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„Moralisch bankrott“ Präsident Juan Antonio Samaranch machte das Internationale Olympische Komitee zur reichsten Sportorganisation der Welt. Dafür wurden die Ideale Olympias durch Tricks, Betrügereien und Manipulation ersetzt.

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r kann gar nicht anders, Juan Antonio Samaranch ist immer in irgendeiner Mission unterwegs. Mal bemüht sich der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) um den Frieden in der Welt, mal streitet er für Fair play; dann wieder dient er dem Weltkonzern des Sports als Werbebotschafter, oder er bringt die Olympischen Orden im Dutzend unter die Prominenz. Samaranch hastet in einem Tempo um den Globus, daß selbst der eilige Vater aus Rom dagegen wie ein müder Tramper wirkt – da kann es schon mal vorkommen, daß der oberste Olympier beim Rollentausch patzt. Während der Winterspiele 1994 in Lillehammer glaubte Samaranch seinem größten Ziel, dem Friedensnobelpreis, mit einer Reise nach Sarajevo, der im Balkankrieg zerstörten Olympiastadt von 1984, näherkommen zu können. Als der Herr der Ringe zusammen mit dem Großaufgebot von Reportern und Kameraleuten nach wenigen Stunden die bosnische Hauptstadt wieder verließ, blieb den frierenden Gastgebern nur die Erinnerung an die elegante Kleidung der Kriegstouristen. Samaranch und die ihn begleitende IOCGarde hatten die Ruinen von Sarajevo in jenen weißen oder dunkelblauen knielang wattierten Mänteln durchstreift, in denen sie in den Tagen vor und nach ihrem Blitztrip in Lillehammer für einen zahlungskräftigen Sponsor Reklame liefen. Die japanische Modefirma Descente schneidert zu jeder Winterolympiade für jedes IOC-Mitglied eigens einen neuen Wintermantel. Jedes Unikat kostet in der Herstellung 1500 Dollar. Die olym-

* Beim täglichen Training im Hotel während der Winterspiele 1992 in Albertville.

pischen Ringe zieren die Brust, der Name des Herstellers den Rücken. Und je nach Blickwinkel des Betrachters wirken die Träger entweder wie daunengefütterte Litfaßsäulen oder wie ein Trupp Hermeline auf Abwegen. In den vergangenen Jahren, errechnete der englische Publizist Andrew Jennings, hätten die Funktionäre allein Mäntel im

EPIPRESS / SYGMA

vorn und sind schon beim nächsten. Sie bewegen sich in Richtung Portal, wo die Hauptzufahrt mündet, und die Wasserscheide ist für die Fans: links Richtung Liverpoolkurve und rechts zum UnitedBlock. Eine Hundertschaft Polizei hat dort Stellung bezogen. Auch eine berittene Einheit ist mit dabei. Trotzdem geht dann plötzlich alles ganz schnell. Ohne Warnung spurtet Gary zu einem Typen, der gekämmte Haare hat und eine beigefarbene Jacke und eher aussieht wie ein harmloser Lehrer. Ansatzlos trifft ihn die Faust links unten am Kopf, ein zweiter Schlag erwischt ihn im Nacken, dann duckt er sich weg und bleibt immerhin auf den Beinen. Aus einer Platzwunde am Kinn sickert Blut, eine Frau schreit, „nein, aufhören, o mein Gott“, und die Menge spritzt auseinander wie eine Pfütze, in die ein Stiefel getreten ist. Plötzlich ist jede Menge Platz an der Stelle. Nur drei, vier verkeilte Kämpfer stehen noch da, dann flutet die Polizei heran und reißt einen der United-Hooligans auf den Boden. Ein Polizist drückt ihm das Knie ins Kreuz, ein anderer fesselt die Hände. Auch Gary ist jetzt umzingelt. Regungslos steht er da, wie in Trance, mit gerecktem Kinn, offenem Mund und vibrierendem Atem. Sein Blick ist starr, und er reagiert nicht auf Fragen. Sein Gegner dagegen ist längst schon verschwunden. Keiner mehr da, der was gesehen hat, nichts ist passiert, also läßt die Polizei Gary bald wieder laufen. Er erreicht seinen Platz auf der Tribüne deshalb noch vor dem Anpfiff. Das Spiel selbst ist dann ein ganz müder Kick. Fünf Minuten vor Ende steht es immer noch Null zu Null, dann kriegt der Torhüter von Liverpool das Leder nicht weg, und irgendwie landet der Ball bei Eric Cantona, und der wuchtet das Ding ins Netz zum einzigen Tor des Abends. Ausgerechnet Cantona, den die Fans hier verehren wie einen Gott, weil er der einzige echte Hooligan ist auf dem Rasen. Cantona gehört nicht zu diesen Reihenhaus-BMW-Phil-Collins-Fußballern, die sonst das Spielfeld bevölkern. Lieber beschimpft er die Journalisten öffentlich als „Toiletten“. Und einen Zuschauer, der ihn beschimpfte, holte er mit einem filmreifen Kung-Fu-Kick von den Beinen. Dafür lieben ihn die Leute hier wie keinen anderen Spieler in den letzten 20 Jahren. Deshalb ertrinkt das Wembleystadion jetzt in einem Meer von Eric-Cantona-Fahnen. Deshalb brandet die Begeisterung durch das Stadion wie damals, als Gary das erstemal beim Fußball war. Überall liegen sich die Zuschauer in den Armen und heulen hemmungslos. Auch die harten Jungs machen da keine Ausnahme. Ihr Cantona gewinnt für sie den Pokal. Das ist das Paradies. Als ob sich jeder einzelne kaputte Knochen in ihrem Leben gelohnt hätte.

Heimsportler Samaranch*: Geben und Nehmen DER SPIEGEL 22/1996

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Olympia in Los Angeles 1984: Im Goldrausch die Dopingtests verhindert

Zirkel der Sportführer tatsächlich ist. Das IOC besteht in Wahrheit aus einigen wenigen Managern, die das Geschäft mit dem Sport betreiben. Der große Rest ist kaum mehr als willfähriges Stimmvieh, das vor allem daran interessiert ist, die Vergünstigungen zu genießen, die das entbehrungsreiche Schaffen eines Funktionärs überhaupt erst lebenswert machen. Das Mosaik, das Jennings aus vielen kleinen Episoden, Rechnungsbelegen und Briefwechseln zusammensetzt, wird

* Andrew Jennings: „Das Olympia-Kartell“. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek; 344 Seiten; 16,90 Mark.

US-Boxer Jones in Seoul 1988 Für die Manipulation bezahlt

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Gesamtwert von rund 400 000 Dollar erhalten. Damit hätte die Stadt Sarajevo während der Belagerung einen Tag mit Lebensmitteln versorgt werden können. Jennings, der sich einen Ruf als härtester Kritiker des Olympia-Konzerns erschrieben hat, setzt einen anderen, IOC-typischen Maßstab: „Das ist viermal soviel Geld, wie das Komitee in den achtziger Jahren für die Behindertensport-Bewegung aufgebracht hat.“ Die Stippvisite in Sarajevo ist eine jener Episoden, mit denen Jennings nach jahrelanger Recherche die Geldgier, den Machterhaltungstrieb und die Scheinheiligkeit der IOC-Mitglieder beschreibt*. Jennings weist eine aktive Bestechung von Kampfrichtern und die Vertuschung von positiven Dopingtests nach. Darüber hinaus belegt er die massive Beeinflussung von Sportfunktionären sowie die Manipulation von Wahlen und sportpolitischen Entscheidungen. „Die olympische Bewegung ist reicher als je zuvor“, resümiert der Brite, gegen dessen erstes Werk das IOC gerichtlich vorgegangen war, „aber sie war niemals moralisch so bankrott wie heute.“ Jennings wartet nicht mit fundamentalen neuen Enthüllungen auf, er hat vielmehr in akribischer Fleißarbeit den olympischen Dreck zusammengekehrt – und Beweise gefunden. Oft wirken die Anschuldigungen kleinkariert, und die Herren im IOC verweisen bei Dementis gerne auf ihre Größe – da habe man so minimale Vorteilsnahmen doch gar nicht nötig. Doch die Vorwürfe sind nur so kleinkariert, wie der scheinbar so hehre

50 Tage vor Beginn der Spiele in Atlanta die Diskussion über die moralische Integrität der Sportführer erneut entfachen – zeigt es doch auch die Hilflosigkeit auf, mit der die 106 IOC-Mitglieder der autoritären Herrschaft ihres Präsidenten Samaranch begegnen. Geradezu beispielhaft für die Schwäche der Mehrheit ist die Personalpolitik im IOC. In Spitzenämter beruft Samaranch nur, wer ähnlich konsequent nach außen die Ideale des Sports predigen und intern beiseite schieben kann wie er. So gilt der Südkoreaner Un Yong Kim, derzeit erster Vizepräsident im IOC, als aussichtsreichster Nachfolger von Samaranch. Kim, 65, so wurde schon lange im Olympiazirkel geraunt, habe früher dem koreanischen Geheimdienst gedient. Jennings arbeitete jetzt alte Akten des amerikanischen Kongresses auf. In den siebziger Jahren versuchten Mitglieder der koreanischen Botschaft in Washington und der koreanische Geheimdienst zusammen mit der Mun-Sekte, Abgeordnete des US-Kongresses zu bestechen. Ein Ausschuß enttarnte Kim als Nachrichtenoffizier der Botschaft, er hatte unter dem Decknamen „Mickey“ operiert. Außerdem soll er einen amerikanischen Waffenhersteller, der die südkoreanische Armee versorgte, um Wahlkampfgelder angegangen sein. Kopien von Schecks, die Kim aus anderen Quellen erhielt, wurden in den Kongreßberichten veröffentlicht. Als seine Rolle aufflog, tauchte Kim unter. Mit den Spielen von Seoul begann Kims Karriere im IOC. Heute zählt er zu den einflußreichsten Sportfunktionären der Welt. Er ist Präsident der Internationalen Sportverbände, die Regierungen in Belgien, Frankreich und Spanien verliehen ihm Ehrentitel, und Samaranch nennt ihn seinen „wichtigsten Mitarbeiter“. Eine belastete Vergangenheit hat noch nie geschadet. So haben trotz der politischen Veränderungen die alten Apparatschiks aus dem Osten überlebt: der Rumäne Alexandru Siperco und Schagdarjaw Magwan aus der Mongolei werden noch bis über die Jahrtausendwende im IOC sitzen. Und Samaranch persönlich hat den russischen Präsidenten Boris Jelzin gebeten, den altgedienten Genossen Witalij Smirnow im IOC behalten zu können. Samaranch weiß, daß ihm diese Altlasten ebenso die Treue halten werden wie die geschäftstüchtigen Neulinge, die er protegierte. Der Kenianer Charles Mukora und der Franzose Jean-Claude Killy sind in ihren Ländern Chefs des Olympiasponsors Coca-Cola; Richard Carrion aus Puerto Rico ist im Hauptberuf Direktor beim IOC-Partner Visa. Dieses kunstvolle Gespinst aus Geben und Nehmen sichert Samaranch die Macht in seinem Zirkel. Meist genügt ein diskreter Wink –

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und die ihm genehmen Personen finden ohne Probleme den Weg ins IOC. Mit welcher Chuzpe der Präsident vorgeht, beschreibt Jennings am Beispiel des mexikanischen Pressezaren Mario Vazquez Raña. Als sich vor der Wahl 1991 in Birmingham Unmut gegen Raña artikulierte, trickste Samaranch mit Winkelzügen zur Geschäftsordnung und der Verhinderung einer geheimen Abstimmung alle Kritiker aus. „Er machte das so geschickt, taktisch war er wirklich unschlagbar“, staunte das britische IOCMitglied Mary Glen-Haig, das offen gegen Raña opponiert hatte. Der Mexikaner wurde mit 13 Stimmen bei 10 Gegenstimmen gewählt – 60 IOC-Mitglieder hatten feige mit Enthaltung votiert. Um die Außenwirkung seiner Sportpolitik muß sich Samaranch keine Sorgen machen. Der Ex-Diplomat, er war vor seiner Wahl spanischer Botschafter in Moskau, weiß, wie mit den Mächtigen und Reichen der Welt umzugehen ist. Er verleihe einfach jedem eine Medaille, schreibt Jennings, „mit dem er Geschäfte machen will oder dem er Zucker in den Hintern blasen will“. Die dekorativen Titel waren vor allem im Osten begehrt, und Samaranch war nie kleinlich. Den Olympischen Orden in Gold erhielten die osteuropäischen Dik-

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tatoren Nicolae Ceau≠escu aus Rumänien, Todor Schiwkow aus Bulgarien und Erich Honecker aus der DDR. Bei den westlichen Regierungschefs reicht, seitdem die Metropolen beim IOC Schlange stehen, um die Olympischen Spiele ausrichten zu dürfen, eine von den nationalen IOC-Mitgliedern überbrachte Depesche, und Olympia-Konzernchef Samaranch wird wie ein Staatsmann empfangen. Politiker wie der britische

„Einen Orden für jeden, dem er Zucker in den Hintern blasen will“ Premier John Major sind dann zu allem bereit. Major versprach dem Olympier, sich bei der Uno dafür einzusetzen, daß dem IOC im Weltparlament Beobachterstatus eingeräumt werde. Die diplomatischen Winkelzüge werden nicht nur in der IOC-eigenen Postille Olympic Review gewürdigt, die pro Ausgabe selten weniger als 20 Fotos des Präsidenten enthält. Auch Journalisten wichtiger Agenturen sind in die Öffentlichkeitsarbeit des IOC integriert; Reporter, die geschönte Berichte für IOC-Publikationen beisteuern oder Werbetexte für

Zeitschriftenbeilagen verfassen, in denen Lobeshymnen über das Komitee und die Sponsoren geschrieben werden, können mit einem üppigen Zeilenhonorar rechnen oder mehr. Journalisten, die das Vertrauen des IOC besitzen, fliegen kostenlos zu olympischen Veranstaltungen und werden dort wie Ehrengäste behandelt. Auf diese Weise hat sich der Olympiazirkel, der nie öffentlich tagt, heimlich, still und leise allen Kontrollmöglichkeiten entzogen, was dem Geschäftsgang eines jeden IOC-Mitglieds förderlich ist – und am besten funktioniert dies in der Bewerbungsphase, wenn mehrere Städte um die Austragung Olympischer Spiele buhlen. So kämpfte sich etwa die Venezolanerin Flor Isava Fonseca mit ihrer Tochter Anabella durch die Gastronomie der deutschen Hauptstadt. Sechs Tage hintereinander war die ehemalige Springreiterin in den Restaurants unterwegs; die Rechnungen, die den Berliner Olympiawerbern vorgelegt wurden, bewegten sich jeweils um 600 Mark. Das Besuchsprogramm für die Olympiastätten beschränkte sich in dieser Zeit auf ganze zehn Stunden. Die Leichtathletik-Weltmeisterschaften 1993 in Stuttgart wurden für die IOC-Hedonisten zum Großeinsatz, der selbst hinter verschlossener Zimmertür nicht zu

Ende war. Der Sudanese Zein Abdel Gadir ließ für Getränke aus der Minibar, für Zimmerservice und Telefon 3115 Mark vom Berliner Olympiakonto abbuchen. Größere Geschäfte hatte der Peruaner Ivan Dibos im Sinn, nachdem er in Stuttgart neben den Reisekosten noch Sonderausgaben in Höhe von 3464 Mark zu Lasten des deutschen Steuerzahlers verursacht hatte. Dibos wollte sich Exklusivrechte für den Verkauf von VW-Pkw in Peru sichern, hatte aber offensichtlich Schwierigkeiten mit dem LateinamerikaVertreter des Konzerns. Durch die Vermittlung einiger IOC-Kollegen und der Berliner Olympiawerber erhielt Dibos schließlich direkt einen Termin bei VWChef Ferdinand Piëch. Die Raffke-Mentalität der IOC-Mitglieder ist schon seit Jahren dafür verantwortlich, daß Bewerbungskampagnen der Städte um die Spiele kaum weniger als 100 Millionen Mark kosten. Als vor vier Jahren Imageschäden drohten, erlegte sich das IOC Selbstverzicht auf. Das Besuchsprogramm bei den potentiellen Austragungsorten sollte auf drei Tage und das Gastgeschenk auf 200 Dollar beschränkt sein – doch an diese Regel hält sich in der Praxis kaum jemand. Nagano, der Austragungsort für die Winterspiele von 1998, ist das beste Bei-

spiel dafür, wie die Spiele durch mächtigen finanziellen Einfluß in eine Stadt geholt werden können. Hinter der Bewerbung Japans stand Yoshiaki Tsutsumi, der einen Großteil der japanischen Wintersportindustrie kontrolliert und so einer der reichsten Männer der Welt geworden ist. 1991, im Jahr der Abstimmung über den Olympiaort für 1998, wurden IOCMitglieder bei Inspektionsbesuchen in

„Zieh dich aus, dann stimme ich für deine Stadt“ Tsutsumis Hotels umsorgt. Die Olympier entspannten sich in heißen Quellen, ließen sich von Geishas unterhalten und durften, so berichteten nachher japanische Reporter, wertvolle Gemälde mit nach Hause nehmen. Das große Verschwiegenheits-Kartell im IOC gewährleistet, daß die intensiven Bemühungen um die Gunst der IOC-Mitglieder unter der Decke bleiben. Nur im schwedischen Falun, dem Bewerber für die Winterspiele 1988 und 1992, öffneten sich für Jennings die Archive. Dabei fand er einen Brief von David Sibandze aus

Swasiland, der die Olympia-Anwärter offen aufforderte, seinem Sohn einen Studienplatz an einer schwedischen Universität zu besorgen, vorzugsweise in Uppsala. Ein anderer Briefwechsel befaßte sich mit den seltsamen Sex-Wünschen eines IOC-Mitglieds. Bislang war es dem Small talk auf den diversen Empfängen vorbehalten, über den Arbeitsumfang der vielen jungen Hostessen im Troß der IOC-Mitglieder zu spekulieren. Die Faluner Briefe zeigen, daß sich vor allem bei den älteren Olympiern eine ganz konkrete Erwartungshaltung herausgebildet hat. Bei seinem Besuch in Schweden forderte das IOC-Mitglied nacheinander drei Hostessen vergebens, aber immerhin noch freundlich zum Tête-àtête auf. Beim vierten Versuch vergaß der Herr der Ringe alle Zurückhaltung, verlangte bei einer Fahrt im Hotelaufzug: „Zieh dich aus, dann stimme ich für deine Stadt. Tust du’s nicht, Pech für euch.“ Die Hosteß berichtete ihrem Vorgesetzten vom Ansinnen; das Nationale Olympische Komitee von Schweden zeigte daraufhin dem IOC die sexuelle Belästigung an. Doch in der Zentrale in Lausanne reagierte man abweisend, das umtriebige IOC-Mitglied darf weiter im

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Auftrag der Jugend der Welt um den GloNachforschungen ergaben, daß rang- andre de Mérode, zugeben, daß er die Libus jetten. hohe Funktionäre für die Manipulation ste mit den gedopten Sportlern und die Coca-Cola, so heißt es bisher, habe bei der Medaillenvergabe bezahlt worden dazugehörigen Codenummern erhalten der Wahl des Austragungsortes der waren. Doch der Internationale Box- habe. Er habe sie in einem Raum des HoOlympischen Spiele 1996 keinen Einfluß sport-Verband beließ es bei Sperren für tels Biltmore verschlossen, der Schrank genommen. Jennings will wissen, daß drei Kampfrichter. Die Funktionäre um sei aber gewaltsam aufgebrochen und der Brausehersteller aus Atlanta die Ent- Präsident Anwar Chowdhry kamen unge- alle Dokumente seien entfernt worden. „Es war ein Skandal, und man könnte scheidung zugunsten der Stadt des Fir- schoren davon. Auch das eingeweihte mensitzes sehr wohl mit beeinflußt hat. IOC-Mitglied Günter Heinze aus der fragen: Warum haben nicht wenigstens Im Februar 1987 hatte der Immobilien- DDR und drei weitere Box-Experten un- einige von uns etwas unternommen?“, Geschäftsmann Bill Payne die Idee, ternahmen nichts, um den Schwindel öf- fragte sich Beckett später. Den Laborleitern wurde statt dessen sogar untersagt, Olympia nach Atlanta zu holen. Als er fentlich zu machen. dies seiner Frau Martha in der Küche seiWährend Jones so um den Lohn jahre- über die noch vorhandenen Ergebnisse zu nes Hauses im noblen Vorort Dunwoody langen Trainings betrogen blieb, wurden berichten. Obwohl die IOC-Herren nicht werden, ihre angeblichen vortrug, meinte die: „Du mußt Peter anru- Chowdhry nachträglich hohe Ehren zuteil. müde fen.“ Paynes bester Freund ist Peter Cand- Samaranch ehrte ihn 1992 mit dem Olym- Bemühungen zur Eindämmung des Doler, ein Enkel der Coca-Cola-Gründerfa- pischen Orden, er lobte ihn für seinen „Re- pings zu propagieren, schert sich auch milie. Der schickte einen dicken Scheck spekt vor den Regeln“ und pries ihn als heute niemand um die verlorengegangenen Tests von Los Angeles. Eine und rief außerdem Horace Sibley an. Si- „glühenden Verfechter des Fair play“. bley ist Partner in der mächtigen Anwaltsfirma King and Spalding, die für Coca-Cola arbeitet. Sibley brachte mit Charlie Battle einen weiteren Partner seiner Kanzlei ins Olympia-Komitee. Im Griff der großen internationalen Konzerne und gefangen im Gestrüpp der eigenen Skandale haben die Funktionäre im IOC längst die Fähigkeit verloren, den kommerzialisierten Spitzensport kontrollieren und die Auswüchse bekämpfen zu können. Unfähigkeit oder Scheinheiligkeit haben viele der Sportführer sogar selbst zu Akteuren und Mitwissern der größten Schiebungen im Sport gemacht. So ließen sie es zu, daß 1988 in Seoul ein amerikanischer Boxer zugunsten eines Koreaners um Gold betrogen wurde. Es war die Gegenleistung für außergewöhnliche Gastfreundschaft. Die Asiaten hatten früh begonnen, den Boden für die von ihnen erhofften Medaillen im Boxen Sarajevo-Besucher Samaranch 1994: „Viel für den Frieden geleistet“ vorzubereiten. Bereits im März 1988 wurden sämtliche Kampfrichter des Der Box-Skandal von Seoul wird den- nachträgliche Disqualifikation berühmTurniers nach Seoul eingeladen. Wer noch nicht als bisher größtes olympi- ter Sportler hätte ja auch einen Imageverkam, wurde großzügig bewirtet, erhielt sches Vertuschungsprojekt in die Ge- lust für die Atlanta-Spiele bedeutet. Die ganze Dopingwahrheit hätte zuGeschenke und wurde in Nachtklubs ge- schichte eingehen. Jennings fand jetzt führt. Ihnen wurde, recherchierte Jen- Beweise und Zeugen, die belegen, wie dem die Bemühungen des Präsidenten nings, jeder Wunsch von den Augen ab- bei den Spielen 1984 in Los Angeles gestört, den Friedensnobelpreis zu erhalgelesen. eine Reihe positiver Dopingproben auf ten. Jennings weist nach, daß es trotz geSechs Monate später traf im Finale des Weisung von oben verschwiegen wur- genteiliger Verlautbarungen aus dem IOC seit Oktober 1986 eine Kampagne Halbweltergewichts der heutige Profi- den. Weltmeister Roy Jones auf den SüdkoreaVier Tage vor Ende der Spiele teilte gibt. Bei einem Gespräch mit Inge Eidsner Park Si Hun. Jones sammelte Punkte Don Catlin, Direktor des Dopinglabors, vag, dem Rektor des humanitären Nannach Belieben, traf fast dreimal so häufig dem Kontrolleur Professor Arnold sen-Instituts in Lillehammer, machte Sawie sein Gegenüber und fühlte sich nach Beckett sichtlich erregt mit, er sei aufge- maranch einen direkten Vorstoß. Er erdem letzten Gongschlag als sicherer Sie- fordert worden, seine Tests nicht fortzu- klärte, so Eidsvag, daß er oder das IOC ger. Doch zur Überraschung der neutralen setzen. Bis dahin hatten die Dopingfahn- den Nobelpreis verdient hätten, weil er Zuschauer wurde Park als Gewinner aus- der schon viele positive Proben festge- „viel für den Frieden geleistet“ habe. Doch die Friedensplatitüden des IOC gerufen, drei Punktrichter hatten ihn vorn stellt. Doch nur ein Bruchteil davon, eringesehen. Mit einer verlegenen Geste hob nert sich Catlin-Stellvertreter Craig und seiner Claqueure verfangen in Oslo Park bei der Siegerehrung den Amerikaner Kammerer, sei auch geahndet worden. nicht. Die internationale Sportbewegung, hoch, so als wolle er wenigstens dem Pu- Bei einer späteren Tagung der Medizini- meint Friedensforscher Eidsvag, habe keiblikum den wahren Goldmedaillengewin- schen Kommission des IOC mußte der ne Chance auf den Nobelpreis, sie sei nur ner zeigen. Vorsitzende, der belgische Prinz Alex- „eine reiche undemokratische Elite“. ™ DER SPIEGEL 22/1996

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