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Dysphagie-Diagnostik in der Praxis Die Ursachen einer Dysphagie können vielfältig sein. Sie sind häufig neurologischen Ursprungs und reichen hier von Schlaganfällen, Störungen der neuromuskulären Übertragung, Morbus Parkinson und multipler Sklerose bis hin zu hereditären Ursachen. Auch anatomische Fehlstellungen wie Gaumenspalten oder Paraneoplasien können Auslöser sein. In der Praxis bedeutet das ein Risiko für Mangelernährung, aspirationsbedingte Lungenentzündung und Dosierungsprobleme bei oralen Therapeutika. Die korrekte Diagnose einer Dysphagie ist daher nötig, aber nicht immer einfach. Falls der Patient nicht kommunikationsfähig ist, ist eine Einbeziehung von Angehörigen oder betreuenden Pflegekräften sinnvoll. Die folgenden Fragen können zur exakten Charakterisierung der Schluckprobleme nützlich sein:

10 Fragen an den Patienten: • Wie lange dauert eine reguläre Mahlzeit, wie lange das Leertrinken eines Glases mit Flüssigkeit? • Kommt es während des Schluckens zu Hustenanfällen oder zu Atemnot? • Welche Nahrungsmittel und Getränke bereiten die meisten Probleme? • Kommt es während oder nach dem Essen zum Hervorwürgen von Nahrungsteilen aus dem Rachen durch Mund oder Nase?

• Besteht nach dem Essen ein Druck- oder Kloßgefühl im Halsbereich? • Klingt die Stimme nach dem Essen /Trinken „feucht“ oder „gurgelnd“? • Ist der Geschmack einmal verzehrter Nahrung noch stundenlang im Rachenraum präsent oder kommt es zum späteren, unerwarteten Hervorbringen von Speiseresten?

• Ist das Essen bzw. das Schlucken von Schmerzen begleitet? Entsteht hierbei das Gefühl von Schmerzen oder Brennen hinter dem Brustbein?

• Gibt es häufige Infektionen der Atemwege / Lungenentzündungen / unklare Fieberschübe? • Wie hat sich das Körpergewicht in den letzten Monaten entwickelt?

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Die aktuellen Leitlinien der DGEM zum Screening und Assessment von Schluckstörungen bei Schlaganfällen empfehlen die folgenden nicht-apparativen Tests:

1. Wasserschlucktest (WST) Kann der Patient über 15 min aufsitzen, ist er wach und aufmerksam?

NEIN

JA NEIN

Ist der Mund sauber / leer? JA

Patient aufsetzen, 3 x je einen Teelöffel Wasser geben, Finger über Kehlkopf platzieren und Schlucken fühlen. Jeden Schluck beobachten, besteht eines der folgenden Zeichen? • schluckt nicht • Stimme verändert, „feucht“, belegt, „Ahh!“ sagen lassen • hustet • hustet verzögert

• Mundpflege und -hygiene JA

NEIN

Den Patienten dauernd beobachten, wie er ein Glas Wasser trinkt. Besteht eines der folgenden Zeichen? • schluckt nicht • Stimme verändert, „feucht“, belegt, „Ahh!“ sagen lassen • hustet

• orale Nahrungs- und Flüssigkeitskarenz • Mundpflege • logopädisches Assessment • Ernährungsberatung, wenn notwendig

• orale Nahrungs- und Flüssigkeitskarenz • Mundpflege • logopädisches Assessment

JA

• hustet verzögert NEIN

Beginn mit oraler weicher Kost unter Beobachtung (z.B. Wackelpudding). Weiter Husten und Aspirationszeichen beobachten und an Sprachtherapeuten weiterleiten, wenn notwendig.

JA

NEIN

Schwierigkeiten mit Flüssigkeiten? JA

Hat der Patient ein ösophageales oder gastrisches Leiden?

JA

• medizinische Versorgung

NEIN

Hat der Patient ein intaktes Gebiss / eine intakte Zahnprothese?

NEIN

• dentale Versorgung

JA

Weiterhin weiche, leichte Kost und an Logopäden verweisen, wenn notwendig.

Quelle: Department of Speech and Language Therapy, Raigmore Hospital, Inverness

Voraussetzung für diesen Test ist die Fähigkeit des Patienten, in aufrechter Haltung 15 min wach und kooperationsfähig zu sein sowie das Vermögen, seinen eigenen Speichel zu schlucken. Werden während des Tests klinische Aspirationszeichen gezeigt, gilt der Test als positiv, ohne diese als negativ. Aus diesem Test lassen sich allerdings keine Diätempfehlungen ableiten.

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2. Multiple-Consistency-Test (Gugging Swallowing Screen, GUSS) Der GUSS erlaubt durch ein schrittweises Vorgehen eine Einstufung der Dysphagie und auch eigene Beurteilungen von flüssigen und nicht-flüssigen Konsistenzen. ja

nein

Vigilanzniveau (Patient ist für mindestens 15 min wach)

1

0

Willkürliches Husten (2-mal kräftiges Husten)

1

0

1 0 0

0 1 1

Schlucken des eigenen Speichels

erfolgreich oraler Speichelverlust Stimmveränderung (belegt, rau, gurgelnd, schwach)

(5) Summe

1 – 4 Punkte: weiterführende Untersuchung * 5 Punkte: weiter mit Teil 2

Reihenfolge

1

2

3

halbfest

flüssig

fest

Schluckakt

nicht möglich verzögert regelrecht

0 1 2

0 1 2

0 1 2

Husten (vor, während oder bis zu 3 Minuten nach dem Schlucken

ja nein

0 1

0 1

0 1

Oraler Bolusverlust

ja nein

0 1

0 1

0 1

Stimmveränderung

ja nein

0 1

0 1

0 1

Summe I

(5)

(5)

(5)

1 – 4 Punkte: weiterführende Untersuchung *

1 – 4 Punkte: weiterführende Untersuchung *

1 – 4 Punkte: weiterführende Untersuchung *

5 Punkte: weiter mit Flüssigkeit

5 Punkte: weiter mit fester Konsistenz

5 Punkte: Normalbefund

Summe II (indirekter und direkter Schlucktest) * CBA (Clinical Bedside Assessment) oder apparative Dysphagiediagnostik

(20)

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2. Multiple-Consistency-Test (Gugging Swallowing Screen, GUSS) Ergebnis

Schweregrad

Empfehlung

• halbfeste, flüssige und feste Konsistenz erfolgreich

keine oder leichte Dysphagie mit minimalem Aspirationsrisiko

• normale Kost • Flüssigkeit ohne Einschränkung (initial unter Aufsicht speziell geschulten Personals)

• halbfeste und flüssige Konsistenz erfolgreich • feste Konsistenz nicht erfolgreich

leichte Dysphagie mit niedrigem Aspirationsrisiko

• pürierte oder weiche Kost • Flüssigkeiten schluckweise • apparative Dysphagiediagnostik (FEES, VFSS) • logopädische Mitbeurteilung

5–9

• halbfeste Konsistenz erfolgreich • flüssige Konsistenz nicht erfolgreich

mäßige Dysphagie mit Aspirationsrisiko

• geringe Mengen pürierter Kost • zusätzlich Ernährung via NGT oder parenteral • Flüssigkeiten andicken • Tabletten mörsern • apparative Dysphagiediagnostik (FEES, VFSS) • Logopädische Mitbeurteilung

0–4

• Voruntersuchung oder halbfeste Konsistenz nicht erfolgreich

schwere Dysphagie mit hohem Aspirationsrisiko

• keine orale Ernährung • Ernährung via NGT oder parenteral • apparative Dysphagiediagnostik (FEES, VFSS) • logopädische Mitbeurteilung

20

10 – 15

Wenn der Patient anfangs fähig ist, seinen Speichel zu schlucken, werden folgende Konsistenzen nacheinander geprüft: halbfest, flüssig und fest. Auf dieser Grundlage wird der Schweregrad einer vorliegenden Dysphagie in schwer, mäßig, leicht oder keine eingeteilt und für jeden Schweregrad spezielle Diätempfehlungen gegeben.

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3. Schluck-Provokations-Test (Swallowing-Provocation-Test, SPT) Dieser Test unterscheidet sich grundlegend von den beiden vorher beschriebenen, da er sich ausschließlich auf die Auslösbarkeit des Schluckaktes fokussiert. Hierfür wird ein dünner Katheter transnasal eingeführt und im Oropharynx platziert. Über den Katheter werden 0,4 ml destilliertes Wasser oder sterile, physiologische Kochsalzlösung an die Rachenhinterwand injiziert. Beurteilt wird hierbei die Reflexantwort. Diese gilt als unauffällig, wenn in einem Zeitfenster von 3 Sekunden nach Stimulation der Schluckreflex ausgelöst wird. Erfolgt dieser später oder nicht, so gilt dieser als pathologisch. Die angeführten Tests unterscheiden sich hinsichtlich Spezifität und Sensitivität voneinander und können z.T. auch untereinander kombiniert werden. Näheres hierzu finden Sie in den aktuellen DGEM-Richtlinien (siehe Quelle).

Quellen: Dieser Artikel beruht auf folgenden Arbeiten: • R. Wirth, R. Dziewas, M. Jäger, T. Warnecke, C. Smoliner, K. Stingel, A. H. Leischker und das DGEM Steering Committee, Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) in Zusammenarbeit mit GESKES, AKE, DGN und DGG Klinische Ernährung in der Neurologie • W. Köhler, N. Niers, R. Berger, D. Volkert; Lila Reihe, Schluckstörungen – Ein Überblick aus neurologischer Sicht

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