Prof. Dr. Gisela Kubon-Gilke EFH Darmstadt

Armut und Gerechtigkeit Referat im Rahmen des Seminars „Armutsberichte“ Hephata, 25. 11. 2005

Übersicht • Grundthese und nicht behandelte Fragen • Irritationen und vermeintliche Widersprüche • Interdependenz von Armutskonzepten, Verteilung und Gerechtigkeit • Konzepte der Armutsmessung – Axiomatische Anforderungen und Sens Unmöglichkeitstheorem – Operationalisierung verschiedener Armutskonzepte und methodische Probleme – Ideologie – Wissenschaft – normative Grundfragen

• Fazit

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Irritationen und Widersprüche • Armuts- und Reichtumsbericht 2005 (Zahlen 2002) – 13,5% aller in D lebenden Menschen sind arm (deutliche Steigerung seit 1998) – Besonders betroffen: Kinder, Jugendliche, Alleinerziehende, aber abnehmende Altersarmut

• Menschen im Schatten, Armutsberichte kirchlicher Forschungsanstrengungen (Jahrbuch Gerechtigkeit I: armes reiches Deutschland) • Kritik an üblichen Armutsmaßen • Deutschland und der human poverty index • BIP/Kopf, Lohnquote, personelle Einkommensverteilung und die Entwicklung der Sozialquote 25. 11. 2005

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Armut, Verteilung und Gerechtigkeit • Absolute Armut – Grundidee – Negative Freiheit, prozedurale Gerechtigkeit und Fokus auf materielle Versorgung wie bei Rawls, Nichttrennbarkeit von Allokation und Verteilung

• Relative Armut – Grundidee – Positive Freiheit, Verteilungsgerechtigkeit, Inklusion und die soziale Funktion von Gütern, geringer Bezug zur Funktionsfähigkeit des Wirtschaftssystems

• Armut als Menschenrechtsverletzung • Armutskonzepte in Abhängigkeit von Gerechtigkeitsvorstellungen 25. 11. 2005

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Axiomatische Anforderungen an Armutsmaße • • • • • • •

Monotonie-Axiom Transfer-Axiom Sensitivitätsaxiom Fokus-Axiom Skalen-Invarianz-Axiom Größen-Unabhängigkeits-Axiom Unmöglichkeitstheorem: kein Armutsmaß kann alle Axiome gleichzeitig erfüllen

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Konzepte der Armutsmessung I: Grundsätzliches • Versorgung vs. Möglichkeiten • Grundlegende Basis: Verständnis Wirtschaftssystem und Gerechtigkeitsvorstellung • Materielle Versorgung (absolut) vs. relative Position in der Gesellschaft

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Konzepte der Armutsmessung II: Absolute Armut • Basic Needs • Food-ratio und die Engelkurve – Mindesteinkommen als minimale Lebensmittelausgaben, multipliziert mit einem Faktor > 1 – Anteil für Lebensmittelausgaben, der nicht überschritten werden darf

• Soziokulturelles Existenzminimum 25. 11. 2005

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Konzepte der Armutsmessung III: Relative Armut • Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und die Funktion von Gütern • Armut als Unterschreitung des Einkommens im Verhältnis zum durchschnittlichen Einkommen • Armut und die Zahl von Transferempfängern • Lorenz-Kurve und Gini-Koeffizient: Wechsel zu Verteilungsmaßen 25. 11. 2005

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Konzepte der Armutsmessung IV: Lebenslagenansätze • Tatsächliche vs. potentielle Lebenslage • Mehrdimensionalität des Armutsmaßes – Indices des SOEP-Panels – Human Poverty Index – Kommunale Armutsberichte, Armuts- vs. Sozialberichte

• Subjektive Armut

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Operationalisierbarkeit I: relative Armut • • • • •

Offizielle vs. tatsächliche Einkommen Wahl des Prozentsatzes, der die Armutsgrenze definiert Berechnung des Durchschnitts Wahl der Bezugsgruppe Umrechnung verschiedener Haushaltsgrößen und Aggregation der Haushalte • Headcount und statische Messung und die Durchlässigkeit von Einkommensklassen (aktuelles vs. permanentes Einkommen) • Einkommen als Maß für den Zugang zu Gütern – Märkte außerhalb des A=N-Gleichgewichts – Güter aus den Koordinationsteilsystemen Tradition und Zentralverwaltung 25. 11. 2005

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Operationalisierbarkeit II: absolute Armut und Lebenslagenansätze • Festlegung existenznotwendiger Gütermengen • Festlegung der Indikatoren • Gewichtung der Indikatoren – Lexikographische Gewichtung – Mindestanforderungen – Gewichtungsfaktoren am Bsp. Human poverty index

• Spezielle Probleme kommunaler/regionaler Armuts- und Sozialberichte

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Ideologie, Wissenschaft und Verschränkung normativer und positiver Aussagen • Unmöglichkeit einer wertneutralen Wissenschaft, Missverständnisse über Popper • Offenlegung normativer Grundpositionen am Beispiel der Gerechtigkeitsvorüberlegungen • Ideologie und politische Zwecke von Armutsberichten – Wahl des konkreten Armutsmaßes zur Erhöhung oder Entschärfung eines gesellschaftlichen Problems – Notwendigkeit zu Lobbyismus gerade im Sinne einer Gegenkraft der Benachteiligten 25. 11. 2005

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Fazit • Zusammenhang: Armutsmessung und Gerechtigkeitsvorstellung • Konzepte der Armutsmessung • Unmöglichkeitstheorem und konkrete Operationalisierungsprobleme • Wissenschaft und politische Einflussnahme: Zielkonflikte • Bedeutung regionaler Armuts- und Sozialberichte sowie Möglichkeiten und Grenzen politischer Gestaltung 25. 11. 2005

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