Gewalt und Aggression in der Pflege

Bakkalaureatsstudium Gesundheits- und Pflegewissenschaft Medizinische Universität Graz Stephanie Mayer Matrikel Nummer: 0533952 Gewalt und Aggressio...
Author: Gerrit Schubert
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Bakkalaureatsstudium Gesundheits- und Pflegewissenschaft Medizinische Universität Graz

Stephanie Mayer Matrikel Nummer: 0533952

Gewalt und Aggression in der Pflege Bakkalaureatsarbeit

Unter der Betreuung von Antje Tannen, RN, MA, MPH Charité Universitätsmedizin Berlin Department of nursing science Augustenburger Platz 1 13353 Berlin

Im Rahmen der Lehrveranstaltung Gesundheitsförderung und spezifische Aspekte in der Pflege, WS 07/08

Graz, Mai 2009

1

EHRENWÖRTLICHE ERKLÄRUNG

Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Bachelorarbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst habe, andere als die angegebenen Quellen nicht verwendet

habe

und

die

den

benutzten

Quellen

wörtlich

oder

inhaltlich

entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Weiter erkläre ich, dass ich diese Arbeit in gleicher oder ähnlicher Form noch keiner anderen Prüfungsbehörde vorgelegt habe.

Graz, 25. Mai 2009

Stephanie Mayer

2

Inhalt 1.)

Einleitung .......................................................................................................... 5

2.)

Methode ............................................................................................................ 5

3.)

Definition von Gewalt ........................................................................................ 6

3.1.) Indirekte Gewalt .............................................................................................. 6 3.2.) Strukturelle Gewalt .......................................................................................... 6 3.3.) Kulturelle Gewalt ............................................................................................. 7 3.4.) Direkte und personale Gewalt ......................................................................... 7 4.)

Definition von Aggression ................................................................................. 8

4.1.) Aggressionstheorien ....................................................................................... 9 4.1.1) Biologische Aggressionstheorien ............................................................... 9 4.1.2.) Psychologische Aggressionstheorien ....................................................... 9 4.1.3.) Soziologische Aggressionstheorien .......................................................... 9 4.2) Aggressionsverstärkende und –mindernde Faktoren ..................................... 10 4.3.) Reaktion von Pflegenden auf aggressives Verhalten .................................... 10 4.3.1.) Gefährlichkeitscheckliste ........................................................................ 10 4.3.2.) Handlungsablauf unterbrechen ............................................................... 11 4.3.3.) Gründe für das Verhalten klären ............................................................. 12 4.3.4.) Beruhigen ............................................................................................... 12 4.3.5.) Aus dem Weg gehen .............................................................................. 12 4.3.6.) Hilfe holen ............................................................................................... 12 4.3.7.) Ignorieren des aggressives Verhaltens ................................................... 12 4.3.8.) Verharmlosen oder verniedlichen ........................................................... 13 4.3.9.) Drohen und bestrafen ............................................................................. 13 4.4.) Mögliche Erklärungen von aggressiven Verhalten ........................................ 13 4.4.1.) Mögliche Erklärungen für das Verhalten des Bewohners ....................... 13 4.4.2.) Mögliche Erklärungen- ausgelöst durch die Pflegeperson ...................... 14 5.)

Aggressives Verhalten von PflegerInnen ........................................................ 15 3

5.1.) Aggressionsformen der Pflegenden in den ABEDL´s .................................... 16 5.2.) Das Fixieren des Patienten- ein heikler Punkt............................................... 18 5.3.) Einteilung der von Pflegenden ausgehenden Formen von Gewalt ................ 19 5.4.) Patiententötung durch Pflegende .................................................................. 20 6.)

Schweigende Dritte......................................................................................... 23

7.)

Folgen von Gewaltandrohung auf Pflegende .................................................. 23

8.)

Umgang mit Gewalt ........................................................................................ 26

9.)

Vorbeugung gegen Gewalt ............................................................................. 27

9.1.) Deeskalationstraining .................................................................................... 28 10.)

Rechtliche Aspekte der Gewalt in der Pflege .................................................. 29

11.)

Diskussion ...................................................................................................... 31

12.)

Literaturverzeichnis......................................................................................... 33

4

1.) Einleitung

Immer wieder hört oder liest man von erschreckenden Zuständen in Alten- oder Pflegeheimen, in denen PatientInnen geschlagen oder misshandelt werden. Da derartige Missstände meist auf Überforderung des Pflegepersonals zurückzuführen sind, ist es wichtig, Aufklärungsarbeit zu leisten und überforderten Pflegepersonen Hilfe anzubieten. Als ich mich in die Thematik eingelesen und zu recherchieren begonnen habe, habe ich auch sehr viel über Gewalt gegen Pflegende gelesen und auch diesen Punkt sehr interessant gefunden. Im Zuge meines Studiums habe ich leider nicht viel über das Thema „Gewalt in der Pflege“ gehört, deshalb habe ich mich für dieses Thema entschieden.

2.) Methode

Um mir einen ersten Überblick über mein Thema zu verschaffen, habe ich zuerst im Internet nach passender Literatur gesucht. Diese Suche erfolgte vorerst über Google Scholar sowie Pubmed. Für die Suche habe ich folgende Keywords verwendet: 

Misshandlung- abuse



Vernachlässigung- neglect



Pflegebedürftige- care recipient



Altenpflege- care service

Nachdem ich mich in die Thematik eingelesen hatte, habe ich meine Arbeit gegliedert und nochmals eine gezielte Literaturrecherche durchgeführt. Für die Erstellung meiner Arbeit habe ich schlussendlich Literatur aus der Bibliothek und Artikel aus dem Internet verwendet.

5

3.) Definition von Gewalt

Es gibt zahlreiche Versuche, Aggression und Gewalt zu definieren. Für dieses Thema sind natürlich nur die Definitionen von Bedeutung, die sich auf Pflege beziehen. Grundsätzlich kann man sagen, dass Aggression und Gewalt als Schädigung, Kränkung und Verletzung einer anderen Person gesehen werden kann. 1

Es gibt verschiedene Formen von Gewalt, welche ich hier kurz erläutern möchte:

3.1.) Indirekte Gewalt

Unter indirekter Gewalt versteht man eine durch Rahmenbedingungen bestimmte, oder kulturelle Gewalt. Zum Beispiel: Ein Mann, der es gewohnt war erst gegen Mitternacht schlafen zu gehen und am nächten Tag bis etwa halb 9 Uhr zu schlafen und gegen halb 10 sein Frühstück einzunehmen, muss ins Pflegeheim. Nun wird er gezwungen, sich den strukturellen Bedingungen des Heimes anzupassen. Er wird um sieben Uhr geweckt, muss um acht Uhr frühstücken und bereits um zwölf Uhr Mittagessen. Das ist indirekte Gewalt des Heimes gegen den Bewohner, da sich das Heim an Arbeits- und organisatorischen Regeln orientiert, anstatt an den Bedürfnissen des Bewohners. 2

3.2.) Strukturelle Gewalt

Unter struktureller Gewalt versteht man zum Beispiel den Mangel an Personal oder an Privatsphäre im Heim. Opfer von struktureller Gewalt sind sowohl die Pfleger als

1 2

Vgl. Kienzle/ Paul-Ettlinger (2007), S.16 Vgl. Grond (2007), S.14

6

auch die Pflegebedürftigen. Strukturelle Gewalt entsteht durch politisch zu verantwortende Gesetze oder auch durch wirtschaftliche Rahmenbedingungen.3

3.3.) Kulturelle Gewalt

Oft werden kulturelle Traditionen und Sitten dazu missbraucht, direkte und strukturelle Gewalt zu rechtfertigen oder zu legitimieren. So werden alte Menschen oft als Last abgewertet und somit auch die Menschen, die sich um sie kümmern (Pflegende). Durch negative Erwartungen der Gesellschaft an alte, kränkliche Menschen, wird auch das Selbstwertgefühl des Pflegepersonals abgewertet. „Haben Sie denn keinen besseren Beruf gefunden, als alte, inkontinente Personen zu pflegen?“. Das ist

kulturelle Gewalt, durch die Pflegende oft gekränkt und

gedemütigt werden.4

3.4.) Direkte und personale Gewalt

Direkte Gewalt ist ein Ausdruck einer gestörten Beziehung und sollte analysiert werden. Personale Gewalt kann man einteilen in: 

Körperliche oder psychische Misshandlung (Bedrohung, freiheitsentziehende Maßnahmen)



Vernachlässigung



Materieller Missbrauch (z.B. finanzielle Ausbeutung)

Sehr treffend und als gute Zusammenfassung finde ich die Definition von Johan Galtung: „ Gewalt überwindet einen Widerstand oder zwingt eine Handlung auf. Indirekte Gewalt ist strukturelle oder kulturelle, direkte Gewalt ist von der körperlichen, psychischen oder finanziellen Schädigung des Opfers zu verstehen. Wenn

3 4

Vgl. Grond (2007), S.15 Vgl. Grond (2007), S. 15,f.

7

strukturelle Gewalt institutionalisiert und kulturelle Gewalt verinnerlicht werden, steigt die Gefahr personaler Gewalt.“ 5 Dieses Dreieck hilft, die Formation von Gewalt besser zu verstehen.

6

4.) Definition von Aggression

„(…) Aggressionen finden in der Regel in einer zwischenmenschlichen Interaktion statt (auch Aggression gegen Gegenstände hat letztendlich meist eine Bedeutung in einer zwischenmenschlichen Beziehung). Da es aber eine unberechtigte Annahme ist, dass Aggression ausschließlich vom Patienten ausgehen muss, ist hier die versuchsweise

Anwendung

eines

sehr

subjektiven,

die

Beziehung

berücksichtigenden Aggressionsbegriffs angebracht (…) „7 Unter Aggression darf nicht nur die destruktive Aggression verstanden werden, man muss auch berücksichtigen, dass es einen wertneutralen Aggressionsbegriff gibt. Generell stammt das Wort Aggression vom lateinischen „aggredior“ ab, was bedeutet „auf jemanden zugehen“ oder „etwas in Angriff nehmen“ und ist absolut wertneutral. So sollte dem Wort Aggression nicht nur der destruktive Wert angehängt werden, sondern man sollte auch die konstruktive Bedeutung, im Sinne von Energie, Lebenskraft, Selbstbehauptung und Selbstschutz im Kopf behalten. Wenn man allerdings bei uns von Aggression und aggressivem Verhalten spricht, ist das meist mit destruktivem Hintergrund gemeint. Destruktive Aggression ist ein

5

Vgl. Grond (2007), S.16 Vgl. http://them.polylog.org/5/fgj-de.htm 7 Vgl. Steinert, (1995), S.11 6

8

Verhalten oder eine Handlung, nicht nur ein Gefühl. Es ist eine beabsichtigte Handlung, die einen anderen Menschen schädigt, der sich dagegen wehrt. 8 Aggressives Verhalten liegt vor, wenn sich eine Person bedroht, angegriffen oder verletzt fühlt (sowohl physisch als auch verbal). 9

4.1.) Aggressionstheorien

Es gibt viele verschiedene Theorien, die versuchen aggressives Verhalten zu erklären. Ich möchte hier nur kurz ein paar dieser Theorien anschneiden. 4.1.1) Biologische Aggressionstheorien Biologische Aggressionstheorien erklären aggressives Verhalten mit Instinktverhalten und der Triebtheorie, sowie mit neurohormonalen Theorien.10 4.1.2.) Psychologische Aggressionstheorien Zur Erklärung von Aggressionen werden am häufigsten psychologische Faktoren herangezogen.

Beispiele

hierfür

sind

die

Lerntheorie,

die

Frustrations-

Aggressionstheorie, die psychophysiologische Theorie, die tiefenpsychologische und die Motivationstheorie.11 4.1.3.) Soziologische Aggressionstheorien Soziologisch versucht man Aggressionen in der Pflege als Folge des Wertewandels zu erklären. In der Gesellschaft werden alte, kranke Menschen als Altenlast etikettiert, was auch die Pflegenden kränkt. Das und der Gruppendruck, Pfleglinge immer schneller versorgen zu müssen, macht laut soziologischen Erklärungsversuch, Pflegende rücksichtsloser und gewaltbereiter.12

8

Vgl. Grond, (2007), S.18 Vgl. Kienzle/ Paul-Ettlinger, (2007), S.17 10 Vgl. Grond (2007), S.19 f. 11 Vgl. Grond (2007), S.21 f. 12 Vgl. Grond (2007), S.23 f. 9

9

4.2) Aggressionsverstärkende und –mindernde Faktoren

Aggressionen entstehen immer durch mehrere zusammenwirkende Faktoren. Es scheint sehr sinnvoll, sich in Pflegeeinrichtungen aggressionsverstärkende und –mindernde Faktoren bewusstzumachen und durchzubesprechen und diese beim Erstellen von Pflegestandards zu berücksichtigen. In einer Tabelle möchte ich gerne solche Faktoren veranschaulichen: Aggressionsverstärkende Faktoren

Aggressionsmindernde Faktoren

Aggressive Vorbilder

Gewaltfreie Vorbilder

Provokation

Besprechen aggressiver Gefühle

Bevormundung

Selbstständigkeit

Langeweile

Sinnvolle Beschäftigungen

Überforderung

Erholung 13

4.3.) Reaktion von Pflegenden auf aggressives Verhalten

Pflegepersonen

müssen

in

der

Lage

sein,

aggressives

Verhalten

von

pflegebedürftigen Personen differenziert einzuschätzen, damit sie auch angemessen darauf antworten bzw. reagieren können. Pflegende müssen unbedingt darauf achten, dass sie Aggressionen nicht als persönliche Kränkung auffassen und dann mit Gegenaggression reagieren. Pflegepersonen sollten sich darüber bewusst sein, dass aggressives Verhalten von PatientInnen häufig unvorhersehbar ist und jederzeit vorkommen kann. 4.3.1.) Gefährlichkeitscheckliste Es erscheint sinnvoll, eine Einschätzung möglicher Aggressionen in Form einer Gefährlichkeitscheckliste vorzunehmen, um sich auf etwaiges aggressives Verhalten einstellen zu können. Eine solche Checkliste hat Glynis M. Breakwell in seinem Buch „Aggressionen bewältigen“ erstellt:

13

Vgl. Grond (2007) S. 24 f.

10

Ist die Person mit der ich es zu tun habe, großer Belastung ausgesetzt?

Ja

Nein

Konsumiert sie möglicherweise Alkohol und/ oder Drogen?

Ja

Nein

Hat sie in der Vergangenheit Gewalt angewandt?

Ja

Nein

Wurde sie früher wegen einer psychischen Krankheit behandelt?

Ja

Nein

Weist sie ein Leiden auf, das zum Verlust der Selbstkontrolle führen könnte?

Ja

Nein

Hat sie mich in der Vergangenheit beschimpft?

Ja

Nein

Hat sie mir Gewalt angedroht?

Ja

Nein

Hat sie mich schon einmal angegriffen?

Ja

Nein

Betrachtet sie mich als Bedrohung für ihre Freiheit?

Ja

Nein

Hat sie unrealistische Erwartungen darüber, was ich für die tun kann?

Ja

Nein

Betrachtet sie mich als absichtlich wenig hilfsbereit?

Ja

Nein

Hatte ich bisher in Anwesenheit dieser Person Angst um meine Sicherheit?

Ja

Nein

Sind

Ja

Nein

Weist die Person Zeichen ungewöhnlicher Aufregung oder Passivität auf?

Ja

Nein

Befinden sich Waffen, gefährliche Gegenstände, gewaltverherrlichende

Ja

Nein

Weist die Person Anzeichen ungewöhnlich hoher Erregung auf?

Ja

Nein

Findet eine Auflösung des normalen Musters nonverbaler Kommunikation

Ja

Nein

Weist die Person Anzeichen starker Stimmungsschwankungen auf?

Ja

Nein

Reagiert sie übersensibel auf Vorschläge oder Kritik?

Ja

Nein

andere

Menschen

anwesende,

deren

Beifall

sie

für

ihre

Gewaltanwendung bekäme?

Bilder oder Ähnliches im Zimmer?

statt?

Je öfter hier mit „Ja“ geantwortet wird, desto größer ist die persönliche Gefährdung! 14

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, durch welche Pflegende auf aggressives Verhalten von Pflegebedürftigen reagieren können. Einige davon möchte ich hier kurz anschneiden: 4.3.2.) Handlungsablauf unterbrechen Es ist wichtig, dem/r Betroffenen mit fester und ruhiger Stimme und der dazu passenden

14

Mimik

und

Gestik

zu

signalisieren,

Vgl. Kienzle/ Paul-Ettlinger: Aggression in der Pflege (2007) S.35 ff.

11

dass

sein/ihr

Verhalten

unangemessen ist. Durch die Veränderung der Stimmlage und der Mimik und Gestik wird der/die PatientIn irritiert reagieren und vielleicht innehalten.15 4.3.3.) Gründe für das Verhalten klären Zum Beispiel: Ein/e PatientIn schreit laut zum Pflegenden:“Wo bleibt mein Essen? Wieso dauert das so lang?“. Die korrekte Reaktion vom Pflegenden wäre, nachzufragen „Warum schreien Sie mich so an?“. Es ist wichtig, dem/r PatientenIn zu verstehen zu geben, dass man sein/ihr Verhalten ablehnt, aber nicht ihn/sie als Person ablehnt.16 4.3.4.) Beruhigen Wenn sich ein/e BewohnerIn aufregt, weil er/sie zum Beispiel eine Pflegehandlung nicht versteht, ist es wichtig sich Zeit zu nehmen und dem/r PatientIn zu verdeutlichen, warum diese Pflegehandlung notwendig war und dass das nicht verletzend gemeint war.17 4.3.5.) Aus dem Weg gehen Manchmal passiert es, dass ein/e PatientIn so in seiner/ihrer Wut gefangen ist, dass es das vernünftigste ist, die negativ aufgeladene Interaktion zu unterbrechen indem man sich aus dem Fokus der Wut entfernt.18 4.3.6.) Hilfe holen Wenn für den/sie BetreuerIn die Bedrohung zu groß wird, ist die beste Reaktion, Hilfe zu holen.19

Es gibt natürlich auch unangemessene Methoden um mit Aggressionen des Patienten umzugehen. Auch hierfür möchte ich gerne ein paar Beispiele anführen: 4.3.7.) Ignorieren des aggressives Verhaltens Wenn so getan wird als wäre nichts gewesen und die Pflegehandlung weiter ausgeführt wird, kann das zu einer Verstärkung des aggressiven Verhaltens führen. Dem/r PatientenIn wird durch Schweigen nicht klar gemacht, dass das Verhalten 15

Vgl. Kienzle/Paul-Ettlinger (2007) S.38 Vgl. Kienzle/Paul-Ettlinger (2007) S.38 17 Vgl. Kienzle/Paul-Ettlinger (2007) S.38 f. 18 Vgl. Kienzle/Paul-Ettlinger (2007) S.39 19 Vgl. Kienzle/Paul-Ettlinger (2007) S.39 16

12

unangemessen war. Außerdem bedeutet Schweigen Akzeptanz und ein Nicht-ErnstNehmen des/r Patienten/In, was wiederum zu einer Aggressionssteigerung führen kann.20 4.3.8.) Verharmlosen oder verniedlichen Wenn aggressive Handlungen verharmlost oder verniedlicht werden, kann das ebenfalls dazu führen, dass der/die PatientIn sich nicht ernst genommen fühlt oder sein/ihr Verhalten als angemessen betrachtet.21 4.3.9.) Drohen und bestrafen Wenn man einem/r Patienten/In droht oder ihn/sie bestraft, kann das zwar kurzfristig zu einer Verhaltensänderung führen, aber dadurch wird auch Angst erzeugt. Angst wiederum kann erneut aggressives Verhalten als Abwehrreaktion auslösen. 22

4.4.) Mögliche Erklärungen von aggressiven Verhalten Wenn ein Patient aggressives Verhalten an den Tag legt, hat das meistens einen bestimmten Grund. Um den Patienten zu helfen, nicht mehr so aggressiv zu sein ist es wichtig, dass man sich einige Fragen stellt, um eine Erklärung zu erhalten: 4.4.1.) Mögliche Erklärungen für das Verhalten des Bewohners 1.) Hatte er/sie Schmerzen? 2.) Hatte er/sie ein Schlafdefizit? 3.) Hatte er/sie Hunger oder Durst? 4.) Gab es ein besonderes Ereignis oder eine Kränkung kurz zuvor? 5.) Fühlte er/sie sich einsam? 6.) Fühlte er/sie sich über- oder unterfordert? 7.) Hatte er/sie Angst vor einem bestimmten Ereignis? 8.) Hatte er/sie Angst vor Sterben oder Tod? 9.) Hatte er/sie Angst vor Kontrollverlust? 10.) Gibt es eine Krise, die er/sie noch bearbeiten muss? 11.) Hatte er/sie Schwierigkeiten mit meiner Person? 12.) Gibt es Konflikte mit anderen Pflegepersonen? 20

Vgl. Kienzle/Paul-Ettlinger (2007) S.40 f. Vgl. Kienzle/Paul-Ettlinger (2007) S.41 22 Vgl. Kienzle/Paul-Ettlinger (2007) S.41 f. 21

13

13.) Bekam er/sie Medikamente die aggressionsfördernd waren? 14.) Lag ein Alkoholmissbrauch vor? 15.) Besteht eine krankhafte Veränderung im Gehirn, die Aggressionen auslösen kann? 23 4.4.2.) Mögliche Erklärungen- ausgelöst durch die Pflegeperson 1.) Habe ich ihn/sie erschreckt? 2.) Habe ich ihm/ihr Schmerzen zugefügt? 3.) War ich ungeduldig oder hektisch? 4.) Habe ich seine/ihre Privatsphäre verletzt? 5.) Welche Botschaft habe ich nicht verstanden? 6.) War ich zu bestimmend? 7.) Löst der/die PatientIn negative Gefühle in mir aus? 8.) Habe ich eine Vereinbarung nicht eingehalten? 9.) Fühle ich mich ausgebrannt oder erschöpft? 10.) Habe ich Schmerzen oder fühle ich mich krank? 11.) Ist die Arbeitssituation unbefriedigend? 12.) Stehe ich unter Druck durch meine Vorgesetzten? 13.) Habe ich persönliche Probleme mit den Kollegen? 14.) Habe ich Probleme im Sinne der „Übertragung“ mit dem/der Betroffenen? 15.) Habe ich private Probleme oder Belastungen?24

23 24

Vgl. Kienzle/Paul-Ettlinger (2007) S.44 Vgl. Kienzle/Paul-Ettlinger (2007) S.44 f.

14

5.) Aggressives Verhalten von PflegerInnen

Ich habe versucht, verlässliche Zahlen über die Gewalthäufigkeit von Pflegenden gegenüber Patienten zu finden, konnte aber keine genauen Angaben finden. Laut Schneider et. al. (1990) verhalten sich die Hälfte der Heimmitarbeiter korrekt zu den Bewohnern. Laut Kranich (1998) kommen folgende Misshandlungen durch Pflegende in Pflegeheimen vor:           

27 % Vernachlässigung 19% Beschimpfungen 15% finanzielle Ausbeutung 15% Körperverletzung 15% Willenseinschränkung 12% Pflegefehler 4% Überforderung in der Pflege 4% Gewaltandrohung 4% Kontaktverbot zu Angehörigen 4% Fixierung 31% andere Formen 25

Laut einer Studie von S. Rabold und T. Görgen, an der 503 Pflegepersonen teilgenommen haben, berichteten knapp 40 % der Befragten, sie hätten sich in den letzten zwölf Monaten mindestens einer pflegebedürftigen Person gegenüber problematisch verhalten. Bei diesem problematischen Verhalten handelte es sich am häufigsten um Formen psychischer Misshandlung oder verbaler Aggression sowie pflegerischer und psychosozialer Vernachlässigung. Als Indikator für dieses Problemverhalten

der

Pflegebedürftiger

und

Pflegenden eine

hohe

zeigten Anzahl

Demenzkranken.26

25 26

Vgl. Grond (2007) S.73 Vgl. Rabold/ Görgen (2007), S.366

15

sich an

Aggressionen

regelmäßig

zu

von

Seiten

versorgenden

5.1.) Aggressionsformen der Pflegenden in den ABEDL´s ABEDLS: Aktivitäten, Beziehungen und existentielle Erfahrungen des Lebens, nach Krohwinkel, 2006 

Kommunizieren: In diesem Bereich verhalten sich Pflegende unangemessen, wenn sie PatientInnen zum Sprechen zwingen, sie bevormunden, sie unaufgefordert duzen, sie laut ausschimpfen oder rügen, den Blickkontakt mit ihnen verweigern, ihnen verbieten sich zu beklagen oder kranke alte Menschen unangemessen berühren oder ihnen die Zuwendung entziehen.



Sich bewegen: In diesem Bereich werden alte kranke Menschen zu grob, zu fest oder unachtsam bewegt, der Bewegungsraum wird eingeschränkt, sie werden mit Beruhigungsmitteln sediert, Ausgänge werden blockiert, sie werden liegen gelassen oder zum Aufstehen gezwungen. Es kann vorkommen dass älteren Menschen die Gehhilfe oder der Rollstuhl verweigert wird oder dass ein Bewegungsmelder gegen ihren Willen angebracht wird.



Vitale Funktionen aufrechterhalten: In diesem Bereich werden alte kranke Menschen gedemütigt, indem sie sie im Gestank liegen lassen, bei Nacktheit gelüftet wird, die Zimmertemperatur nicht nach dem Wunsch des Patienten eingestellt wird, der/die PatientIn gezwungen wird, zu warme oder zu kalte Kleidung

anzuziehen

oder

man

verweigert,

eine/n

Facharzt/ärztin,

Logopäden/In oder Ergotherapeuten/In zu holen. 

Sich pflegen: Wenn es um die Pflege geht, werden PatientInnen oder BewohnerInnen häufig zu einem Vollbad, einer Dusche oder einer Haarwäsche gezwungen (fester Badetag). Es kommt auch vor, dass alte Menschen dazu gezwungen werden, Harre oder Fingernägel schneiden zu lassen oder sich rasieren zu lassen, oder ihnen umgekehrt diese Leistungen verweigert werden.



Essen und Trinken: Hier kommt es zu unangemessenen Verhalten von Pflegern/Innen, wenn sie den BowohnerInnen oder PatientInnen Ess- und Trinkhilfen vorenthalten, Essgewohnheiten missachtet werden, alte Menschen gezwungen werden ein Lätzchen zu tragen, Nahrung eingeflößt oder „reingestopft“ wird, auf starre Esszeiten beharrt wird, obwohl ein/e PatientIn noch keinen Hunger hat.

16



Ausscheiden: Pflegende Personen üben Gewalt an PatientInnen aus, wenn sie kranke Menschen im eigenen Kot sitzen lassen, oder ein Katheter gegen den Willen angelegt wird, Abführmittel angewendet wird ohne dem Einverständnis des/r PatientIn oder ein/e PatientIn aufgefordert wird „es laufen zu lassen“ da er/sie ja eh mit Windeln versorgt sei.



Sich kleiden: Hier kommt es zu unangemessenen Verhalten, wenn PatientInnen die eigene Kleidung verweigert und weggeschlossen wird, oder PatientInnen gezwungen werden, Jogginganzüge oder Morgenmäntel auch tagsüber anzuziehen.



Ruhen und Schlafen: Auch in diesem Bereich gibt es häufig Probleme, wenn man BewohnerInnen oder PatientInnen zum Mittagsschlaf zwingt, oder ihnen diesen verweigert; wenn Personen am Abend zu früh zum Schlafen gehen gezwungen werden oder ungewollt Schlafmittel angewendet werden.



Sich

beschäftigen:

Für

jeden

Menschen

ist

es

wichtig,

sinnvollen

Beschäftigungen nachzugehen. Nicht sinnvoll ist es, ältere Menschen zum Beispiel zum Basteln oder Malen zu zwingen, obwohl sie lieber etwas anderes machen würden, oder ihnen diese Beschäftigung zu kindlich ist. 

Sich als Frau oder Mann fühlen und verhalten: Häufig werden in Heimen Beziehungen zwischen Bewohnern/innen verhindert, obwohl diese die BewohnerInnen glücklicher machen würden. Es ist unangemessen, Frauen Einheitsfrisuren schneiden zu lassen, oder sie in Jogginghosen zu stecken. Man muss außerdem aufpassen, dass das Intimgefühl bei der Intimpflege nicht verletzt wird. Beim Baden oder Waschen sollte ein Sichtschutz angewendet werden.



Für eine sichere Umgebung sorgen: Man darf alte Menschen nicht, wenn nicht unbedingt erforderlich, mit Gurten, Bettgitter oder Beruhigungsmittel fixieren. Wichtig sind Sicherheitsmaßnahmen, wie das Anbringen eines Handlaufes auf dem Flur oder Haltegriffe im Bad. Es ist auch wichtig darauf zu achten, dass Hörgerät und Sehhilfe in greifbarer Nähe für den/die Patienten/In liegen.



Soziale Bereiche des Lebens sichern: Man darf eine/n Pflegebedürftige/n nicht einfach sich selbst überlassen, andererseits ist es nicht angebracht, ihn/sie andauernd zu überwachen. Außerdem ist es wichtig, Besuche zuzulassen, nicht allzu starr auf den Besuchszeiten zu bestehen, aber auch nicht jemanden zu Gesprächen oder Kontakten zwingen, wenn er/sie gerade keine 17

Lust darauf hat. Es ist wichtig ältere Menschen nicht den ganzen Tag mit Radio oder Fernseher dauerzuberieseln und der individuelle Musikgeschmack soll beachtet werden. 

Mit existentiellen Erfahrungen des Lebens umgehen: Hierzu zählt, dass religiöse Bedürfnisse beachtet werden müssen, dass alte Fotos und Bilder auf Wunsch

aufgehängt

werden,

dass

man

zeitgeschichtlich,

kulturell

verständliche Gewohnheiten und Rituale zulässt und dass man Gespräche über Ängste, Sterben und Tod ernst nimmt und nicht negativ bewertet.27

All das waren Bereiche und Beispiele für Situationen, in denen Pflegende verbal oder durch Taten aggressiv gegen die Pflegebedürftigen auftreten. Es gibt auch eine Auflistung über Gewalt und Aggression auf die ATL´s bezogen (Aktivitäten des täglichen Lebens), diese haben allerdings sehr viel Ähnlichkeit mit denen die ich oben erwähnt habe, weshalb ich nicht näher darauf eingehen möchte.28

5.2.) Das Fixieren des Patienten- ein heikler Punkt Zuerst möchte ich kurz ein paar Begriffe klären: 

Bei Freiheitsbeschränkung handelt es sich um einen einmaligen und kurzfristigen Eingriff bei Einwilligung oder bei rechtfertigendem Notstand.



Freiheitsentziehung geht über den Notstand hinaus oder wird wiederholt.



Freiheitsberaubung behindert die Fortbewegung, also wenn z.B. die Gehhilfe weggenommen wird.

Wenn Gewalt durch freiheitsentziehende Maßnahmen angewendet wird, ist das für die Betroffenen besonders schlimm. Am häufigsten werden Bauchgurte oder Gurte an den Armen verwendet um unruhige PatientInnen zu fixieren. Als Gründe für die Fixierung werden am häufigsten Selbstgefährdung durch Schwindel, Unsicherheit beim Aufstehen und Sturzgefahr genannt. Weiteres folgen quälende, rastlose Unruhe, Agitiertheit, Störung von Mitpatienten/innen und die Sicherung von einer 27 28

Vgl. Grond (2007) S. 74 ff. Vgl. www.basale-stimulation.at/pdf_datei/agressivitaet_und_gewalt_in_der_pflege.pdf

18

Sonde oder Infusion. Etwa 5-10% der Heimbewohner werden zeitweise mit Gurten fixiert und von 1000 Todesfällen ist einer durch eine Fixierung bedingt. Rechtlich sieht es so aus, dass Pflegende abwägen müssen, ob freiheitsentziehende Maßnahmen nötig sind und genehmigt werden müssen. Eine einmalige Fixierung unter 24 Stunden ist zulässig, wenn ein/e einwilligungsfähige/r PatientIn sich einverstanden erklärt oder wenn Pflegende aufgrund der akuten Situation, also als Notwehr

bei Selbst- oder Fremdgefährdung, keine andere Möglichkeit sehen. In

einem Fixierungsprotokoll müssen Gründe, Art und Zeitdauer der Fixierung sorgfältig dokumentiert werden und der Nutzen muss höher sein als der mögliche Schaden. Wenn ein/e PatientIn dauerhaft oder regelmäßig fixiert werden soll, muss ein/e BetreuerIn oder Bevollmächtigte/r einwilligen und es dem Amtsgericht mitteilen, welches dann die Fixierung überprüft und genehmigt.

29

Generell, ist das Fixieren eine/s Patienten/in eine freiheitsentziehende Maßnahme, was strafrechtlich gesehen eine Freiheitsberaubung ist, wenn dadurch der/die PatientIn der Fortbewegungsfreiheit beraubt wird. Es ist wichtig, dass Pflegende umdenken und geschult werden, um Fixierung nicht als alleiniges Mittel gegen Sturzgefahr oder gegen „eigenwilliges“ Verhalten von Demenzkranken einzusetzen. Man muss Pflegenden zeigen, dass es Alternativen gibt, dass man verwirrte Personen wertschätzen soll und ihren Bewegungsspielraum auch mal erweitern kann. Wenn die Fixierung als Mittel zur Sturzprophylaxe eingesetzt wird, muss Pflegenden erklärt werden, dass es bessere Methoden gibt, wie zum Beispiel die Verwendung von Sturzprotokollen, zur Einschätzung und Minimierung des Sturzrisikos. 30

5.3.) Einteilung der von Pflegenden ausgehenden Formen von Gewalt Es gibt verschiedene Gewaltformen, die AltenpflegerInnen gegen PatientInnen anwenden. Subtilere Formen von Gewalt, wie überfürsorgliche Pflege, werden weniger wahrgenommen.

29 30

Vgl. www.basale-stimulation.at/pdf_datei/agressivitaet_und_gewalt_in_der_pflege.pdf Vgl. Grond (2007) S.79 ff.

19

Psychische Gewalt gegen alte Menschen: Zur psychischen Gewalt gehört das beleidigen, das unaufgeforderte duzen, das als unwichtig erniedrigend oder ablehnen von Personen. Weiters zählt hierzu das ignorieren, Gespräche abblocken, verspotten, einschüchtern, drohen, beschimpfen oder beschuldigen von älteren Menschen. Körperliche Gewalt: Körperliche Gewalt ist seltener und oft sehr subtil, z.B. durch die Fixierung von PatientInnen, das wegnehmen der Klingel, sie im Schlaf zu stören, hungern, dürsten oder frieren zu lassen, zum Essen oder zu Aktivitäten zwingen, ihnen Schmerzmittel zu verweigern oder zur Einnahme von Medikamenten zwingen. Soziale Gewalt: AltenpflegerInnen üben soziale Gewalt aus, wenn sie einem/r PatientIn oder BewohnerIn Besuch verweigern, ihn/sie isolieren oder ein- oder aussperren. Fürsorgliche Gewalt: PflegerInnen die überfürsorglich handeln, erdrücken ihre PatientInnen förmlich, indem sie ihnen jegliche Selbstständigkeit und Autonomie nehmen mit der Begründung, sie wüssten was gut für ihn/sie sei.31

5.4.) Patiententötung durch Pflegende Pflegende sind keine Raubmörder, Auftragsmörder oder Beziehungsmörder, Pflegende sind Gesinnungsmörder. Sie töten nicht wegen des Geldes, sondern begründen ihre Tat ideologisch. Von den Tätern hört man oft „Ich habe aus Mitleid getötet“. Im Laufe der Geschichte gab es immer wieder Pflegende, die ihre PatientInnen aus „Mitleid“ umgebracht haben. Zwischen 1976 und 1993 standen zwölf Pflegende in Deutschland, Österreich, den Niederlanden, Norwegen und den Vereinigten Staaten vor Gericht. Zusammen waren sie in 174 Fällen des Mordes angeklagt und wurden in 140 Fällen verurteilt. Die Opfer sind in der Regel alt und gebrechlich, hilflos und liegen im sterben. Der Tod dieser Menschen ist dadurch jederzeit möglich und niemand wundert sich über das Ableben. Die Täter sind in ihrem Beruf oft sehr engagiert und qualifiziert, sie haben meist das Gefühl richtig gehandelt zu haben und aus Mitleid gehandelt zu haben. Aber niemand kann aus Mitleid töten denn Mitleid bedeutet nämlich, dass man einen 31

Vgl. Grond (2007) S.83 f.

20

Teil des fremden Leidens auf sich nimmt. Wenn eine Pflegeperson nun eine/n PatientIn tötet, weil er die Qual eines Patienten nicht länger mit sich tragen kann, tötet er, weil er dem ganzen nicht mehr gewachsen ist. Man tötet nicht, weil man den Leidenden von seiner Qual erlösen will, sondern weil man sich selbst vor dem bedrückenden Anblick erlösen möchte. Ich möchte hierfür ein paar Beispiele anführen. 1976 wurde der Pfleger Rudi Z. aus Wuppertal wegen vier versuchter und zwei vollendeter Morde in einem Altersheim verurteilt. Im selben Jahr wurde in den Niederlanden ein Pfleger verurteilt, weil er fünf Patienten mit Valium und Insulin getötet hatte. 1989 wurde die Krankenschwester Michaela R., ebenfalls aus Wuppertal in fünf Fällen wegen Totschlags, in einem Fall wegen Tötung auf Verlangen sowie in einem Fall wegen versuchten Totschlag und fahrlässiger Tötung verurteilt. Im selben Jahr wurden zwei Schwesternhelferinnen aus Michigan verurteilt, weil sie mindestens fünf BewohnerInnen eines Pflegeheims in ihren Betten erstickt hatten. Im Jahr 2000 wurde dem Arzt Harold Shipman in Manchester 15 Morde angelastet, es handelte sich aber vermutlich um 297 Morde. Ein Pfleger aus der Schweiz wurde Ende 2005 wegen 22- fachen Mordes angeklagt. Er gestand, 23 Frauen und vier Männer mir Beruhigungsmittel vergiftet zu haben und wenn nötig mit einem Plastiksack erstickt zu haben.32 Ein weiterer Fall ist der von der Krankenschwester Irene Bauer, die sechs Patienten in Berlin getötet haben soll. Es handelte sich um sterbende Patienten, bei denen es nur noch um Minuten, höchstens Stunden ging. Irene Bauer war seit 1995 Krankenschwester am Zentrum für Innere Medizin der Berliner Charité. Sie glaubte, sie müsse das Sterben eigenmächtig abkürzen. Ein Psychiater, der das Gutachten für das Gericht erstellte, fragte Frau Bauer nach dem Gefühl welches sie bei den Tötungen hatte. Sie antwortete, dass sie gar nichts gefühlt hätte, allenfalls eine Leere und es hätte sich nicht um Tötung gehandelt, sondern die Würde wäre ihrer Auffassung nicht mehr dagewesen. Ihrer Auffassung nach sei es absurd gewesen, 32

Vgl. http://www.supervision-hamburggesundheitswesen.de/rotondo/veroeffentlichungen/patiententoetung_die_schwester_der_pfleger_200 6.html

21

was man mit den Schwerstkranken veranstaltet hätte. Sie sagte, sie wollte die Würde des Patienten wiederherstellen, aber sie könne nicht mehr sagen, was sie zu den Taten getrieben hätte, sie könne es heute nicht mehr erklären.33 Ein weiterer Fall von Patiententötung fand in Lainz, Österreich, statt und ging 1989 um die ganze Welt. Vier Pflegerinnen töteten zwischen 1983 und 1989 eine größere Anzahl an Personen. Alles begann, als 1983 eine der Pflegerinnen einer Patientin auf ihren Wunsch hin eine tödliche Morphiumspritze injizierte. Aufgeflogen ist der Fall im Februar 1989, als ein Arzt zufällig hörte, wie sich die vier Pflegerinnen in einem Kaffeehaus über die Morde amüsierten und weitere Opfer auswählten. Daraufhin wurden zahlreiche verstorbene PatientInnen exhumiert und obduziert und es wurde eine ungewöhnliche Häufung von Wasser in der Lunge festgestellt. Bei einem anderen Patienten wurde eine tödliche Überdosis an Insulin festgestellt. Die Haupttäterin Waltraud Wagner wurde später schuldig gesprochen 32 Morde begangen zu haben und zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Die drei anderen Pflegepersonen wurden ebenfalls zu Freiheitsstrafen verurteilt.

Alle vier

Täterinnen haben berichtet, dass weder der erhöhte Medikamentenverbrauch, noch sonstige verdächtige Vorgänge hinterfragt wurden.34

33 34

Vgl. http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,490233-2,00.html Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Todesengel_von_Lainz

22

6.) Schweigende Dritte

Gewalt gegen HeimbewohnerInnen oder gegen Pflegende wird häufig vertuscht und totgeschwiegen. Wer Schwierigkeiten nach außen trägt, gilt als Nestbeschmutzer und muss Angst vor einer Kündigung haben. Zu einem schweigenden Dritten wird man, wenn man die Ansicht vertritt „das geht mich nichts an“, oder jemand der fürchtet als Schlechtmacher den Job zu verlieren. Jeder der Gewalt durch, oder gegen Pflegende beobachtet oder davon erfährt, ist verpflichtet, diese aufzudecken und Zivilcourage zu beweisen. Man muss sich an den Pflegedienst oder an die Heimleitung wenden, wenn das erfolglos bleibt, kann man sich an die Heimaufsicht wenden. Sich an Medien zu wenden führt eher oft zur Dramatisierung, häufig wollen alte Menschen dann gar nicht mehr ins Heim und schrecken nicht einmal vor Suizid zurück. Hier muss ganz deutlich gesagt werden, dass Menschen, die aus Angst vor den Konsequenzen, Gewalt in der Pflege verschweigen, sich mitschuldig machen. 35

7.) Folgen von Gewaltandrohung auf Pflegende

Eine typische Pflegekraft wird im Schnitt 9,3 Mal im Monat durch einen Altenheimbewohner angegriffen und 11,3 Mal verbalen aggressiven Äußerungen ausgesetzt. Meiner Meinung nach sprechen diese Zahlen für sich und erklären, warum es so häufig zu psychischen und physischen Folgen bei Pflegekräften kommt36: 

Das

Burn-out

Syndrom

kommt

häufig

bei

AltenpflegerInnen

und

Krankenschwestern/Pflegern vor. Es ist durch viele Faktoren bedingt und muss individuell unterschiedlich behandelt werden. Es handelt sich um einen Zustand emotionaler Erschöpfung mit reduzierter Leistungsfähigkeit. Es kann als 35 36

Endzustand

einer

Entwicklungslinie

Vgl. Grond (2007) S.97 f. Vgl. http://oe1.orf.at/36744.html

23

bezeichnet

werden,

die

mit

Begeisterung

beginnt

und

aufgrund

frustrierender

Erlebnisse

zu

Desillusionierung, Apathie, psychosomatischen Erkrankungen, Depressionen und Aggressionen führen kann.37 Nach Burisch (2006) verläuft ein Burn-out Syndrom in sieben Stadien: 1.) Warnsymptome der Anfangsphase: Wenn Pflegende idealistisch begeistert sind, identifizieren sie sich mit dem Kranken, überschätzen sich, versuchen sich zu beweisen und arbeiten zu viel und daraus folgt die Erschöpfung. 2.) Reduziertes Engagement: Pflegende verrichten ihre Arbeit nur noch widerwillig, sind genervt und erschöpft, hören anderen nicht mehr zu und verlieren positive Gefühle ihren Patienten gegenüber. 3.) Emotionale Reaktionen; Schuldzuweisungen: Pflegende vernachlässigen die eigenen Bedürfnisse und Konflikte. Sie werden ärgerlich, aggressiv und suchen nach einem Schuldigen bis hin zum Mobbing. 4.) Abbau: Kreativität, Motivation und Leistung nehmen ab, es wird ungenau gearbeitet, ist man ist nicht mehr fähig Entscheidungen zu treffen. 5.) Verflachung: Pflegende verkümmern, stumpfen ab und werden emotional gleichgültig. 6.) Psychosomatische Reaktionen: Es kommt zu körperlichen Beschwerden wie zum Beispiel Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Atembeschwerden, Engegefühl in der Brust, Rückenschmerzen und Muskelschmerzen. 7.) Verzweiflung: Die Pflegenden fühlen sich innerlich leer, haben keine Hoffnung mehr, werden depressiv und geraten schließlich in eine Selbstwertkrise.38 Um MitarbeiterInnen vor einem Burnout zu schützen, sollten Führungskräfte eine Burnout- mindernde Führungskultur vertreten. Durch einen kooperativen Führungsstil sollte die Mitbestimmung gestärkt werden, Einsatzbereitschaft anerkannt und gelobt werden, Heimintern sollten Fortbildung, Supervision und Aufstiegschancen gefördert werden. Außerdem sollten Mitarbeitern Pausen in einem Ruheraum ermöglicht werden um Stress abbauen zu können.

37 38

Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Burnout-Syndrom Vgl. Burisch (2006) S. 18 f.

24



Reaktionen

auf

posttraumatische

schwere

Belastungen

Belastungs-,

und

sind

akute

Belastungs-,

Anpassungsstörungen,

die

die

Leistungsfähigkeit und die Beziehungen belastet. Zu solchen Symptomen kommt es häufiger bei Pflegenden, die im Kindesalter psychisch verletzt wurden und dadurch vulnerabel oder kränkbar bleiben. Ein Beispiel für eine akute Belastungsreaktion wäre zum Beispiel eine schwangere Pflegerin, die von einer Patientin einen Faustschlag in den Bauch bekommt. Die Pflegerin reagiert darauf wie betäubt, hat Angst und kann einige Tage darauf nicht arbeiten. Ein Beispiel für eine posttraumatische Belastungsstörung wäre eine Altenpflegerin, die bei einer Heimfeier von einer Patientin tätlich angegriffen wird.

Die

Patientin

kommt

daraufhin

sofort

in

die

geschlossene

Gerontopsychiatrie und die Pflegerin scheint gelassen zu sein. Als die Patientin nach ein paar Wochen in das Heim zurück kommt, reagiert die Pflegerin

schreckhaft

und

ängstlich,

klagt

über

Kopfschmerzen,

Schlafstörungen und depressive Verstimmungen. Die starken Ängste führten also zu psychosomatischen Beschwerden. Zu

Anpassungsstörungen

kommt

es

häufiger,

die

Ursachen

sind

Unzufriedenheit mit der Arbeit, Ärger mit KollegInnen oder Vorgesetzten und Angst vor Kündigung. Durch solche Angstzustände kommt es zu depressiven Verstimmungen bis hin zur Verbitterung, sowie zum Gefühl der Überforderung. Bei solchen schweren Belastungen helfen Supervision, Gespräche oder eine Verhaltenstherapie. Es ist wichtig, dass die Heimleitung diese Beschwerden ernst nimmt und den Mitarbeitern dabei hilft, diese zu überwinden.39

39

Vgl. Grond (2007) S.102 ff.

25

8.) Umgang mit Gewalt

Für Pflegende ist es wichtig zu erkennen, dass man Aggressive Gefühle wie Neid, Ekel, Eifersucht, Misstrauen, Verachtung, Abscheu, Trotz, Ärger, Wut, Zorn oder Hass nicht verleugnen muss. Über diese Gefühle zu sprechen, ermöglicht es, sich selbst und andere besser verstehen zu können. Nicht die Gefühle müssen verhindert werden, sondern die aggressiven Handlungen. Pflegende können zum Beispiel in einer Supervision erfahren, ob sie zu aggressiven Ausbrüchen neigen und wie man mit diesen umgehen kann. Pflegende sollen lernen, konstruktiv mit eigenen Aggressionen umgehen zu können. Man kann lernen, Konflikte gewaltfrei zu lösen und Aggressionen vorzubeugen, indem man miteinander redet und versucht den anderen zu verstehen. Es gibt gute Möglichkeiten, Stress und Wut durch Entspannungsübungen, Tanz, Gymnastik oder einem anderen Hobby abzuführen. Es gibt viele Möglichkeiten mit Wut umzugehen, ohne einem anderen zu schaden: 

Pflegende können sich eine Auszeit nehmen, sich entspannen und tief durchatmen. Gut geeignet ist hierfür ein eigener Ruheraum.



Man kann sich die Lieblingsmusik anhören und dabei positiv denken



Man kann die Telefonseelsorge anrufen



Mann kann intensiv an einen Menschen denken, den man liebt und wertschätzt, so dass sich die Gefühle beruhigen, statt andere Personen abzuwerten.

Das sind nur ein paar Beispiele dafür, wie man in einer Situation, in der man sich überfordert fühlt, verhalten kann. Es ist auch sinnvoll, Pflegenden ein Antiaggressivitätstraining (ATT) anzubieten. Hier lernen Pflegende mit Aggressionen umzugehen und destruktive Aggressivität zu akzeptieren, ohne sie einem anderen in die Schuhe zu schieben. In einem solchen Training werden zuerst Entspannungsübungen, Atemübungen oder ein autogenes Training erlernt, um Spannungen und Unruhe abzubauen. Dann sollen Aggressionen in

Fremd-

und

Selbstwahrnehmungsübungen

oder

mit

Videofilmen

über

Konfliktsituationen erfasst werden. Die Pflegenden sollen Kommunikation üben, um 26

zu lernen, miteinander zu reden. Außerdem lernen sie in einem solchen Antiaggressivitätstraining sich einzufühlen, sich in Rollenspielen kooperativ und unterstützend zu verhalten und die Selbstkontrolle zu verbessern, um aggressive Impulse und Handlungen zu vermeiden. Weiters sollen Pflegende lernen, sich selbst zu behaupten und „Nein“ sagen zu können. Es soll gelernt werden, wie man argumentiert, wie man mit Gefühlen umgehen kann, wie man Lob und Anerkennung ausdrückt und auch wie man mit Kritik und Misserfolgen umgeht. 40

9.) Vorbeugung gegen Gewalt

1.) Primärprävention: Primärprävention ist Erziehung zu gewaltfreiem Handeln. Wir sollten das in der Familie, der Schule oder in der Ausbildung lernen. Gewaltfreiheit ist möglich, wenn wir früh lernen miteinander zu reden, Gefühle an- und auszusprechen und lernen empathisch zu sein. Pflegende können Aggressionen

vorbeugen,

indem

die

sich

immer

wieder

den

Entscheidungsprozess zu aggressivem Handeln bewusst machen und unterbrechen. Die Primärprävention erkennt früh Risikofaktoren und Gefahren aggressiven Verhaltens. Durch Primärprävention schafft man entspannte Rahmenbedingungen in der Pflege, mit einer Anerkennungs- und Lobkultur, anstatt reiner Kritiksuche. 2.) Sekundärprävention: Sekundärprävention bedeutet, Gewalt möglichst früh zu erkennen und durch Erste Hilfe, Kriseninterventionen oder Notfallbegleitung zu stoppen. Pflegende sollten nicht nur körperliche Anzeichen auf Gewalt, wie blaue Flecken, früh wahrnehmen, sondern auch Anzeichen psychischer Gewalt, wie Abwerten, Bloßstellen oder Sanktionen. Pflegende können Gewaltauslöser

und

Beschwerdeverfahren

Missstände klären

und

im

Team lernen,

in

einem

eigenes

vertraulichen Verhalten

in

Krisensituationen zu kontrollieren. 3.) Tertiärprävention:

Durch

Tertiärprävention

sollen

Rückfälle

durch

Nachbereitung vorgebeugt werden. Nach einer Gewalthandlung sollten weder

40

Vgl. Grond (2007) S.105 ff.

27

dem Opfer noch dem Täter Vorwürfe gemacht werden und es ist wichtig, sich Hilfe zu holen, damit Gewalt nicht wieder vorkommt. 41

9.1.) Deeskalationstraining

Bei einem Deeskalationstraining, egal ob es präventiv oder akut eingesetzt wird, geht es immer darum, dass Konflikte bewältigt werden- und das ohne Gewalt. Folgende Punkte sollen bei so einem Training geklärt werden: 

Erkennen von Gewalt



Benennen von Gewalt



Auswirkungen und Spuren von Gewalt



Erkennen und wahren eigener Grenzen und der Grenzen des Gegenübers

Diese Trainingsprogramme sind handlungs-, prozess- und ressourcenorientiert und geprägt durch viele praktische Trainingsmethoden und Reflexionen. Je nach Auftrag und Wunsch der Teilnehmergruppe werden im Training gewissen Schwerpunkte behandelt. Beispielsweise:

41

-

Körpersprache

-

Selbstbehauptung und Präsenz

-

Förderung der sozialen Kompetenz

-

Zivilcourage

-

Mobbing

-

Kommunikation

-

Interkulturelle Aspekte

Vgl. Grond (2007) S.115 ff.

28

Je nach Schwerpunkt kommen dann verschiedene Methoden zum Einsatz. Zum Beispiel: - interaktive Spiele und Übungen - Rollenspiele und szenische Darstellungen - Videoanalyse - Provokations -und Konfrontationstests - Arbeit in Kleingruppen - Entspannungsübungen Ziel eines jeden Deeskalationstrainings ist es, das Selbstvertrauen zu stärken und Verhaltens- und Handlungsrepertoires zu überprüfen und zu erweitern.42

10.) Rechtliche Aspekte der Gewalt in der Pflege

Wie bereits früher erwähnt, haben Aggressionen vielerlei Ursachen. Strafrechtlich können Aggressionen daher grob in vier Bereiche zugeordnet werden: 

Körperverletzung



Nötigung



Sexualstraftat



Beleidigung

Bei allen vier Punkten wird der/die PatientIn oder ein/e Angestellte/r entweder körperlich oder seelisch angegriffen. Jeder Mensch hat das Recht, wenn es nicht rechtzeitig möglich ist Hilfe zu holen, sich zu wehren. Hier spricht man von Notwehr. Notwehr ist dann erlaubt, wenn es um die Ehre, allgemeine Bewegungsfreiheit, Intimsphäre, Besitz und Eigentum, körperliche Unversehrtheit, Leben und Freiheit geht. Außerdem muss der Angriff gegenwärtig

noch

andauern,

also

eine

einmalige,

bereits

abgeschlossene

Beleidigung oder ein befürchteter Angriff rechtfertigen die Notwehr nicht. Außerdem 42

Vgl. http://www.deeskalationmittrainer.de/deeskalation.html

29

darf bei Notwehr immer nur das relativ mildeste Mittel zum Schutz eingesetzt werden und wenn der Angegriffene durch Ausweichen sich selbst schützen kann, ist Notwehr ebenfalls nicht zulässig.43 Wenn nun allerdings der Angreifer (z.B. ein Patient) bei angemessener Notwehr verletzt wird, kann der Pflegende sehr schnell in Verdacht kommen den Pflegling zu misshandeln. Um dem vorzubeugen, hilft eine sorgfältige Dokumentation. Eine vollständige Dokumentation sichert Pflegende gegenüber dem Arbeitgeber und den Angehörigen ab. Jedes aggressive Verhalten eines Bewohners muss schriftlich genau beschrieben werden, außerdem auch die eigene Reaktion, insbesondere wenn dadurch der Bewohner verletzt wurde. Unsere Rechtssprechung geht übrigens davon aus, dass bei psychisch kranken Personen die Abwehr nur beschränkt erfolgen soll bzw. auf Gegenmaßnahmen ganz verzichtet werden sollte. Im Zivilrecht ist Notwehr ähnlich definiert wie im Strafrecht. Schmerzensgeld oder Schadensersatz können gefordert werden, wenn der Schädiger rechtswidrig gehandelt hat. Wenn ein Pflegender von einem Patienten angegriffen wird, kann Anzeige erstattet werden und Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden oder man kann auch auf die Kündigung des Heimvertrages drängen. Auch arbeitsrechtlich gesehen muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Schutz bieten. So kann vom Pflegenden nicht erwartet werden, dass er jede Aggression duldet. Der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer

einen angemessenen und

effektiven Schutz gewährleisten. So muss zum Beispiel nach einem Angriff zum Schutz des Mitarbeiters der gewalttätige Bewohner verlegt oder eine Maßnahme zur Ruhigstellung ergriffen werden. Laut dem Arbeitsschutzgesetz muss der Arbeitgeber: 

die Arbeit so gestalten, dass eine Gesundheitsgefährdung vermieden wird



Gefahren an der Quelle bekämpft werden



allgemeine Schutzmaßnahmen vorrangig vor individuellen behandelt werden



spezielle Gefahren für besonders schutzwürdige Beschäftigte berücksichtigt werden

43

Vgl. Kienzle/ Paul-Ettlinger (2007), S.70 ff.

30



und den Mitarbeitern geeignete Anweisungen gegeben werden.

Weiters ist es sehr empfehlenswert, innerbetriebliche Fortbildungen in Bezug auf den Umgang mit Aggressionen durchzuführen. Pflegeheime sollten außerdem eine Risikoliste über aggressive Bewohner erstellen.44

11.) Diskussion

Gewalt und Aggressionen treten regelmäßig in Pflegesituationen auf. Da es sich leider noch allzu oft um ein Tabuthema handelt, setzen sich Betroffene, Organisationsverantwortliche und die Öffentlichkeit zu selten mit dem Thema auseinander. Man sollte sich vor Augen halten, dass niemand von uns jünger wird, und wir in der Zukunft vielleicht auch mal auf die Pflege durch andere angewiesen sein werden. Daher sollte es in unser aller Interesse liegen, dass die Pflege von alten Menschen bestmöglich gestaltet wird und alles getan wird, damit es zu keinen Gewaltausbrüchen durch PatientInnen oder PflegerInnen kommt. Das kann vor allem durch Aufklärungsarbeit, gute Ausbildung und Workshops erreicht werden. Im Zuge meiner Recherchen habe ich viele Untersuchungen über Gewalt in der Pflege gefunden, leider mit meist sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Es ist schwierig, seriöse Zahlen und Daten zu finden, da nicht gerne über dieses Thema gesprochen wird und Aussagen oft nicht auf die breite Masse auslegbar sind. Es liegt in der Verantwortung der Gesellschaft, angemessene Rahmenbedingungen für die Pflege von alten Menschen zu schaffen und das ist nur möglich, wenn man die Augen vor solchen Missständen nicht verschließt. Gewalt gegen andere ist eine Menschenrechtsverletzung und es ist die moralische Aufgabe eines jeden Bürgers, diese Menschenrechte zu schützen.

44

Vgl. Grond (2007) S.125 ff.

31

Die Gewalt fängt nicht an wenn einer einen erwürgt Sie fängt an wenn einer sagt: Ich liebe Dich: Du gehörst mir. Die Gewalt fängt nicht an wenn Kranke getötet werden Sie fängt an wenn einer sagt: Du bist krank. Du musst tun was ich sage.

(Erich Fried)

32

12.) Literaturverzeichnis

Breakwell G. M.: Aggressionen bewältigen. Hans Huber 1998.

Burisch Matthias: Das Burnout- Syndrom. Theorie der inneren Erschöpfung. Springer Verlag 2006

Grond Erich: Gewalt gegen Pflegende. Hans Huber 2007

Kienzle Theo, Paul-Ettlinger Barbara: Aggressionen in der Pflege. Kohlhammer 2007

Rabolt Susann, Görgen Thomas. : Misshandlung und Vernachlässigung älterer Menschen durch ambulante Pflegekräfte: Ergebnisse einer Befragung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ambulanter Dienste, in Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, Volume 40, Nr.5, 2007, S. 366- 374

Steinert Tilman: Aggression bei psychisch Kranken. Enke 2005

www.basale-stimulation.at/pdf_datei/agressivitaet_und_gewalt_in_der_pflege.pdf Zugriff am 28.3.09

http://www.supervision-hamburggesundheitswesen.de/rotondo/veroeffentlichungen/patiententoetung_die_schwester_ der_pfleger_2006.html - Zugriff am 29.3.09

http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,490233-2,00.html – Zugriff am 29.3.09

http://them.polylog.org/5/fgj-de.htm - Zugriff am 15.05.2009

http://de.wikipedia.org/wiki/Todesengel_von_Lainz - Zugriff am 21.05.2009

33

http://oe1.orf.at/36744.html - Zugriff am 22.05.2009

http://www.deeskalationmittrainer.de/deeskalation.html- Zugriff am 22.05.2009

34