprüfung standhielte.

• ein Leistungsbescheid (folgender Leistungszeitraum).

Unabhängig davon bleibt für Sanktionen oberhalb dieser – nicht ganz klar gezogenen – Grenze auch weiter offen, ob deren Umsetzung verfassungsrechtlich unzulässig ist. Erst recht ist ungeklärt, ob die gesamten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts umfassende Sanktionen bei den Leistungsempfängern unter 25 Jahren zulässig sind. Es spricht manches – und nach der Entscheidung des 14. Senats noch mehr – dafür, dass jedenfalls diese den verfassungsrechtlich zulässigen Rahmen sprengen.41 Diesbezügliche Revisionen sind allerdings beim BSG derzeit nicht anhängig.

Das BSG hat dieses Problem zunächst dadurch entschärft, dass es den Streitgegenstand eines gerichtlichen Verfahrens sowohl in dem Sanktionsbescheid als auch in den zeitgleich ergangenen, die Sanktion berücksichtigenden Änderungs-/ Leistungsbescheiden gesehen und diese Mehrzahl von Entscheidungen als eine rechtliche Einheit betrachtet hat.45 Somit war – auch bei einem nur gegen den Sanktionsbescheid gerichteten Rechtsbehelf – von einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage, ggf. noch einer zusätzlichen Verpflichtungsklage auszugehen. In der Folge konnte allerdings der gesamte Inhalt der Leistungsentscheidungen (erneut) zum Streitgegenstand werden. Genau genommen waren damit auch – selbst wenn ggf. im Zuge der Anfechtung des Absenkungsbescheides nur höchst vorsorglich erhoben – Widerspruch und Klage gegen die Leistungsbescheide unzulässig.

D. Genügt die isolierte Anfechtung des Sanktionsbescheides? Selbst anwaltlich vertretene Kläger sehen in einem Sanktionsbescheid oft die „Quelle allen Übels“ und beschränken sich deshalb mitunter allein auf dessen isolierte Anfechtung. In der Folge könnte sich der frisch Sanktionierte allerdings im Geflecht von Sanktionsbescheid und davon betroffenen Leistungsentscheidungen verfangen: Ein Sanktionsbescheid wird praktisch ausnahmslos nicht durch eine Aufforderung zur Rückzahlung vollzogen, sondern indem der Leistungsberechtigte reduzierte Leistungen erhält.42 Wurden – wie in den meisten Fällen – für den Zeitraum, für den nur geminderte Leistungen gezahlt werden sollen, schon Grundsicherungsleistungen zuerkannt, müssen alle die Sanktionsmonate betreffenden Leistungsentscheidungen abgeändert werden; letztlich handelt es sich nach der bis zum 30.03.2011 geltenden Rechtslage um eine nachträgliche Änderung der Leistungsentscheidung,43 bei der eine Gegenforderung durch Aufrechnung vollzogen wird.44 Zu diesem Zweck erging regelmäßig ein entsprechender Änderungsbescheid. Reicht eine Sanktion in einen neuen Leistungszeitraum ohne bewilligte Leistungen hinein, wird diese bei der (ersten) Entscheidung für den Leistungszeitraum berücksichtigt. Wegen der bereits erbrachten Leistungen ergehen mitunter auch noch (separate) Rückforderungsbescheide. Je nach Lage der Leistungs- und Sanktionszeiträume können also insgesamt bis zu vier Bescheide ergehen, das sind • ein Absenkungsbescheid (Sanktion), • ein Änderungsbescheid (laufender Leistungszeitraum), • ein Rückforderungsbescheid (Überzahlung im laufenden Leistungszeitraum) und

Ist eine Klage gegen den Absenkungsbescheid mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, wenn die Änderungs-, Rückforderungs- und/oder Leistungsbescheide mit der vollzogenen Sanktion bereits bestandskräftig geworden sind?

Dieser Weg war allerdings unter Geltung der ab 01.04.2011 geltenden Neufassung des § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Frage gestellt, spricht doch das Gesetz nun ausdrücklich davon, dass sich „der Auszahlungsanspruch mindert“. Der 14. Senat46 hat jetzt erstmals entschieden, dass (nunmehr) gegen einen Sanktionsbescheid eine isolierte Anfechtungsklage erhoben werden kann. Im Gegensatz zum früheren Recht geht § 31b Abs. 1 Satz 1 SGB II von der Eigenständigkeit des Sanktionsbescheides aus. Der die Sanktion umsetzende Änderungs- bzw. Leistungsbescheid bildet daher mit dem Sanktionsbescheid keine rechtliche Einheit mehr. Insofern hat der Gesetzgeber die mit der Neuregelung auch bezweckte Reduzierung und Konzentration des Streitstoffs in

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So etwa zur Verfassungsmäßigkeit einer Aufrechnung nach § 43 SGB II in Höhe von 30 % des für den Leistungsberechtigten maßgebenden Regelbedarfs, anhängig unter dem Aktenzeichen B 14 AS 20/15 R, bejahend die Vorinstanz LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 03.07.2014 - L 15 AS 377/13. Hierzu ausführlich S. Knickrehm/Hahn in: Eicher, SGB II, 3. Aufl., § 31a Rn. 25 m. zahlr. w. N. § 31b Abs. 1 Satz 1 SGB II. §§ 40 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 3, 330 Abs. 3 Satz 1, 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. § 43 Abs. 1 Nr. 1 SGB II, § 50 Abs. 1 SGB X. Vgl. BSG, Urt. v. 22.03.2010 - B 4 AS 68/09 R Rn. 9 f. - SozR 4-4200 § 31 Nr. 4. BSG, Urt. v. 29.04.2015 - B 14 AS 19/14 R Rn. 14 ff, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4 vorgesehen.

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den sozialgerichtlichen Tatsacheninstanzen47 offensichtlich erreicht. Offen ist allerdings wieder die Frage des Rechtsschutzbedürfnisses bei bestandskräftigem Änderungs- und/ oder Leistungsbescheid. Insgesamt spricht aber viel dafür, dass der Sanktionsvollzug seit der Neuregelung jedenfalls jetzt nicht mehr als eigenständige Regelung i. S. d. § 31 SGB X, sondern als gesetzesunmittelbarer Vollzugsakt anzusehen ist, sodass es für die Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs gegen einen Sanktionsbescheid heute nicht mehr auf die Anfechtbarkeit von Leistungsentscheidungen ankommt. E. Zusammenfassung Für sozialversicherungspflichtig Beschäftigte besteht ein bedeutendes Sanktionsrisiko, wenn sie ein Arbeitsverhältnis aktiv beenden oder der Arbeitgeber eine verhaltensbedingte Kündigung ausgesprochen hat. Aber auch Selbständige und Freiberufler können unter Umständen nur verringerte Leistungen erhalten, wenn sie ihre Tätigkeit aufgeben.

die Sanktionsregelungen von der zulässigen Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers umfasst seien, ist nicht sicher abzusehen, ob dies von den Grundsicherungssenaten gleichermaßen und vorbehaltlos für die hier in Rede stehenden Fälle gesehen werden würde. Insbesondere erscheint eine die Umstände des Einzelfalls berücksichtigende Auslegung geboten. Weiterhin verfassungsrechtlich bedenklich sind die weitergehenden Sanktionen mit Sanktionen oberhalb von 30 % sowie bei jungen Leistungsberechtigten. Seit der zum 01.04.2011 in Kraft getretenen Neufassung des § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II bildet der eine Sanktion umsetzende Änderungs- bzw. Leistungsbescheid mit dem Sanktionsbescheid keine rechtliche Einheit mehr. Es genügt seither also, nur den Sanktionsbescheid anzufechten. 47

Das Jobcenter muss stets primär von Amts wegen die die Zumutbarkeit einer Arbeit belegenden Tatsachen ermitteln, soweit diese nicht der persönlichen Disposition des Leistungsberechtigten unterfallen.

Vgl. BT-Drs. 17/3404, S. 110 ff.

Verwaltungsrecht

Notenschutz für Legastheniker BVerwG, Urt. v. 29.07.2015 - 6 C 35/14 Ohne einen bereits zum Zeitpunkt der aktiven Beendigung der Erwerbstätigkeit bestehenden Kontakt zwischen Leistungsberechtigtem und Jobcenter wird eine Sanktion nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II häufig an der fehlenden Rechtsfolgenbelehrung und der ebenso wenig nachweisbaren zeitnahen Kenntnis der Rechtsfolgen scheitern. Bei einem Kontakt erscheint aber eine Belehrung im Rahmen eines nicht länger als ein Jahr zurückliegenden Leistungsbescheides, einer Eingliederungsvereinbarung oder eines Beratungsgesprächs konkret bezogen auf die aktuell ausgeübte Erwerbstätigkeit ausreichend. Von größerer Bedeutung ist nach einer verhaltensbedingten Kündigung eines sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisses die mögliche Leistungsabsenkung nach § 31 Abs. 2 Nr. 4 SGB II. Sie kommt auch in Frage, wenn die Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II – etwa wegen fehlender Kenntnis der Rechtsfolgen – nicht erfüllt sind. Das Jobcenter muss die materielle Rechtmäßigkeit einer Arbeitgeberkündigung in eigener Verantwortung prüfen. Auch muss das Fehlverhalten nicht nur für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ursächlich, sondern auch für den Leistungsberechtigten ohne Schwierigkeiten vorhersehbar gewesen sein. Einstweilen nicht hinreichend geklärt ist die Frage, ob die Sanktionsregelungen verfassungsrechtlich zu beanstanden sind. Auch wenn der 14. Senat des BSG für Sanktionen nach mehreren Meldeversäumnissen ausgeführt hat, dass

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RiOVG Dr. Holger Wöckel A. Problemstellung Behinderte Schüler sind wegen ihrer Behinderung gegebenenfalls nicht oder nur eingeschränkt in der Lage, bestimmte schulische Leistungsanforderungen zu erfüllen. Das gilt etwa für Schüler mit Lese- und Rechtschreibstörung (Legasthenie). Nach gegenwärtigem Stand der Wissenschaft handelt es sich dabei um eine dauerhafte neurobiologische Störung der Hirnfunktion. Typisch sind eine deutlich verlangsamte Lese- und Schreibgeschwindigkeit sowie eine stark fehlerbehaftete Rechtschreibung bei im Übrigen normaler Begabung und Intelligenz. Es ist anerkannt, dass Legasthenie eine Behinderung i.S.v. Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG ist.1 In der Praxis stellt sich die Frage, ob und wie Einschränkungen des Leistungsvermögens legasthener Schüler bei der Leistungserbringung und -bewertung auszugleichen sind. Insoweit wird zwischen Nachteilsausgleich und Notenschutz unterschieden. Unter Maßnahmen zum Nachteilsausgleich werden Anpassungen der äußeren Prüfungsbedingungen verstanden, z.B. Schreibzeitverlängerungen. Als Notenschutz werden Abweichungen von dem allgemeinen Maßstab der Leistungsbewertung

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BVerwG, Urt. v. 28.09.1995 - 5 C 21.93; OVG Lüneburg, Beschl. v. 10.03.2015 - 2 ME 7/15; Langenfeld, RdBJ 2009, 211, 213 f.

JM 2 bezeichnet, z.B. die Nichtberücksichtigung von Lese- und Rechtschreibleistungen im Fach Deutsch. Der zu entscheidende Fall gab dem BVerwG Gelegenheit, sich dazu zu äußern, inwieweit Legasthenikern Nachteilsausgleich und/oder Notenschutz zu gewähren ist und ob dies gegebenenfalls im Zeugnis dokumentiert werden darf. B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Der Kläger ist Legastheniker. Er bestand das Abitur an einem staatlichen Gymnasium in Bayern. Für die schriftlichen Arbeiten in Oberstufe und Abiturprüfungen nahm er Maßnahmen des Nachteilsausgleichs und des Notenschutzes in Anspruch, wie sie auf der Grundlage einer Verwaltungsvorschrift des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus gewährt werden. Danach erhielt der Kläger eine Verlängerung der Bearbeitungszeit (Nachteilsausgleich). Seine Rechtschreibleistungen flossen nicht in die Notengebung ein; in Fremdsprachen wurden seine mündlichen Leistungen im Verhältnis zu den schriftlichen höher gewichtet als bei seinen Mitschülern (Notenschutz). Die Maßnahmen des Notenschutzes wurden im Abiturzeugnis vermerkt. Das VG hat die gegen den Zeugnisvermerk gerichtete Klage abgewiesen, der VGH hat ihr stattgegeben. Auf die Revision des Beklagten hat das BVerwG das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt. Als Anspruchsgrundlage für die Entfernung des Zeugnisvermerks kommt nach Auffassung des BVerwG nur der in den Grundrechten und dem rechtsstaatlichen Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung wurzelnde allgemeine Folgenbeseitigungsanspruch in Betracht. Danach könne derjenige, der durch öffentlich-rechtliches Handeln der Verwaltung in seinen Rechten verletzt werde, von dieser verlangen, dass sie die andauernden unmittelbaren Folgen ihres rechtswidrigen Vorgehens rückgängig macht. Bei dem streitigen Vermerk handle es sich um einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Abschlusszeugnisse seien auch dazu bestimmt, bei Bewerbungen um einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz vorgelegt zu werden. Daher könnten Bemerkungen über gewährten Notenschutz, die auf ein vermindertes Leistungsvermögen schließen ließen, das Recht des Zeugnisinhabers beeinträchtigen, über die Offenlegung von Vorgängen und Zuständen aus seinem persönlichen Lebensbereich, insbesondere von Krankheiten und Behinderungen, selbst zu bestimmen. Sodann wendet sich das BVerwG der Frage der Rechtswidrigkeit des Eingriffs zu und prüft zunächst einen Verstoß gegen das prüfungsrechtliche Gebot der Chancengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG. Dabei wird die Unterscheidung zwischen Nachteilsausgleich und Notenschutz relevant.

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Das Gebot der Chancengleichheit solle sicherstellen, dass alle Prüflinge möglichst gleiche Chancen haben, die Leistungsanforderungen zu erfüllen. Danach sollten die Prüfungsbedingungen für alle Prüflinge möglichst gleich sein. Einheitliche Prüfungsbedingungen verletzten jedoch die Chancengleichheit jener Prüflinge, deren Fähigkeit, ihr vorhandenes Leistungsvermögen darzustellen, erheblich beeinträchtigt sei. Ihnen stehe unmittelbar aus Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG ein Anspruch auf Änderung der Prüfungsbedingungen zu. Individuelle Schwierigkeiten bei der Darstellung vorhandener Kenntnisse und Fähigkeiten seien durch geeignete Maßnahmen auszugleichen (z.B. längere Bearbeitungszeit, technische Hilfsmittel). Der Anspruch auf einen solchen Nachteilsausgleich dürfe nicht dadurch konterkariert werden, dass gewährte Ausgleichsmaßnahmen im Zeugnis vermerkt werden. Deshalb können, so das BVerwG weiter, Legastheniker in schriftlichen Prüfungen Maßnahmen des Nachteilsausgleichs zur Kompensation ihrer langsameren Lese- und Schreibgeschwindigkeit beanspruchen, insbesondere eine angemessene Verlängerung der Bearbeitungszeit. Eine solche war dem Kläger gewährt und – zu Recht – nicht in seinem Abiturzeugnis vermerkt worden. Was aber gilt, wenn gerade die Feststellung der Lese- und Rechtschreibfähigkeiten Prüfungszweck ist? Muss – mit der Folge der Unzulässigkeit eines entsprechenden Zeugnisvermerks – legasthenen Schülern zur Herstellung von Chancengleichheit Notenschutz gewährt, d.h. ihr eingeschränktes Leistungsvermögen bei der Leistungsbewertung berücksichtigt werden? Das BVerwG verneint dies: Schulische Abschlussprüfungen seien regelmäßig dazu bestimmt festzustellen, inwieweit Prüflinge über bestimmte Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen. Wegen dieses Prüfungszwecks sei ein einheitlicher Bewertungsmaßstab anzulegen, der keine Rücksicht darauf nimmt, aus welchen Gründen allgemeine Leistungsanforderungen nicht erfüllt werden. Es diene der Wahrung von Chancengleichheit nach Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG, diesen Maßstab an alle Prüfungsleistungen anzulegen, um aufgrund von Bewertungsrelationen die zur Notenbildung unverzichtbaren Mindest- und Durchschnittsanforderungen zu bestimmen. Davon mache der Notenschutz eine Ausnahme, führe zwangsläufig zu einer Verbesserung der Erfolgschancen und stelle mithin stets eine Bevorzugung derjenigen Prüflinge dar, denen er gewährt werde. Im Anschluss fragt das BVerwG danach, ob infolge des Verbots der Benachteiligung wegen einer Behinderung gem. Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG Notenschutz gewährt werden und ein Hinweis darauf im Zeugnis unterbleiben muss. Auch dies verneint es. Zwar könne sich die einheitliche Anwendung eines auf objektive Leistungsanforderungen abstellenden Bewertungsmaßstabs als von Art. 3 Abs. 3 Satz 2

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GG erfasste mittelbare Benachteiligung behinderter Prüflinge auswirken. Deshalb sei es von dem in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG enthaltenen Fördergebot gedeckt, Behinderten Notenschutz zu gewähren. Verfassungsrechtlich geboten sei dies indes nicht, weil die dadurch bedingte Bevorzugung behinderter Prüflinge mit verfassungsrechtlichen Schutzgütern kollidiere. Das BVerwG verweist zum einen auf die Chancengleichheit insbesondere jener Prüflinge, deren eingeschränktes Leistungsvermögen auf einer persönlichen Eigenschaft oder Veranlagung beruht, die keine Behinderung ist. Zum anderen sei es Sache der staatlichen Schulaufsicht nach Art. 7 Abs. 1 GG, die für einen Schulabschluss erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten, die Bedingungen für deren Nachweis und die durch den Abschluss vermittelte Qualifikation zu bestimmen. Dabei dürfe der Erwerb eines Abschlusses an den Nachweis eines allgemeinen Ausbildungs- und Kenntnisstandes geknüpft werden, was wiederum einen allgemeinen, an objektiven Leistungsanforderungen ausgerichteten Bewertungsmaßstab für die Notengebung bedinge. Abweichungen von diesem Maßstab beeinträchtigten die Aussagekraft der Noten und letztlich des Schulabschlusses. Mit der Ausrichtung der Bewertung am subjektiven Leistungsvermögen könnten je nach Reichweite Änderungen der Lernziele und ein schulischer Systemwechsel verbunden sein. Diese Erwägungen weisen den Weg zu dem Grund, aus dem das BVerwG den streitigen Zeugnisvermerk für rechtswidrig hält: Nach dem im Rechtsstaats- und Demokratieprinzip verankerten Vorbehalt des Parlamentsgesetzes sei die grundlegende Entscheidung über die Gewährung von Notenschutz für behinderte Schüler und dessen inhaltliche Ausgestaltung vom Gesetzgeber selbst zu treffen. Fehle es, wie hier, an einer gesetzlichen Regelung, seien sowohl die Gewährung von Notenschutz als auch ein entsprechender Zeugnisvermerk rechtswidrig. Gleichwohl verneint das BVerwG einen Folgenbeseitigungsanspruch des Klägers, und zwar – nicht ausdrücklich, aber der Sache nach – wegen Unzulässigkeit bzw. rechtlicher Unmöglichkeit der Folgenbeseitigung.2 Dazu verweist es auf den in der Rechtsprechung anerkannten Grundsatz, dass inhaltlich nicht zu beanstandende Regelungen, die einem bereichsspezifischen Gesetzesvorbehalt nicht genügen, zur Vermeidung noch verfassungsfernerer Zustände für einen Übergangszeitraum weiter anzuwenden sind, wenn und soweit dies unerlässlich ist, um grundrechtlich geschützte Positionen zu wahren oder die Funktionsfähigkeit der staatlichen Verwaltung sicherzustellen. Dies müsse, so das BVerwG, erst recht für die Rückabwicklung von Rechtsbeziehungen mit Wirkung für die Vergangenheit gelten. Daher stelle die inhaltlich nicht zu beanstandende Verwaltungsvorschrift, die der Gewährung von Notenschutz hier zugrun-

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de lag, weiterhin eine ausreichende Rechtsgrundlage dar. Denn die zur Herstellung rechtmäßiger Verhältnisse allein in Betracht kommende Neubewertung der Prüfungsarbeiten sämtlicher Schüler, denen rechtswidrig Notenschutz gewährt wurde, sei wegen der inzwischen vergangenen Zeit und der Vielzahl der Prüfungsleistungen aus tatsächlichen Gründen nicht mehr möglich. Da der Notenschutz somit nicht mehr rückgängig gemacht werden könne, seien aus Gründen der Chancengleichheit und der Aussagekraft der Abiturzeugnisse auch die materiell-rechtlich zulässigen Zeugnisvermerke beizubehalten. Durch Entfernung des Vermerks erhielte der Kläger einen unberechtigten Vorteil insbesondere gegenüber jenen legasthenen Schülern, die sich – mit Rücksicht auf sonst unvermeidlichen Vermerk – bewusst nicht um Notenschutz bemüht haben. C. Kontext der Entscheidung Die Entscheidung bestätigt die schon bislang einhellige Auffassung, dass Legastheniker zur Herstellung von Chancengleichheit in schriftlichen Prüfungen Maßnahmen des Nachteilsausgleichs, namentlich eine Verlängerung der Bearbeitungszeit, beanspruchen können, sofern die Feststellung der Rechtschreibung nicht Prüfungszweck ist.3 Im Schrifttum bestand darüber hinaus Einigkeit, dass Maßnahmen des Nachteilsausgleichs nicht im Zeugnis vermerkt werden dürfen.4 Ebenso war anerkannt, dass das Gebot der Chancengleichheit Prüflingen keinen Anspruch auf Notenschutz vermittelt, da ein auf das individuelle Leistungsvermögen zugeschnittener besonderer Bewertungsmaßstab über die Herstellung gleicher Ausgangsbedingungen für die Erbringung der Prüfungsleistung hinausgeht.5 Umstritten war, ob Notenschutz deshalb generell unzulässig6 oder nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG erlaubt7 oder sogar geboten8

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Zu dieser (negativen) Voraussetzung des Folgenbeseitigungsanspruchs vgl. BVerwG, Urt. v. 26.08.1993 - 4 C 24.91 - BVerwGE 94, 100, 112; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2011, § 30 Rn. 14. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 16.06.2009 - 3 M 16.09; VGH Kassel, Beschl. v. 05.02.2010 - 7 A 2406/09.Z; OVG Lüneburg, Beschl. v. 10.03.2015 - 2 ME 7/15; Cremer/Kolok, DVBl. 2014, 333, 336 f.; Langenfeld, RdBJ 2009, 211, 218 ff. Enuschat/Volino, Behindertenrecht 2009, 166, 167; Langenfeld, RdBJ 2009, 211, 226; Rux/Niehues, Schulrecht, 5. Aufl. 2013, Rn. 514. BVerwG, Beschl. v. 13.12.1985 - 7 B 210.85; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 16.06.2009 - 3 M 16.09; VGH Kassel, Beschl. v. 05.02.2010 - 7 A 2406/09.Z; OVG Lüneburg, Beschl. v. 10.03.2015 - 2 ME 7/15; Enuschat/Volino, Behindertenrecht 2009, 166, 167 f.; Langenfeld, RdBJ 2009, 211, 222 f. BFH, Beschl. v. 08.07.2008 - VII B 241/07; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 16.06.2009 - 3 M 16.09. OVG Lüneburg, Beschl. v. 10.03.2015 - 2 ME 7/15. Cremer/Kolok, DVBl. 2014, 333, 339 f.; Langenfeld, RdBJ 2009, 211, 223 f.

JM 2 ist, wobei zumindest anerkannt war, dass gewährter Notenschutz im Zeugnis dokumentiert werden darf.9 Das BVerwG vertritt die mittlere Position und sieht sich damit auf der Linie des BVerfG. Danach kommt Normgebern und Verwaltung bei der Verwirklichung des in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG enthaltenen Fördergebots regelmäßig ein Einschätzungsspielraum zu. Neben den Auswirkungen einer behinderungsbedingten Benachteiligung für den Betroffenen sind auch rechtlich schutzwürdige gegenläufige Belange sowie organisatorische, personelle und finanzielle Gegebenheiten in den Blick zu nehmen, was konkrete Ansprüche im Allgemeinen ausschließt.10 D. Auswirkungen für die Praxis Die bayerischen Regelungen über den Notenschutz sind bundesweit einzigartig. Sollte der bayerische Gesetzgeber daran festhalten oder ein anderer Landesgesetzgeber Notenschutz einführen wollen, dürfte er sich nicht darauf beschränken, den Verordnungsgeber ohne inhaltliche Vorgaben zur Regelung dieser Sachmaterie zu ermächtigen. Das BVerwG hält es vielmehr unter Hinweis auf die weitreichende Bedeutung des Notenschutzes für geboten, dass durch Gesetz zumindest der begünstigte Personenkreis, die erfassten schulischen Abschlussprüfungen, die Art und Weise des Notenschutzes sowie die Frage, ob gewährter Notenschutz im Zeugnis zu dokumentieren ist, geregelt werden. 9

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Cremer/Kolok, DVBl. 2014, 333, 337; Langenfeld, RdBJ 2009, 211, 226. Vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.10.1997 - 1 BvR 9/97 - BVerfGE 96, 288, 304 ff.

Steuerrecht

Aufwendungen eines Arbeitnehmers für die Feier des Geburtstages und der Bestellung zum Steuerberater BFH, Urt. v. 08.07.2015 - VI R 46/14 RiBFH Dr. Stephan Geserich A. Problemstellung Der BFH hatte in der Sache VI R 46/14 zu entscheiden, ob Aufwendungen des Steuerpflichtigen für eine Feier aus beruflichem und privatem Anlass (anteilig) als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit abziehbar sind.

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B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Der Kläger wurde im Februar des Streitjahres (2009) zum Steuerberater bestellt. Im April desselben Jahres war sein 30. Geburtstag. Zur Feier beider Ereignisse lud er Kollegen, Verwandte und Bekannte in die Stadthalle seines Wohnorts ein. Die Feier begann um 18:30 Uhr und wurde von einem 21-köpfigen Posaunenchor umrahmt. Von den 99 erschienenen Gästen waren 46 Arbeitskollegen und 32 Verwandte und Bekannte. In seiner Einkommensteuererklärung machte der Kläger die Aufwendungen für die Feier zunächst nicht geltend. Die Einkommensteuer wurde erklärungsgemäß festgesetzt. Mit dem Einspruch begehrte der Kläger nunmehr den teilweisen Abzug der Aufwendungen für die Feier als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit. Die Gesamtaufwendungen von 3.413,69 € (für Hallenmiete und Bewirtung) teilte er dabei unter Hinweis auf den Beschluss des Großen Senats des BFH vom 21.09.2009 (GrS 1/06 - BStBl. II 2010, 672) und das BMF-Schreiben vom 06.07.2010 (BStBl. I 2010, 614) nach Köpfen auf, wobei er 46 Personen (Geschäftsleitung und Berufskollegen) dem beruflichen Bereich und 53 Personen (private Gäste einschließlich Posaunenchor) dem privaten Bereich zuordnete. Hieraus ergab sich ein Betrag in Höhe von 1.586,34 € (3.413,69 € x 46,47 %), den der Kläger als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend machte. Das Finanzamt wies den Einspruch als unbegründet zurück. Die hiergegen erhobene Klage war ebenfalls erfolglos. Die Aufwendungen seien nicht beruflich veranlasst. Die Gesamtumstände sprächen vielmehr insgesamt für eine private Feier. Auch ein anteiliger Werbungskostenabzug komme – mangels objektivierbarer Kriterien für eine Aufteilung – nicht in Betracht.1 Dem ist der BFH mit der Besprechungsentscheidung entgegengetreten. Aufwendungen eines Arbeitnehmers für eine Feier aus beruflichem und privatem Anlass könnten zumindest anteilig als Werbungskosten abziehbar sein. Der als Werbungskosten abziehbare Betrag der Aufwendungen könne anhand der Herkunft der Gäste aus dem beruflichen/privaten Umfeld des Steuerpflichtigen abgegrenzt werden, wenn die Einladung der Gäste aus dem beruflichen Umfeld (nahezu) ausschließlich beruflich veranlasst sei. Hiervon könne insbesondere dann auszugehen sein, wenn nicht nur ausgesuchte Gäste aus dem beruflichen Umfeld eingeladen werden, sondern die Einladungen nach abstrakten berufsbezogenen Kriterien (z.B. alle Auszubildenden, alle Zugehörigen einer bestimmten Abteilung) ausgesprochen würden. Der BFH hat die Vorentscheidung deshalb aufgehoben und die Sache an das Finanzgericht zurückverwiesen.

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FG Baden-Württemberg, Urt. v. 19.04.2014 - 1 K 3541/12.

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C. Auswirkungen für die Praxis Die Entscheidung macht deutlich, dass zunächst zu klären ist, ob und in welchem Umfang die von einem Arbeitnehmer für die Durchführung einer Veranstaltung oder Feier getragenen Kosten beruflich oder privat veranlasst sind. Ergibt die Prüfung, dass die Aufwendungen nicht oder in nur unbedeutendem Maße auf privaten, der Lebensführung des Steuerpflichtigen zuzurechnenden Umständen beruhen, so sind sie grundsätzlich als Werbungskosten abzuziehen. Beruhen die Aufwendungen hingegen nicht oder in nur unbedeutendem Maße auf beruflichen Umständen, so sind sie nicht abziehbar. Für die danach erforderliche Beurteilung, ob die Aufwendungen beruflich oder privat veranlasst sind, ist nach der Rechtsprechung des Senats in erster Linie auf den Anlass der Feier abzustellen. Indes ist der Anlass einer Feier nur ein erhebliches Indiz, nicht aber das allein entscheidende Kriterium für die Beurteilung der beruflichen oder privaten Veranlassung der Bewirtungsaufwendungen. Trotz eines herausgehobenen persönlichen Ereignisses (Geburtstag, Hochzeit, Taufe, Priesterjubiläum2) kann sich deshalb aus den übrigen Umständen des Einzelfalls ergeben, dass die Aufwendungen für die Feier beruflich veranlasst sind. Umgekehrt begründet ein Ereignis in der beruflichen Sphäre (beispielsweise die Verabschiedung in den Ruhestand3, ein Dienstjubiläum4, eine Antrittsvorlesung5 oder nach der Besprechungsentscheidung die Bestellung zum Steuerberater) allein nicht die Annahme, die Aufwendungen für eine Feier seien (nahezu) ausschließlich beruflich veranlasst. Denn auch diese Ereignisse werden häufig im Rahmen eines privaten Festes unter Einschluss befreundeter Arbeitskollegen begangen. Ob die Aufwendungen Werbungskosten sind, ist daher anhand weiterer Kriterien zu beurteilen. So ist von Bedeutung, wer als Gastgeber auftritt, wer die Gästeliste bestimmt, ob es sich bei den Gästen um Kollegen, Geschäftsfreunde oder Mitarbeiter (des Steuerpflichtigen oder des Arbeitgebers), um Angehörige des öffentlichen Lebens, der Presse, um Verbandsvertreter oder um private Bekannte oder Angehörige des Steuerpflichtigen handelt. Zu berücksichtigen ist außerdem, an welchem Ort die Veranstaltung stattfindet, ob sich die finanziellen Aufwendungen im Rahmen vergleichbarer betrieblicher Veranstaltungen bewegen und ob das Fest den Charakter einer privaten Feier aufweist oder ob das nicht der Fall ist.6 Da Personen, die zusammen arbeiten, häufig auch private Kontakte untereinander pflegen, kann für die Zuordnung der Aufwendungen zum beruflichen oder privaten Bereich ferner bedeutsam sein, ob nur ausgesuchte Arbeitskollegen eingeladen werden oder ob die Einladung nach allgemeinen Kriterien ausgesprochen wird. Werden Arbeitskollegen wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten betrieblichen Einheit (z.B. alle Arbeitnehmer einer Abteilung) oder nach ihrer Funktion, die sie innerhalb des Betriebes ausüben (z.B. alle Außendienstmitarbeiter oder Auszubildenden), eingelad-

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en, legt dies den Schluss nahe, dass die Aufwendungen für diese Gäste (nahezu) ausschließlich beruflich veranlasst sind, und zwar auch dann, wenn der Steuerpflichtige zu einzelnen dieser nach abstrakten berufsbezogenen Gründen eingeladenen Kollegen freundschaftlichen Kontakt pflegen sollte. Werden demgegenüber nur einzelne Arbeitskollegen eingeladen, kann dies auf eine nicht nur unerhebliche private Mitveranlassung der Aufwendungen für diese Gäste schließen lassen und ein Abzug deshalb ausscheiden. Sind Aufwendungen für eine Feier gemischt veranlasst, weil daran sowohl Gäste aus dem privaten als auch dem beruflichen Umfeld teilgenommen haben, sind die Gesamtkosten anteilig nach Gästen aufzuteilen. Dabei obliegt die Beurteilung, ob Aufwendungen beruflich oder privat veranlasst sind, in erster Linie der tatrichterlichen Würdigung des Finanzgerichts. Das hat anhand einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls zu bestimmen, wo die Grenze zwischen betrieblichem und privatem Bereich verläuft und welche Indizien für sich allein ausreichend sind, um eine betriebliche Veranlassung zu bejahen.7 Die auf den einzelnen Gast entfallenden Kosten sind aber bei einer Feier wie unter den im Streitfall gegebenen Umständen mangels eines objektiven Aufteilungsmaßstabs entweder zur Gänze der beruflichen oder aber der privaten Sphäre zuzurechnen.8 Die Vorinstanz ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Das Urteil konnte deshalb keinen Bestand haben. Zum einen hat das Finanzgericht seiner Würdigung die unzutreffende Prämisse zugrunde gelegt, dass die Bestellung zum Steuerberater eher ein privates als ein berufliches Ereignis sei. Zum anderen hat es bei seiner Würdigung nicht geprüft, ob die eingeladenen Kollegen nach abstrakten berufsbezogenen Kriterien eingeladen wurden. Die Bestellung zum Steuerberater ist Voraussetzung für die Tätigkeit des Klägers als Steuerberater und stellt gleichsam den ersten Akt im Rahmen dieser Tätigkeit dar. Diesem Ereignis kann ungeachtet der Tatsache, dass es auch ein persönliches Ereignis im Leben des Klägers darstellt, (wie eine Zurruhesetzung9) der überwiegend berufsbezogene Charakter

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BFH, Beschl. v. 24.09.2013 - VI R 35/11 - BFH/NV 2014, 500. BFH, Urt. v. 11.01.2007 - VI R 52/03 - BStBl. II 2007, 317. BFH, Urt. v. 10.07.2008 - VI R 25/03 - BStBl. II 2007, 459. BFH, Urt. v. 10.07.2008 - VI R 26/07 - BFH/NV 2008, 1831. BFH, Urt. v. 11.01.2007 - VI R 52/03 - BStBl. II 2007, 317; BFH, Urt. v. 10.07.2008 - VI R 25/03 - BStBl. II 2007, 459; BFH, Urt. v. 10.07.2008 - VI R 26/07 - BFH/NV 2008, 1831; BFH, Beschl. v. 24.09.2013 - VI R 35/11 - BFH/NV 2014, 500. BFH, Beschl. v. 26.01.2010 - VI B 95/09 - BFH/NV 2010, 875; BFH, Urt. v. 19.06.2008 - VI R 33/07 - BStBl. II 2009, 11; BFH, Beschl. v. 24.09.2013 - VI R 35/11 - BFH/NV 2014, 500. BFH, Beschl. v. 21.09.2009 - GrS 1/06 - BStBl. II 2010, 672. BFH, Urt. v. 11.01.2007 - VI R 52/03 - BStBl. II 2007, 317.

JM 2 nicht abgesprochen werden. Das Finanzgericht wird davon ausgehend im zweiten Rechtsgang zu prüfen haben, ob die allein streitigen Aufwendungen für die Gäste aus dem beruflichen Umfeld (nahezu) ausschließlich beruflich veranlasst sind. Diese Annahme wird auch unter Berücksichtigung der Gestaltung der Feier im Streitfall insbesondere dann naheliegen, wenn die Einladung der Kollegen primär in der bestandenen Steuerberaterprüfung gründete und

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nicht von privaten Neigungen bestimmt war. Der Schluss auf rein berufliche Erwägungen für die Einladung einzelner oder aller Arbeitskollegen wird insbesondere dann in Betracht kommen, wenn und soweit diese nach abstrakten berufsbezogenen Kriterien eingeladen wurden, z.B. wenn der Kläger sämtliche Steuerberater des Unternehmens oder der Niederlassung, bei der er tätig ist, eingeladen haben sollte.

Strafrecht

Cybercrime – was ist das? StA Martin Reiter A. Einleitung Ist Ihr Computer Teil eines Botnetzes? Was ist ein Botnetz? Das ist der Name für eine Sammlung kompromittierter PCs, die ein Angreifer aus der Ferne kontrollieren kann. Dabei nutzen die Täter ein Schadprogramm, um möglichst viele Computer zu infizieren. Die einzelnen PCs eines Botnetzes werden meist „Bots“ oder „Zombies“ genannt. Also, Ihr Computer ist bestimmt keiner dieser Bots. Und bestimmt ist auch kein Computer aus Ihrer Familie oder aus Ihrem Freundeskreis betroffen. Und wie kommt es dann, dass nach seriösen Schätzungen etwa eine Million (BKA-Angaben) bzw. etwa 40 % (Spiegel Online) der deutschen PCs im Jahr 2015 Teil eines Botnetzes sind? Man stelle sich einmal vor, 40 % aller Kraftfahrzeuge in Deutschland würden täglich ohne Wissen ihrer Eigentümer von Kriminellen zur Begehung von Straftaten benutzt. Und die Kriminellen würden die Autos auch noch an andere Kriminelle vermieten. Und manchmal würden die Kriminellen das Auto auch nutzen, wenn der Berechtigte dabei ist. Schnell würden Forderungen nach politischen Lösungen und strikter Strafverfolgung laut. Warum ist dies bei den Botnetzen nicht so? Es gibt sicher eine Menge von Gründen. Viele Vorgänge im Internet sind für die Nutzer kaum verständlich. Daten kann man eben nicht sehen. Viele Nutzer fühlen sich hilflos. Und vielen Nutzern ist es schlichtweg egal, ob ihr Computer von Fremden gesteuert wird, solange die Videos auf Youtube oder vom letzten Urlaub ruckelfrei laufen. Jedenfalls hat dieses mangelnde Interesse an der Cybercrime dazu geführt, dass – und hier sind sich alle Experten einig – die Möglichkeiten der Strafverfolger den Möglichkeiten der Straftäter weit hinterherhinken. Und der Umgang mit den Botnetzen ist

nur ein kleines Beispiel dafür, wie gering die Wahrnehmung des Phänomens Cybercrime insgesamt ist. B. Das Phänomen Cybercrime Strukturell unterteilt man das Phänomenfeld Cybercrime, auch IuK-Kriminalität (also Internet- und Kommunikationskriminalität genannt), in zwei Bereiche: Die Vorschriften der IuK-Kriminalität im engeren Sinn orientieren sich an dem Leitbild vom Hacker, der in fremde Systeme eindringt, unberechtigt Daten erhebt und destruktiv Daten verändert. Unter IuK-Kriminalität im weiteren Sinne werden hingegen alle konventionellen Straftaten subsumiert, bei denen der Computer nur der effizienteren Durchführung dient. In der Praxis verlieren diese Unterscheidungen schnell an Bedeutung. Der klassische Hacker, der aus Edelmut, jugendlicher Tollheit oder dem Bedürfnis zu beweisen, was er drauf hat, in ein gesichertes System eindringt, ist in freier Wildbahn ein seltenes Exemplar. Wer in fremde Computersysteme eindringt, tut dies in aller Regel, um die gewonnenen Informationen aus dem System oder die Macht über das System zur Begehung weiterer Straftaten zu benutzen. Im Rahmen der Vorträge der diesjährigen BKA-CybercrimeConference in Wiesbaden wurde ein ebenso vielfältiges wie erschreckendes Bild der Lage im Bereich der Cybercrime in Deutschland gezeichnet: Die Cybercrime, die das Bundeskriminalamt im Fokus hat, ist eine Art verzerrtes Spiegelbild der legalen Wirtschaft. Diese Art der Cybercrime agiert global und spezialisiert. Viele der Täter verstehen ihre Tätigkeit als „Cybercrime-as-a-Service“. Manche Täter entwickeln Schadsoftware, also Viren und Ähnliches. Hierbei handelt es sich nicht wie früher um Programme, die einmalig in ein System

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eindringen und dort Befehle erteilen. Vielmehr werden die Programme entwickelt, um in Programme einzudringen und dann in der Folge weitere, jeweils aktuelle Schadprogramme jeglicher Couleur nachzuladen. Dies entspricht den Bereichen „Entwicklung und Produktion“ in der legalen Wirtschaft. Andere Täter bieten eine Art Qualitätskontrolle an und prüfen, ob die Schadsoftware von Securitysoftware gefunden werden kann. Wieder andere Täter übernehmen den Vertrieb, indem sie die Schadsoftware verteilen (Spamming), oder nur die Logistik, indem sie die dafür notwendigen (Bot-) Netze zur Verfügung stellen. Weitere Täter laden auf den vorpräparierten Systemen die Schadsoftware (Malware), die sie für ihre Zwecke brauchen, oder unternehmen mit den vorgenannten Mitteln einen Kontoeinbruch (Phishing) oder eine Erpressung (Ransom). Schließlich gibt es Spezialisten ähnlich den Bankern, die mit Finanz- oder Warenagenten arbeiten, das erlangte Geld einsammeln, waschen und schließlich auskehren. Dass in diesem Zusammenhang eine Vielzahl von weiteren Spezialisten ihre Dienste anbieten, indem sie Dropzones, also illegale Clouds, leerstehende Häuser und Packstationen zum Empfang betrügerisch bestellter Ware, Verschlüsselungsdienste oder vieles mehr vermieten, verwundert nicht. Erstaunlich ist, dass nicht noch viel mehr Täter im Bereich Cybercrime tätig sind. Ein jüngst vom BKA überführter Inhaber und Vermieter eines Botnetzes mit mehreren zehntausend Computern verfügte über keine computerspezifische Ausbildung. Er hatte sich einfach alles Notwendige in einschlägigen Internetchats angelesen. Ein weiterer Bereich der vom BKA ins Visier genommenen Straftaten findet im sog. Deep Web statt, also in dem Teil des Internets, der über normale Suchmaschinen nicht auffindbar ist. Das manchen bekannte Tor-Netzwerk ist hier schon fast ein alter Hut, da sich die Tätergruppierungen längst in anderen Bereichen bewegen. Das Deep Web ist primär eine Handelsplattform. Bezahlt wird mit Internetwährungen, von denen Bitcoins nur die bekannteste ist. Gehandelt wird alles, was nicht legal ist. Umstritten ist bislang lediglich, ob im Deep Web bereits erfolgreich Morde in Auftrag gegeben wurden. Die Attentäter von Paris sollen ihre Waffen teilweise aus dem Deep Web bezogen haben. Spuren führten über E-Mails auf ein Smartphone eines deutschen Händlers.

keiten im Netz kaum noch notwendig. Oberstaatsanwalt Dieter Kochheim, der Nestor der Internetstrafverfolgung in Deutschland, spricht hier von tatgeneigten Schwärmen, also Tätergruppen in verschiedenen Deliktsbereichen, die eine intensive Kommunikation betreiben und sich gelegentlich und vorübergehend zur Begehung von Straftaten zusammenschließen. Ihre Beteiligten zeichnen sich dadurch aus, dass keiner von ihnen zur Begehung von Straftaten überzeugt werden muss. Das legale Äquivalent dieses Phänomens in der Wirtschaft wird „fluide Netzwerke“ genannt. Die Täter arbeiten über längere Zeiträume, jeweils bei Gelegenheit, miteinander. Oft sind sie sich nie persönlich begegnet. Es herrscht gleichwohl ein großes Vertrauen untereinander. Das BKA begründet dies damit, dass im Bereich Internetkriminalität so viel Platz ist, dass Konkurrenzdenken noch nicht erforderlich ist. Die aus Straftaten gewonnenen Güter wie Kreditkartendaten werden untereinander für geringes Geld gehandelt. Der Einbrecher kann durch den Verkauf der Daten nicht nur Geld einnehmen. Er kann auch erfolgreich seine Spuren verwischen, wenn die Daten von Dutzenden anderer Täter verwendet werden. Da im Internet Entfernungen keine Rolle spielen, handeln die Täter oft im Ausland. Ob Phishing aus dem Ostblock, Enkeltrickbetrug per Internettelefonie aus der Türkei oder Betrug auf Internetautobörsen aus Großbritannien. Erstaunlich ist, dass die Betreiber der erfolgreichen illegalen Video-On-Demand-Seite „Kino.to“ von Deutschland aus agierten. „.to“ ist schließlich die Internetkennung von Togo. Neben dem wirtschaftlichen Komplex der Cybercrime steht der politisch-militärische, wobei hier die Grenzen zwischen Legalem und Illegalem vollends verschwinden. Der Datenhunger der Geheimdienste in Ost und West ist gigantisch. Er macht weder vor dem Abhören befreundeter Regierungen noch vor dem Hacken des Computernetzwerkes des Bundestages halt. In Form der staatlich geförderten Wirtschaftsspionage bekommt das Ausspähen von Daten eine eher wirtschaftliche Zielrichtung. Erspart man sich Luftangriffe, indem man mittels eines Computerwurmes (Stuxnet) eine Urananreicherungsanlage (im Iran) beschädigt, ist das Internet ein militärisches Mittel. D. Jugendschutz und Jugendkriminalität

C. Eine neue Tätergeneration Cybercrime hat eine neue Tätergeneration geschaffen. Sie hat oftmals keinen Bezug zum sonstigen kriminellen Milieu. Neben Personen, die eine besondere technische Affinität zum Medium Internet haben, sind hier als Organisatoren auch Mitglieder früherer Militär- oder Geheimdiensteinheiten aus dem Ausland zu finden. Feste Bandenstrukturen sind durch die vielfältigen Kommunikationsmöglich-

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Doch was hat das alles noch mit uns zu tun? Auch unterhalb der Sphären des BKA bestimmt das Internet und damit auch die Cybercrime zunehmend das Leben vieler Menschen. Ihres vielleicht nur in Maßen, aber betrachten Sie einmal den Umgang Ihrer Kinder, Enkel oder jungen Verwandten mit dem Medium. Gerade im Bereich der Jugendund Jugendschutzdelinquenz spielt Cybercrime eine zunehmende Rolle. So wurde neulich auf dem Mobiltelefon eines

JM 2 Fünftklässlers, der dasselbe renommierte Gymnasium wie meine Kinder besucht, Tierpornografie gefunden. Zur Annäherung an Kinder muss sich der pädophile Täter heute nicht mehr auf Spielplätze bemühen. Auf Kinder spezialisierte Chaträume gibt es zuhauf. Dort kann sich dieser Täter auch leicht als Minderjähriger ausgeben, um Nähe aufzubauen, die dann schlimmstenfalls in einem persönlichen Treffen endet. Mittlerweile gibt es übrigens auch Menschen, deren Hobby es ist, sich auf genau diesen Seiten gegenüber pädophilen Tätern als Kind auszugeben. Auch untereinander sind viele Kinder in einer Weise freizügig, die sich nur durch die dem Internet eigene gleichzeitige Intimität der Kommunikation und Einfachheit der Abläufe erklären lässt. Das Phänomen heißt Sexting und beinhaltet das Übersenden sexueller Inhalte mittels Internet. Die Legalität dieses Hobbys endet dort, wo Kinder unter 14 Jahren –vom Kommunikationspartner aufgefordert oder nicht – von sich selbst Bilder versenden, die kinderpornographische Schriften darstellen. In der Regel erfahren die Ermittlungsbehörden (und leider oft auch die Eltern) hiervon erst, wenn der vermeintliche Freund die Bilder längst online gestellt hat. E. Strafverfolgung und Internet Wie sehr die Internetkommunikation für Ermittlungen an Bedeutung gewonnen hat, zeigt sich nicht nur bei Ermittlungen wegen Cybercrimetaten. In Strafverfahren wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs sollte es, sofern Täter und Opfer sich kannten, zum Handwerkszeug der Polizei gehören, die Kommunikation zwischen den Beteiligten vor und nach der Tat zu durchforsten. In vielen Fällen werden Beschuldigte vom Tatvorwurf eindeutig entlastet, weil sich aus der Kommunikation ergibt, dass die sexuellen Handlungen einvernehmlich stattgefunden haben. Überhaupt birgt die internetbasierte menschliche Kommunikation einen steten Quell der Arbeit für die Strafverfolgung. War früher ein Schimpfwort auf dem Schulhof oder dem Marktplatz in Sekunden vom Winde verweht, bleibt es heute scheinbar für ewig im Internet erhalten und kann mit einem Klick von der ganzen Welt gesehen werden. Musste ein Stalker sich früher zumindest zeitweise bei Wind und Wetter vor das Haus seines Opfers stellen, um Aufmerksamkeit zu erregen, kann er dies heute deutlich komfortabler mittels Tablet vom Sofa aus erledigen. In einem vor kurzem abgeschlossenen Verfahren brachte der Täter trotz polizeilicher Entdeckung mehrfach Smartphones mit GPS am Pkw seiner Ex-Frau an, um sie orten zu können. In einem Stromkasten gegenüber ihrer Hauseingangstür verbaute er eine Wildkamera, die ihm natürlich online ihre Bilder übermittelte. Ein Sensor lag unter der Fußmatte. Obwohl die Polizei

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bei diesem Täter bereits wenige Wochen vorher durchsucht und umfangreiches Computermaterial sichergestellt hatte, durchsuchte sie zum zweiten Mal. Hierbei sagte der Täter zu den Polizisten, er habe so viele Computer, dass der Polizist einen Lieferwagen bestellen soll, wenn er alles mitnehmen wolle. Internettatmittel sind billig und leicht zugänglich. Neben all dem beinhaltet die Cybercrime auch noch eine Vielzahl wenig spektakulärer Delikte wie Betrügereien bei Online-Auktionen oder durch Online-Shops. Außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung sind es gerade diese Bereiche, in denen die Strafverfolgung aktuell ihre besten Erfolge erzielt. F. Ein Blick in die Zukunft Wie sieht nun die Zukunft der Cybercrime aus? Während im Bereich der Dienstleistungen und des Bankwesens (im Gegensatz zur Justiz) die durchgehende Digitalisierung weit fortgeschritten ist, wird in der Industrie derzeit „Industrie 4.0“ umgesetzt, also die Informatisierung der Fertigungstechnik und der Logistik bei der Maschine-zu-MaschineKommunikation. Wenn der Berechtigte dann über das Internet leichter Informationen abgreifen und Vorgänge steuern kann, kann der Unberechtigte dies auch. Ob er dies nur zur Industriespionage und zur Erpressung nutzen wird, ist offen. Im Privatbereich findet eher schleichend die Umstellung zum sog. „Internet der Dinge“ statt. Das „Internet der Dinge“ beschreibt die Entwicklung, dass PCs zunehmend als Geräte verschwinden und durch „intelligente Gegenstände“ mit eigener IP ersetzt werden. Ein mögliches Cybercrime-Szenario ist hier, dass ein Einbrecher zukünftig anhand der Daten der Smartwatch des Opfers erkennt, dass dieses nicht zu Hause ist, die Haustür gewaltlos öffnet und die Alarmanlage ausschaltet. Was internetbasiert gesteuert wird, kann gehackt werden. Das Opfer kann dann von Glück sprechen, wenn der Täter nicht, um seine Spuren zu verwischen, die Heizungs- oder Stromversorgung so manipuliert, dass das Haus abbrennt. Und das selbstfahrende Auto des Opfers ist am Ende sicher auch nicht mehr da. Die Strafverfolgung ist für diese Bedrohung durch Cybercrime nicht aufgestellt: Es fehlt bei den Polizeibehörden, Staatsanwaltschaften und Gerichten an Ausbildung und Manpower. So dauert die Auswertung eines sichergestellten Smartphones oder Computers (außer bei Kapitaldelikten) meist mehr als ein Jahr. Der gesamte Bereich der Rechtshilfe ist angesichts der Herausforderungen der Cybercrime völlig unterentwickelt. Auch hier sind Bearbeitungszeiten von über einem Jahr keine Ausnahme. Lediglich ein Mangel an Computern ist bei den Strafverfolgungsbehörden nicht festzustellen.

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Die Monatszeitschrift

NACHRICHTEN

staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister und wandte Keine Urhebervergütung für bloßes Bereitstellen von Fernsehgeräten in Hotelzimmern sich zudem gegen die Abgabe einer ihn betreffenden StrafDer BGH hat entschieden, dass ein Hotelbetreiber, der in seinen Gästezimmern Fernsehgeräte lediglich bereitstellt, der GEMA keine Vergütungen für Urheberrechte bezahlen muss (Beschl. v. 17.12.2015 - I ZR 21/14). Die GEMA hatte einen Berliner Hotelbetreiber verklagt, der seine 21 Zimmer mit Fernsehern und DVB-T-Zimmerantennen ausgestattet hat. Die GEMA war der Auffassung, dass der Hotelbetreiber dadurch in das Recht der Urheber- und Leistungsschutzberechtigten zur öffentlichen Wiedergabe ihrer Werke und Leistungen eingegriffen habe. Der Hotelbetreiber sollte für den Zeitraum vom 01.06.2010 bis zum 30.06.2011 765,76 Euro zahlen. Das AG Charlottenburg hatte der Klage stattgegeben. Nach erfolgloser Berufung beim LG Berlin hatte der Hotelbetreiber vor dem BGH Erfolg. Nach Auffassung des BGH habe die Beklagte durch das bloße Bereitstellen von Fernsehgeräten, mit denen Gäste des Hotels ausgestrahlte Fernsehsendungen über eine Zimmerantenne empfangen können, weder das Senderecht noch das Recht der Wiedergabe von Funksendungen und auch kein unbenanntes Recht der öffentlichen Wiedergabe verletzt. Die Rechte der Urheberund Leistungsschutzberechtigten wegen einer öffentlichen Wiedergabe ihrer Werke und Leistungen beruhten auf Richtlinien der EU (Art. 3 Abs. 1 der RL 2001/29/EG und Art. 8 der RL 2006/115/EG). Der Begriff der öffentlichen Wiedergabe i.S.v. § 15 Abs. 3 UrhG sei deshalb in Übereinstimmung mit den entsprechenden Bestimmungen dieser Richtlinien und der dazu ergangenen Rechtsprechung des EuGH auszulegen. Danach setze eine öffentliche Wiedergabe eine Handlung der Wiedergabe voraus. Diese nehme bspw. der Betreiber eines Hotels, der die Sendesignale von Fernsehprogrammen über eine Verteileranlage an die Fernsehgeräte in den Gästezimmern weiterleitet, vor. Das bloße Bereitstellen von Einrichtungen, die eine Wiedergabe ermöglichen, stelle hingegen keine Wiedergabe dar.

Erfolglose Verzögerungsbeschwerde wegen Dauer eines Verfassungsbeschwerdeverfahrens Das BVerfG hat eine Verzögerungsbeschwerde zurückgewiesen, mit der der Beschwerdeführer die Dauer seines abgeschlossenen Verfassungsbeschwerdeverfahrens als unangemessen lang rügte (Beschl. v. 08.12.2015 - 1 BvR 99/11 - Vz 1/15). Der Beschwerdeführer verlangte im Ausgangsverfahren die Löschung seiner personenbezogenen Daten aus dem

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akte an das Landesarchiv NRW. Gegen die Zurückweisung seiner Begehren durch die Staatsanwaltschaft beantragte er beim Oberlandesgericht einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung, der jedoch als unbegründet verworfen wurde. Hiergegen erhob er im Oktober 2010 Verfassungsbeschwerde. Nachdem er im Februar 2015 Verzögerungsrüge erhob, wurde ihm im Juni 2015 der Nichtannahmebeschluss zugesandt. Der Beschwerdeführer reichte daraufhin im September 2015 seine Verzögerungsbeschwerde ein. Nach Auffassung des BVerfG sei auch eine längere Verfahrensdauer für sich gesehen nicht ohne Weiteres unangemessen; hierfür bedürfe es außergewöhnlicher Besonderheiten, an denen es vorliegend fehle. Der Gesetzgeber habe auf eine generelle Festlegung, wann ein Verfahren vor dem BVerfG unangemessen lang sei, verzichtet. Stattdessen habe er maßgeblich auf die Umstände des Einzelfalles unter Berücksichtigung der Besonderheiten abgestellt, die sich aus den Aufgaben und der Stellung des BVerfG ergeben. Mit rund vier Jahren und acht Monaten sei die Verfahrensdauer hier zwar ungewöhnlich lang gewesen. Dies sei aber durch Sachgründe – insbesondere durch die hohe Belastung des Berichterstatterdezernats – gerechtfertigt und damit nicht unangemessen.

„Enge“ Bestpreisklauseln kartellrechtswidrig Das Bundeskartellamt hat die weitere Verwendung der Bestpreisklauseln von „Booking“, die regeln, dass Hoteliers bei einer Kooperation mit „Booking“ ihre Zimmer auf ihren eigenen Homepages nicht günstiger anbieten dürfen als auf dem Hotelbuchungsportal selbst, untersagt. Bis zum 31.01.2016 hat der Anbieter nun Zeit, die Verträge und AGB anzupassen, soweit hiervon Hotels in Deutschland betroffen sind. Die Entscheidung begründet die Behörde damit, dass die Klausel sowohl jede Konkurrenz zwischen den Onlineportalen als auch den Wettbewerb zwischen den Hotels selbst unterbinde. Sie verletze weiterhin die Preissetzungsfreiheit der Hotels und erschwere neuen Plattformanbietern den Marktzutritt. „Booking“ verpflichtete Hotels ursprünglich sogar, dem Portal den niedrigsten Zimmerpreis, die höchstmögliche Zimmerverfügbarkeit und die günstigsten Buchungs- und Stornierungsbedingungen anzubieten („weite Bestpreisklausel“). Im Laufe des Verfahrens hatte das Unternehmen dann angeboten, eine modifizierte Bestpreisklausel einzuführen. Danach erlaubt Booking den Hotels zwar, ihre Zimmer auf anderen Hotel-Portalen preiswerter anzubieten, schreibt ihnen aber weiterhin vor, dass der Preis auf der hoteleigenen Website nicht niedriger sein dürfe als bei „Booking“ („enge Bestpreisklausel“).

BÜCHERSCHAU

Tillmann/Schiffers/Wälzholz/Rupp, Die GmbH im Gesellschafts- und Steuerrecht, Handbuch Begründet von Bert Tillmann und Willi Winter, bearbeitet von Joachim Schiffers, Eckhard Wälzholz, Christoph Rupp und Gabriel Recnik Dr. Otto Schmidt Verlag, 6. Aufl. 2015, 750 Seiten, gebunden, 79,80 €, ISBN 978-3-504-32166-6

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Insgesamt handelt es sich auch bei der Neuauflage um ein Buch, das jedem empfohlen sei, der in der Praxis des Gesellschafts- und Steuerrechts GmbHs zu beurteilen bzw. zu beraten hat – ein umfassendes Werk zum Gesellschaftsund Steuerrecht der GmbH, das der stets steigenden Komplexität des Steuer- und Gesellschaftsrechts präzise und detailgenau in umfassender Weise gerecht wird.

RiBFH Prof. Dr. Monika Jachmann-Michel Das Werk zur GmbH im Gesellschafts- und Steuerrecht ist das Ergebnis der praktischen Tätigkeit der Autoren. Ziel ist es, die steuerberatenden Berufe mit dem GmbH-Recht und die Rechtsberater mit dem Steuerrecht der GmbH und ihrer Gesellschafter vertraut zu machen. So liegt der Fokus vor allem auf den Abhängigkeiten und Verzahnungen von Gesellschafts- und Steuerrecht. In diesem Sinne sind die Stoffgebiete aufeinander abgestimmt und insbesondere durch ständige Querverweisungen verbunden. Das Buch orientiert sich an der gestaltenden und beratenden Praxis. Der klar strukturierte Aufbau des Werkes folgt dem Leben einer GmbH, beginnend mit der Gründung über den gesellschaftlichen Alltag (Gesellschafterversammlung/Geschäftsführer/ Beirat/Jahresabschluss/Ein- und Austritt von Gesellschaftern) bis hin zu ihrer Beendigung (Liquidation/Insolvenz). Die Einzeldarstellung ist knapp wie präzise und arbeitet mit Beispielen und Hinweisen. Sechs Jahre nach der 5. Auflage des Praxisbuches, die insbesondere Gesetzesreformen wie die Unternehmenssteuerreform 2008 und das MoMiG einführte, werden zahlreiche BGH-, BFH- und FG-Entscheidungen sowie Erlasse und Verfügungen aufgearbeitet, die v.a. im Anschluss an die genannten Reformen in der Beratungs- und Gestaltungssituation zu berücksichtigen sind. Dies gilt etwa für das Eigenkapitalersatzrecht. Behandelt werden auch die neuere Rechtsprechung zur Auslandsbeurkundung von Geschäftsanteilsabtretungen wie zur Liberalisierung des Firmenrechts und die Änderungen im Gesellschaftsinsolvenzrecht. Im Steuerrecht waren v.a. die Neuregelungen zur Abgeltungsteuer in ihrer zunehmenden Komplexität aufgezeigt. Der wesentlichen praktischen Bedeutung von Steuerbilanzrecht und Gewerbesteuer wird durch eine eingehendere Kommentierung Rechnung getragen. Erstmals enthält die 6. Auflage einen Abschnitt zur GmbH im Unternehmensverbund, dies mit Blick auf die typisch mittelständische GmbH. Das Werk ist von höchster Aktualität. Das kurz vor Redaktionsschluss in Kraft getretene Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen wurde ebenso berücksichtigt wie das soeben verabschiedete Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz (BilRUG), der Entwurf der Körperschaftsteuer-Richtlinie 2015 sowie der Referentenentwurf zur Anpassung des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des BVerfG.

Rödder/Herlinghaus/Neumann, Körperschaftsteuergesetz, Kommentar Herausgegeben von Thomas Rödder, Andreas Herlinghaus, Ralf Neumann Dr. Otto Schmidt Verlag, 2015, 2.383 Seiten, gebunden, 169,00 €, ISBN 978-3-504-23096-8 RiBFH Prof. Dr. Monika Jachmann-Michel Beim überwiegenden Teil der in Deutschland ansässigen Konzerne handelt es sich um Kapitalgesellschaften, zum Teil auch um Organschaften; die GmbH ist die wichtigste Rechtsform des Mittelstandes. Schon dies zeigt die zentrale Rolle des Körperschaftsteuerrechts. Hinzu kommt seine Relevanz für die Besteuerung des immer noch wachsenden sog. dritten Sektors und seine Verzahnung mit der Gewerbesteuer. Diese zentrale praktische Bedeutung des Körperschaftsteuerrechts geht einher mit seiner strukturellen Unübersichtlichkeit und permanenten Veränderungen. Vor diesem Hintergrund legt ein kompetentes Autorenteam aus Beraterschaft, Finanzgerichtsbarkeit wie Finanzverwaltung einen neuen Kommentar vor, der das KStG systematisch erfasst und aus Sicht der Praxis umfassend wie auch wissenschaftlich fundiert aufbereitet. Schon die Zusammensetzung des Autorenteams vermeidet eine einseitige Perspektive. Bedient werden dabei Großunternehmen wie auch der Mittelstand mit seinen typischen Fragestellungen. Jede Einzelkommentierung wird eingeleitet von einer – jeweils parallel gestalteten – übersichtlichen Gliederung sowie einem fundierten Literaturverzeichnis und führt den Leser in die jeweilige Vorschrift mit einer Darlegung ihrer Grundaussagen ein. Dem folgt eine kompakte Information zu den einzelnen Detailregelungen gerade mit Blick auf beratungsrelevante Themen. Das ebenso umfassende wie systematische Stichwortverzeichnis erleichtert die Arbeit mit dem Kommentar. Das Werk ist von höchster Aktualität, ist doch der Rechtsstand bis zum Zollkodex-Anpassungsgesetz berücksichtigt. Format wie Schriftbild machen dem Leser die Arbeit mit dem Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG angenehm. Das Werk sollte jeder, der im Körperschaftsteuerrecht arbeitet, zur Hand haben.

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Die Monatszeitschrift

Heinz Jürgen Steiniger

DIE AUTOREN

Martin Reiter

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Familienrecht sowie Notar

Staatsanwalt Der Autor ist Staatsanwalt und IuK-Koordinator bei der Staatsanwaltschaft Saarbrücken. Er ist Dozent an der Universität des Saarlandes und hält bundesweit Vorträge über Straftaten im Internet sowie über Sexual- und Beziehungsdelikte.

Seit 1991 in der Kanzlei Blümer/ Reiche/Halstrick und Partner in Duisburg mit den Schwerpunkten Familien- und Erbrecht tätig. Prüfer im Zweiten Juristischen Staatsexamen beim Justizprüfungsamt Düsseldorf und Dozent bei der Notarkammer Celle. Weiterhin publiziert Herr Steiniger regelmäßig zu familien- und erbrechtlichen Themen.

Dr. Carolin Kühne, Master en droit Rechtsanwältin und Mediatorin Studium der Rechtswissenschaften in Bonn und Saarbrücken, Speyer, Turin, Rom, Lille und Warwick. Promotion über ein rechtsvergleichendes Thema zum Vertragsrecht. Rechtsanwältin/ Knowledge Management Lawyer bei Freshfields Bruckhaus Deringer in Frankfurt, davor mehrjährige Tätigkeit als Syndikusanwältin im Bankwesen. Ausbildung zum systemischen Businesscoach und Vorträge zu den Schnittstellen Jura und Kommunikation.

Herausgeber: Vors. Richter am BSG Prof. Dr. Thomas Voelzke, Kassel Richterin am BFH Prof.Dr. Monika Jachmann-Michel, München Vizepräsident des LG Holger Radke, Mannheim Prof. Dr. Stephan Weth, Universität des Saarlandes, Saarbrücken Rechtsanwalt Prof. Dr. Christian Winterhoff, Hamburg Expertengremium: Vors. Richter am BGH a.D. Wolfgang Ball, Lemberg Rechtsanwalt Prof. Dr. Guido Britz, Homburg Vizepräsident des LAG a.D. Dr. Heinz-Jürgen Kalb, Köln Richter am BVerwG Prof. Dr. Harald Dörig, Leipzig Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. mult. Michael Martinek, Universität des Saarlandes, Saarbrücken Weiterer aufsichtsführender Richter am AG Dr. Wolfram Viefhues, Oberhausen Redaktion: RA Daniel Schumacher, stv. Ass. iur. Sebastian Butschkau Medieninhaber und Verlag: juris GmbH, Juristisches Informationssystem für die Bundesrepublik Deutschland, Gutenbergstraße 23, 66117 Saarbrücken, Tel.: 0681 5866-0, Fax: 0681 5866-239, E-Mail: [email protected] Geschäftsführer: Samuel van Oostrom, Johannes Weichert, Aufsichtsratsvorsitzender: Ministerialdirektor a.D. Gerrit Stein Manuskripte: Der Verlag haftet nicht für Manuskripte, die unverlangt eingesendet werden. Mit Annahme der Veröffentlichung erwirbt der Verlag das ausschließliche Verlagsrecht, insbesondere auch das Recht zur Herstellung elektronischer Versionen sowie das Recht zu deren Vervielfältigung onlineoder offline ohne zusätzliche Vergütung.

Dr. Oliver Schur Richter am Sozialgericht Dr. Oliver Schur war zunächst von 2000 bis 2009 überwiegend in leitenden Funktionen bei einem Sozialversicherungsträger tätig. Seither ist er Richter am Sozialgericht in Hildesheim und dort mit Verfahren aus dem Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II), der gesetzlichen Krankenversicherung (SGB V), der gesetzlichen Rentenversicherung (SGB VI) und der gesetzlichen Unfallversicherung (SGB VII) befasst. Von 2013 bis 2015 war er an das BSG abgeordnet und dort für den für die gesetzliche Unfallversicherung zuständigen 2. Senat sowie für den für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen 4. Senat tätig.

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IMPRESSUM

Urheber-und Verlagsrechte: Alle veröffentlichten Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Das gilt auch für die Leitsätze der Gerichtsentscheidungen, soweit sie vom Autor bearbeitet wurden. Der Rechtsschutz gilt auch gegenüber Datenbanken und ähnlichen Einrichtungen. Eine Reproduktion oder Übertragung in maschinenlesbare Sprache ist – außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes – nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags gestattet. Erscheinungsweise: 11 Ausgaben jährlich, davon ein Doppelheft (August/ September), sowie als Beilage zum Anwaltsblatt Bezugspreis: Im Jahresabonnement 180,- Euro zuzüglich Versandkosten incl. Online-Zugang unter juris.de Das Jahresabonnement verlängert sich um ein Jahr, wenn es nicht sechs Wochen vor Jahresende gekündigt wird. Bestellungen: Über jede Buchhandlung und beim Verlag Satz: Datagroup Int. Timisoara Druck: L.N. Schaffrath GmbH &Co.KG Druck Medien, Marktweg 42-50, 47608 Geldern ISSN: 2197-5345

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NEUES VON juris

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Die Top-Titel des Fachbereichs – der Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht sowie drei renommierte Fachzeitschriften – liefern Ihnen vertiefende Analysen zu den aktuellen, grundlegenden und praxisrelevanten Themen des Kartell- und Vergaberechts.

Die Gemeinschaft starker Partner unter der Dachmarke jurisAllianz, bestehend aus den Verlagen Dr. Otto Schmidt, De Gruyter, Erich Schmidt, C.F. Müller, Verlagsgruppe Hüthig Jehle Rehm, Stollfuß Medien, dem Bundesanzeiger Verlag und juris, verbindet mit den juris PartnerModulen die Leuchtturmtitel der jeweiligen Print-Verlage mit der einzigartigen juris Datenbankrecherche in einem Arbeitsschritt. Recherchieren Sie in den Werken führender juristischer Fachverlage, aufbereitet in der bewährten juris Qualität und professionell verlinkt mit der juris Rechtsprechung, dem juris Bundesrecht sowie den einzigartigen juris Abstracts aus der Fachliteratur. So verläuft die Recherche besonders effektiv und komfortabel. Mehr unter: www.juris. de/partnermodule juris PartnerModul Sozialrecht premium partnered by Erich Schmidt Verlag | C.F. Müller | Bundesanzeiger Verlag | Verlag Dr. Otto Schmidt Die Premium-Variante des juris PartnerModuls Sozialrecht ergänzt dessen Inhalte um 40 weitere renommierte Titel. Enthalten sind u. a. sämtliche Bände des Hauck/Noftz-SGB-Gesamt-kommentars sowie des – ständig online aktualisierten – juris PraxisKommentars SGB und zahlreiche weitere Zeitschriften, Kommentare und Handbücher von verschiedenen Verlagen.

juris PartnerModul Insolvenzrecht partnered by C.F. Müller | De Gruyter | Erich Schmidt Verlag | Verlag Dr. Otto Schmidt | RWS Verlag Insgesamt enthält das Modul vier Kommentare zur Insolvenzordnung, darunter den „Jaeger“, das traditionsreiche Standardwerk, in dem über das eigentliche Insolvenzrecht hinaus umfassend die Abwicklung und Neugestaltung aller damit verbundenen und betroffenen Rechtsbeziehungen kommentiert wird. Neben der DZWIR sind zahlreiche weitere hochkarätige Zeitschriften in das Modul integriert. Die Anwender recherchieren außerdem in über 30 Handbüchern zu Themen wie Insolvenzverfahren, -anfechtung, Sanierungsrecht und Zwangsvollstreckung. Bezüge zu angrenzenden Rechtsgebieten wie Bau-, Immobilien-, Steuer-, Straf- und Zivilrecht werden auch hier umfassend berücksichtigt. jM-Einbanddecke 2014/2015 Über unseren jurisAllianz-Partner Verlagsgruppe Hüthig Jehle Rehm können für die monatlich erscheinende Fachzeitschrift jM auch Einbanddecken bestellt werden. Der Preis der Einbanddecke (Ausl.Nr.: HR193320) für die 22 Hefte der Jahrgänge 2014/2015 incl. Jahresverzeichnis beträgt 15 € incl. MwSt. Kontakt: 089 / 2183 7928 oder kundenservice @hjr-verlag.de

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Durch die intelligente Verknüpfung der führenden Titel im Kartellrecht mit den ausgezeichneten Inhalten der juris Datenbank erhalten Sie ein hervorragendes Produktpaket. Hier finden Sie alles, was Sie für die exakte Beantwortung kartellrechtlicher Fragen brauchen: Eingebettet in die angrenzenden Bereiche im Wettbewerbs- und Immaterialgüterrecht stehen Ihnen fachkundige Erläuterungen zu den praktischen Auswirkungen der deutschen und europäischen kartellrechtlichen Vorschriften zur Verfügung.

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Die Monatszeitschrift

NEUES VON juris

juris Lex Band 8 Handels- und Gesellschaftsrecht (Gesamtausgabe Bund und Länder) Neben den handels- und gesellschaftsrechtlichen Gesetzen sind auch Normen aus dem allgemeinen Zivilrecht und dem Versicherungsrecht enthalten. Die Sammlung enthält unter anderem das Handelsgesetzbuch und das Einführungsgesetz zum Handelsgesetzbuch, daneben aber auch das Aktiengesetz, das Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung und das Wertpapierhandelsgesetz.

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Neue Bände und Infos zum Aktualisierungscheck finden Sie unter: www.juris.de/Lex juris Informationsforen Aktuelle Termine finden Sie immer online unter: www. juris.de/veranstaltungen Informationsforum Stuttgart 18.02.2016 Informationsforum Saarbrücken 25.02.2016 Informationsforum Magdeburg 02.03.2016

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Veranstaltungen Weitere Termine online unter: www.juris.de/veranstaltungen LAT Bremen, Justizzentrum Am Wall 12.02.2016 3. IT-Forum der sächsischen Justiz, Dresden 09.03.2016 105. Bibliothekarstag, Leipzig 14. – 17.03.2016

Schlegel

Voelzke

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Neu: 3. Auflage Die Neuauflage kommentiert die wichtigen Gesetzesnovellen, die das SGB V in 2015 und 2016 prägen. Neben dem GKV-VSG und dem PräVG werden die Reformen durch das Krankenhausstrukturgesetz (KHSG) und die Verbesserungen bei der Hospiz- und Palliativversorgung (HPG) berücksichtigt. Der mit der juris Datenbank verlinkte Online-Kommentar wird ständig aktualisiert. www.juris.de/sgbv

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