Arbeitsszenarios der Zukunft Ethische Implikationen

-1- Arbeitsszenarios der Zukunft – Ethische Implikationen Vom neuen tätigen Leben Arbeiten am Beginn des 3. Jahrtausends. Was wir verlieren – was w...
Author: Max Graf
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Arbeitsszenarios der Zukunft – Ethische Implikationen

Vom neuen tätigen Leben Arbeiten am Beginn des 3. Jahrtausends. Was wir verlieren – was wir gewinnen können. 27 Essays, Tätigkeitsbiographien, ein Manifest und small points Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades Doktor der Theologie an der Karl Franzens-Universität Graz Betreuer: Univ.-Prof. Dr. Leopold Neuhold eingereicht von Mag. Hans Krameritsch Graz, Juni 2002

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Inhalt Anmerkungen zu den Tätigkeitsbiographien 6 ...die small points 7 Arbeitsszenarios der Zukunft - Ethische Implikationen 8 A Wie geht es weiter mit der Arbeit? Ansichten 8 1 Geht der Arbeitsgesellschaft die Arbeit aus? 8 * Ein literarischer Exkurs: Die dunkle Seite der Arbeitsgesellschaft 8 * Anekdote zur Arbeitsgesellschaft 10 * Rifkin im Gespräch 10 * Im Gespräch: Hans – Peter Martin 13 * Ulrich Beck: Vom System standardisierter Vollbeschäftigung zum System flexibel – pluraler Unterbeschäftigung 14 ......small points 16 2 Alles Arbeit! 17 * Max Goldt: jetzt – Tagebuch 17 * Schnappt die Professionalisierungsfalle zu? 20 * Susi: Immer mehr Arbeit in der Pfarrgemeinde 21 ....small points 13 3 Von der Amerikanisierung Brasiliens zur Brasilanisierung der Arbeitswelt 24 * Kommt die Dritte Welt zu uns? 24 „Basilianisierung“ 24 „Drittweltisierung“ 18 „Hausfrauisierung“ 26 ...small points 27 4 Prekär. Oder lebensästhetisch? 28 * „Das Jobwunder enthält einen großen Schwindel“. Gorz im Interview 28 * Gert: Sex, Drugs & Rock `n Roll, die Uni und ein Internet – Projekt 29 * Kann es sein... Vier Fragen zur lebensästhetischen Option 33 ......small points 33 5 Sinabelkirchen oder New Delhi 34 * Hochrechner, Gesundbeter und Grölbacken 34 * Nomaden - Vagabunden - Touristen 35 * Amadeus: music + tech 36 * Forscher als globale Arbeiter 39 .....small points 39 6 * * *

Kleine Happen: Mcjobs 40 Ich bin ein mcjobber 40 Wie man es gerne hätte: Eine Anzeige 41 Wie es ist : Ein Bericht 41

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Working pur 43 Katharina. Working pur. Poor? 43 Über Armut und ihre Definitionen 43 .....small points 45

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8 getting things done! 46 * Schu: Eine Karriere in Stichworten 46 * Was ManagerInnen noch lernen wollen 48 * „Die Leute haben Hunger nach Erfolg“. Interview mit Peter W. Kimmel 49 * Scheinbar ein Exkurs: „Der Adler“ 49 * Management – Strategien im 20. Jahrhundert 50 ....small points 51 9 Von einer Kultur der Arbeit zur Anlegerkultur 52 * Benton arbeitet und spekuliert 52 * Die Firma T ist eine Bank... 53 * Fünf Tipps, die sich bezahlt machen 53 * Peter Vujica, Aktienroulette 53 * Wider die Allmacht des Geldes. Eine Einladung 54 * Tobin or not Tobin. Ein Leserbrief 54 * „Raff und renn“ 55 * Vom Shareholder – zum Stakeholder – Ansatz 56 ...small points 57 B Was geht verloren - was wird gewonnen? Eine ethische Analyse neuer Arbeit 58 1 Orientierungslosigkeit - eine Tugend? 58 * Triffst du einen Buddha... 58 * Ignatius von Loyola: Prinzip und Fundament 60 * David Steindl – Rast: Hoffnung 60 * Sieben Fragen an... 60 * Heinrich verkauft Alkohol 61 ....small points 61 2 Ethik oder Ästhethik? 62 * Wilson Wilson, der Berater des Heimwerkerkings 62 * Naomi Klein: „Ich war eine militante Calvin – Klein – Trägerin.“ 63 * Splitter aus dem Ansichtenkatalog ästhetischer Lebenskonzepte 64 ...small points 65 3 Selbstausbeutung macht alles besser? 66 * HM: Ich bin Baumeister! 66 * Gründerpreis. Eine Ausschreibung 71 .....small points 72 4 Direkt mit e – mail 73 * Martin kommuniziert direkt 73 * Bill Gates: Der WebLifestyle verändert alles 73 * Neue Technologien bringen neue Berufe 74 * Schatten 75 * Wenn der Faktor Mensch wegzufallen scheint. Wieder ein Leserinnenbrief 75 ....small points 76 5 * * * * *

Nischen – wollig warm 77 Aus der Geschichte des Flusskirchner Schafes 77 Dorli filzt 78 Hermann baut Webstühle 79 Anselm Grün: Rituale der Arbeit als Nischen in der Arbeit 80 Wieder einmal Bill Gates: Die kognitive Nische 80

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.....small points 81 6 Bleibt der Mensch (ein Mensch)? 82 * „Bin ich ein böser Mensch?“ Interview mit Jack Welch 83 * Mensch sein in der Arbeit. Ein Fragebogen nach Matthew Fox 85 ..small points 85 7 Auf mich nimmt auch niemand Rücksicht! 86 * „Social Feeling“: Anneliese Fuchs in der FURCHE 87 * Kleiner Exkurs über Egoismus 87 * Eine österreichische Firmenphilosophie 89 * Das Hauptgebot - die andere Perspektive 90 ...small points 91 C Wie es werden könnte Zukunftschancen der Arbeit 92 1 Faulheit bleibt ein Laster, aber der Geist weht, wo er will 92 * a village does nothing 94 * Ein Dorf tut nichts - Überlegungen zum Nichtstun 94 * Max Weber: Die erste und schwerste aller Sünden 94 * Kontrapunkt: Paul Lafargue - Recht auf Faulheit (?) 95 * Wisconsin Works: Kann man das Arbeiten (wieder) lernen? 97 * Bill betreut Muttern 97 * ..und was machen Sie so im Leben? 98 * Gebet der Faulheit 98 * mmmgs: die bedeutung der kunst in meiner beruflichen tätigkeit 99 ..........small points 100 2 Von prächtigen Blumen und von der Nahrung der Vögel 102 * Eine kleine Biblische Geschichte der Arbeit 102 * Günter bremst 104 * Die Botschaft Jesu zur Arbeit (?) 105 * Heinrich Böll: Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral 105 * Herbert steigt aus und ein 106 ...small points 113 3 Weniger haben, mehr sein 114 * Der Weg zum Tun ist zu sein 114 * Hover steigt um 115 * Ihr könnt nicht beiden dienen, Gott und dem Mammon 116 * Ein Kontrapunkt 116 * Das Geräusch der Grille: Eine erhellende Erzählung 117 ....small points 118 4 Franziskus hat Freude an High tech 119 * „Parallelentwicklungen“: John Naisbitt im Gespräch 121 ......small points 122 5 Die grüne Jobmaschine 123 * Fredl wird immer grüner 124 * Werbung für „grüne“ Studien 126 ...small points 129 6 In Wörgl wird das Geld abgeschafft 130

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* NachfolgerInnen für Michael Unterguggenberger? 133 * Ein Gedicht 133 * Charta der Initiative Wissensnetzwerk 134 * SUCHE 134 * BIETE 135 * Osama, der Sanfte: Keine gebratene Ameise 135 .....small points 136 * Überleitung: Ein Oscar der anderen Art 138 7 Die BürgerInnen gestalten ihre Welt 139 * Ulrich Beck: Vision Weltbürgergesellschaft. Zwölf Thesen 141 * Ein pädagogischer Einschub: Zivile Erziehung 142 * Bürgerarbeit, Ehrenamt & Co: Dokumente zur Praxis 142 ............small points 145 8 Von irgend was muss man ja schließlich leben 146 * Soziale Kälte oder: Eine Frage der Philosophie 146 * Indisches Kastenwesen? 148 * Federike Schikora: TV – Illusionen 151 * Ausländer als Hilfskräfte. Kein Exkurs 152 ...small points 153 9 Helfen hilft mir 154 * Barbara hilft 154 * Franz hilft jetzt anders 158 * Erstes Blitzlicht: Internet – Communities: Viele nette Nachbarn 161 * Zweites Blitzlicht: Evi besucht Omi 161 * PS: Drei unterschiedliche Alternativen 161 ........small points 163 10 Ich bin Baumeisterin 165 * Siegfried 168 * Dr B weiß nicht so recht 169 ......small points 172 11 Absolut sicher wissen wir vorläufig gar nichts. Max 173 * Ulrich Beck: Risikobiografie - Bruchbiografie 175 * Arbeit, Spiel und Muße 178 ..........small points 179 12 Manifest für gute Arbeit in einem guten Leben 180 Literatur

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* Anmerkungen zu den Tätigkeitsbiographien Manche der Tätigkeitsbiographien sind parallel zu den Ausführungen im jeweiligen Abschnitt zu lesen, fast als „Illustration“ des Textes, manche in bewusstem Kontrast zu ihm. Zu anderen Tätigkeitsbiographien sind Ausführungen in mehreren Abschnitten dieser Arbeit zu finden. Insgesamt zeigen die Tätigkeitsbiographien in anschaulicher Weise nicht nur Vielfalt und Bandbreite heutigen (und nach meiner Meinung in deutlichen Anklängen auch zukünftigen) Arbeitens, sondern stellen auch die Buntheit menschlicher Lebensentwürfe dar, die immer wieder überraschen und beglücken kann.

NB: Ich danke den Menschen, die mir ihre Tätigkeitsbiographie anvertraut haben. Ich danke für die interessanten Gespräche und Hinweise auf mein Thema. Ich fühle mich dadurch bereichert. Und ich denke, die vorliegende Arbeit wurde durch den damit eingebrachten O – Ton aus der Praxis um vieles lebendiger und von einigem theoretischen Papierstaub befreit, der sich sonst sicherlich auf sie gelegt hätte. Ich bin stolz darauf, mit Euch befreundet sein zu dürfen.

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...die small points sind als thesenhafte merksätze zu verstehen, mit all der in ihnen enthaltenen vorläufigkeit und ungesichertheit. wenn sie als impulse und ausgangspunkte zum weiterdenken, -reden und –gestalten dienen können, haben sie mindestens eine durchaus beabsichtigte wirkung erfüllt. geschrieben habe ich die small points aus meinen eigenen erfahrungen heraus, nach den vielen gesprächen mit tätigen menschen und nach der studierten literatur. sie mögen auch als ausdruck meines bemühens gelten, in locker pointierter form ethische fragestellungen zum thema zukünftiger arbeitsszenarios zur sprache zu bringen.

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Arbeitsszenarios der Zukunft - Ethische Implikationen A Wie geht es weiter mit der Arbeit? Ansichten 1 Geht der Arbeitsgesellschaft die Arbeit aus? Vieles deutet darauf hin, dass sich im Bereich des Arbeitens ein fundamentaler Wandel anbahnt oder sich schon vollzieht, der durchaus als Paradigmenwechsel1 bezeichnet werden kann. So merkt zum Beispiel Hannah Arendt zur Arbeitsgesellschaft an: "..diese einzig auf die Arbeit abgestellte Welt ist im Begriff, einer anderen Platz zu machen."2 Und der US - amerikanische Wissenschaftskritiker und politische Journalist Jeremy Rifkin wagt in seinem Bestseller vom "Ende der Arbeit" gar folgende Prophezeiung: "Arbeit ist die Grundlage aller menschlichen Zivilisation. Für die altsteinzeitlichen Jäger und Sammler gehörte sie genau so zum täglichen Leben wie für die neusteinzeitlichen Ackerbauern, die mittelalterlichen Handwerker und die modernen Fließbandarbeiter. Jetzt wird zum ersten Mal in der Geschichte die menschliche Arbeitskraft aus dem Produktionsprozess verbannt. In weniger als einem Jahrhundert wird die industrielle >Massenbeschäftigung< in allen entwickelten Ländern der Vergangenheit angehören. Eine neue und leistungsfähigere Generation von Computer- und Informationstechnologien verändert die Arbeitswelt und macht zahllose Menschen arbeits- oder gar brotlos."3 Auch aus dem Blickwinkel Erich Kitzmüllers gibt es für die Arbeitsgesellschaft keine Zukunft: "Die Arbeitsgesellschaft wird, so oder so, eine Episode der Menschheitsgeschichte sein. Gegenwärtig erscheint sie - und schon seit mehr als hundert Jahren - als normal, als selbstverständlich, als lebensnotwendig. Diese Qualitäten werden überdies in andere Epochen und Kulturen projiziert, die an den Erfolgen der Arbeitsgesellschaft gemessen und gering geschätzt werden. Aber das war und ist eine Täuschung. Diese Täuschung wird nicht mehr lang durchgehalten werden können. Denn wir sind konfrontiert nicht mehr nur mit einer der vielen Krisen in der Arbeitsgesellschaft, sondern mit der Krise der Arbeitsgesellschaft. Arbeitslosigkeit hebt nur einen Teil dieser Krise ans Licht."4

* Ein literarischer Exkurs: Die dunkle Seite der Arbeitsgesellschaft Oabeit5 Es is no finsta do hea i eam scho Er redt nix und huascht vü waamt sein Kaffee am Rescho I lieg no in da Hapfn waunn de Tia draußt geht Weu in de Oabeit in de Oabeit kummt ma ned zu spät Vuabei an hochgwochsane Heisa volla zsammgstauchte Leit Zerscht min Radl daunn min Moped auf a Auto spoat a bis heit Ea is boid derrisch von da Hockn und er is blind fias Lebn Weu in da Oabeit in da Oabeit muaß ma olles gebn 1

Deckstein, Arbeit neu denken, 7, spricht von einer "Neuorientierung unserer Arbeitskultur" Arendt, Vita activa, 410 3 Rifkin, Das Ende der Arbeit, 17 4 Erich Kitzmüller, Ein innovativer Umgang mit Gewalt: Umbau der Arbeitsgesellschaft, in: Horn, Transformation der Arbeit, 127 5 Günter Brödl, Ostbahn Auslese, Wien 1998, 79. Musikalisch wurde das Lied interpretiert von Ostbahn - Kurti Willy Resetarits. Tonträger Trost & Rat (1994), Musik und Text nach dem Song "Factory" von Bruce Springsteen 2

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Waunna hamkummt is finsta und da Tog is vuabei Ea hod tan wos zum tuan is weu des muaß so sei Er redt nix und huascht vü Wü sei Ruah und sein Tee mit Rum Weu des Lebn is Oabeit und de bringt eam um Günter Brödl Könnte dieser Text des im Jahr 2000 verstorbenen Wiener Schriftstellers als Abgesang auf das Arbeitsethos der Arbeitsgesellschaft zu lesen sein? Ist es ein sentimentaler Nachruf auf die Frauen und Männer, die lebten, um zu arbeiten, weil man es ihnen so beigebracht hatte?6 Und es gab zweifelsfrei auch gute Gründe für die Menschen, ihr Leben nach der Arbeit auszurichten: "Erwerbsarbeit war der Anker, an dem alles festgebunden war: Einkommen und soziale Integration. Treue und Abhängigkeit des Arbeitnehmers wurden belohnt mit Arbeitsplatz- und Einkommensgarantie."7 Und geht mit dem Leben dieser Arbeitsmenschen auch eine bestimmte Art des Arbeitens ihrem Ende entgegen, wie Andre Gorz meint? Unter der Überschrift "Die entzauberte Arbeit" führt er aus: "Wir erleben das Verschwinden einer spezifischen Weise, der Gesellschaft anzugehören und einer spezifischen Gesellschaftsformation: Michel Aglietta nannte sie >Lohngesellschaft< und Hannah Arendt >ArbeitsgesellschaftArbeitausführenden< Persönlichkeit trennbar, sie lässt sich auf dem >Arbeitsmarkt< kaufen und verkaufen wie jede andere Ware auch. Es ist die Arbeit, die Ende des 18. Jahrhunderts vom Manufakturkapitalismus erfunden und mit großer Mühe und Gewalt den Arbeitenden aufgezwungen wurde." 8

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Graf Zinzendorf: "Man arbeitet nicht allein, dass man lebt, sondern man lebt um der Arbeit willen", zitiert in: Pieper, Muße und Kult, 14. Anmerkung 1 in : Pieper, Muße und Kult, 95: "Max Weber hat diesen Satz (des Grafen Zinzendorf) zitiert in seiner berühmten Abhandlung über den Geist des Kapitalismus und die protestantische Ethik (Tübingen 1934), S. 171." - Die Arbeits- und Freizeitsituation des Industriearbeiters wird nach Studien so beschrieben: "Die als unausweichlich erlebte Arbeitssituation lässt nämlich auch die Bedürfnisse und Erwartungen hinsichtlich der außerbetrieblichen, arbeitsfreien Zeit verkümmern. Wie die Ansprüche an die Arbeit, sind auch die an das Privatleben bis zur Bedürfnislosigkeit zusammengeschrumpft. Die Zeit nach der Arbeit wird mit fast nichts zugebracht; selbst der passive Fernsehkonsum ist oft schon zu anstrengend. Die monotone, stumpfe Fabriksarbeit lässt den ganzen Menschen abstumpfen. Man lebt nicht mehr, sondern lässt sich leben und erfährt sich so zunehmend auch sozial isoliert. Oft weiß der Einzelne aber keinen anderen Ausweg, um leben und überleben zu können." Wolkinger, Arbeit - Last und Sinn, 17. Adam Smith, Wohlstand, 662f, schreibt über die Lage der Arbeiter in der arbeitsteiligen Produktionsweise: "Mit fortschreitender Arbeitsteilung wird die Tätigkeit der überwiegenden Mehrheit derjenigen, die von ihrer Arbeit leben, also der Masse des Volkes,nach und nach auf einige wenige Arbeitsgänge eingeengt, oftmals nur auf einen oder zwei. Nun formt aber die Alltagsbeschäftigung ganz zwangsläufig das Verständnis der meisten Menschen. Jemand, der tagtäglich nur wenige einfache Handgriffe ausführt, die zudem immer das gleiche oder ein ähnliches Ergebnis haben, hat keinerlei Gelegenheit, seinen Verstand zu üben.... Solch geistige Trägheit beraubt ihn nicht nur der Fähigkeit, Gefallen an einer vernünftigen Unterhaltung zu finden oder sich daran zu beteiligen, sie stumpft auch gegenüber differenzierten Empfindungen, wie Selbstlosigkeit, Großmut oder Güte ab, so dass er auch vielen Dingen gegenüber, selbst jenen des täglichen Lebens, seine gesunde Urteilsfähigkeit verliert... Selbst seine körperliche Tüchtigkeit wird beeinträchtigt, und er verliert die Fähigkeit, seine Kräfte mit Energie und Ausdauer für andere Tätigkeiten als der erlernten einzusetzen... Dies aber ist die Lage, in welche die Schicht der Arbeiter, also die Masse des Volkes, in jeder entwickelten und zivilisierten Gesellschaft unweigerlich gerät, wenn der Staat nichts unternimmt, sie zu verhindern." 7 Deckstein, Arbeit neu denken, 7 8 Gorz, Arbeit, 79

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* Anekdote zur Arbeitsgesellschaft Als Kolumbus 1492 Amerika entdeckte, traf er auf den Großen Antillen einer Überlieferung nach ein sorglos im üppig - tropischen Klima lebendes Völkchen an, das nicht einmal ein Wort für "arbeiten" kannte. Erst als die Indios von den Spaniern in die Plantagen und Bergwerke gezwungen wurden, bildeten sie den Begriff "arbeiten", indem sie die Silbe "fast" vor das Wort "sterben" setzten. Quelle unbekannt9 Nicholas Negroponte, führender Experte auf dem Gebiet der Informationstechnologie, sieht in seinem Bereich die Entwicklung so: "Ich bin von Natur aus Optimist. Aber jede Technologie und jedes Geschenk der Wissenschaft hat Schattenseiten, und die Digitalzeit bildet dabei keine Ausnahme. Das nächste Jahrzehnt wird den Missbrauch geistigen Eigentums und einen Einbruch in unsere Privatsphäre erleben. Wir werden Digitalvandalismus, Softwarepiraterie und Datendiebstahl kennen lernen. Aber am schlimmsten ist die Tatsache, dass wir zu Zeugen eines Vorgangs werden, bei dem viele Arbeitsplätze zu Gunsten voll automatisierter Systeme abgebaut werden, wodurch sich die Arbeitswelt der Büroangestellten in ähnlichem Maße ändert, wie es bereits innerhalb der Fabriken geschah. Der Gedanke an eine lebenslange Anstellung in einem einzigen Beruf oder an einem Arbeitsplatz verliert jetzt schon an Überzeugungskraft. Diese radikalen Veränderungen unserer Arbeitsmarktstrukturen (wir arbeiten immer weniger mit Atomen und dafür mehr mit Bits) werden genau mit dem Zeitpunkt zusammentreffen, an dem sich das zwei Milliarden starke Arbeitsheer Indiens und Chinas langsam in die Rechnerwelt einschaltet (im wahrsten Sinne des Wortes). Ein selbständiger Software Entwickler aus Pretoria wird mit seinem Pendant in Pohang konkurrieren; ein Digital Schriftsetzer aus Madrid kämpft gegen die Konkurrenz in Madras. Schon jetzt verlagern amerikanische Gesellschaften ihre Hardware - Entwicklung und Software - Produktion nach Russland und Indien; dabei sind sie jedoch nicht auf der Suche nach billigen Arbeitskräften, sondern nach einem hervorragend ausgebildeten Heer von Geistesarbeitern, das anscheinend bereit ist, härter, schneller und disziplinierter zu arbeiten, als die Arbeitskräfte des eigenen Landes."10

* Rifkin im Gespräch11 extra: In Ihrem Bestseller "Das Ende der Arbeit" skizzieren Sie das Bild einer Zukunft, in der die menschliche Arbeit zum überwältigenden Teil von Maschinen übernommen wurde. Ist das nicht ein bisschen pessimistisch? Rifkin: Die Zahlen sprechen für mich: 1998 haben die Betriebe weltweit so viele Arbeitsplätze abgebaut wie noch in keinem Jahr zuvor.12 In den Industriestaaten bleiben die Arbeitslosenzahlen konstant auf einem hohen Niveau, und in der Dritten Welt schnellen sie nach oben. Zur Zeit sind eine Milliarde Menschen arbeitslos oder unterbeschäftigt. Vielleicht wird sich die Situation kurzzeitig verbessern. Auf lange Sicht wechseln wir vom Zeitalter der Massenbeschäftigung in ein Zeitalter, das nur für wenige Spitzenkräfte Arbeit haben wird. Ich arbeite mit vielen Konzernchefs zusammen, und keiner von ihnen widerspricht mir. extra: Europäische Firmen lagern arbeitsintensive Prozesse wegen der niedrigeren Lohnkosten nach Osteuropa aus. Damit schaffen sie dort Arbeitsplätze. Rifkin: Dieser Trend wird nicht lange anhalten, weil auch diese Länder verstärkt in Technik investieren müssen, um die Qualität der Produkte zu steigern und am sehr engen Markt Fuß fassen zu können. Das große Problem weltweit ist das Überangebot. Es gibt zu viele 9

Zitiert in: Wolkinger, Arbeit - Last und Sinn, 7 Negroponte,Total digital, 275f 11 profil extra. Die Zukunft der Arbeit, Februar 1999, 10f 12 Rifkin, Das Ende der Arbeit, 63, zitiert dazu auch die Warnung Norbert Wieners, der meint, dass die neuen Technologien "die größte Arbeitslosigkeit, die wir je gesehen haben, nach sich ziehen werden." 10

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Autohersteller, zu viele Stahlfirmen und zu viele Chemiebetriebe: Die Nachfrage ist einfach zu klein. In einigen Jahren werden die Staaten Osteuropas vor den selben Problemen stehen, mit denen nun die Industriestaaten kämpfen. Selbst der billigste Arbeiter wird nicht mehr billig genug sein. Auch Versicherungen, Banken, Hotels und Supermärkte werden ihr Personal durch Technik ersetzen. extra: Die Menschheit hat die zwei industriellen Revolutionen von 1880 und 1920 überlebt. Es wurde neue Arbeit gefunden. Rifkin: Natürlich wird es viele neue Jobs geben, weil es Produkte und Dienstleistungen geben wird, die wir uns momentan noch nicht einmal vorstellen können. Aber es wird Arbeit für eine Elite sein. Wir sind am Wendepunkt des Kapitalismus. Die selbe Technik, die mehr produziert, vernichtet Arbeitsplätze und verringert damit den Konsum. Dasselbe passierte während der ersten und zweiten industriellen Revolution. In beiden Fällen führte das zu einer Deflation, im zweiten Fall führte es zum Krieg. Wir müssen eine Debatte über die Definition von Arbeit eröffnen und überlegen, wie der Mensch seine Fähigkeiten jenseits des kapitalistischen Marktes einsetzen kann. In 50 Jahren wird die Erdbevölkerung auf elf Milliarden Menschen angewachsen sein. Das wird die Lage am Arbeitsmarkt noch verschärfen. Martin / Schumann erzählen in der "Globalisierungsfalle" unter der Überschrift "Die 20 : 80 Gesellschaft. Weltenlenker unterwegs zu einer anderen Zivilisation" von einem Treffen von 500 Politikern, Wirtschaftsführern und Wissenschaftern aus allen Kontinenten. Gorbatschow hatte mit den Geldern einer Stiftung, die ihm amerikanische Mäzene errichtet hatten, dieses Meeting eines "globalen Braintrusts" ermöglicht. Es fand 1995 im Fairmont - Hotel in San Francisco statt: "John Gage, Topmanager bei der US - Computerfirma Sun Microsystems, stößt die Debattenrunde über JavaJeder kann bei uns so lange arbeiten, wie er will, wir brauchen auch keine Visa für unsere Leute aus dem Auslandgute Gehirne in IndienWir stellen unsere Leute per Computer ein, sie arbeiten am Computer, und sie werden auch per Computer wieder gefeuert... Wir holen uns einfach die Cleversten. Mit unserer Effizienz konnten wir den Umsatz seit unserem Beginn vor 13 Jahren von null auf über sechs Milliarden Dollar hochjagen.< Selbstzufrieden wendet sich Gage an einen Tischnachbarn und schmunzelt: >Das hast du längst nicht so schnell geschafft, David.< Der Angesprochene ist David Packard, Mitbegründer des High - Tech - Riesen Hewlett Packard. Der greise Self - made - Milliardär verzieht keine Miene. Mit hell wachem Verstand stellt er lieber die zentrale Frage: >Wie viele Angestellte brauchst du wirklich, John?< >Sechs, vielleicht achtOhne sie wären wir aufgeschmissen. Dabei ist es völlig gleichgültig, wo auf der Erde sie wohnen.< Jetzt hakt der Diskussionsleiter, Professor Rustum Roy von der Pennsylvania State University, nach: >Und wie viele Leute arbeiten derzeit für Sun Systems?< Gage: >16000. Sie sind bis auf eine kleine Minderheit Rationalisierungsreserve.< Kein Raunen geht da durch den Raum, den Anwesenden ist der Ausblick auf bislang ungeahnte Arbeitslosenheere eine Selbstverständlichkeit. Keiner der hoch bezahlten Karrieremanager aus den Zukunftsbranchen und Zukunftsländern glaubt noch an ausreichend neue, ordentlich bezahlte Jobs auf technologisch aufwendigen Wachstumsmärkten in den bisherigen Wohlstandsländern, - egal, in welchem Bereich. Die Zukunft verkürzen die Pragmatiker im Fairmont auf ein Zahlenpaar und einen Begriff: >20 zu 80< und >tittytainmentMehr Arbeitskraft wird nicht gebrauchtto have lunch or be lunchZukunft der Arbeit< lediglich mit jenen, die keine Arbeit mehr haben werden. Dazu, so die feste Überzeugung der Runde, werden weltweit Dutzende Millionen Menschen zählen, die sich bislang dem wohligen Alltag in San Francisco Bay Area näher fühlen durften als dem Überlebenskampf ohne sicheren Job.14 Im Fairmont wird eine neue Gesellschaftsordnung skizziert: reiche Länder ohne nennenswerten Mittelstand - und niemand widerspricht. Vielmehr macht der Ausdruck >tittytainment< Karriere, den der alte Haudegen Zbigniew Brzezinski ins Spiel bringt. Der gebürtige Pole war vier Jahre lang Nationaler Sicherheitsberater von US - Präsident Jimmy Carter, seither beschäftigt er sich mit geostrategischen Fragen. titsLeere< der Tätigkeit, aber auch vor einer neuen Geistige Arbeit< und >Geistesarbeiter< - durch diese Kennworte kann man die letzte Strecke des geschichtlichen Weges bezeichnen, auf welchem das moderne Arbeitsideal die gegenwärtige extreme Formulierung gefunden hat." 38 Vgl Arendt, Vita activa, 150f 39 Neuhold, Religion und katholische Soziallehre, 359. Vgl. Arendt, Vita activa, 151: "Die.. Tendenz, alle ernst zu nehmenden Tätigkeiten als Formen des Erwerbs der Lebensnahrung, als eine Art, sein >Leben zu machen< (to make a living) zu verstehen, äußert sich in den in dieser Gesellschaft gängigen Arbeitstheorien, die nahezu einstimmig die Arbeit im Gegensatz zum Spiel definieren. Die einzig ernst zu nehmende Tätigkeit, der Ernst des Lebens im wörtlichsten Sinne, ist die Arbeit, und was übrig bleibt, wenn man von der Arbeit absieht, ist das Spielen." 40 Ulrich Beck, Wohin führt der Weg, der mit dem Ende der Vollbeschäftigungsgesellschaft beginnt? in: Beck, Zukunft von Arbeit und Demokratie, 36

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ist mit den dahinter stehenden Leistungs- und Messbarkeitsansprüchen zum impliziten und expliziten Paradigma unseres Daseins selbst geworden."41 Aus einer solchen Sicht kann dann auch Erich Kitzmüllers Diagnose der Entwicklungen mit Verständnis rechnen: "Die Individuen unserer Zeit erfahren tätiges Leben mehr und mehr nur als Arbeit, und sogar das Miteinander - Umgehen wird zur Beziehungs-, Trauern zur Trauerarbeit. Arbeit gibt das Paradigma der Lebensgestaltung, in Konkurrenz nur zum Glücksspiel, vom Lotto bis zum Derivatenmarkt. Am Paradigma der Arbeit formen sich Zeitstrukturen und Muster von Beziehungen. Arbeit erscheint als selbstverständlich angewiesen auf eine Instanz (Arbeitgeber), die die Anforderungen und das Entgelt definiert. Ebenso selbstverständlich erscheint es, dass solchermaßen definierte Arbeit den Arbeitenden Einkommen und Status bringt. Doch wirkt Arbeit tiefer in die Lebensgeschichten hinein. Als prägende Zuschreibung tut sie ihre Wirkung längst nicht mehr nur an den klassischen Arbeitsstätten. Das Verhalten im Verkehr und in vielen Freizeitaktivitäten ist von produktiver Arbeit kaum mehr zu unterscheiden. Konsum nimmt, etwa für Medienkonsumenten, Züge von Konsumarbeit an"42 Und wenn im so genannten "postfordistischen Zeitalter" Information und Kommunikation in jedem Winkel des Produktionsprozesses wesentliche Rollen spielen, wird sogar, von einem bestimmten Blickwinkel her gesehen, Sprache zur Lohnarbeit gemacht.43 Oder: Was bedeutet es jeweils für das Leben der Menschen, wenn etwa von Arbeit mit dem Ball, Begriffsarbeit, Beinarbeit, Eigenarbeit, Erinnerungsarbeit, Erholungsarbeit, Friedensarbeit, Familienarbeit, Freizeitarbeit, Gefühlsarbeit, Gemeindearbeit, Glaubensarbeit, Hausarbeit,44 Hörarbeit (Joachim - Ernst Berendt), Integrationsarbeit, Konsensarbeit, Konzentrationsarbeit, Körperarbeit, Kulturarbeit, Lacharbeit, Laufarbeit, Medienarbeit, Menschenarbeit (Hilarion Petzold), Mütterarbeit, Nachbarschaftsarbeit, Politischer Arbeit, SBE,45 Stadtteilarbeit, Traumarbeit,...46 gesprochen wird? Und verbirgt sich hinter Begriffen wie Arbeitsessen und Arbeitsferien vielleicht die "infarktträchtige Ratlosigkeit unserer Wirtschaftselite"47? Da wird wohl für jeden einzelnen Ausdruck sorgfältig zu differenzieren sein. Zu unterschiedlich sind die Begriffe selbst sowie die Motivlagen (Ironie ist nicht in jedem Fall auszuschließen!) und Begründungszusammenhänge der sie verwendenten Personen und gesellschaftlichen Gruppierungen. So wird etwa zu fragen sein: Will man durch die Beifügung von "-arbeit" den Stellenwert der jeweiligen Tätigkeit möglichst hoch angesetzt wissen? Reklamiert man durch die Einordnung dieser speziellen Tätigkeit als Arbeit Bezahlung? Sollte dies die einzige Möglichkeit sein, gesellschaftliche Akzeptanz für eine notwendige Tätigkeit zu erreichen? Werden mit der 41 Konrad Paul Liessmann, Im Schweiße deines Angesichtes. Zum Begriff der Arbeit in den anthropologischen Konzepten der Moderne, in: Beck, Zukunft von Arbeit und Demokratie, 89 VglBernd Guggenberger, Arbeit und Lebenssinn. Die Identität der Gesellschaft nach dem Ende der traditionellen Arbeitsgesellschaft, in: Brieskorn, Arbeit im Umbruch, 126: "Der neuzeitliche Mensch versteht sich als Arbeiter in einer bearbeitungsbedürftigen weil unvollkommenen. durch Arbeit vollendbaren Welt. In dieser Sicht erst wird ihm jede Tätigkeit zur Arbeit...Das >Vollbringen< des Lebens wird auf das >Hervorbringen< in der Arbeit reduziert" 42 Erich Kitzmüller, Ein innovativer Umgang mit Gewalt: Umbau der Arbeitsgesellschaft, in: Horn, Transformation der Arbeit, 124 43 Vgl Paolo Virno, Mondanita, zitiert in: Gorz, Arbeit, 61 44 Eine Zeitverwendungsstudie des Deutschen Statistischen Bundesamtes von 1992 hat gezeigt, dass in den alten Bundesländern im Jahr 1990 77 Milliarden Stunden produktiv in den privaten Fmilienhaushalten gearbeitet wurden und im Unterschied dazu nur etwa 46 Milliarden Stunden im gesamten Bereich der bezahlten Arbeit. Zitiert aus: Brieskorn, Arbeit im Umbruch, 27f 45 Siehe z. B. Jeffrey T. Mitchell, George S. Everly, Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen. Ein Handbuch zur Prävention psychischer Traumatisierung in Feuerwehr, Rettungsdienst und Polizei, Hg: Andreas Igl, Joachim Müller-Lange, Wien 1998 46 Nick Cave im Interview mit dem Falter. Stadtzeitung Wien, Nr 15/01,58: "Und in diesem Büro sitze ich jeden Tag neun Stunden lang und arbeite." Falter: "Wie lässt sich diese Arbeit beschreiben?" Nick Cave: "Songs schreiben, Klavier spielen und eine Menge lesen. Ein Drehbuch hab ich auch gerade fertig gestellt." 47 Guggenberger, Arbeit und Lebenssinn. Die Identität der Gesellschaft nach dem Ende der traditionellen Arbeitsgesellschaft, in: Brieskorn, Arbeit im Umbruch, 129

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Ausweitung des Arbeitsbegriffes bestimmte gesellschaftliche Neuordnungen angestrebt? Oder ist es auch so, wie es der Philosoph Konrad Paul Liessmann formuliert: "Erst wenn es uns gelingt, unsere unterschiedlichen Tätigkeiten des Lebens vor uns und vor den anderen als Arbeit zu klassifizieren, scheinen wir etwas Wertvolles und Sinnvolles zu tun."48

* Und wenn ich keine Arbeit hatte, wusste ich nicht, wer ich bin. Spencer Barnes zu Spencer Barnes in: Filofax oder: Ich bin Du und du bist nichts

* Schnappt die Professionierungsfalle zu? Eine besondere Facette der Tendenz, verschiedenste Arten von Tätigkeiten als "Arbeit" zu stilisieren, kann nach Ausführungen der "Professionalisierungsfalle" von Ulrich Bätz49 dargestellt werden. Bätz geht davon aus, dass in den Pfarren, die nach Vat II Herzstück kirchlichen Lebens sein sollten, faktisch immer weniger Menschen sich mit den damit verbundenen Anforderungen identifizieren und ihnen nachkommen wollen oder können. Verminderte Kirchenbesucherzahlen, sinkende Präsenz von Kindern und Jugendlichen in den Pfarren z. B. wurden als Indikatoren dafür angesehen. Die Erwartungen vieler Gemeindemitglieder nach priesterlicher Betreuung und sakramentaler Versorgung entsprachen nicht mehr der Intention vom pilgernden Volk Gottes und standen auch in Spannung zur Vorstellung von der mitsorgenden Gemeinde, bei der Gemeinschaft und Mitverantwortung entscheidende Stichworte waren. Auch reichte die Zahl der Neupriester nicht mehr aus, die bisher von Klerikern wahrgenommenen Aufgaben weiterhin in der herkömmlichen Art und Weise zu erfüllen. Nachdem eine Erhöhung der Priesterzahlen aus verschiedenen Umständen nicht möglich war, wurde überlegt, wie die klerikerzentrierte Service - Mentalität der Pfarrgemeinden abzubauen sein könnte. Manche meinten, so Bätz, nicht in erster Linie einen Priestermangel, sondern eher einen Christenmangel feststellen zu können. Und so komme es in dieser Situation auf eine erhöhte Motivierung, auf eine Steigerung der Mitarbeit aller Pfarrgemeindemitglieder in erster Linie an. Also schien der Einsatz von PastoralassistentInnen eine gute Lösung zu sein. Es galt, alle pfarrlichen Schichten zu mehr ehrenamtlicher Mitarbeit in der Pfarre zu motivieren, Charismenträger zu entdecken und zu MultiplikatorInnen zu machen. Man nahm an, dass es in jeder Pfarre unentdeckte, verschüttete Begabungen und Fähigkeiten in den Menschen geben konnte, die durch kundige Hand entdeckt, begleitet, qualifiziert und in das Leben der Pfarrgemeinde nutzbringend eingebaut werden konnten. Wenn immer mehr PastoralassistenInnen immer mehr Charismenträger überzeugen könnten, als MultiplikatorInnen tätig zu sein, würden die Pfarrgemeinden immer attraktiver und lebendiger werden. Die Service- und Versorgungsmentalität vieler Pfarrmitglieder würde, so nahm man jedenfalls nach Bätz an, durchbrochen und die Weitergabe des Glaubens gesichert werden. "Durch die finanziellen Möglichkeiten der Kirche könnte das mühsame Geschäft der Gewinnung und Integration ehrenamtlicher MitarbeiterInnen - zumindest teilweise bezahlten und professionell ausgebildeten Kräften überlassen werden. Es wurde unterstellt, dass auf diese Weise auch die Selbständigkeit und Mitverantwortung der Gemeindemitglieder besser gefördert und entwickelt würden."50 48

Konrad Paul Liessmann, Im Schweiße deines Angesichtes. Zum Begriff der Arbeit in den anthropologischen Konzepten der Moderne, in: Beck , Zukunft von Arbeit und Demokratie, 87 49 Ulrich Bätz, DieProfessionalisierungsfalle. Paradoxe Folgen der Steigerung glaubensreligiösen Engagements durch professionelles Handeln - dargestellt am Beispiel der Verwirklichung pfarrgemeindlicher "Verlebendigungsprogrammatiken" durch hauptamtliche Laientheologen 50 Bätz, Professionalisierungsfalle, 3

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PastoralassistenInnen erlebten jedoch, dass es immer weniger Pfarrpriester gab, die Zahl der aktiven Pfarrmitglieder immer kleiner wurde, dass jedoch an die hauptamtlichen PastoralassistentInnen immer mehr Aufgaben herangetragen wurden, vor allem was das Funktionieren der gewohnten pfarrlichen Abläufe im Rahmen des Kirchenjahres betraf. Nicht selten kam zusätzlich zum Wunsch der Pfarrgemeinde nach Priestern der Wunsch nach noch mehr LaientheologInnen / PastoralassistentInnen: "Auf diese Weise wurde offensichtlich der eine Mangel nicht behoben, dafür wurden zusätzliche Erwartungen und Bedürfnisse erweckt....Wenn der Einsatz hauptamtlicher Laientheologen / innen in der Pfarrgemeinde einerseits zu nicht intendierten Nebenfolgen führen kann, zu deren Lösung allerdings noch mehr dieser >Heilungsmittel< eingefordert werden (>Je mehr Laientheologen / innen in der Pfarrgemeinde tätig sind, um so besser.Verselbständigung< der gemeindlichen Klientel. zwar ein häufig begründetes und gewünschtes Konzept darstellt, das leider zu dem Effekt führen kann, dass die eingesetzten Mittel sich verselbständigen und zu gegensätzlichen Wirkungen führen können. Diese Paradoxien können in einem so hohen Ausmaß auftreten, die es schwierig machen, Angelegenheit einfach auf sich beruhen zu lassen." (sic!)

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.... small points 1. die arbeitsgesellschaft, der die vollerwerbsarbeit auszugehen droht, zeigt in vielen bereichen und unterschiedlich motiviert die tendenz, verschiedenste tätigkeiten zu verarbeitlichen. 2. qualifizierbare, vergleichbare arbeit mit ihren dahinter liegenden leistungs- und messbarkeitsansprüchen ist zum allgemeinen paradigma menschlicher existenz geworden. 3. in einigen tätigkeitsfeldern begünstigt die arbeit von profis die innere dispensierung der amateure. 4. statt selbst tätig zu werden, muten laien den ausgebildeten und bestellten amtsträgerInnen immer mehr arbeit zu. kirche, steckst du in der professionalisierungsfalle?

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3 Von der Amerikanisierung Brasiliens zur Brasilianisierung der Arbeitswelt "Nehmen wir Brasilien. In seiner...Geschichte der >Amerikanisierung Brasiliens< schreibt Gerald Haines54, dass die Vereinigten Staaten Brasilien seit 1945 als >Testareal für moderne wissenschaftliche Methoden industrieller Entwicklung< benutzten. Die Experimente wurden >in bester Absicht< durchgeführt. US-amerikanische Investoren profitierten davon, und die Planungsstrategen >glaubten ernsthaft>, auch das brasilianische Volk werde seinen Nutzen daraus ziehen. Ich muss nicht beschreiben, welcher Nutzen hier gemeint ist, als Brasilien, mit den Worten der Wirtschaftspresse, >zum lateinamerikanischen Liebling der internationalen Geschäftswelt< wurde, während die Weltbank berichtete, zwei Drittel der Bevölkerung hätten nicht genug zu essen, um normale körperliche Tätigkeiten verrichten zu können. In seinem ... Buch beschreibt Haines >Amerikas Brasilienpolitik< als >überaus erfolgreicheine wirkliche amerikanische Erfolgsgeschichtegoldene JahrArbeits-NomadenTeilzeit - Amerikaungeheuerlich< bezeichnet der Präsident der steirischen AK, Walter Rotschädl, die Zustände in der Telekom. Die auch in der Steiermark praktizierte Vorgangsweise, Mitarbeiter nach Hause zu schicken und am Telefon warten zu lassen, ob es eine Beschäftigung für sie gibt, grenze an Menschenverachtung. Der Telekomvorstand sei rücktrittsreif." 69 Von "Feminisierung der Arbeitswelt" spricht in ähnlichem Zusammenhang etwa Christel Degen, Human Resources Oder: Beim ersten Kind wird alles anders... in: Engelmann, Kursbuch, 150: "Diese von manchen als >Feminisierung der Arbeitswelt< bezeichnete Entwicklung bedeutet für Frauen, dass sie sich auf das Modell der lebenslangen Absicherung über einen Familienernährer selbst dann nicht mehr verlassen können, wenn sie dieses wollen."

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... small points 1. in brasilien siehst du heute deine zukünftige arbeit? 2. gibst du´s auch so billig wie die dritte welt? 3. mann, bald wirst du arbeiten wie deine frau!

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4 Prekär. Oder lebensästhetisch? 97% der westdeutschen Erwerbspersonen haben zwischen 1986 und 1997 Phasen der Arbeitslosigkeit erlebt. Etwa die Hälfte der Erwerbspersonen sieht die Diskontinuität in den Erwerbsverläufen als normal an.70 Ungefähr die Hälfte der holländischen Erwerbstätigen befindet sich nicht mehr im so genannten Normalarbeitsverhältnis.71 Beck schlägt, "auch auf die Gefahr übergroßer Vereinfachung hin", als Grundlage zur Diskussion um Aufstieg und Fall fordistischer Massenproduktion, des Massenkonsums und standardisierter Vollbeschäftigung folgende Unterscheidung vor: Das Bild der formierten Gesellschaft und die politische Rezeptur des Keynesianismus gehören dem Paradigma der Ersten Moderne an. "In der Zweiten Moderne hingegen regiert das Risikoregime. Die angemessene Unterscheidung ist also nicht die zwischen industrieller und postindustrieller oder fordistischer oder postfordistischer Wirtschaft, sondern zwischen den Sicherheiten, Gewissheiten, den klaren Grenzen der Ersten Moderne und den Unsicherheiten, Ungewissheiten, Entgrenzungen der Zweiten Moderne...Dem Fordismus entsprach eine normierte Gesellschaft. Mit dem Risikoregime werden den Menschen individuelle Lebensentwürfe, Mobilität und Formen der Selbstversorgung zugemutet. Die neue Mitte wird zur prekären Mitte. Armut wird >dynamisiertnormalenfaktisch tot< erklärt, da wir in einem Wirtschaftssystem leben, welches die (Erwerbs-) Arbeit >massenweise abschafft.< Haben Sie angesichts der viel gepriesenen Beschäftigungsexpansion in den USA wie auch der aktuell günstigen Arbeitsmarktentwicklung in einer zunehmenden Zahl von EU - Staaten Anlass, Ihre Einschätzung zu revidieren? Gorz: Lassen Sie mich zunächst mit einem sehr treffenden Fremdzitat antworten. Unter dem Titel >Wenige Gewinner, viele Verlierer< hat Edward Luttwak in einem Zeit - Interview die Lage wie folgt zusammengefasst: >In der Informationtechnologie arbeiten in den USA gerade einmal drei Prozent der Erwerbstätigen. Der Beschäftigungsgewinn resultiert allein aus der Wiedergeburt der alten Dienstbotenklasse. Die Gewinner des Turbokapitalismus stellen Gärtner, Kindermädchen, Köche und Wachmänner ein - wie in viktorianischen Zeiten.< Man müsste hinzufügen: Sie kaufen auch viele aufwendige Luxusgüter. 55 Prozent der US 70

Aus: Gerd Muntz, Dynamische Arbeitslosigkeit und diskontinuierliche Erwerbsverläufe, in: Berliner Debatte/Initial 8, 1997, 23-36 71 Engelmann, Kursbuch, 95 72 Ulrich Beck, Das Risikoregime: Wie die Arbeitsgesellschaft zur Risikogesellschaft wird, in: Beck, Schöne neue Arbeitswelt, 73 73 Forrester, Terror, 140f 74 Gorz, Arbeit, 76 75 Engelmann, Kursbuch, 93-102

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amerikanischen Erwerbsbevölkerung sind gegenwärtig als Verkäufer, Kellner, Hausgehilfen, Putzfrauen und - männer usw. beschäftigt, und mehr als die Hälfte von ihnen sind prekär angestellte Niedriglohnempfänger, mehr als ein Viertel >working poormultiaktiven Alltagskulturzu werken, zu wirken und anerkannt zu werden< in verschiedensten Tätigkeitsfeldern ausleben soll. Dabei soll durch die Einführung von Existenzgeld die Bezahlung als Motivationsinstrument verschwinden zu Gunsten des >Strebens jedes Einzelnen nach Vortrefflichkeit.glückliche< Kindheit. Der Volksschule maß ich eine reduzierte Bedeutung bei, wichtiger - ja wenn nicht zentral war für mich das Fußballspielen. Gleich nach der Schule und den damit verbundenen Hausaufgaben war ich draußen und spielte mit ebenso fußballbegeisterten Freunden, bis es dunkel war. Um den Fußball herum rekrutierte sich mein Freundeskreis. Tennis spielen und

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Eine frühe österreische Wortmeldung: Herwig Büchele, Liselotte Wohlgenannt, Grundeinkommen ohne Arbeit. Auf dem Weg zur kommunikativen Gesellschaft, Wien 1985 Anfang April 2001 erhob der SPÖ - Vorsitzende Alfred Gusenbauer die Forderung nach einem Grundeinkommen von ATS 8400,-- für alle ÖsterreicherInnen. 77 Ungekürzter, anonymisierter Originaltext

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im angrenzenden Bach Schlammburgen bauen waren ein selten genutztes Alternativprogramm. Dies änderte sich, als ich im Alter von 11 Jahren mit dem Schulwechsel auch den Ort wechselte. Ich ging, auch auf >meinen< Wunsch hin, in das Gymnasium Graz Liebenau, das auch schon mein Onkel besucht hatte und das mein um 10 Jahre älterer Bruder gerade hinter sich gebracht hatte. Wie er entschied ich mich dafür, nicht jeden Tag zwischen meinem >Heimatort< und meinem jetzigen >Schulort< hin und her zu pendeln. Das frühe Aufstehen, vor allem aber die damit einhergehende Tatsache des latenten >Zerrissen - Seins< und an keinem Ort wirklich zu sein, waren dafür Ausschlag gebend. Am Anfang war es nicht leicht. Heimweh plagte nicht nur mich, sondern auch viele meiner mir anfangs noch unbekannten Schul - und Internatskollegen. (Auch für meine Mutter war es nicht leicht; nun war auch das letzte Kind - neben meinem Bruder ist da noch eine um 9 Jahre ältere Schwester - nicht mehr in greifbarer Nähe.) Doch mit der Zeit gewöhnten wir uns daran und erblickten auch Vorteile. Die >Erzieher< (im Grunde zum Glück eine völlig unberechtigte Bezeichnung) konnten wir, da sie gleichzeitig auf mehrere Kinder aufpassen mussten, leichter hintergehen. Mit dem Schulwechsel wechselte mehr und mehr auch mein Freundeskreis und verlagerte sich nach Graz. Ein bedeutender Schritt war hier für mich vor allem das Verlassen des heimatlichen Fußballvereins mit etwa 16 Jahren. Dies schnitt nun endgültig die Bande zu meinem >Freundeskreis< ab. In Graz organisierte sich das Leben nicht mehr um den Fußball. Andere Dinge rückten ins Zentrum des Interesses, Sex, Drugs und Rock ´n Roll gewannen merklich an Bedeutung. Die Schule lief nebenher ganz gut mit. Weitgehend konnten wir uns den Disziplinierungsversuchen der Professoren und Internatsleiter entziehen. Die Eltern waren in sicherer Entfernung. Positiv an unserer Schule waren im Nachhinein die dort angebotenen Sprachkurse. Neben Englisch lernte ich dort 8 Jahre Französisch und 4 Jahre Russisch. Aufenthalte in Form von sogenannten Schulaustauschen waren nicht nur sehr lustig und wenn man so will, >lehrreichBildungsurlaube< waren. Nach der Matura entschied ich mich - auch angeregt durch Vorbilder wie Indiana Jones und Heinrich Schliemann - Geschichte zu studieren. Da ich das schon ein wenig erlernte Russisch nicht >verlieren< wollte, nahm ich Russisch als Zweitfach dazu. Die Umstellung hinaus aus dem sicheren und vorarganisierten Mikrokosmos Zukunftschancen< und/oder >-Ängsten< - Politikwissenschaften, Philosophie und sehr

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gering gehalten auch Russisch. Ich war fasziniert von den neuen Impulsen. Neben der neuen Vielfalt an der Universität war auch der Eindruck einer neuen Stadt sehr animierend für mich. Im ersten Jahr war ich nicht nur mit meinen Studienerfolgen zufrieden, sondern fühlte mich auch als dort lebender Tourist sehr wohl. Ich lernte neue Leute kennen, ging abends viel aus, lernte tagsüber, suchte mir eine Arbeit als Museumswärter und verdiente damit erstmals ein wenig Geld - fernab von erniedrigenden Kinderferienjobs in der steirischen Ziegelfabrik. Zum Glück aber finanzierten mich und mein Leben die Eltern. Damit hatte ich zum einen freie Bahn für mein Studium, zum anderen war ich nicht darauf angewiesen, hauptsächlich >schnell und geradlinig< zu studieren. Ich hatte die Freiheit, mir auch Lehrveranstaltungen anzuhören, die nicht für meinen vorgegebenen Studienplan notwendig waren. So studierte ich nicht >effizentAnnales< rückte für mich ins Zentrum meines wissenschaftlichen Interesses. Auch die im französischen Sprachraum wichtige Tradition der Auseinandersetzung mit der Form und den Möglichkeiten der Vermittlung von Wissenschaft für ein breites Publikum war für mich überaus interessant. Neben diesem >beruflichen< Mehrwert des Parisaufenthaltes war es auch privat eine schöne Zeit. Neue, interessante Menschen, darunter auch meine jetzige Freundin, die Freude, in einer anderen Sprache sich mitteilen zu können, die Mischform zwischen Arbeit, Tourismus und aufkommendem Gefühl der wirklichen Verbundenheit mit einem nicht mehr so fremden Land... Zurückgekehrt von Paris, machte ich mich - nach einem enorm schwierigen >Wiedereingewöhn - Semester< - an die Vorbereitung zu meiner Diplomarbeit. Das Thema ergab sich aus etlichen Seminaren zum 16. Jahrhundert und zu Kaiser Karl V. Wichtig für mich war aber, den rein biographisch - konventionellen Zugang zu einer historischen Figur mit Hilfe von Methoden der Annales etwas zu relativieren; im Zentrum für mich stand die Frage nach den (verändernden) Möglichkeiten eines Individuums in der Geschichte. Inwieweit kann es sich über die ihn umgebenden Strukturen und Handlungsspielräume hinwegsetzen? In und durch Paris eignete ich mir das methodische Rüstzeug an, um diese Fragestellung an einer historischen Figur zu exemplifizieren. Ich begann mit der Arbeit. Den Sommer 1998 verbrachte ich zu einem Großteil in meinem steirischen Geburtsdorf. Über einen Zufall traf ich einen alten Freund, mit dem ich in meiner Kindheit Fußball spielte, den ich aber über 10 Jahre völlig aus den Augen verloren hatte. In diesem Sommer freundeten wir uns wieder - über zahlreiche Badminton - Spiele - an. Wir erzählen über uns und unsere Arbeit. Ich über mein Studium und meine Diplomarbeit, er und seine Freundin über ihr Studium an der Universität für Angewandte Kunst und ihre Arbeiten im Bereich der (Multi - ) Medienkunst. Irgendwie - ich habe keine Ahnung mehr, von wem geäußert - tauchte eines Abends, an dem auch einiges getrunken wurde, die Idee auf, etwas gemeinsam zu machen, unsere jewiligen Arbeiten zu vereinen zu einem Produkt. Ja, meinten wir, aber wenn, dann soll es gleich etwas mit Hand und Fuß sein. Die Schnittstelle zwischen Kunst und Wissenschaft, Forschung und Vermittlung begann uns zu interessieren. Wir machten uns an die Arbeit um die Konzeption eines Multi - Media - Projektes zu Karl V. und dem 16. Jahrhundert. Anfangs dachten wir an eine CD - ROM, mit der Zeit - und wir arbeiteten zäh und lang - wurde es mehr und mehr Richtung Internet konzipiert und der Schwerpunkt Karl V. zu Gunsten einer allgemein europäischen Orientierung aufgehoben. Wir gestalteten einen Folder zum Konzept, sprachen mit Leuten aus dem Wissenschafts- und Kunstförderungssektor, gründeten einen Verein, um mögliche Finanzierungen zu erleichtern. Neben diesen zeit - und arbeitsaufwändigen Tätigkeiten beendete ich mein Studium erfolgreich und hatte nun den Rücken für das Projekt frei. Ein Professor der Uni Wien, der die Patronanz über das Projekt übernommen hatte, sprang ab, just in dem Moment, als wir andere Professoren in das Projekt einweihten. Ich lernte den Universitätsbetrieb von innen kennen. Eine desillusionierende, aber wichtige Erfahrung. Ein anderer Professor, der auch Kenntnisse über das Medium Internet

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hatte, bot von sich aus an - da ihm die Idee des Projektes gefiel - , die Patronage zu übernehmen. Mit dieser institutionellen Hilfe schrieb ich einen Antrag an einen Wissenschaftsfonds, der im Juni 2000 zusagte, das Projekt zu fördern. Mittlerweile ist es angelaufen, ich bin nun von der Uni Wien als Koordinator und Redakteur dieses Projektes angestellt, verdiene zwar nicht viel, lerne umso mehr. Die Arbeit ist äußerst interessant. Es geht um Fragen und Problemstellungen, die mich seit längerem interessieren: Wie kann man komplexe Inhalte für ein breites Publikum vermitteln, inwieweit ist die Vermittlung vom Medium abhängig, was ist überhaupt der Sinn einer Vermittlung von historischen Inhalten, was soll/muss/kann die Geschichtswissenschaft leisten? Da unser Projekt im Team konzipiert wurde und auch die Realisierung eine große Anzahl von MitarbeiterInnen aus den verschiedensten Bereichen und hierarchischen Ebenen verlangt, die aber weitgehend unter Ausschaltung von sonst üblichem hierarchischen Geplänkel miteinander arbeiten, sammle ich für mich wichtige Erfahrung in der Vermittlung und Kommunikation von eigenen Ideen, im Umgang mit WissenschafterInnen, KünstlerInnen und ProgrammiererInnen. Parallel zu dieser Projektarbeit konzipiere ich mit dem Historiker, der die Patronage zu diesem Projekt übernommen hat, Lehrveranstaltungen zum Thema >Geschichtswissenschaft und Neue Mediennehmen, was ich bekommeComputerverwaltung< von Multimediaprodukten, aber auch in Printmedien zu konzipieren und zu koordinieren. Gut vorstellbar für mich wäre auch wenigstens für eine gewisse Zeit - ins Ausland zu gehen und mir dort einen Beruf zu suchen. Ein breites Berufsfeld, das zum gegenwärtigen Zeitpunkt an Relevanz gewinnt, steht mir offen. Allein: Arbeit und Beruf machen nicht zur Gänze den Lebensinhalt aus. Neben all dem ist mir wichtig, mir eine gewisse Lebensqualität zu erhalten bzw. zu verbessern. Zeit zu reisen, Zeit für Nichtstun, Zeit für rein Privates (Familie? Kinder?) sind mir wichtig; das verdiente Geld Mittel zum Zweck... Zukunftsängste sind marginal. Falls aus der oben genannten Vorstellung nichts wird, und das Projekt nicht sofort weiter unterstützt wird, werden wir es weiter versuchen. Wir im Kernteam arbeiten mit Freude daran, wir halten es nicht für die wichtigste Sache der Welt, aber es ist interessant und macht Spaß. Das genügt, um die Motivation für die Sache auch in Trockenperioden aufrecht zu erhalten...

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* Kann es sein... Vier Fragen zur lebensästhetischen Option 1. Kann es sein, dass die Generation der zwischen 1970 und 1990 Geborenen es einfach satt hat, ständig als Objekt von Defizitbedenken ideologiefixierter Älterer herzuhalten? 2. Kann es sein, dass Lebensästheten mehr Freude und Spaß erleben als angepasste Mitglieder einer Arbeitsgesellschaft? 3. Kann es sein, dass Lebensästheten die tatsächliche Avantgarde zur Durchsetzung postmoderner / postmaterieller Werte sind? 4. Kann es sein, dass Zeit die wertvollste Ressource der Zukunft wird? "Wo viele Beobachter noch jammernd am Wegesrand stehen und den Abschied von der Sicherheitsgesellschaft beklagen, bleibt dem Lebensästheten nichts übrig, als es sich in den Freiheiten der zweiten Moderne bequem zu machen...Und wie meist sind die Gefahren, vor denen man gestern noch zitterte, nur noch halb so bedrohlich, wenn man ihnen Aug in Auge gegenüber steht. Die Angst vor der Armut und die Angst vor der Freiheit gehen für den Lebensästheten nicht mehr Hand in Hand."78 Der Abschied von lebenslangen Arbeitsverhältnissen findet für die LebensästhetInnen nicht statt: Sie haben sie nie gekannt und streben sie auch deshalb oft gar nicht mehr an. Temporäre Erwerbsverhältnisse und Existenzformen sind für sie selbstverständlicher geworden, als mancher alt gediente Gewerkschaftsfunktionär anehmen mag. Die Sicherheit eines Jobs ist für sie offensichtlich nicht mehr das Maß aller Dinge.

...... small points 1. die situation ihrer erwerbsarbeit wird von vielen menschen als prekär erlebt. 2. eine gesamtgesellschaftliche lösung dieses problems ist für die nächste zeit nicht zu erwarten. 3. lebenästhetInnen gehen in die freiräume der postmodernen pluralistischen gesellschaft und gestalten dort ihr leben a la carte (wursteln sich durch: muddling through79) 4. die lebensästhetische inszenierung bringt für viele menschen auch zugewinn an lebensqualität. 5. arbeit kann für lebensästhetInnen der @-generation vor allem bedeuten, an sich selbst zu arbeiten.80 6. ich möchte gern in einer kulturgesellschaft, die alle menschlichen fähigkeiten erschließt, werken, wirken, nach vortrefflichkeit streben, anerkannt werden.

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Goebel, Tugend, 129 Vgl. Goebel, Tugend, 150 80 ">Learning to be< heißt das neue Bildungsziel." DER SPIEGEL 14, 2001, 67 79

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5 Sinabelkirchen oder New Delhi "Die große Standortdebatte der 90er - Jahre, die sich des Themas Arbeit annahm, hat eher den Kern der Veränderungen umkreist, als dass sie ihn wirklich zum Zielpunkt ihrer Bemühungen machte. In der Diskussion um den dringenden Crash - Kurs in Sachen New Economy, den man der Working Class dringend anempfahl, verblieb das eigentliche Problem in der Warteschleife. Denn was sich im Übergang von der industriellen zur postindustriellen Wirtschaftsform vor allem ändert, ist ja nicht etwa die existentielle Abhängigkeit von Konjunkturzyklen, sondern die Existenzweise von Arbeit als solcher."81 Semperit Traiskirchen kann als Beispiel für eine Standortdebatte gelten und was oft darauf folgt: In den 70er Jahren beschäftigte der österreichische Reifenhersteller 5000 Menschen. 1985 wurde das Werk vom deutschen Konzern Continental übernommen. Damit begann die Standortdebatte, die schließlich in der Krise von 1996 kulminierte und in der auch der damalige Bundeskanzler Vranitzky zu retten versprach. Auch durch Ankettungsaktionismus versuchte die Belegschaft vergeblich - den Abtransport von Produktionsmaschinen zu verhindern. Mit Lohnverzicht wurde schließlich eine weitgehende Schließung des Werkes abgewendet. Produktionsumstellungen - Verminderungen - sind jedoch nicht zu vermeiden. Im Mai 2001 kündigt Conti an, dass von den derzeit 1700 Beschäftigten 350 ihre Arbeitsstelle verlieren werden. 82 Der österreichische Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Bartenstein dazu: "Das ist eine innerbetriebliche Entscheidung. Die Einflussmöglichkeiten der Politik sind beschränkt."83 "Ein neues Schlagwort ist unterwegs: Globalisierung. Es sagt nicht viel Neues: im Grunde nur, dass sich bei offenen Grenzen und besseren Verkehrs- und Kommunikationswegen die Konkurrenz um Standorte und Produktionen territorial immer weiter ausdehnt, letztlich bis über die ganze Welt."84 Diese Schlagwort wird aber auch als Legitimierung für eine Rechtfertigung härterer Gangart auf dem Arbeitsmarkt verwendet. Auch in Fällen, in denen Unternehmen wirklich abwandern, sind es nicht immer nur die niedrigeren Lohnkosten, welche die Entscheidung motivieren: Chancen zum Eintritt in neue Märkte, räumliche Annäherung an Kompetenzcluster und Zulieferindustrien sind weitere Gesichtspunkte in der Standortwahl. "Aber die >psychologische Globalisierung< dient dazu, die inländischen Lohnkosten zu drücken und flexiblere Arbeitsmärkte zu schaffen. Es gibt keine Diskussion, bei der nicht alle nachdenklich mit dem Kopf zu nicken beginnen, wenn festgestellt wird, der Supermarkt an der Straßenecke müsse im Zeitalter der Globalisierung wohl länger offen halten, wenn er überleben will."85

* Hochrechner, Gesundbeter und Grölbacken Peter Glotz schreibt86, dass die Parteien der Hochrechner, der Gesundbeter und der Grölbacken den Disurs darüber bestimmen, wie vom "digitalen Kapitalismus geprägte" Gesellschaften aussehen könnten: Er glaubt, dass die Zeit der Hochrechner a la Rifkin sich ihrem Ende zu neigt, auch, weil sich lineare Fortschreibungen schon oft als falsch und ihrreführend erwiesen haben. Die Partei der Gesundbeter verwechselt seiner Meinung nach Realismus mit Defätismus und hält Prognosen über Arbeitsplatzverluste für ein Produkt technikfeindlicher Weltverschwörungen. Glotz wirft den Führungseliten in Staat und Gewerkschaft vor, sich darauf geeinigt zu haben, nicht nach den Auswirkungen der technischen Neuerungen für die Arbeitswelt zu fragen. Etwa nach dem Motto: Es muss geschafft werden, also wird es 81

Jan Engelmann und Michael Wiedemeyer, Check - In, in: Engelmann, Kursbuch, 11 6. Dezember 2001: Conti kündigt die Einstellung der Reifenproduktion in Traiskirchen für Juli 2002 an. 950 von 1350 Beschäftigten verlieren ihren Job. 83 Report, 22. Mai 2001, ORF 2. In diesem Report wurde auch über ein Continental - Werk in Belgien berichtet, das entgegen früheren Aussagen der Konzernleitung vollständig aufgelassen wird. 84 Prisching, McGesellschaft, 22 85 Prisching, McGesellschaft, 25f 86 Glotz, Die beschleunigte Gesellschaft, 113ff

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geschafft werden. Wir wollen die Leute nicht durch Vermutungen über kritische Entwicklungen unsicher machen. Die Grölbacken führen in der Darstellung von Glotz vor allem die Fornel "Wir werden nicht zulassen.." bei aufgeblasenen Backen im Mund und kommen aus den Führungsreihen von Staat und Gewerkschaft. Der Kapitalismus aber, so Glotz, fragt sie nicht, er schreitet voran. Die lauten Stimmen dieser drei Parteien von Überredungskünstlern übertönen mühelos die dünnen Stimmen der Vernunft auf diesem schrillen, von Interessen geleiteten Basar mit hysterischen Untertönen. In der Standortdebatte spielt Arbeitslosigkeit in ihren vielen - zumeist negativen - Facetten eine besondere Rolle. Für unternehmerische Global players kann Arbeitslosigkeit auch zum Problemlöser mutieren: "Arbeitslosigkeit ist eine Lösung für das Problem gesellschaftlicher Flexibilität. Moderne Gesellschaften sind bewegliche Gesellschaften. Es bewegen sich in ihnen nicht nur Waren, Kapital und Menschen, sondern auch Bedürfnisse und Nachfragen. Sie bewegen sich über alle gewohnten Grenzen hinweg, ja die Grenzen selbst öffnen und bewegen sich. Unternehmen müssen dieser Beweglichkeit folgen, und zwar ins Ungewisse hinein. Sie haben mal zu viel, mal zu wenig Beschäftigte. Arbeitslosigkeit als gesellschaftliche Institution stellt für sie ein Reservoir dar, aus dem sie schöpfen können - >Reservearmee< hieß das bei Marx - oder in das sie Leute entlassen können. Sie können das ohne allzu schlechtes Gewissen tun, so lange das Netz des Sozialstaates, zu dem sie ja beitragen, die Entlassenen hält."87

* Nomaden - Vagabunden - Touristen88 Im Zuge der Standtortdebatte und im Zusammenhang mit den neuen Techniken wurde auch das Schlagwort von den High-tech-Nomaden geprägt. Gemeint sind damit etwa Menschen mit hoher technischer Qualifikation, die es ihnen erlaubt, aus Arbeitsplätzen auf der ganzen Welt auszuwählen und diese Arbeit nicht selten von einem von ihnen selbst gewählten Platz aus zu verrichten. Zygmunt Baumann macht allerdings darauf aufmerksam, dass diese Metapher einer Überprüfung nicht Stand hält. Nomaden sind zwar im Unterschied zu Siedlern dauernd in Bewegung, aber sie umkreisen ein durchstrukturiertes Gebiet, dessen einzelnen Wegstrecken jeweils eine vor längerer Zeit verliehene Bedeutung zukommt. Nomaden folgen dabei der "Ordnung der Dinge" mehr, als dass sie diese herstellen oder am Ende wieder auflösen. Vagabunden oder Landstreicher erweisen sich nach Baumann als passendere Bilder. Diese wissen nicht, wie lange sie bleiben werden, die Entscheidung über das Ende ihres jeweiligen Aufenthaltes ist oft auch nicht ihre Sache. "Der Vagabund ist ein Pilger ohne Ziel, ein Nomade ohne Route."89 Auch die Metapher "Tourist" kann für das Lebens- und Tätigkeitsgefühl heutiger Menschen ins Spiel gebracht werden. "Vielleicht vermitteln diese beiden Bilder, des Vagabunden und Touristen, nur zusammen die ganze Realität des Lebens in der Postmoderne."90 Wie der Vagabund weiß der Tourist, dass er an dem Ort, an dem er gerade mal angekommen ist, nicht bleiben wird. Der Tourist kann wie der Vagabund in nahezu völliger Freiheit seine Welt strukturieren. Mit den an den jeweiligen Orten Ansässigen pflegen Vagabund wie Tourist eher kurze und eher oberflächliche Beziehungen, physischer Nähe wird kaum gestattet, zu moralischer Nähe zu werden. Das ästhetische Vermögen des Touristen besteht vor allem aus Neugier, aus seiner Lust auf Vergnügen und seiner Fähigkeit, immer neue und immer angenehmere

87 Karl Otto Hondrich, Problem mit Doppelgesicht. Vom Wert der Arbeit - und der Arbeitslosigkeit, in: Wiener Zeitung, EXTRA; 13. Juni 1997, 5 88 Vgl Baumann, Postmoderne Ethik, 357f. Baumann wendet seine Ausführungen ganz allgemein auf Menschen unter postmodernen Bedingungen an. 89 Baumann, Postmoderne Ethik, 358 90 Baumann, Postmoderne Ethik, 358

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Erfahrungen zu durchleben. Für ihre Freiheit sind ToristInnen auch bereit, einen gewissen Preis zu bezahlen.

* Amadeus:91 music + tech ... Ich schätze, dass meine Ausbildung anfing, als ich die ersten Töne auf der Orgel meines Vaters klimperte und die ersten Felle unseres Schlagzeuges verunstaltete. Mir war natürlich im Alter von vier Jahren noch nicht klar, dass mein Vater damals im Prinzip mein erster "echter" Pädagoge war, aber in so mancher mühsamer Unterrichtsstunde am Musikkonservatorium wünschte ich ihn mir doch sehr zurück. Später kam ich dann in den Kindergarten und musste meinen Status als quasi Einzelkind (als jüngstes von vier Geschwistern mit gehörigem Abstand zu meiner jüngsten Schwester) aufgeben. Allerdings muss ich sagen, dass mir das nicht sonderlich schwer gefallen ist. Was ich noch zu dieser Zeit sagen kann, ist, dass ich damals meinen "besten" Freund kennen lernte, mit dem mich heute noch eine dicke Freundschaft verbindet. Nun kam also die Zeit der Einschulung, Für mich in zweierlei Hinsicht, da ich nicht nur in die Volksschule, sondern zugleich auch in die Musikschule durfte. Ich schreibe hier bewusst "durfte"; denn ich möchte vorausschicken, dass jedwede Schule für mich nie ein notwendiges Übel darstellte, sondern ich eigentlich immer gerne am Unterricht teilgenommen habe. Nach der Volksschule kam die Hauptschule, und mir wurde klar, dass ich ein gewisses Talent dafür besaß, mir Dinge ohne großen Aufwand einzuprägen und zu merken. Oder anders gesagt: Es fiel mir leicht, zu lernen. Lernen ist in diesem Fall ein wenig übertrieben. Lernen war für mich, sich zu Hause vor seine Bücher zu setzen, aber das musste ich ja nicht. Alles, was ich für Tests und Schularbeiten wissen musste, hatte ich im Unterricht ja bereits gehört. Also blieb viel Zeit, die ein frühpubertärer Schüler natürlich bestens zu nutzen wusste und in jeden möglichen Unsinn umsetzen konnte. Dieser Irrglaube - alles, was ich für die Schule wissen muss, lerne ich auch in der Schule bereitete später, als ich die Oberstufe eines Gymnasiums besuchte, zunächst einmal gehörige Schwierigkeiten. Ich musste anfangen zu lernen, was "lernen" auch bedeutet. Ich war es nicht gewöhnt, stundenlang bei meinen Büchern zu sitzen und nicht alles andere zu machen, was mir wichtiger erschien. Letztendlich aber wurde auch diese Hürde gemeistert und der Rest meiner Gymnasiastenzeit unterschied sich nicht wesentlich von anderen Schulzeiten. Mit einer Ausnahme: Die Matura. Das war es also. Jetzt war es vollbracht. Die erste Ausbildung, die mit etwas ganz Speziellem abgeschlossen wurde. Die Panik, die Ängste, all das war mit einem Schlag vorbei, und vor mir lag der schönste Sommer, den ich erleben sollte. Ich muss zugeben, dass ich in den ersten Wochen und Monaten, besonders aber den ersten Tagen, nach dieser magischen Schwelle für jede einzelne Stunde und durchlernte Nacht doppelt und dreifach entschädigt wurde. Ich hatte das Gefühl, etwas Großes und Einzigartiges geschafft zu haben. Vom Gegenteil wurde ich überzeugt, als ich im darauf folgenden Herbst an der Universität immatrikulierte. Von Zig-Tausenden Maturanten wurde ich wieder auf den Boden der Realität geholt. Ich inskribierte Pädagogik und ein Fächerbündel, allerdings war es mir mit dem Studium nie wirklich Ernst, und der Hörsaal W (artburg) war mir immer lieber als die echten Hörsäle. Für mich bedeutete das Studium damals nichts weiter als eine Zeitüberbrückung bis zu meiner Einberufung zum Bundesheer. Ich hatte während meiner Stellung die Aufnahmeprüfung zur Militärmusik und zum Johann Joseph - Fux - Konservatorium bestanden und damals war Musik wirklich alles, was für mich interessant war. Ich hasste das Bundesheer selbst, ganz besonders die ersten beiden Monate als "echter" Soldat, bis ich schließlich zur Musik versetzt wurde. 91

Originaltext

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Zu meiner Zeit, die ich dort verbrachte, kann ich nur sagen, dass sie in musikalischer Hinsicht die mit Abstand lehrreichste meines Lebens war. Keine Musikschule, kein Konversatorium, keine Musikhochschule konnte mir so viel beibringen, wie ich in diesen fünf Jahren gelernt habe. Allerdings bemerkte ich auch, dass man ein gewisses Maß von Beamten- und Soldatentum auch bei der Militärmusik nicht abschütteln konnte. Nebenbei war auch nicht zu übersehen, dass man in einen gewissen Trott verfiel und ich mich geistig ganz einfach unterfordert fühlte. Selbstverständlich wurde ich durch mein Musikstudium, das ich während meiner Dienstzeit betrieb, gefordert. Auch war ich in einigen Ensembles und Bands aktiv, aber irgendwie war es ganz einfach Zeit für eine Veränderung. Also fasste ich nach fünf Jahren, in denen ich sehr viele interessante Leute getroffen habe, den Entschluss, die Musik (natürlich nicht zur Gänze) aufzugeben und etwas Neues zu beginnen. Durch meine Arbeit als Musiker wurde mein Interesse in Tonstudios und auf der Bühne auf die Technik gelenkt, also beschloss ich, etwas in diese Richtung zu unternehmen. Der Grund, warum es letztendlich ein Kolleg für Telekommunikation- und Netzwertechnik wurde, war natürlich auch darin zu suchen, dass zu dieser Zeit gerade der Ruf nach qualifizierten IT - Fachkräften laut wurde. Ich begann also meine Ausbildung an diesem Kolleg und wurde sofort ins kalte und tiefe Wasser geworfen. Meine Vorstellungen von der schönen neuen Technikwelt wurden zu Beginn nämlich einmal gehörig getrübt. Knochentrockener Elektroniklehrstoff, unverständliche Hoch- und Höchstfrequenztechnik, Mathematik, von der ich bislang nicht zu träumen wagte, und Unterrichtstage, die von 7:30 bis 18:30 dauerten. Aber so unlösbar mir all diese Aufgaben am Anfang auch schienen, so sehr sind sie mir später ans Herz gewachsen und mittlerweile haben sie mir auch in meinem Beruf bereits wichtige Dienste erwiesen. Ich habe dieses Kolleg dann mit einer (wider Erwarten) ausgezeichneten Diplomprüfung abgeschlossen, und ich denke auch heute noch, dass ich damals die richtige Entscheidung getroffen habe... Nachdem ich meine technische Ausbildung abgeschlossen hatte, begann ich auch sofort, meinen Beruf auszuüben, und darüber möchte ich nun ein wenig erzählen. Nachdem der Vertreter zum Sales Manager und der Datenbank Entwickler zum Database Developer mutierten, wurde auch der Programmierer zum Software Engineer. Und das ist also nun meine offizielle Berufsbezeichnung, auch wenn der Name auf meine wahre Tätigkeit nicht ganz zutrifft. Dazu aber später. Als Absolvent eines technischen Kollegs dieser Sparte war das Stellenangebot tatsächlich recht umfangreich. Viele, vor allem große, Firmen setzten sich mit mir in Verbindung, um meine Dienste für sich in Anspruch zu nehmen. Ich habe mich allerdings bewusst für einen kleinen Betrieb entschieden (11 Techniker und 2 Sekretärinnen), da hier die Möglichkeit, viel zu lernen und Erfahrung zu sammeln, wesentlich eher gegeben ist, als in einem riesigen Softwarekonzern. Und Erfahrung ist letztendlich das, worauf es in meiner Brache ankommt. Um dies zu verdeutlichen, möchte ich meine Firma und ihr Tätigkeitsfeld ein wenig beleuchten: Prinzipiell sind wir in der Elektronikentwicklung als Dienstleister tätig, was bedeutet, dass wir bei den meisten Aufträgen von der Machbarkeitsstudie bis hin zur Fertigungsüberleitung sämtliche Arbeitsschritte, abgesehen von der Produktion natürlich, übernehmen. Dazu zählt natürlich auch die Auswahl und der Aufbau (Prototyp) der Hardware, die Entwicklung der Software, die Durchführung diverser Tests und auch die Auswahl und der Einkauf der Bauelemente. Die Erfahrung und das Wissen, das ich hierbei sammeln kann, sind unbezahlbar und können einem Studenten während des Studiums in dieser Form nicht vermittelt werden. An Hand eines Beispiels möchte ich gerne den Ablauf eines solchen Auftrages schildern: Ein Kunde, privat oder auch eine andere Firma ("Outsourcing"), hat die Idee, ein Gerät zu entwickeln, das den Herzschlag eines ungeborenen Kindes hörbar macht und die Herzfrequenz auf einem Display darstellt.

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Das Gerät soll klein sein, im Preissegment zwischen 500 und 600 ATS angesiedelt sein, alle medizinischen Normen erfüllen und einfach zu bedienen sein, damit es für jede werdende Mutter zu Hause zu verwenden ist. Darauf hin wird mit der Durchführung einer so genannten Machbarkeitsstudie begonnen. Dabei wird abgeklärt, ob die Vorstellungen des Kunden überhaupt technisch realisierbar sind, und wenn ja, auf welche Arten dies geschehen könnte. Im Zuge dessen wird auch der Markt auf etwaige bereits vorhandene Geräte untersucht und auf Wunsch auch ein Kostenvoranschlag für die Entwicklung und die Produktion (100, 10 000 und 100 000 Stück) gelegt. Nachdem vom Kunden das Startsignal gegeben wurde, wird aus den von uns ausgewählten Bauteilen ein Prototyp des Gerätes entwickelt, wobei bereits vorhandene Teile, wie z. B. Ultraschallsonde, ebenfalls bereits Verwendung finden. Mit der fertigen Hardware kann nun begonnen werden, die Software zu entwickeln. Für die Programmierung von Mikroprozessoren bietet sich eine Programmierung in Assembler (Maschinensprache) oder C an. Gleichzeitig wird mit Designern das Aussehen des Gehäuses besprochen und mit Herstellern über dessen Bau verhandelt. Am Ende des Prozesses steht ein fertiges, funktionsfähiges Einzelstück, das selbstverständlich noch umfangreichen Tests unterzogen wird und von den zuständigen Behörden auf Erfüllung aller Normen, was am Medizinsektor ein besonders heikles Thema darstellt, geprüft. Nun liegt die Entscheidung beim Kunden, ob das Gerät in Serienfertigung geht oder in einem unserer Labors verstaubt. Mit der Entwicklung eines Gerätes im beschriebenen Umfang ist ein Techniker etwa vier bis fünf Monate beschäftigt. Nun wird auch klar, warum ich...erwähnt habe, die Berufsbezeichnung Software Engineer träfe nicht ganz auf meine Tätigkeit zu. Sie beinhaltet mehr als die Arbeit eines reinen Programmierers, sie ist abwechslungsreich, interessant und es ist eine Menge Kreativität und strukturiertes Denken dafür erforderlich. Natürlich ist auch klar, dass bei der Ausübung eines solchen Berufes eine geregelte Arbeitszeit von bis nicht möglich ist, dass auch die eine oder andere Abend- oder Wochenendstunde dabei verloren geht und private Interessen manchmal zweitrangig sind. Aber die Arbeit macht Spaß und ich fühle mich dabei sehr wohl. Über (geplante) zukünftige Tätigkeiten ist schwer zu schreiben, da ich in einer Branche arbeite, die sich, so meine ich, doch recht schnell und unvorhersehbar entwickelt. Natürlich schwebt irgendwo im Hinterkopf immer das Thema Selbstständigkeit herum, aber der rasche Aufstieg und der ebenso rasante Fall von diversen Start Ups und dot.coms hat gezeigt, dass dazu doch ein wenig mehr gehört als eine gute Idee und ein gesundes Selbstvertrauen. Derzeit fühle ich mich in meiner Firma sehr wohl, und ich denke, dass ich noch zwei, drei Jahre dort bleiben werde. Die Erfahrung, die ich bis dahin hoffentlich gesammelt haben werde, wird dann ausreichen, um bei einem Firmenwechsel in ein größeres Unternehmen gute Karten zu haben und auf der Karriereleiter (ich hasse dieses Wort) weiter oben zu stehen. Die Kürze dieses Abschnitts soll jetzt nicht den Anschein erwecken, orientierungs- und ziellos zu sein, aber abgesehen von meiner Blockhütte am See in den kanadischen Wäldern, vor der ich meinen wohl verdienten Whiskey trinke, kann und will ich mich jetzt noch nicht auf ein konkretes Ziel festlegen. Es bleibt abzuwarten, was die Zukunft uns aus Silicon Valley bringt und bis dahin lebe ich nach dem Motto: Carpe Diem Liebe Grüße. Amadeus

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* Forscher als globale Arbeiter92 Die Globalisierung ist nicht nur in den Naturwissenschaften, sondern auch in den Kultur - und Sozialwissenschaften ein deutlich beobachtbares Phänomen. Der Molekularbiologe Lukas Huber, "begeister Tiroler" laut Selbstaussage, bezeichnet sich auch als "Global Worker" und meint: "Einerseits ist es schön und bereichernd, so viel in der Welt herumzukommen. Andererseits wird das zur Belastung, wenn man eine Familie hat und dennoch flexibel und ortsunabhängig sein muss." Die Arbeitsverträge von Forschern an Instituten irgend wo in der Welt sind meist zeitlich (oft auch finanziell) limitiert, das Rennen um neue Projekte nicht immer frei von Stress. Andererseits bietet die Möglichkeit der Forschung in multikulturellen Laborteams natürlich viel geistigen Anreiz für nach Erkenntnissen strebende Menschen und entschädigt auch für manchen Verzicht, der ohne Zweifel auch zu leisten ist.

..... small points 1. der strukturwandel im bereich der internationalen arbeitsteilung macht für immer größere felder wirtschaftlicher aktivitäten weltmarktbedingungen verbindlich. 2. wenn die frage nach dem günstigsten wirtschaftsstandort gestellt wird, geraten arbeitnehmerInnen und ihre vertretungen, sowie die nationalstaaten gegenüber den global players in eine defensive position. 3. das tätigkeitsbild der high - tech - vagabundInnen entspricht weitgehend dem lebensgefühl vieler menschen in einer postmodernen situation. 4. wanderer! den nine - to - five - job kannst du dir abschminken! 5. in der global hiring hall93 fragt die welt nach deinen qualifikationen und..

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Vgl für diesen Abschnitt: heureka. Das Wissenschaftsmagazin im Falter, Heft 6, 2000 Vgl Prisching, McGesellschaft, 23

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6 Kleine Happen: Mc Jobs McJob: "niedrig dotierter Job mit wenig Prestige, wenig Würde, wenig Nutzen und ohne Zukunft im Dienstleistungsbereich"94.

* ich bin ein mcjobber. mcpoints 1. mein dasein als hilfskraft ist nicht mein letztes lebensziel. aus dieser sicht wird es erträglich. 2. die nörgelnden chefs sind nicht das maß aller dinge. 3. meine mcjobs bieten mir immerhin die grundlage für ein materielles über-die runden-kommen. 4. und das bei einem höchstmaß an unverbindlichkeit. 5. die sprossen der karriereleiter sind mir zu mühsam. trotzdem fühle ich mich als millionär - im wartestand. denn: ich bin klarerweise viel mehr als die pommes, die ich serviere. 6. mcjobs sind nur eine temporäre lästigkeit. 7. mit geringen ansprüchen an eine identifikation mit der arbeit. die ich, wenn mir danach ist, mit null engagement hinter mich bringen kann. 8. ich kann dabei extrem entspannt und extrem cool bleiben. 9. nur keinen stress! 10. so fällt es mir auch leicht, immer freundlich zu sein. 11. die pflege meiner freundschaftlichen netzwerke ist mir wichtig und beansprucht viel zeit. ich habe zeit. 12. ich schmiede viele pläne.

auch dafür gebe ich mir viel zeit. 13. ich meditiere.

ich träume.

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Coupland, Generation X, 0

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* Wie man es gerne hätte. eine Anzeige95 Roland Berger, Unternehmensberater "Vollbeschäftigung ist möglich." . : Warum ist die Arbeitslosigkeit bei uns seit Jahren so hoch? + Unser Arbeitsmarkt ist ein Jurassic - Park voller überholter Vorschriften. Wir sollten gründlich ausmisten. Der Arbeitsmarkt ist schon lange kein freier Markt mehr. Deswegen gibt es Millionen Arbeitslose und absurderweise viele freie Stellen. . Aber die Vorschriften sollen doch Arbeitnehmer schützen. + Vieles, was sozial sein soll, ist in Wahrheit unsozial und ungerecht. Die zahlreichen Barrieren in Deutschland kosten Arbeitsplätze. Sozial ist aber nur, was Arbeitsplätze schafft. . Welche Regelungen behindern? * Das wird eine lange Liste: der überzogene Kündigungsschutz, die Beschränkung von Zeitverträgen, das Recht auf Teilzeit, die Ausweitung der Mitbestimmung. . Warum? *+ Nehmen Sie die Teilzeitmodelle: Gut, wenn es viele davon gibt. Schlecht, wenn die Unternehmen per Gesetz dazu gezwungen werden. Das macht Planung unmöglich. Beim Kündigungsschutz sieht es ähnlich aus. Wenn es fast ausgeschlossen ist, ein Arbeitsverhältnis zu beenden, dann wird es häufig erst gar nicht eingegangen. . Wenn die Barrieren fallen - was erwarten Sie davon? + Vollbeschäftigung - und das ist sozial. . Die hatte Deutschland zuletzt vor dreißig Jahren. + J, da hatten wir auch weniger Regulierungen. . Es ist aber lange her. Warum sind Sie so sicher, dass ein liberalisierter Arbeitsmarkt auch heute besser funktioniert? + Weil es andere Länder mit Erfolg vorgemacht haben: Holland, England, USA, Schweden. Diese Länder haben ihre Arbeitsmärkte befreit und ernten jetzt die Früchte. Wir brauchen also nicht einmal besonderen Mut für Reformen: Es ist alles erprobt.

* Wie es ist. Ein Bericht96 "Wenn das durchgeht, ist es vorbei mit dem Arbeitsrecht", schäumt Hans Trenner, Leiter der Rechtsschutzabteilung in der Wiener Arbeiterkammer(AK). Schuld an seiner schlechten Laune ist die Modekette Peek & Cloppenburg (P&C). Der deutsche Textilriese beschäftigt Mitarbeiter auf der Basis von "Rahmendienstverträgen": Die Arbeitnehmer sind zwar angestellt, haben aber keine fixen Arbeitszeiten und somit auch kein fixes Einkommen. Wenn die Modekette umsatzstärkere Tage erwartet, werden die Angestellten angerufen.... Wolfgang Wissmann, der neue Betriebsratvorsitzende bei P&C, kann nicht verstehen, wieso sein Vorgänger sich beschwerte: "97 Prozent der Beschäftigten sind glücklich über diese Verträge. Ein paar schwarze Schafe, die rebellieren, wird es immer geben." Der Gewerschaftsbund sieht dies anders: "Zufriedenheit ist relativ, wenn man von einem Job abhängig ist", meint Bernhard Achitz vom ÖGB. In Österreich gilt 2001 ein Einkommen bis zur Höhe von monatlich ATS 4 076,-- als aus Geringfügiger Beschäftigung erzielt. McJobs existieren also. Tendenz steigend.97 So gibt etwa ein Drittel der bayerischen Kleinverdiener an, mehrere Nebenjobs zu haben. 98 Diese Arten der geringfügigen, oft dazu auch noch flexibilisierten Beschäftigung und der McJobs sind aber sicher nicht nur ironisch zu 95

stern, 12.2001, 107. Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, die die Anzeige plaziert hat, ist laut Eigendefinition "eine überparteiliche Reformbewegung von Bürgern, Unternehmen und Verbänden für mehr Wettbewerb und Arbeitsplätze in Deutschland." 96 Falter, 46, 2000,19 97 Im Zeitraum von 1995 bis 1998 stieg die Zahl der geringfügig Beschäftigten um 25% auf 170 000 an. Quelle: Einbinden statt Ausgrenzen. Neue Strategien gegen die Armut. Bericht einer ExpertInnengruppe, Hausdruckerei des Bundesministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales, Wien 1999, 13 98 DIE ZEIT, 2001, Nr. 24,77

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bejubeln: "Seit wir jünger geworden sind, sind wir leistungsfähiger. Kaum einer von uns, der nicht die Kraft für fünf McJobs hätte! Alle tragen in der Früh um fünf fünf Zeitungen aus, führen danach fünf Hunde Gassi, braten danach halbtags Hamburger, helfen danach zur anderen Hälfte des Tages im Bioladen aus oder in einer chemischen Reinigung, bevor sie abends noch kellnern gehen. Die Dienstleistungsgesellschaft erhält uns eben alle jung. Wer nicht flexibel ist und keine vier Beine hat, hat die Dollarzeichen der Zeit einfach nicht verstanden. Selber schuld, Alter!"99 Auch SchülerInnenarbeit in McJobs steigt an. Eine Umfrage des Bayerischen Philologenverbandes ergab, dass ein Drittel der Mittel - und OberstufenschülerInnen regelmäßig jobbt.100 "Jede 2. offene Stelle (ist ein) Teilzeit - Job" wird getitelt.101 Und dann berichtet der Vorstand des AMS, dass die Zahl der zeit- und projektbezogenen Jobs im Ansteigen ist, die Vollzeitjobs aber aller Voraussicht nach weiter zurückgehen werden.

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Peter Maiwald, Solidarität ist wie Mundgeruch, in: Die Presse. Spektrum, 20./21. Juli 1998 owA Ulla Hanselmann, Nebenjob Schule. Lehrer beklagen die steigende Zahl berufstätiger Schüler. Vor allem bei den Schwächeren leidet die Leistung, in: DIE ZEIT, 2001, Nr. 24, 77. - Laut Bildungsbericht haben in Österreich 10 % DER StudentInnen eine Vollzeitbeschäftigung neben ihrem Studium, 21 % üben einen Teilzeitjob aus: Kleine Zeitung, 19 Oktober 2001, 13 101 Kleine Zeitung, 12. August 2000

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7 Working poor pur Working poor: Darunter "sind jene Gruppen zu verstehen, die trotz Einkommen aus eigener Erwerbsarbeit arm bzw. armutsgefährdet sind"102 7 - 10 Prozent der US - amerikanischen Erwerbsbevölkerung könnten in diese Kategorie der Working poor fallen. Ihr Einkommen liegt trotz zwei oder drei Teilzeitjobs unter der Armutsgrenze.103

* Katharina. Working pur. Poor?104 Katharinas älteste Tochter hat 2001 maturiert und möchte Hebamme werden, die zweite Tochter beginnt in diesem Jahr nach der PTS eine Lehre als Masseurin, Fußpflegerin und Visagistin, die dritte war gerade bei der Erstkommunion. Katharina ist Geburtsjahrgang 1962. Nach der PTS hätte sie gerne Friseurin gelernt. Aus familiären Gründen verzichtete sie trotz bereits zugesagter Lehrstelle aber schließlich darauf. Sie arbeitet für etwa ATS 8 000,-- im Monat 22,5 Wochenstunden in einer kleinen Elektronikfirma, in der fast nur Frauen beschäftigt sind, und wo es bei der Arbeit sehr auf Genauigkeit ankommt. Gemeinsam mit ihrem Mann und ihrer Schwiegermutter bewirtschaftet sie eine kleine Landwirtschaft mit11 Hektar. Einheitswert der Landwirtschaft: ATS 37 000,--. Es werden hauptsächlich Kürbisse angebaut. Der Erlös aus dem verkauften Kürbiskernöl beträgt etwa ATS 20 00,--pro Jahr. Katharinas Mann arbeitet als Betriebschlosser und Lastwagenchaffeur für ein nahe gelegenes Ziegelwerk. Er verdient dort netto etwa ATS 17 000,-- im Monat. Katharinas Schwiegermutter bekommt seit dem Tod ihres Mannes eine Pension von etwa ATS 6 900,--. Katharina geht noch regelmäßig putzen und hilft in Gasthäusern und bei Hochzeiten aus. Dafür bekommt sie ATS 100,-- pro Stunde. Berühmt in der ganzen Gegend ist Katharina für die von ihr gebackene Hochzeitsmehlspeise, die ich hiermit auch ausdrücklich empfehle. Katharinas mittlere Tochter pflegt und betreut mit Hingabe und Kompetenz neben ihrem eigenen auch ein Einstellerpferd. Der landwirtschaftliche Betrieb erhält eine EU - Förderung in der Höhe von etwa ATS 20 000,Ein Kredit für den Traktor und das neben dem alten neu erbaute Haus ist noch einige Jahre zu bezahlen. Das neue Haus wurde zum Großteil selbst gebaut, auch Katharinas Geschwister haben dabei viel geholfen. Am Waldrand neben dem alten Haus und der Schafweide hat Katharinas Mann einen Badeund Fischteich angelegt, der eifrig genutzt wird.

* Über Armut und ihre Definitionen Binäre Einteilungen, wie gesund - krank, reich - arm, normal - unnormal, ebnen oft eine vielförmige Welt wie Dampfwalzen des Geistes ein. So hat etwa auch der undifferenzierte Diskurs über Armut die vielfältigen, einander oft entgegengesetzten Gestalten der Armut bis zur Ununterscheidbarkeit und Unkenntlichkeit nieder gewalzt. Wird ein theoretischer Zugang zur Definition von Armut gewählt, der vorrangig von monetären Einkommensgrenzen ausgeht, können entweder absolute Zahlen zur Bestimmung von Armut festgelegt werden, oder es wird eine relative Größe in Bezug zu einem präzis zu

102 Einbinden statt Ausgrenzen. Neue Strategien gegen die Armut. Bericht einer ExpertInnengruppe, Hausdruckerei des Bundesministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales, Wien 1999, 13 103 Vgl Andre Gorz im Interview, Engelmann, Kursbuch, 94 104 Aus Notizen bei Gesprächen mit "Katharina".

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beschreibenden Standard, z. B. zum durchschnittlichen Pro - Kopf - Einkommen105, angenommen. Armut kann aber auch definiert werden als ein "Mangel an Möglichkeiten,.. in den zentralen gesellschaftlichen Bereichen zumindest in einem Mindestausmaß teilhaben zu können."106 Wolfgang Sachs möchte zwischen genügsamer, elender und warenabhängiger Armut unterschieden wissen:107 In nicht akkumulationswütigen Kulturen hat jeder Mensch Zugang zu den wichtigsten Ressourcen und Bande der Verwandtschaft sowie allgemein anerkannte Gemeinschaftsverpflichtungen sorgen für Leistungen, die an anderen Orten der Welt zu bezahlen sind. Niemand hungert, Überschüsse werden in Schmuck, Festlichkeiten.. gesteckt. Private Anhäufung von Gütern wird geächtet. Genügsamkeit schlägt erst dann in erniedrigende Armut um, wenn ihr die Ressourcen genommen werden und sie unter den Druck von "reichen" Gesellschaften gerät. Wenn der Genügsamkeit so der Boden entzogen wird, mutiert sie zum Elend. Warenabhängige Armut trifft jene Menschen, die als Lohnabhängige und als KonsumentInnen in die Geldwirtschaft verwickelt sind und deren Kaufkraft gering ist. Sie können den Launen des Marktes nicht folgen, ihre Fähigkeit, etwas aus eigener Kraft zu tun, sinkt gegen Null. Gleichzeitig wachsen jedoch ihre Wünsche und Ansprüche oft ohne Grenze, Vorbilder gibt es dafür genug. Bernd Marin und Michael Förster vom European Centre for Social Welfare Poilicy and Research nennen in einem Leserbrief108 jene fünf Bevölkerungsguppen in Österreich, die eine mindestens doppelt so hohe Rate der Armutsgefährdung und der akuten Armut haben wie die Gesamtbevölkerung: (1) Alleinerziehende ohne Erwerbseinkommen (2) Langzeitarbeitslose (3) Personen aus Nicht - EU Staaten (4) Personen im Erwerbsalter in Haushalten ohne jede Beschäftigung (5) (mit Einschränkungen) allein lebende ältere Personen Eiine bedeutende Rolle bei der Betrachtung des Phänomens Armut kommt ohne Zweifel dem Begriff des Lebensstandards zu. "Der Lebensstandard lässt sich nicht auf Wohlstand reduzieren, obwohl er unter anderem durch ihn beeinflusst wird. Er muss direkt mit dem Leben zusammen hängen, das jemand führt, und nicht mit den Ressourcen, die jemand hat, um ein bestimmtes Leben zu führen."109 Amartya Sen stellt in seiner Betrachtungsweise des Lebensstandards Selbstbewertung und Standardbewertung gegenüber und meint, dass es uns gar nicht beunruhigen muss, "wenn wir nicht alle Lebensstile unter dem Aspekt des Lebensstandards miteinander vergleichen können."110 Sen plädiert dafür, den Lebensstandard an tatsächlichen Möglichkeiten und Fähigkeiten des Menschen zu messen. "Eine tatsächliche Möglichkeit ist etwas, das wirklich erreicht wurde, wohingegen eine Fähigkeit das Vermögen ist, etwas zu erreichen... Fähigkeiten sind.. im

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Armutsgefährdungsschwellen in Österreich 1997 (nach EUROSTAT - Kriterien liegt Armutsgefährdung dann vor, wenn Personen ein Pro-Kopf-Haushaltseinkommen unter dem Schwellenwert von 60% des nationalen ProKopf-Einkommens haben: z. B: Einpersonenhaushalt: ATS 10 000,--. Ein Erwachsener + 1 Kind: ATS 13 000,--. Zwei Erwachsene: ATS 15 000,--. Zwei Erwachsene + 3 Kinder: ATS 24 000,--. Rund 900 000 Personen verfügten in Österreich 1997 über ein Einkommen unter diesem Wert, das sind 11% der Gesamtbevölkerung. Aus: Republik Österreich, Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen, Nationaler Aktionsplan zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung, Wien 2001, 3 106 Einbinden statt Ausgrenzen. Neue Strategien gegen die Armut. Bericht einer ExpertInnengruppe, Hausdruckerei des Bundesministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales, Wien 1999, 7 107 Vgl Wolfgang Sachs, Arm statt Anders, in: Sachs, Archäologie der Entwicklungsidee, 42ff 108 Die Presse, 14. Mai 2001 109 Sen, Lebensstandard, 36. Sen kritisiert jene Definitionen von Lebensstandard, die als die entscheidenden Kriterien Nutzen, Einkommen oder Wohlstand verwenden. 110 Sen, Lebensstandard, 59

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positiven Sinn mit Freiheit verbunden: Welche realen Chancen hat ein Mensch, das Leben zu führen, das er führen möchte."111

..... small points 1. einfache dienste leistende groundworker,

minder qualifizierte dienstboten und dequalifizierte handwerker könnten zu einem nicht mehr vernachlässigbaren sockel für eine neue gruppe von working poor werden. 2. grundsätzlich kann dem NAPl eine gute strategie bescheinigt werden, wenn er ausführt: "Eine offensive Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Wohlfahrtspolitik im Rahmen einer politischen Gesamtstrategie ist die beste Politik gegen Armutsgefährdung und soziale Ausgrenzung. Diese politische Gesamtstrategie zielt darauf ab, eine wettbewerbsfähige und wissensbasierte Wirtschaftsentwicklung mit Vollbeschäftgigung und sozialem Zusammenhalt in Einklang zu bringen."112 3. möchtest du mit katharinas lebensstandard tauschen? 4. kannst du das leben führen, das du möchtest? 5. wie viel geld würdest du ausgeben, um von deiner enkeltochter geliebt zu werden?

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Sen, Lebensstandard, 63 Republik Österreich. Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen, Nationaler Aktionsplan zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung, Wien 2001, 4 112

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8 getting things done! * Schu: Eine Karriere in Stichworten113 Beruflicher Werdegang: Akad. Titel: Dr. Mag. Ing. Anschrift: Bayern Geburtsdaten: 1959, Graz Staatsangehörigkeit: Österreich Aktuelle Position: Seit 03 2000 AUDI AG, Ingolstadt. Leiter Einkauf Ausstattung Außen Verantwortung: Sämtliche Kaufteile Chemie außerhalb des Fahrgastraumes mit einem Volumen von rd 1,5 Mrd Euro p. a. - einschließlich Qualitäts- und Logistikverantwortung. Volkswagen Group Commodity Manager für die Werkstoffgruppen Zsb. Schlauchleitungen und Radhausschalen. Innovationen: Qualitätsmonitoring für Zulieferteile auf Monats-, Teile- und Lieferantenebene. Vernetzung der Einkaufs- mit den Qualitätsdaten auf Lieferantenebene. Balanced Scorecards zur Mitarbeiterführung. Formelle Ausbildung: 65 - 69 Volksschule L, 4 Klassen 69 - 73 Hauptschule L, 4 Klassen 73 - 78 Höhere technische Bundelehr - und Versuchsanstalt (Bulme), Graz, Fachrichtung Maschinenbau, 5 Jahrgänge 78 Reifeprüfung, mit ausgezeichnetem Erfolg 82 - 87 Karl - Franzens - Universität, Graz, 9 Semester Diplomstudium für Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftspädagogik. Wahlfächer: Treuhandwesen, Privatrecht und Wirtschaftspädagogik. Diplomarbeit: "Berufliche Erwachsenenbildung in Österreich am Beispiel des Wirtschaftsförderungsinstitutes Steiermark." 87 Sponsion zum Magister rer. soc. oec. 87 Verleihung der Ingenieururkunde durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Angelegenheiten. 87 - 89 Karl - Franzens - Universität, Graz, 4 Semester. Doktoratsstudium für Wirtschaftspädagogik. Schwerpunkte: Betriebswirtschaftslehre, Volkswirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Soziologie sowie Wirtschaftspädagogik. Dissertation: "Effizienzmessung der Ausbildung an berufsbildenden höheren Schulen am Beispiel der Fremdenverkehrsschulen des Steirischen Hotelfachschulvereines in Bad Gleichenberg." 89 Promotion zum Doktor rer. coc. oec. mit ausgezeichnetem Erfolg. Präsenzdienst: 78 - 79 Heeresversorgungsschule in Wien, 1 Jahr. Oberleutnant des Wirtschaftsdienstes Berufserfahrung: 95 - 00 BMW AG, München. Prozessberater. Verantwortung: Geschäftsprozessoptimierung (Qualität, Kosten, Zeit und Service) für Serienteile bei Lieferanten. Anlaufunterstützung der Lieferanten zum Erreichen stabiler Prozesse. Aufbau und Training - on - the Job der Lieferantenentwicklung am Standort Südafrika. Training - on - the Job und operative Kostenreduzierung bei den Zulieferern in Großbritannien. Innovation: Konzeption und Einführung des "Fehlerbeseitigungsprozess BMW" bei den 1st tier Lieferanten auf Basis der aktuellen 3er Reihe. 95 BEWAG, Eisenstadt Leiter Beteiligungsreferat 113

Auswahl nach Gesprächen mit "Schu" und aus mir per e-mail zur Verfügung gestellten Unterlagen.

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Verantwortung: Erstellen der Vorstandsrechtfertigungen für die defizitären Beteiligungsgesellschaften. Konzeption der Sanierung der unwirtschaftlichen Unternehmensbeteiligungen. 90 - 95 SDP Fahrzeugtechnik AG Graz Leiter der Bezugsquellenbeurteilung Verantwortung: Aufbau und Leitung der Bezugsquellenbeurteilung im STEYR - Konzern. Optimierung von Produktionsprozessen bei Zulieferern. Maßgebliche Unterstützung beim Aufbau des Beschaffungsmarktes Slowenien. Seminare im Konzern und bei Lieferanten zu dem Themen Produkthaftung, Beschaffungsmarketing und Bezugsquellenbeurteilung. Innovarion: Schaffen der Voraussetzungen zur ersten Zertifizierung nach DIN ISO 9001 für den Standort Graz. 89 - 90 ELIN AG Weiz, Teamleiter PPS - Projekt Verantwortung: Implementieren des SAP - PPS und Business Process Reengineering in der Pilotsparte. 87 - 89 Steirischer Hotelfachschulverein, Bad Gleichenberg. Vortragender am Tourismuskolleg für die Unterrichtsgegenstände Betriebswirtschaftslehre und Rechnungswesen. 83 - 87 Freiberufliche Projektbearbeitung / - leitung Begleitend zu Studium und Lehrtätigkeit technische und kaufmännische Abwicklung von Engineering Projekten für mechanische Abwasserkläranlagen für 10 000 EGW für die KUEN HUEI Technic Eng. Ltd., Tokio sowie Spritzgussmaschinen nach Kundensonderwünschen für die MAPLAN International GmbH, Ternitz. 82 - 83 Schmidt Leder und STABIL Kunststoffwerk GmbH, Feldbach / Leibnitz. Assistent der Unternehmensleitung. Verantwortung: Großkundenprojekte, Aufbau der Standortkostenrechnung und Duversifizieren des Produktionsprogrammes. 79 - 82 MAN AG, München Kaufmännisch - technischer Mitarbeiter der technischen Vorentwicklung im Unternehmensbereich Nutzfahrzeuge Verantwortung: Basisentwicklung alternativer Antriebssysteme, Projekte Kundensonderwünsche Autobusse und Abteilungscontrolling für BMFT - geförderte Projekte. Erfahrungen und Kenntnisse 93 - 94 TIGERWERK Lack- und Farbenfabrik GmbH, Wels Managementberatung zur Geschäftsprozessoptimierung und Zertifizierung nach EN 29001 am 29. 6. 1996 durch die DNV A/S. In der Prozesskette wurde die Anlieferqualität auf Best - in - class - Niveau stabilisiert, die internen Verarbeitungskosten reduziert und die Kundenreklamationen halbiert. 88 Freiberufliche Projektbearbeitung / -leitung Parallel zur Lehrtätigkeit Erstellung von Marketinggutachten zu den Themen "Distributionskanäle" für die Stiefelkönig AG, "Sport - Sponsoring" für die RAIKA Steiermark und "Produkt - Placement" für die Steirische Land - und Forstwirtschaftskammer. seit 1990 Vorträge an der Österreichischen Akademie für Führungskräfte, Graz, Institut für Personal und Organisation, Linz, Institute for International Research Frankfurt sowie am Mansgement Circle, Frankfurt. PPS - Ausbildung bei der AP AG Walldorf zu den Inhalten Grunddaten, Stücklisten, Arbeitspläne, Bedarfsplanung und Fertigungsaufträge. Gute Kenntnisse des österreichischen und deutschen Privatrechts sowie der europäischen Produkthaftungsrichtlinie - mit dem Schwerpunkt österreichisches Produkthaftungsgesetz. Gute Englischkenntnisse durch Auslandsprojekte. Grundkenntnisse Italienisch. Gute PC - Anwenderkenntnisse für die aktuelle Standard - Software unter Windows Oberfläche. Freizeit: Lesen, Radfahren, Skilauf und Traktorfahren.

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* Die Vierte Seite114 Woher komme ich, der Schu? Wir - mein Vater, nunmehr pensionierter Schneidermeister, meine Mutter, nunmehr pensionierte kaufmännische Angestellte und "noch immer" Mutter sowie meine jüngere Schwester und mein jüngerer Bruder - das sind die Schu´s. Was hat mich beeinflusst? Die Erziehung unter den Prämissen der ehernen Werte der Schu´ s. "Bub, du lernst für dich und das wird dir keiner nehmen können" und "Bub, schau, dass der Spiegel im Bad immer hängen kann - Rückgrat gibt es nicht zu kaufen" Was ist daraus geworden? Während meiner Berufstätigkeit in Österreich haben mir diese - verinnerlichten - Werte oft schwer zu schaffen gemacht. Nicht selten habe ich mich gefragt, hatten meine Eltern mit ihrer Erziehung Recht? Ja, sie hatten Recht. In der Zwischenzeit bin ich mit der Unterstützung und dem Beistand der Frau meines Lebens - "Petzl" - eine anerkannte Größe, sprich erfolgreicher Manager, in der deutschen Automobilindustrie geworden. Ich bin es aus Überzeugung - "mit Kopf und Bauch." Fremdbild: Was spricht für mich in der deutschen Arbeitswelt? Meine fundierte kaufmännisch - technische Ausbildung und Beruferfahrung, die in Verbindung mit meinem analytischen Verstand sehr häufig die Basis kreativer Problemlösung ist. Hohe horizontale und vertikale Akzeptanz auf Grund des ausgewogenen Verhältnisses zwischen Stratege und Pragmatiker unterstützt durch das positive Erscheinungsbild. Was Sie noch von mir wissen sollten... Meine große berufliche Herausforderung ist es, für einen Tag Vorstand eines deutschen Automobilherstellers zu werden - um am zweiten Tag freiwillig zu demissionieren - um mich mit "Petzl" als Unternehmensberater für die Automobilzulieferindustrie in der Oststeiermark selbständig zu machen. Ab diesem Zeitpunkt soll unsere Mini - Landwirtschaft vom Rand in den Mittelpunkt unseres Lebens rücken. Bayern, Januar 2001

* Was ManagerInnen noch lernen wollen Die regelmäßige Auffrischung reinen Fachwissens wird heute von allen Seiten her und für alle Seiten voraus gesetzt. Aber die besten Fachkenntnisse am neuesten Stand scheinen oft nicht mehr auszureichen. "Immer wichtiger wird die Frage, ob sich jemand auch darum bemüht, seine so genannten >soft skills< zu verbessern - also Fähigkeiten wie Verhandlungsgeschick, rhetorische Überzeugungskraft, Motivationsgeschick, Präsentationsvermögen..."115 MitarbeiterInnen erwarten von Führungskräften "drei Grundqualitäten: Richtung, Vertrauen und Hoffnung".116 Selbstbewusstsein, Leadership, Soziale Intelligenz, Charisma.. gehören zum Repertoire von Einstellungen, Haltungen und Fähigkeiten, das VerantwortungsträgerInnen von sich und anderen verlangen.

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Aus den "Schu - Unterlagen" Asgodom, profitieren, 7 116 Siehe: Sabine Asgodom, Selbst - PR. So fördern Sie Ihre Mitarbeiter - und damit Ihr Unternehmen, in: Asgodom, profitieren, 13 115

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* "Die Leute haben Hunger nach Erfolg." Interview mit Peter W. Kimmel117 FORMAT: Sie sind einer der wenigen bekannten heimischen Erfolgstrainer. Was qualifiziert Sie dazu? KIMMEL: Ich habe selbst vor vielen Jahren die Erfahrung gemacht, Erfolg zu haben. Die will ich jetzt an andere Menschen weitergeben. Ich fühle mich dazu berufen, das ist wie eine Mission. FORMAT: Mit welchen Strategien kann man erfolgreich werden? KIMMEL: Zuerst muss man sich die Frage stellen, was will ich im Leben. Je genauer man sein Wunschziel fest machen kann, desto größer wird das Bedürfnis, es zu erreichen. Dieses Bild vom Ziel speichert man dann ab, und es ist somit jederzeit abrufbar. Das gibt einem die Kraft, auch die Tiefs zu überwinden. Die Erfolgsstrategie ist Gelassenheit und Entschlossenheit. FORMAT: Welchen Nutzen kann man aus Motivationsseminaren ziehen? KIMMEL: Solche Seminare sind ja nichts anderes als ein Supermarkt von Ideen und Erfahrungen, und aus jeder Veranstaltung und auch aus jedem Buch nimmt man etwas mit, das einem hilft, etwas im Leben zu verändern. Deshalb sollte man verschiedene Seminare besuchen. Sich also nicht ein Vorbild nehmen, sondern sich mit den Besten umgeben. FORMAT: Womit erklären Sie sich den Boom der Erfolgsseminare? KIMMEL: Jahrzehnte lang hat man uns eingeredet, dass man sich mit seinem Schicksal abfinden muss, und jetzt hat sich das Gefühl breit gemacht, dass man etwas tun soll, wenn man glaubt, zu mehr imstande zu sein. Die Leute haben Hunger nach Erfolg.

* Scheinbar ein Exkurs: "Der Adler"118 Ein Mann ging in einen Wald, um nach einem Vogel zu suchen, den er mit nach Hause nehmen könnte. Er fing einen jungen Adler, brachte ihn heim und steckte ihn in den Hühnerhof zu den Hennen, Enten und Truthühnern. Und er gab ihm Hühnerfutter zu fressen. obwohl er ein Adler war, der König der Vögel. Nach fünf Jahren erhielt der Mann den Besuch eines naturkundigen Mannes. Und als sie miteinander durch den Garten gingen, sagte der: "Dieser Vogel ist kein Huhn, er ist ein Adler" "Ja", sagte der Mann, "das stimmt. Aber ich habe ihn zu einem Huhn erzogen. Er ist jetzt kein Adler mehr, sondern ein Huhn, auch wenn seine Flügel drei Meter breit sind." "Nein", sagte der andere. "Eir ist noch immer ein Adler, denn er hat das Herz eines Adlers. Und das wird ihn hoch hinauffliegen lassen in die Lüfte." "Nein, nein", sagte der Mann, "er ist jetzt ein richtiges Huhn und wird niemals wie ein Adler fliegen." Darauf beschlossen sie, eine Probe zu machen. Der naturkundige Mann nahm den Adler, hob ihn in die Luft und sagte beschwörend: "Der du ein Adler bist, der du dem Himmel gehörst und nicht dieser Erde: breite deine Schwingen aus und fliege!" Der Adler saß auf der hoch gereckten Faust und blickte um sich. Hinter sich sah er die Hühner nach ihren Körnern picken und er sprang zu ihnen hinunter. Der Mann sagte: "Ich habe dir gesagt, er ist ein Huhn." "Nein", sagte der andere, "er ist ein Adler. Ich versuch es morgen noch einmal." Am anderen Tag stieg er mit dem Adler auf das Dach des Hauses, hob ihn empor und sagte: "Adler, der du ein Adler bist, breite deine Schwingen aus und fliege!" Aber als der Adler wieder die scharrenden Hühner im Hof erblickte, sprang er abermals zu ihnen hinunter und scharrte mit ihnen.

117 Heike Kossdorff, Die Propheten des Erfolges. Sie versprechen Glück, Erfolg, Gesundheit. Ihre Rezepte sind einfach und die Botschaften simpel. Aber ihre Lehren dienen immer mehr Menschen als Lebens- und Karrierehilfe oder gar Religionsersatz, in: FORMAT, Das Magazin für Politik, Wirtschaft & Wissen, Nr. 29, 16. Juli 2001, 42 - 48, Interview 45 118 Text aus: Wolfgang Dedl, Franz Feiner, Manfred Glettler, Albert Höfer, Hans Krameritsch, Werner Reischl, Matthias Scharer, Gertraud Tröbinger, Ewald Ules, Tore zum Glück. Über Empfehlung der Interdiözesanen Lehrbuchkonferenz und der Schulamtsleiterkonferenz von der Österreichischen Bischofskonferenz als Schul- und Werkbuch für den Religionsunterricht an Polytechnischen Lehrgängen und einjährigen Formen der Berufsbildenden Mittleren Schulen der 9. Schulstufe zugelassen. Schulbuch Nr. 4100, Wien 1994, 47f

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Da sagte der Mann wieder: "Ich habe dir gesagt, er ist ein Huhn." "Nein", sagte der andere, "er ist ein Adler und er hat noch immer das Herz eines Adlers. Lass es uns noch ein einziges Mal versuchen; morgen werde ich ihn fliegen lassen." Am nächsten Morgen erhob er sich früh, nahm den Adler und brachte ihn hinaus aus der Stadt, weit weg von den Häusern an den Fuß des Berges. Die Sonne stieg gerade auf, sie vergoldete den Gipfel eines Berges, jede Zinne erstrahlte in der Freude eines wundervollen Morgens. Er hob den Adler hoch und sagte zu ihm: " Adler, su bist ein Adler. Du gehörst dem Himmel und nicht dieser Erde. Breite deine Schwingen aus und fliege." Der Adler blickte umher, zitterte, als erfülle ihn neues Leben - aber er flog nicht. Da ließ ihn der naturkundige Mann direkt in die Sonne schauen. Da plötzlich breitete er seine gewaltigen Flügel aus, erhob sich mit dem Schrei eines Adlers, flog höher und höher und kehrte nie wieder zurück. Er war ein Adler, obwohl er wie ein Huhn aufgezogen und gezähmt worden war. Im Schulbuch "Tore zum Glück" für die 9. Schulstufe wird die Erzählung in Kapitel "V. Wie bin ich eigentlich" gegeben. In diesem Abschnitt geht es um Hilfe bei der Identitätsfindung auf der Basis eines christlichen Bildes vom Menschen. Die Geschichte wird etwa auch von Jes 40, 31 begleitet: Die aber, die dem Herrn vertrauen, schöpfen neue Kraft, sie bekommen Flügel wie Adler. Im Kontext eines Motivationskongresses betrachten Erfolgstrainer mit der Erzählung vom Adler andere Gesichtspunkte: "Du schaffst es! Wenn du nur willst, schaffst du es!!" Das ist eine der Botschaften, die den ZuhörerInnen immer wieder eindringlich vermittelt werden.119 Future skills und aktuelles Managementwissen werden angeboten und sollen helfen, die Herausforderungen der Zukunft zu meistern. Man will sich an den Besten orientieren, nicht am Durchschnitt. Man sucht die Überholspur zum Erfolg. Manfred Prisching findet ironisierend am "Markt für die Persönlichkeitsentfaltung verkorkster Manager.. nur verblüffend.., mit welcher Naivität und intellektueller Bescheidenheit sich robuste Manager teuren Unsinn verkaufen lassen."120

* Management - Strategien im 20. Jahrhundert121 Weisheit der Dakota - Indianer: "Wenn du entdeckst, dass du ein totes Pferd reitest, steig ab." Manager versuchen oft andere Strategien, nach denen sie in dieser Situation handeln: 0 Sie besorgen sich eine stärkere Peitsche 0 Sie wechseln die Reiter 0 Sie sagen: "So haben wir das Pferd doch immer geritten." 0 Sie gründen einen Arbeitskreis, um das Pferd zu analysieren 0 Sie besuchen andere Orte, um zu sehen, wie man dort tote Pferde reitet 0 Sie erhöhen die Qualitätsstandards für den Beritt toter Pferde 0 Sie bilden eine Task - Force, um das tote Pferd wiederzubeleben 0 Sie schieben eine Trainingseinheit ein, um besser reiten zu lernen. 0 Sie stellen Vergleiche unterschiedlich toter Pferde an 0 Sie ändern die Kriterien, die besagen, ob ein Pferd tot ist 0 Sie kaufen Leute von außerhalb an, um das tote Pferd zu reiten 0 Sie schirren mehrere tote Pferde zusammen an, damit sie schneller werden 0 Sie erklären: "Kein Pferd kann so tot sein, dass man es nicht noch schlagen könnte." 0 Sie machen zusätzliche Mittel locker, um die Leistung des Pferdes zu erhöhen 0 Sie machen eine Studie, um zu sehen, ob es billigere Berater gibt 119

Christian Schüle, Die Diktatur der Optimisten. "Du schaffst es", Gib niemals auf!", "Sorge dich nicht - lebe!" Die Entertainer der Erfolgsgesellschaft locken Verzagte, Berufsmüde und Karrieresüchtige auf ihre Motivationskongresse. Begegnungen mit den Predigern der Erschöpfungslehre, in: DIE ZEIT Nr.25, 13. Juni 2001, 13 - 16 120 Prisching, McGesellschaft, 32 121 Aus den "Schu" - Unterlagen

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0 Sie kaufen etwas zu, das tote Pferde schneller laufen lässt 0 Sie erklären, dass "unser Pferd besser, schneller und billiger tot" ist 0 Sie bilden einen Qualitätszirkel, um eine Verwendung für tote Pferde zu finden 0 Sie überarbeiten die Leistungsbedingungen für tote Pferde 0 Sie richten eine unabhängige Kostenstelle für tote Pferde ein Bitte nennen Sie 3 für Ihr Unternehmen zutreffende Strategien!

.... small points 1. persönliche leistung und daraus resultierender erfolg schaffen positive erlebnisse.

2. erfolgsstreben, leistungsdruck und die suche nach sinn in der arbeit und im leben sind hervorragende motive für managerfortbildung in motivationsseminaren und workshops, durch persönliches coaching, bücher und neue medien (e - learning). 3. die frage, ob in erfolgstrainings, etc... sozialdarwinistischer machbarkeitswahn angeboten wird, bleibt für den einzelfall offen. eben so wie die frage, ob neben technischen und strategischen auch moralische führungsqualitäten vermittelt werden (können).122 4. bist du ein adler?

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Vgl Harris Sondak, Unternehmensführung als moralische Herausforderung. Die Rolle der Ethik im Management und in der Ausbildung von Managern, in: NZZ Fokus: Shareholder value. Ein Schwerpunkt Dossier der Neuen Zürcher Zeitung, Zürich 1996, 53. Der Artikel von Harris Sondak erschien an 28./29. September 1996 in der NZZ

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9 Von einer Kultur der Arbeit zu einer Anlegerkultur * Benton arbeitet und spekuliert123 Benton wurde 1950 im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien geboren. Er hat dort eine der HTL entsprechende Schule besucht. Seit seiner Heirat mit einer Österreicherin lebt er in Österreich und hat vor einigen Jahren auch die österreichische Staatsbürgerschaft angenommen. Er arbeitet bei der Firma T, ursprünglich ein transnationaler Elektroartikelhersteller. Benton installiert und betreut Telefongroßanlagen in ganz Mitteleuropa. Seine Frau verdient als Sekretärin bei einem Juristen etwa ATS 15 000,-- monatlich netto. Sie kann dieses Einkommen durch Verträge, die sie für andere Personen privat ausfertigt, etwas aufbessern. Bentons Tochter hat gerade ihr Studium als Veterinärmedizinerin abgeschlossen. Benton will, dass sie sofort ihr Doktoratsstudium anschließt. Der Sohn steht vor der Matura. Vor einiger Zeit hat Benton eine Werbeschrift von seiner Firma T bekommen, in welcher es unter anderem heißt: "T. Machen Sie aus Ihrem Geld ein Vermögen. Tfonds. Besser leben, richtig vorsorgen. Verwirklichen Sie Ihre Ziele mit den besonders günstigen und sicheren Tfonds. Noch nie war die Zukunft so nah wie jetzt. Da stellen sich natürlich Fragen über Fragen: Wie kann ich meinen Lebensstandard in den nächsten Jahren verbessern? Ist die Ausbildung meiner Kinder gesichert? Wie sieht es mit der Altersvorsorge für mich und meine Familie aus? Wann können wir endlich den Hausbau oder den Kauf einer Wohnung in Angriff nehmen? Wie immer Ihre Wünsche, Ziele, Träume aussehen: Wir möchten Ihnen dabei helfen, ihrer Verwirklichung ein gutes Stück näher zu kommen. >Vermögensanlage statt Sparbuch< heißt die Devise der Zukunft: Investmentfonds sind die optimale Geldanlage für den langfristig denkenden Investor. Mit Investmentfonds veranlagen Sie auf den internationalen Kapitalmärkten und nutzen das Potential von Anleihen und Aktien unterschiedlichster Regionen in Europa, Asien und im amerikanischen Raum... Warum Fonds? Als privater Geldanleger sollten Sie keine Einzelinvestments in bestimmte Aktien oder Anleihen tätigen, denn sie setzen hohes Fachwissen und schnelles Reagieren auf Veränderungen voraus - und sind damit zu riskant. Wer sein Kapital hingegen in einem Investmentfonds veranlagt, streut sein Anlagerisiko und kann auf die Kompetenz und das Know - how erfahrener Fondsmanager vertrauen. Diese Experten beobachten tagtäglich die weltweiten Börsen und treffen ihre Entscheidungen gemäß genau definierter Veranlagungsrichtlinien." Im Prospekt wird dann ein Test vorgestellt, mit dem Benton sein persönliches "Risikoprofil" getestet hat. Damit hat er eine Auskunft über seine Risikobereitschaft in Finanzgeschäften erhalten. Dem Prospekt von T liegt ein neunzehn Seiten starkes Heftchen "risiko.hinweis" bei. Der Tfonds bietet in seiner Informationsschrift sodann vier Portfolios an, bei welchen das Risikoprofil von "niedrig" bis "hoch" eingestuft ist. Benton und seine Frau haben gesparte ATS 200 000,-- in T/portfolio.three angelegt, dessen Risikiprofil in einer mittleren Lage angegeben ist und sich aus 9% Aktien Wachstumsländer, 55% Rentenfonds und 36% Aktienfonds zusammensetzt. Benton kontrolliert im Internet jede Woche mehrmals den Stand seines angelegten Geldes.

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Nach Gesprächen mit "Benton" und schriftlichen Unterlagen.

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* Die Firma T ist eine Bank, bei der auch einige tausend Techniker ihrem Hobby nachgehen können. Aussage eines von T in ein ausgegliedertes Unternehmen transferierten Elektroingenieurs: "Wenn man darüber reflektiert, wozu die Finanzmärkte denn eigentlich da sein sollen, so steht die Antwort fest: Sie sollen die reale Wirtschaft, also den Handel sowie die Produktion von Gütern und die Erstellung von Dienstleistungen, finanzieren. Nach diesem Verständnis sind Finanzmärkte so etwas wie ein Dienstleister an der Realwirtschaft. Im Gegensatz dazu zeichnet sich nunmehr schon seit vielen Jahren eine Gewichtsverschiebung ab. Die globalen und mit den Instrumenten modernster Kommunikationstechnologie arbeitenden Finanzmärkte sind längst der dominierende Player im weltwirtschaftlichen Gefüge. Weit mehr als 90% aller Finanztransaktionen haben keinerlei realen Hintergrund mehr, es sind reine Finanzanlagen mit der Absicht, Gewinne aus dem Geldgeschäft zu ziehen."124 Aus Finanzierungsmärkten sind Handelsmärkte geworden. Und diese Handelsmärkte haben sich von der Realwirtschaft weitgehend gelöst. Wie stark der Trend zur Kapitalanlage in Fonds und Aktien geworden ist und wie viele Menschen glauben, dass "an den Börsen eine mühelose Form moderner >Brotvermehrung< stattfinde"125, zeigt auch die Beschäftigung der Medien mit diesem Phänomen:

* Fünf Tipps, die sich bezahlt machen126 (1.) Stellen Sie die langfristige Anlage in den Vordergrund. Kurzfristige Investitionen erhöhen die Spesen und sind eher für Zocker geeignet. Je kürzer die Anlagedauer, desto größer ist auch das Risiko. Je länger Sie eine Aktie halten, desto größer ist die Chance, dass Sie damit mehr Gewinn erzielen als bei anderen Anlageformen. (2.) Nehmen Sie für Börsenspekulationen auf keinen Fall einen Kredit auf. (3.) Überlegen Sie genau, in welche Unternehmen Sie investieren, in welcher Branche Sie die größte Wachstumschance sehen. Springen Sie auf keinen Fall Hals über Kopf in ein Investment, nur weil es dazu eine Aktienempfehlung gibt oder weil es andere auch tun. Den ultimativen Börsentipp gibt es nicht. (4.) Verlieren Sie nicht die Nerven, wenn Ihre Aktien gerade ein Tief durchmachen. Verkaufen Sie nicht panikartig, warten Sie erst einmal ab - sofern das Unternehmen wirtschaftlich o.k. ist. (5.) Überdenken Sie mindestens ein Mal pro Jahr Ihre Anlagestrategie. Überprüfen Sie, welche Aktien sich bisher rentiert haben und welche Sie besser abstoßen sollten. Nicht immer wendet sich das Blatt zum Guten.

* Peter Vujica, Aktienroulette127 Endlich! Die Kurse steigen wieder. Und in die jetzt schon sehr unruhig pochenden Herzen aller Klein- und Großaktionäre kann zumindest ein kleines bisschen Osterfrieden einziehen. Haben mir ja schon so Leid getan, all die lieben kleinen Hamster. Da befolgen sie die kostspieligen Ratschläge wichtigtuerischer Analysten, da schnappen sie sogar den einen oder anderen mit vertraulichem Augenzwinkern erteilten Insidertipp auf, kratzen in der Hoffnung auf baldigen Reichtum ihre (vielleicht sogar ausgeliehenen) Kreuzer zusammen und kaufen, was offenbar die Falschen für richtig halten. Und dann schmilzt ihnen der Wert der echten und virtuellen Wertpapierln unter ihren besitzfreudigen Fingerchen davon. Wirklich zum Weinen! So ein Malheur!

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Sallmutter, Ethische Investments, 7 Chesnais, Tobin or not Tobin, 29 126 Angelika Ahrens, Börse für Einsteiger. Was sie über Kauf und Verkauf von Aktien wissen sollten, in: ORF nachlese. Das Magazin des ORF; 04, 2001, 34 127 STANDARD, 12. April 2001 125

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* Wider die Allmacht des Geldes. Eine Einladung128. . Muss Geld die Welt regieren? . Das Pro-Kopf-Einkommen in 80 Ländern liegt heute niedriger als vor 10 Jahren. . Das Vermögen von Bill Gates ist so groß wie das BIP der 31 ärmsten Länder. . Die reichsten Amerikaner haben eine Kampagne gegen die Steuersenkungspläne des amerikanischen Präsidenten George W. Bush gestartet, weil sie durch Teile des Programms den sozialen Frieden gefährdet sehen. :Was ist ATTAC Österreich? ATTAC Österreich ist der nationale Zweig einer internationalen Bewegung zur demokratischen Kontrolle der Finanzmärkte, die 1998 in Frankreich entstand und seither in 19 Ländern Afrikas, Nord- und Südamerikas sowie Europas Netzwerke gebildet hat. ATTAC Österreich will einen Gegenakzent zum neoliberalen Einheitsdenken setzen und langfristige politische Alternativen erarbeiten und verbreiten. . Ziele von ATTAC. Wir wollen das Primat der Politik über die Wirtschaft wieder herstellen, beginnend bei der demokratischen Kontrolle der Finanzmärkte. Wir wollen Handlungsspielräume für die regionale und nationalstaatliche Wirtschaftspolitik zurückgewinnen, um eine global nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen, in deren Zentrum eine gerechte Verteilung steht. . Hintergrund Die derzeitige Entwicklung der Weltwirtschaft lässt wichtige Probleme ungelöst und schafft immer neue. Die ökologische Krise verschärft sich, eine weltweit wie national gerechte Einkommensverteilung ist weiter entfernt denn je zuvor, lokale Ökonomien und Kulturen werden einplaniert, die Gewinne konzentrieren sich auf wenige Regionen und Akteure, und die politische Macht verschiebt sich hin zu den Global Players auf den internationalen Finanzmärkten, wodurch die Demokratie weltweit ausgehöhlt wird und die Krisenanfälligkeit des globalen Wirtschaftssystems zunimmt. Diese Form der Globalisierung verbreitet ein Gefühl der Ohnmacht. Mitgestaltung scheint nicht möglich. ATTAC Österreich setzt dem Eindruck der Nichtgestaltbarkeit globaler Zusammenhänge die politische Forderung der Demokratisierung der Wirtschaft und ihre Ausrichtung auf die langfristigen Überlebensinteressen entgegen. Ein erster und wichtiger Schritt dazu ist die demokratische Kontrolle der Finanzmärkte und ihre Unterordnung unter das Ziel einer weltwirtschaftlichen Entwicklung, welche die Bedürfnisse aller Menschen befriedigt und den Schutz unserer Lebensumwelt ermöglicht. www.attac.org/austria

* Tobin or not Tobin. Ein Leserbrief129 Nobelpreisträger - Idee ("Offen gesagt") Herr Zankel bezeichnet die Idee einer weltweiten Devisensteuer als naiven Vorschlag von Romantikern. Doch diese Idee stammt von James Tobin, Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaft130. Die nach ihm benannte Tobin - Steuer soll auf internationale Devisentransaktionen erhoben werden (z. B. 0,25% des Umsatzes). Sie würde kurzfristige Devisenspekulationen, die immer zu Lasten der einzelnen Volkswirtschaften gehen, erschweren. Alexander König, Graz, Netzwerk für eine demokratische Kontrolle der Finanzmärkte 128

Aus dem Informatiponsmaterial zur Auftaktveranstaltung von ATTAC Graz am 3. April 2001 um 19 Uhr 30 im Hörsaal B der Karl Franzens - Universität 129 Kleine Zeitung; Juli 2001, ohne weitere Angabe 130 James Tobin (+2002) erhielt 1981 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften für seine Arbeiten über die gegenseitige Abhängigkeit von Finanzmärkten und Entscheidungen über Ausgaben, Beschäftigung, Produktion und Preise. Die europäischen Finanzminister beauftragten 2001 eine EU-Kommission, Für und Wider einer „Tobin-Tax“, einer Steuer auf Devisentransaktionen, durch welche speulative Geschäfte verhindert werden sollen, zu untersuchen. Tobin distanzierte sich von der Antiglobalisierungsbewegung, die eine solche Steuer mit Nachdruck fordert. – Siehe: Salzburger Nachrichten, 14. März 2002,19

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Mit der Tobin - Steuer oder einer vergleichbaren Maßnahme der internationalen Staatengemeinschaft würden Spekulationen sanktioniert und alle kurzfristigen Kapitalbewegungen könnten einer Kontrolle unterzogen werden. Sie wäre aber auch ein deutliches politisches Signal der Nationalstaaten an die großen Wirtschaftsakteure, dass dem Gemeinwohl Vorrang vor Einzelinteressen eingeräumt wird und dass Entwicklungsbedürfnisse höher gewichtet werden als die internationale Spekulation.131

* "Raff und renn" So titelt der SPIEGEL im Hinblick auf Höhenflug und Absturz speziell der Hightech Börsen.132 Drückt sich im "Raff und renn" die in einer sich abzeichnenden AnlegerInnenkultur implizierte Ethik aus? Gibt es innerhalb dieser Kultur überhaupt ethische Möglichkeiten? Oder geht es in den Unternehmen nur mehr um die Pflege der Aktienkurse, um Gewinnmaximierung, um eine Marktlogik nach den Maximen des Shareholder - value - Denkens? Können soziale und ökologische Kriterien in Kombination mit ökonomischen zum Tragen kommen? Kann nachhaltiges Wirtschaften kurzfristigen Marktegoismus ablösen oder ergänzen? Kann sich auch eine neue Form demokratischer Mitbestimmungsqualität in diesem Wirtschaftsgefüge etablieren? Kann man "ethisch investieren"? "Ethische Investments sind Veranlagungen, bei denen soziale, ökologische und ethische Komponenten bei der Auswahl, Beibehaltung und Realisierung des Investments sowie der verantwortungsvolle Gebrauch von Mitspracherechten, die mit Anteilspapieren verbunden sind, berücksichtigt werden. Es wird also in Unternehmen investiert, die in ihrer Geschäftspolitik ökologische und soziale Grundsätze verfolgen und deren Produkte und Dienstleistungen einen ökonomischen, ökologischen und damit gesellschaftlichen Nutzen erzeugen."133 Durch die oftmals unklaren Verschachtelungen von Besitzanteilen an den Unternehmen wird es für private KleininvestorInnen jedoch erschwert bis praktisch unmöglich gemacht, Einblick in die jeweilige Unternehmensstruktur, - kultur, - philosophie und - strategie zu bekommen. Vor einem geplanten Investment stellen sich potentielle InvestorInnen in einem Primärfilter die Frage: Was wollen wir auf gar keinen Fall? Als Ausschlusskriterien werden in umwelt- und sozialorientierten Portefeuilles allgemein angesehen: . Alkohol . Tabak . Glücksspiel . Waffen . Autoindustrie, Bergbau, Banken, Agrochemie . Tierversuche. Fleisch- und Pelzproduktion . Menschenrechtsverletzungen . Handel mit repressiven Regimen . Kinderarbeit . Diskriminierung von Frauen, Ethnien, Minderheiten . Verstöße gegen Umweltgesetze . aggressive Werbe- und Vertriebsmethoden Als Sekundärfilter kann für mögliche IvestorInnen die Frage lauten: Wer sind die Besten? Als Qualitätskriterien können unter anderem gelten: . umweltfreundliche Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe, Technologien und Produkte . Recycling 131

Vgl Chesnais, Tobin or not Tobin, vor allem 27 Raff und renn." Absturz aus dem Paradies: Der Höhenflug der Hightech - Börsen ist zunächst einmal beendet. Leere Versprechen, frisierte Bilanzen, erste Pleiten: Die Finanzmärkte sind zum Spielfeld von Scharlatanen geworden, die Kleinanleger sind die Dummen. in: DER SPIEGEL, 42/2000, 118 133 Sultana Gruber, Ethische Investments liegen im Trend, in: Sallmutter, Ethische Investments,85 132

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. Reinhaltung von Luft und Wasser . Mitwelttechnologie, Mitweltmanagementsysteme . Erfüllen von Mitweltgesetzen . MitarbeiterInnenbeteiligung, Familienfreundlichkeit . Lohn- und Gehaltsgerechtigkeit, Karriereförderung134 In Konzepten ethischen Investments spielt der Begriff der Nachhaltigkeit eine bedeutende Rolle. "Sustainability" meint vorerst zentral "die Funktionsfähigkeit eines Systems aufrecht erhalten - Zukunftsfähigkeit". Nachhaltigkeit war anfangs vor allem in ökologischen Zusammenhängen im Gespräch. Doch man hat erkannt, dass zwischen den Dimensionen "Soziales" und "Ökologie" ein mehrfacher Zusammenhang besteht. So verfolgen zum Beispiel Investoren, die sich für "grüne" Geldanlagen interessieren, fast immer auch ethische Ziele, so dass eine sinnvolle Trennung der beiden Bereiche kaum vorgenommen werden kann.135 Die neuere Nachhaltigkeitsdebatte betont nun auch soziale und gesamtwirtschaftliche Aspekte. Vier Grundsätze sind anerkannt: . Gerechtigkeit innerhalb einer und zwischen den Generationen . Internationale Gerechtigkeit . Abstimmung zwischen sozialen, ökonomischen und ökologischen Interessen136 . Möglichkeit der Teilhabe aller gesellschaftlichen Gruppen am Prozess der Strategiefindung und Umsetzung137

* Vom Shareholder - zum Stakeholder - Ansatz Der Shareholder - Ansatz erscheint von einer interessensmonistischen Sichtweise gekennzeichnet. Die AnteilinhaberInnen sind die allein Verfügungsberechtigten über das Unternehmen, welches ausschließlich der Befriedigung ihrer (finanziellen) Interessen zu dienen hat. "Implizit wird unter Bezugnahme auf die von Adam Smith entwickelte Idee der freien Marktwirtschaft unterstellt, dass damit auch die Interessen aller anderen Marktakteure einer gemeinsamen Wohlstandsvermehrung zugeführt werden"138 Das Management des Unternehmens hat seine Führungs- und Treuhandfunktion nur zu Gunsten der AnteilsinhaberInnen vorzunehmen. Insgesamt kann also der Shareholder - Ansatz nur als Ausfluss ausschließlicher Kapitalmarktorientierung gesehen werden. Im Stakeholder - Ansatz wird das Unternehmen als Sozialverband gesehen. Unterschiedliche Interessengruppen (Stakeholder) sind im Unternehmen zu einer Leistungs- und Anspruchskoalition zusammengefasst. Offen bleibt, welchen Interessengruppen durch das Management in welchem Ausmaß Rechnung getragen wird: . MitarbeiterInnen . Kunden . Lieferanten . Staat . Natur . AnrainerInnen . AnteilseignerInnen 134

Vgl Reinhard Friesenbichler, Peter Reithofer, Kriterien der ethischen Veranlagung, in Sallmutter, Ethische Investments, 70ff 135 Vgl Andreas Berndt, Dietrich Jiricka, Ethische Veranlagung - wozu? in: Sallmutter, Ethische Investments, 13 136 Dieser Punkt bekommt im Konzept der Ökosozialen Marktwirtschaft besonderes Gewicht. Vgl Horst Pöhacker, Ökosoziale Marktwirtschaft - Instrument zum Lösen der Wirtschaftskrise, in: Riegler, Ökosoziale Marktwirtschaft, 113: " In Wahrheit sind aber das Soziale und das Ökologische keine Anhängsel der Marktwirtschaft. Diese drei Begriffe stellen vielmehr ein gleichschenkeliges Dreieck dar...In der Ökosozialen Marktwirtschaft wird... das Miteinander versucht, die Harmonisierung der drei Bereiche zum Wohl der Mehrheit, das uns vom aktuellen, unseligen Minderheitenterror wegführen kann." 137 Andreas Berndt, Dietrich Jiricka, Ethische Veranlagung - wozu? in: Sallmutter, Ethische Veranlagung,12 138 Johann Engelhard, Theologie und Betriebswirtschaftslehre. Zur Dringlichkeit des transdisziplinären Dialogs, in: Kraus, Wissenschaft - Kirche - Gesellschaft, 290

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. FremdkapitalgeberInnen Als kleinster gemeinsamer Interessensnenner aller partiell durchaus auch konkurrierenden Interessengruppierungen kann das sinnvolle Überleben des Unternehmens gelten. 139 Dieser Aspekt hat im Shareholder - Prinzip kaum Bedeutung, da ja gerade der Untergang eines Unternehmens zur Lukrierung von (Aktien -)Renditen führen kann. Es gibt also gute Gründe, dem Stakeholder - gegenüber dem Shareholder - Denken einen Vorzug auch beim Gedanken an mögliche Investments einzuräumen.140 Das Stakeholder Prinzip entspricht offensichtlich in höherem Maß der Forderung nach Verantwortung des Menschen auch für seine soziale Mitwelt141.

... small points 1. eine kultur der arbeit wird teilweise von einer an kapital sich orientierenden anlegerkultur abgelöst. zunehmend mehr menschen versuchen, arbeitseinkommen durch anlagen spekulationsgewinne zu ergänzen oder zu ersetzen. 2. ob aus solchen vorgängen eine beteiligungskultur werden kann, und ob eine verantwortungsgesellschaft entsteht, wird erst in zukunft entschieden. 3. spekulieren Sie auch schon?

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Vgl aaO, 289 Vgl "Ethisch, ökologisch, nachhaltig. Einige Investments können laut Experten Moral und hohe Rendite vereinbaren" in: DER STANDARD, 23. April 2001, 19 141 Die deutschen Bischöfe, Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen, Handeln für die Schöpfung, Bonn 1998, 97: "Der grundlegenden Forderung nach Verantwortung des Menschen für seine soziale Mitwelt entspricht das Kriterium der Sozialverträglichkeit. Seine ethische Grundlage sind das Personprinzip und das Gemeinwohlprinzip, aus denen sich die Forderung der Solidarität mit allen Menschen ergibt. In der näheren Ausgestaltung des Kriteriums der Sozialverträglichkeit lassen sich drei Aspekte unterscheiden: Der räumlich zeitliche Aspekt (Auswirkungen menschlichen Handelns auf die eigene soziale Gruppe, Gesellschaft oder die gesamte Menschheit, und zwar die gegenwärtige ebenso wie die zukünftige), der existentiell - lebensweltliche Aspekt (Risiken für die Gesundheit, Folgen in der Form von sozialen Konflikten u.a.) und der ökonomisch gesellschaftliche Aspekt (ökonomische Zumutbarkeit einer Handlungsoption, Verhältnis zwischen den jeweils aufzubringenden Kosten und der tatsächlichen Leistungsfähigkeit einer Gesellschaft). Diesen drei Aspekten ist gemeinsam, dass sie den Blick auf die Wirkungen richten, die den Menschen unmittelbar betreffen. In all dem geht es um die gesellschaftliche Sicherung menschlicher Würde (personale Freiheit, Überwindung von Gewalt und Ausbeutung, Chancengerechtigkeit, Herstellung internationaler Solidarität u.a.). Insbesondere im Hinblick auf die Lebensbedingungen künftiger Generationen spielt auch hier der Natur- und Umweltschutz eine wichtige Rolle." 140

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B Was geht verloren, was wird gewonnen? Eine ethische Analyse neuer Arbeit 1 Orientierungslosigkeit - eine Tugend? * Triffst du einen Buddha - töte Buddha. Triffst du einen Patriarchen - töte Patriarch Zen - Text, China, 13. Jahrhundert142 "Dieses Buch ist ein Plädoyer für die Tugend der Orientierungslosigkeit. Es beschreibt, warum unsere Gesellschaft nicht unter einem Werteverfall, sondern unter einer Werteverschiebung leidet, und es legt dar, warum eine Gesellschaft ohne einen umfassenden Begriff von gegenseitiger Verpflichtung und Solidarität weder unmenschlicher noch härter werden muss, weder instabiler noch wirtschaftlich weniger erfolgreich. Im Gegenteil: Nur die Vielfalt und Widersprüchlichkeit von Einstellungen und Selbstbezügen bilden das Fundament, auf dem das Gebäude der Zivilgesellschaft dauerhaft und stabil stehen kann....Der Diskurs um den Werteverfall wird mehr und mehr zur Bühne der Befindlichkeiten seiner Teilnehmer. Denn orientierungslos sind mitnichten die jungen Milden, deren Heimat die Dienstleistungsgesellschaft ist und die souverän durch den Datenmüll der Informationsfluten waten. Nicht ihnen bereitet der Virus der Unübersichtlichkeit schlaflose Nächte, sondern Funktionären, Lehrmeistern und Werbern." So schreiben Johannes Goebel und Christoph Clermont in ihrem "Versuch eines Vorworts" zu ihrem "Kultbuch" über "Die Tugend der Orientierungslosigkeit".143 Orientierungslos - doch nicht perspektivenlos? Aber: Sind die "postmaterialistischen Seiteneffekte" tatsächlich so stark, wie G+C meinen?144 Oder wollen wir uns die Angst, die Kontrolle über unser Leben zu verlieren, nur nicht eingestehen? Ist diese Angst heute in die Lebens- und Arbeitsgeschichten der Menschen eingebaut?145 Ist die cool zur Schau getragene Leichtigkeit immer bloße Fassade? ("Ich kann meine Arbeit nicht so locker sehen wie die in dem Buch", sagte mir eine meiner Tätigkeitsbiographinnen.) Oder ist es eine Möglichkeit, die neuen Härten des sich immer mehr beschleunigenden Arbeitslebens zu ertragen? Laufen wir laut singend durch den dunklen Wald, um unsere Ängste zu kaschieren? Betreiben wir die ästhetische Durchformung unseres Lebens auch deshalb so angestrengt, weil andere wesentliche Gestaltungsmöglichkeiten verloren zu gehen drohen? Schließlich: Ist die Rede von der Tugend der Orientierungslosigkeit nicht unter dem Ironie Vorbehalt der Postmoderne zu verstehen, wie ihn Umberto Eco formuliert? Eco schreibt: "Ich glaube, dass >postmodern< keine zeitlich begrenzbare Strömung ist, sondern eine Geisteshaltung, oder, genauer gesagt, eine Vorgehensweise, ein Kunstwollen... Die postmoderne Antwort auf die Moderne besteht in der Einsicht und Anerkennung, dass die Vergangenheit, nachdem sie nun einmal nicht zerstört werden kann, da ihre Zerstörung zum Schweigen führt, auf neue Weise ins Auge gefasst werden muss: mit Ironie, ohne Unschuld. Die postmoderne Haltung erscheint mir wie die eines Mannes, der eine kluge und sehr belesene Frau liebt und daher weiß, dass er ihr nicht sagen kann: >Ich liebe dich inniglichWie jetzt Liala sagen würde: Ich liebe dich inniglich.< In diesem Moment, nach dem er die falsche Unschuld vermieden hat, nach dem er klar zum Ausdruck gebracht hat, dass man nicht mehr unschuldig reden kann, hat er gleich wohl der Frau gesagt, was er ihr sagen wollte, 142 zitiert aus: Sheldon B. Kopp, Triffst du Buddha unterwegs... Psychotherapie und Selbsterfahrung, Düsseldorf/ Köln 1980. Original: "If you meet Buddha on the Road, kill him!"Palo Alto,1972 143 Johannes Goebel, Christoph Clermont, Die Tugend der Orientierungslosigkeit, Reinbek bei Hamburg 1999, 10-12 144 Vgl Goebel, Tugend, 11f 145 Vgl Sennett, Der flexible Mensch, 21

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nämlich dass er sie liebt, aber dass er sie in einer Zeit der verlorenen Unschuld liebe. Wenn sie das Spiel mit macht, hat sie in gleicher Weise eine Liebeserklärung entgegen genommen. Keiner der beiden Gesprächspartner braucht sich naiv zu fühlen, beide akzeptieren die Herausforderung der Vergangenheit, des schon längst Gesagten, das man nicht einfach wegwischen kann, beide spielen bewusst und mit Vergnügen das Spiel der Ironie... Aber beiden ist es gelungen, noch einmal von Liebe zu reden. Ironie, metasprachliches Spiel, Makerade hoch zwei. Weshalb es dann - wenn beim Modernen, wer das Spiel nicht verstand, es nur ablehnen konnte - beim Postmodernen auch möglich ist, das Spiel nicht zu verstehen und die Sache ernst zu nehmen. Das ist ja das Schöne (und die Gefahr) an der Ironie: Immer gibt es jemanden, der das ironisch Gesagte ernst nimmt."146 Doch so ganz unernst dürften es G+C wieder gar nicht meinen, wenn sie ihre Vorstellungen von neuen Arten der Tätigkeiten und Unternehmungen beschreiben: Unternehmen lösen sich auf in monadische Einmenschfirmen, die ihr Können, ihr Wissen und ihr Urteilsvermögen für eine klar umrissene Zeit einer eindeutig definierten vertraglich ausgemachten Aufgabe widmen. Ausgehandelt wird jeweils nur, was für die Erreichung eines konkreten Zieles notwendig erscheint. Diese pragmatische Bindung auf Zeit hat mit Gemeinschaftlichkeit nicht viel am Hut. "Verantwortung für das Ganze" zu tragen ist sinnlos geworden, weil Ganzheitlichkeit in dieser Zweckstruktur nicht existiert. In den konkreten Arbeitsprozess kehrt jedoch die in herkömmlichen Arbeitsvorgängen oftmals verlorene Verantwortung des Einzelnen zurück. Die Corporate Identity wird ersetzt durch eine nur temporäre Überschneidung von nicht selten höchst individuellen Wertvorstellungen. Diese Werte - Links sind das Ergebnis von Aushandlungsprozessen, bei denen die Ansprüche der Einzelnen an ihre Tätigkeit mit den Ansprüchen der jeweils anderen Seite in ein dynamisches Gleichgewicht gebracht werden sollen. Die Rollen von Auftraggeber, Unternehmer und Angestelltem verschwimmen ineinander. Diese Veränderungen der individuellen Lebensmodelle und der gravierende Wandel in der Arbeitswelt stellen natürlich viele herkömmliche Lebensplanungen in Frage. "Was notwendig erscheint, sind Regeln, die ermutigen und nicht auf die Versagensängste der Sicherheitsfanatiker ausgerichtet sind. Regeln, die eine Grundsicherheit schaffen für die vielfältigsten Unternehmungen und Experimente - und gleichzeitig Chancen und Perspektiven eröffnen jenseits von Regelungsdickicht und Struktur - Wahn. An die Stelle einer ängstlichen Sicherheits - Gesellschaft tritt die Mut - Gesellschaft."147 Aber nicht alle Menschen bringen diesen Mut auf. Viele fühlen sich ohne "Arbeitskluft" hilflos. Nach ihrer Entfernung aus einer Welt, in der Andere die Verantwortung für ihr Arbeiten übernahmen, ist ihre Verunsicherung und tatsächliche Orientierungslosigkeit groß. Jetzt "vermissen wir also, was wir vorher zurückwiesen: eine Autorität, die stärker ist als wir, der wir vertrauen können oder gehorchen müssen, die sich für die Richtigkeit unserer Entscheidungen verbürgt..."148 "So befinden wir uns in einer moralischen Ambiguität: Historisch nie gekannte Entscheidungsfreiheit trifft zusammen mit nie gekannter quälender Unsicherheit"149 Das Leiden an dieser Unübersichtlichkeit ist "ein Leiden an der Freiheit - an einer Freiheit, die sich sowohl für individuelle Lebensläufe als auch für globale Strukturen als bedrohlich

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aus: Umberto Eco, Postmodernismus, Ironie und Vergnügen, in: Wolfgang Welsch (Hg), Wege aus der Moderne. Schlüsseltexte der Postmoderne - Diskussion, Berlin 2 1994,76f 147 Goebel, Tugend, 197. - "Mut, Schweiß und Tränen. Trotz Konjunkturflaute und Krise der neuen Wirtschaft: Die Deutschen werden risikobereiter." So lautet der Titel eines Artikels in der ZEIT, Nr 34, 2001, 15f. Im Artikel wird auch eine Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach über "Gefällige Worte" zitiert ( Zahlen über Sympathie in Prozent): Sicherheit 93, Eigenverantwortung 87, Gewinn 82, Unternehmerische Freiheit 66, Marktwirtschaft 64, Unternehmer 52, Risiko 42, Globalisierung 21, Kapitalismus 21, Planwirtschaft 14. 148 Baumann, Postmoderne Ethik, 36 149 Regina Ammicht Quinn, Andere Leben, neue Unsicherheiten. Theologische Ethik in neuen Gegenden, in: Bucher, Theologie in Kontasten, 73. Vgl Baumann, Postmoderne Ethik, 34ff

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zeigen kann...Was notwendig wird, sind Strukturen, die eine >Freiheitsbewältigung< ermöglichen, anregen und unterstützen."150 Aus dem Leiden an einer moralischen Orientierungslosigkeit heraus werden nicht selten die klaren Wege, die klaren Grenzen und manchmal sogar die klaren Schmerzen früherer moralischer Repression zurück gewünscht. Dem gegenüber ist jedoch fest zu halten: "Nicht die Freiheit ist es, in der der >Sündenfall< der >neuen Moral< zu verorten ist. Nicht Liberalität selbst ist amoralisch. Dieser >Sündenfall< geschieht viel mehr dort, wo die der Freiheit inhärente Gefahr nicht wahr genommen, reflektiert und ihr begegnet wird - dort, wo Freiheit nur noch in Gestalt von Beliebigkeit und radikalem Individualismus gedacht und erfahren werden kann. Ethik, die als theologische konzipiert wird, entwirft diese Freiheit des Menschen nicht als Freiheit in ein Vakuum hinein, sondern vielmehr als situierte und thematische Freiheit."151 Zwei solche Entwürfe - Ignatius von Loyola und David Steindl – Rast - werden jetzt im Ansatz kurz zitiert. Im Anschluss daran wird der fragende Vergleich mit der "Tugend der Orientierungslosigkeit" nach dem liberalistischen Entwurf von Johannes Goebel und Christoph Clermont gesucht.

* (1) Ignatius von Loyola: Prinzip und Fundament152 Der Mensch ist geschaffen dazu hin, Gott Unseren Herrn zu loben, Ihn zu verehren und Ihm zu dienen, und so seine Seele zu retten. Die andern Dinge auf Erden sind zum Menschen hin geschaffen, um ihm bei der Verfolgung seines Zieles zu helfen, zu dem hin er geschaffen ist. Hieraus folgt, dass der Mensch sie so weit zu gebrauchen hat, als sie ihn zu seinem Ziele hin helfen, und so weit zu lassen, als sie ihn daran hindern. Darum ist es notwendig, uns allen geschaffenen Dingen gegenüber gleichmütig (indiferentes) zu machen, überall dort, wo dies der Freiheit unseres Wahlvermögens eingeräumt und nicht verboten ist, dergestalt, dass wir von unserer Seite Gesundheit nicht mehr als Krankheit begehren, Reichtum nicht mehr als Armut, Ehre nicht mehr als Ehrlosigkeit, langes Leben nicht mehr als kurzes, und dem entsprechend in allen übrigen Dingen, einzig das ersehnend und erwählend, was uns jeweils mehr zu dem Ziele hin fördert, zu dem wir geschaffen sind.

* (2) David Steindl - Rast: Hoffnung153 Hoffnung ist.. völlige Offenheit für Überraschung, und die ist nur im Vertrauen des Glaubens möglich. * Sieben Fragen an Johannes Goebel und Christoph Clermont, an Ignatius von Loyola und an David Steindl - Rast Im Sinne eines "Offenhaltens der Fragen" sollen nun die Ausführungen von Johannes Goebel und Christoph Clermont über die Tugend der Orientierungslosigkeit, das Zitat von Ignatius von Loyola aus den Exerzitien und David Steindl - Rasts Kurzdefinition von Hoffnung auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten, auf ihre Grundlagen und Voraussetzungen, auf mögliche Aussagen und auf ihren ethischen Gehalt hin befragt werden. 1 Aus welcher Sicht der Freiheit heraus plädieren Goebel und Clermont für die Tugend der Orientierungslosigkeit? 2 Welche Freiheit hat Steindl - Rast im Blick, wenn er Hoffnung als völlige Offenheit für Überaschung beschreibt? 150 Regina Ammicht Quinn, Andere Leben, neue Unsicherheiten. Theologische Ethik in neuen Gegenden, in: Bucher, Theologie in Kontrasten, 74 151 Regina Ammicht Quinn, Andere Leben, neue Unsicherheiten. Theologische Ethik in neuen Gegenden, in: Bucher, Theologie in Kontrasten, 80 152 Ignatius, Exerzitien, 23 153 Steindl-Rast, Achtsamkeit, 52

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3 Welche Freiheit wird bei Ignatius von Loyola sichtbar? 4 Wessen Sicht könnte einer (subjektiv) glückenden Tätigkeitsbiographie am besten dienlich sein? 5 Was müssten Menschen noch wissen, um sich für eine Haltung entscheiden zu können? 6 Ist eine solche Entscheidung notwendig? 7 Was ist den Ausführungen von Goebel und Clermont, Ignatius von Loyola und Steindl Rast gemeinsam? Was ist daraus zu lernen?

* Heinrich verkauft Alkohol Heinrich, einziges Kind seiner Eltern, wurde 1943 geboren. Er hat eine handwerkliche Lehre absolviert. Dann eröffnete er einen Betrieb, der bis zu drei Angestellte beschäftigte. Auch ein Verkaufsgeschäft wurde für einige Jahre angemietet. Lehrlinge wurden ausgebildet. Allgemein lobten die KundInnen die handwerkliche Perfektion Heinrichs und seiner MitarbeiterInnen. Heinrich vermochte jedoch den Betrieb nicht auf Dauer zu halten. Das Unternehmen musste geschlossen werden. Heinrich lebt jetzt im Haus eines Freundes, der selbst ein handwerliches Unternehmen hat. Manchmal nimmt Heinrich kleine Arbeiten aus seinem früheren Tätigkeitsbereich an, die er für Freunde und Bekannte ausführt. An Freunde, die ihn besuchen, und die oft auch Kunden im Betrieb des Freundes sind, bei dem Heinrich wohnt, verkauft Heinrich gegen einen geringen Gewinn Alkoholika, die er sich möglichst billig besorgt hat. (Der Alkohol wird in der Regel im Haus von Heinrichs Freund sofort konsumiert.) Von diesem Gewinn und einer zeitweise gewährten Sozialhilfe bestreitet Heinrich seinen Lebensunterhalt. Zeigt sich am Beispiel Heinrichs, wie „leere Offenheit“ nicht in die Freiheit, sondern in Abhängigkeit und Sucht führen kann?

.... small points 1. soll mit der orientierungslosigkeit etwas zur tugend erhoben werden, was eigentlich bekämpft werden müsste? 2. kann mit der tugend der orientierungslosigkeit der strukturwandel in der arbeitswelt leichter bestanden werden? oder ist orientierungslosigkeit ein grund auch für berufliches scheitern?

3. würdest du einem jungen menschen, von dem du verlangst, die koffer zu packen, um ab morgen in hongkong zu arbeiten, orientierungslosigkeit als tugend anempfehlen? 4. zerstört NICHTS LANFRISTIGES! den charakter?154

154 Vgl Sennett, Der flexible Mensch, 38: ">Nichts Langfristiges< desorientiert auf lange Sicht jedes Handeln, löst die Bindungen von Vertrauen und Verpflichtung und untergräbt die wichtigsten Elemente der Selbstachtung." Siehe auch: Lafontaine, Herz, 269: "Der Abbau der sozialen Sicherheit und des Kündigungsschutzes erzeugt bei den Menschen Angst, die Kontrolle über ihr Leben zu verlieren. Flexibilität und Mobilität führen dazu, dass Freundschaften flüchtig bleiben und die Eingebundenheit in die örtliche Gemeinschaft immer brüchiger wird. Auch auf die Familien wirken sich Flexibilität und Mobilität aus. Während die Familie Bindung fordert, forden Flexibilität und Mobilität, in Bewegung zu bleiben und keine Bindungen einzugehen."

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2 Ethik oder Ästhetik?155 "Ästhetick, die, schlimmster Tick, an dem diese Rasse leidet." So definiert Ambrose Bierce in seinem "Wörterbuch des Teufels".156

* Wilson Wilson, der Berater des Heimwerkerkings157. Wenn er nicht gerade Hochzeitsbögen für irische Freunde bastelt, die heiraten wollen, mit Schamanenmasken aus irgendeinem abgelegenen Teil der Welt rituelle Tänze zelebriert oder allein das jüdische Laubhüttenfest feiert, dann berät er am Gartenzaun stehend seinen Nachbarn Tim Taylor, den Heimwerkerking. Dieser, ein obsessiver Autofreak, produziert und moderiert mit seinem Assistenten Al "Tool Time"; eine Werkzeugsendung auf einem Kabelkanal in Michigan. Dabei leidet Tim ständig unter den Folgen selbst verschuldeter Katastrophen: er stürzt durch morsche Dächer bis in den Keller, wird von umstürzenden Mauern verschüttet, klebt sich selbst seine Stirn an Tischplatten fest.. In der Notfallambulanz des örtlichen Hospitals hat man ihm schon zum Empfang eine Kaffeetasse mit seinem Namen vorbereitet. Wilson, bei dem im Fernsehen immer ein Teil des Gesichts unsichtbar bleibt, hört Tim vor allem zu, wenn dieser wieder einmal von seinem letzten Unfall erzählt. Oder von Problemen mit seiner Frau Jill oder seinen drei Buben Brad, Randy und Mark. Manchmal zitiert Wilson einen chinesischen Weisen, bekannte DichterInnen, unbekannte Innuitphilosophen oder berühmte amerikanische Footballcracks. Diese Zitate verbreitet Tim jeweils in schrecklich entstellter Form weiter, aber er ist offensichtlich bemüht, aus ihnen zu lernen. Wilson ist aber auch gesellig und macht bei jedem Spaß mit. Er feiert mit den Taylors Thanksgiving und verulkt in Absprache mit Jill und den Jungs zu Halloween den gar nicht so ahnungslosen Tim. Ob Wilson einer geregelten Arbeit nachgeht, erfährt man nicht. Man erlebt ihn aber nie untätig. Es könnte sein, dass er manchmal recht einsam ist. Er betreibt aber viele Hobbies, sammelt die seltsamsten Dinge in seinem Haus, das einem naturgeschichtlichen Museum gleicht und erzählt von Besuchen bei Freunden in den abgelegensten Winkeln der Welt. An den jeweiligen Erinnerungs- und Festtagen - und Wilson feiert offensichtlich alle Feste aller Kulturen und Religionen - kleidet er sich dem Anlass entsprechend. Dass er dabei meistens allein bleibt, scheint ihn wenig zu berühren. Eine globale Entwicklung in der Wirtschaft kann so beschrieben werden: Als das wichtigste Anliegen jedes seriösen Unternehmens galt bis vor etwa 20 Jahren ohne Zweifel die Produktion von Gütern, das war das Evangelium des Industriezeitalters und das Herz aller industrialisierten Volkswirtschaften. Dann gerieten einige große Produzenten ins Schleudern und es herrschte Konsens darüber, dass die Betriebe zu aufgebläht waren, zu viel“ besaßen“, vor allem Angestellte. Das belastete die Unternehmen mit zu vielen Dingen: dem Produktionsprozess als solchen, all den Fabriken, der Verantwortung für die fix angestellten Arbeitskräfte. Man suchte einen anderen Weg zum Erfolg. Pioniere wie Intel, Nike und Microsoft stellten die These auf, dass die Produktion von Gütern nur ein eher zufälliger Teil ihrer wirtschaftlichen Operationen sei. Dank der Liberalisierung und fortschreitender Veränderungen des Arbeitsrechts ließen sie ihre Produkte von anderen Firmen herstellen: Dort, wo es am billigsten schien und wo also die höchsten Gewinne möglich waren. Diese Unternehmen des neuen Stils stellten also selbst nicht mehr in erster Linie Produkte her, sondern Markenimages. Ihre Arbeit besteht so nicht mehr in der Herstellung, sondern in der Vermarktung. Die großen Firmen haben einen Wettstreit im Abwerfen von "Ballast" begonnen. Als Gewinner scheint der zu gelten - ganz besonders auf den Aktienmärkten - der am wenigsten Arbeitskräfte "besitzt". Die oft nur scheinbare Größe dieser Firmen ist einfach der für sie rentabelste Weg zu ihrem "eigentlichen Ziel: der Loslösung von der Welt der Dinge."158 155

Vgl „Den moralischen Impuls wegästhetisieren.“ in: Baumann, Postmoderne Ethik, 193ff Ambrose Bierce, Des Teufels Wörterbuch, Zürich 1996 157 Figuren aus der TV - Serie "Hör mal, wer da hämmert", Hauptrolle und Produktion: Tim Allen, ORF 1 158Klein, No Logo! 26 156

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Und die Werbung dient dann dazu, die Marke als die Kernbedeutung des Konzerns mitzuteilen und das Selbstverständnis der Marke zu verbreiten. Wie gut das gelingt, kann im Gespräch mit Lehrern an unseren Schulen erhoben werden. Von ihnen kann man hören, wie SchülerInnen geradezu besessen etwa auf den Besitz etwa bestimmter Kleidungsmarken "abfahren"; und welche Katastrophe es für die Kids bedeuten kann, wenn Eltern ihnen sagen müssen, dass das Geld nicht reicht oder für andere wichtige Dinge ausgegeben werden muss. Man kann die Jugendlichen aber auch verstehen: Eine bestimmte ästhetisierende Jugendkultur bringt es mit sich, dass viele Menschen - und da sicher nicht nur jugendliche - ihre Identität mit ihrem Outfit verbinden. Wenn man daran glaubt, dass ein bestimmter Markenverkäufer nicht bloß Schuhe verkauft, sondern mein Leben mit dem Kauf verbessert wird, und wenn so etwa meine gesellschaftliche Inklusion bewirkt wird, werde ich trachten, ein solches Paar Schuhe an meinen Füßen zu tragen. Und wenn also gegen Ästhetisierung eingewendet werden kann, dass dabei "Unwesentliches an die Stelle von Bedeutsamem treten kann"159, gilt es doch zu bedenken:Wenn es richtig ist, dass "ökonomische und politische Freiheiten sich gegenseitig stärken",160 dann hat auch ökonomische Freiheit ihren legitimen Platz in der Palette von Freiheiten unserer Gesellschaft einzunehmen. Und der rechte Gebrauch von Freiheit war und ist immer ein schwieriger.

* Naomi Klein: "Ich war militante Calvin - Klein - Trägerin."161 NK: Mein Vater ist Arzt, meine Mutter Filmemacherin, beide Bürgerrechtler. Zu Hause wurde immer diskutiert, wie man die Welt retten kann. Mein Bruder war schon mit zwölf ein militanter Pazifist. Ich war militante Calvin - Klein - Trägerin. NK: Ich glaube, dass man sich den Kauf dieser Turnschuhe zwei Mal überlegt, wenn man etwas über deren Imagestrategie weiß. Und über die Zustände in den Fabriken, den so genannten Sweat - shops. NK: Die Riesensummen, die heute die Vermarktung verschlingt, sparen die Großkonzerne bei der Produktion ein. NK: Konsumenten sollten sich nur fragen, ob die Dinge, die sie ihren Kindern kaufen, nicht von Kindern hergestellt werden, die keine Kindheit haben. NK: Die mächtigsten Symbole der Globalisierung... sind die Logo - geschmückten Teenager, für die eine Marke ein Fetisch ist, mit dem man sich identifiziert. Eine Kritik an diesen Objekten kommt einer Beleidigung der Mutter gleich. Auch in der Arbeit müssen junge Menschen Mechanismen zum Umgang mit den unterschiedlichsten und oft widersprüchlichen Wertesystemen und Moralkodizes finden. Wer wirft den ersten Stein, wenn sie manchmal den Weg der Anpassung und des geringsten Widerstandes wählen? Alltagsästhetische PraktikerInnen folgen ohnehin fraglos, ganz bei ihren Sinnen, der Spur ihres größten Vergnügens.162 Das spielerische Navigieren im Durcheinander einer ansatzweise auch postmaterialistischen Individualgesellschaft kann auch helfen, eigene moralische Positionen zu kreieren. Wobei natürlich wiederum die Gefahr zu bestehen scheint, dass sich LebensästhetInnen nur ihrem eigenen Wertegebäude gegenüber verpflichtet fühlen und gesamtgesellschaftliche Vorstellungen verzichtbar erscheinen.163 Wenig Beachtung in einem solchen ästetisierenden individualistischen Konzept findet dann Amitai Etzionis "neue Goldene Regel" : "Achte und wahre die moralische Ordnung der

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Neuhold, Religion und katholische Soziallehre, 72 Sen, Ökonomie, 10 161 Originalzitate von Naomi Klein aus einem Interview mit Manuela Swoboda. extrablatt der Kleinen Zeitung, 15. Juli 2001, 8f Siehe auch: Naomi Klein, No Logo! Der Kampf der Global Players um Marktmacht. Ein Spiel mit vielen Verlierern und wenigen Gewinnern, Pößnek 2000 162 Vgl Schulze, Erlebnisgesellschaft, 105 163 Vgl Goebel, Tugend, zB 85 160

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Gesellschaft in gleichem Maße, in dem du wünschst, dass die Gesellschaft deine Autonomie achtet und wahrt."164 Ethik, Moral und Werte sind in der ästhetischen Weltbetrachtung Privatsache. Die Notwendigkeit einer umfasssenden ethischen Ordnung besteht nicht.165 Die liberale Zivilgesellschaft setzt auf immer provisorische individuelle Verhandlungslösungen. Die "Abfallprodukte", die beim Bargaining entstehen, sind jedoch gerade die "Essenz, die Stabilität und Qualität einer funktionierenden Zivilgesellschaft ausmachen. Je zersplitterter eine Gesellschaft ist, desto stabiler ist sie auch."166 Auf mögliche Folgen der am unmittelbaren Erleben interessierten Facette ästhetischer Lebenshaltung macht Gerhard Schulze aufmerksam: "Erlebnisorientierung ist die unmittelbarste Form der Suche nach Glück. Als Handlungstypus entgegengesetzt ist das Handlungsmuster der aufgeschobenen Befriedigung, kennzeichnend etwa für das Sparen, das langfristige Liebeswerben, den zähen politischen Kampf, für vorbeugendes Verhalten aller Art, für hartes Training, für ein arbeitsreiches Leben, für Entsagung und Askese. Bei Handlungen dieses Typs wird die Glückshoffnung in eine ferne Zukunft projiziert, beim erlebnisorientierten Handeln richtet sich der Anspruch ohne Zeitverzögerung auf die aktuelle Handlungssituation. Man investiert Geld, Zeit, Aktivität und erwartet fast im selben Moment den Gegenwert. Mit dem Projekt, etwas zu erleben, stellt sich der Mensch allerdings eine Aufgabe, an der er leicht scheitern kann, und dies um so mehr, je intensiver er sich diesem Projekt widmet und je mehr er damit den Sinn seines Lebens überhaupt verbindet... Am Anfang eines Erlebnisprojekts steht Unsicherheit, am Ende ein Entäuschungsrisiko."167

* Splitter aus dem Ansichtenkatalog ästhetischer Lebenskonzepte 1 Man soll entweder ein Kunstwerk tragen oder ein Kunstwerk sein. Oscar Wilde168 Jeder Mensch ist ein Künstler. Josef Beuys 2 Zum Teufel mit den Wahrheits- und Wesensfragen. Nichts ist, was wir nicht sehen! Zum Teufel mit Überzeugung und Gesinnung und dem, was sie gestiftet: dem Sinn. 3 Der Sinn ist sterblich. Ich glaube an die Unsterblichkeit der Erscheinungen. Baudrillard169 4 Ich erlebe, also bin ich Michael Nüchtern170 5 Die Postmodernen sind jene, die aus der Not der Ratlosigkeit die Tugend überlegener Gelassenheit gewinnen. 6 Anything goes. 7 Lieber ratlos, aber frei, als aufgeklärt und mit unglücklichem Bewusstsein. 8 Die einzige Sünde wider den Geist der Postmoderne ist die Festlegung, der Abbruch des Spiels: des Versuchens, Verwerfens und erneuten Versuchens.171

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Etzioni, Verantwortungsgesellschaft, 19 Was jedoch nicht einen Aufschwung des Ethischen zu verhindern scheint: Guggenberger, Sein oder Design, 183: "Ein Aspekt der allgemeinen Ästhetisierung (wie auch des symbolischen Aktionismus) ist die Konjunktur des Ethischen: Zum schönen Schein gehört das ruhig gestellte Gewissen." 166 Goebel, Tugend, 71 167 Schulze, Erlebnisgesellschaft, 14 168 zitiert nach: Goebel, Tugend, 55 169 2 und 3 zitiert aus: Guggenberger, Sein oder Design, 141 170 zitiert aus: Neuhold, Religion und katholische Soziallehre, 73 171 Guggenberger, 145 165

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9 Unabhängig von dem, was eintrifft oder nicht eintrifft, es ist wunderbar, in der Erwartung zu leben. Andre Breton 10 Alle Erwartung gehört der Ungebundenheit, diesem Drang, mich treiben zu lassen, um allem zu begegnen. Andre Breton 11 Die Angst vor dem Fixen wird zur fixen Idee. 12 ..."die mit sich uneins sind, ob sie auf ihren beruflichen und sozialen Schwebezustand eher stolz sein oder sich gegenüber den schon etablierten Altersgenossen als Versager fühlen sollten. Die >multiple Identität< ist offenbar nicht jedermanns Sache."172 13 "Skalierbare Lebenswelten lösen statische Existenzkonstrukte ab. Im Ergebnis bedeutet das den Abschied von der Idee des sozialen Abstiegs. Im Zeitalter brüchiger Erwerbsbiographien, McJobs und Berufspausen ist auch der Freundeskreis, das soziale Netzwerk nicht länger am Arbeitsplatz beheimatet... Die von vielen Politikern favorisierte Bezeichnung von Armut als >soziale Schwäche< (im Englischen >social ill< - man lasse sich das auf der Zunge zergehen!) erweist sich angesichts der hoch ausdifferenzierten sozialen Netzwerke gerade derjenigen, die sich jenseits des Vollarbeitsverhältnisses mit Aufstiegsgarantie durchwursteln, als schlichtweg falsch."173 14 less is a possibility 15 use jets while you still can 16 the only way is up174

... small points 1. ...ich bin gekommen, damit sie das leben haben und es in fülle haben. joh 10, 10 die fülle des lebens bleibt das ziel. auf dem weg können uns lebensästhetische gesichtspunkte motivieren. 2. sind wilson und die taylors auch deine nachbarn?

3. it´s good to be remembered that evereybody is following his own dream. Thomas Banyacya, Häuptling der Hopi175

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Guggenberger, 147 Goebel, Tugend, 157 174 14 – 16: Quelle unbekannt 175 zitiert aus: Reinhard K. Sprenger, Aufstand des Individuums. Warum wir Führung komplett neu denken müssen, Frankfurt / Main 2000, 11 173

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3 Selbstausbeutung macht alles besser? * HM: Ich bin Baumeister!176 Ich bin 40 Jahre alt und seit 3 Jahren als selbständiger Versicherungsmakler in L tätig. Ich bin ein Versicherungskind in der 3. Generation, d h bereits mein Großvater und mein Vater waren in der Versicherungsbranche im Außendienst tätig (böse Zungen behaupten: nix Gscheites glernt), was mich seit frühester Jugend stark geprägt hat. Die folgenden Erzählungen aus meinen Jugendtagen sind aus meiner Sicht deshalb wichtig, um die weiteren Schritte meiner Biographie zu verstehen. An den Großvater habe ich keine Erinnerungen mehr, er verstarb bereits, als ich 5 Jahre alt war. Der Vater - mittlerweile in Pension - war ein Mensch, der dem Erfolg im Beruf - vor allem zu jener Zeit, als ich ein Jugendlicher war - alles Andere untergeordnet hat, weil es ihm unglaublich wichtig war, einerseits seiner Familie eine gesunde finanzielle Basis zu schaffen und andererseits als >Herr Direktor< tituliert zu werden. Diese Titel sind in der Branche ein beliebtes Zuckerl, um die besten Mitarbeiter zu motivieren und zu belohnen. Interessant dabei ist, dass die Verleihung eines Titels nur einen marginalen Effekt auf die Einkommenshöhe hat, also eher nach außen wirkt und damit die Kunden beeindrucken soll. Allerdings habe ich in Erinnerung, dass er trotz allem zu seiner Meinung gestanden ist und auch den Kampf gegen die >Mächtigen< aufgenommen hat, was folgende Geschichte beweist. Mein Vater hat mit unglaublicher Konsequenz, Ehrgeiz und Fleiß eine Vertriebsorganisation mit haupt- und nebenberuflichen Mitarbeitern aufgebaut, die damals einzigartig in Österreich war, was damit belohnt wurde, dass in L eine offizielle Geschäftsstelle der Versicherung, für die er tätig war, errichtet werden sollte. Ich erinnere mich daran, dass es seinerzeit ein großes Problem war, in L überhaupt ein Grundstück für dieses Projekt zu bekommen, weil der damalige Bürgermeister Franz X, ein Ökonomierat und Nationalratsabgeordneter der ÖVP, auch bekannt als großer Bauernführer Österreichs und zufällig auch im Aufsichtsrat einer von Erzherzog Johann gegründeten steirischen Versicherung und damit einem Mitbewerber der Gesellschaft meines Vaters tätig, massiv gegen die Errichtung eines solchen Büros war.Der Eigentümer des Grundstückes, das für die Errichtung dieses Büros ausersehen war, DI H; ein Bäcker und Gastwirt, lud meinen Vater zu einer Audienz (es war tatsächlich so, dass DI H in seinem Gasthaus ähnlich einem Fürsten Hof gehalten hat!) und teilte ihm mit, dass er nicht verkaufen werde, da Bügermeister X ihm nahe gelegt hätte, das Grundstück nicht an eine englische Versicherung zu verkaufen! (Die Aktienmehrheit der AE war damals in englischer Hand.) Die Verhinderungstaktik des Bürgermeisters wäre beinahe aufgegangen, er hat nur eine Kleinigkeit übersehen: Er, der große Bauernführer Österreichs, hatte offenbar nichts gegen Engländer, wenn es ihm nützlich war. Hatte er doch knapp vorher 2 Traktoren der Marke Ferguson gekauft, obwohl ja in Steyr eine österreichische Traktorfabrik stand. Als mein Vater DI H auf diesen Umstand aufmerksam machte, hat dieser doch noch verkauft und die Geschäftsstelle konnte gebaut werden. Ich war damals 11 Jahre alt und wie mein Vater voll Stolz auf >unser BüroClub der Besten< belohnt. Es gab in jedem Jahr unterschiedliche Ausschreibungen, bei entsprechender Qualifikation war als Belohnung eine Reise in eine europäische Stadt ausgelobt, was jedes Mal ein besonderes Ereignis war, zumal immer in Spitzenhotels abgestiegen wurde und das ganze Drumherum absolut sensationell war. Bei dieser Reise waren immer die jeweiligen Vorstandsdirektoren des Unternehmens anwesend, die besonderen Verkaufsleistungen der Mitarbeiter wurden coram publico mit Ansprachen und Urkunden gewürdigt, einfach toll. Auf diese Weise habe ich viele Städte kennen gelernt. Ich war u. a. in Oslo, Stockholm, Monaco, Nizza, Amsterdam etc. Ich bin ständig bestrebt, mich weiterzubilden und wollte einfach mehr wissen und mehr können als die Anderen und habe aus diesem Grund u. a. in den Jahren 1989 und 1990 den ersten Lehrgang für Versicherungswirtschaft auf der Uni Graz absolviert und auf diese Weise mein Fachwissen nochmals vertieft und wertvolle Bekanntschaften auch mit Leuten aus anderen Versicherungsunternehmen gemacht. Dadurch war es mir auch möglich, die nach 8jähriger Tätigkeit drohende Betriebsblindheit abzulegen und wertvolle Einblicke in die Arbeitsweise anderer Unternehmen zu gewinnen. Zu diesem Zeitpunkt habe ich auch die Maklerprüfung abgelegt. Danach gab es mehrere Angebote von Mitbewerbern an mich, es war jedoch kein einziges derart interessant, dass ich es angenommen hätte, zumal es damals schon klar war, dass ich irgendwann auch den Kundenbestand meines Vaters übernehmen sollte und damit eine Perspektive bestanden hat, einen Kundenstock zu haben, der zu den größten in Österreich gezählt hätte. Leider gab es darüber keinen Vertrag, doch dazu später. Eine neue Entwicklung kam auf uns zu, nämlich die EDV. Mir war sofort klar, dass diese Erfindung bei entsprechender Nutzung meine Arbeit revolutionieren würde. Deshalb habe ich mich wirklich intensiv damit beschäftigt, die Vorteile der EDV zu nutzen und war einer der ersten Außendienstmitarbeiter in Österreich, die einen Laptop benutzt haben, was am Anfang natürlich für einiges Aufsehen bei den Kunden gesorgt hat. Die größte Revolution, die die Versicherungsbranche je erlebt hat, waren aber wohl die Änderungen, die der Beitritt Österreichs zur EU bewirkt hat. War die Versicherungswirtschaft bisher eine >geschützte WerkstätteZwei Marken - Strategie< festgehalten wird. Ich habe von dieser Rede und der anschließenden Urkundenübergabe noch ein Video zu Hause. Um so erstaunter war ich, als sage und schreibe 4 Tage nach unserer Rückkehr im Büro ein Fax eintraf, in welchem der Belegschaft die durchgeführte Fusion mitgeteilt wurde. Entweder hat uns der Direktor eiskalt belogen oder er war auch nur eine Marionette der Münchener. Obwohl ich mit meiner obigen Annahme also Recht hatte, war es doch ein gewaltiger Schock,weil plötzlich überall von den >Umstrukturierungen< und >Synergieeffekten< und ähnlichen Dingen die Rede war. Im Klartext hieß das, dass die beiden Konzerntöchter zu einem gemeinsamen Unternehmen zusammengeführt werden sollten. Und - was für mich das Schlimmste war - die vier bisherigen Außendienstmitarbeiter der anderen Tochterfirma, die bisher meine Konkurrenten waren und die in unbeschreiblichen miesen Aktionen gegen mich gearbeitet haben, nun plötzlich auch in >unser Büro< kommen und sogar teilweise die Kundenbestände meines Vaters bearbeiten sollten. Wie oben erwähnt, gab es leider keinen anders lautenden Vertrag. Für mich ergab sich damit eine völlig inakzeptable Situation, weil es für mich unvorstellbar war, mit diesen Leuten ein kollegiales Verhältnis aufzubauen und mit solchen Leuten in einem Team zu arbeiten. Weil aber das bisher größere Unternehmen das Sagen hatte, wurden die von der Allianz München vorgegebenen >Umstrukturierungen< sukzessive durchgeführt, wodurch ich völlig die Motivation und die Freude an der Arbeit verlor. Die Entwicklung ging so weit, dass ich im Oktober 1996 im Alter von 35 Jahren einen Herzinfarkt erlitt. Diese Infarkt, den ich gottlob ohne bleibende Schäden überstanden habe, war wohl der bisher größte Schock in meinem Leben, er war jedoch auch Auslöser, nach den Ursachen zu forschen. Es war den Ärzten eigentlich nicht klar, woher dieser Infarkt kam, ich hatte keinen überhöhten Cholesterinwert, kein Übergewicht, war Nichtraucher etc. Er hatte nach meiner Ansicht seelische Ursachen, die eben im Berufsleben zu suchen waren. Nebenbei sei erwähnt, dass in der Rehab - Station Tatzmannsdorf zur damaligen Zeit gleich drei Mitarbeiter der AE nach einem Herzinfarkt auf Rehab waren! Zufall? Da ich mir die neue Situation am Arbeitsplatz offenbar zu sehr >zu Herzen genommen< hatte, war es höchste Zeit, nach der Genesung über neue, hoffentlich bessere Möglichkeiten nachzudenken. Diese Möglichkeit ergab sich bereits im Jahr 1997, als ich bei einem Treffen des Absolventenverbands des Uni - Lehrganges mit mehreren Kollegen ins Gespräch kam, die bisher ebenfalls im Außendienst, jedoch für andere Gesellschaften, tätig waren und ebenfalls eine Neuorientierung anstrebten. Bei unzähligen Treffen wurde unsere weitere Vorgangsweise besprochen. Wir vereinbarten, den Schritt in die Selbständigkeit zu wagen und in Form eines Vereines zu kooperieren. Die Kooperation sollte nach dem Muster der Global Players auch uns Synergieeffekte bringen. Unser Ziel war es, den Wettbewerb der Versicherungsunternehmen für unsere Kunden zu nutzen und dabei völlig unabhängig agieren zu können. Der Entschluss war also gefasst, Allein, die Umsetzung dauerte noch ca. 1 Jahr, weil ich einerseits meine Frau, andererseits meinen Vater von diesem Schritt überzeugen musste. Meine Frau hat diesen Schritt voll akzeptiert und war sogar bereit, für mich die Büroarbeit zu übernehmen, weil wir das Büro in der Anfangszeit bei uns im Haus hatten.

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Schwieriger war die Sache mit meinem Vater, der natürlich vor sich sah, wie >unser Bürofeindliche Hände< geriet. Weil er jedoch knapp vor seinem wohl verdienten Ruhestand war, blieb ihm letztlich nichts über, als meine neue Tätigkeit ebenfalls zu akzeptieren. Am 31. 3. 1998 verließen wir beide >unser Büro< in Kirchbach, die Ära Matzer bei der AE war zu Ende und das Abenteuer Selbständigkeit konnte beginnen. Ich wollte mich von meinem Arbeitgeber in bestem Einvernehmen trennen, zu meinem Leidwesen hat dieser jedoch auf stur geschaltet, wodurch es keine einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses und damit für mich keine Abfertigung gab. Mir war aber dieses Detail vollkommen egal, weil mir das die Unabhängigkeit einfach wert war. Allerdings habe ich bei den voran gegangenen Verhandlungen gemerkt, wie wenig der einzelne Mitarbeiter bei solchen multinationalen Konzernen zählt und wie viel Angst solche Konzerne davor haben, wenn Leute sich nicht steuern lassen. Einen angestellten Außendienstmitarbeiter können sie mit schlechten Produkten und hohen Prämien auf die Kunden los lassen, mich können sie damit... Es galt, vorerst unglaublich viele Formulare auszufüllen, Stempelmarken zu picken, Ansuchen zu schreiben etc. und es war vor allem unglaublich wichtig, die bisherigen Kunden zu informieren, weil mein bisheriger Arbeitgeber sofort 3 Leute auf meinen Kundenbestand angesetzt hat, weil dieser Bestand rechtlich nicht dem Mitarbeiter, sondern dem Unternehmen gehört. Außerdem musste ich mich informieren, wer in welchen Sparten was bietet, um die Kunden wirklich umfassend und fair beraten zu können, d.h. wieder Weiterbildung, Schulung etc. Es war anfangs wirklich eine Knochenarbeit und wir wurden von der anfallenden Arbeit beinahe überrollt. Es hat sich in kürzester Zeit wie ein Lauffeuer herumgesprochen, dass ich jetzt als Versicherungsmakler tätig bin. Ich war ab sofort in der Lage, dem Kunden verschiedene >Produkte< von verschiedenen Versicherern anbieten zu können, für unsere Kunden wirkte sich das in günstigen Prämien bei oft besserer Leistung aus. Wir haben mittlerweile mindestens die gleiche Zahl an Kunden wie vor dem Schritt in die Selbständigkeit und haben uns in der Branche einen Namen als kompetenter Makler erworben. Obwohl ich nunmehr selbst Unternehmer bin, steht für mich nach wie vor der Mensch im Mittelpunkt meines Handelns. Dieser Grundsatz gilt sowohl im Umgang mit Kunden als auch mit Mitarbeitern. Mein vorheriger Arbeitgeber ist mit dem Umstrukturieren und dem Warten auf Synergieeffekte noch immer nicht fertig und hat die beiden schlechtesten Jahre in der Geschichte hinter sich, was ich mit Schadenfreude zur Kenntnis nehme. Die ehemaligen >Kollegen< wurden vom Konzern ebenfalls in die Selbständigkeit gedrängt, allerdings in Form einer Agentur. Das ist die moderne Form der mittelalterlichen Leibeigenschaft. Der Mitarbeiter ist dabei freier Unternehmer und trägt das volle Risiko. Sie mussten sogar >unser Büro< kaufen! Allerdings darf er nur an seinen bisherigen Arbeitgeber Geschäfte vermitteln, d.h. er ist nicht unabhängig! Es gelingt mir mittlerweile beinahe täglich, ihnen Kunden weg zu nehmen, worüber ich mich nach wie vor diebisch freuen kann. Ich habe also, ohne eine derartige, rasante Entwicklung vorhersehen zu können, vor drei Jahren den richtigen Schritt gesetzt und habe mich für die Selbständigkeit entschieden. Dazu gehört aber eine gehörige Portion Mut, Selbstvertrauen, Glück und in meinem Fall die absolute Loyalität und Mithilfe der Familie und dabei insbesondere des Partners, weil vor allem am Beginn der Selbständigkeit so viele Steine aus dem Weg zu räumen sind, dass man es alleine kaum schafft. Durch meine Selbständigkeit habe ich ein hohes Maß an Unabhängigkeit und Freiheit erreicht, das es mir ab und zu ermöglicht, den Global Players einen winzigen Nadelstich zu versetzen und damit meine Selbstachtung noch weiter zu erhöhen. Diese riesigen Unternehmungen wollen ganz einfach eine markt- und damit menschenbeherrschende Stellung einnehmen. Dazu ist es aber notwendig, die Nonkonformisten vom Markt zu verdrängen.

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Je mehr Menschen den Weg in die Selbständigkeit gehen und die damit verbundenen Risken auf sich nehmen, desto weniger Abhängigkeit gibt es und desto weniger können die multinationalen Konzerne uns manipulieren. Die Nachteile wie längere Arbeitszeit und viele, viele Kleinigkeiten wie Büroorganisation etc. werden von den Vorteilen locker aufgewogen. Diese Vorteile sind für mich insbesondere das hohe Maß an Eigenverantwortung und damit verbunden auch das direkte Feedback der Kunden. Der Erfolg in der Selbständigkeit besteht zu 10 % aus Inspiration und zu 90 % aus Transpiration. Die zunehmende Deregulierung des Arbeitsmarktes (Schon das Wort vom -markt gibt einen Hinweis!) bringt eine Verwandlung von immer mehr Menschen in "UnternehmerInnen ihrer eigenen Arbeitskraft".177 Aber nicht in jedem Fall kann von einem wirklich selbständigen Unternehmertum gesprochen werden. Manchmal müsste sicher eher von einer prekären Beschäftigungssituation die Rede sein oder von Scheinselbständigkeit. Nur die einseitige Verteilung aller Arbeitsrisken macht noch keine UnternehmerInnen. Und obwohl die Selbstangestellten einen großen Anteil des Zuwachses an Arbeitsplätzen bewirken, genießen bei weitem nicht alle die ökonomischen Freiheiten von selbständigen UnternehmerInnen.178 In einer Broschüre der GPA werden die neuen Selbständigen so beschrieben: Ab 1. 1. 1998 wurden (fast) alle selbständigen Erwerbstätigen in das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz GSVG einbezogen. Davor waren nur Gewerbetreibende mit aufrechtem Gewerbeschein in der GSVG versichert. Folgende Personen sind ebenfalls über die gewerbliche Sozialversicherung pflichtversichert: Selbständige erwerbstätige Personen, die auf Grund einer betrieblichen Tätigkeit Einkünfte aus selbständiger Arbeit oder Gewerbebetriebe im Sinne des Einkommensteuergesetzes - EStG - erzielen. Daher sind die neuen Selbständigen, vulgo Werkvertragsnehmer, GSVG pflichtversichert. Mehrere Berufsgruppen, die bisher keiner Pflichtversicherung unterlagen, sind dies jetzt schon: z B freie Psychotherapeuten, Psychologen, Dolmetscher, Übersetzer, selbständige WissenschafterInnen, Vortragende, freie JournalistInnen, Fotografen, freiberufliche Grafiker, Werbedesigner, Gewerbetreibende ohne Gewerbeschein. Wer eine der angeführten Tätigkeiten ohne Angestelltenverhältnis oder freien Dienstvertrag ausübt, fällt unter die Kategorie der neuen Selbständigen.179

* Gründerpreis. Eine Ausschreibung180 Der Deutsche Gründerpreis ist eine Weiterentwicklung der seit mittlerweile vier Jahre bestehenden StartUp - Initiative von McKinsey, den Sparkassen und dem stern. Der StartUp Gründungswettbewerb wird auf Landesebene über die Regionalverbände der Sparkassen fortgeführt. Damit ist sicher gestellt, dass Gründer auch künftig kompetente Beratung und Unterstützung finden. Die neue Runde der StartUp - Landesbewerbe beginnt im September 2001. Unterlagen für StartUp - Interessierte gibt es dann in allen Sparkassen. Manchmal scheint die Entscheidung zur Selbständigkeit auch nach einer Reihe von Zufällen getroffen zu werden. Und "weniger die verantwortungsvolle Entscheidung als der Spaß an 177

Vgl zB Norbert Trenkle, Die Affenliebe zur Arbeit, in: Engelmann, Kursbuch, 162 Vgl Peter Wedde, Herbert Kubicek, Telearbeit und "Scheinselbständigkeit", in: Eichmann, Netzwerke, 129142 179 aus: Werkvertrag & Co. Sozialversicherung für geringfügig Beschäftigte, Stand Februar 2001, Broschüre der GPA 180 STERN, 21/2001, 172. Das Magazin stellt in dieser Ausgabe die diesmaligen Sieger vor: "War die New Economy nur eine Episode? Ist der Boom schon wieder vorbei? Von wegen. Deutschland steht inzwischen hinter den USA und Kanada auf dem dritten Platz in der weltweiten Start - Up - Liga. Beim stern - Wettbewerb haben wieder rund 1000 Bewerber ihre Ideen eingereicht." 164ff. - Den 1. Preis erhielt die Firma, die ein Verfahren entwickelte, mit dem achtmal so viele Daten durch Glasfaserkabel transportiert werden können wie bisher. Den 2. Preis bekamen sensationell schnelle Schlittschuhkufen. 3. Preisträger war ein biotechnisches Verfahren, das die Aufnahme von Medikamenten im menschlichen Körper simuliert und so Tierversuche unnotwendig macht. 178

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einer absurden Idee stehen Pate bei den ersten Schritten in die Selbständigkeit. Die Aussicht auf das große Geld hingegen bildet ein imaginäres Ziel, an das selbst der Gründer nicht so recht glauben mag. Reichtum zu erwerben ist vielleicht der abstrakte Motor der Unternehmung, nie jedoch das Etappenziel"181 Die Tendenz zur beruflichen Selbständigkeit verläuft parallel zu einer Entwicklung im Verständnis des Staates: "Im herrschenden Staatsverständnis, und zwar unabhängig von nationaler Tradition und politischer Richtung, vollzieht sich.. ein Wandel von der Vorstellung eines keynesianischen Wohlfahrtsstaates hin zu der eines schumpeterianischen Leistungsstaats."182 Eine bestimmte junge unternehmerische Avantgarde hat sich "Learning by earning" zum Motto gemacht und trainiert sich mit großer Phantasie Selbständigkeit und Eigenverantwortung an, oft nach vorzeitigem Verlassen des üblichen Bildungsganges.183

.... small ponts 1. virtuosInnen der eigenen arbeitskraft wählen heute oft den weg in die selbständigkeit. 2. selbstvertrauen, kreativität, leistungsbereitschaft, durchsetzungsvermögen, emotionale intelligenz, überzeugungskraft und leadership sind in der selbständigkeit in besonderer weise gefordert. möchtest du diese liste ergänzen? 3. selbständige erfahren auch, dass sie sich eine work - life - balance erst einrichten müssen. 4. workaholic, liebst du deine 70 stunden - woche? 5. immer mehr bisher sozialversicherungsrechtlich abgesicherte normalarbeitsnehmerInnen werden ins lebensunternehmertum abgedrängt und erleben dies massiv als verunsicherung, sogar als bedrohung ihrer existenz. eher selten erblicken sie die damit verbundenen chancen.

181

Goebel, Tugend, 175 Heinz Bude, Was kommt nach der Arbeitnehmergesellschaft? in: Beck, Zukunft von Arbeit und Demokratie, 129 183 Vgl "StartUp ins Leben. Der Stoff, aus dem die Zukunft ist: Was müssen Schüler heute können? Die bürgerliche Bildung verliert schnell an Wert, die Wirtschaft will wirklichkeitstüchtige Problemlöser. Experten arbeiten an einem Konzept für die Schulbildung der Wissensgesellschaft, in. DER SPIEGEL,14, 2001, 66 182

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4 Direkt mit e - mail * Martin kommuniziert direkt Auf einer Party lernt der Student Martin einen jungen Mann kennen. Als er sich nach langer Unterhaltung von ihm verabschiedet, tut er dies mit den Worten: "Da hast du meine e - mail Adresse. Damit kannst du jetzt direkt mit mir Kontakt aufnehmen."

* Bill Gates: Der Web Lifestyle verändert alles Gates lenkt den Blick vor allem auf erfreuliche Aspekte der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien: " ..das Internet erlaubt uns einen völlig neuen Weg des Lebens, den ich als >Web Lifestyle< bezeichne. Der Web Lifestyle wird wie die elektrische Lebensform durch rasch einsetzende neue Anwendungen gekennzeichnet sein... Es wird wie ein Reflex sein, sich an das World Wide Web für Nachrichten, Bildung, Unterricht und Kommunikation zu wenden und genau so natürlich wie heute der Griff zum Telefon, um mit jemandem zu reden oder etwas aus einem Katalog zu bestellen. Mit dem Internet werden Sie Ihre Rechnungen bezahlen, Ihre Finanzen verwalten, mit Ihrem Arzt oder Rechtsanwalt kommunizieren und alle möglichen geschäftlichen Transaktionen erledigen...Es ist aufregend, wenn man sieht, wie Menschen, die den Web Lifestyle leben, das Internet gebrauchen, um auf neue Weise zu lernen und einzukaufen...Das World Wide Web eignet sich auch hervorragend zur sozialen Arbeit in den Gemeinden. Es gibt Webseiten für die Suche nach vermissten Kindern und die Vermittlung von Haustieren und für jede andere denkbare Aktivität."184 Gates meint auch, dass auf US - amerikanischen Universitäten die Voraussetzungen für eine web - orientierte Kultur bereits gegeben sind. Über die Rollen von Lehrern und Studenten, ihre Tätigkeiten und die Lehren daraus schreibt Gates: "Universitäten verzichten auf Papierformulare und registrieren die Studenten für die einzelnen Kurse über das World Wide Web. Die Studenten können ihre Noten einsehen und sogar Hausaufgaben über das Netz abgeben. Die Lehrer organisieren Online - Diskussionsgruppen. Studenten verschicken E Mails an ihre Freunde und ihre Familien so selbstverständlich wie sie mit ihnen telefonieren. Sie sind die ultimativen Geistesarbeiter. Ihr >Job< besteht darin, zu lernen, zu erforschen und unerwartete Beziehungen zwischen den Dingen heraus zu finden. Die Einzelheiten der akademischen Kurse zählen nicht so sehr wie das Erlernen der Fähigkeit zu denken und zu analysieren. Studenten entwickeln Fähigkeiten im Internet, die ihnen helfen werden, ihr ganzes Leben lang zu lernen. Für die Geschäftswelt bietet sich hier die Gelegenheit, von der Art, wie Studenten heute das Internet verwenden, um ihr Leben zu organisieren, zu lernen. Ihr Vorgehen ist ein Maßstab dafür, wie der Durchschnittsbürger das Internet in zehn Jahren nutzen wird."185 WWW, seine neuen, zum Teil erst noch zu kreierenden Anwendungsmöglichkeiten und das ganze technologische Umfeld werden also nach Gates Vorschau auch massiv in die allgemeine Arbeitskultur eingreifen. Im Zusammenhang mit neuen Informations- und Kommunikationstechnologien wird auch das Schlagwort von der Zweidrittelgesellschaft (Dreiviertelgesellschaft, 80 : 20 - Gesellschaft..) aktuell, einer Gesellschaft, die mit hoher Arbeitslosigkeit lebt, den Kern der Arbeiterschaft einigermaßen materiell sichert, konfliktunfähige Randgruppen aber ausgrenzt. "Der Kern der Hypothese von der Zweidrittelgesellschaft geht dahin, dass die ökonomisch führenden Schichten in der Lage wären, die Kernbelegschaften zu kooptieren und auf diese Weise einen festen Block von zwei Dritteln der Gesellschaft zusammen zu halten (>KooptationsmodellSymbolanalytikernSandra Hacker< 1997 öffentlich diskutiert. Die dreifache Mutter in Cincinnati wurde verhaftet, weil sie ihre Kinder völlig vernachlässigte, nur ihrem Internet - Konsum frönte. Sie hat ca. 12 Stunden pro Tag online verbracht, während ihre kleinen Kinder vor Hunger geschrien haben...Die Cyber - Welt kann eben eine digitale Droge sein."192 Und natürlich kann in der "virtuellen Welt" genau so betrogen werden wie in der realen.193

* PS: Wenn der Faktor Mensch wegzufallen scheint. Wieder ein Leserinnenbrief194 Buchhändler fürchten um Kunden, seit es Online - Shops gibt. Ich behaupte, sie sind selber schuld. Ich suche ein Buch, weiß Autor und Titel - in der ersten Buchhandlung in Graz soll es lagernd sein, ist aber nicht zu finden. In der zweiten heißt es, man könne es nur bestellen. In der dritten bietet mir die Verkäuferin an, es zu bestellen. Ich brauche es als Geschenk, und sie sichert mir zu, es sei in zwei bis drei Tagen da. Zwei Tage später frage ich nach, ein Blick in den Computer genügt einer Dame, um schnippisch festzustellen, es dauere noch drei Wochen. Ich fahre nach Hause, bestelle das Buch online, es kostet mich sogar um zwei Euro weniger und wird prompt nach vier Tagen von einem Paketdienst bis vor meine Haustür geliefert. In Zukunft werde ich mir nicht mehr die Mühe machen, von einer Buchhandlung zur nächsten zu laufen, um dann auch noch unfreundlich bedient zu werden. Evelyn Zorn, Weiz 191 In: Kolb, Fluchtgesellschaft, 94; werden auch die Bezeichnungen IAS = Internet - Abhängigkeits - Syndrom, Internet Addiction Disorder, Pathological Internet Use (PTU) für einen pathologischen Internetgebrauch (PIG) angeführt. 192 Kolb, Fluchtgesellschaft, 94 193 "Steirer gingen Betrügern im Internet auf den Leim. Preisgünstige PC - Teile bestellt und bezahlt, aber nie erhalten." Kleine Zeitung, 7. September 2001, 19 Unter dem Titel "Jetzt wird erst mal aufgeräumt. Dem großen Heuern folgt das Feuern: Wie die deutsche Internetbranche ums Überleben kämpft" berichtet der STERN 20, 2001, 202ff,über die Schicksale von MitarbeiterInnen in New Economy - Firmen. 206:"...Das, was noch zu tun war, hat er so erledigt, dass zumindest die Gläubiger der Firma ihr Geld erhalten haben. Für die Mitarbeiter bleibt nichts mehr übrig, ihr Kapital werden sie nie wieder sehen. Einige werden in den nächsten Jahren damit beschäftigt sein, ihre Kredite abzustottern. Von den Gründern Torsten Prochnow und Dennis Hass hat kein Mitarbeiter von World of Internet je wieder etwas gehört." 194 Kleine Zeitung, 11. September 2001, 28

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.... small points 1. neue informations- und kommunikationstechnologien verändern rasant auch den workstyle. 2. viele arbeiten werden durch den web - workstyle für den menschen verändert, viele davon werden einfacher und die körperliche anstrengung wird erleichtert. 3. die connecting people agieren manchmal ganz schön isoliert im cyber space. 4. die moralischen entscheidungen bleiben beim menschen.195

195

Handschriftliche Anmerkung von Leopold Neuhold zu small point 4: „Trifft er sie auch?“ Gute Frage. Aber natürlich entscheidet der Mensch auch dann, wenn er sich scheinbar nicht entscheidet. Vgl Watzlawicks „Man kann nicht nicht kommunizieren.“

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5 Nischen - wollig warm * Aus der Geschichte des Flusskirchner Schafes196 Alles begann damit, dass Viktoria und Georg die saure Wiese hinter ihrem alten Haus kauften. Man wollte ganz einfach etwas Grün dabei haben. Bald aber begannen die Probleme, z B: Wohin mit dem Gras? Und da kam das Angebot der Nachbarin gerade zur rechten Zeit, daraus Futter für ihre Hasen und Hühner zu machen. Als die Kinder von Viktoria und Georg heran wuchsen, wollten sie immer öfter auf ihrer Wiese spielen. Der Haken dabei war nur, dass die Nachbarin sehr darauf achtete, dass "ihr" Gras nicht unter dem Spiel der Kinder litt. Sackgasse. Zu dieser Zeit betreuten zuerst Viktoria und dann Georg einen Studenten aus dem Gailtal, der bei ihnen in der Schule seine Praxis absolvierte. Sepp war früher Fernfahrer gewesen, er war Sohn eines Bauern und Aufsichtsjäger. Auf dem Hof seines Vaters gab es Schafe der Rasse Texel. Viktoria und Georg fuhren im Kofferraum ihres Pkw das erste Pärchen Schafe nach Hause. Der Sepp brachte Georg noch bei, wie man mit der Handschere die Schafe schert, die Zucht konnte beginnen. Man musste die Tiere einfach gern haben. Nachbarn stellten Anträge, sich diese wolligen süßen Dinger, die obendrein noch den Rasen mähten, ausleihen zu wollen. Von Anfang an lehnten Georg und Viktoria diese Angebote ab. Die kleine Herde vergrößerte sich bald, die Wiese hinter dem Haus wurde zu klein. Die mit der Schafhaltung verbundenen handwerklichen Fertigkeiten beherrschten Viktoria und Georg schließlich, neue Wiesen wurden von Bauern, die sie nicht mehr benötigten, kostenlos zur Verfügung gestellt. Osttiroler Steinschafe, Merino, Schwarzkopf und Bergschaf wurden eingekreuzt. Der Höhepunkt war der Import von zwei Herdwickschafen aus Oak Mills, Station Road, Clayton, Bradford, West Yorkshire, United Kingdom. Ein Sohn von Viktoria und Georg holte sie persönlich mit einer selbst gebauten Holzkiste im Auto nach Österreich. Die dafür notwendigen bürokratischen Unterlagen füllen zwei Ordner. Bei einem Freund wurde ein nagelneuer Webstuhl gekauft. Die Tiere werden nämlich nicht als Zierschafe gehalten, sondern auch verwertet: Wolle wird gewaschen, gesponnen, gefärbt. Selbst produzierte Teppiche stellen für Viktoria, Georg, ihre Familie und ihre FreundInnen einen ganz besonderen Wert dar, auch und besonders als Geschenke, Socken, Pullover, Handschuhe eben so. Das Fleisch der selbst geschlachteten Tiere wird entweder gegessen oder an Freunde verschenkt, was einen gern angenommenen Anlass für Einladungen ergibt. Seit Georg stark gehbehindert ist, hat Viktoria die Verantwortung für die Schafe zum großen Teil übernommen. Vierhornschaf und Schweizer Juraschaf wurden noch eingekreuzt. Viktoria stellt momentan aus der Wolle bevorzugt Filzbehänge, -bilder, -sitzunterlagen und andere künstlerisch ausgeführte Gegenstände her. Sie hat schon einige Ausstellungen mit großem Erfolg bestritten und will dies in Zukunft verstärkt betreiben. Zusammen mit einer befreundeten Familie haben Georg und Viktoria mehrere Schafmärkte in Flusskirchen veranstaltet, den vorläufig letzten im Jahr 2000. Trotz der mit der Schafhaltung verbundenen Arbeit sind Georg und Viktoria der Meinung, dass die Schafe wichtige Elemente einer Lebensqualität einbringen, die sowohl Viktoria als auch Georg für unverzichtbar halten. Fleisch und Wolle, die materiellen Produkte, stellen dabei nur eine Seite dar, die aber auch goutiert wird. Soziale Kontakte, die über die Arbeit mit den Tieren gepflegt werden, sind eine weitere Komponente des Qualitätsgewinns. Da die beiden und ihre erwachsenen Kinder nicht von der Schafzucht leben müssen und materiell davon unabhängig sind, kommt auch ein spielerisches Element hinein, das aber durchaus auch gepflegt wird. Georg hat so zum Beispiel entdeckt, dass die Schafe gerne Rosskastanien fressen, sammelt diese im Herbst und hat über seine Fütterungserfolge damit einen Leserbrief in einer Fachzeitschrift veröffentlicht.197 Ferner hat er ein Flusskirchner Schafsmanifest verfasst, das unter anderem in einer Ausstellung der Grünen im Grazer Opernhaus vorgestellt wurde. Die Punkte 3 bis 7 aus 196 197

anonymisiert Schafe aktuell. Fachzeitschrift für Schafzüchter und Schafhalter, 5. Jahrgang, Heft 4, Dezember 1995, 9

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diesem Manifest zur Züchtung des Flusskirchner "multigenetischen" Schafes seien hier zitiert als Beispiel für ethische Implikationen in scheinbar ethikneutralen Tätigkeiten: (3) Bei guter Haltung der Tiere verstärken sich die erwünschten positiven Eigenschaften auch in den Kreuzungstieren. >...Und jetzt stellen Sie sich einmal die Menschen vor, die beigetragen haben zu ihrer Geburt. Da war ein römischer Feldhauptmann, ein schwarzer Kerl, braun wie eine Olive, der hat einem blonden Mädchen Latein beigebracht. Und dann kam ein jüdischer Gewürzhändler in die Familie, das war ein ernster Mensch, der ist noch vor der Heirat Christ geworden und hat die katholische Haustradition gegründet. Und dann kam ein griechischer Arzt dazu oder ein keltischer Legionär, ein Graubündner Landsknecht, ein schwedischer Reiter, ein Soldat Napoleons, ein desertierter Kosak, ein wandernder Müllerbursch vom Elsass, ein dicker Schiffer aus Holland, ein Magyar, ein Pandur, ein Offizier aus Wien, ein französischer Schauspieler, ein böhmischer Musikant, das alles hat am Rhein gelebt, gerauft, gesungen und Kinder gezeugt. Und der Goethe, der kam aus dem selben Topf und der Beethoven und der Gutenberg und der Mathias Grünewald und - ach was, schau im Lexikon nach! Es waren die Besten der Welt, mein Lieber! Die Besten! Und warum? Weil sich die Völker dort vermischt haben. Vermischt - wie die Wasser aus Quellen und Bächen und Flüssen, damit sie zu einem großen, lebendigen Strom zusammen gerinnen.kognitiven Nischefrustrierte Klasse, eine drifting societyAssistenzsystemePolitisch - pädagogische Korrektheit< untersagt es.., zwischen jenen zu unterscheiden, die hart arbeiten, und jenen, die faul sind - es gibt nämlich keine >Faulen< mehr".237 Und aus dieser Sicht einer political correctness herrscht natürlich helle Aufregung über einen deutschen Bundeskanzler, der aus seinem Blickwinkel Klartext zu sprechen behauptet: "Wer arbeiten kann, aber nicht will, der kann nicht mit Solidarität rechnen. Es gibt kein Recht auf Faulheit in unserer Gesellschaft! Das bedeutet konkret: Wer arbeitsfähig ist, aber einen zumutbaren Job ablehnt, dem kann die Unterstützung gekürzt werden. Das ist richtig so. Ich glaube allerdings, dass die Arbeitsämter die entsprechenden Möglichkeiten noch konsequenter nutzen können."238 Der Schröder - Sager könnte ein Ausfluss der wechselvollen Wirkungsgeschichte einer oft zitierten Stelle aus dem Neuen Testament sein:239 Im Namen Jesu Christi, des Herrn, gebieten wir euch, Brüder: Haltet euch von jedem Bruder fern, der ein unordentliches Leben führt und sich nicht an die Überlieferung hält, die ihr von uns empfangen habt. Ihr selbst wisst, wie man uns nachahmen soll. Wir haben bei euch kein unordentliches Leben geführt und bei niemand unser Brot umsonst gegessen; wir haben uns gemüht und geplagt, Tag und Nacht haben wir gearbeitet, um keinem von euch zur Last zu fallen. Nicht als hätten wir keinen Anspruch auf Unterhalt; wir wollten aber ein Beispiel geben, damit ihr uns nachahmen könnt. Denn als wir bei euch waren, haben wir euch die Regel eingeprägt: Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen. Wir hören aber, dass einige von euch ein unordentliches Leben führen und alles mögliche treiben, nur nicht arbeiten. Wir ermahnen sie und gebieten ihnen im Namen Jesu Christi, des Herrn, in Ruhe ihrer Arbeit nachzugehen und ihr selbst verdientes Brot zu essen. 2 Thess 3, 6 - 12 Von der Väterzeit bis in die christliche Sozialethik der Moderne entfaltete besonders 2 Thess 3, 10 große Wirkung. Die Sentenz könnte direkt vom Verfasser des Briefes stammen, dieser könnte sie aber auch aus uns unbekannter Quelle entliehen haben. Während die EÜ den zweiten Thessalonicherbrief offensichtlich für einen echten Paulusbrief hält, versuchen etwa Marxsen, Trilling und Laub, "2 Thess als pseudepigraphische Schrift verständlich zu machen...Literaturhistorisch im Kontext antiker Pseudepigraphie kann das nach heutigem Kenntnisstand nicht mehr einfach als unanstößige beliebte Literaturform abgetan, sondern muss als Fälschung eingestuft werden. Dem Autor muss damit noch nicht bestritten sein, subjektiv im Interesse theologisch - ekklesiologischen Zusammenhangs von der Legitimität seines Tuns überzeugt gewesen zu sein. Er glaubt, legitimerweise die 237

Prisching, McGesellschaft, 37 Gerhard Schröder in der Bild - Zeitung, 6. 4. 2001 239 So weist zB Erich Ribolits bei seinem Referat über "Muße und Kult am Ende der Arbeitsgesellschaft" am 3. September 1999 im Rahmen der GLOBArt Academy im Stift Geras auf die ungewöhnliche Tatsache hin, dass ein Bibelzitat (2 Thess 3, 10) in der ersten sowjetischen Verfassung aufschien. Dies zeige ua auf, dass sehr verschiedene Anschauungen ähnliche Zugangsweisen haben können. - Vgl: Ulrich Beck, Die Seele der Demokratie: Bezahlte Bürgerarbeit, in: Beck, Zukunft von Arbeit und Demokratie, 416: „Es ist eine der ironischen Pointen der Weltgeschichte, dass gerade dieser Satz aus dem 2. Brief des Paulus (an die Thessalonicher. HK) aufgenommen wurde in die von Stalin entworfene Verfassung der Sowjetunion des Jahres 1936. Der Kommunismus, könnte man sagen, vollstreckte die christlich-bürgerliche Arbeitsmoral, in der menschliches Sein und Arbeiten in der Wertung der Gesellschaft und in der Selbstwahrnehmung der Individuen zu den zwei Seiten desselben verschmolzen wurden.“ 238

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apostolische Autorität für sich beanspruchen zu können, indem er dem Paulus, wie er im Paulusbild der Nachwelt weiter lebt, also einem immer schon interpretierten Paulus seine Stimme bzw. seine Feder leiht."240 Insgesamt stellen 2 Thes 3, 6 - 12 und 2 Thess als Ganzes ein auf ihre Art typisches Dokument der neutestamentlichen Spätzeit dar.241 Wirkungsgeschichtlich wird die auf den ersten Blick eher bieder und hausbacken wirkende Sequenz, die Zustimmung, aber auch Lächeln bewirken kann, ideologisch meist hoch befrachtet als autoritatives Apostel-, als Bibelwort zitiert. In der Apostolischen Kirchenordnung zum Beispiel ist der Bezug auf 2 Thess deutlicher noch als etwa in der Didache, die aber auch schon Regeln für von auswärts kommende Christen kennt und ein Arbeitsethos definiert hatte. "All ihr Gläubigen nun sollt an jedem Tage und zu jeder Zeit, so oft ihr nicht in der Kirche seid, fleißig bei eurer Arbeit sein, so dass ihr die ganze Zeit eures Lebens...niemals müßig seid. Denn der Herr hat gesagt: Geh zur Ameise, du Fauler, betrachte ihr Verhalten, und werde weise! Sie hat keinen Meister, keinen Aufseher und Gebieter, doch sorgt sie im Sommer für Futter, sammelt sich zur Erntezeit Vorrat. Wie lang, du Fauler, willst du noch da liegen, wann willst du aufstehen von deinem Schlaf? Noch ein wenig schlafen, noch ein wenig schlummern, noch ein wenig die Arme verschränken, um auszuruhn. Da kommt schon die Armut wie ein Strolch über dich, die Not wie ein zudringlicher Bettler. Spr 6, 6 - 11 Seid also allzeit tätig, denn eine Schande, die nicht wieder gut zu machen ist, ist der Müßiggang. So aber jemand bei euch nicht arbeitet, der soll auch nicht essen; denn die Faulen hasst auch Gott der Herr; ein Fauler nämlich kann kein Gläubiger werden."242 Basilius nimmt in den Großen Regeln auf Mt 10, 10 Bezug, wo EÜ Jesus so sprechen lässt: ...denn wer arbeitet, hat ein Recht auf seinen Unterhalt. In der Mönchsregel des Benedikt von Nursia wird das Kapitel über die tägliche Handarbeit mit dem Satz eingeleitet: "Müßiggang ist ein Feind der Seele."243 In der Hochschätzung, die der biblische Autor von 2 Thess der Arbeit verleiht, können Anfänge eines christlichen Arbeitsethos erblickt werden, die ein "Erbe vom jüdischen Mutterboden her"244 (im Unterschied zu genereller griechischer Missachtung der Arbeit) darstellen. Bürgerfleiß und Arbeitsethos werden als christliche Tugenden gewertet und auch eingemahnt. Für eine echte Grundlegung eines spezifisch christlichen Arbeitsethos gibt die Stelle ungepresst aber kaum etwas her. 240

Laub, 2. Thessalonicherbrief, 42f Trilling, Der zweite Brief an die Thessalonicher, 152 löst die Frage einerr historischen Einordnung von 2 Thess, indem er "die Problematik von Arbeit und Beruf in christlichen Gemeinden der späteren Zeit, von ca. 80 nChr an" als Grund und Zeit für die Abfassung in Betracht zieht. 242 zitiert aus: Trilling, Der zweite Brief an die Thessalonicher, 149 243 zitiert in: Trilling, Der zweite Brief an die Thessalonicher,, 149. Trilling verweist an dieser Stelle ua auch auf die erste Regel des Franz von Assisi, Kapitel 7 "Von der Weise zu dienen und zu arbeiten", wo ebenfalls 2 Thess, 3, 10 zitiert wird.. 244 Laub, 2. Thessalonicherbrief, 56 241

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* a village does nothing245 in june 2000 elisabeth schimana and markus seidl started with the following mission: " a farming village in upper austria is sought, whose inhabitants are ready to discuss the following questions with us: what does comfort mean? is it comfortable to do nothing? what does it mean to do nothing? who is allowed to do what about doing nothing? the results form seven days of doing nothing. substitute personnel and catering will be provided!"

* Ein Dorf tut nichts - Überlegungen zum Nichtstun246 - Das wäre auch für den Menschen selber nicht gut. Ich glaube, da sackt man schnell ab, wenn man nichts tun darf...Aber ob man das zusammenbringt? Längere Zeit weiß ich nicht, ob man das schafft Frau O - Der Herrgott hat uns die Welt gegeben, um sie anzuschauen. Um sie zu betrachten, um etwas daraus zu machen. Nicht, um sie zu ruinieren. Der Mensch ruiniert sie. Weil er zu viel tut. Herr O - Ich bin sehr stark im Zweifel, denn die Leute sind ja von der Grundhaltung her fleißig, gerade im Gegensatz zur Stadt, Wien vielleicht... Spazieren gehen an einem Wochentag, da muss man dann schon irgendwie...na gut, als Bauer kann man ja sagen, man braucht jetzt für diese vielen Unterlagen und Anträge Daten. Da empfiehlt es sich schon, Gerätschaften in die Hand zu nehmen, Block und Kugelschreiber, und irgend ein Messgerät am besten, dann könnte man das schon machen. Aber das ist ja dann schon nicht mehr spazieren gehen, den unter spazieren gehen stell ich mir ja doch eher vor, man schaut dort hin, wo einem was auffällt, wo es gerade ungewohnt oder spannend ist - das ist dann wirklich wieder Nichtstun...Wenn man Zeit hat zum Nichtstun, kann man viele Dinge überdenken und schöne Ausreden auch finden, doch wenn ich eine stichhaltige Ausrede finde, dann hab ich schon wieder was vollbracht, da ist ja dann das Nichtstun schon wieder verlassen. Nichtstun wäre, wenn man im Nachhinein sagt: Naja, ich hab jetzt die Zeit verplempert. Herr L - Wenn man mal gerade nichts zu tun hat, dann gibts sicher drei Bretter am Stadl, die locker sind und der eine nagelts dann halt an während der andere... Herr H

* Max Weber: Die erste und schwerste aller Sünden247 Das moralisch am meisten Abzulehnende stellt das Ausruhen auf dem Besitz dar, der Genuss im Überfluss mit den Folgen von Nichtstun und Fleischeslust, aber in erster Linie der Ablenkung vom Streben nach heiligem Leben. Und nur weil Besitz die Gefährdung zum Nichtstun und zum Ausruhen mit sich bringt, ist er gefährlich. Die ewige Ruhe der Heiligen liegt natürlich erst im Jenseits, auf der Erde jedoch hat der Mensch, um sich seines erwählten Gnadenstandes zu versichern, die Werke dessen zu verrichten, der ihn gesendet hat. Nicht Nichtstun und faules Genießen, ausschließlich Tätigsein dient dem geoffenbarten Willen

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Aus den Begleitunterlagen zum Projekt im Rahmen des Festivals der Regionen. Oberösterreich 2001 Dorfbewohner von Eberhardschlag, Gemeinde Vorderweißenbach 247 Nach: Weber, Die protestantische Ethik. - II. Die Berufsethik des asketischen Protestantismus. 2. Askese und kapitalistischer Geist, 165ff 246

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Gottes zur Mehrung seiner Ehre. "Zeitvergeudung ist also die erste und prinzipiell schwerste aller Sünden."248

* Kontrapunkt: Paul Lafargue - Recht auf Faulheit249 (?) "Eine seltsame Sucht beherrscht die Arbeiterklasse aller Länder, in denen die kapitalistische Zivilisation herrscht, eine Sucht, die das in der modernen Gesellschaft herrschende Einzel und Massenelend zur Folge hat. Es ist dies die Liebe zur Arbeit, die rasende, bis zur Erschöpfung der Individuen und ihrer Nachkommen gehende Arbeitssucht"250 Und statt gegen diese Perversion anzugehen, haben Priester, Ökonomen und Moralisten die Arbeit sogar heilig gesprochen. Beschränkt und blind, wollten sie weiser sein als ihr Gott. Wollten zu Ehren bringen, was ihr Gott verfluchte.251 "In der kapitalistischen Gesellschaft ist die Arbeit die Ursache des geistigen Verkommens und körperlicher Verunstaltung."252 Ursprüngliche Schönheit der Menschen findet man nur noch bei den Nationen, bei denen ökonomisches Vorurteil die Abneigung gegen die Arbeit noch nicht vernichtet hat. "Für den Spanier, in dem das ursprüngliche Tier noch nicht ertötet ist, ist die Arbeit die schlimmste Sklaverei."253 Lafargue verweist auch auf die Griechen, die in ihrer größten Zeit Arbeit verachteteten und es nur Sklaven gestatteten, zu arbeiten. Der freie Mann erging sich in körperlichen Übungen und in Geistesspielen. "Christus lehrt in der Bergpredigt die Faulheit: >Sehet die Lilien auf dem Felde, wie sie wachsen; sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht, und doch sage ich Euch, dass Salomo in all seiner Pracht nicht herrlicher gekleidet war< (Matthäi 6, 28 und 29.) Jehovah, der bärtige und sauertöpfische Gott, gibt seinen Verehrern das erhabendste Beispiel idealer Faulheit: nach sechs Tagen Arbeit ruht er auf alle Ewigkeit aus"254 Leider hat sich auch das Proletariat, die Klasse der Produzenten in zivilisierten Nationen, die durch ihre Emanzipation alle Menschen von knechtischer Arbeit erlösen wird, vom Dogma der Arbeit verführen lassen.. Alles soziale und individuelle Elend kommt von der Leidenschaft für die Arbeit. Lafargue zitiert Napoleon, der am 5. Mai 1807 aus Osterode schrieb: >Je mehr meine Völker arbeiten, um so weniger Laster wird es geben< Moderne Werkstätten sind die idealen Zuchthäuser geworden, in denen man die Massen der Arbeiter, die Männer, die Kinder und die Frauen zu zwölf- und vierzehnstündiger Arbeit verdammt. "Und die Nachkommen der Schreckenshelden haben sich durch die Religion der Arbeit so weit degradiert, dass sie 1848 das Gesetz, welches die Arbeit in den Fabriken auf 12 Stunden täglich beschränkte, als eine revolutionäre Errungenschaft entgegen nahmen; sie proklamierten das Recht auf Arbeit als revolutionäres Prinzip... 20 Jahre kapitalistischer Zivilisation müsste man aufwenden, um einen Griechen des Altertums eine solche Entwürdigung begreiflich zu machen!"255 Die Arbeit, die Proletarier 1848 mit Waffen gefordert haben, erlegten sie ihren Familien auf: Frauen und Kinder haben sie an die Fabriksherren ausgeliefert. So haben sie mit eigener 248 Weber, Die protestantische Ethik, 167. Glotz, Die beschleunigte Gesellschaft, 157 zitiert Benjamin Franklin: "Bedenke, dass Zeit Geld ist; wer täglich 10 Shillinge durch Arbeit erwerben könnte und den halben Tag spazieren geht oder auf seinem Zimmer faulenzt, der darf, auch wenn er nur 6 Pence für sein Vergnügen ausgibt, nicht dies allein berechnen, er hat neben dem noch 5 Shillinge ausgegeben oder vielmehr weg geworfen." 249 Siehe: Paul Lafargue, Das Recht auf Faulheit. Widerlegung des "Rechtes auf Arbeit" von 1848 (1883) 250 Lafargue, Recht auf Faulheit, 11 251 Siehe Gen 3, 17 - 19: So ist verflucht der Ackerboden um deinetwegen. Unter Mühsal wirst du von ihm essen alle Tage deines Lebens. Dornen und Disteln lässt er dir wachsen und die Pflanzen des Feldes musst du essen. Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot essen, bis du zurück kehrst zum Ackerboden; von ihm bist du ja genommen. 252 Lafargue, Recht auf Faulheit, 11 253 Lafargue, Recht auf Faulheit, 12 254 Lafargue, Recht auf Faulheit, 13 255 Lafargue, Recht auf Faulheit, 16f

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Hand die häuslichen Herde zerstört und die Brüste ihrer Frauen trocken gelegt. Schwangere und stillende Frauen ließen sie in die Fabriken, wo sie ihre Nerven und ihr Rückgrat zerstörten.256 Und dann rennen Arbeiter noch vor die Türen der Fabriken und überlaufen die Fabrikanten mit kläglichen Ansprachen: >Lieber Herr Stumm, bester Herr Berger, geben sie uns doch Arbeit, es ist nicht der Hunger, der uns plagt, sondern die Liebe zur Arbeit.< - "Und, kaum imstande sich aufrecht zu halten, verkaufen die Elenden 12 bis 14 Stunden Arbeit um die Hälfte billiger als zur Zeit, wo sie noch Brot im Korbe hatten. Und die Herren industriellen Philanthropen benutzen die Arbeitslosigkeit, um noch billiger zu produzieren."257 Fabrikanten durchlaufen auf der Suche nach Absatzmärkten für ihre Waren die ganze Welt. Sie schreien nach Handelskolonien am Kongo, verlangen die Eroberung Tongkings, sie zwingen die Regierung, die Mauern Chinas zu zertrümmern, um ihre Artikel verkaufen zu können. "Wie an Waren, so herrscht auch Überfluss an Kapitalien - natürlich nicht für diejenigen, die sie brauchen. Die Finanzleute wissen nicht mehr, wo dieselben unterbringen, und so machen sie sich denn auf, bei jenen glücklichen Völkern, die noch Zigaretten rauchend in der Sonne liegen, Eisenbahnen zu legen, Fabriken zu bauen, den Fluch der Arbeit einzuführen."258 Lafargue schließt seinen aufrüttelnden Text mit dem Traum des Aristoteles, den er Wirklichkeit geworden sieht: "Wenn jedes Werkzeug auf Geheiß oder auch voraus ahnend das ihm zukommende Werk verrichten könnte, wie des Dädalus Kunstwerke sich von selbst bewegten, oder die Dreifüße des Hephästus aus eigenem Antrieb an die heilige Arbeit gingen, wenn so die Webeschiffe von selbst webten, so bedürfte es weder für den Werkmeister der Gehilfen, noch für die Herren der Sklaven. Der Traum des Aristoteles ist heute Wirklichkeit geworden. Unsere Maschinen verrichten, feurigen Atems, mit stählernen,unermüdlichen Gliedern, mit wunderbarer unerschöpflicher Zeugungskraft, gelehrig und von selbst ihre heilige Arbeit, und doch bleibt der Geist der großen Philosophen des Kapitalismus nach wie vor beherrscht vom Vorurteil des Lohnsystems, der schlimmsten aller Sklavereien. Sie begreifen noch nicht, dass die Maschine der Erlöser der Menschheit ist, der Gott, der den Menschen von den >sordidae artes< und der Lohnarbeit los kaufen, der Gott, der ihnen Muße und Freiheit bringen wird."259

256 Als Fußnote seien hier einige Auszüge aus: Victor Adler, Die Lage der (Wienerberger) Ziegelarbeiter geboten. Diese Innenrecherche wurde 1888/89 zuerst als Artikelserie in einer Zeitung veröffentlicht. "...zwei- bis dreimal täglich erfolgt die Auszahlung in >Blechgutes Geld< hat, sondern auch innerhalb des Werkes ist jeder einem besonderen Kantinenwirt als Bewucherungsobjekt zugewiesen. Die Preise in diesen Kantinen sind bedeutend höher als in dem Orte Inzersdorf. Ein Brot, das in Inzersdorf 4 kr. kostet, muss der Ziegelarbeiter mit 5 kr. Blech bezahlen. Eben so sind Bier, Schnaps, Speck, Wurst und Zigarren in der Kantine entsprechend teurer, die Qualität der Nahrung ist natürlich die denkbar elendeste. Im Gefühl seiner Macht sagte ein Wirt einem Arbeiter, der sich beklagte: >Und wenn ich in die Schüssel sch.., müsst ihrs auch fressen.< Und der Mann hat Recht, sie müssen!! Kaufen also können und dürfen die Arbeiter nicht auswärts. Aber zu betteln ist ihnen erlaubt. Da laufen sie zur Konservenfabrik in Inzersdorf, welche gegen Abend von den armen Teufeln umlagert ist, und wo sie um den >GollaschsaftStaatsfeind Nr. 1< Frankreichs und Verfasser des Buches >Der Todestrieb< hatte sich entschieden: Wenn ich um 6 Uhr morgens Lust hatte zu vögeln, wollte ich mir Zeit dafür nehmen, ohne auf die Uhr zu gucken. Ich wollte ohne Uhr leben, denn mit der Zeitmessung kam der erste Zwang in das Leben der Menschen. Die gängigen Sätze des täglichen Lebens klingelten mir im Kopf: >Keine Zeit, um..Zur rechten Zeit kommenZeit gewinnenSeine Zeit verlierendie Zeit haben zu lebenFreizeit< meistens noch langweiliger ist als die Arbeit selbst. Deshalb kann es nicht nur darum gehen, die Arbeitszeit zu verkürzen und die Freizeit zu verlängern. In Spanien sollte vor kurzem die Siesta unter dem Vorwand verboten werden, sie würde den europäischen Markt gefährden. Wir solidarisieren uns 100prozentig mit jenen spanischen Arbeitern, die darauf hin meinten, die EU sollte lieber die >Euro - Siesta< einführen."

* Gebet der Faulheit Valerio: Herr, ich habe die große Beschäftigung, müßig zu gehen, ich habe eine ungemeine Fertigkeit im Nichtstun. Ich besitze eine ungeheure Ausdauer in der Faulheit. Keine Schwiele schändet meine Hände, der Boden hat noch keinen Tropfen von meiner Stirn getrunken, ich bin noch Jungfrau in der Arbeit. Leonce: Komm an meine Brust! Bist du einer von den Göttlichen, welche mühelos über die Heerstraßen des Lebens wandeln und mit blühenden Leibern gleich seligen Göttern in den Olympus treten? Komm! Komm!265 Am Ende aller Diskussion über Fleiß und Faulheit, über Tun und Nichttun steht die Frage: Was hat Bestand und Dauer? Was bleibt vom Schaffen und vom Lassen der Menschen? Denkende stellen mindestens an sich selbst Fragen nach dem Ertrag des Tages, der Bilanz eines Jahres und schließlich wohl auch, was als Ernte ihres Lebens Bestand haben könnte. 264

Die Glücklichen Arbeitslosen, in: Beck, Zukunft von Arbeit und Demokratie, 114ff Georg Büchner. - Zitiert aus einem Kommentar des Telemax in der Kronenzeitung vom 6. Juli 2001. Telemax schrieb diesen Kommentar als entzückte Zustimmung zur Bemerkung der Schauspierin Anja Kruse: "Ich kann bis mittags 1 Uhr liegen bleiben und schlafen. Manche empfinden das als Laster und faul!.. Und ich kann auch den ganzen Tag nichts tun." Tmx - Kommentar: "Ich drücke Frau Kruse, wie sie noch im Nachthemd ist, an meine Brust. Schönes Weib, das sich zeitweise nicht hetzen und nicht jagen lässt! Dass du, wo alles rennet, rettet, flüchtet und stolz darauf ist, das Herz hast, dich zum Suhlen zu bekennen, dem wunderbaren Gegenpol der Gewinnoptimierung. Schweinchen der Wirtschaft und Göttin der Philosophen a la Tmx!" 265

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Damit ist dann das Problem Fulheit/Fleiß nicht eigentlich relativiert oder gar aufgehoben, aber auf eine neue Ebene gehoben, gewinnt eine andere Dimension. Was bleibt? Ovid war anscheinend davon überzeugt, dass seine Metamorphosen ein Werk sind, "das Feuer und Eisen nimmer zerstört, noch Jupiters Zorn, noch zehrendes Alter". Ovid hat Recht behalten! Aber. Wer von uns heute Lebenden kann mit einigem Vertrauen sagen, was von seinem Tun in irgend einer Form von Dauer sein könnte? Wer vermag auch nur mit einiger Sicherheit das zu benennen, das unter Garantie nicht Bestand haben wird? Wer kann seinen eigenen Schaffensanteil an den guten Dingen der Zukunft quantifizieren? Die Produkte welches Berufszweiges werden die Zukunft maßgeblich bestimmen? Wird sich eine heutige Produktionssparte mit ihren Produkten "verewigen" können? Es scheint oft besser, nicht in den Lauf der Dinge einzugreifen. Ist eine bestimmte Art von Nichthandeln die Alternative? Bekommt am Ende der Faule Recht? Macht der Geschäftige alles nur immer noch schlimmer? Die letzte Zeile des Gedichtes "Andenken" von Friedrich Hölderlin kann einen Hinweis geben, in welche Richtung wir möglicherweise denken könnten, um befriedigende Antworten auf solche Fragen zu finden. Die Zeile lautet: Was bleibet aber, stiften die Dichter.266



mmmgs: die bedeutung der kunst in meiner beruflichen tätigkeit

als im sommer 2000 ein 14-jähriger jugendlicher beim fußballtraining plötzlich verstarb, war der schmerz seiner eltern so groß, dass er fast jede kommunikationmöglichkeit erstickte. es war unmöglich, worte zu finden, um über dieses schreckliche ereignis mit ihnen zu sprechen. gesten und zuwendungen blieben nur oberflächliche berührungen. in dieser situation versuchte ich einen weg zu finden, um den eltern dieses jugendlichen nahe zu sein und ihnen trost und hoffnung zu schenken.iIn drei bildern habe ich dem sterben und der damit verbundenen ohnmacht ein gesicht gegeben. eine frau, die in ihrem schmerz am boden dahingestreckt ist. viel zu kleine hände, um sich an etwas anklammern zu können und füße, die keinen halt geben. ein mensch, der auch bildlich auseinander gerissen wurde, ohne kraft. im zweiten bild die einsamkeit in diesem schmerz. allein gelassen in diesem schmerz und unfähig, aus der dunkelheit auszubrechen, da hockend im strom der ausgetrockneten tränen, und zum schluss das gesicht der trauer. die mutter des jugendlichen sagte mir beim begräbnis, dass sie nicht mehr weinen kann, sie hat keine tränen mehr, sie erlebt sich nur mehr als leer, selbst unfähig zu beten. gemeinsam mit den eltern und dem bruder haben wir im schweigen die bilder über das sterben und den tod betrachtet. auf diese weise entstand zwischen uns eine unsichtbare brücke, über die wir einander begegnen konnten und über die es den eltern möglich war, aus ihrer isolation hinaus zu treten. über diese bilder hinweg war es möglich, ihrem leiden einen namen zu geben, es zuzulassen und anzunehmen. der tod des eigenen kindes musste nicht mehr verdrängt werden, er wurde teil ihres lebens. Tage danach haben die eltern ihre dankbarkeit für das kurze leben ihres sohnes aussprechen können. dankbarkeit dafür, dass er gelebt hat und viele menschen durch sein dasein berührte, sogar in seinem sterben .in meinem beruf267 steht die begegnung mit menschen und die anteilnahme an deren lebenswegen im mittelpunkt. täglich bin ich vor die herausforderung gestellt, in kommunikation 266

Egon Kapellari hat eine Variation dieser Zeile zum Titel eines Buches genommen: Egon Kapellari, Aber Bleibendes stiften die Dichter. Gedanken für den Tag, Graz Wien Köln 2001. - Das Buch enthält 80 kurze Texte zur Lyrik von: Ingeborg Bachmann, Werner Bergengruen, Paul Celan, Matthias Claudius, Hilde Domin, Annette von Droste - Hülshoff, Joseph von Eichendorff, Friedrich Hölderlin, Marie Luise Kaschnitz, Reiner Kunze, Christine Lavant, Gertrud von Le Fort, Eduard Mörike, Rainer Maria Rilke, Nelly Sachs, Johannes Scheffler, Georg Trakl, Konrad Weiss, Guido Zernatto. - Auch die Geschichte der Entstehung dieses Buch scheint mir einen Hinweis dafür zu liefern, wie bereichernd die unterschiedlichsten Arten von Tätigkeiten für viele Menschen sein können: Es entstand auf Wunsch von HörerInnen nach Kurztexten , die Kapellari für die Radiosendung „Gedanken für den Tag“ verfasst hatte.

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zu treten. das bedeutet, die sprache zu entdecken, in der sich der einzelne mensch mitteilt, sie verstehen lernen und mich in dieser sprache verstehbar machen. gerade dabei hat sich die kunst, im besonderen die malerei, als ein sprachweg erwiesen, über den es möglich ist, sich mitzuteilen, auszutauschen und verstehbar zu machen. es braucht dabei auf der seite des betrachters keine besonderen künstlerischen fähigkeiten oder voraussetzungen. nicht einmal ein künstlerisches vorverständnis ist notwendig. es genügt die offenheit und die bereitschaft, sich auf diese vielleicht neue oder ungewohnte form der kommunikation einzulassen. der betrachter ist dabei nicht einfach zuseher, sondern wird in diesem prozess zum mitgestalter. im betrachten und dem damit verbundenen gespräch teilt er ein stück von sich selbst mit, wodurch das bild, das kunstwerk ein stück des betrachters wird und von ihm einen erweiterten, befruchteten sinn erhält. kunst als sprachweg mit gegenverkehr, ein gegenseitiges empfangen und schenken Es scheint auch angebracht, sich eines (zu) schnellen Urteils über die Tätigkeit oder (scheinbare) Untätigkeit anderer Menschen und über vermutete Begründungen dafür zu enthalten. Denn: Der Wind268, weht, wo er will; du hörst sein Brausen, weißt aber nicht, woher er kommt und wohin er geht. Joh 3, 8

....... small points 1. nicht nur in der vergangenheit empfanden menschen arbeit als einen ihnen auferlegten fluch. „statt, wie früher, den körper zu martern, martert sie freilich oft nur mehr die Seele.“269 2. die ehrbare handwerkermoral von 2 thess 3, 10 lässt sich nicht zur (zwangs -) rekrutierung von arbeitskraft gebrauchen. die ordnungen des vom schöpfer empfangenen lebens und der glaube an seinen geschenkcharakter dürfen nicht voreilig übersprungen oder aufgegeben werden. das bedeutet jedoch nicht eine nahtlose übereinstimmung mit einem "natürlichen sittengesetz". biblisches denken hat stets auch die gebrochenheit menschlicher existenz im blick. 3. nichtstun ist nicht notwendig in faulheit begründet. 4. der tatsächlich faule mensch vergibt lebenschancen. 5. die gesellschaftliche inklusion von ausbildungsabbrecherInnen, langzeitarbeitslosen, totalverweigerern, funktionalen analphabetInnen... ist zu fördern. 6. tätiges sein hat viele gesichter.

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mmmgs ist katholischer Priester. Für Wind und Geist steht im Griechischen das Wort πνευµα. - An dieser Stelle ist mir der Hinweis nützlich, dass das Zitat Joh 3, 8 innerhab des Gesprächs mit Nikodemus aufscheint, in welchem es auch um die neue Geburt des Menschen aus Wasser und Geist geht. Joh 3, 5: Wenn jemand nicht aus Wasser und Geist geboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes kommen. 269 nach: Zilian, Zeit der Grille,9 268

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7. in zukunft werden sich neue szenarien tätigen lebens zeigen. 8. arbeiten kann gelernt, aber auch verlernt werden. 9. kreative muße wird eine neubewertung erleben. 10. zeit ist das kapital der zukunft.

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2 Von prächtigen Blumen und von der Nahrung der Vögel Sehet die Vögel unter dem Himmel und die Lilien auf dem Felde; sie säen nicht, sie ernten nicht... So lasst uns denn die Lilie und den Vogel, diese frohen Lehrmeister, betrachten. Was ist Freude, oder wann ist man froh? Wenn man in Wahrheit sich selbst gegenwärtig ist; aber sich in Wahrheit gegenwärtig zu sein, das ist dieses Heute, heute zu sein, in Wahrheit heute zu sein. Beginne doch wenigstens, von der Lilie und dem Vogel zu lernen. Kierkegaard270 Jesus Seltsamer Gedanke, dass unsere abendländische Kultur auf einen Mann zurückzuführen sei, von dem mit keiner Zeile berichtet wird, dass er etwas gearbeitet hat.271

* Eine kleine Biblische Geschichte der Arbeit272 (1) Gen 1, 28: Gott segnete sie, und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar, und vermehrt euch, und herrscht über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf dem Land regen. Nicht untätig wird der Mensch in seiner Welt leben, Gott weist ihm Verantwortungsbereiche zu. In dieser Verantwortung, nicht in kurzsichtiger lebensfeindlicher Willkür, die zerstörerisch wirkt, kann Leben wachsen und gedeihen. "Herrschen" meint in dieser Sicht die sorgfältig behütende Tätigkeit der aufmerksamen Gärtnerin, des guten Hirten, (der verantwortungsvollen Molekularbiologin..), nicht das blinde Wüten des Despoten.273 (2) Gen 11, 1 - 9: Der Turmbau zu Babel In der alten Tradition von Babel als Schauplatz der Sprachverwirrung zeigt der Erzähler, dass hohe Zivilisation ohne Bindung an Gott die Menschen nicht eint und innerlich einander näher bringt, sondern sie entzweit, so dass sie sich gegenseitig nicht mehr verstehen. Babel - das hybride, gottlos gescheiterte Unternehmen lässt Menschen zurück, die einander nicht mehr verstehen und untätig und verwirrt vor der Katastrophe stehen. 270

Christliche Reden, 1849 So formuliert zB Vat II in GS 3: „Dabei bestimmt die Kirche kein irdischer Machtwille, sondern nur dies eine: unter Führung des Geistes, des Trösters, das Werk Christi selbst weiter zu führen, der in die Welt kam, um der Wahrheit Zeugnis zu geben; zu retten, nicht zu richten; zu dienen, nicht sich bedienen zu lassen.“ 272 nach: Hans Krameritsch, An der Schöpfung mitarbeiten, in: Franz N. Müller, Kurt Zisler (Hg), An das Leben glauben - aus dem Glauben leben. Handbuch zu Glaubensbuch 8, unter Mitarbeit von Albert Biesinger, Alois Gruber, Kurt Galle, Hans Krameritsch, Hans Neuhold, Leopold Neuhold, Mathias Scharer, Anton Schrettle, Manfred Schwarz, Salzburg 1990 und nach: Hans Krameritsch, An der Schöpfung mitarbeiten, in: Heinz Finster, Dorothea Uhl (Hg), Aber leben will ich. Handbuch zum Glaubensbuch AHS 4 "Das Leben gewinnen", unter Mitarbeit von Hans W. Klaushofer, Hans Krameritsch, Franz N. Müller, Hans Neuhold, Kurt Zisler, Graz 1999 273 Vgl Zb auch CA 37: Der gedankenlosen Zerstörung der natürlichen Umwelt liegt ein heute leider weit verbreiteter anthropologischer Irrtum zu Grunde. Der Mensch, der glaubt, er könnte aus eigener Kraft die Welt verändern und selbst in einem gewissen Sinn neu >schaffenverdienenkunsti< einbringt. auf in die stadt - neue dimensionen tun sich auf! 16. am wochenende viel mit moped und freunden unterwegs im heimatort. Wohne in graz u. lerne in der grafikabteilung neben theoretischen fächern bewusstes sehen und entsprechende umsetzungen, farbenlehre, anatomie- und aktzeichnen, naturzeichnen, konzepterstellung, fotografie, kaligrafie, design, werbe-psychologie, repround drucktechniken, kunstgeschichte u.a. vor allem in umfangreichen diskussionen und arbeiten mit gleichgesinnten freunden u. professoren kunst zu erfahren und zu >begreifenre< kennen - in meinem heimatort. große canada-pläne mit freund werner (ich komme bis zur kanadischen botschaft in wien). versäume zivildienst-kommissionstermin, bundesheer trotz pazifistischer einstellung (eine ausbildung, die ich hätte missen können - aber selbst da lernt man etwas!) 20. div. gemeinsame wohnungen mit re und teilweisen wg-erfahrungen. einstieg in die arbeitswelt: 1 jahr grafiker in firma für idee, design u. repro, umfangreiche erfahrungen in reproduktions- und drucktechnik, tourismuswerbung, produkt- u. imagekampagnen. ½ jahr arbeitslos. 1980 fa. stiefelkönig/werbeabteilung – interessante, aber stressige tätigkeiten wie: gestaltung, layout u. druckvorlagen diverser printmedien (kataloge, titelseiten u. inserate in tageszeitungen, prospekte etc. für die bereiche schuhe, sportartikel u. mode). breit angelegtes betätigungsfeld: d.h. koordination und organisation von der idee bis zum fertigen produkt., damals noch ohne computerunterstützung (handmade), zu beginn meiner berufsausübung wurde gerade der altbewährte bleisatz (linitype) vom fotosatz abgelöst. Intensive zusammenarbeit mit diversen branchenverwandten betrieben: fotostudios, druckereien im in- und ausland, modellen, agenturen, satzstudios, zeitungen u. magazinen, reprotechnikern. kreativität unter enormem zeitdruck...wofür? obskure momentaufnahme: ich spritze mit einem feuerlöscher am dachsteingletscher herum. warum?: ich muss ein bisschen nachhelfen, um das vom saharasand rötlich und von den luftverunreinigungen russig gefärbte eis weiß erscheinen zu lassen und färbe den von mir und dem fotografen ausgesuchten szenenbereich mit dem weißen schaum ein.

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im verdutzten blick des models, das die neuesten wintersport-klamotten ansprechend präsentieren soll, merke ich, dass es diesmal anders ist und sie uns! für nicht ganz voll nimmt! erinnerung ans voksbularlexikon: layout, etc: = erscheinungstermin, marketing, sujet, strategie, zielgruppe, andruck, freistellen, fototermin, farbabstimmung, auflage, offset, fließtext, headline, display, pr, schnellschuss, gestern fertig... ...bis es bei den ohren wieder rauskommt! burned out. (beinahe!) ich stelle mir öfter die sinnfrage. nachdem das leben in der stadt nicht unseren vorstellungen entspricht, beabsichtigen wir uns ein haus oder eine kleine landwirtschaft zuzulegen. frühjahr 81: suche, besichtigung und schließlich ankauf von kleinem restaurierungsbedürftigen bauernhaus (hube) mit landwirtschaftlichem grund. 17.06.81 re und ich heiraten in graz (1 gast). 13.08.81 carla wird geboren - ein großer moment, ein großer schritt für das weitere leben! in ermangelung einer geburt-szene in einem film, den ich einige jahre zuvor begonnen hatte, dokumentiere ich die geburt mit super8-lsmera auf stativ + ton. (irgend wann zeige ich carla den film.) wir ziehen vorübergehend ins haus meiner mutter am land. unter der woche pendle ich nach graz. unser baby wird von einem fieberkrampf, an dem es zu ersticken droht, überwältigt - ich reagiere spontan und halte es unter die kalte dusche. an den wochenenden beginn der restaurierung des gekauften bauernhauses, was sich als langfristige aktion heraus stellt, die eigentlich bis heute noch nicht abgeschlossen ist. gärtnerische tätigkeiten. im laufe der zeit nimmt das interesse an der landwirtschaft und am elementaren umgang mit erde, pflanzen u. tieren zu. Experimentiergeist, erfolgserlebnisse, aber auch versuch und irrtum ermutigen uns, neue formen der landwirtschaft zu erforschen und zu erproben. unfall mit der hobelmaschine - 14 tage krankenhaus, eine zehe ist seitdem etwas kürzer. wir versuchen schrittweise strukturen zu schaffen, was sich als sehr mühselig erweist, weil es an grundsätzlicher ausrüstung, maschinen und werkzeug mangelt. (wie glücklich kann sich einer schätzen, der einen hof mit den vorhandenen maschinen und ein bisschen infrastruktur übernimmt!) mit der zeit gelingt es immer besser, uns mit dem notwendigsten zu behelfen. verschiedene >low techhinter sich< zu haben und ermutigt durch den zuspruch enger freunde. (gerhard, der genosse; dolly (+), die geschätzte kollegin.) ich spüre eine art metamorphose - und es fällt mir schwerer und es erscheint mir verschwenderisch, meine kreative fantasie an >billigen dingenmutzerl< gerufen. 1987: mitgründung des vereins zur förderung der lebensqualität >erde< 14.3.89: adam felix wird geboren. routiniert, wie re und ich es gewohnt sind, solchen situationen ins auge zu blicken, lassen wir keinen stress aufkommen, um nach graz ins sanatorium aufzubrechen. er lässt es sich nicht nehmen und will partout während der fahrt im dichten nebel aus seiner mutter raus. er erblickt um mitternacht das licht der welt auf dem beifahrersitz unseres pkw. ein wunderbares erlebnis. Ich nutze die einzigartige gelegenheit und trenne mutter und kind, indem ich die nabelschnur mit den zähnen durchbeisse. (homage an die native praxis vorindustrieller zeit.) + dieser freie platz steht für alle tätigkeiten, die ich noch hätte machen sollen285 (unterlassungssünden). 2. momentane tätigkeiten aus der heutigen sicht betrachtet hat sich im biolandbau vieles weiter entwickelt und vielleicht nicht immer in die gewünschte richtung, aber es entsteht ein neues bewusstsein und nicht nur akzeptanz sondern sogar ein bedürfnis in breiterer ebene, und abgesehen von der unzulänglichkeit der politisch verantwortlichen bzw. lüge, mit der ökologisch orientierte heute noch leben müssen, wird man zwar nicht mehr als bio-spinner klassifiziert, aber dennoch missbraucht. (siehe: präsentation österreichs als bioinsel in der eu unter angabe des höchsten biobetriebe-anteils u. gleichzeitig kürzung der förderungen oder ausgleichszahlungen bzw. tendenzielle politik in richtung profitmaximierung und somit industrieller landwirtschaft). dennoch: hut ab!?...man möchte meinen, bio ist hip. nun gut, ich spüre jedenfalls eine positive entwicklung, die legitimation und integration betreffend, und es ist ein gutes gefühl, wenn man sich u.a. mit seinen nachbarn relativ vorurteilsfrei über ökologischen landbau und artgerechte tierhaltung unterhalten kann. + seis wies sei, stirbts ross, bleibts heu! die >mission< wird fortgesetzt. teilweise wendet sich sogar das blatt und ich werde um rat und auskunft oder hilfe gefragt, wobei die grenzen zwischen ausgenutzt bzw. abgecheckt werden und mit vertrauen beehrt werden, fließend in einander übergehen. der jahreslauf bestimmt größtenteils den tätigkeitsbereich und den rhythmus. manche arbeiten bekommen rituellen charakter. die grundsätzliche einstellung, die essenz nicht an der oberfläche zu suchen, hat sich mittlerweile verinnerlicht. 285

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den sommer über heu machen, um die tiere gut über den winter zu bringen. im herbst die verschiedensten feldfrüchte einbringen, einlagern und teilweise weiter verarbeiten z.b: div. Fruchtsäfte pasteurisieren und abfüllen, die dann das ganze jahr über an gastronomie u. ürivatkunden verkauft werde; marmeladen bereiten, das gemüse einlegen, früchte einmaischen, um im winter daraus schnaps zu brennen usw. In bestimmten abständen - übers jahr verteilt - schlachte ich lämmer und verkaufe sie teils küchenfertig zerlegt und verpackt an stammkunden mit qualitätsbewusstsein. Altschafe, die im herbst aus der ca. 50-köpfigen herde ausgemustert werden, ergeben eine köstliche salami und wunderbare, vielseitig verwendbare felle. das schaf bewährt sich als relativ anspruchsloses tier, von dem vielfältige produkte gewonnen werden, die sich als sehr nutzvoll erweisen und viel freude bereiten können. es ist relativ anspruchslos - es braucht aber genau so betreuung wie jedes andere tier auch und wer sie als lebende rasenmäher dahinvegetieren lässt, wird leidvolle erfahrungen machen. 1991: der erste schafmarkt wird zusammen mit freunden veranstaltet - vielfältiges vom schaf und von der ziege erfreut leib&seele. + alles, was schneller geht wie ein ochs, ist ein glump286 zwischendurch sind immer wieder defekte maschinen im mittlerweile angewachsenen fuhrpark zu reparieren, was sehr zeitaufwändig und teuer sein kann. es kann einen gut stressen, wenn mitten in der heuernte eine maschine streikt und eventuell kurz darauf eine andere die heupresse hat verspätung und ein gewitter zieht auf! jetzt bin ich wieder abhängig und ausgeliefert, was ich eigentlich hasse, aber die faktoren, die einem das leben auf dem land schwer zu machen scheinen, kann ich leichter akzeptieren als diverse hirnwichsereien - entsprungen aus kranken köpfen. + wenn du jammern willst - kauf dir zu kleine schuhe! 1994: erstmals offizielle deklaration als biobetrieb, nachdem ich von den verbandsstrukturen nicht überzeugt bin, entschluss zum codex-betrieb. 1995: nein zur eu. gemeinschaftliche produktion und vermarktung von bio-lebensmitteln in tirol, wien und graz. etwa 20 höfe mit breiter produktpalette sind einbezogen, es kommt sehr gut an, ist aber ein sehr aufwändiges, risikoreiches und anstrengendes unterfangen. der kundenstock erweitert sich stetig und es wird erforderlich, einen lkw für die zustellung anzuschaffen. 2000: wieder ein schafmarkt. nachdem sich für mich herausstellt, dass zu viel auf der strecke bleibt, beende ich die kooperation mit meinem partner und ziehe es vor, wieder regional zu vermarkten. 17.6.01: 20. hochzeitstag? tage wie dieser werden ev. bewusst nicht gefeiert, vielleicht weil jeder die innere gewissheit hat, für einander bestimmt zu sein, um den weg gemeinsam zu gehen, oder... 21. 10. 01: ich beobachte die ziegen, die in der nähe nur die besten blattspitzen aussuchen und die genügsameren pferde und rauche eine filterlose gaulloise. das mag einen recht idyllischen eindruck vermitteln - zu recht. insider wissen aber, welche konsequenz und knochenarbeit dahinter steckt, einen hof von grund auf zu erwirtschaften und mehr oder weniger erfolgreich zu führen. sie wissen auch, welche opfer es fordert und was alles auf der strecke bleibt. ein patzen motivation ist voraussetzung! + die vision ist der antrieb die arbeit mag noch so hart sein - entscheidend dabei ist, dass man sich selber dafür entschieden hat und dass man auch freude daran findet! mitunter kann es auch recht hilfreich und motivierend sein, wenn man sich daran erinnert, dass laut wissenschaftlicher erkenntnis die wichtigste errungenschaft der menschlichen evolution die heuernte ist. ich muss gestehen, dass ich mich dieser nachricht mit einem spitzen lächeln entsinne besonders wenn ich schweißtriefend auf der gstettn (steiler hang) mein individuelles 286

HK: unbrauchbares, unnützes ding...

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fitnessprogramm vollziehe und es mir gleichzeitig gelingt, diese theorie ernst zu nehmen. der absurd anmutende widerspruch, einerseits gesunde produkte zu produzieren und andererseits sich dabei zu verschleissen, wird (zum glück) meistens verdrängt. herbst ists, und wir versuchen, die heurige apfelsaft-produktion zu bewältigen. Eine unmenge an handgriffen und koordinationsgeschick sind erforderlich, um zum ziel zu kommen. es steht auch dringend an, drei ha land für die schafe und pferde einzuzäunen, den traktor, den pablo der >woofer287< aufs dach gedreht hat, zu reparieren - und mit einem auge habe ich das nächste projekt, das dringendst zu vollenden ist, fixiert, das stallgebäude noch vor dem winter fertig zu bauen: sozusagen eine spezialität mich nicht zu spezialisieren (!), eine art von permakultur im kopf oder paralleltango. vokabular-lexikon: schafe scheren, einstreuen, ausmisten, schlachten, heu pressen, reparieren, etikettieren, abfüllen, äpfel klauben, schafe umkoppeln, weide nachmähen, füttern, melken, pferde auf die weide bringen, reitstunde, biokontrolle, apfelsaft liefern, aik... ich bin dabei, die >zeit zu nützen< - zeit als bestimmender faktor (es gibt anscheinend nicht genug davon - hihi) entweder, weil ich mich selbst permanent unter druck setze, um das breit gefächerte arbeitspensum zu bewältigen, oder es nicht gut genug verstehe zu >managenout-sourcing< habe ich eigentlich keine gut beziehung, weil die erfahrung zeigt, dass sehr viele arbeiten in unserem tätigkeitsbereich nicht vergeben werden können, weil sie zu diffizil sind, fingerspitzengefühl und flexibilität, aktion und reaktion erfordern bzw. eine komplexität haben, die nicht so leicht von außenstehenden zu durchschauen ist. es sind oft kleinigkeiten, die einen reibungslosen ablauf gewährleisten und über gedeih und verderb entscheiden...und viele kleinigkeiten ergeben dann irgend wann ein >ganzesich wünsche mir weniger< sagte ich vor einiger zeit, nackt - im schwülen dunkel einer schwitzhütte hocken, als es darum ging, einen innigen wunsch zu äußern. das gilt auch heute und wird mich auch in zukunft noch begleiten, wenn mir wieder mal bewusst wird, dass es eigentlich immer mehr und dichter wird und ich mir vorkomme, als müsse ich die gigantische gravitation des urknalls nachvollziehen. + es hat niemand gesagt, dass es einfach wird! (aus dem kfor-sprachschatz) >ich mach so weiter: breit gestreut, anspruchsvoll, zielbewusst, konzentriert, bestimmt und ruhig, mit konsequenz, spontaneität und kreativität, mit liebe und einer prise humor - bis sich der kreis schließt!> sagt der kleine biobauer, als er sich an die bedeutung von >selffullfilling prophecy< erinnert. so viele relevante aspekte wie möglich mit einzubeziehen, qualität anstreben und versuchen, alles natural horsemanship< beschäftigen, mehr zu loben, wieder einmal in ruhe ein buch lesen, meine frau öfter zu küssen...und werweißwas noch? dieser raum bleibt frei für neue ideen, der fantasie sind keine grenzen gesetzt!288

288

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.......... small points 1. ein bilblischer befund ergibt für die arbeit: - der mensch ist mit seinem tun und lassen verantwortlich für die schöpfung. - gottloses tun trägt das signum von sinnlosigkeit und führt letztlich zum misserfolg. - für alle tätigkeiten ist eine gute ausgewogenheit von actio und contemplatio ein gewinn. - christInnen dürfen aus ihrem glauben heraus mit einem großen maß an gelassenheit an alle ihre tätigkeiten heran gehen. - begründung für regelungen in der arbeitswelt möge es sein, die güte in gottes souveräner gerechtigkeit289 in die welt hinein aufstrahlen zu lassen. - das menschliche maß, entschleunigung, einfachheit, heiterkeit, zufriedenheit können in die bewertung der qualität von arbeit in der zukunft verstärkt einfließen, wenn die neuen möglichkeiten gut genutzt werden. 2. mit welchem wort würdest du die botschaft jesu an die arbeit zusammen fassen? 3. zur tätigkeitsbiographie von herbert: nach welchen gesichtspunkten streben menschen berufliche neuorientierung an?

289

Vgl Mt 20, 1 - 16: Die Arbeiter im Weinberg

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3 Weniger haben, mehr sein * Der Weg zum Tun ist zu sein. Lao - tse "...wir nennen ein Glas blau, weil es das Blau gerade nicht in sich behält. Es ist nicht nach dem benannt, was es besitzt, sondern nach dem, was es her gibt."290 Das Symbol, durch das Fromm die Existenzweise des Seins am besten verdeutlicht sieht, verdankt er Max Hunziger: Ein Glas erscheint dem Betrachter blau, weil es alle anderen Farben absorbiert und sie nicht passieren lässt. Mit den Begriffen "Sein" und "Haben" meint Erich Fromm nicht irgend welche Eigenschaften eines Subjekts, wie sie etwa mit den Feststellungen "Ich habe ein Auto", "Ich bin weiß", "Ich bin glücklich" ausgedrückt werden. Fromm schreibt: "Ich meine zwei grundlegende Existenzweisen, zwei verschiedene Arten der Orientierung sich selbst und der Welt gegenüber, zwei verschiedene Arten der Charakterstruktur, deren jeweilige Dominanz die Totalität dessen bestimmt, was ein Mensch denkt, fühlt und handelt. In der Existenzweise des Habens ist die Beziehung zur Welt die des Besitzergreifens und Besitzens, eine Beziehung, in der ich jedermann und alles, mich selbst mit eingeschlossen, zu meinem Besitz machen will.291 In der Existenzweise des Seins müssen wir zwei Formen des Seins unterscheiden. Die eine ist das Gegenteil von Haben; Du Marais hat sie in seiner Erklärung beschrieben.292 Sie bedeutet Lebendigkeit und authentische Bezogenheit zur Welt. Die andere Form des Seins ist das Gegenteil von Schein und meint die wahre Natur, die wahre Wirklichkeit einer Person im Gegensatz zu trügerischem Schein".293 "Voraussetzungen für die Existenzweise des Seins sind Unabhängigkeit, Freiheit und das Vorhandensein kritischer Vernunft. Ihr wesentlichstes Merkmal ist die Aktivität, nicht im Sinne von Geschäftigkeit, sondern im Sinne eines inneren Tätigseins, dem produktiven Gebrauch der menschlichen Kräfte. Tätigsein heißt, seinen Anlagen, seinen Talenten, dem Reichtum menschlicher Gaben Ausdruck zu verleihen, mit denen jeder - wenn auch in verschiedenem Maß - ausgestattet ist.294 Fromm konstatiert, dass moderner Sinn nicht zwischen Tätigsein und Geschäftigkeit unterscheidet. Er stellt fest, dass Aktivität im üblichen Verständnis nur auf äußerliches Verhalten und nicht auf eine Person bezogen wird, die sich in einer bestimmten Weise verhält. Er selbst möchte zwischen entfremdeter und nicht entfremdeter Tätigkeit unterschieden wissen. Bei entfremdeter Tätigkeit erlebe ich mich nicht als Subjekt meines Handelns. "Im Grunde handle nicht ich; innere oder äußere Kräfte handeln durch mich."295 Vom Ergebnis meiner Arbeit bin ich getrennt. "Bei nicht entfremdeter Aktivität erlebe ich mich als handelndes Subjekt meines Tätigseins. Nicht entfremdete Aktivität ist ein Prozess des Gebärens und Hervorbringens, wobei die Beziehung zu meinem Produkt aufrecht erhalten bleibt. Die bedeutet auch, dass meine Aktivität eine Manifestation meiner Kräfte und Fähigkeiten ist, dass ich und mein Tätigsein und das Ergebnis meines Tätigseins, eins sind. Diese nicht entfremdete Aktivität bezeichne ich als produktives Tätigsein... Produktiv im hier gebrauchten Sinn bezieht sich nicht auf die Fähigkeit, etwas Neues oder Originales zu schaffen, es ist nicht gleichbedeutend mit der Kreativität eines Künstlers oder Wissenschafters. Es geht hier weniger um das Produkt meiner Aktivität als viel mehr um 290

Fromm, Haben oder Sein, 89 Vgl CA 36: „Nicht das Verlangen nach einem besseren Leben ist schlecht, sondern falsch ist ein Lebensstil, der vorgibt, dann besser zu sein, wenn er auf das Haben und nicht auf das Sein ausgerichtet ist.“ – GS 35: „Der Wert des Menschen liegt mehr in ihm selbst als in seinem Besitz.“ 292 Vgl Fromm, Haben oder Sein, 32f. - Fromm verweist dort auch darauf, dass er den Hinweis auf Du Marais Noam Chomsky verdankt. 293 Fromm, Haben oder Sein, 35 294 Fromm, Haben oder Sein, 89 295 Fromm, Haben oder Sein, 91 291

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deren Qualität. Ein Gemälde oder eine wissenschaftliche Abhandlung können sehr unproduktiv, das heißt steril sein; andererseits kann der Prozess, der in einem Menschen vor sich geht, der sich seiner selbst zutiefst bewusst ist oder der einen Baum wirklich sieht, statt ihn bloß anzuschauen, oder der ein Gedicht liest und die Gefühle nachempfindet, die der Dichter in Worten ausgedrückt hat, produktiv sein, obwohl nichts geschaffen wird. Produktives Tätigsein bezeichnet den Zustand innerer Aktivität, sie muss nicht notwendigerweise mit der Hervorbringung eines künstlerischen oder wissenschaftlichen Werkes bzw. von etwas "Nützlichem" verbunden sein. Produktivität ist eine Charakter - Orientierung, zu der jeder Mensch fähig ist, wenn er nicht emotional verkrüppelt ist. Der produktive Mensch erweckt alles zum Leben, was er berührt. Er gibt seinen eigenen Fähigkeiten Leben und schenkt anderen Menschen und Dingen Leben. Sowohl "Aktivität" als auch "Passivität" können zwei völlig verschiedene Bedeutungen haben. Entfremdete Aktivität im Sinne bloßer Geschäftigkeit ist in Wirklichkeit "Passivität", das heißt Unproduktivität. Hingegen kann Passivität im Sinne von Nichtgeschäftigkeit nicht entfremdete Aktivität sein. Dies ist heute so schwer zu verstehen, weil die meisten Arten von Aktivität >Passivität< sind, während produktive Passivität selten erlebt wird."296 An einer anderen Stelle fasst Fromm zusammen: "Das Ausbrechen aus der Existenzweise des Habens ist die Voraussetzung jeder echten Aktivität."297 Die Habenorientierung exkludiert andere Menschen und verlangt dem Besitzer keine Anstrengungen ab, von seinem Besitz produktiven Gebrauch zu machen. Habgier ist die natürliche Folge dieser Existenzform, eine Gier, die prinzipiell nie wirklich befriedigt werden kann. Wie der Wunsch nach Haben unersättlich ist, so stellen nach Peter Gross Optionensteigerung und Steigerung der Teilhabe eine "nie endende Triebkraft"298 dar. Realisierungsphantasien nach dem Motto "Was du denken kannst, kannst du auch tun" sind die Lokomotiven der offenen Gesellschaft, die Differenz zwischen Wirklichem und dem Möglichen fordert zum Überspringen auf, treibt die drifting people zu neuen - mitunter durchaus auch positiv zu bewertenden - Horizonten. Die Habenstruktur der Existenz und individualisierte Selbstverwirklichungsvorstellungen mit den ihnen impliziten Realisierungsbefehlen sind, einmal im Leben des Menschen etabliert, schwer aufzulösende oder zu überwindende Komplexe.

* Hover steigt um299 Aufgewachsen bin ich bei meinen Eltern und mit meinem älteren Bruder auf einer kleinen Landwirtschaft, wo es üblich war, dass Kinder und Jugendliche bei gewissen Tätigkeiten helfen, z. B. Stallarbeit, Heu - oder Getreidearbeit, Weinlese... 1957 verstarb meine Mutter, zwei Jahre später heiratete mein Vater wieder. Nach der Volksschule und der Hauptschule besuchte ich die Handelsakademie, wo ich 1972 maturierte. Ich arbeitete anschließend bis 1977 auf einer Raiffeisenkasse in einer Kleinstadt in der Nähe meines Heimatortes. Während dieser Zeit war ich zwei Jahre für die Milchabrechnung (ca. 60 Lieferanten) im Ort zuständig und ehrenamtlich in verschiedenen Funktionen der Pfarre tätig. 1975 absolvierte ich einen Dreimonatskurs der KSÖ in Wien für Politik, Wirtschaft und Sozialethik. 1977 entschloss ich mich, einen geistlichen Beruf zu ergreifen und schloss mich der Gemeinschaft der Salvatorianer an. Zunächst musste ich Latein und Griechisch nachlernen. und begann gleichzeitig mit dem Theologiestudium an der Universität in Graz. 1980/81 unterbrach ich das Studium für ein Jahr, um das Noviziat (Probe- und Ausbildungsjahr) in Passau (BRD) zu machen. 296

Fromm, Haben oder Sein, 91f Fromm, Haben oder Sein, 69 298 Gross, Multioptionsgesellschaft, 367. – Vgl zB auch: Drewermann, Moral, 522: „Wer das kapitalistische Wirtschaftssystem bejaht, der muss seine Maßlosigkeit akzeptieren.“ 299 Originaltext, anonymisiert 297

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1984 konnte ich das Theologiestudium in Graz abschließen und absolvierte ein Pfarrpraktikum (Hochschullehrgang Pastoralpraktikum). 1985 hatte ich die Priesterweihe in Graz und kam zunächst für zwei Jahre als Kaplan nach Wien X. Bezirk. Ich war hauptsächlich für Kinder- und Jugendarbeit zuständig und auch einige Stunden als Religionslehrer an einer Volksschule tätig. 1987 wechselte ich in eine andere Wiener Pfarre, wo ich neun Jahre mit ähnlichen Tätigkeiten betraut war. Zusätzlich war ich während dieser Zeit für die Finanzen und den Einkauf unserer dortigen Ordensniederlassung verantwortlich. 1996 wurde ich nach Graz versetzt, wo unser ehemaliges Internat in ein Studentenhaus umgebaut wurde. Ich war für die finanziellen Belange zuständig und war von der Diözese für die Jugendarbeit im Dekanat und als Mitarbeiter des Exerzitienreferates angestellt.. Außerdem wurden mir unsere damals vier Ordenskandidaten anvertraut. 1997 - 99 nahm ich an einer Exerzitienbegleitausbildung in Wien teil (9 Einheiten zu je 12 Tagen). Seit 1997 ist das Studentenhaus für 78 StudentInnen in Betrieb und erfreut sich guter Auslastung. Ich war zunächst noch für ein Jahr für die finanziellen Belange zuständig und bin seit 1998 verantwortlicher Leiter für das Studentenhaus und die örtliche Ordensniederlassung. So weit es die Zeit erlaubt, arbeite ich an der KHG - Graz mit, bin am Wochenende Aushilfsseelsorger und in der Exerzitienbegleitung tätig. Die Hauptarbeit ist am Studentenhaus, welches wir als Dreierteam leiten. Anfallende Tätigkeiten sind vor allem Bewerbungs- und Verlängerungsgespräche, Vorbereitung und Gestaltung von Hausversammlungen, wöchentliche Gottesdienste, Kontakte zu den Wohngemeinschaften und zu den einzelnen Studenten, Besprechungen mit Angestellten.. Derzeit ist vom Arbeitsbereich her nichts weiteres geplant und möglich. Ich habe mich für 2002/3 zu einem Kurs "Verantwortung in religiösen Gemeinschaften" angemeldet.

* Ihr könnt nicht beiden dienen, Gott und dem Mammon300 Wie Fromm eine Grundentscheidung des Menschen für die Existenzweise des Seins beschreibt als Voraussetzung jeder echten Aktivität des Menschen, so fordert Jesus eine Entscheidung der Menschen für Gott. Und er stellt Mammon, den Besitz, in den Gegensatz dieser Entscheidung für Gott. Durch diese strukturelle Gegenüberstellung wird der Mammon auch in bestimmter Weise personifiziert und seine Macht erscheint dämonisiert. Sich auf die Seite Mammons zu schlagen, bedeutet praktisch Götzendienst. Jesus verlangt verlangt dem gegenüber exklusiven Gottesdienst. Nur auf Gott kann man wirklich vertrauen, nur er ist zuverlässig. Der Mammon ist aber so mächtig, dass er tatsächlich in Konkurrenz zu Gott treten und das Herz und das Tun des Menschen versklaven kann. Der Mammon ist ethisch und moralisch nicht wertneutral.301 Es ist eine praktisch dualistische Sichtweise, die hier argumentiert wird. Und jeder möge für sich überprüfen, wie er es mit Gott und Mammon wirklich hält in seinem Leben, auf welche Ziele er seine Aktivität richtet und er möge Auswirkungen und Folgen betrachten.

* Ein Kontrapunkt302 ESSL: Bei mir kommt alles sehr stark aus einer christlichen, protestantischen Ethik heraus, wo man auch eine soziale, kulturelle und gesellschaftliche Verantwortung in dieser Welt zu erfüllen hat. OP: Gott und Geld - passt das zusammen? 300

Lk 16, 13; Mt 6, 24 - Anmerkung von EÜ zu Lk 6, 9: "Der ursprüngliche Sinn des hebräischen Wortes >Mammon< ist umstritten, vielleicht: das, worauf jemand vertraut, oder: Das Sichergestellte, Gesicherte. Es wurde dann zur allgemeinen Bezeichnung für Besitz und Geld. Im Neuen Testament wird es Mt 6, 24; Lk 16, 9. 11. 13 im abwertenden Sinn für die dämonische Macht des Geldes gebraucht." 301 Vgl Krüger, Gott oder Mammon, 27 302 Das Gespräch mit Karlheinz Essl führt Oliver Pink. Kleine Zeitung, 10. Dezember 2001, 18f

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ESSL: Im landläufigen Sinne nicht. Wenn man Wirtschaft mit krummen Sachen gleich setzt. Aber man kann auch einen Betrieb führen, der ordentlich und sauber strukturiert ist, wo die Mitarbeiter einen wichtigen Stellenwert haben. Das kann man alles aus der Bibel heraus lesen: >Liebe Gott und die Menschen< das sagt alles. OP: Ist der Protestantismus wirtschaftsfreundlicher als der Katholizismus? ESSL: Das hat auch Max Weber schon nachgewiesen. Wir im Protestantismus sehen die Verantwortung in dieser Welt. Gott stellt uns in die Welt hinein, nicht aus der Welt hinaus - in irgend welche Klöster. Die Menschen sollen etwas bewirken, mit dem, was Gott ihnen anvertraut hat, sei es nun der Verstand oder das Geld.

* Das Geräusch der Grille. Eine erhellende Erzählung303 Eines Tages verließ ein Indianer das Reservat... und besuchte einen weißen Mann, mit dem er befreundet war. In einer Stadt zu sein, mit all dem Lärm, mit den Autos und den vielen Menschen um sich - all dies war ganz neuartig und ein wenig verwirrend für den Indianer. Die beiden Männer gingen die Straße entlang, als plötzlich der Indianer seinem Freund auf die Schulter tippte und ruhig sagte. „Hörst du auch, was ich höre?“ Der weiße Freund des roten Mannes horchte, lächelte und sagte dann: „Alles, was ich höre, ist das Hupen der Autos und das Rattern der Omnibusse. Und dann freilich auch die Stimmen und die Schritte der Menschen. Was hörst du denn?“ „Ich höre ganz in der Nähe eine Grille zirpen“, antwortete der Indianer. Wieder horchte der weiße Mann. Er schüttelte den Kopf. „Du musst dich täuschen“, meinter er dann, „hier gibt es keine Grillen. Und selbst wenn es hier irgend wo eine Grille gäbe, würde man doch ihr Zirpen bei dem Lärm, den die Autos machen, nicht hören.“ Der Indianer ging ein paar Schritte. Vor einer Hauswand blieb er stehen. Wilder Wein rankte an der Mauer. Er schob die Blätter auseinander, und da - sehr zum Erstaunen des weißen Mannes - saß tatsächlich eine Grille, die laut zirpte. Nun, da der weße Mann die Grille sehen konnte, fiel auch ihm das Geräusch auf, das sie von sich gab. Als sie weiter gegangen waren, sagte der Weiße nach einer Weile zu seinem Freund, dem Indianer: „Natürlich hast du die Grille hören können. Dein Gehör ist eben besser geschult als meines. Indianer können besser hören als Weiße.“ Der Indianer lächelte, schüttelte den Kopf und erwiderte: „Du täuschst dich, mein Freund. Das Gehör eines Indianers ist nicht besser und nicht schlechter als das eines weißen Mannes. Pass auf, ich will es dir beweisen.“ Er griff in die Tasche, holte ein 50 – Cent – Stück hervor und warf es auf das Pflaster. Es klimperte auf dem Asphalt, und die Leute, die mehrere Meter von dem weißen und dem roten Mannt entfernt gingen, wurden auf das Geräusch aufmerksam und sahen sich um. Endlich hob einer das Geldstück auf, steckte es ein und ging seines Weges. „Siehst du“, sagte der Indianer zu seinem Freund, „das Geräusch, das das 50 – Cent – Stück gemacht hat, war nicht lauter als das der Grille, und doch hörten es viele weiße Männer und drehten sich danach um, während das Geräusch der Grille niemand hörte außer mir. Der Grund liegt nicht darin, dass das Gehör der Indianer besser ist. Der Grund liegt darin, dass wir stets das gut hören, worauf wir zu achten gewohnt sind.“

Flower in a crannied wall, I pluck you out of crannies, I hold you here, root and all, in my hand, Little flower - but if I could understand What you are, root and all, and all in all, I should know what God and man is. Tennyson304 303 Aus: Willi Höffsümmer, Kurzgeschichten 1. 252 Kurzgeschichten für Gottesdienst, Schule und Gruppe, Mainz ² 1991 304 zitiert aus: Fromm, Haben oder Sein, 28

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.… small points 1. tätiges sein bedeutet vielfältige bereicherung nicht nur des eigenen lebens. 2. die existenzweise des habens lässt den menschen stets unzufrieden zurück: nur einer kann am meisten besitz haben und der will immer noch mehr. 3. wenn meine aktivität die qualität produktiven tätigseins erreicht, erlebe ich sie und ihr ergebnis als eins. dann empfinde ich mich auch als eigenständig handelnde person. 4. hast du einen job oder bist du ein tätiger mensch?

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4 Franziskus hat Freude an High – Tech „Vor 4.000 Jahren in Ägypten und Assyrien war der Webstuhl die neueste technische Errungenschaft. Der Speer, das Rad, der Keil, der Flaschenzug waren alle einst High – Tech.“305 Wenn wir mit der Tech Encyclopedia den Begriff mit seinen Folgewirkungen betrachten, dann ist High – Tech heute: Server, Provider, Internet, Fax, Elektrizität, Autos, Hardware, Software, etc. Zukünftige Errungenschaften, Innovationen, Fortschritt - Kontrolle. Mit der Zeit wird aber aus High – Tech durch kulturelle Vertrautheit Low – Tech, oder, noch deutlicher ausgedrückt, High – Touch: Menschliche Emotion, Familie, das Lächeln eines Kindes, Freude, das Aufleben in der Natur, Liebe... Altmodische Technologien werden zu Sammlerstücken und zu Bezugspunkten für das Leben der Menschen. Sie erinnern an bestimmte Zeiten und Ereignisse, lösen Erinnerungen aus, rufen Gefühle wach... Dem gegenüber hat High – Tech noch keinen Bezugspunkt, birgt in sich jedoch die vielfach berechtigte Hoffnung auf ein leichteres Leben. Viele High – Tech – Produkte sind auch Spielsachen, die der homo ludens ausprobieren möchte und ausprobiert. Für John Naisbitt bedeutet die menschliche Sichtweise des „High – Tech. High – touch“ „aufgeschlossen für Technologien zu sein, die unser Menschsein bewahren, und solche abzulehnen, die darin eingreifen. Es heißt zu erkennen, dass Technologie ein nicht weg zu denkender Bestandteil der kulturellen Evolution ist, das schöpferische Produkt unserer Phantasien, Träume und Bestrebungen - und dass der Wunsch, neue Technologien zu erfinden, ein elementarer Instinkt ist. Doch es heißt auch, zu erkennen, dass Kunst, Geschichten, Spiel, Religion, Natur und Zeit gleichberechtigte Partner in der technologischen Evolution sind, denn sie geben der Seele Nahrung und erfüllen Sehnsüchte... Es heißt zu wissen, wann wir die Technologie in unserem Leben in die Schranken weisen müssen, um die Menschlichkeit zu bewahren. Es heißt zu verstehen, dass Technikgläubige genau so kurzsichtig sind wie Technikfeinde. Es heißt erkennen, dass die Technik im besten Fall menschliches Leben erhalten und verbessern kann und im schlimmsten Fall zu Entfremdung, Isolation, Verzerrung und Zerstörung führt... Es heißt zu wissen, wann man den Stecker einund wann man ihn ausstecken muss. Es heißt, ein menschliches Maß anzulegen. High – Tech. High – touch heißt, die Früchte des technischen Fortschritts zu genießen und dabei mit unserem Gott, unserer Kirche oder unserem Glauben in Einklang zu wissen. Es heißt, die Technologie durch die menschliche Linse von Spiel, Zeit, Religion und Kunst zu verstehen.“306 Naisbitt beschreibt also, wie high tech aus seiner Sicht durch Gewöhnung zu low tech wird und dass daraus high touch entstehen kann. Eine Entwicklung, die durchaus nachvollziehbar erscheint, wenn wir uns zB den Umgang jüngerer Menschen mit der neuzeitlichen Elektronik vor Augen führen - vom Taschenrechner und dem PC bis zum Internet und zum Handy: Geradezu spielerisch werden unermüdlich die Möglichkeiten der Informationstechnologie ausgelotet, manchmal durchaus auch in Versuch und Irrtum. Für diese Generation scheint high tech schon zu low tech zu werden. Die souveräne Handhabung dieser neuen Technologien durch die jungen Leute führt oft zu überraschenden und verblüffend einfachen und doch tragfähigen Lösungen von Problemen auch in der Arbeitswelt, wenn etwa Kommunikationswege verkürzt werden können. Gates schreibt zB: „Ich glaube, dass eine >Politik der offenen Tür< (in Unternehmen. HK) viel wichtiger als eine nicht hierarchische Struktur ist. Digitale Werkzeuge bieten die beste Möglichkeit, die Tür zu öffnen und Flexibilität zu schaffen. Abhängig von Bedarf oder Dringlichkeit können Informationen durch die Hierarchie befördert werden. Es ist möglich, sie direkt an die Spitze zu einer einzelnen Person oder einem Team an jeden beliebigen Ort zu übermitteln. Die Verantwortlichen müssen...den Mitarbeitern Werkzeuge geben, mit denen sie Informationen und notwendiges Wissen aus der ganzen Welt beschaffen können...In der Arbeitswelt beruht die Auseinandersetzung zwischen der zentralen Autorität und dem einzelnen Individuum auf dem Unterschied zwischen der alt gewohnten Theorie X, nach der 305 306

Naisbitt, High Tech, 34ff Naisbitt, High – Tech, 36

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Mitarbeiter faul sind und angetrieben werden müssen, und der Theorie Y, der zu Folge sie kreativ sind und mehr Verantwortung erhalten sollten. Digitale Prozesse unterstützen die Ansicht, dass Mitarbeiter mehr tun können und mehr tun werden, wenn ihnen die Möglichkeit dazu gegeben wird und man sie dazu ermutigt, selbständig zu denken und zu handeln.“307 Durch high tech können so Arbeitsabläufe vereinfacht werden. Der Erfolg in der Tätigkeit und damit die Arbeitszufriedenheit werden davon ebenfalls beeinflusst und können verbessert werden. Das „elektronisch vernetzte Kinderzimmer“ (Peter Struck) führt so gesehen die Kids in die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien ein, bereitet sie auch auf den Umgang damit in vielen möglichen zukünftigen Arbeitsfeldern vor. Negativ zu bewertende Begleiterscheinungen sind dabei allerdings nicht zu übersehen.308 Wenn Digitalisierung aber als Werkzeug zur Beförderung von mehr Freiheit, Eigenverantwortung und Kreativität verwendet wird und Arbeitsgänge abkürzen und vereinfachen hilft, vorhandenes Arbeitsleid lindert oder gar abschafft, die Arbeitswelt insgesamt humaner machen kann, dann steht ihrer weiter gehenden Verwendung natürlich nicht nur nichts im Wege, sie muss sogar gefordert werden. Giddens etwa schreibt mit dem Blick auf Einkommensunterschiede (in Großbritannien) und die Möglichkeiten einer technologischen Entwicklung: „Während es der großen Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung effektiv besser geht als vor zwanzig Jahren, verminderten sich die Realeinkommen der ärmsten um 10 Prozent. Daraus folgt aber nicht, dass sich diese Tendenzen notwendigerweise fortsetzen oder verschlimmern müssen. Der technologische Fortschritt ist unberechenbar, und es ist möglich, dass der Trend zu immer größerer Ungleichheit sich umkehrt. In jedem Fall sind diese Entwicklungen komplizierter, als sie auf den ersten Blick erscheinen.“309 „Einfach zu leben, ist wirklich kompliziert.“310 Das haben nicht nur die AussteigerInnen der Hippie – Generation erlebt, das erfahren auch ihre postmodernen NachfolgerInnen. Zum Beispiel in der US – amerikanischen Bewegung „Voluntary Simplicity“. Ihre AnhängerInnen lehnen strikt den dauernden Kreislauf von Arbeit und Konsum ab und betonen Spiritualität und Mitweltbewusstsein. 311 Auch „Home Automation“ – Systeme wie etwa in Bill Gates Haus in Puget Sound, Washington, hängen im Grunde ebenfalls dem Traum vom einfachen Leben nach. Allerdings versucht man da dieses Ziel mit Hilfe von high tech zu erreichen. Die Kaffeemaschine wird auf Zuruf - „Ich geh jetzt zur Arbeit“ - ein und aus geschaltet wie alle anderen elektrischen Systeme. Das Haus kann sich den Anschein geben, dass Menschen anwesend sind, auch wenn seine Bewohner sich auf Reisen befinden, indem es zB Fernseher zu bestimmten Zeiten in Betrieb nimmt. So schützt es sich selbst gegen Einbrecher... Alle diese Kinkerlitzchen (und viele weitere) dienen dazu, das Heim elektronisch auf den Lebensstil seiner BewohnerInnen abzustimmen und ihnen die Hausarbeit möglichst zu erleichtern. Auch Unternehmen scheinen sich auf einen Trip in Richtung „leichter leben“ zu befinden: In gnadenlosem Wettbewerb verkaufen sie jeden möglichen Grundbesitz, verschlanken ihr Inventar, indem sie vieles leasen, lagern Aktivitäten aus. Dass sie in diesem Prozess auch fix Angestellte frei stellen, mit golden hand shake verabschieden (= entlassen) und durch 307

Gates, Digitales Business, 431f Einige mögliche Problemstellungen: Prägt die Technik in einseitiger Weise den Inhalt? Steht eine „digitale Spaltung“ der Welt - in Internetuser und Menschen ohne Internet zB - vor der Tür? Gibt es in den neuen Werkzeugen Tendenzen zur isolierenden Anonymisierung und zum Verlust von Persönlichkeit? Betreibt digitales Wirtschaften eine „Winner – takes – it – all – Mentalität“? – Vgl auch: Barbara Freitag, Bilderflut im Kinderzimmer: Was tun die Kids im Netz? in: Kleine Zeitung, 22. November 2001,8f: Nach den Stichworten „Kommunikationskompetenz“ und „Medienkonvergenz“ schreibt Freitag etwa: „Aber die vermeintliche Überlegenheit (der Kids.HK) betrifft hauptsächlich die technische Anwendbarkeit...plädieren Pädagogen heute gern für erzieherische Konzepte, die Kinder zu bewusst Handelnden in einer Medienwelt machen.“ 309 Giddens, Der dritte Weg, 124 310 Erkenntnis der Modedesignerin Morgan J. Puett, die seit 1998 ihr publicityträchtiges und exponiertes Leben radikal einschränkt. Zitiert in: Naisbitt, High Tech, 46 311 Siehe: Naisbitt Das Komplizierte am einfachen Leben, in: Naisbitt, High Tech, 46f 308

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(momentan billigere) Leiharbeiter ersetzen, wo dies vorteilhaft erscheint, ist vom Standpunkt des Unternehmens und seines Managements im Sinne von Gewinnmaximierung und Aktienpflege nachvollziehbar. Indem sich Unternehmen vom immobilen Besitz befreien, können sie schneller und flexibler auf die Ansprüche der Märkte reagieren. „In der heutigen Geschäftswelt wird fast alles geliehen, was ein Unternehmen zu seinem Betrieb braucht.“312 Rifkin prophezeit, dass ein großer Teil der Unternehmen, aber auch der Konsumenten in 25 Jahren Eigentum für altmodisch halten wird. Access313, Zugriff, Zugang, lautet sein Stichwort. Das Streben nach Zugang, nach dem, was die neuen Netzwerke zu bieten haben, wird das Streben nach Eigentum, nach Besitz ablösen: In einer Welt, in der nichts Bestand, nichts Dauer hat, in einer Welt der permanenten Innovationen und der immer kürzeren Lebenszyklen von Produkten werden zwar niedrigpreisige und länger haltbare Dinge weiterhin gekauft werden. Autos und Häuser jedoch und andere teurere Objekte werden zunehmend von Anbietern gehalten werden, die zeitlich befristete Leasing – oder Mietverträge, Mitgliedschaften und andere Arten von Dienstangeboten feil halten und damit Zugang gewähren. Der Kapitalismus begann einst mit der Vermarktung von Raum und Material. Jetzt kommt er an sein Ende mit der Vermarktung der Zeit und der Lebensdauer von Menschen: Jegliche Art von Kultur wird zunehmend als zu vergütende menschliche Aktivität kommerzialisiert. Und das Ziel ist Fun. „Die Metamorphose der industriellen Produktion in einen Kultur vermarktenden Kapitalismus wird begleitet von einem gleichermaßen nachhaltigen Wandel der bisherigen Arbeitsethik in eine Spaß – und Spielethik. Kennzeichen des Industriezeitalters war die Vermarktung von Arbeit, im Zeitalter des Zugangs wird dies vor allem die Vermarktung des Spiels sein - das Marketing kultureller Ressourcen, etwa der Künste sowie von Ritualen, Festivals, sozialen Bewegungen, spirituellen Aktivitäten, Gemeinschaftserlebnissen und staatsbürgerlichem Engagements: all das in Gestalt bezahlter persönlicher Unterhaltung. Die Konkurrenz zwischen Kultur und Kommerz wird im neuen Zeitalter ökonomisch bestimmend sein: Es geht nun um die wirtschaftliche Kontrolle des Zugangs zu den vielfältigen Vergnügungen.“314 Über die Kosten, die Rifkin für diese neue Art des Umgangs mit den Dingen des Lebens schätzt, sagt der zweite Untertitel der deutschen Ausgabe klar: „Warum wir weniger besitzen und mehr ausgeben werden.“ Vertrauen, Empathie und Solidarität werden nach Rifkin durch Vertragsbeziehungen, durch Abonnements, Vorauszahlungen und Beiträge ersetzt werden. Damit hätte Franziskus dann sicherlich keine Freude.

* „Parallelentwicklungen“: John Naisbitt im Gespräch315 Kl: Wenn Sie die nächsten 18 Jahre sehen: Was erwartet uns? Naisbitt: Ganz ohne Zweifel wird die Gentechnologie eine enorme Revolution bedeuten. Man muss sich klar machen, dass wir den Weg begonnen haben, die Evolution der Menschheit selbst in die Hand zu nehmen. Selbst das Internet war vergleichsweise nichts revolutionär Neues. Statt >Man in the image of God< gilt dann >Man in the image of Maneine Welt mit einer Art Energie – Internet. Es besteht aus Brennstoffzellen – Autos, die mit einander verschaltet sind.< Über eine Milliarde Mark hat Daimler – Chrysler bereits in die Entwicklung der wundersamen Technik investiert, eine weitere Milliarde ist fest eingeplant. Ford, General Motors und Toyota fahren ähnliche Programme. Die Brennstoffzelle, bekennt Daimler – Boss Jürgen Schrempp, >ist die große Alternativevirtuelle Kraftwerke bilden. Ihre Energieausbeute wird wegen der gleichzeitigen Nutzung von Strom und Wärme phantastische 90 Prozent erreichen... In allen westlichen Industrieländern habe eine tief greifende Umorientierung begonnen, beobachtete Christopher Flavin, Vizepräsident des Washingtoner Worldwatch Indtitute. Unter dem Eindruck steigender Rohölpreise, drohender Klimagefahren und technologischer Durchbrüche bei Solar – und Wasserstoffnutzung wird wirtschaftlich attraktiv, was lange Zeit nur als Traum ökologischer Weltverbesserer galt: die Wende zu weniger Verbrauch und der Umstieg auf umweltgerechte schonende Quellen. >Nationen, die den Übergang zum neuen Energiesystem vorweg nehmen und sich jetzt richtig positionieren, werden eine Menge sozialer, wirtschaftlicher und ökologischer Vorteile erwerbenWildenholzUmweltsystemwissenschaften< sollen in der Lage sein, das Wissen aus mehreren Disziplinen unter Einschluss ihres eigenen Fachschwerpunktes einer globalen Gesamtbeurteilung zu unterziehen. Sie sollen,

325 aus: Frederic Vester, Neuland des Denkens - Vom technokratischen zum kybernetischen Zeitalter, dtv 1980, zitiert in: USW – Infoheft der Karl – Franzens – Universität Graz, Graz 2001 326 USW – Infoheft der KFUG, Graz 2001, 3

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gemeinsam mit anderen, Strategien zur Lösung und Vermeidung von Umweltproblemen entwickeln. • Wir erwarten Betätigungsfelder in allen Gebieten, in denen die AbsolventInnen der Fachschwerpunkte (das heißt als ChemikerInnen, GeographInnen, BetriebswirtInnen...) eingesetzt werden, wobei diese zusätzlich in der Lage sind, in folgenden Bereichen entscheidend mitzuarbeiten: • - Forschung und Lehre in umweltbezogenen Bereichen der Wissenschaft • - Beratung und Betreuung von Umweltschutzeinrichtungen bei Gemeinden, Bezirken, Ländern und Bund • - Leitung, Mitarbeit bei Forschungsvorhaben und Umweltverträglichkeitsprüfungen • - Mitwirkung bei Entwurf, Aufbau, Betrieb, Auswertung und Interpretation von Umweltbeobachtungssystemen • - Mitwirkung bei der Planung und Entwicklung umweltschonender Produkte und Produktionsformen • - Medienarbeit und Lehre an Schulen und Weiterbildungseinrichtungen - Mitarbeit in allen anderen Bereichen, in denen Fachwissen gepaart mit ökologischem Verständnis gefragt ist. • Darüber hinaus beinhaltet das Berufsbild auch Aufgaben des Projektmanagements außerhalb des Umweltbereiches.“327 Die Universität für Bodenkultur Wien bietet folgende Studiengänge an: Landwirtschaft, Landschaftsplanung und Landschaftspflege, Kulturtechnik und Wasserwirtschaft, Forst – und Holzwirtschaft, Lebensmittel – und Biotechnologie. Job – Aussichten für AbsolventInnen Lebensmittel – und Biotechnologie: „AbsolventInnen der Lebensmittel – und Biotechnologie sind auf Grund der Kombination der Disziplinen Chemie, Biologie und Technik breit ausgebildete Generalisten und in vielen Bereichen der Berufswelt zu finden. Sie erreichen oft Spitzenpositionen, wie etwa der frühere Vice President von Coca Cola International oder der derzeitige Vorstandsvorsitzende der Biochemie Kundl. Die Berufsaussichten sind sehr gut, derzeit ist die Nachfrage höher als das Angebot.“328 Job – Aussichten der AbsolventInnen Forst – und Holzwirtschaft: „Absolventen erwarten interessante berufliche Perspektiven. Forst- und Holzwirtschaft an der BOKU ist eine auch international angesehene Ausbildung. Unser Know how ist weltweit gefragt. So greifen etwa die Chinesen bei ihren Aufforstungsprojekten gerne auf österreichische Kompetenz zurück. An >Consultants made by BOKU< besteht national und international zunehmender Bedarf.”329 Job – Aussichten der AbsolventInnen Kulturtechnik und Wasserwirtschaft: „Das Berufsfeld der AbsolventInnen ist sehr vielfältig. KulturtechnikerInnen gelten als die >grünen< Bauingenieure, weil sie TechnikerInnen mit einer ganzheitlichen, umweltorientierten Betrachtungsweise sind.“330 Job – Aussichten AbsolventInnen Landschaftsplanung und Landschaftspflege: „Viele Absolventen sind in Architektur- und Raumplanungs – Büros für die >grüne Seite< zuständig.Ein großer Teil macht sich mit einem eigenen Planungsbüro selbständig.“331

327 328 329 330 331

USW – Infoheft der KFUG, Graz 2001, 6 Folder Lebensmittel- und Biotechnologie der BOKU Wien, 2001 Folder Forst- und Holzwirtschaft der BOKU Wien, 2001 Folder Kulturtechnik und Wasserwirtschaft der BOKU Wien, 2001 Folder Landschaftsplanung und Landschaftspflege der BOKU Wien, 2001

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... small points 1. schutz der mitwelt und beschäftigung sind keine einander widersprechenden ziele mehr: innovationen auf dem energiesektor setzen eine grüne jobmaschine in gang. 2. natur – und mitweltschutz bringen gute dauerhafte arbeitsplätze. 3. grüne studiengänge befördern hohe fachliche und vernetzte kompetenzen in die vermeidung und in die lösung von mitweltproblemen.

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6 In Wörgl wird das Geld abgeschafft Nach einer neuen Wörgler Kurzdarstellung ist das „Wörgler Freigeldexperiment“ so gelaufen: „Die große Arbeitslosigkeit des Jahres 1932 zwang die Gemeindeführung von Wörgl zu einer Initiative, die weltweit Aufsehen hervor rief. Unter der Führung von Bürgermeister Michael Unterguggenberger und im Zusammenwirken aller politischen Gruppen und der Pfarre wurden nach dem Denkmodell von Silvio Gesell332 an die von der Marktgemeinde beschäftigten Arbeitslosen Arbeitswertscheine ausgegeben. Auf diesen Scheinen war nach einem Monat ein Prozent des Wertes in Form von Marken zu kleben. Diese Maßnahme bewog alle, die Scheine sofort in Ware umzusetzen bzw. die Schulden bei den Kaufleuten damit zu begleichen. Die Kaufleute wiederum konnten ihre Steuern an die Gemeinde bezahlen und die Marktgemeinde war darauf hin wiederum in der Lage, ihre Hypothekarschulden abzudecken. Diese Arbeitswertscheine waren ausdrücklich kein Inflationsgeld, denn ihr Gegenwert wurde unter Bürgschaft des Pfarrers und des Vizebürgermeisters in der Bank eingelegt. Sie hatten die Aufgabe, das Wirtschaftsleben, das u. a. durch die Härte des Schillings weithin zum Erliegen gekommen war, wieder in Schwung zu bringen. Und im örtlichen Rahmen gelang dies innerhalb der neun Monate, in denen das Experiment umgesetzt wurde, erstaunlich gut. Nicht zuletzt wegen der Beispielswirkung - ca. 200 weitere Gemeinden Österreichs wollten folgen - wurde das Experiment vom Staat als Eingriff in die Rechte der Notenbank deklariert und 1933 untersagt. Stadt Wörgl. Innovativ - gestern und heute.“333 Der Zeitzeuge Prälat Franz Wesenauer brachte 1991 in einem Zeitschriftenartikel seine Sicht der Dinge so vor: „>Das Experiment von Wörgl.< Vorerst einige grundsätzliche Überlegungen zur Zinsfrage, die im wesentlichen einem 1937 von dem gelehrten Priester und Universitätsprofessor DDDr. Johannes Ude (Graz) in der Schweiz abgehaltenen Vortrag entnommen sind, der kürzlich in der Zeitung >FrakturEs ist unerlaubt, für die Überlassung des geliehenen Geldes ein Entgelt zu fordern, das usura (= Zins) genannt wird... Zins nehmen für geliehenes Geld ist in sich ungerecht.< An einer anderen Stelle (S. th. II.II. 78,1 ad 4) schreibt dieser große 332 Gesells (1862 – 1930) Lehre wird in: Creutz, Wachstum, Klappentext, so beschrieben: „Der Boden ist nach Silvio Gesell das gemeinsame Erbe aller Menschen. Er soll deshalb weder Handelsware noch Spekulationsobjekt sein, sondern der Gesellschaft als Ganzes gehören und von ihr den einzelnen Menschen zur Nutzung auf Zeit oder in Erbpacht gegeben werden. Die Bodenrente soll der Öffentlichkeit zufließen, denn was von der Natur gegeben ist, wie Boden, Bodenschätze, Erde, Luft und Wasser, darf nicht dem Einzelnen als Spekulationobjekt dienen. Das Geld muss so gestaltet werden, dass es der Gesellschaft lediglich als Tauschmittel dienen kann und den leistungsgerechten Austausch zwischen Menschen ermöglicht. Es darf nicht zur Ausübung wirtschaftlicher Macht oder zu spekulativen Zwecken missbraucht werden können. Der Zins wird in diesem neuen Geldsystem um null pendeln, damit die Menschen weder in der Dritten Welt noch in den Industrieländern über die >ferngesteuerten Raketen der Zinssätze< ausgebeutet werden können. Der unaufhörliche Strom von Zinsen und Zinseszinsen aus den Taschen der Armen in die Kassen der Reichen muss aufhören. Mit Gesells kontrollierter, utopisch scheinender Geldordnung könnte die Konjunktur verstetigt und die Arbeitslosigkeit abgebaut werden. Der von unserem Zinseszinssystem ausgehende Zwang zu Profit und krebsartigem Wirtschaftswachstum würde vermindert und so unsere Umwelt grundlegend geschont. Gesells Hauptwerk heißt >Die natürliche Wirtschaftaordnung< und der Vorläufer trägt den Titel >Die Verwirklichung des Rechtes auf den vollen Arbeitsertrag durch die Geld- und Bodenreform< Er beschreibt in seinem Werk die Ordnung in Freiheit ohne Kapitalismus und soziale Gerechtigkeit ohne Marxismus-Kommuniusmus. Sie bedeutet einen alternativen >Dritten WegDass man für ein verbrauchtes Darlehen keinen Gewinn verlangen darf, ist eine strenge sittliche Vorschrift.< Diese Ausführungen werden uns sicherlich nachdenklich stimmen. Wenn wir heute mit offenen Augen um uns blicken, so sehen wir deutlich, dass uns der Zins kaputt macht. Er ist ein Leiden für die ganze Welt. Mit dem Zinswucher geht der Wohnungswucher, Grundstückswucher usw. einher. Das >Experiment von Wörgl< (auf das nun gleich eingegangen wird) wäre für die Zukunft eine Möglichkeit, dem Zinswucher mit allen seinen negativen Folgen, der nichts anderes ist als systembedingter Betrug, wirksam zu begegnen. Das >Experiment von Wörgl< war folgendermaßen: Der Bürgermeister von Wörgl, Unterguggenberger, war Mitglied der so genannten >FreiwirtschaftDas Emissionsrecht von Banknoten hat nur die Nationalbank und nicht auch die Raiffeisenkasse WörglWörgler Experiments< durch Finanzminister Dr. Kienböck verlautbart wurde. Immerhin hat dieser Versuch weltweites Interesse ausgelöst. So kam später einmal der franz. Ministerpräsident Daladier nach Wörgl und auch der dt. Reichsminister (Finanzen) Funk hat sich eingefunden. Hitler war im Kommen und man wollte wissen, wie man einen Krieg finanziert. Von Amerika wurde später Hitler mit Milliarden Dollar Zinsgeld geholfen.

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Es gibt ein französisches Gedicht mit der schweren Anklage, in Wörgl hätte man gelernt, wie man einen Krieg finanziert. Das Gegenteil ist der Fall. Was im Jahre 1934 (Bürgerkrieg) geschah, wurde auch von Wien erzwungen. Dafür getraue ich mich einen Eid zu leisten. Prälat Franz Wesenauer.“334 Am 5. Juli 1932 hatte der Wörgler Bürgermeister Michael Unterguggenberger bei einer Sitzung des örtlichen Wohlfahrtsausschusses, bei der die Durchführung des Schwundgeldexperimentes beschlossen wurde, die folgende Rede gehalten: „Langsamer Geldumlauf ist die Hauptursache der bestehenden Wirtschaftslähmung. Das Geld als Tauschmittel entgleitet immer mehr den Händen der schaffenden Menschen. Es versickert in den Zinskanälen und sammelt sich in den Händen weniger Menschen, die das Geld nicht mehr dem Warenmarkt zuführen, sondern als Spekulationsmittel zurückhalten. Da das Geld ein unentbehrliches Rad in der Produktionsmaschine ist, bedeutet die Ansammlung von großen Summen in wenigen Händen eine ungeheure Gefahr für den Produktionsbetrieb. Jede Geldstauung bewirkt Warenstauung und Arbeitslosigkeit. Unsicherheit in den Wirtschaftsverhältnissen macht den Geldbesitzer ängstlich, er gibt das Geld nicht mehr oder sehr ungern aus der Hand, er misstraut jeder Geldanlage. Der Geldumlauf wird so verlangsamt, der Gesamtumsatz an Ware und Leistungen schrumpft ein und der Lebensraum der Menschen im Wirtschaftsgetriebe schwindet. Bleibt es in der bestehenden Form, so lähmt es die Ernährung des Volkes, Friede und Wohlstand werden zerstört. Ganze Völker und Staaten werden dadurch vom Untergang bedroht. Da von hier aus die Welt nicht befreit werden kann, wollen wir wenigstens ein Zeichen geben. Das träge und langsam umlaufende Geld der Nationalbank muss im Bereich der Gemeinde Wörgl durch ein Umlaufmittel ersetzt werden, welches seiner Bestimmung als Tauschmittel besser nachkommen wird als das übliche Geld. Es sollen Arbeitsbestätigungen in drei Nennwerten zu 1, 5 und 10 Schilling ausgegeben und in Umlauf gesetzt werden. Die Gemeinde wird das tun, und die Privaten sollen gewonnen werden, die Arbeitsbestätigungen zum vollen Nennwert zu kaufen und in Zukunft möglichst alle Zahlungen in der Gemeinde damit zu leisten. Um das wirtschaftliche Leben in der Gemeinde wieder aufwärts zu bringen, sollen auch nach einem noch zu bestimmenden und aufzustellenden Plane öffentliche Arbeiten damit durchgeführt und bezahlt werden.“335 Der 1884 geborene Michael Unterguggenberger arbeitete bereits mit 12 Jahren in einem Sägewerk. Mit 15 zog er nach Imst und begann eine Mechanikerlehre, wobei er das Lehrgeld selbst aufbringen musste. Geselle geworden, begab er sich auf eine weite Handwerksbuschenreise vom Bodensee bis Galizien. In Schlesien lernte er organisatorische Formen der Arbeitervertretung kennen und trat dem Metallarbeiterverband bei. 1905 gelang ihm die Aufnahme in den Personalstand der österreichischen Staatsbahnen. Wörgl wurde sein beruflicher und privater Wohnsitz. Bald nach dem ersten Weltkrieg entfaltete er seine freigewerkschaftliche Tätigkeit und vertrat die Sozialdemokraten als Vizebürgermeister in Wörgl, wo er schließlich Bürgermeister wurde. In der Schwundgeldausgabe sah die Nationalbank eine Verletzung des Artikels 122 des Nationalbankgesetzes, wo ein Notenemissionsmonopol der Notenbank festgehalten ist. Am 15. September 1933 werden die letzten Arbeitswertscheine eingezogen. Während des Februaraufstandes von 1934 verhinderte Unterguggenberger zusammen mit Kooperator Franz Wesenauer blutige Zusammenstöße. Nach dem Verbot der Sozialdemokratischen Partei gab Unterguggenberger sein Mandat auf und absolvierte mehrere Vortragsreisen, um über den Schwundgeldversuch seiner Gemeinde Wörgl zu referieren. Im Dezember 1936 starb Michael Unterguggenberger in Wörgl.336

334

Franz Wesenauer, Das „Experiment von Wörgl“. Fotokopierter Zeitungsausschnitt. Seitenüberschrift „Magazin“ mit Datum: Sonntag, 19 Mai 1991. Geschickt von der Stadtamtsdirektion Wörgl. Sachbearbeterin Claudia Fill, Zahl: 361-5437/00 am 20. Dezember 2000 335 aus: Wörgler Rundschau, 20. Dezember 1995, 53 336 Lebenslauf von Michael Unterguggenberger nach: Wörgler Rundschau, 11. September 1974 (gezeichnet: HB-K), 6 und: 17. Jänner 1996, 12

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* NachfolgerInnen für Michael Unterguggenberger? Freigeld in Tirol: „Talent – Experiment“. Die Freigeld – Idee lebt: Seit einem Jahr läuft in Innsbruck eine Tauschbörse für Waren und Leistungen.337 „Fernsehmitbenutzung: Wer hat Satellitenfernsehen mit bester Tonqualität und lässt mit ab und zu Filme in französischer Sprache schauen?“ - „Biete Fahrradkurierdienste.“ - „Wer kann über Erfahrungen mit Petroleumöfen berichten?“ - „Biete Jonglierunterricht!“ - „Suche viele Hände und Beine für meine Übersiedlung Anfang Juli.“ Ausschnitte aus dem Kuriositätenkabinett der Marktzeitung des Talente – Experimentes in Innsbruck. 1995 wurde mit dem Aufbau des Tauschringes begonnen. Nach der Idee des Freigeldes werden Waren und Dienstleistungen bargeldlos angeboten. Das Talente – System will brach liegende Fähigkeiten und Ideen aktivieren und eine Alternative zum bestehenden Geldsystem aufweisen. Man geht davon aus, dass 80% aller Menschen durch das Geld – und Zinsumverteilungssystem benachteiligt sind. Man will also das Geld – durch ein leichter durchschaubares System ergänzen und damit auch Bewusstsein für bestehende Ungerechtigkeiten schaffen. Das Talente – Experiment will das versteckte Potential an Arbeitskraft, das wegen Geldmangel oft brach liegt, entfalten, um die Lebensqualität zu erhöhen“, sagt Initiator Michael Graf. Beim Talenteexperiment geht es darum, den Tauschwert des Geldes zu bewahren. Wobei „Talent“ in der Doppelbedeutung von Können und Währungseinheit verwendet wird: Abgerechnet wird über Computer, alle TeilnehmerInnen erhalten je ein Konto. Der Wert des Talentes orientiert sich nicht am Schilling oder einer anderen Währung, sondern an der Zeit. Als Richtlinie gelten 100 Talente pro Stunde. Der Verein übernimmt die Vermittlung von Leistungen und Waren, deren Wert sich die TeilnehmerInnen selbst aushandeln: Wie viele Talente gibt es für eine Stunde Rechtsberatung, wie viele für eine Stunde Rasen mähen? Auf ihren Konten verfügen die TeilnehmerInnen auch über bestimmte Überziehungsrahmen. Eine Marktzeitung informiert über angebotene Waren und Dienstleistungen. Das System arbeitet ohne Zinsen - eine Stunde bleibt eine Stunde. Es geht offen darum, sich auf die eigene Kreativität zu besinnen und Nischen zu entdecken, die in der Marktwirtschaft keinen Platz haben. Der Ertrag der Arbeit soll dem Menschen zufließen, der die Leistung tatsächlich erbringt. Das Geldsystem erzieht zum Gegeneinander, so wird argumentiert, das Talentesystem zum Miteinander. Dabei bleiben alle erbrachten Leistungen in einem für alle überschaubaren Wirtschaftsraum. Es soll jedoch kein organisiertes Schwarzarbeiterwesen daraus entstehen, sagen die InitiatorInnen. Um die Steuerbehörden auszuschließen, sollen die Geringfügigkeitsgrenzen nicht überschritten werden.

* Ein Gedicht338 immer größer werden die gewinne von wenigen immer größer werden die verluste von vielen immer größer wird das gegeneinander der vielen weil die wenigen dafür sorgen dass weiter nur wenige mehr haben als alle vielen zusammen helmut seethaler

337 Die Ausführungen über den Tiroler Talentetauschring folgen einem Artikel von Veronika Spielbichler, in: Wörgler Rundschau, 21. Februar 1996, 17 338 aus: Südsteirische Tauschzeitung, Nr 26, September 2001

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* Charta der Initiative Wissensnetzwerk339 Alle Personen, die am Aufbau eines Wissensnetzwerkes mitarbeiten, erkennen die folgenden Punkte als Basis ihrer Arbeit an: 1. Definition und Ziel: Ein Wissensnetzwerk besteht aus einer losen Gruppe von Personen, die untereinander ihr Wissen, Können und ihre Erfahrung austauschen. Diese Austauschprozesse werden begleitet. Ziel eines Wissensnetzwerkes ist das Aufbauen von Beziehungen zwischen den TeilnehmerInnen und gleichzeitig das Stärken des individuellen Selbstwertgefühles. 2. Basis: Basis eines Netzwerkes ist, dass jede/r TeilnehmerIn sowohl als AnbieterIn als auch als Nachfragende/r aktiv wird. Jeder Austausch im Wissensnetzwerk erfolgt unentgeltlich. 3. Begleitung: Die BegleiterInnen helfen den TeilnehmerInnen beim Formulieren von Angebot und Nachfrage so wie bei der Vereinbarung des Austauschinhaltes und der Methoden der Wissensvermittlung. Außerdem unterstützen sie die Reflexion der Austauschbeziehungen. 4. MitarbeiterInnen: Die MitarbeiterInnen in den verschiedenen Funktionen des Wissensnetzwerkes (Koordination, Organisation, Begleitung usw.) bekennen sich zu einer vielfältigen Gesellschaft und akzeptieren die verschiedenen Lebenswirklichkeiten der TeilnehmerInnen. Sie sind kommunikations – und teamfähig. Das Team der MitarbeiterInnen stellt durch regelmäßige Reflexionen die Weiterentwicklung der Kompetenzen und Methoden, die für das Wissensnetzwerk notwendig sind, sicher. 5. Individuelle und kollektive Dimension: Jede/r TeilnehmerIn kann nach seiner/ihrer eigenen Entscheidung in allen Funktionen des Netzwerkes tätig werden. Die kollektive Dimension des gesamten Wissensnetzwerkes wird durch gemeinsame Aktivitäten für alle TeilnehmerInnen erlebbar.

* SUCHE340: Beratung bei Berufseinstieg, Bewerbungen, Lebenslauf, Tests, Vorstellungsgesprächen Architekturberatung Bauholz, Brennholz Handwerklich begabte Hilfe für diverse Restaurierungsarbeiten Kachelofenbauer Kinderbetreuung Hilfe für Weingarten- und Waldarbeiten Biologische Fleischprodukte, Getreide Scheibtruhe, dringend, auch rostig und verbeult, Hilfe!!! Holzarbeit, Garten umstechen: März - April Mitbewohner (männlich) für mein Landhaus in NN Biobehandlung Massage allgemein Ich suche jemanden, der mir Tai chi beibringt ? Suche jemand, der mir das Weben beibringt - Webstuhl, liegend, ist vorhanden Hilfe im Haushalt 339 Flugblatt. Herausgeberin: Martina Grötschnig, Verein zur Entwicklung und Förderung von Netzwerken zum Austausch von Können, Wissen und Erfahrung, Graz oJ 340 Originalzitate aus Tauschzeitungen, anonymisiert

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Maurerarbeiten Fallweise Betriebshelfer Fachfrau für EDV - Installationen

* BIETE:341 Schlosser- und Schmiedearbeiten, auch Pferde beschlagen Übernehme einfache Näharbeiten und diverse Ausbesserungen Übernehme Schreibarbeiten am Computer und helfe bei der Arbeitnehmerveranlagung Englisch, Französisch und Deutschnachhilfe Klavierstimmen, Beschallen von Räumen Schafwollpolster und –decken, Schafwollunterdecken Med. Fußpflege, Bachblütenberatung Haareschneiden, Putzhilfe und Kinderbetreuung mit Voranmeldung Übernachtungsmöglichkeit in Wien für max. 4 Personen gegen jeweils 100 Talente Akkupunktmassage nach Penze Hatha – Joga – Kurs Altsteirer Hennen und Hähne Body Harmony und Energiearbeit nach Dr. Jaffe Ich mache Schmuck aus Metall: Fertigstücke oder auf Wunsch Maßanfertigungen Biete Mithilfe in verschiedenen Zimmermannstätigkeiten Elektronik Ich filme dein Fest, dein Haus, deine Werkstatt, deine Botschaft etcetc und du bekommst die fertige Videokassette Professionelle Werbegrafik, Scannen und Bildbearbeitung, Computerausdrucke, Siebdrucke

* Osama, der Sanfte342: Keine gebratene Ameise Geburtsjahr 1961. Frühere Ausbildungen: AHS – Matura, halbes Studium der Elektrotechnik, nach Abbruch medienkundlicher Lehrgang der Uni Graz, wiederum Abbruch, diesmal gezwungenermaßen, da der Lehrgang nicht mehr weitergeführt wurde. Dann noch 1 Semester Arabisch. Später verschiedene handwerkliche Tätigkeiten, wie Spenglerarbeiten, Arbeiten mit Holz, Elektroinstallationen und Kunsthandwerk. Einige Jahre Mithilfe und Aufstellen diverser Kunstgegenstände bei steirischen Landesausstellungen. Außerdem Tätigkeiten im landwirtschaftlichen Bereich wie Vermarktung selbst produzierter Getränke und Schafschur. Nebenbei möglichst große Selbstversorgung mit Gemüse und Früchten aus dem eigenen Garten. Jedoch bin ich bei allen diesen Arbeiten nie ein so genanntes „normales“ Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eingegangen, welches mir schon immer dubios erschien. Auch Engels hatte einst schon kritisiert, dass eigentlich der Arbeitnehmer derjenige ist, der die Arbeit gibt, und der Arbeitgeber der, der sie nimmt und dafür Geld gibt. Ich habe immer versucht, möglichst viel nicht über den Umweg des abstrakten Geldes zu erreichen, sondern diejenigen Arbeiten zu verrichten, die meine Bedürfnisse direkt befriedigen. Die Möglichkeiten nütze ich auch als Mitglied des südsteirischen Tauschvereines. Die Mitglieder treffen sich zum monatlichen Tauschfest, das jedes Mal bei einem/er anderen Gleichgesinnten stattfindet. Dabei gibt es die Möglichkeiten des Austausches materieller Güter genau so wie von Arbeitszeit oder verschiedenen Dienstleistungen. Als neutrale Währung gibt es so genannte „Talente“, weil es ja oft vorkommt, dass jemand keinen Gegenwert zu dem von ihm Begehrten bieten kann. Dabei ist ein Talent unter Tauschenden

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Originalangebote aus Tauschmarktzeitungen, anonymisiert Originaltext. Vom Textautor gewähltes Pseodonym.

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so viel wert wie ein Schilling, allerdings ohne jedwede Zinspolitik! Ein anderer wichtiger Punkt bei diesen Treffen ist der soziale Austausch, ja vielleicht sogar der wichtigste. Über zukünftige Tätigkeiten kann ich noch keine Aussagen machen, was sie konkret sein werden; doch will ich versuchen, zu umreißen, welche Aspekte mir dabei wichtig sind. Zuallererst müssen solche Tätigkeiten für mich selbst sinnvoll sein und am besten Freude und Spaß bereiten. Mit Sinn meine ich, dass solche Tätigkeiten nicht nur materiellen Gewinn abwerfen ohne Rücksicht auf Folgen, sondern auch andere Werte haben sollen wie zum Beispiel Wachstum meiner eigenen Persönlichkeit. Das setzt für mich voraus, dass solche Arbeiten ein Teil meines Lebens sein müssen, der mit allen anderen Lebensaspekten ein sinnvolles Ganzes bildet. Sonst ist für mich jede Selbstverwirklichung bei der Arbeit ausgeschlossen (und damit sind solche Arbeiten nur mehr sehr bedingt „gebbar“). Ein weiter Aspekt ist für mich in der Verantwortung, womit ich besonders eine in die Zukunft gerichtete Verantwortung meine. Ich als - durch meine Tätigkeiten - menschlicher Verursacher muss die Verantwortung für die Konsequenzen meiner Tätigkeiten tragen können. Genau das bringt auch Sinnhaftigkeit (s. o.). Ich meine damit eine Verantwortung, der sich die Marktwirtschaft in vielen Bereichen nicht stellt, so lange ihr ganzes Tun nur auf ökonomische Ziele wie Produktivitätssteigerung und Profitorientierung ausgerichtet ist. Allgemein wichtig wäre hier wohl, zu erkennen, dass alles mit einander in Beziehung steht nicht nur im „globalen Dorf“ - sondern auch in Wirklichkeit. Die Welt als unteilbares Ganzes zu erkennen - als Gesamtheit mit allen auf ihr existierenden Lebewesen. Das ist eine für mich inzwischen klar erkennbare Tatsache geworden, woraus sich die Forderung nach Verantwortung ergibt, damit sich außer der Idee des materialistischen Schlaraffenlandes nicht noch viel mehr als Illusion entpuppt. Wenn die Produktion von Gütern zur reinen Maschinenarbeit wird, sollte es doch möglich sein, das positiv auszunützen, indem man sich um jene Belange kümmert, zu denen Maschinen nicht fähig sind - wie eben Verantwortung oder Entwicklung besserer menschlicher Beziehungen unter einander. Das erinnert mich wieder so an manche Tauschfeste, die zum Austausch jeder Art, nicht nur eines materiellen, geführt haben und außerdem oft großen Spaß bereiteten. Zum Abschluss möchte ich noch eine kleine Geschichte zum Thema „Arbeitsspaß“ zitieren, die 99 Jahre alt ist und an Aussagekraft auch heute noch einiges zu bieten hat: Die gebratene Ameise Bei den fleißigen Ameisen herrscht eine sonderbare Sitte: Die Ameise, die in acht Tagen am meisten gearbeitet hat, wird am neunten Tage feierlich gebraten und von den Ameisen des Stammes feierlich verspeist. Die Ameisen glauben, dass durch dieses Gericht der Arbeitsgeist der Fleißigsten auf alle Essenden übergehe. Und es ist für eine Ameise eine ganz außerordentliche Ehre, feierlich am neunten Tage gebraten und verspeist zu werden. Aber trotzdem ist es einmal vorgekommen, dass eine der fleißigsten Ameisen kurz vorm Gebratenwerden noch folgende kleine Rede hielt: „Meine lieben Brüder und Schwestern! Es ist mir ja ungemein angenehm, dass ihr mich so ehren wollt! Ich muss euch aber gestehen, dass es mir noch angenehmer sein würde, wenn ich nicht die Fleißigste gewesen wäre. Man lebt doch nicht nur, um sich tot zu schuften!“ „Wozu denn?“ schrieen die Ameisen ihres Stammes - und sie schmissen die große Rednerin schnell in die Bratpfanne - sonst hätte dieses dumme Tier noch mehr geredet.

.... small points 1. versuche teilweise oder weitgehend bargeldlosen wirtschaftens bleiben regional begrenzt und ein minderheitenprogramm. 2. moralische sensibilität gegenüber der geld – und zinswirtschaft bleibt angebracht.

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3. dabei sind die zusammenhänge zwischen geldwirtschaft und arbeit(slosigkeit) im auge zu behalten und bei individuellen und gesellschaftlichen entscheidungen zu berücksichtigen. 4. talentetausch ist talenteförderung. 5. was suchst du? was bietest du?

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* Überleitung: Ein Oscar der anderen Art343 Viele Wege führen zum Ruhm, und Titel und Würden kann man sich auf sonderbare Weise erwerben. Hauptsache, Rampenlicht! Es genügt, die größten Silikon – Einlagen spazieren zu führen oder ein schlechtes Beispiel als Raucher abzugeben, und schon ist man reif für die Talkshow oder eine Titelseite. Gern werden auch gute Esser prämiert; solche, die für einen Schlemmerabend den halben Monatslohn eines Arbeiters liegen lassen. Feinspitze eben. Auch schon gehört: Preise für tollkühnen Schwachsinn bei unsportlichen Mutproben oder die „Oscar“ – Verleihung an den Mann, der bei einem Wettsaufen als Letzter umfällt. Demnächst gibt es einen „Oscar“ der anderen Art: für freiwillige Helfer. Von diesen gibt es ein paar hunderttausend in Österreich, und typisch für sie ist zweierlei: Sie drängen sich nicht ins Rampenlicht. (Hätten auch keine Zeit für eitlen Schwachsinn.) Und: Ohne diese Leutchen täte der Staat an allen Ecken und Enden krachen. Warum machen diese Menschen das? Wegen Gotteslohn einerseits, aber durchaus auch aus sehr weltlichen Überlegungen: Das Lebensgefühl ist wahrscheinlich um einiges besser, wenn man ein bisschen etwas Sinnvolles getan hat, statt das ganze Wochenende im Beisl oder vor der Glotze zu verbringen.344 Vielen hilft der Verein gegen die Einsamkeit; neben dem „Heiratsmarkt Arbeitsplatz“ sind die „Freiwilligen – Clubs“ vermutlich Österreichs größte Liebesbörse. Es spricht also ziemlich viel dafür, sich irgend wo ehrenamtlich nützlich zu machen. Und es ist überfällig, dass man sich dabei endlich auch einen „Oscar“ holen kann. Kandidaten gibt es genug.345

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Marga Swoboda, Tag für Tag. Ein „Oscar“ der anderen Art, Kronenzeitung, 26. Juni 2001, 10 Khol, Bürgergesellschaft, 52, zitiert Bernd Marin mit: „Vereine bieten nicht nur Heimat, Geselligkeit, Dienste, (Selbst)Hilfe, Interessenvertretung, selbst parastaatliche Aufgaben an, sondern durch freiwilliges Engagement auch Freude, Befriedigung, Anerkennung, Erfolgserlebnisse, neue Erfahrungen, Qualifikationen, Selbstverwirklichung im Gemeinwesen - Lebenssinn jenseits bloßen Konsumierens.“ 345 Geehrt wurden von Außenministerin Ferrero – Waldner zum von der UNO ausgerufenen Internationalen Jahr des Ehrenamtes 2001: Karl Rigal von der Christoffel – Blindenmission, Renate Sowa vom Guatemala Solidaritätskomitee, Traude Novy von der Katholischen Frauenbewegung (Familienfasttag) – Orientierung, ORF 2, 2. Dezember 2001 344

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7 Die BürgerInnen gestalten ihre Welt Ehrenamt, Freiwilligenarbeit, Bürgerarbeit, bezahlt oder nicht bezahlt, belohnt oder entlohnt, Weiterentwicklung der Zivilgesellschaft und der „Positiven Wohlfahrt“ (Giddens)... Die Sache hat mehrere Namen, Facetten, Perspektiven, Gesichter. Wortspenden von Andreas Khol und Ulrich Beck stehen am Anfang und führen in das Thema ein. Unter dem Titel „Die Bürgergesellschaft als Antwort auf Solidaritäts-, Freiheits- und Demokratieverlust“ führt Andreas Khol aus: „Wie bei so vielen Ideologien und Parteiprogrammen hat sich auch der Gedanke einer neuen Gesellschaftsordnung in Form der Bürgergesellschaft als Antwort auf die Missstände in der gerade herrschenden Gesellschaft entwickelt. Sozialismus und christliche Soziallehre waren in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Antwort auf die Auswüchse des Liberalismus in Form des brutalen Frühkapitalismus mit seiner Ausbeutung der Arbeiter und dem Massenelend der beginnenden Industrialisierung. Der Gedanke der Bürgergesellschaft fußt zwar auf guten, bewährten Grundsätzen, die sich über das Jahrhundert entwickelt haben: Selbstorganisation durch Subsidiarität; Partnerschaft und Solidarität; Freiheit durch Emanzipation vom Staat, Verantwortung für sich und die Mitmenschen. Dennoch, die Bürgergesellschaft ist etwas Neues und formt sich in jedem Land anders - als Antwort auf die Zustände im Land, als Antwort auf Missstände, Unzulänglichkeiten, auf Solidaritäts-, Freiheits- und Demokratieverlust. Es war der Abbau der Sozialleistungen in den Vereinigten Staaten durch Ronald Reagan, der die Bürgergesellschaft als civil society zur Wiedererringung des Gemeinwohls entstehen ließ... Die Politik Ronald Reagans war die Antwort des Neokonservativismus auf die wuchernde Sozialbürokratie in den USA gewesen, auf den eklatanten Missbrauch der Sozialleistungen durch viele, und auf die damit ständig steigende Steuerlast. Die Bürgergesellschaft wiederum war die Antwort auf das >soziale LochDr. Eisenbart< Thatcher half - aber unter großen Opfern und Verwundungen der Gesellschaft...Die großen Verwundungen der Gesellschaft - man erinnert sich noch an den fast zweijährigen Streik der Bergarbeiter..und den sozialen Unfrieden, der bleibend dadurch entstand - hat sich Tony Blair zu heilen vorgenommen, ein praktizierender Christ, der aus der marxistisch inspirierten Labour Party ein New Labour, also aus einer Arbeiterpartei etwas anderes machte, nämlich >neue ArbeitVereinsmeier< abqualifiziert, leisten sie Unersetzliches und gestalten ein Gesellschaftsbild, das angeblich jenem modernen Gesellschaftsbild diametral entgegen gesetzt ist, das uns aus den Zeitgeistmagazinen entgegen strömt: die Liegestuhlgesellschaft. Die Liegestuhlgesellschaft ist das Zerrbild einer Gesellschaft, die ins 21. Jahrhundert zu torkeln droht - eine Gesellschaft, geprägt von Demokratie-, Sinn-, Wert- und Solidaritätsverlust, geprägt von einem staatlichen Alleinverantwortungsanspruch für den Einzelnen, dem eine eben solche Anspruchsgesinnung der Menschen entspricht: >Rabenvater Staat< ist für mein Kind verantwortlich - so jüngst eine Demonstration von Alleinerzieherinnen vor dem Bundeskanzleramt -, nicht ich selbst! Der Staat ist Träger einer umfassenden Staatsfürsorge geworden: Damit verbunden sind Egoismus und schleichende Entmündigung, Abbau der Eigenfürsorge und der Eigenverantwortung, Abbau von Solidarität. An die Stelle der Nächstenliebe, an die Stelle der Solidarität tritt der Staat als anonymes Fernwärmesystem. Und damit entsteht die Liegestuhlgesellschaft: Die einen liegen im Liegestuhl und schauen zu - der Liegestuhl wird vom Staat bereit gestellt - die anderen stöhnen unter der Arbeit, der Bürokratie und der Steuerlast. Der Bürger wird damit zunehmend zum Kunden im Selbstbedienungsladen Staat. Ein Selbstbedienungsladen, in dem man sich selbst verwirklicht und gerade nur das tut, was Spaß macht. In der Gemeinschaft Verantwortung für sich selbst und den Mitmenschen zu übernehmen, das ist unmodern, so sagen die Vertreter des Zritgeistes in der veröffentlichten Meinung.“349 Dieser pointiert angeprangerten Liegestuhlgesellschaft soll die Bürgergesellschaft, soll Bürgerarbeit wieder auf die Beine helfen. Ulrich Beck hat für die Einführung der Option Bürgerarbeit das Paradoxon vor Augen, dass auf der einen Seite das Volumen von Erwerbsarbeit schrumpft, auf der anderen Seite Arbeit für unser kulturell verordnetes Selbstwertgefühl quasi ein Daseins – Monopol darstellt. In Becks Entwurf hat Bürgerarbeit ein doppeltes Ziel: „Einerseits soll >Arbeit< außerhalb von Staat und Markt innerhalb des gemeinwohl – orientierten Freiwilligen – Sektors gesellschaftlich aufgewertet, finanziell abgesichert und in neue Rollen gegossen werden. Andererseits wird hier im fließenden Übergang auch Nicht – Arbeit in Gestalt von freiem, politischem Handeln ein- und ausgeübt.“350 Bürgerarbeit ist zu unterscheiden von Erwerbsarbeit, von Sozialarbeitszwang, aber auch von Arbeiten im Haushalt und in Familien, von Freizeitaktivitäten und von Schwarzarbeit. Bürgerarbeit ist eher politischem Handeln verwandt und produziert Kollektivgüter, dient so dem Gemeinwohl. Bürgerarbeit wird nicht entlohnt, aber belohnt (Volunteering is not for free!), und dies materiell und immateriell, etwa durch Bürgergeld, Qualifikationen, Anerkennung von Pensionsansprüchen und Sozialzeiten, Favour Credits (= Vorteile, die in Bürgerarbeit 347

Giddens, Der dritte Weg, 82 Khol, Bürgergesellschaft, 29 349 Khol, Bürgergesellschaft, 25f 350 Ulrich Beck, Die Seele der Demokratie: Bezahlte Bürgerarbeit, in: Beck, Zukunft von Arbeit und Demokratie, 417 348

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Beschäftigte aus ihrer freiwilligen Tätigkeit ableiten dürfen, etwa ihr Kind gebührenermäßigt oder gebührenfrei in den Kindergarten zu schicken)..351

* Ulrich Beck, Vision: Weltbürgergesellschaft. Zwölf Thesen352 1. Die größte Zuwachsrate überall auf der Welt hat die >prekäre< Arbeit. Das Herausragende ist der Einbruch des Diskontinuierlichen, Flockigen, Informellen in die westlichen Bastionen der Vollbeschäftigungsgesellschaft: die Brasilianisierung des Westens. Wenn diese Dynamik anhält, wird in zehn Jahren jeder zweite Beschäftigte >brasilianisch< arbeiten. 2. Die Leitidee der Vollbeschäftigung zerfällt: Zwei Prozent Arbeitslose, Normalarbeit als Regelfall, soziale Identität und Sicherheit qua Job - das ist Geschichte. 3. Die Machtrelationen verschieben sich: Arbeit bleibt lokal, Kapital wird global. 4. Das entstehende Risikoregime der Arbeit steckt voller Ambivalenzen: Niemals war die Kreativität der Menschen so wichtig wie heute, aber niemals waren die Arbeitenden so verletzlich wie heute, wo sie individualisiert und abhängiger denn je in flexiblen Netzen arbeiten, deren Regeln für viele unentzifferbar geworden sind. 5. In Alltag und Politik ist ein Perspektivenwechsel zu vollziehen, für den schon viele Anzeichen sprechen: Es gilt, den Mangel an Erwerbsarbeit als Wohlstand an Zeit zu entdecken und diskontinuierliche Erwerbstätigkeit rechtlich abzusichern. 6. Die Antithese zur Arbeitsgesellschaft ist die Stärkung der politischen Gesellschaft der Individuen, der aktiven Bürgergesellschaft vor Ort. Die Vision ist eine zugleich lokale und transnationale Bürgerdemokratie in Europa. 7. Mit der Bürgerarbeit, die diesem Zweck dient, entsteht neben der Erwerbsarbeit eine alternative Aktivitäts- und Identitätsquelle, die den Menschen nicht nur Befriedigung schafft, sondern auch Zusammenhalt in der individualisierten Gesellschaft durch die Verlebendigung der alltäglichen Demokratie stiftet. 8. Das Modell Bürgerarbeit setzt voraus: eine Arbeitszeitverkürzung im Bereich der Vollerwerbsarbeit für alle. Jeder und jede, Frauen und Männer sollen Teilerwerbsarbeiter sein können, so weit sie das wollen. Ansonsten spaltet Bürgerarbeit die Gesellschaft in neue Klassen und droht zum Armenghetto zu werden. 9. Bürgerarbeit wird durch Bürgergeld belohnt und auf diese Weise sozial anerkannt und aufgewertet. Der Empfänger von Bürgergeld leistet öffentlich wichtige und wirksame Bürgerarbeit, ist insofern nicht arbeitslos. Die Folge: Statt Arbeitslosigkeit wird Bürgerarbeit finanziert! 10. Ein Europa der Bürger entsteht erst in einem Europa der Bürgerarbeit. Es gibt keinen besseren Weg, Bürgerrechte mit Leben zu füllen, als sie durch Bürgerarbeit in die selbst organisierte Tat der souveränen Vielen umzusetzen. Die europäische Demokratie könnte vielleicht sogar durch Bürgerarbeit ihre Seele gewinnen. 11. In den neuen Bundesländern (Deutschlands, HK) ist Gewalt gegen Fremde inzwischen fast alltäglich geworden, ohne dass sie von der Mitte der Gesellschaft als Skandal gebrandmarkt wird. Warum also nicht unter der Regie ostdeutscher Bürgergruppen eine Bürgerrechtsbewegung in den und für die neuen Bundesländer auf der Basis von Bürgerarbeit ins Leben rufen und auf diese Weise demokratische Kulrur durch learning by doing entfalten? 12. Bürgerarbeit kann überdies Formen und Foren transnationaler Konfliktregelung erproben und auf diese Weise in einer entfernungslosen und damit immer konfliktvoller werdenden Welt dazu beitragen, dass Konflikte zwischen Kulturen und Religionen zugleich anerkannt und nach vereinbarten, institutionalisierten Regeln ausgetragen werden. 351

NB: Am 5. Dezember 2001 verkündet Minister Haupt in ORF 2, dass künftig freiwillig ehrenamtlich Tätige bevorzugt in den Öffentlichen Dienst aufgenommen werden. Bei der gleichen Veranstaltung zur Ehrung ehrenamtlich Tätiger sagt Bundespräsident Klestil, dass 51% der ÖstereicherInnen in Freiwilligenvereinen organisiert sind. 352 Ulrich Beck, Vision: Weltbürgergesellschaft. Zwölf Thesen, in: Beck, Schöne neue Arbeitswelt, zwischen 189 und 190

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* Ein pädagogischer Einschub: Zivile Erziehung353 Schulgemeinschaften beginnen sich mit der Frage zu beschäftigen, wie sie ihre SchülerInnen gut auf die vernetzte, globalisierte, digitalisierte, immer marktförmigere Wirtschaftswelt und auf die virtuellen Welten des Cyberspace vorbereiten können, ohne dafür die Teilnahme an der lokalen Kultur zu opfern. Die Klassenzimmer finden Anschluss an das Internet und damit an die elektronischen Domänen, aus denen sich die Welt des E – Commerce zusammen setzt. Im Bildungsbereich der USA hat in der letzten Zeit eine eher stille „Graswurzelrevolution“ stattgefunden, die die jungen Menschen auf ihre Verantwortung in der civil society aufmerksam machen und vorbereiten will. Sie läuft unter verschiedenen Motti: Charakterbildung, demokratische Bildungsreform, Dienen Lernen, zivile Erziehung.. Sie geht auch davon aus, dass SchülerInnen aller Altersstufen dann am meisten und am besten lernen, wenn die Methode experimentell ist und der Unterricht in den Wohnvierteln, Dörfern und Gemeinschaften abläuft und praktisches Arbeiten ermöglicht. So bringt diese Art „ziviler Erziehung“ die ganze Schulgemeinschaft - Eltern, SchülerInnen, LehrerInnen - in eine Partnerschaft zusammen, in der kollektiv Lehrpläne erstellt und Lernerfahrungen gesammelt werden können. Eine Idee dabei ist, zwischen dem Klassenzimmer und der Gemeinschaft Beziehungen zu knüpfen. So soll sich Lernen mit dem ganzen Leben der SchülerInnen verbinden. Diese Art ziviler Erziehung ist also ein durchdachter Mix aus traditionellen wissensvermittelnden Lehrformen, praktischem Unterrich und systematischen projektbezogenen Problembearbeitungen. Zivile Erziehung setzt voraus, dass der Zugang zum Wissen im Cyberspace wichtig ist, dass er aber in das kollektive Wissen der gegebenen Gesellschaft und in ihre Weisheit eingebettet sein muss. Den SchülerInnen soll der Zugang zur gemeinsamen Kultur eröffnet werden, die Teilnahme ermöglicht. Die Menschen der Zukunft sollen nicht sich und ihre Arbeitskraft bloß als verkäufliches Gut erleben können, sondern als voll verantwortliche Mitglieder der Gesellschaft. So soll Erziehung soziales Vertrauen und Empathie pflegen und Nähe zu anderen Menschen - vertrauten und fremden - fördern. Zugleich sollen so marktfähige wie soziale Kompetenzen eingeübt und gestärkt werden.354

* Bürgerarbeit, Ehrenamt355 & Co: Dokumente zur Praxis - Ein Zeitungsartikel356 Humanitas – Medaille. Das Ehrenjahr der Freiwilligen. Das Jahr 2001 steht weltweit im Zeichen der ehrenamtlichen Arbeit. Ihre enorme wirtschaftliche Bedeutung lässt sich derzeit nur schätzen. Das Jahr 2001 wurde von den Vereinten Nationen zum >internationalen Jahr der Freiwilligen< ausgerufen. Das große Ziel hinter dieser weltweiten Ehrenbezeigung ist es, die gesellschaftliche Anerkennung der unentgeltlichen Bürgerarbeit noch weiter zu verbessern. Denn die soziale Relevanz der ehrenamtlichen Tätigkeiten ist zwar weithin bekannt und auch anerkannt, die enorme wirtschaftliche Bedeutung für das Gemeinwesen aber schon erheblich weniger. 353

Nach : Jeremy Rifkin, Ein neuer Stil in Bildung und Erziehung, in: Rifkin, Access, 341-343 Wolfgang Sotil berichtet im extra der Kleinen Zeitung am Fest Mariä Empfämgnis 2001, 19, von den SchülerInnen der HTL Graz-Gösting, die dem 14jährigen an Ichtyosis leidenden Florian ein Spezialfahrrad mit elektrischem Hilfsmotor konstruieren und bauen. 355 Hengsbachs, Die andern im Blick, 116, grundsätzlicher Einwand sei hier vermerkt: „So lange Arbeitslose nicht in der Lage und bereit sind, mit dem Arbeitslosengeld oder der Sozialhilfe den Ausschluss aus der Erwerbsgesellschaft produktiv zu gestalten, und weder ein Almosen noch ein Grundeinkommen wollen, sondern an der gesellschaftlich organisierten Arbeit beteiligt sein möchten, ist die Wiederentdeckung der ehrenamtlichen, nicht bezahlten Arbeit keine passende Antwort auf die Anfragen der Arbeitslosen; auch nicht der Vorschlag, neben der hoch technisierten Industrie und dem Bereich einfacher Dienste einen dritten gemeinnützigen Sektor einzurichten.“ 356 Kleine Zeitung, 7. Oktober 2001, 55 354

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Ein wesentlicher Grund für dieses Missverhältnis ist die Tatsache, dass der Wert der ehrenamtlichen Arbeit sich in Zahlen nur fiktiv ausdrücken lässt. Denn das freiwillige Engagement ist vor allem im wörtlichen Sinne ganz einfach >unbezahlbarWürde man für die ehrenamtliche Arbeit Geld zahlen müssen, dann käme ein Großteil dieser Arbeit gar nicht zustande und wir hätten einen dramatischen Einbruch in unserem WohlstandGroße Humanitas – Medaille>. 60 000 SteirerInnen helfen in Einsatzorganisationen wie Feuerwehr und Rotes Kreuz. LH Waltraud Klasnic: Ein großer Schatz - das ist das Ehrenamt für unsere Gesellschaft. Gerade weil es eben nicht um Entgelt oder den Austausch von Leistung und Gegenleistung geht, müssen wir uns die wirtschaftliche Dimension vor Augen halten: Experten schätzen den Wert auf 100 Milliarden Schilling allein in Österreich. Dieses Engagement ist unersetzbar und ein ganz großes Geschenk, das uns die ehrenamtlich Tätigen jeden einzelnen Tag machen. Danke. - Ein Brief357 Sehr geehrter Herr Magister! Im persönlichen Auftrag von Frau Landeshauptmann Waltraud Klasnic danke ich Ihnen für Ihren Brief. Zur Aktion kann ich Ihnen folgendes mitteilen: Frau Landeshauptmann Waltraud Klasnic hat dem 19. November - den Tag der Hlg. Elisabeth von Thüringen - bereits einen Fixplatz im steirischen Kalender für die Verleihung der Humanitas – Medaille eingeräumt. An diesem Tag werden jene Steirerinnen und Steirer geehrt, die entweder als Einzelperson oder an der Spitze einer wohltätigen Organisation Dienste an Mitmenschen erbracht haben. Die Preisträger werden von einer Jury, die sich aus Medienvertretern und den Spitzen der großen Einsatzorganisationen, unter der Leitung von Herrn Univ. – Prof. DDr. Gerald Schöpfer, zusammensetzt, ausgewählt. Für jeden steirischen Bezirk wird ein Preisträger, für die gesamte Steiermark wiederum ein Preisträger gekürt. Die Preisträger werden von der steirischen Bevölkerung selbst im Vorfeld nominiert, an der Organisation wirkt eine Grazer Tageszeitung mit und sorgt für entsprechende Publizität. Pro Jahr gibt es in der Steiermark rund 450 Nominierungen. Ich hoffe, Ihnen mit dieser Information dienlich gewesen zu sein. Mit freundlichen Grüßen... - Aus dem Leistungsbericht einer Ortsstelle des Roten Kreuzes358 im Zeitraum vom 1. 11. 2000 bis 31, 10. 2001 Das Einzugsgebiet der Ortsstelle umfasst 7 Gemeinden. Die Ortsstelle sichert mit ihren MitarbeiterInnen einen ständigen Bereitschaftsdienst in der Dienststelle: 5 praktische 357 358

Absender: Büro Landeshauptmann Waltraud Klasnic, Dr. Rüdiger Taus, GZ: Lh 810/57/120-2000,1. 12. 2000 8082 Kirchbach in Steiermark

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Ärzte, etwa 60 ehrenamtliche HelferInnen inklusive Rotkreuzjugend, zwei vollzeitbeschäftigte Mitarbeiter im Sanitätsdienst, sechs teilzeitbeschäftigte Mitarbeiterinnen in der Hauskrankenpflege, zwei Zivildiener. Im genannten Zeitraum wurden bei 2139 Rettungsfahrten 104 056 Kilometer gefahren. 16 582 freiwillige und unentgeltliche Stunden wurden im Sanitätsdienst geleistet. 3700 Stunden wurden für Schulung, Verwaltung, EDV, Fest, Blutspendedienst, Alttextiliensammlung aufgewendet. - JL sucht sich neue Aufgaben359 Mit 16 Jahren trat JL der Freiwilligen Feuerwehr bei. Er besuchte Kurse, erwarb das bronzene und das silberne Leistungsabzeichen der Feuerwehren und war im Laufe der Jahre bei einigen Einsätzen dabei: Brände, Hochwasser, Verkehrsunfälle. In etwa 30 Ausfahrten belieferte er unentgeltlich wasserlos gewordene Haushalte mit jeweils etwa 1000 Liter Trinkwasser aus dem Tankwagen der Feuerwehr. Später schrieb er an der Chronik der Wehr mit, als diese ihr 100jähriges Bestandsjubiläum feierte. Er baute zusammen mit einem jüngeren Feuerwehrkameraden auch die Jugendfeuerwehr im Ort auf. Bei seiner Pensionierung wurde er zum Ehrenoberlöschmeister ernannt. Im Mai 2001 erhielt JL zwei Briefe vom Land Steiermark.

1. Brief:360 Lieber Herr Ehrenoberlöschmeister! Ich freue mich mitteilen zu können, dass die Steiermärkische Landesregierung in ihrer nächsten Sitzung am Montag, dem 21. Mai 2001 über meinen Antrag beschließen wird, Ihnen in Würdigung Ihres langjährigen Einsatzes als Feuerwehrmann die Medaille für 40jährige Tätigkeit auf dem Gebiet des Feuerwehrwesens zu verleihen. Die Überreichung dieser Auszeichnung wird in Absprache mit dem Herrn Bezirksfeuerwehrkommandanten und der FF Kirchbach in Steiermark bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit (z. B. Bezirksfeuerwehrtag oder Wehrversammlung) erfolgen. Als Feuerwehrreferentin und Landeshauptmann danke ich sehr herzlich für die geleistete Arbeit und gratuliere zu dieser verdienten Würdigung. Mit freundlichen Grüßen W. Klasnic

2. Brief:361 Sehr geehrter Herr Ehrenoberlöschmeister! Die Steiermärkische Landesregierung hat in ihrer heutigen Sitzung einstimmig beschlossen, Ihnen in Würdigung Ihrer besonderen Verdienste die Medaille für die 40jährige Tätigkeit auf dem Gebiet des Feuerwehr – und Rettungswesens zu verleihen. Gerne nehme ich diese Ehrung zum Anlass, um Ihnen auf diesem Weg für Ihr langjähriges und beispielgebendes Engagement und für Ihren Einsatz zum Wohl unserer Heimat und ihrer Bewohner zu danken. Mit den besten Wünschen für Ihre Zukunft und Ihr persönliches Wohlergehen verbleibe ich mit herzlichen Grüßen Schachner Beim Roten Kreuz war JL 15 Jahre als freiwilliger Rettungsfahrer tätig. In der Pension hat er ein neues Tätigkeitsfeld beim Roten Kreuz gefunden: Im Rahmen der Aktion „Hilfe für die Helfer“ wurde er im Jahr 2000 eingeladen, eine Peer – Ausbildung zur Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen (SbE – Ausbildung) für die zuständige 359

Anonymisiert, nach Dokumenten und persönlichen Kontakten Datum: Graz, 16. Mai 2001 361 Datum: Graz, 21. Mai 2001 360

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Ortsgruppe zu absolvieren. Ab 2002 wird JL als First Responser der Ortsgruppe und dem Rotkreuzbezirk zur Verfügung stehen

............small points 1. bürgerarbeit: living democracy! 2. bürgerarbeit: bürger – engagement statt arbeitslosigkeit finanzieren! 3. bürgerarbeit: schöpferischer ungehorsam als freiwillige soziale tätigkeit. 4. bürgerarbeit: neue ehrenamtlichkeit erschließt neue tätigkeitsbereiche. 5. bürgerarbeit: eine kluft zwischen familie und staat kann überwunden werden. 6. bürgerarbeit vermeidet die vorschreibende phantasielosigkeit von arbeitsämtern, kommunalbehörden, sozialfürsorge... 7. gemeinwohl – unternehmerInnen agieren wie mutter teresa und bill gates in einer person (?) 8. bürgerarbeit hat schnittstellenprobleme mit bereits etablierten leistungsträgern und beschäftigungsformen. 9. bürgerarbeit: neben den gedanken des gemeinsinns und der verantwortung darf der politisch – partizipative aspekt nicht vernachlässigt werden. 10. community – work wird eine selbstverständlichkeit(?) oder: kann sich in europa eine treck – kultur einbürgern?362 11. bürgerarbeit pflegt eine kultur von gegenseitigkeit.363 12. „Die Gesellschaft wäre nicht frei, wenn die Menschen keine Verantwortung für sich selbst trügen. Die Gesellschaft wäre nicht human, wenn niemand mehr Verantwortung für andere übernähme.“364

362

Vgl Gerd Mutz, Das Ende der Treck – Kultur. Warum der neidvolle Blick auf die USA ins Leere geht, in: Beck, Schöne neue Arbeitswelt, 190-207 363 Siehe: Robert D. Putnam, Niedergang des sozialen Kapitals. Warum kleine Netzwerke wichtig sind für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft, in: Dettling, Denken, Handeln, Gestalten, 79: “...Kultur von Gegenseitigkeit. In dem Sinne, dass der eine sagt: >Ich tue dies jetzt für dich. Ich erwarte nicht, dass Du jetzt sofort im Gegenzug etwas für mich tust, sondern im Laufe der Zeit wird sich das schon ergeben.< Diese Art des >man kennt sich und man hilft sich< macht das Leben einfacher.“ 364 Khol, Bürgergesellschaft, 212

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8 Von irgend was muss man ja schließlich leben An ihren Rändern scheint die Arbeit immer mehr „auszufransen“. Arbeitslosigkeit, Prekarisierung365, (drohende) Dequalifizierung, zunehmende Informalisierung (Zilian spricht in diesem Zusammenhang von „der Heterogenität eines Phänomens, das sich als Schwarzarbeit, Drogenhandel, Krankenpflege, Nachhilfeunterricht, Bierbrauen und in zahllosen anderen Formen manifestiert“366), Scheinselbständigkeit bis zur Brasilianisierung, McJobs, Working poor.. . Und am anderen Rand unersättliche Workaholiker, ICH – Aktien367... Für wie viele und für welche Menschen läuft Arbeit tatsächlich in solche Richtungen? Was passiert mit Menschen, denen „der große, schützende Mantel der Erwerbsarbeit“368 die schwelende Sinnfrage zuschüttet? (..oder nicht mehr verdeckt?) Wie schaut es in Zukunft mit der Finanzierung des Sozialversicherungssystems und des Wohlfahrts(- oder Sozial-)staates aus, deren Leistungen ja derzeit überwiegend von Beiträgen aus konkreten regulären Arbeitsverträgen gespeist werden?369 Unter welchen gesellschaftlichen Bedingungen können welche Tätigkeiten jetzt und in Zukunft überhaupt in sinnvoller Weise monetisiert werden? Wie können Einzelmenschen, Gewerkschaften, Wirtschaft reagieren? Was können und sollen Regierungen tun?

* Soziale Kälte oder: Eine Frage der Philosophie?370 CK: Ein Orden für Österreichs Arbeitslose. Sie haben mit dieser Forderung letzte Woche für Aufsehen gesorgt. Was stand da im Vordergrund? Zynismus, Ironie oder die Bitterkeit eines Interessenvertreters benachteiligter Menschen, die keine Lobby haben? KÜBERL: Vielleicht ironische Bitterkeit. Ein Löwenanteil zur Bufgetsanierung kommt aus der Arbeitslosenversicherung. Es hat in den letzten zehn Jahren enorme Einschränkungen gegeben. Bestimmte Arbeitslose gehören zu jenen Gruppen, auf die man gerne einschlägt, wenn man es gerade braucht. Übereinstimmung müsste herrschen, dass man mit Menschen anständig umgeht. CK: Derzeit wird nicht mehr anständig umgegangen? KÜBERL: Es werden die Arbeitslosen bekämpft. Derzeit werfen die Stärkeren die Schwächeren aus dem sozialen Netz hinaus. Hinter diesem Umgang mit Arbeitslosen steht oft die Meinung einiger, es gebe das Recht auf ungestörten Fruchtgenuss des Reichtums. Das gibt es nicht. CK: Die Zahl der Arbeitslosen nähert sich wieder der Schallmauer von 200 000. Bedarf es im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit nicht überhaupt einer Revolution in den Strukturen? Nach dem Prinzip Hollands, dass Arbeit billiger und attraktiver und Arbeitslosigkeit unattraktiver gemacht wird? 365

„..wie soll sich eine ausreichende Nachfrage entwickeln, wenn weltweit Löhne durch Billiglöhne und Billiglöhne durch Hungerlöhne ersetzt werden?“ fragt etwa Horst Afheldt in seinem Nachwort zu: Ehrenreich, Arbeit poor, 234 366 Zilian, Zeit der Grille, 97 367 „Bill Gates ist eine, Stefan Raab ist eine, Jürgen Schrempp ist eine und Bodo Schäfer ist eine. Und vielleicht sind auch Sie bald eine: eine ICH – Aktie. Mit einem Kurswert, der laufend steigt und die Nachfrage nach Ihnen zum Boomen bringt. Eine Aktie, die heiß begehrt ist und die Headhunter und Personalmanager – die Broker des neuen Arbeitsmarktes - in nervöse Begeisterung und in einen Kaufrausch versetzt: Diese ICH – Aktie muss gekauft werden – koste es, was es wolle! Das Zeitalter der Normalerwerbsbiographien geht dem Ende zu. Was kommt danach? Können Sie in Zukunft Ihren Marktwert selbst bestimmen?“ – Aus dem Klappentext zu: Werner Lanthaler/Johanna Zugmann, Die ICH – Aktie. Mit neuem Karrieredenken auf Erfolgskurs, Frankfurter Allgemeine Buch, Frankfurt am Main 2000 368 Strasser, Leben, 11, zitiert Goffredo Parise 369 Siehe etwa: Andreas Gjecaj, Arbeiten um zu leben - leben um zu arbeiten. Eine Diskussionsgrundlage der KAB, III. und: Ulrich Stocker, Jenseits von Eden. Polituren, in: Kleine Zeitung, 10. 11. 1999, 4. Stocker spricht von einer „Vertreibung aus dem ASVG – Paradies“. 370 Franz Küberl im Gespräch mit Carina Kerschbaumer. Kleine Zeitung, 12. November 2001, 4f

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KÜBERL: Da habe ich jetzt ein Problem mit der Abgrenzung. Die Caritas ist keine Gewerkschaft und keine sozialpolitische Institution, sondern wir haben den Blickpunkt jener, die benachteiligt, die ärmer sind. Wir haben also einen bewusst eingeschränkten Blickwinkel. Es gibt natürlich eine Menge von Arbeit, die nicht so marktfähig ist, dass ein Gewinn heraus kommt. Da ist dann die Frage, ob es Mittel dafür gibt. CK: Würden Sie Lohnkostenzuschüsse sinnvoller halten als die Auszahlung von Arbeitslosenunterstützung?371 KÜBERL: Wenn es die Arbeitslosigkeit verringert, dann ja. Wir haben eine dreistufige Philosophie: Erstes Ziel muss sein, dass Leute wieder in den Erwerb kommen. Wenn das nicht möglich ist, muss es einen erweiterten Arbeitsmarkt geben. Wir haben Leute für ein halbes Jahr zum Training genommen - und haben dann keinen Arbeitgeber für sie gefunden. Wir müssen dann 20 Leuten sagen: Ihr seids zwar wertvolle Menschen, aber es gibt keine Arbeit für euch. Und diese Leute werden dann heim geschickt. Für sie muss es als dritte Säule eine Existenzsicherung geben. CK: So gesehen wäre doch ein staatlich alimentierter Arbeitsmarkt, wo der Staat bei Niedriglöhnen dazu zahlt, sinnvoller, als Menschen staatlich alimentiert zu Hause zu lassen. KÜBERL: Ich halte nichts davon, dass Arbeitslose zu Hause sitzen. Es gibt aber Menschen, die werden nur einen Teil dessen, was sie brauchen, erwirtschaften können. Da müsste man sagen: Wenn er 30 Prozent seines Lebensbedarfs erwirtschaften kann, ist es besser, als wenn er auf null gestellt ist. Die Systematik in Österreich ist aber, dass die Leute zu rasch auf null gestellt werden. Die allermeisten wollen arbeiten, brauchen aber Brücken. CK: Wie schätzen Sie denn das Engagement ein, mit dem die Regierung derzeit Brücken baut? KÜBERL: Es wird 2002 zu einer Verknappung der Mittel kommen und auch zu Einschränkungen bei bestehenden Arbeitsprojekten und anderen Versuchen, die Leute wieder in den Erwerb zu bekommen. CK: Die Regierung zieht also aus Ihrer Sicht vor, Arbeitslose in ihrer Situation zu belassen, als sie wieder in den Arbeitsmarkt zu bekommen? KÜBERL: Man kann sich nicht dazu entscheiden, mehr zu tun, weil das Mittel kosten würde. CK: Die Regierung will nun gleichzeitig die Zumutbarkeitsbestimmungen für Arbeitslose ändern. Das wird wiederum von einigen bereits als Zumutung empfunden.372 KÜBERL: Wesentlich ist hier, welche Gesinnung im Vordergrund steht: Wenn es darum geht, Menschen eine Chance auf Zukunft zu geben, wird man damit umgehen können. Wenn dahinter aber die Gesinnung steht, dass außer einem selbst die anderen alles Gauner sind, wird nichts gehen. CK: Am grünen Tisch über Armutsbekämpfung diskutieren ist recht einfach, weniger einfach ist es für Ihre Mitarbeiter, der Mutter mit Baby am Arm und arbeitslosem Ehemann nicht wirklich helfen zu können. Wie gehen Sie damit um? KÜBERL: Da gibt es Bilder, die einen nicht verlassen. Ein bisschen können wir meist tun. Es ist aber richtig, dass Caritasarbeit mehr im Neinsagen besteht, als ich mir das je gedacht habe. Was mir persönlich Kraft gibt, ist, dass es doch sehr viele Leute gibt, die sozial einfühlsam sind. CK: Derzeit läuft die Aktion >ÖsterReich hilft ÖsterArmaugenfälligen Missbrauch verhindern>. Wo orten Sie denn Korrekturbedarf? MARIN: Naja, es gibt diese extremen Spezialisierungen auf Berufssparten, die es gar nicht mehr gibt. Das ist eine berufsständische Kategorisierung von vorgestern. CK: Die Arbeiterkammer befürchtet, dass Arbeitslose nun in niedriger qualifizierte Jobs hinein gebracht werden sollen. MARIN: Die Befürchtung besteht zu Recht, die Frage ist, wie das praktisch gehandhabt wird. Man muss aber auch sagen, dass das ständische Denken von der Arbeiterkammer stark übernommen worden ist. Wenn sich der Arbeitsmarkt und die Qualifikationsstruktur rasch ändern, ist es sinnlos, lebenslang einen Anspruch auf einen Job aufrecht zu erhalten. CK: Nach Ablauf des Arbeitslosenbezuges fällt doch bereits jetzt der Berufsschutz automatisch weg. MARIN: Ja, aber bei den Berufsunfähigkeitspensionen spielt der Berufsschutz eine ganz große Rolle. Einfache, ungelernte Arbeiter können in jeden Job verwiesen werden, während jemand, der irgend wann irgend etwas gelernt hat, quasi lebenslang hinter diesem Ausbildungsschild her laufen und sagen darf, dass etwas anderes nicht zumutbar ist. Da hat sich eine Art Arbeiteraristokratie herausgebildet. Und das ist ein Problem, wenn man bedenkt, dass fast 90 Prozent der Leute zwischen 55 und 64 in Frühpension sind und zwar überwiegend unter dem Titel Invalidität. Die Invalidität wird wiederum überwiegend mit Berufsschutzargumenten begründet. Da geht es um –zig Milliarden. Und da die Wege in die Frühpension jetzt immer mehr verstopft werden, wird der Run auf die Invaliditätspension zunehmen. CK: Arbeitnehmervertreter orten hinter der Änderung der Zumutbarkeitsbestimmungen den Versuch eines Sozialabbaues. Eine begründete Befürchtung? MARIN: Man muss sehen, dass sehr moderne Gesellschaften wie die skandinavischen Berufsschutz überhaupt nicht kennen. Es geht hier nicht notwendigerweise um Sozialabbau, sondern um ein Stück berufsständisches Denken von vorgestern. Man muss die Frage stellen, ob das noch ins 21. Jahrhundert gehört. CK: Der arbeitslose Lehrer sollte vom Arbeitsmarktservice als Tellerwäscher vermittelt werden? MARIN: Nicht als Tellerwäscher, er soll auch nicht Salat bei Billa schlichten, aber er sollte in andere Lehrtätigkeiten oder in die Tourismusbranche vermittelt werden können. Warum soll eine Handarbeitslehrerin nicht in der Haute Couture arbeiten? Im März 1983 gab der Buchhändler, Journalist und Schriftsteller Günter Wallraff in mehreren Zeitungen die folgende Anzeige auf: Ausländer, kräftig, sucht Arbeit, egal was, auch Schwerst- u. Dreckarb., auch für wenig Geld, Angebote unter 358458

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Wallraff über seinen Hintergrund und seine Absicht: „Sicher, ich war nicht wirklich ein Türke. Aber man muss sich verkleiden, um die Gesellschaft zu demaskieren, muss täuschen und sich verstellen, um die Wahrheit heraus zu finden.“376 Wallraff als Türke Ali und andere Sozialreportagen wollen die Wahrheit über die Arbeit heraus finden. Die Methode ist der subjektive Blick von „Ganz unten“: 1. Wir haben nichts und alles zu verlieren. Sie nehmen uns Das bisschen noch Vom Leben Und geben uns Den Rest. 2. Wir sind ihre Müllschlucker Ihre Fußabtreter Ihr Menschenschrott. 3. So lange wir uns alles gefallen lassen kriegen wir keine Prügel aber wehe, wir mucken auf znd sagen, was wir denken und fordern Rechte dann zahlen sie es uns doppelt und dreifach heim und sagen, geht dahin wo ihr hergekommen seid aber da können wir nicht zurück da sind andere an unserer Stelle wir sind schon zu lange hier unsere Sprache, Freude und Kraft haben sie uns geraubt. Und ihre Art zu leben Macht uns frieren Und die Heimat unserer Eltern Ist für uns die Fremde. 4. Sie hören uns nicht zu Auf unsere Fragen geben sie uns Keine Antworten. Wir haben keinen Namen mehr Wir haben keine richtige Heimat Wir sind niemand Wir sind nichts. 5. Wir klagen euch an: Ihr habt uns Unsere Seele gestohlen. Jetzt sind wir eure Roboter Seit Jahren ist Stromausfall Unsere Akkus sind leer. Einige Ältere von uns Erinnern sich noch Wir waren einmal Menschen377 376

Wallraff, Ganz unten, 12

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Wallraffs Text erscheint heute, auf einem doch stark veränderten Hintergrund, genau so aktuell wie in seinem Entstehungsjahr 1987. Personenkreis und Motivationslage der hier Klagenden mögen sich zum Teil verändert haben, sind mir aus meinen Recherchen für diese Arbeit jedoch nicht unbekannt. Und ich kann Hofers Fazit verstehen, das er gegen Ende seines Buches „Würdelos“ so beschreibt: „Weil sie mit jedem Schilling rechnen (müssen), schleppen sich die meisten ArbeitnehmerInnen jahraus, jahrein tagtäglich in die Arbeit und werden müde und krank. Sie lassen ihrem Unmut über die meist harten Arbeitsbedingungen in Abwesenheit ihrer Vorgesetzten freien Lauf - und arbeiten dennoch mit. Alle Ideen, die darauf abzielen, Alternativen zur Lohnarbeit zu schaffen, etwa die Einführung eines akzeptablen Grundeinkommens ohne Arbeit, die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, die Verlängerung des Urlaubs und die Reduktion der Lebensarbeitszeit, sind in den Augen der meisten Arbeitnehmer, die ich im Laufe meines Untersuchungszeitraumes kennen gelernt habe, ketzerische Gedanken. >Zwangsarbeit< fällt den meisten ein, wenn es in einer Debatte um den Sinn der Arbeit geht, die immerhin den Großteil der Lebenszeit vereinnahmt. Den Anstoß zu solchen Diskussionen geben Arbeitslose oder Leiharbeiter mit mangelnder >ArbeitsdisziplinArbeitsscheuen< mit eingeschlossen. Die Lohnarbeit ist ein Dogma, das nicht wirklich in Frage gestellt werden darf. Einige Leiharbeiter kratzen am Image der Lohnarbeiter, sie nehmen es mit der Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit nicht so genau, sie reagieren auf dieses >notwendige Übel< und nehmen es nur zeitweise in Kauf, um ihren eigenen Unterhalt zu bestreiten. Durch diese Vorgangsweise, die notgedrungen mit einem niedrigen Lebensstandard einher geht, provozieren sie die Beschäftigten in den Entleiherbetrieben, da eine derartige Einstellung zur Arbeit ihr eigenes Verhalten in Frage stellt. Wilhelm Reich hat uns in seiner >Rede an den kleinen MannDu bettelst um Glück im Leben, aber Sicherheit ist dir wichtiger, auch wenn sie dich dein Rückgrat, ja dein ganzes Leben kostetmitarbeitenhelfen< - Kochtöpfe mit Löchern wieder flicken, eingefrorene Wasserleitungen auftauen, kaputte Autos reparieren... Seit damals stand für mich fest, dass ich einen Beruf erlernen werde, bei dem ich helfen kann. Die Schule hat mich schon sehr früh fasziniert, da ich nur einige Häuser entfernt gewohnt habe und mich der Turnunterricht im Freien sehr interessierte. Ich wollte unbedingt zur Schule. Mit einer Sondergenehmigung begann ich mit nicht ganz 6 Jahren die Volksschule. Allerdings konnte ich mit dem üblichen Lernen nicht viel anfangen und so quälte ich mich mehr oder weniger durch die 4 Jahre Volksschule. Die 4 Jahre Hauptschule musste ich im Nachbarort besuchen. Auch hier erlebte ich das Lernen ausschließlich als Pflicht. Ein einschneidendes Erlebnis hatte ich in der 2. Hauptschule. Beim Schifahren hatte ich mir eine Unterschenkelfraktur zugezogen. Deshalb musste ich 3 Tage im Krankenhaus verbringen. Dort hatte ich viel Zeit zum Beobachten und in mir reifte der Wunsch, Krankenschwester zu werden, da man als solche sehr viel helfen kann. Ich habe mich dann auch mit den Aufgaben dieses Berufes auseinander gesetzt, da auch 2 Tanten von mir diesen Beruf ausübten. In der 4. Hauptschule habe ich mich dann entschieden, eine 3jährige Fachschule für wirtschaftliche Berufe in Graz zu besuchen, da ich, wenn möglich, nach dem 2. Jahr in die allgemeine Krankenpflegeschule gehen wollte. Aufnahmekriterium war allerdings das vollendete 17. Lebensjahr. An diese Schule fürt wirtschaftliche Berufe kann ich mich kaum noch erinnern, außer dass der Gegenstand Geschichte durch die Unterrichtsmethodik des Lehers etwas für mich sehr Interessantes geworden ist. Nach dem 2. Jahr dieser Schule suchte ich um Aufnahme in die Krankenpflegeschule am LKH Graz an und wurde aufgenommen, obwohl ich noch nicht 17 Jahre alt war. Hier hat Lernen für mich eine andere Dimension erhalten.385 Einerseits gab es hier viel Inhalt, der mich persönlich sehr interessierte, andererseits war ich durch die Stofffülle sehr gefordert -- manchmal bis an die Grenze der Überforderung, da ich mir meine Lernzeit noch sehr schlecht einteilen konnte. Was mich besonders angesprochen hat, war die Möglichkeit, von Beginn der Ausbildung an am Krankenbett zu arbeiten und wo ich somit einen direkten Transfer von der Theorie zur Praxis kennen lernte. Etwas schwerer tat ich mich mit den hierarchischen Strukturen auf den Krankenstationen. Ich hatte das Gefühl, viele Ideen und Änderungsvorschläge zu haben und war damit aber am Ende der >Möglichkeiten< von der hierarchischen Struktur her gesehen. Nach meiner Diplomierung, nach der ich auch glaubte, in der Hierarchie aufgestiegen zu sein, arbeitete ich am LNKH Stolzalpe als Diplomschwester. Da es hier aber weder

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Anonymisierter Originaltext, Zwischenbemerkungen als Fußnoten Aus einem Folder der Schule für Allgemeine Gesundheits- und Krankenpflege und Kinder- und Jugendpflege des Landes Steiermark am Landeskrankenhaus Universitätsklinikum: „Der gehobene Dienst für Gesundheits- und Krankenpfle gliedert sich in drei Bereiche: 1. allgemeine Gesundheits- und Krankenpflege. 2. Kinder- und Jugendlichen pflege. 3. psychiatrische Gesundheits- und Krankenpflege. Diese Bereiche umfassen die Pflege und Betreuung von Menschen aller Altersstufen bei körperlichen und psychischen Erkrankungen, die Pflege und Betreuung behinderter Menschen, Schwerkranker und Sterbender sowie die pflegerische Mitwirkung an der Rehabilitation, der primären Gesundheitsversorgung, der Förderung der Gesundheit und der Verhütung von Krankheiten... Bei allen Tätigkeiten steht der Mensch im Mittelpunkt, der unter Berücksichtigung seiner Wünsche und Bedürfnisse beraten, gepflegt und begleitet wird.“ 385

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SchülerInnen noch PraktikantInnen gab, war ich wieder in der Situation, in der ich ausschließlich das tun sollte, was andere wollten bzw. nicht wollten. Um dies zu kompensieren, stürzte ich mich mit meiner ganzen Energie auf die Patienten. Mein Ziel war es, sie so gut wie möglich zu versorgen, ihnen zu helfen, wo ich nur konnte. Im Laufe der Zeit bin ich so in ein >Helfersyndrom< geschlittert. Ich hatte teilweise schon ein schlechtes Gewissen, frei oder Urlaub zu haben, denn: Wer wird jetzt meine Arbeit tun? Durch berufliche Fort- und Weiterbildungskurse wurde mir dann klar, dass mein Berufsziel nicht sein kann, Patienten alles abzunehmen und ihnen zu helfen, sondern sie zu unterstützen, möglichst lange selbständig zu bleiben bzw. wieder selbständig zu werden. Dies brauchte eine umfassende Änderung meiner Arbeitsstruktur und auch Neubewertung meiner Arbeitsleistung. Durch die intensive Auseinandersetzung mit dem Beruf kam doch immer mehr der Wunsch, mich intensiver mit beruflichen Inhalten auseinander setzen zu wollen. Dazu musste ich mich aber wieder nach Graz versetzen lassen, da hier die Möglichkeiten doch umfangreicher sind. Im LKH Graz sollte ich meinen Dienst auf einer Station antreten, auf der ich keinesfalls arbeiten wollte - das Fachgebiet interessierte mich überhaupt nicht. Zu dieser Zeit wurden in der Krankenpflegeschule 3 neue Lehrschwestern gesucht. Dies war ein Bereich, mit dem ich mich nie ernstlich auseinander gesetzt hatte und den ich mir auch nicht gut vorstellen konnte, aber aus dem Wunsch heraus, nach Graz zu kommen, suchte ich um diese Stelle an - und wurde genommen. Das 1. Jahr als Lehrschwester war eines der schwierigsten Dienstjahre überhaupt. Ich hatte keinerlei pädagogische Kenntnisse als Lehrerin, wusste nur, was mir in meiner Schulzeit nicht gefallen hatte, aber nicht, wie man es besser machen könnte. Die Erwartungen an eine Lehrschwester sind sehr hoch - sie soll alles wissen und auch praktisch können. Als besondere Herausforderung erlebte ich auch die Tatsache, dass meine Schwester gleichzeitig meine Schülerin war. Nach diesem 1. Jahr ging ich mit sehr vielen offenen Fragen und Wünschen in die Sonderausbildung an die Akademie für lehrendes Krankenhauspersonal nach Mödling. In diesem Jahr habe ich besonders den Unterricht an der Pädagogischen Akademie Wien als sehr hilfreich und auch lustvoll erlebt. Die nächsten 3 Jahre versuchte ich vieles von dem in meiner Arbeit als Lehrschwester umzusetzen. Da mich der pädagogische Bereich so faszinierte, habe ich die Berufsreifeprüfung gemacht und ein Studium in den Bereichen Pädagogik mit Fächerkombination an der Grazer Uni begonnen. Im Gesundheitssystem änderte sich in dieser Zeit auch einiges. Neu dazu kam die extramurale Versorgung von kranken Menschen durch die Hauskrankenpflege. Da dieser Bereich nun auch in den Unterricht einfließem musste, wollte ich dazu auch entsprechend vorbereitet sein. 1987 besuchte ich die Sonderausbildung für den extramuralen Pflegedienst. In den dafür vorgesehenen Praktika sammelte ich Erfahrungen in anderen Bundesländern und auch in Slowenien. Der dadurch entstandene intensive Kontakt zu alten Menschen war eine große persönliche Herausforderung und brachte mir die Gewissheit, dass die Versorgung und Betreuung von alten Menschen nicht zu vergleichen ist mit der Versorgung im Krankenhaus. Da mir dieser Arbeitsbereich sehr zusagte, habe ich um die Bewilligung zur Freiberuflichkeit angesucht und auch bekommen. Ich bin dann trotzdem in die Krankenpflegeschule zurück gegangen, da ich in dieser Zeit auch geheiratet habe. Mit der Heirat ist eine neue Herausforderung an mich heran getreten. Mein Mann ist Bauer und war zur damaligen Zeit mit der konventionellen Bewirtschaftung des Hofes nicht zufrieden. Da ich keinerlei Erfahrung aus der Landwirtschaft mitbringe, habe ich mich in diesen Bereich erst einarbeiten müssen. Wir haben die Landwirtschaft in diesem Jahr auf organisch biologische Wirtschaftsweise umgestellt, was im körperlichen wie auch im intellektuellen Bereich von uns viel abverlangte, da es in Österreich bis dahin keinen

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biologischen Schweinezucht- und Mastbetrieb gab und wir somit auf keine Erfahrungen zurück greifen konnten. Ab disem Zeitpunkt bin ich sozusagen >zweigleisig< unterwegs und ich versuche mir auch eine Berufsidentität als Bäuerin zu schaffen. Da es im Biobereich noch keine geeigneten Vermarktungsstrategien gab, haben wir uns mit 3 anderen Bauern zusammengetan und die Vermarktungsorganisation >Speckmühle geschaffen386. Dazu mussten wir geeignete Räumlichkeiten für das Schlachten und das Verarbeiten des Fleisches richten und uns auch für diese Arbeit fortbilden. Mein Arbeitsbereich war das Verpacken des Fleisches für den Transport und was an schriftlichen Arbeiten notwendig war - Werbeaussendungen, Buchführung... Wegen der Mehrbelastung habe ich das Studium abgebrochen (was ich nicht bedaure) und meine Arbeit als Lehrschwester auf 75% reduziert. 1990 kam unser Sohn Jakob auf die Welt und ich musste mich somit auch beruflich entscheiden, da eine Vollbeschäftigung in Graz nicht mehr in Frage kam. Es ist mir in der Karenzzeit nicht gelungen, mich als Bäuerin zu identifizieren. Es gab keinen klar abgegrenzten Arbeitsbereich für mich, dieses >überall mithelfen< war wenig zufriedenstellend für mich. Mein Beruf und der Kontakt zu vielen Menschen fehlte mir. Ich habe in dieser Zeit zwar begonnen, in der Pfarre in verschiedensten Kreisen mitzuarbeiten, um weiterhin Kontakte zu haben - dennoch war es mir zu wenig. Auch damit, dass es in der Landwirtschaft keine fixen Arbeitszeiten und somit auch keine fixe Freizeit gab, kam ich schlecht zurecht. Durch viele Gespräche und Verhandlungen in der Karenzzeit war es dann möglich, nach der Karenzzeit mit dem Aufbau eines Hauskrankenpflegestützpunktes zu beginnen. Diese Arbeit machte ich halbtags, um den Anforderungen in >Haus und Hof< gerecht werden zu können. Auch diese Aufgabe stellte sich als eine große Herausforderung dar, da meine eigentliche Hauptaufgabe nicht die Betreuung der kranken alten Menschen zu Hause war, sondern die Wichtigkeit dieser Versorgungsmöglichkeit Bürgermeistern, Ärzten und auch der Bevölkerung nahe zu bringen. Neben beruflichen Fortbildungen begann ich zu dieser Zeit auch, persönliche Fortbildungen zu besuchen. Mit dem 2 Jahre dauernden >Politischen Grundkurs< erwarb ich mir ein Zertifikat für pädagogische Tätigkeiten in der kirchlichen Erwachsenenbildung. Bis zur Geburt unserer Tochter Judith habe ich den Stützpunkt der Hauskrankenpflege in L geleitet. Der Biobereich hat langsam doch einen größeren Kundenbereich angesprochen und unsere Vermarktungsgemeinschaft vermarktet, um ein größeres Produktangebot zu haben, für einige andere Bauernfamilien die Produkte mit. Mein Aufgabenbereich der Buchführung, Produktabrechnungen, Bestellungen Kundenanfragen...hat somit weiter an Umfang zugenommen. Da ich auch meinen Kindern ausreichend Zeit widmen wollte, bin ich vorerst nicht in den Beruf zurück gegangen. Nach 2 Jahren ist mir trotz vieler Arbeit und ehrenamtlicher Tätigkeit doch wieder etwas abgegangen - die berufliche Herausforderung. 386

Aus einem Prospekt der „Speckmühle“: „Wir sind eine Vermarktungsgemeinschaft von Bauern. Da wir auch solche bleiben möchten liegen uns folgende Punkte sehr am Herzen: _ Erhaltung eines gesunden Bodens durch Fruchtfolge, keine synthetischen Dünge- und Pflanzenschutzmittel, nur hofeigene Dünger wie Kompost...artgerechte Tierhaltung. Stroheinstreu, Auslaufmöglichkeiten, keine Importfuttermittel, sondern biologisches Futter ohne Antubiotika, kein Tierkörpermehl, keine Wachstumsförderer. – Lebensmittel mit hoher innerer und äußerer Qualität. Eine gesunde Ernährung zu einem gerechten Preis, mit dem Sie und wir zufrieden sind, ist uns wichtig – möglichst stressfreie Schlachtung am Hof in eigens dafür errichteten Räumen – tierärztliche Kontrolle vor und nach der Schlachtung – Qualität der Wurst- und Selchwaren. Wurst- und Selchwaren enthalten Gewürze aus biologischem Landbau. Bis auf 1 Wurstsorte wird bei keiner Wurst- oder Selchware Pöckelsalz verwendet. Selbstverständlich sind auch keine Farbstoffe oder Geschmacksverstärker enthalten. – Wir bringen Ihnen unsere Spezialitäten im wahrsten Sinne des Wortes >naheFreizeit< habe ich in den letzten Jahren zusammen mit meinem Mann einige Kurse im Bereich Gesprächsführung, Gestaltpädagogik, Ehevorbereitung, Paarberatung und -begleitung gemacht. Dieser Bereich ist für uns sehr interessant und wird in Zukunft aus unserer Sicht auch an Bedeutung zunehmen. Wie meine oder unsere zukünftige Arbeitswelt aussehen wird, ist im Moment noch nicht klar. In einem Jahr bin ich 40 - also in der Lebensmitte. Bis dahin möchte ich für mich entscheiden, was und wie viel ich in Zukunft arbeiten möchte. Ich sehe es als Privileg, eine Arbeit zu haben, die mir Freude macht und mich auch persönlich bereichert und die sich in einem bestimmten Rahmen auch mit zu Hause vereinbaren lässt. Andererseits macht mir auch die Arbeit mit Paaren oder Gruppen großen Spaß. Diesen Bereich in Zukunft beruflich zu nutzen, wäre auch eine Möglichkeit.388 Wieder in die Praxis zu gehen und mit alten Menschen zu arbeiten - z. B. in einem Altenheim - wäre eine andere Möglichkeit. Durch die Skandale in letzter Zeit ist die Nachfrage nach Bioprodukten natürlich rasant gestiegen. Auch hier könnte ich mich in Zukunft vermehrt einbringen. Eine Möglichkeit, die ich noch nicht durchdacht habe, ist die Kombination in verschiedensten der oben angeführten Bereichen z. B. Arbeit in der Landwirtschaft und zusätzlich Kursangebote in diesem Bereich... Was genau - ich weiß es nicht - die Zukunft wird es bringen Der ganze Abschnitt C9 – Helfen hilft mir – kann unter anderem auch mit seinen Tätigkeitsbiographien auf die Bedeutung sozialen Bewusstseins in der Arbeitswelt hinweisen. Auch der jetzt kurz skizzierte Ansatz von Muhammad Yunus möge unter diesem Aspekt gelesen werden. „Ich bin überzeugt, dass das Gewinndenken einer der Punkte ist, in dem sich die Starrheit des Kapitalismus besonders manifestiert. Antrieb für alles ist der Gewinn, ja sogar - wenn dies auch etwas hart klingen mag - die Gier. Dies muss aber nicht so sein. Der Kapitalismus muss nicht vom Gewinn getrieben sein. Wenn wir andere Gesichtspunkte ins Spiel bringen können, wovon werden sich die Menschen dann angetrieben fühlen, was wird sie anspornen? Ich habe die These aufgestellt, dass auch das soziale Bewusstsein eine sehr starke Triebkraft sein kann. Nur wenn wir diesen Gesichtspunkt in die Diskussion einbeziehen, können wir wahrscheinlich den globalen Kapitalismus erweitern, indem wir

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Aus dem Folder der Lehranstalt der Caritas für Sozialberufe Rottenmann: „Geh deinen Weg. Für Menschen da sein...gute Vorbereitung für Sozial-und Gesundheitsberufe..Einblicke gewinnen..Verantwortung üben..Begabungen entdecken.. Helfen als Beruf. Deine Zukunft. Krankenpflegeschulen Pflegehelfer/innenausbildung. Fachschule für Altendienste und Pflegehilfe. Fachschule für Familienhilfe.“ 388 Zwei Angebote im Pfarrblatt von L, Dezember2001/Jänner 2002: - „>Von der Sehnsucht, über die Sinne zu mehr LebendigkeitDie Armen sind Opfer der (sozialen) Institutionen, die wir aufgebaut haben.< Yunus zeigt Mittel und Wege auf, wie es gelingen kann, >auszubrechen aus der Tyrannei von Strukturen, die Armut schaffenneuen< Kapitalismus, der die Armut auf der Welt beseitigen kann. Früher galt für viele die Maxime: Befreiung vom Kapitalismus. Yunus dreht die soziale Logik um: Befreiung von Armut durch den Kapitalismus.“390

* Franz hilft jetzt anders391 Die Wahl eines Berufes ist verbunden mit vielen Fragen und Ungewissheiten. Wird Altenhelfer der richtige Beruf für mich sein? Werden die beruflichen Tätigkeiten meinen Vorstellungen entsprechen? Wie wird es sein, erneut mit Prüfungen konfrontiert zu werden? Wie wird sich das Leben insgesamt verändern angesichts der neuen Anforderungen? Diese und ähnliche Fragen habe ich mir vor drei Jahren gestellt, als ich meine zweite Berufsausbildung und zugleich meine Tätigkeit in der Pflege und der Betreuung alter Menschen in einem Alters- und Pflegeheim begonnen habe. Zuvor war ich 13 Jahre als katholischer Priester in der Diözese Graz – Seckau tätig. In meiner Ausbildung zum Priester bin ich den traditionellen Weg gegangen. Matura im Bischöflichen Seminar, ehemals Knabenseminar, ab der zweiten Klasse habe ich das Internatsleben mehr oder minder genossen. Danach ging es direkt weiter ins Grazer Priesterseminar und zum Theologiestudium an die Karl – Franzens – Universität Graz. Ein Jahr habe ich im Ausland studiert, nämlich an der theologischen Fakultät in Freiburg / Schweiz und auch außerhalb der >geschützten Mauern< eines Seminars in einem Privatquartier gewohnt. Meine ersten beruflichen Tätigkeiten waren dann im Rahmen des Pastoralpraktikums Religionsunterricht in einer Grazer Hauptschule, Ministrantenstunden, Jugend- und Jungschararbeit, Bibelrunden, Firmunterricht etc. Als Diakon kam das Predigen und Feiern von Taufen, Eheschließungen, Begräbnisse u.a. hinzu. Meine erste Kaplanstelle war in einer obersteirischen Bezirksstadt, es folgte dann eine Landpfarre ebenfalls in der Obersteiermark und 8 Jahre schließlich war ich in einer oststeirischen Pfarre als Pfarrer tätig. Die Aufgaben und Tätigkeiten als Kaplan und Pfarrer lassen sich üblicherweise in den drei Aufgabenbereichen Verkündigung, Liturgie, Diakonie zusammenfassen. Wobei aus meiner Sicht es schwierig ist, alle Tätigkeiten, die so für einen Priester anfallen, wirklich als Arbeit zu sehen. Sind Geburtstagsgratulationen oder Liturgiefeiern wirklich Arbeit? Ich habe es für meinen Teil so gehalten: Arbeit war für mich immer die Vorbereitung, die Feier selbst hat nicht unbedingt etwas mit Arbeit zu tun. Eine Feier, ein Fest lebt ja von seinem Unterschied zur Arbeit und zum Alltag. Arbeit ist meist hingeordnet auf Zweck, Nutzen und Erfolg. 389

aus: Muhammad Yunus, Befreiung vom Kapitalismus, Befreiung durch den Kapitalismus? Neue Perspektiven in der Armuts- und Sozialpolitik, in: Dettling, Denken, Handeln, Gestalten, 119ff. Yunus, Initiator der Grameen Bank, einer Bank für die Armen, ganz besonders für arme Frauen, will die Gründung von nicht (allein) am Gewinn orientierten Unternehmen anregen, „Unternehmen, die durch das soziale Bewusstsein angetrieben werden. Dinge, die es bisher im Markt nicht gab, können dann in den Markt eingeführt werden. Sie bringen keine großen Gewinne in Dollar und Cent, aber eine hohe soziale Rendite.“ Yunus kann sich auch Mischunternehmen (gewinnorientiert - nicht gewinnorientiert) vorstellen. 390 aus: Warnfried Dettling, Denken, Handeln, Gestalten. Neue Perspektiven für Wirtschaft und Gesellschaft, in: Dettling, Denken, Handeln, Gestalten, 13 391 Anonymisierter Originaltext. Franz ist Geburtsjahrgang 1960.

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Solche Fragen aber in Zusammenhang mit einer Feier zu stellen, würde die festliche Stimmung schon im Ansatz zerstören. Vielleicht sind Liturgien und kirchliche Feiern oft so wenig einladend, weil sie zu sehr nach Arbeit >riechenwichtigste Tätigkeit< von Priestern besteht vielleicht darin, sich letztendlich selbst überflüssig zu machen, indem die Menschen dazu befähigt werden, dass sie selbst ihren Weg des Glaubens, des Lebens finden und Möglichkeiten entdecken, wie sie ihrem Glauben Ausdruck verleihen können. Dazu braucht es natürlich eine Haltung und Einstellung, die die Mündigkeit der Gläubigen absolut in den Vordergrund stellt und das sehe ich als das ganz große Manko in der (momentanen) Situation der röm.-kath. Kirche. Gegen jede Form von Bevormundung ist zu sagen, dass jeder Mensch in sich seinen eigenen Plan eines geglückten Lebens trägt. Diesen Plan herauszufinden und danach zu leben, darum geht es. Was mich als Priester und auch jetzt in meiner Tätigkeit als Altenhelfer fasziniert, sind die Menschen in ihrer Vielfalt und Einmaligkeit. Es war und ist für mich immer eine besondere Herausforderung gewesen, Menschen kennenzulernen, eine Beziehung aufzubauen und zu sehen, wie sie in ihrer Einzigartigkeit ihr Leben gestalten. Oft kommt mir vor, besonders alte Menschen sind mit ihrer langen individuellen Lebensgeschichte stärker noch als Kinder, Jugendliche und Erwachsene, so etwas wie einmalige Exemplare und kostbare Bücher, die sich öffnen, um andere darin lesen und an ihrem Leben teilhaben zu lassen, die sich dann auch wieder verschließen und geheimnisvoll bleiben. Vielleicht ist es das, was mich dazu bewegt hat, nach bzw. statt der kirchlichen Karriere meine berufliche Tätigkeit auf das Feld der Altenarbeit zu verlegen. Für diese meine jetzige berufliche Tätigkeit habe ich die Ausbildung zum Alten- und Pflegehelfer absolvirt und zugleich am ersten Universitätslehrgang Interdisziplinäre Gerontologie (ULIG) in Graz teilgenommen. Der Abschluss des ULIG ist heuer im Herbst. Kennzeichnend für den Beruf des Altenhelfers / der Altenhelferin ist die Aufgabenvielfalt. Die einzelnen konkreten Tätigkeiten lassen sich drei Bereichen zuordnen: Begleitung, Versorgung und Pflege. Begleitung alter Menschen heißt in Gesprächen und körperlichen Zuwendungen (Handhalten, umarmen...) Unterstützung zu geben bei der Sinnfindung und Neuorientierung in der Lebensphase Alter sowie bei der Bewältigung von Krisensituationen (Einsamkeit, Krankheit...). Mit Versorgung sind die diversen unterstützenden Tätigkeiten im hauswirtschaftlichen Bereich (z.B. Essen zubereiten, Wäsche versorgen, Wohnung reinigen...) gemeint, die eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für die Erhaltung einer weitgehend selbständigen Lebensführung alter Menschen haben. Zu den pflegerischen Tätigkeiten gehören nicht nur Unterstützung und Hilfe bei der Körperpflege, sondern vor allem die verschiedenen Maßnahmen der Aktivierung, Reaktivierung, Rehabilitation und Prävention. Alles, was ich als Altenhelfer tue, soll die Selbstbestimmung und Eigenständigkeit des alten Menschen fördern und nichts anderes als Hilfe zur Selbsthilfe sein. Als Altenhelfer arbeite ich nicht am alten Menschen, nicht für ihn oder gegen ihn, sondern mit ihm, er bleibt Subjekt, der über sein Leben bestimmt. Für mich stellt die jetzige Arbeit mit den alten Menschen auch eine positive Anforderung an mich als ganzen Menschen, denn ich werde körperlich, geistig und seelisch gefordert. Oder man könnte es noch einmal anders sagen, ich gehe jetzt einer Arbeit nach, die Fähigkeiten und Kompetenzen verlangt, die sich mit drei Begriffen umschreiben lassen, die jeweils mit einem >H> beginnen. Ein >H> steht für die Hand und damit für alle körperlichen Tätigkeiten und Hilfestellungen, auf die die alten Menschen in ihrem Alltag angewiesen sind, um ein möglichst normales Leben führen zu können. Das reicht eben von den oben genannten alltäglichen Handreichungen bis dahin, dass nichts anderes mehr getan werden kann, als einem Sterbenden die Hand zu halten. Als oberster Grundsatz für mich gilt dabei, so zu handeln, dass der konkrete alte Mensch weiterhin in der Lage ist, so gut es eben geht, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Das zweite >H> meint das Hirn. Sinnvolles Helfen geht nicht ohne Einschaltung des Gehirns, ohne Reflektieren des eigenen Handelns. Denn es gibt ein Helfen, das

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Selbständigkeit, Selbstverantwortung und Selbstbestimmun fördert, und es gibt ein Helfen, das entmündigt und abhängig macht. Es gilt: Alles, was der alte Mensch selber tun kann, soll er in der Tat selber tun. Oft ist dazu viel an Animation und Motivation notwendig, denn es ist nun einmal bequemer, manches für sich tun und entscheiden zu lassen. Also die wichtigste Tätigkeit als Altenhelfer ist wiederum, sich selbst möglichst überflüssig zu machen. Das dritte >H> schließlich gilt dem Herzen. Alte Menschen brauchen, wie alle anderen auch, Zuneigung und Liebe, sie brauchen Empathie. Empathie meint in diesem Zusammenhang, mit dem Herzen den alten Menschen zu sehen, d.h. einfühlend und nicht wertend sich auf die jeweils einmalige Welt des alten Menschen einzulassen. Das Wort von Antoine de Saint – Exupery, “man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“, bewahrheitet sich gerade auch in der Begegnung mit den alten Menschen. Dort, wo ich in diesem Sinne mit dem Herzen zu schauen beginne, sehe ich zuerst nicht das Äußere, die Runzeln und Falten der alten Menschen, eben nicht zuerst ihre Defizite, sondern ihren Reichtum an Erfahrungen und inneren Werten, ihre Stärken und Ressourcen. Was meine Arbeit zur Zeit für mich darüber hinaus so interessant macht, ist, dass ich in dem Senioren- und Pflegewohnhaus, in dem ich arbeite, zugleich als Assistent der Hausleitung tätig bin. Dabei fallen Tätigkeiten wie die Aufnahme alter Menschen ins Haus, Angehörigenarbeit, Redaktion der Hauszeitung, Organisation verschiedener Veranstaltungen für BewohnerInnen und MitarbeiterInnen, Personalentwicklung, Schnittstellenmanagement, Arbeitsablauforganisation u.ä. an. DIE Verbindung der beiden Aufgabenbereiche - Altenhelfer und Assistent der Hausleitung - stellt für mich die Chance dar, einerseits in der Begleitung, Pflege und Versorgung direkten Kontakt mit den alten Menschen zu haben und andererseits zugleich in alle wichtigen Entscheidungen für das ganze Haus eingebunden zu sein. Gerade in der Entscheidungsfindung kann ich meine konkrete Erfahrung aus der Praxis als Altenhelfer einbringen, ich bin dabei aus meiner Sicht so etwas wie ein Anwalt der alten Menschen. Damit sind auch schon meine zukünftigen Tätigkeiten, wie sie sich zur Zeit für mich darstellen, angesprochen. Wenn es irgendwie möglich ist, möchte ich in meiner Arbeit mit den alten Menschen die beiden eben genannten Tätigkeitsfelder aufrecht erhalten. Vorstellen könnte ich mir auch, nebenbei mit einigen wenigen Stunden in der Ausbildung der Altenhelfer tätig zu sein. Ich denke mir, dass gerade für die Berufsausbildung Lehrpersonen wichtig sind, die in der konkreten Praxis tätig sind. Sonst kann ich nur noch sagen, AltenhelferIn (in Hinkunft: AltenfachbetreuerIn) ist ein Zukunftsberuf392, weil es immer mehr alte Menschen gibt, sondern weil das Berufsbild einer modernen Gerontologie entspricht. „Anderen helfen? Das kann Spaß machen! - Unglaublich erfüllend! - Die Motivation ist dann am größten, wenn konkrete Projekte zu verwirklichen sind. - Man kommt mit sympathischen Menschen zusammen. - Positive Bestätigung ersetzt moralische Verpflichtung. – Soziales Denken ist nicht out!“ Solche Aussagen sind zu hören, wenn (junge) Menschen nach ihrer Motivation für solidarischen Einsatz gefragt werden.

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Aus: Folder AltenfachbetreuerIn, PflegehelferIn, Caritas Ausbildungszentrum für Sozialberufe. 2001: „Helfen lernen – Stärken entdecken. Ihr Berufswunsch: Sie sind gerne mit alten Leuten zusammen? - an sozialer Arbeit interessiert? – gerne eigenverantwortlich tätig? – körperlich und seelisch belastbar? – mindestens 17 Jahre alt? – Dann ist der Beruf Altenfachbetreuer/in und Pflegehelfer/in der richtige für Sie!“

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* Erstes Blitzlicht: Internet – Communities393: Viele nette Nachbarn Gemeinschaften im Internet dienen dem wissenschaftlich – philosophischen Gedankenaustausch, der politischen Meinungsbildung, aber auch hemmungslosem Vergnügen in der in der Spaß – Gesellschaft... Communities im Internet: Man bringt sich ein. Multiple Persönlichkeiten tauschen sich aus. Hierarchiefreie Vernetzung. Man steuert Ideen bei und erlebt ihre Weiterentwicklung live mit. Virtueller Vergnügungspark. Informationsaustausch im transnationalen Bereich. Mein Input vergrößert den Output für viele: win – win – Situation. Rund um die ruhigen und netten Gemeinschaften entstehen Handels – und Industriezentren. Der Kommerz betritt auch diese Kommunitäten. Business to Business und mehr...

* Zweites Blitzlicht: Evi besucht Omi394 Seit zwei Jahren studiert Evi in der Stadt, in der auch ihre Großmutter wohnt. Evi hat ihr Studium mit dem strengen Auftrag ihrer Eltern begonnen, die Omi doch hin und wieder zu besuchen. Anfangs war das für Evi auch gar kein großer Auftrag: Man konnte bei der Fahrt mit der U doch die Stadt etwas erkunden, es war einiges neu für Evi. Die Oma steckte ihr auch immer etwas >Fahrtgeld< zu und alle zwei Wochen ließ sich die halbe Stunde beim Kaffee mit der alten Frau schon ertragen. Doch es wurde zusehends immer mühsamer für Evi, die Zeit für die Besuche bei der Großmutter auf ihrem Stundenplan unterzubringen: Vorlesungen waren zu besuchen und Seminare, Bücher und Skripten wollten besorgt werden, Prüfungen standen bald an. Evi konnte sich auch rasch einen Kreis von FreundInnen und Bekannten aufbauen, mit dem sie sich auch ab und zu traf. Evis Mutter rief sie dann eines Tages an und sagte ihr, die Omi hätte sie gefragt, ob Evi denn wohl hoffentlich nicht krank wäre, sie sei seit drei Wochen schon nicht mehr bei ihr gewesen. Da erst fiel es Evi auch ein, das stimmte wirklich. Evi war richtig Einfach typisch – Die vier 402

Abschnitt 10 – Ich bin BaumeisterIn – verweist auch mit seinen Tätigkeitsbiographien auf die Bemühungen heutiger Menschen, aus unterschiedlichen Elementen sich ein (Berufs-) Leben aufzubauen. Der folgende unter Anführungszeichen stehende Text entspricht dem Original der mir von Margit anvertrauten Tätigkeitsbiographie. HK 403 Über die Situation der AbsolventInnen des Architekturstudiums: Der Architekturprofessor zu seinen StudentInnen: „Also, ich sag Euch gleich: Rechnet auch damit, dass ihr eines schönen Tages eventuell das Affenhaus im Zoo bauen werdet.“ Text zu einer Karikatur in: DIE ZEIT, 36, 2001, 63

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Temperamente unter der Lupe< von Florence Littauer habe ich mein eigenes Persönlichkeitsprofil herausgefunden. Es hat mir geholfen, viel Neues über mich zu erfahren und zu verstehen, warum ich in bestimmten Lebenssituationen auf meine Art reagiere und nicht anders. Somit wurde mir klar, dass ich Aufgaben auf meine melancholische Art erledigen >mussteWas für ein Glück!< riefen die Nachbarn. >Glück oder Unglück, wer weiß, wer weißWas für ein Unglück!< sagten die Nachbarn. >Der einzige Sohn, und jetzt ist er ein Krüppel!“ >Glück oder Unglück, wer weiß, wer weiß?“ bemerkte der Alte. Wenig später brach im Land ein Krieg aus und alle jungen Männer wurden eingezogen - nur der Sohn des Alten nicht, denn er hatte einen steifen Arm. >Welch ein Glück!> meinten die Nachbarn. >So hast du einen Sohn, der darf zu Hause bleiben und kann dir sogar noch helfen.< >Glück oder Unglück, wer weiß, wer weiß?“ bemerkte der Alte nur. Nachdem der Krieg vorbei war, waren alle jungen Männer des Dorfes gefallen. Auch der Sohn des direkten Nachbarn war gestorben. Der Nachbar konnte den Anblick des Sohnes vom Alten nicht mehr ertragen und zündete voll Zorn und Neid den Hof der Bauernfamilie an. >Welch großes Unglück!< riefen die Nachbarn. >Jetzt habt ihr keinen Hof mehr!< >Glück oder Unglück, wer weiß, wer weiß!< sagte der weise Alte. Als sie die verkohlten Überreste des Hauses aufräumten, stießen sie auf eine große Truhe aus Metall voller Goldmünzen. >Was für ein Glück!< riefen die Nachbarn. Und was wohl machte da der Alte? Er setzte zu einer Antwort an, die... Anfang 1997, nach einer routinemäßigen Untersuchung beim Arzt, ging es Schlag auf Schlag. Innerhalb weniger Tage kam ich ins Krankenhaus. Nach zahlreichen Untersuchungen stand auch der Operationstermin fest. Diagnose: bösartiger Tumor - Glück oder Unglück? In dieser Situation, wo einem förmlich der Boden unter den Füßen weg gezogen wird, kann man zuerst keinen klaren Gedanken fassen. Es hat einige Zeit gebraucht, zu erkennen, dass alles, was an mich heran getragen wird, nur ein >Agebot des Lebens< ist, dass Probleme nur Aufgaben des Lebens sind - die jedoch ein Geschenk enthalten. Das Problem ist nur die Packung, das Geschenk die Erkenntnis: >Wenn Gott ein besonderes Geschenk machen will, verpackt er es in ein Problem.< Oder wie es Franz Grillparzer ausdrückt: >Gott nimmt nicht die Lasten, sondern stärkt die Schultern.
Alles ist in uns.< Wenn wir überzeugt sind, dass in jedem Menschen ein göttlicher Funke vorhanden ist, so kommt es darauf an, diesen Funken zum Leuchten zu bringen, also seine Gaben weiter zu entwickeln. Was in uns schlummert, müssen wir entfalten. Oft fragen wir uns, wie jemand mit weniger Potential erfolgreicher wird als jemand, der voller Begabungen steckt. Es blieb kein Geheimnis, dass es darauf ankommt, wie intensiv wir mit dem, was wir haben, förderlich umgehen. Defizit lässt sich zu einem großen Anteil durch Einsatzbereitschaft, Selbstvertrauen und die Fähigkeit, lernend mit Menschen umzugehen, ausgleichen. Viele suchen in der ganzen Welt nach Schätzen, aber sie vergessen in ihrem eigenen Garten zu graben. Mystiker, Magier, Alchimisten404 wussten, dass wir alle Schätze in uns tragen: >Alles ist in mir, und wir finden es in uns oder nirgends.< Abschließend eine Geschichte über die Weisheit: Nachdem die Götter das gesamte Universum, Pflanzen, Tiere und Menschen geschaffen hatten, schufen sie zum Schluss die schöpferische Energie. Lange berieten sie sich, wo sie die schöpferische Energie verstecken sollten, um das Abenteuer des Suchens zu verlängern. Und es kamen die tollsten Vorschläge: Man könne doch die schöpferische Energie in den Tiefen des Meeres verstecken. Einer der Götter kam auf die Idee, man könne die schöpferische Energie auf der Schattenseite des Mondes verstecken. Schließlich ergriff der älteste und weiseste der Götter das Wort und sagte: >Wir verstecken die schöpferische Energie im Herzen des Menschen. So wird er sie auf der ganzen Welt suchen, ohne zu wissen, dass er sie im Herzen trägt.< Alles ist in uns. Und da der Mensch ein Werdender ist, ist es nicht entscheidend, wie wir heute sind, sondern wie wir werden möchten. >Fleißig sein.< Mein 9. Schuljahr war in der Handelsschule, die ich eher schlecht als recht in Erinnerung habe. Die Noten waren eher im unteren Bereich. Meine Eltern waren dafür, dass ich einen >gescheiten< Beruf erlernen muss. In der Nähe war eine Lehrstelle als Einzelhandelskaufmann frei. Sogar zum Vorstellungsgespräch kamen wir zu spät. Aber - ich wurde genommen. Im Verkauf war ich gut und die Lehrmeisterin war zufrieden. Nur war ich lieber im Lager, wo ich einem Arbeitskollegen bei der schweren Arbeit helfen konnte. In der Berufsschule hatte ich stets Auszeichnungen, weil mich das alles ganz einfach interessierte. Nach 1,5 Jahren wechselte ich die Filiale. Ich durfte in der anderen Filiale Arbeiten tun, die ich gesetzlich nicht tun durfte. Und es hat gepasst, denn ich lernte sehr viel dabei. Im Rückblick muss ich bemerken, dass es zum Teil anstrengend war, täglich zur Stelle zu sein, egal, ob man verkühlt oder müde ist. In meinem dritten Lehrjahr bin ich mit meinem Kaplan nach Horn gefahren, um dort das Canisiusheim und das Bundesaufbau - Gymnasium anzuschauen. Ich wollte maturieren und ich wollte in meinen Gedanken Priester werden. Für mich war es nach diesem Besuch klar: Im 405

Originaltext. Siegfried ist Geburtsjahrgang 1975

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Herbst geht es in Horn weiter. Doch vorher machte ich noch den Führerschein A – C und die Lehrabschlussprüfung. Und meinen Eltern musste ich es auch noch sagen. Mit 18 Jahren begann ich das fünfjährige Aufbaugymnasium in Horn und wohnte im Interdiözesanen Seminar für Priesterspätberfufene im Canisiusheim. Im Seminar dort war ich in allen Bereichen tätig und war auch Seminarsprecher. Die Schule habe ich jährlich mit ziemlich guten Noten hinter mich gebracht - entgegen meinen Erwartungen. Es ging mir gut, weil ich ein Ziel hatte, deshalb hatten es die Lehrer auch leichter. Verstehen konnte ich es nicht, wenn Schüler nicht Schüler sein wollten, vielleicht wäre es gut, wenn sie mal einer Arbeit nachgehen würden. Nach der Matura ging ich zum Zuvildienst zur Caritas Graz. Diesen leistete ich in einer Pfarre ab. Behindertenarbeit, Flüchtlingshilfe und Altendienst waren die Schwerpunkte. Aber auch Jungschar-, Jugend-, Seniorenbereiche wurden mir anvertraut. Eben so half ich bei Armenausspeisungen und organisierte Hilfstransporte nach Zagreb. Was ich heute noch gerne mache. Nach dem Zivildienst bin ich im Priesterseminar eingetreten und studiere Fachtheologie und Selbständige Religionspädagogik.406 Im Seminar bin ich zur Zeit Seminarsprecher und helfe mitzudenken in unserem Haus. Was meine zukünftigen Tätigkeiten sein werden, weiß ich noch nicht genau. Wie mir die Vergangenheit zeigt, kann sich schlagartig alles ändern. Ich bin dankbar, so, wie es ist und auch so, wie es war und bin für meine Kindheit dankbar, dass ich vorbereitet wurde fürs Leben. Was vielleicht zu wenig war, kann ich ja nachholen.

* Dr B weiß nicht so recht Da ich das Glück habe, liebe Eltern zu haben, die mir nach der Matura ein Studium ermöglichten, begann ich an der Uni Graz Medizin zu studieren. Im Rahmen dieses Studiums absolvierte ich erste praktische medizinische Tätigkeiten am Unfallkrankenhaus Graz im Fach Chirurgie, an der medizinischen Abteiling im LKH Innsbruck, an der Dermatologie im LKH Graz, an der Pathologie im LKH Salzburg sowie an der Kinderklinik in Graz. Eine vertiefte Ausbildung machte ich im Fach der Psychiatrie. Ein Semester studierte ich auch in Wien. Um einen Teil der Kosten zu tragen, arbeitete ich zunächst bei einem blinden Universitätsprofessor, dem ich aus Büchern vorlas und auch auf seinen Reisen begleitete. Dadurch lernte ich auch zum ersten Mal andere Formen der Heilkunst kennen, u.a. im Rahmen eines Seminars bei einer Schamanin. Daneben arbeitete ich in den Ferien zuerst als Putzfrau in einem Spital. Die interessanteste Erfahrung dabei war die Größe der Bedeutung

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Aus dem Folder „Was kann ich werden? Hier wirst du gebraucht!“. Herausgeber: Canisiuswerk. Zentrum für geistliche Berufe, Wien 2001: „Priester: Der Priester lädt die Menschein ein, mit ihm gemeinsam auf GOTTES WORT zu hören und aus den SAKRAMENTEN zu leben. Er führt eine Gemeinde zur EINHEIT zusammen und hilft jedem einzelnen in seinen Lebens- und Glaubensfragen. Was er mit Worten verkündet, soll er auch durch sein Leben bezeugen. Zeichen dafür sind die Ehelosigkeit und eine Ausrichtung nach den Ratschlägen des Evangeliums. Voraussetzungen: Psychische Reife; Offenheit für die Probleme und Hoffnungen der heutigen Menschen; physische Gesundheit; Bereitschaft zum Zölibat; religiöse Basis; Bereitschaft zur Bindung an Gott, die Menschen, die Kirche; Matura oder Studienberechtigungsprüfung und intellektuelle Begabung zum Theologiestudium. Ausbildung: Theologiestudium, parallel dazu Priesterseminar; Priesterweihe. Theologiestudium: Theologie kann man in Österreich an den theologischen Fakultäten der Universitäten oder an Hauslehranstalten von Diözesen und Orden studieren. Sie gehört zu den ältesten systematischen Wissenschaften. Dieses Studium war bis zu Beginn unseres Jahrhunderts Priestern vorbehalten, heute ist das Studium Voraussetzung für viele Berufe der Kirche von Frauen und Männern. Mindeststudiendauer: 10 Semester für Fachtheologie, 11 Semester für Selbständige Religionspädagogik, 9 Semester für Kombinierte Religionspädagogik.“ – Vgl auch: Geistliche Berufe in Österreich. Erarbeitet von der Projektgruppe „Geistliche Berufe in Österreich“ im Auftrag der Österreichischen Bischofskonferenz, hg im Österreichischen Pastoralinstitut, Wien 2000

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der Hierarchie in einem Spital. Danach arbeitete ich mehrere Male in einem Krankenhaus in Zürich als Pflegeschwester. Nach Abschluss meines Studiums und der Promotion zum Doktor med erfolgte der Sprung ins kalte Wasser und die Erkenntnis, dass Studium und Praxis oft weit auseinander liegen. Meine erste Anstellung erfolgte in der Lehrpraxis eines Internisten, danach eine 6monatige Turnustätigkeit in einem unfallchirurgisch/orthopädischen Rehabilitationszentrum. Anschließend stieg ich in den Landesturnus ein und arbeitete an verschiedenen Abteilungen der LKHs Bruck, Graz und Leoben. In dieser Zeit lernte ich auch meinen Mann kennen. Je länger ich arbeitete und je mehr ich lernte und Erfahrungen im Umgang mit Patienten sammelte, um so mehr begann ich die Arbeit als Ärztin zu lieben. Gegen Ende der Turnuszeit schrieb ich viele Bewerbungen. Die Hoffnung auf eine spezifische Fachaudbildung gab ich auf Grund der begrenzten Anzahl von Ausbildungsstellen bald auf. Bewerbungen hatte ich auch an verschiedene Rehabzentren geschickt, auf eine dieser bekam ich eine positive Antwort und eine tolle Anstellung in einem kardiologischen Zentrum. In dieser Zeit machte ich auch das Notarztdiplom und eine Ausbildung zum Akupunkturarzt (Diplom für Körperakupunktur). Leider (leider!) wurde das Rehabilitationszentrum aus Kostengründen nach einem Jahr gesperrt. Für mich ergab sich jedoch eine neue Möglichkeit. Ich begann in einem arbeitsmedizinischen Zentrum und machte auch die Ausbildung zur Arbeitsmedizinerin, weiters die Ausbildung zum Sachverständigen gemäß dem Führerscheingesetz. Während dieser Zeit wurde ich schwanger und bekam das reizendste Kind der Welt. Nachdem meine Tochter ein Jahr alt war, bot mir mein Chef an, einen Tag pro Woche Gesundenuntersuchungen zu machen. Ich begann, >geringfügig beschäftigtComputerführerschein< oder ECDL >European Computer Driving Licence“. Wie geht es weiter? Mehrere Möglichkeiten 1. >Nur< mehr Hausfrau sein? 2. Ein zweites Kind gleich? Jedoch besteht die Unsicherheit, durch eine weitere Karenzzeit meinen derzeitigen Job zu verlieren, da die Einsatzzeiten der Arbeitsmediziner immer mehr reduziert werden. 3. Ist die Arbeitsmedizin (>Der Patient des Arbeitsmediziners ist der ArbeitsplatzNur so ist die Förderung der Sozialzeit und der damit verbundenen Leistungen möglich. Nur so kann die Dynamik gebrochen werden, nach der immer weniger Menschen immer mehr, immer mehr Menschen immer weniger arbeiten.< Neuhold bringt dann Kombilöhne ins Spiel, bei denen der Staat niedrige Löhne aufbessert. So könnten Vorschläge von Kombinationen verschiedener Arbeitsformen weitergedacht werden. 409 Nach: Peter Felixberger, Patchwork statt Monotonie. Ein Leben lang jeden Tag zur gleichen Arbeit. 87 750 Stunden lang, von 20 bis 65! Schluss damit. Patchworker gestalten ihr Leben freier und anders, in: KARRIERENSTANDARD, 21./22. Juli 2001, K1

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...... small points 1. in individualisierten formen eines religiös – psychologisierenden synkretismus410 suchen menschen motivation und kraft auch für ihre arbeitswelt. die sehnsucht nach großen erzählungen (auch: anchoring) lebt in den herzen der menschen und kann sie aktivieren. 2. kürzer werdende berufslaufbahnen haben vielfältige individuelle und gesellschaftliche gründe. 3. bastlerIn oder baumeisterIn: die menschen wählen höchst individuelle berufslaufbahnen. 4. ein – und ausstieg stehen bei geistlichen berufen in zukunft ähnlich zur disposition wie in den meisten anderen tätigkeiten.411 5. neue aufteilungen der menschlichen tätigkeitszeit folgen persönlichen entwürfen. in zukunft werden gesellschaftlich neue angebote zu erstellen sein. 6. erwerbsarbeit wird auch künftig ein bestimmender faktor für die strukturierung der lebensgestaltung der menschen bleiben.412

410 „Religiöse Cocktails“ nennt die Trendforscherin Faith Popcorn diese Erscheinung: „Ein bisschen Judentum, ein klein wenig Buddhismus, das Ganze kombiniert mit Yoga.“ Interview in der Kleinen Zeitung, 29. Dezember 2001, 36f. Vgl auch auch: Ich bin Baumeisterin. „Margit“ in dieser Arbeit. 411 Vgl Rainer Bucher, Pluralität als epochale Herausforderung, in: Herbert Haslinger (Hg), Handbuch Praktische Theologie, Band 1: Grundlegungen, Mainz 1999, 97: „Die gegenwärtige Pluralisierung von Lrbensentwürfen und Weltdeutungen schafft notwendig auch in der Kirche und ihren Gemeinden eine Pluralität von Biographien, Meinungen und Milieus.“ 412 Vgl etwa Jaufmann, Arbeitsmoral,499, wo ein zentrales Ergebnis der Länderanalysen so formuliert wird: „Erwerbsarbeit - das daraus resultierende Einkommen, Ansehen und Selbstwertgefühl - definiert nach wie vor weitgehend die Position des Individuums in der jeweiligen Gesellschaft, und dies wird von den Arbeitnehmern auch ganz real und nüchtern so gesehen. Sie entscheidet eben so zu großen Teilen über die gesellschaftliche Teilhabe.“

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11 Absolut sicher wissen wir vorläufig gar nichts. Max413 Ich bin geboren am 22. 08. 1985 im Grazer Landeskrankenhaus, mit sechs Jahren in die Volksschule eingetreten worden, und habe mit Dreizehn die Hauptschule beendet. Zur Zeit besuche ich die 2. Klasse der HTBLA Ortweinschule für Audiovisuelles Mediendesign in Graz. Einige meiner ersten Erinnerungen waren, oder sind, die Entdeckung meiner größten Vorlieben, nämlich die Musik und das Zeichnen. Schon mit zwei Jahren auf meinem Buckel entdeckte ich, dass man mit ein paar Kochlöffeln auf ein paar Kochtöpfen, wenn nötig auch auf dem Klavier, prima Musik machen kann. Allerdings waren meine Eltern ein wenig dagegen, dass ich mich mit den Kochlöffeln am Klavier versucht habe, so blieb ich dann doch bei den Kochtöpfen. Aber auch das war auf lange Sicht unpraktisch, und so bekam ich dann zu meinem vierten Geburtstag mein erstes Schlagzeug. Kurz danach bin ich in den Genuss meiner ersten Unterrichtsstunden gekommen. Ebenso versuchte ich mich mit meinen Zeichenkünsten an unseren Wänden, und auch hierbei habe ich mir kein Blatt vor den Mund genommen und deshalb wurde mir auch hier bald eines vorgelegt. Doch plötzlich war es aus mit der schönen Zeit, denn irgendwer hat vor zweihundertfünfzig Jahren gemeint, ich müsste zur Schule gehen. Wie Viele von uns Lieben, Kleinen marschierte ich, angefressen aber brav, einer netten Dame nach. Es stellte sich später heraus, dass die vorher genannte nette Dame eine Lehrerin war und wir sie jetzt die nächsten Jahre beinahe jeden Tag sehen würden. Und so habe ich auch festgestellt, dass die Schule gar nicht so schlimm ist wie alle zuerst behauteten, sondern auch ein Riesenspaß sein kann. Über die Schule weiß ich nicht viel zu erzählen, außer dass ich neben den vielen, vielen Dingen, die ich in der Schule gelernt habe beziehungsweise hätte lernen sollen, noch einiges Wissenswertes erfahren habe... Nach den ersten vier Jahren in der Schule wurde es dann allmählich ernster. In der zweiten Klasse der Hauptschule habe ich mir dann eigentlich zum ersten Mal ernsthaft Gedanken darüber gemacht, was ich eigentlich werden möchte. Mir sind dabei viele Dinge durch den Kopf gegangen und da ich mich von klein auf schon immer für etwaige Medien wie Fernsehen, Fotografie und Ton interessiert habe, wurde ich allmählich auf den Ausbildungszweig für Audiovisuelle Medien an der HTBLA Ortwein in Graz aufmerksam. Als ich zum ersten Mal diese Schule betrat, war ich schlichtweg begeistert. Und da dachte ich mir: >In diese Schule will ich gehen!< Und nicht einmal mehr die harten Aufnahmekriterien konnten mich davon abschrecken, diese besuchen zu wollen. Deshalb machte ich mich ans Werk, die Aufnahmekriterien zu erfüllen und begann schon am Ende der zweiten Klasse damit, die erforderliche Zeichenmappe zu fertigen. Was mir noch zugute kommen sollte, denn ich hatte dann in der vierten Klasse keinen allzu großen Zeitdruck, die Mappe fertigzustellen. Dann am 21. April 1999 war es so weit. Der Tag der Wahrheit war gekommen. An diesem Tag fand die künstlerische Aufnahmsprüfung statt. Dieser Tag war einer der anstrengendsten Tage in meinem bisherigen Leben. Denn man kann gar nicht glauben, wie verdammt hart es sein kann, zehn Stunden lang zu zeichnen und zu malen, und das gerade mal mit einer Pause! Nach langem Warten wurde mir mit der Post die um zwei Wochen verspätete Nachricht zugesandt, dass ich aufgenommen sei. Ein wenig später war die Hauptschule auch schon vorbei. Dann ging es endlich ab in die neue Schule. Am ersten Schultag habe ich mich gefragt, wie die Schule so sein wird, wenn man nicht ausnahmsweise für zwei Stunden, sondern hoffentlich für die nächsten fünf Jahre dort ist. Ich bin in der darauffolgenden Woche zu dem Schluss gekommen, dass es in dieser Schule nicht anders ist als in anderen Schulen: Nette Lehrer, nicht so nette Lehrer, nette Schulkameraden, nicht so nette Schulkameraden, und dazwischen verteilt auf die ganze Anstalt noch ein paar Neunmalkluge! Nun bin ich in der zweiten Klasse und habe festgestellt, dass, wenn man nicht aufpasst, nette Lehrpersonen zu nicht so netten werden können, wenn man nicht so spielt, wie diese es gerne hätten. Und wenn das vorkommt, gibt es einen gewaltigen Krach, bei dem wir Schüler dann meistens den Kürzeren ziehen und anschließend noch eine >Ehrenrunde< laufen dürfen. 413

Max: Originaltext

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Nebenbei bin ich jetzt im Fach Schlagzeug an der Musikschule im elften Lehrjahr und habe in dieser langen Zeit bereits vier verschiedene Lehrer und einen Direktor hinter mir gelassen. Wobei der Lehrer, der mich jetzt unterrichtet, der netteste und beste ist. Weiters habe ich bemerkt, dass es für mich mittlerweile fast unmöglich ist, ohne Musik auszukommen. Das Einzige, was mich an der Musikschule in den letzten paar Wochen gestört hat, ist, dass es mir neben den vielen Aufführungen fast unmöglich war, die Qualitäten meines neuen Lehrers auszukosten und so meinen musikalischen Horizont zu erweitern, was sich mittlerweile schon wieder gebessert hat. Nun stellt sich mir eine Frage, eine gute Frage. Nämlich die Frage nach meiner Zukunft und wie ich in naher oder auch ferner Zukunft zu meinem Lebensunterhalt kommen werde. Diese Frage ist für mich sehr schwer zu beantworten, denn ich habe sehr, sehr viele Vorlieben, mit denen ich unter Umständen auch irgendwann einmal Geld verdienen könnte. Was mir bleibt, ist die Qual der Wahl, dieses zu entscheiden und dann auch noch mit dieser Entscheidung leben zu müssen. Als kleiner Junge habe ich öfter daran gedacht, einmal Arzt zu werden und in einem Krankenhaus zu arbeiten, aber wenn ich heute daran denke, weiß ich nicht, wie ich auf diesen Gedanken gekommen bin. Vielleicht war ich davon begeistert, anderen Menschen helfen zu können oder ich habe mich einfach in eine dieser Arztserien hineingelebt und wollte so sein wie einer dieser Ärzte. Aber wie schon gesagt, ich weiß nicht mehr, wie ich auf diese Idee gekommen bin, Onkel Doktor werden zu wollen. Als ich dann älter wurde, bin ich immer mehr auf andere Gedanken gekommen und habe mich für andere Sachen zu interessieren begonnen, wie zum Beispiel für die Musik oder die Fotografie, aber auch für den Kampfsport, den ich in letzter Zeit betreibe. Aber der Kampfsport ist für mich eher ein Mittel zur Beruhigung, wobei ich mir eigentlich nicht vorstellen kann, jemals damit Geld zu verdienen. Wie ich bereits im Verlauf dieses Textes habe zu Ohren kommen lassen, werde ich an einer HTL für Kunst und Design, genauer für Medientechnik und an einer Musikschule unterrichtet, was für mich heißt,, dass ich eine sehr vielfältige Ausbildung in Sachen Musik, Bild und Ton erhalte. Und ich bin überzeugt davon, dass ich, was diese Dinge betrifft, in den nächsten drei Jahren noch sehr viel dazulernen werde und so meine Berufschancen erheblich steigern kann. Zum Beispiel könnte ich nach meiner Ausbildung als Kameramann, Cutter, Tontechniker oder Musiker Arbeit finden oder auch das Geschäft meiner Eltern weiterführen, um meine Brötchen zu verdienen. Aber wie schon erwähnt, ist mir in der letzten Zeit bewusst geworden, dass ich ohne die Musik einfach nicht mehr auskommen kann und diese, wenn auch nur irgendwie möglich, zumindest als kleinen Nebenerwerb beibehalten möchte. Was mir in meinem hoffentlich langen und erfüllten Leben noch alles ins Haus stehen wird, ist ungewiss, aber ich habe mir einige Ziele gesteckt, die ich in den nächsten Jahren erreichen möchte. Ich will meine jetzige Schule so schnell und gut wie nur irgend möglich beenden. Dann wären da noch einige Anliegen was die Musik betrifft. Hierbei handelt es sich um den Einstieg in die Musikhochschule, vorübergehend allerdings nur als Außerordentlicher Hörer, wobei die Betonung hier indirekt auf >vorübergehend< liegt und die Teilnahme am Bundeswettbewerb >Prima la MusicaHobby< noch weiter auswirken wird, kann ich nicht voraussehen, aber ich bin mir sicher, dass es sich sehr rasch weiterentwickelt. Den Ereignissen in meinem bisherigen Leben zufolge kann ich eigentlich nicht wirklich sagen, wofür ich mich letzten Endes entscheiden werde. Sicher ist für mich nur, dass nichts sicher ist!

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* Ulrich Beck: Risikobiografie - Bruchbiografie414 UB: Die Arbeitsgesellschaft, jetzt auch aus der Perspektive der Individuen betrachtet, wandelt sich zu einer Risikogesellschaft. Während die Vollbeschäftigungsgesellschaft ein kalkulierbares Risiko für den Einzelnen war, wird nun die flexible Arbeit zu einem unkalkulierbaren Risiko. Denn es wird unklar, wie weit die Existenzgrundlagen für eine mittelfristige oder langfristige Perspektive vom Einzelnen überhaupt noch erreicht werden können. Es besteht damit ein Übergang von der Risikobiografie zur potenziellen Bruchbiografie. Dafür gibt es schon viele Beispiele. Arbeitslosigkeit tritt nicht mehr als erfahrbares Kollektivschicksal auf. Die Massenarbeitslosigkeit wird zerstückelt, individualisiert. Man könnte sagen: Dies ist lebensphasen – spezifisch verteilt. Auf der einen Seite entsteht eine Demokratisierung von unten, weil jeder der Tendenz nach einmal erfasst wird. Auf der anderen Seite wird aber auch in der Mitte der Gesellschaft die Unberechenbarkeit der eigenen Existenz zu einem Dauerproblem. Dies bedeutet wiederum, dass Familiengestaltung, Zusammenwirken von Männern und Frauen im Bereich von Elternschaft, Umgang mit Kindern immer schwieriger werden. Man kann geradezu einen Welten – Unterschied konstruieren. Während im Bereich Arbeitsmarkt die Forderung nach Flexibilität im Sinner einer immer kurzfristigeren Anpassung an ökonomische Erfordernisse gepredigt wird, ist das Miteinander – Leben, die experimentelle Kultur, in die sich private Beziehungsverhältnisse verwandelt haben, genau von der Gegenforderung gekennzeichnet. Hier muss man auf einander eingehen, muss man für einander da sein, muss man verlässliche Zusammenhänge stiften, so dass man sagen kann, dass dieser Gegensatz zwischen den Anforderungen von Beziehungen, von Elternschaft, von Kindern in immer krasseren Widerspruch zu den Flexibilitätsanforderungen des Arbeitsmarktes gerät. Man kann sich das ganz konkret vergegenwärtigen. Eine allein erziehende Mutter, die permanent unter der Anforderung steht, den Job zu wechseln und die Arbeitszeiten so einzurichten, dass sie optimal verfügbar für den Arbeitsmarkt ist, und die auch bereit ist, das immer wieder, von Woche zu Woche oder von Monat zu Monat, umzukrempeln, wird von den Verhältnissen zur Rabenmutter gemacht, weil der andere Zeitrhythmus des Arbeitsmarktes sie dazu zwingt, ihre Kinder zu vernachlässigen. Auf der Ebene der Biografie, um das noch einmal zusammen zu fassen, bedeutet diese vertragliche, örtliche und zeitliche Flexibilisierung von Arbeit eine Verschärfung von Individualisierung, die letzten Endes die sowieso schon vorhandene Tendenz zur Atomisierung noch nachdrücklicher werden lässt. Die Lebenszusammenhänge werden zerstückelter, die Sozialisationserfahrung der Arbeit entfällt. Arbeit kann auch immer ortsunabhängiger wahrgenommen werden; infolgedessen gibt es den Sozialisationsort nicht mehr, der den gesellschaftlichen Zusammenhang stiftet und die Gemeinsamkeit einer Lage hergestellt hat, so dass mit diesen verschiedenen Flexibilitätsformen der Arbeit das Risikoregime um eine wesentliche Dimension weiter in den Alltag hinein geschraubt wird. JW: Wenn man das alles bedenkt, kommt man um die Feststellung nicht herum, dass sich die Gesellschaft in jeder Hinsicht grundsätzlich wandelt. Um ein nahe liegendes Beispiel zu nehmen: Man müsste doch dann Bauspargesellschaften, Bausparkassen geradezu verbieten, weil sie noch eine Illusion von berufsbiografischer Stabilität vorgaukeln, dass man nicht nur eine Arbeit hat, die einem gestattet, die monatlichen Raten abzustottern, sondern dass man sich auch an ein und demselben Ort, nämlich da, wo man sich die Reihenhaushälfte gekauft hat für teures Geld, seiner Arbeit nachgeht und dann dermaleinst im Kreise seiner Lieben die 414

aus: Beck, Freiheit, 219-221. Ulrich Beck im Gespräch mit Johannes Willms. – Siehe auch: Wolfgang Bonß/Joachim Hohl/Alexander Jakob, Die Konstruktion von Sicherheit in der reflexiven Moderne, besonders den Absatz „Biographische Sicherheit“, in: Beck, Modernisierung, 155f. Zitat: „Die Herstellung biographischer Sicherheit wird..zu einer individuellen und schwer lösbaren Aufgabe, als die Gültigkeit lizrenzierter Normalbiographien weiter abnimmt. Dagegen werden die Einzelnen mit einer Fülle von Optionen konfrontiert, aus denen sie selbst auswählen können (aber auch müssen) – eine Anforderung, die Irritationen und u. U.auch biographische Unsicherheit..zur Folge haben kann...Reflexive Deutungen der eigenen Biographie werden...an Bedeutung gewinnen, d.h., die Individuen rechnen sich relevante biographische Ereignisse (auch in ihrer Kontingenz) verstärkt selbst zu.“

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Augen zu macht und das Erarbeitete an die Erben weiter gibt. Das ist doch ein völliger Widerspruch. Wolfgang Bonß entwickelte vier Szenarien, auf welche die Erwerbsgesellschaft zusteuern könnte: ein Trendszenario und ein Alternativszenario mit je einer Positiv – und einer Negativ – Variante415: 1. Trendszenario, Positiv – Variante: Radikal individualisierte Erwerbsgesellschaft mit dominant marktgesteuerter sozialer Integration. 2. Trendszenario, Negativ – Variante: 2/3 - 1/5 Erwerbsgesellschaft als krisenhaft – defizitäre Risikogesellschaft mit neuen sozialen Ungleichheiten. 3. Alternativszenario, Positiv – Variante: Arbeitsgesellschaft jenseits der Erwerbsgesellschaft mit neuen >politischen< Solidaritätspotentialen. 4. Alternativszenario, Negativ - Variante: Sozial desintegrierte Nicht – Erwerbsgesellschaft mit starken Armutspotentialen und massiven Exklusionen. Für viele Menschen wird die Zukunft jedenfalls nicht einfach die „Qual der Wahl“ bringen, welchen Beruf sie ergreifen sollen, sondern die Sorge, überhaupt Arbeit zu finden. Diese in manchen Ländern zum Teil „hoffnungslos überschüssige“ (und auch vom politischen Prozess abgekoppelte) Bevölkerung einem mehr oder weniger repressiven Staat als Problem der inneren Sicherheit und der Armenfürsorge zu überlassen, liegt auch nicht im Interesse der „Mehrheit der Zufriedenen und Nicht – ganz – so – Zufriedenen“416 und würde ohne Zweifel auch eine Gefahr für die Demokratie darstellen. Ulrich Beck sieht eine Problemlösungsmöglichkeit darin, „indem politisch an einer Gesellschaft gebaut wird, die den Arbeitsmangel in Zeit – Wohlstand und selbst zu gestaltende politische Freiräume verwandelt...Unverzichtbar dafür ist, dass der Tätigkeits – Pluralismus Erwerbsarbeit, Familienarbeit, Selbstarbeit und Bürger – (Nicht -)Arbeit - nicht nur erkannt und anerkannt wird. Viel mehr müssen in Gestalt eines neuen gesellschaftlichen >Aktivitäts – Vertrages< die notwendigen Basissicherheiten geschaffen werden, damit die Menschen zwischen diesen Tätigkeitsfeldern wählen und wechseln konnen.“417 Orio Giarini und Patrick M. Liedtke präsentieren in ihrem Bericht an den Club of Rome418 ein „Mehrschichtenmodell produktiver Tätigkeiten“, das davon aus geht, dass auch in einer postmodernen postindustriellen Gesellschaft der näheren Zukunft wesentliche Teile der wirtschaftlichen Tätigkeiten um den Austausch von Geld organisiert sein werden: (1.) „Für die Beschäftigung würde dies bedeuten, dass jeder einzelne und die Gesellschaft gemeinsam ihre Erfindungsgabe dafür verwenden sollten, jedem menschlichen Wesen ein Minimum an bezahlter produktiver Tätigkeit zu bieten. Das würde die von uns so bezeichnete >erste Schicht< der produktiven Tätigkeit bilden. (2.) Eine >zweite Schicht< produktiver Tätigkeit würde jede bezahlte Arbeit über die erste Schicht oder das erste Niveau hinaus umfassen bzw. diese ersetzen. Diese zweite Schicht sollte von staatlichen Eingriffen völlig frei bleiben, abgesehen von der Schaffung der entsprechenden gesetzlichen Rahmenbedingungen. Für eine vermutlich große Zahl von Einzelpersonen würden Tätigkeiten und Beschäftigungen in der zweiten Schicht produktive Tätigkeiten in der ersten Schicht überflüssig machen. Falls die einzelnen

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Wolfgang Bonß, Was wird aus der Erwerbsgesellschaft? in: Beck, Zukunft von Arbeit und Demokratie, 327415, Struktur Seite 374 416 Vgl Ulrich Beck, Wohin führt der Weg, der mit dem Ende der Vollbeschäftgungsgesellschaft beginnt? in: Beck, Zukunft von Arbeit und Demokratie, 64f 417 Ulrich Beck, Wohin führt der Weg, der mit dem Ende der Vollbeschäftigungsgesellschaft beginnt? in: Beck, Zukunft von Arbeit und Demokratie, 65 418 Orio Giarini, Patrick M. Liedtke, Wie wir arbeiten werden. Der neue Bericht an den Club of Rome. Mit einem Vorwort von Ernst Ulrich von Weizsäcker, München 1999

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Menschen dies wünschen, können sie mehrere Teilzeitbeschäftigungen der zweiten Schicht mit einander kombinieren, statt nur einer Beschäftigung nachzugehen. (3.) Eine >dritte Schicht< produktiver Tätigkeit würde sich schließlich für alle aus Tätigkeiten in Eigenleistung oder nicht bezahlten freiwilligen Tätigkeiten zusammen setzen. Die letzteren sind häufig von einander abhängig und bilden..vor allem in der modernen Dienstleistungsgesellschaft zunehmend die Hauptvoraussetzung für ein effizientes Funktionieren und die Entwicklung des monetierten Systems.“419 Angesichts der Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft und wohl auch mitbestimmt von Einschätzungen gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen sowohl national als auch global im Zusammenhang mit der Arbeitswelt erhebt die KABÖ in ihrem Grundsatzprogramm von 2001 ua folgende konkrete, in verschiedenen Bereichen sehr unterschiedliche Forderungen: „Ein eindeutiges JA zum Sozial- und Wohlfahrtsstaat, der eine Befriedigung von entscheidenden Bedürfnissen der Bürger/innen wie z. B. Gesundheit, Verkehr, Bildung, soziale Transferleistungen...sicher stellt. Wir halten das Modell der >sozialen Grundsicherung< für einen wichtigen Schritt zum Ausbau des Sozialstaates. Wir fordern eine partnerschaftliche Arbeitsteilung und Gleichbehandlung der Geschlechter in Familie und Gesellschaft. - Wir fordern die Erhaltung der arbeitsfreien Sonn- und Feiertage in Österreich und engagieren uns in der >Allianz für den freien SonntagRund – um - die – Uhr – Wesen< konstruiert. - Wir fordern von einzelnen Unternehmen und der gesamten Wirtschaft, ihre soziale und gesellschaftliche Verantwortung stärker wahrzunehmen. - Wir fordern, dass eine Sozialverträglichkeits – Prüfung (>SozialgütesiegelSozial – UnionGlobalisierung braucht Rahmenbedingungen!< Das Wirtschafts- und Geldsystem sind einer >ethischen Kontrolle< zu unterziehen. - Wir fordern eine Welt von Arbeit und Wirtschaft, die >den Menschen in die Mitte< stellt.“420

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Giarini, Liedtke, Wie wir arbeiten werden, 248f. – Vgl auch: Leopold Neuhold, Arbeit im industriellen System. Sozialethische Bemerkungen zur Zukunft der Arbeit, in: politicum. Josef-Krainer-Haus-Schriften 87,Graz 2000, 28-31. Neuhold hebt als bei diesem Modell besonders positiv die mögliche Einbeziehung der Familienarbeit in die erste Schicht hervor, welche diese aus einer ideologisierten Engführung der Diskussion um die Familienarbeit herausführen könne. Weiters hält Neuhold es für wichtig, den Einfluss des Staates auf die erste Schicht zu beschränken und auch in dieser Schicht die Kooperation mit verschiedenen gesellschaftlichen Gruppierungen zu suchen. Mit einem solchen Schichtenmodell könnten dann verschiedenartige Beschränkungen der Arbeit wenigstens ansatzweise abgebaut, die Arbeit wieder näher an die Menschen heran geführt und den Menschen besser angepasst werden. – Auch in: Neuhold, Religion und katholische Soziallehre,365-367. – Siehe auch: Politische Maßnahmen zur Entwicklung der ersten Schicht, in: Giarini, Liedtke, Wie wir arbeiten werden 261-265 420 Katholische Arbeitnehmer/innenbewegung Österreich, Grundsatzprogramm. Ausgabe 2001, 20f

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* Arbeit, Spiel und Muße „Die Metamorphose der industriellen Produktion in einen Kultur vermarktenden Kapitalismus wird begleitet von einem gleichermaßen nachhaltigen Wandel der bisherigen Arbeitsethik in eine Spaß – und Spielethik.“421 Und damit muss nicht nur das oberflächliche Bemühen einer „Fungesellschaft“ charakterisiert sein, auf ihre Kosten zu kommen oder der süchtige, verantwortungslose Spieler vor dem Wettautomaten oder an der Aktienbörse: „Spielen ist das, was Menschen tun, wenn sie Kultur schaffen. Es ist die Freisetzung der menschlichen Vorstellungskraft, um gemeinsame Bedeutungen zu schaffen. Spiel ist eine fundamentale Kategorie menschlichen Verhaltens, ohne die es keine Zivilisation geben würde...Alle Kulturen sind aus dem Spiel entstanden.“422 Hugo Rahner zeigt, wie der „Mensch immer ein doppelter ist: ein Mensch der heiteren Geistesentbundenheit, sozusagen der seelischen Eleganz, der unbesiegbaren Geborgenheit; und eben so ein Mensch der Tragik, des Lachens und Weinens, oft geradezu der gelassenen Ironie, da er die tragisch lächerlichen Masken des Lebensspiels durchschaut, die bedrückenden Grenzen des irdischen Daseins ausgemessen hat. Und nun ist es so: nur wer diese beiden Gegensätze in eine seelische Einheit bringt, ist in Wahrheit ein spielender Mensch. Wäre er nur das Eine, so müssten wir ihn einen unernst Verspielten nennen; wäre er nur das Zweite, so bliebe er ein Verzweifelter. Die Synthese aber ist der homo ludens, der Ernstheitere, der noch unter Tränen lächelt und am Grund aller irdischen Heiterkeit den Bodensatz des Ungenügens findet...Der spielende Mensch ist zunächst ein Mensch der ernsten Heiterkeit.“423 In seiner großen Polemik gegen den modernen „Götzen Arbeit“ schreibt Josef Pieper: „Muße ist mit den äußeren Fakten von Arbeitspause, Freizeit, Wochenend, Urlaub nicht schon gegeben. Muße ist ein Zustand der Seele - die Muße ist präzis der Kontrapost des Richtbildes vom >ArbeiterDie Muße< finden sich diese Verse: >Ich steh im friedlichen Felde Wie ein liebender Ulmbaum da, und wie Reben und Trauben Schlingen sich rund um mich die süßen Spiele des Lebens.< Und wie es in der Schrift heißt, Gott habe, indem er > feierte von dem Werk, das er gemachtdie Ruhe, die Lebensintensität und Kontemplation in sich 421

Rifkin, Access, 14 Rifkin Access,351. Rifkin beruft sich auf Johan Huizinga: Dem homo ludens müsse, wenn man begreifen möchte, was den Menschen und sein Wesen ausmacht, der gleiche Rang eingeräumt werden wie dem homo sapiens und dem homo faber. Rifkin wirft aber auch dem neuen, kulturelle Erfahrungen kommerzialisierenden Kapitalismus vor, „das Spiel in all seinen verschiedenen Dimensionen zu kolonisieren und in eine handelbare Form zu transformieren.“ 423 Rahner, Der spielende Mensch, 29. - Siehe etwa auch den Aphorismus von Rene Schickele: „Der letzte Ernst der Dinge ist heiter.“ 424 Pieper, Muße und Kult, 51 422

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vereinigt.< Ein Fest feiern heißt: die Bejahung des Sinngrundes der Welt und die Übereinstimmung mit ihm, ja die Einbeschlossenheit in ihm, auf unalltägliche Weise darleben und vollziehen. Das Fest ist der Ursprung, der innere und innebleibende Ursprung von Muße. Es ist der Feier – Charakter, durch den es der Muße zukommt, nicht allein mühelos zu sein, sondern das Gegenteil von Mühe. (3) Drittens steht die Muße gegen die Ausschließlichkeit des Richtbildes der Arbeit als sozialer Funktion...Muße hat ihren Sinn nicht darin, als körperliches Ausruhen oder seelische Erholung Kraft spenden zu neuer Arbeit - wiewohl sie dies tut!..Die Muße hat ihre Rechtfertigung nicht darin, dass der Funktionär möglichst störungsfrei und ohne Ausfälle funktioniere, sondern darin, dass der Mensch Mensch bleibe - was besagen will, dass er nicht aufgehe in dem Ausschnitt – Milieu der eingegrenzten Arbeitsfunktion, sondern dass er fähig bleibe, die Welt als Ganzes in den Blick zu bekommen und hierin sich selber zu verwirklichen als ein auf das Ganze des Seins hin angelegtes Wesen.“ 425 Spiel und Muße könnten in Zukunft verstärkt in eine erneuerte Kultur der Arbeit eingebracht werden.426 Zusammen mit einer „Humanökologie“ und einer „Sozialökologie“ der Arbeit, wie sie Johannes Paul II. in CA 38 einfordert, die noch zu konzipieren sind, könnte auch durch die Bemühungen der christlichen Soziallehre eine zukunftsfähige (ökumenische) Spiritualität der Arbeit in Entstehung begriffen sein.427 Damit könnte die Arbeit aus manchen sie noch immer drückenden und auch aus neuen Engführungen heraus kommen. Dann kann sie zur guten Arbeit im guten Leben werden.

.......... small points 1. wer bildung als chance versteht und diese ergreift, kann auch die neuen technologien als positive möglichkeiten sehen. 2. künstlerisch begabten menschen gelingt spielerisch der einstieg in die neuen medien. 3. risikobiografien werden in zukunft immer öfter zu bruchbiografien. 4. arbeitslosigkeit wird lebensphasen – spezifisch verteilt immer mehr menschen treffen. 5. unberechenbarkeit von arbeitsbiografien dringt in die mitte der gesellschaft vor. 6. in zeiten der flexibilisierung der arbeitsmärkte wird stabilität in persönlichen beziehungen schwieriger. 7. mit sicherheit ist ein verstärkter und durchlässigerer tätigkeits – pluralismus zu erwarten. 8. haben Sie einen bausparvertrag abgeschlossen? 9. welche ideen hast du für die zukunft der arbeit? 10. muße ist unbezahlbar und bringt qualität ins leben.

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aus: Pieper, Muße und Kult, 52-56 Neuhold, Religion und katholische Soziallehre, 368 zitiert Schasching, der als ein Element einer Kultur der Arbeit die dreifache Funktion der Arbeit nennt: die personstiftende, die gemeinschaftstiftende, die sinnstiftende. 427 Vgl LE V. 24 – 27. Zur Spiritualität der Arbeit 426

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12 Manifest428 für gute Arbeit in einem guten Leben Statt gewohnt gewordener Eindeutigkeit und Berechenbarkeit prägen Vieldeutigkeit und Unsicherheiten das Bild der Arbeitswelt am Beginn des 21. Jahrhunderts. Die klassischen Arbeitsbiografien gehören offensichtlich der Vergangenheit an. Fleckerlteppiche aus unterschiedlichsten Beschäftigungen treten an ihre Stelle. Soziale Sicherheiten scheinen blindem Fortschrittsglauben und einem technologischen und politischen Machbarkeitswahn teilweise geopfert zu werden. Stellengerecht ausgebildete ArbeitnehmerInnen erleben sich plötzlich als Zahnrädchen, die nirgends mehr passen. Zu jeder Zeit droht die Gefahr eines materiellen Absturzes. Welterklärungsmodelle haben hinsichtlich ihres Geltungsanspruches abgedankt: Vollkommen neue Dynamiken prägen in Gleichzeitigkeit und Gegenläufigkeit unser (Nicht-) Verständnis der heutigen Wirklichkeit. Die Kapitalströme haben sich von den Warenströmen abgekoppelt, die Realwirtschaft der Güter und Dienstleistungen macht gegenwärtig nur einen Bruchteil der weltweiten Finanzwirtschaft aus. Neue Spielarten des Wettbewerbes im Globalisierungsprozess bringen nationale und regionale Rahmenbedingungen des Arbeitens und Wirtschaftens zunehmend unter Druck. Trotzdem mögen in diesem Manifest die positiven Seiten des Wandels im Vordergrund stehen und die Gestaltungsmöglichkeiten, die sich daraus ergeben.

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gemach! ein bewusstes „weniger“ kann zu einem gesegneten „mehr“ werden. ideenmanagerInnen lösen fließbandarbeiter ab. lust statt entfremdung! mehr spiel und muße in den arbeitsprozess! alles arbeiten kann als kreatives tätigsein gestaltet werden. work follows the sun: unter den strahlen der sonne lebt es sich behaglich. actio und contemplatio. homo faber, homo sapiens, homo ludens. gott oder mammon. spiel und notwendigkeit. heiterkeit und tragödie. humor und oder ernst. arbeit und muße - oft muss sich der mensch entscheiden - gut... im globalen dorf geht die sonne nie unter. nomadische arbeitskultur bedingt ständige rollenwechsel: jeder arbeitet jeweils dort, wo seine kompetenzen gerade nachgefragt werden. betrachte die lilien auf dem felde... motto einer kultur der beweglichkeit: arbeite wann, wo, was und wie du willst! arbeit ist mehr - arbeit ist nicht alles. organisationen der zukunft setzen auf eine kultur der vielfalt durch vielfalt der kulturen und gewinnen damit kreativität und innovationen. spiel und muße öffnen verengte arbeitsgewohnheiten. die vögel unter dem himmel und der ochse, der da drischt… wir fördern eine abrüstung der arbeit. gute arbeit verleiht dem rhythmus deines lebens sinn. das letzte fruchtbarwerden deiner arbeit liegt nicht in den händen von menschen. es ist nicht wahr, dass naturgesetzlich immer irgend jemand unter die räder kommen muss. du kannst auch in deinem job win – win – situationen kreieren.

Für Ideen zu diesem Manifest bedanke ich mich bei: Theodor Adorno, Thomas von Aquin, den Glücklichen Arbeitslosen, Thomas Banyacya, Ulrich Beck, Dagmar Deckstein, Gundula Englisch, Matthew Fox, Mathias Horx, Pinchas Lapide, Sten Nadolny, Leopold Neuhold, dem Nobelpreiskomitee von Stockholm, Josef Pieper, Hugo Rahner, Jeremy Rifkin, Kathleen Sanford, Johano Strasser...

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das interreligiöse angebot zur feiertagsgastfreundschaft könnte in den zeiten der globalisierung zur selbstverständlichkeit werden. lehr- und wanderjahre sind cool. wer ständig in bewegung ist, belastet sich nicht mit unnötigem besitz. routine raus, freiräume rein! ein kultureller sprung in der arbeitswelt: weg von der misstrauenskultur, hin zu einer vertrauens- und lernkultur. arbeit der zukunft: die vereinigung von anstrengung und lust (?) ein experimentierender umgang mit einem möglichkeitenmix wird teil deines lebens in der arbeit. wird der sonntag von den interessen und lässigkeiten zerstört, denen er im wege ist? gut leben heißt gut arbeiten. arbeit möge schön sein und zur schönheit der welt und der arbeitenden beitragen. der mensch ist mensch vor jeder arbeit, vergiss das nicht! der stamm der jobnomaden wird immer größer. V3 kennzeichnet eine neue arbeitskultur: vertrauen, verantwortung, vielfalt. es gibt kein gutes arbeiten im schlechten (?) wie notiert deine ICH – Aktie heute? gewerkschaften werden neue wirksame instrumente entwickeln müssen, um interessen der arbeitenden menschen vertreten zu können. wie schaffen wir eine global anerkannte humanökologie und eine sozialökologie der arbeit? wir ächten den zerstörerischen workaholismus. arbeiten und loslassen! trägerInnen mittlerer berufqualifikationen befinden sich in der größten gefahr, arbeitslos zu werden. lifelong learning ist angesagt, mag es auch wie eine drohung klingen. die peitsche des hungers darf kein argument werden. möchtest du in einer gesellschaft leben, in der jobholder zufriedenheit und arbeitslose unzufriedenheit zu heucheln gezwungen sind? that what creates welfare is not goods as such, but the activity for which are acquired. die zukunft bringt die befreiung vom joch der monotonen arbeit, die synthese aus selbstverwirklichung und arbeit (?) fürsorgliche führungskräfte verbessern die arbeitszufriedenheit der mitarbeiterInnen, die markentreue der kundInnen und die rentabilität des unternehmens. der „fortschritt“ geht von hard work zu hard fun. arbeit basiert nicht mehr auf ihrer zerlegung in kleine arbeitsschritte, sondern auf austausch von erfahrungen und komplexem wissen: auf information. die sphäre der erwerbsarbeit breitet sich auf unser ganzes soziales universum aus. fördere dein portfolio (= deine selbstbeschreibung, deine biografische landkarte) in 3 richtungen: - soft skills (= deine beruflichen fähigkeiten), talents (= deine individuellen talente, zb musische), - smarts (= deine humankompetenzen, deine sozialen talente, deine emotionale intelligenz). du kannst das alles für deine arbeit brauchen. es steigert den wert deiner ICH – aktie. und: es bringt dich als menschen weiter. der war for talents tobt schon.

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ist good to be remembered that everybody in his work is following his own dream. nur jemand, der die gegenwart der arbeit auch als eine andere denken kann als die existierende, wird auch ihre zukunft gestalten. das erste bild, das die schrift von gott gibt, ist das eines werkmeisters, eines künstlers. wir werden draufkommen: in arbeit, spiel und muße findet der mensch zu sich, so befreit er sich aus seiner fesselung an die arbeit.

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