Umgang mit Aggression und Gewalt im Betreuungsalltag

Umgang mit Aggression und Gewalt im Betreuungsalltag Integra 2010 - Wels 23.09.2010 Dipl.Dipl.-Psych. Wolfgang Kü Kühne Therapeutischer Leiter Askle...
Author: Kurt Maier
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Umgang mit Aggression und Gewalt im Betreuungsalltag

Integra 2010 - Wels 23.09.2010

Dipl.Dipl.-Psych. Wolfgang Kü Kühne Therapeutischer Leiter AsklepiosAsklepios-Klinik Schaufling/ D

Donau

Regensburg

Schaufling: Asklepios Klinik Deggendorf

Passau

Agenda: • Wo sind (oder waren) Sie in Ihrem beruflichen Handeln mit aggressiven Verhaltensweisen der Klienten konfrontiert? • Aggressionen und Interventionen: Verhaltenstherapeutische und systemische Ansätze, Selbstkontrolle und ihre Voraussetzungen • Aggressionen und ihre Folgen für das Behandlerteam: Selbstschutz, Verunsicherungen, Kompetenzerleben

Fragen: • Was ist das problematische, schädigende Verhalten, das wir verhindern / ändern /verringern wollen ? • Wie können wir Klienten und Mitarbeiter dazu befähigen, dass sie Auslöser und kritische Situationen rechtzeitig erkennen, die aggressive Handlungen auslösen (können) ? • Welche Klienten können ggf. Kontrolle und eine ausreichende Steuerung ihrer aggressiven Impulse erreichen ? • Wie können Klienten alternative, angemessenere Verhaltensweisen erlernen? • Wie können wir Mitarbeiter und Angehörige unterstützen, bei auftretenden Aggressionen sicher, kompetent und de-eskalierend zu handeln ?

Ziele: • Das aggressionsrelevante Wissen ausbauen • Die Kompetenz und Zuversicht stärken, aggressive Situationen beherrschen zu können, Sicherheit fördern • Fähigkeiten zur Prävention oder zur De-Eskalation aggressiver Handlungen erweitern • Organisatorische und Team-bezogene Verbesserungen bzgl. des Umgangs mit aggressiven Verhaltensweisen von Patienten/Klienten anregen

Begriffsdefinition: Aggressionen … •sind beobachtbare, manchmal zielgerichtete Verhaltensweisen, durch die andere Personen bedroht oder angegriffen werden oder die eine Schädigung bewirken •können Handlungen, Haltungen, Äußerungen oder Gesten sein, die als provozierend, demütigend oder beleidigend erlebt werden •sind (absichtliche) Verhaltensweisen, die die Rehabilitationsaktivitäten und die soziale Integration stören /verhindern (nach Wood 2001und Heinrich 2005)

Ansatzpunkte: • Treten die Aggressionen häufig in ähnlichen Situationen auf ? • Welche sind das ? • Können bestimmte Auslöser für Aggressionen erkannt und benannt werden (z.B. bestimmte Besuche, Schlafmangel, Hitze, Lärm, …) • Erscheinen die Aggressionen daher z.T. vorhersehbar oder berechenbar ?

Differenzierte Diagnostik •Was löst individuell typischerweise starke Ärgerreaktionen aus? Welche Situationen? •Was geht dem voraus? •Was nimmt die Person körperlich wahr? •Welche kognitiven Bewertungen/Schemata werden aktiviert? • Welche Gedanken treten vor oder in diesen Situationen typischerweise auf? Besonders auf (vermeintliche) Bedrohungen des Selbstbildes/Selbstwertes achten! (Beispiel P.B.) •Ist die Person (noch) für de-eskalierende Handlungen/Perspektivenwechsel erreichbar?

Klassifizierung von drei Arten aggressiver Verhaltensweisen: (Heinrich 2005):

•„emotionale“ Aggression •„instrumentelle“ Aggression •„eruptive“ Aggression Zwischen diesen Aggressions-Formen kann es fließende Übergänge und Mischformen geben.

•„Emotionale“ Aggression Starke Emotionen und Erregung (Frustration, Ärger, Neid, Eifersucht) lösen das Verhalten aus und modulieren es. Assessment: welche Ursachen/Auslöser ? Intervention: im Vordergrund steht die Verringerung der emotionalen Erregung, so dass eine konstruktive Problemlösung möglich wird. Verlassen der Situation, alternative kognitive Bewertungen der Situation, Stabilisierung des Selbstwerterlebens können dazu dienen.

•„Funktional-instrumentelle“ Aggression erfolgt wegen ihrer (belohnenden) Effekte oder zur Erlangung eines persönlichen Vorteils: z.B. Aufgaben oder Ansprüche zu vermeiden, Aufmerksamkeit oder Stimulation zu erhalten, den eigenen Status in der Gruppe zu festigen oder zu steigern (Rangkämpfe). Emotionen/physiologische Anspannung: geringe Rolle Assessment: Analyse der Effekte: weshalb „lohnt“ sich das aggressive Verhalten?, Lerngeschichte des Klienten erheben und beachten Intervention: Veränderung der Verstärkungsbedingungen, Aufbau und Förderung alternativer, angemessenerer Verhaltensweisen zur Erreichung bestimmter angestrebter Effekte.

•„Eruptive“ Aggression Verlust der Selbst-Kontrolle nach einer SpannungsEskalation mit extrem hoher Erregung, kann zu unkontrollierten massiven Handlungen von Gewalt und Aggression mit schwerer Gefährdung von Personen und Sachen führen Die Auslöser können die Dynamik dieses Dramas nicht erklären (disproportional) Assessment: Analyse der Anspannung (frühe Anzeichen), einschließlich des Kontextes oder relevanter Personen Intervention: De-eskalierende Methoden

Wechsel der Perspektive: Oft hilfreich und interessant: Analyse der potenziell kritischen Situationen, in denen KEIN aggressives Verhalten resultierte: Was war da anders? Was trug zur Aggressionsverhinderung oder – kontrolle bei ?

Übergreifende Ziele der Interventionen: •das das aggressive Verhalten vorbeugend vermeiden, stoppen oder verringern (in Hä Häufigkeit oder Intensitä Intensität) •den den entstehenden Schaden (materiell oder psychisch) minimieren, besser: abwenden •(wieder) (wieder) eine gesunde, stabile Beziehung zu Mitbewohnern, Mitarbeitern und Angehö Angehörigen ermö ermöglichen und sicherstellen

Interventionen: Oft ist es wichtig, innerlich und äußerlich Abstand zur „aufgeheizten“ aufgeheizten“ aggressiven Situation zu finden und das auch zu ermö ermöglichen. Mit einem hoch erregten Pat. zu diskutieren oder ihn dann zu einer Einsicht bringen zu wollen scheitert meist und fü führt eher zur Eskalation als zur Beruhigung. Erst mit zeitlichem Abstand und NACH erfolgter Beruhigung kann eine konstruktive therapeutische Bearbeitung der Situation erfolgen.

Interventionen: DeDe-Eskalationstraining: -Antizipation Antizipation von KonfliktKonflikt- und Gefahrensituationen -Merkmale Merkmale einer Eskalationstreppe erkennen -Aus Aus Konfliktspiralen (Aufschaukelung) aussteigen -Konfliktbeschleuniger Konfliktbeschleuniger wie Angst und Panik beachten

Interventionen: DeDe-Eskalationstraining: -Nicht NichtNicht-aggressive Wortwahl, Vermeidung von negativ besetzten Reizworten -Non NonNon-verbale Kö Körpersprache gezielt nutzen -Atmen Atmen als StressStress-Management (Wut und Angst haben dasselbe ungü ungünstige Atemmuster; dagegen bewusstes, tiefes und langsames EinEin- und Ausatmen hilfreich)

Interventionen: DeDe-Eskalation: -Wie Wie kann es mir gelingen, aggressive Aktionen des Patienten nicht als gegen mich persö persönlich gerichtet zu bewerten oder als Abwertung meiner professionellen Kompetenz, sondern als Ausdruck seiner Erkrankung/Anspannung? - Hilft es, die dahinter liegenden Gefü Gefühle des Patienten anzusprechen oder ist eher eine Verschiebung/Ablenkung des Aufmerksamkeitsfokus hilfreich?

Interventionen: Einschrä Einschränkungen: Nicht jede Situation lä lässt sich dede-eskalieren; Manche AggressionsAggressions-Situationen treten überraschend ohne Frü Frühwarnindikatoren auf („Ü („Übergriff „Übergriff aus dem Nichts heraus“ heraus“; „Überrumpelungs „Überrumpelungsberrumpelungs-Effekt“ Effekt“) Prä Präventivventiv-Maß Maßnahmen mü müssen ressourcenorientiert auf die jeweilige Einzelperson bezogen angelegt sein. Allgemeine Verhaltensvorschlä Verhaltensvorschläge sind ggf. subjektiv nicht umsetzbar, mü müssen individuell geü geübt und adaptiert werden. > Erhalt der persö persönlichen Authentizitä Authentizität

Alderman et al. (2002):

>Wichtigkeit der Sprachfunktionen: Patienten mit sehr reduzierten Sprachfä Sprachfähigkeiten griffen andere hä häufiger kö körperlich an, ohne dass erkennbare Auslö Auslöser vorhanden waren. Stark Stark beeinträ beeinträchtigte Sprachfä Sprachfähigkeiten stellen eine bedeutsame Hü Hürde bei der Behandlung aggressiver Taten dar.

Training und Unterstü Unterstützung der MitarbeiterInnen •Erkennen Erkennen von frü frühen Anzeichen von potentieller emotionaler oder eruptiver Aggression •F Fähigkeit, dann angemessen prä präventiv oder dedeeskalierend zu handeln. •(K (Kö (Körpersprachlicher) Ausdruck von Sicherheit und Souverä Souveränitä nität, eine positive einfü einfühlsame Autoritä Autorität. •Klare, Klare, transparente Kommunikation

Wenn Reden nicht mehr weiter hilft …. •Ein Einü Einüben von patientenschonenden AbwehrAbwehr- und Fluchttechniken bei Angriffen von Patienten •z.B. z.B. sich aus FesthalteFesthalte- und Angriffsarten zu lö lösen und befreien zu kö können, um sich in Sicherheit zu bringen •Ziel: Ziel: maximaler Schutz fü für den Mitarbeiter bei gleichzeitiger Verletzungsfreiheit des Patienten

Training und Unterstü Unterstützung der MitarbeiterInnen •R Rückhalt und Unterstü Unterstützung in der Institution (Vermeidung von Vorwü Vorwürfen: „Was hast Du gemacht, dass es so weit gekommen ist ?) •Nachsorge Nachsorge fü für von Pat.Pat.-Übergriffen betroffene MitarbeiterInnen •Nachbereitung Nachbereitung eines Vorfalls, um kü künftige Auftretenswahrscheinlichkeit zu reduzieren

Ausblick: Eine gelingende Auseinandersetzung mit der Problematik aggressiver Verhaltensweisen kann ein Fachteam oder eine Einrichtung insgesamt stärken, die Zusammenarbeit intensivieren und die notwendige gegenseitige Unterstützung verdeutlichen. Krise kann Klarheit schaffen, kann Ressourcen mobilisieren und Konzepte verändern.

Ausblick: Konsequenzen und Schlussfolgerungen 1. Aggression ist zwar ein komplexes, aber dennoch ein veränderbares Problem. 2. Die Problematik Aggression muss die richtige Aufmerksamkeit und Gewichtung erhalten. 3. Schädigung muss schnellstmöglich verringert oder beendet werden. 4. Die Thematik Aggression sollte versachlicht werden. 5. Änderungen von aggressivem Handeln bedürfen eines komplexen, vernetzten Behandlungsplans.

Zum Schluss: „Man kann ohne Liebe Holz hacken, Ziegel formen, Eisen schmieden. Aber mit Menschen kann man nicht ohne Liebe umgehen.“ Leo Tolstoi

Literaturempfehlungen zur vertieften Beschäftigung mit dem Thema: AWMF-Leitlinien-Register Nr. 038/022, AWMF online – S 2-Leitlinie Psychiatrie: Therapie bei aggressivem Verhalten. Stand: August 2009 Heinrich J. (Hrsg.) Akute Krise Aggression. Aspekte sicheren Handelns bei Menschen mit geistiger Behinderung. LebenshilfeVerlag, Marburg 2005 Kienzle T., Paul-Ettlinger, B.: Aggression in der Pflege. Umgangsstrategien für Pflegebedürftige und Pflegepersonal. Kohlhammer, Stuttgart 2010 (5. Auflage) Schwenkmezger P., Steffgen G. & Dusi D.: Umgang mit Ärger. Ärgerund Konfliktbewältigungstraining auf kognitivverhaltenstherapeutischer Grundlage. Hogrefe-Verlag, Göttingen 1999

Vielen Dank fü für Ihre Aufmerksamkeit und gutes Gelingen für Ihre Arbeit !