25 JAHRE STIF TUNG WENDEPUNK T

25 Jahre Wendepunkt und kein bisschen müde Leben und Lernen in Gemeinschaft Benjamin Giezendanner: Wiedereingliederung als Kernauftrag inkl. Geschäftszahlen 2017

Weiss

Die Stiftung Wendepunkt ist eine innovative und dynamische Unternehmung mit Sitz in Muhen und Betrieben an mehreren Standorten im Kanton Aargau. Sie besteht seit 1993 und hat sich zu einem führenden Sozialunternehmen mit drei Tochter­ firmen entwickelt. Ihre marktwirtschaftlichen und sozialen Dienstleistungen machen sie zu einem attraktiven Partner für die Wirtschaft und staatliche Stellen. Die insgesamt 900 Arbeits-, Ausbildungs-, Wohn- und Tagesplätze werden von 200 Fach­­ personen auf christlicher und sozialer Grundlage mit dem Ziel geführt, Menschen in ihrer beruflichen und sozialen Integration zu unterstützen.

wende.ch/stiftung

IMPRESSUM Herausgeber: Stiftung Wendepunkt, Schlüsselring 10, 5037 Muhen Telefon 062 737 55 80, Fax 062 737 55 81, [email protected], wende.ch Redaktion: David Fiechter, Regine Frey, Julia Plüss, Sascha Lang, Markus Stutz Konzept/Gestaltung/Lithografie: Basel West Unternehmenskommunikation AG Basel Michael Aerni, Frédéric Giger, Sinia Brugger, Nathalie Huber Illustrationen: Manuel Bürli (S. 10-13) Fotografie: Frédéric Giger (Titel, S. 5, 14-15, 17, 18, 20); Pascal Vigini (S. 5); Stiftung Wendepunkt (S. 4, 6-7); Aargauer Zeitung/Chris Iseli (S. 8); Lea Ladner (S. 22-23) Druck: ZT Medien Zofingen Im Dienst der Umwelt wurde dieses Magazin auf ökologisch hochwertiges FSC-Papier gedruckt, das aus Recycling- und FSC-Frischfasern hergestellt wird.

WE NDE .CH/BLOG Neuigkeiten aus der Stiftung Wendepunkt erfahren Sie zuerst auf unserem Blog. Bleiben Sie stets auf dem Laufenden und verbreiten Sie unsere Anliegen über Social Media an Ihre Bekannten weiter.

2

Leidenschaftlich die Wendepunkt-Geschichte weiterschreiben Das Jubiläumsfest schreibt bereits Geschichte.

Zeichen in diese Richtung sind sichtbar: ­Das in

Besinnlich, ermutigend, humorvoll, wortstark,

den Statuten verankerte «gesamtschweizerische

mit kulinarisch und musikalisch Feinem – so

Sozialwerk» nimmt Gestalt an.

resümiere ich. Einige Eindrücke davon lassen wir auf den letzten Seiten dieser WENDE Revue

Apropos Geschichten. Wenn Sie eine Seite um-

­passieren.

blättern, lesen Sie bereits die erste in­Kurz­form. Weitere folgen auf den Seiten 14 bis 21. Klientin-

Geschichten von Menschen. Sie berühren, weil

nen und Klienten, aber auch Mitarbeitende ­stehen

jede anders ist. Einmalig eben. Ohne nostalgisch

dabei im Mittelpunkt. Ihr Engagement für all die

zu werden – auch diejenige meines Vaters, mitt-

Menschen in verschiedenen Programmen und

lerweile per 31. Dezember 2017 aus dem Stif-

Angeboten ist stets gegründet auf der biblischen

tungsrat getreten. Hätte er vor 25 Jahren seinen

Aussage, dass wir das, was wir für die Menschen

Job als Bauführer und technischer Leiter nicht

tun, im Grunde genommen für Christus tun.

an den Nagel gehängt und wäre er nicht das ­Wagnis eingegangen, den Wendepunkt zu grün-

Das wird auch in Zukunft so sein: Mit Leiden-

den, gäbe es weder diese Geschichte noch den

schaft und Professionalität sowie in Zusammen-

Wikipedia-Eintrag. Nach 25 Jahren: Fortsetzung

arbeit mit den bei uns arbeitenden und wohnen-

folgt! Die Stiftung gibt sich eine neue Organi­

den Menschen die Wendepunkt-Geschichte

sationsstruktur. Damit ist sie bereit, auch An­

schreiben, sie begleiten und fördern, damit sie

gebote in angrenzenden Kantonen aufzubauen.

ihre Ziele er­reichen.

Sascha L ang Vorsitzender der Geschäftsleitung

3

News Das Aktuelle vorab. Über Menschen, Produkte und mehr. Zusammengestellt für Sie und auf den WENDE-Punkt gebracht.

E INE G ESCHICHTE – S TE LLVE R TRETE ND FÜR VIE LE Dahab Gherezghiher, gebürtige Eritreerin, lebt seit sechs Jahren in der Schweiz. Im Januar 2017 tritt sie via Migrationsamt (MIKA) in den Wendepunkt ein mit dem Ziel, ihr Deutsch zu verbessern und einen Einsatz im ersten Arbeitsmarkt mit Aussicht auf eine Anstellung zu absolvieren. Der externe Einsatz­­erfolgt im August – ­leider ohne Anstellung! Nach w ­ eiteren drei Monaten ­i ntensivem Deutsch und Job Coaching geht eine Tür auf: Frau Gherezghiher wird vom Hotel ­K rone in Aarburg als Buffetmitarbeiterin zum Probearbeiten eingeladen. ­Wochen des Wartens folgen – dann die ersehnte Antwort: Sie setzt sich gegen 60 Mitbewerbende durch und erhält die T ­ eilzeitstelle ab April 2018! Dahab Gherezghiher ­gefällt der Job. Eine Eritreerin arbeitet ebenfalls am Buffet mit. Die beiden Landsfrauen ergänzen sich bestens und sind ein gutes Team, was auch ihr Chef bestätigt.

Dahab Gherezghiher, Buffetmitarbeiterin, an ihrem Arbeitsplatz und zusammen mit ihrem Chef, Bruno ­Lustenberger, im ­Restaurant des Hotels Krone Aarburg.

4

G L ACE PE R POS T Das Coolste von der Konditorei. Sie liefert Ihre persönliche Glacebox innerhalb von 24 Stunden per Post ­d irekt ins Haus! Stellen Sie Ihre G ­ lace­­­becher aus fünf Aromen z­ u­sammen. Bestimmen Sie die Grösse der Styroporbox, welche mit Trockeneis gefüllt wird. Fertig! Für alle, die Kunden oder Teams mit dem coolen Postpaket überraschen wollen – eine weitere Idee: Auf Wunsch können die Glace­deckeli mit Ihrem Firmenlogo oder e­ iner p ­ ersönlichen Message bedruckt werden.

NEU IM S TIF TUNGSR AT Markus Geiter, Bereichsleiter Berufsbeistandschaft des Bezirks Rheinfelden, ist seit 7. Dezember 2017 neu Mitglied des Stiftungs­ rates. Er kennt den Wendepunkt von Berufs ­wegen, aber auch durch seine Mitarbeit in der Betriebskommission von 2011 bis 2017. Markus Geiter ist verheiratet, Vater zweier ­erwachsener Kinder und aktiv in einer Brassband als Musiker und Präsident des Vorstandes.

5

KULTIG E VE RSCHLUSSBECHE R Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Konfektioniert wird in Rothrist. Als erstes werden die Displays aufgefaltet, dann auf einen Transportroller gestellt und mit je 120 Becher bestückt. Danach geht’s ans Verpacken. Der Karton wird mit einem Barcode versehen und an einen ­Grosshändler/ Detaillisten ausgeliefert. Von dort findet vielleicht schon bald ein Becher – gefüllt mit einem erfrischenden Drink – den Weg auf Ihren Bürotisch ...

SCHIE NE NSYS TE ME VORMONTIE RE N Im Auftrag der Hilti (Schweiz) AG, Spezialist für Befestigungs­technik, werden in Rothrist modulare Schienen­s ysteme nach Planvorgaben vor­montiert. ­Schienensysteme werden bei der ­Installation von ­Rohrstützen, Lüftungs­k anälen und Kabeltrassen ­eingesetzt. Diese «Bau­k asten­a rbeit» verlangt von den einge­setzten Teil­nehmenden die Fähigkeit, Pläne zu lesen, handwerkliches Geschick und eine exakte ­A rbeitsweise.

6

BY THE RIVE R OF WET TING E N . . . ... da befinden sich die neuen hellen Kursräume des Betriebs Wettingen. ­«Riverside» genannt, weil direkt an der Limmat gelegen. Seit Anfang März wird ein Grossteil der Kurse hier unterrichtet: Deutsch, Alltagsmathematik, Informatik- und Kommunikations­ technologie (IKT), Selbst­management, Perspektive 50Plus und viele mehr. Ob Lernen am Fluss Power gibt? Jedenfalls finden die Räumlichkeiten und die Umgebung bei Teil­nehmenden und Kursleitenden Anklang. Ein gutes Omen!

MARKETING & UNTE RNE HME NSKOMMUNIK ATION: NEUE S TABSS TE LLE Simone Frei ist seit 1. Mai 2018 neu als Leiterin Marketing & Unternehmenskommunikation und Mitglied der Geschäftsleitung tätig. In dieser Funktion ist sie für das Unternehmen in allen Marketings- und Kommunikationsbelangen ­verantwortlich. Sie bringt ein breites, fundiertes Fachwissen und berufliche Erfahrungen in ­d iesen Bereichen mit. Während mehrerer Jahre arbeitete sie in verschiedenen ­Unternehmen der Migros-Gruppe, zuletzt als Leiterin Kommunikation und strategisches Marketing bei der Saviva AG, ebenfalls ein Unternehmen der Migros-Industrie.

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Wiedereingliederung als Kernauftrag

Im Interview unterstreicht Grossrat Benjamin Giezendanner den ursprünglichen Gedanken des zweiten Arbeitsmarktes – die Wiedereingliederung. Gleichzeitig ortet er gefährliche Tendenzen, welche diesem Grundgedanken zuwiderlaufen.

Herr Giezendanner, als Grossratspräsident waren Sie 2017 der höchste Aargauer. War es Ihnen möglich, Ihre persönlichen Ziele im Ratsbetrieb umzusetzen? Als primäres Ziel habe ich den mir verfassungsmässig zugeteilten Auftrag bezüglich der Führung des Ratsbetriebes gesetzt. Ich wollte die Sitzungen grossmehrheitlich mit Witz und Charme sowie situativ mit Disziplin führen, was mir glücklicherweise durch alle Sitzungstage gelang. Sie plädieren für mehr Eigenverantwortung und weniger Staat? Wie beurteilen Sie ­unter diesem Blickwinkel das subventionierte Engagement zur Arbeitsintegration? Der ursprüngliche Gedanke des zweiten Arbeitsmarktes ist mit der Grundhaltung «mehr Eigenverantwortung und weniger Staat» durchaus vereinbar. Ein bestimmtes ­Segment des sekundären Arbeitsmarktes soll Menschen, die den harten, wettbewerbs­ getriebenen Anforderungen der Wirtschaft aufgrund eines Handicaps nicht genügen ­können, eine sinnvolle und erfüllende Aufgabe vermitteln. Jedoch beurteile ich ein ­a nderes Segment der arbeitsmarktlichen Integration als brandgefährlich und dem ­u rsprünglichen Gedanken der Wiedereingliederung zuwiderlaufend. Zunehmend

Benjamin Giezendanner (36), verheiratet, Vater von zwei Kindern, ­wohnhaft in Rothrist, Betriebsökonom, SVP-Politiker, seit 2001 Mitglied des Aargauer Grossen Rats, im 2017 Grossratspräsident. CEO des Familienunternehmens Giezendanner Transport AG.

­werden Institutionen mit sozialem Auftrag in Bereichen tätig, welche die Wirtschaft ­konkurrieren und somit mit staatlich subventionierten Zuschüssen private Unter­ nehmen schädigen. Es gibt auch zahlreiche Unternehmen, die bewusst diese Tendenz benutzen, um Teile der eigenen Aktivitäten auszulagern und Mitarbeitende mit tieferer Qualifikation abbauen. Dieselben Arbeitsschritte werden danach fremd bei ­sozialen Institutionen platziert und günstiger eingekauft. Damit wird eine gefährliche Spirale in Gang gesetzt, was den Staat teuer zu stehen kommt.

«Das Engagement der Stiftung Wendepunkt ist sehr begrüssenswert, i­ nsbesondere bewundere ich die Leidenschaft der Mitarbeitenden.» Die Stiftung Wendepunkt ist ein wirtschaftliches Unternehmen mit sozialem Auftrag. Könnten Sie sich eine Zusammenarbeit mit einem Sozialunternehmen vorstellen und wenn ja, in welcher Form? Das Engagement der Stiftung Wendepunkt ist sehr begrüssenswert, insbesondere­be­­­ wundere ich die Motivation und die Leidenschaft der Mitarbeitenden. Eine Zusammen­­­­­ arbeit zwischen dem von mir geführten Unternehmen und Wendepunkt soll an der Schnittstelle zum ersten Arbeitsmarkt erfolgen. Sobald eine Person fit für eine Tätigkeit im ersten Arbeitsmarkt ist, soll sich diese über den normalen Be­werbungsprozess ­qualifizieren. Umso schöner ist es danach zu sehen, dass sich die ursprüngliche Idee der Wiedereingliederung bewährt hat und zwar auch in unserem Betrieb.

9

2017 in Zahlen

Details zum Geschätsjahr 2017:

In der Kürze liegt die Würze. Das nehmen wir uns zu Herzen.

Der von Ernst & Young verfasste ­Revisionsbericht nach

Wir präsentieren Ihnen Interessantes aus den Tätigkeitsfeldern

Swiss GAAP FER inkl. Leistungsbericht kann auf der ­

Arbeiten, Bilden, Wohnen und Integrieren.

Website unter www.wende.ch/zahlen eingesehen w ­ erden.

29 Mio. Franken

50

beträgt der konsolidierte Umsatz und 12 Mio. Franken das Eigenkapital. ­Beachtlich, wenn man bedenkt, dass die Stiftung 1993 mit 1000 Franken gegründet worden ist.

2’014

%

Personen

aller Personen

nehmen an den verschiedenen

eines Integrationsprogramms in

Programmen oder Angeboten teil.

den ersten Arbeitsmarkt erreichen ihr Ziel.

91

120 km

49’056’000

1’756’227

Bonbons

Zahnbürsten

ergeben 5 Stück pro Schweizer

für saubere Zähne. Die

­Einwohnerin und Einwohner.

­Ver ­packerei aller Standorte

der Klientinnen und Klienten

zurücklegen. Dieses Fitness­programm

Alle einzeln v­ erpackt durch

macht’s möglich und

mit dem Bildungsangebot.

­absolviert der Gartenbau Muhen

die Logistik/Konfektionierung

veredelt die Bürsten gemäss

Ein gutes Zeugnis für Angebot

beim Vertikutieren aller Kundenrasen.

in Rothrist.

Kundenvorgabe.

und Modulleitende!

10

%

Zufriedenheit

zu Fuss

11

2017 in Zahlen

Details zum Geschätsjahr 2017:

In der Kürze liegt die Würze. Das nehmen wir uns zu Herzen.

Der von Ernst & Young verfasste ­Revisionsbericht nach

Wir präsentieren Ihnen Interessantes aus den Tätigkeitsfeldern

Swiss GAAP FER inkl. Leistungsbericht kann auf der ­

Arbeiten, Bilden, Wohnen und Integrieren.

Website unter www.wende.ch/zahlen eingesehen w ­ erden.

29 Mio. Franken

50

beträgt der konsolidierte Umsatz und 12 Mio. Franken das Eigenkapital. ­Beachtlich, wenn man bedenkt, dass die Stiftung 1993 mit 1000 Franken gegründet worden ist.

2’014

%

Personen

aller Personen

nehmen an den verschiedenen

eines Integrationsprogramms in

Programmen oder Angeboten teil.

den ersten Arbeitsmarkt erreichen ihr Ziel.

91

120 km

49’056’000

1’756’227

Bonbons

Zahnbürsten

ergeben 5 Stück pro Schweizer

für saubere Zähne. Die

­Einwohnerin und Einwohner.

­Ver ­packerei aller Standorte

der Klientinnen und Klienten

zurücklegen. Dieses Fitness­programm

Alle einzeln v­ erpackt durch

macht’s möglich und

mit dem Bildungsangebot.

­absolviert der Gartenbau Muhen

die Logistik/Konfektionierung

veredelt die Bürsten gemäss

Ein gutes Zeugnis für Angebot

beim Vertikutieren aller Kundenrasen.

in Rothrist.

Kundenvorgabe.

und Modulleitende!

10

%

Zufriedenheit

zu Fuss

11

238’700 kg brennbares Material

11’113 Mittagessen

kommt bei Hausräumungen durch den Allround

zubereiten und den Gästen in der

Service Oftringen und Wettingen zusammen

­Gaststube, im Laterne-Säli

und wird in den Kehrichtverbrennungsanlagen

oder im Strassencafé des Restaurants

der Region entsorgt.

Laterne in Aarau servieren.

52’526 Menüs

gehen in Muhen und Wettingen über die Gastrotheke. En Guete!

23’610

Brötli, Gipfeli & Co.

5236

formen und backen. «feini sache» – ­hergestellt von der Konditorei in Muhen und zum Znüni von vielen

Windeln

25’860

wechseln. Das gehört zum daily business der KiTa-Mitarbeitenden im Kinderländli Muhen.

Kunden genossen.

Hemden

oder 104 Hemden pro Arbeitstag, vom Wettinger Näh- und Wäscheservice gewaschen und gebügelt.

12

13

238’700 kg brennbares Material

11’113 Mittagessen

kommt bei Hausräumungen durch den Allround

zubereiten und den Gästen in der

Service Oftringen und Wettingen zusammen

­Gaststube, im Laterne-Säli

und wird in den Kehrichtverbrennungsanlagen

oder im Strassencafé des Restaurants

der Region entsorgt.

Laterne in Aarau servieren.

52’526 Menüs

gehen in Muhen und Wettingen über die Gastrotheke. En Guete!

23’610

Brötli, Gipfeli & Co.

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formen und backen. «feini sache» – ­hergestellt von der Konditorei in Muhen und zum Znüni von vielen

Windeln

25’860

wechseln. Das gehört zum daily business der KiTa-Mitarbeitenden im Kinderländli Muhen.

Kunden genossen.

Hemden

oder 104 Hemden pro Arbeitstag, vom Wettinger Näh- und Wäscheservice gewaschen und gebügelt.

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Leben und Lernen in Gemeinschaft Die Wohngemeinschaften Domicilio in Muhen und Shalom in Buchs bieten 33 betreute Wohnplätze in kleinen Wohneinheiten an. Frauen und Männer mit psychischen und/oder sozialen Schwierigkeiten haben hier vorübergehend ein Zuhause und lernen, wieder ein eigenständiges Leben zu führen. 14

15

Während neun Jahren hat der 31-jährige Vater zweier Kinder in einer namhaften Recycling-Firma gearbeitet. Plötzlich kommt sein Leben ins Stocken. Nichts geht mehr. Diagnose: psychische Erkrankung und Burnout!

M

anchmal braucht es wenig, um

Seit Anfang 2016 lebt Rico Widmer in der Wohn-

die Balance zu verlieren: Ein

gemeinschaft Shalom in Buchs. Mit dem Mit­

belastendes Ereignis oder über-

bewohner seiner Wohneinheit versteht er sich

grosse Sorgen ziehen einem

gut. Einkaufen und Kochen machen sie gemein-

den Boden unter den Füssen

sam, achten dabei auf ausgewogene Ernährung.

weg. Burnout, Depression oder Verwahrlosung

Nicht nur Fleisch und Pasta, auch Salat kommt

können mögliche Folgen sein. Rico Widmer und

auf den Teller. Wöchentlich spielt Rico Widmer

Beatrice Lüscher kennen dies. Beide auf unter-

Unihockey. Sonntags besucht er meistens seine

schiedliche Art und Weise. Hier berichten sie

Kinder. Ab und zu leistet er sich einen Kino- oder

­davon – und über ihren Weg zurück ins Leben.

Matchbesuch bei seinem Fanclub, dem SC Bern.

Markus Schor, Leiter der Wohngemeinschaften, gibt Einblick in seinen WG-Alltag und was es

Seit Anfang April lebt Rico Widmer in einer

heisst, zurzeit elf Frauen und neunzehn Männer

­eigenen Wohnung. Guten Mutes visiert er neue

auf diesem Weg zu begleiten.

Ziele der Selbstständigkeit an: eine Lehre als ­Karosseriespengler, die Finanzen wieder selber

ZURÜCK ZUR SE LBS T S TÄNDIG KE IT

verwalten und für die Alimente der Kinder

Es ist sechs Uhr. Rico Widmer steht auf, trinkt in

aufkommen können.

Ruhe zwei Kaffees – sein tägliches Morgenritual –, weckt schnell den Mitbewohner, bevor er Woh-

ZURÜCK INS LE BE N

nung und Haus verlässt. Bus und Bahn bringen

«Mach am besten, was sie sagen.» Diese Worte

ihn zur Arbeit nach Muhen. In der Montage der

des 80-jährigen Vaters begleiten sie auf ihrem

Stiftung Wendepunkt arbeitet er 80 Prozent, ver-

Weg in die Wohngemeinschaft. Worte, die sich

teilt auf fünf Arbeitstage. Deshalb ist er bereits im

bei ihr tief einprägen und für die Zukunft rich-

Laufe des Nachmittags wieder in der Wohnge-

tungweisend sind. Beatrice Lüscher, 51-jährig,

meinschaft, erledigt Ämtli und Haushalt, bevor

Mutter eines erwachsenen Sohnes, Grossmutter

er ein Gespräch mit der internen Bezugsperson

eines zweieinhalb Jahre alten Enkels, verwitwet,

oder dem externen Therapeuten hat.

sieht keinen Sinn im Leben mehr: morgens aus dem Bett, vor den Fernseher, hinter den Kühlschrank. Sie vernachlässigt sich, nimmt keine Arzttermine wahr, bezahlt keine Rechnungen mehr. Aus Verzweiflung und Überforderung schlägt sie sich, gibt sich gänzlich auf. Der totale Ruin. Inzwischen lebt Beatrice Lüscher bereits zwei Jahre in der Wohngemeinschaft. Gut erinnert sie sich noch an den ersten Arbeitstag in der

16

Montageabteilung der Stiftung Wendepunkt – ein absoluter Glücksmoment: Nach 10 Jahren wieder einen Arbeitsvertrag zu unterschreiben bedeutet, zurück ins Leben zu kommen. Trotz Sehbehinderung gelingt ihr die manuelle Arbeit. Ein Beweis, dass sie einsatzfähig ist und etwas kann. Ihr ­helles Zimmer – ein Ort zum Nachdenken und Verarbeiten – bedeutet ihr viel. Daneben schätzt sie das Zusammenleben mit ihrer Mitbewohnerin und ihrem Mitbewohner. Gemeinschaft er­ leben sieht sie heute als Bereicherung und als Lernort – nämlich, um andere akzeptieren und mit Konflikten umgehen zu lernen. Dankbar über das neugewonnene Leben mit Arbeit und Hobbys, dem Miteinander in der WG und ihrem neuen Freund schaut sie in die Zukunft. Das ­Domicilio ist ihr Zuhause und wird es auch noch für eine gewisse Zeit bleiben.

MIT HE R ZBLUT LE ITE N UND ­B EG LE ITE N Markus Schor ist ein Beziehungsmensch, liebt den Kontakt zu Menschen sowohl beruflich als auch privat. Nach einem knapp siebenjährigen Unterbruch ist er 2012 wieder zur Stiftung Wendepunkt zurückgekehrt. Der Arbeitsagoge und Heimleiter hat die Stelle als Leiter der Wohngemeinschaft Domicilio in Muhen angetreten. Eine Was Rico Widmer während

Funktion, die ihm entspricht, weil sie Administ-

seiner WG-Zeit gelernt hat,

ration, Organisation und das Begleiten von Men-

will er auch in seiner eigenen

schen, Team und Bewohnerinnen/Bewohnern,

Wohnung umsetzen.

verbindet. Seit Oktober 2017 gehört auch die Wohngemeinschaft Shalom in Buchs zu seinem Verantwortungsbereich. Beide Häuser bieten zusammen insgesamt 33 betreute Wohnplätze

17

Das Licht durchflutete

an. Der Kanton hat den Platzausbau bewilligt,

Zimmer ist Beatrice

da der Bedarf an betreuten Wohnplätzen steigt.

­Lüschers Refugium. Sie

Dank geringfügiger baulicher und konzeptionel-

geniesst ihr Reich. Hier

ler Anpassungen hat es umgesetzt werden kön-

kann sie nach­denken

nen.

und ihren ­Hobbys ­f rönen.

Zwei Wohngemeinschaften unter einer Führung hiess für die beiden Teams zu einem zusammenzuwachsen. Für Bewohner mit mehr Betreuungsbedarf galt es ins Domicilio umzuziehen, für Selbstständigere im Shalom zu bleiben. Diese Prozesse sind einschneidend, brauchen Zeit und Geduld. Rückblickend schaut Markus Schor aber auf ein gutes Jahr ohne Nachteinsätze und mit nur einer Bewohnermutation am Standort Muhen zurück.

ÜBE RSICHT DE R WOHNANG E BOTE

Fünf Frauen und vier Männer bilden das Team. Ihre Arbeit ist intensiv – sie ergänzen sich gut, was vieles erleichtert. Auch für die Zukunft ha-

Betreutes Wohnen: → Wohngemeinschaft Domicilio, Muhen: 23 betreute Wohnplätze in 2er und 3er Wohneinheiten → Wohngemeinschaft Shalom, Buchs: 10 betreute Wohnplätze für selbstständigere Menschen in 2er Wohneinheiten → 8 Betreuungspersonen → Leitung: Markus Schor

ben Schor und sein Team gesorgt: Da die ihnen

Wohncoaching (Teilbetreutes und ­Begleitetes Wohnen): → 42 Personen in 36 Wohnungen → 4 Betreuungspersonen → Leitung: Ottavio Di Grassi

nis und Wesen im Sinne von «the future belongs

zugewiesenen Menschen tendenziell auf zu­ nehmende Unterstützung angewiesen sind, halten sie ein Angebot bereit, bei welchem sie intern eine Tagesstruktur anbieten und die Betreuungsleistung erweitern könnten. Dieses Vorausdenken entspricht Markus Schors Leitungsverständto those who prepare for it today» (Malcolm X)

WUMA (Wohnheim für unbegleitete ­minderjährige ­Asylsuchende): → 39 Personen → 11 Betreuungspersonen → Leitung: Eva Prim und Jonathan Josi 30 zusätzlich bewilligte Wohnplätze ab 2019 bis 2022: → Es werden Wohngemeinschaften im Frick- und ­Limmattal geplant. www.wende.ch

Regine Frey- Eichenberger Autorin

19

25 Jahre und kein bisschen müde ... Das trifft voll und ganz auf Thomas Fricker zu. Die Stiftung Wendepunkt ist für ihn nach wie vor der richtige Arbeitsort. Zusammen mit dem Sozialunternehmen feiert er Jubiläum und zieht Bilanz.

„Handwerker gesucht! Im Rahmen von Freiwilli-

E IN HE R Z FÜR ME NSCH UND HOL Z

genprojekten bauen Sie mit sozial benachteilig-

1998 folgt ein neues Kapitel: Die Arbeitsbereiche

ten Menschen Immobilien um.» Diese Annonce

Zimmerei und Malerei werden aus der Stiftung

weckt Thomas Frickers Aufmerksamkeit. Er

Wendepunkt ausgegliedert und in die erste

­meldet sich. Die Auskunftsperson lacht. ­Dieses

­Tochterfirma, die Doppelpunkt AG, überführt.

Inserat sei veraltet. Er könne sich aber beim

Nun arbeitet Thomas Fricker unter dieser Flagge.

­Binzenhof-Umbau in Aarau melden. Dort werde

Auch dort schlägt sein Herz für Mensch und

ein Berufshandwerker gesucht.

Holz. Bis heute ist der leidenschaftliche Handwerker meistens unterwegs, setzt mit einer Gruppe von

«Der leidenschaftliche Handwerker und a ­ usgebildete ­Arbeitsagoge hat ein Herz für Mensch und Holz.»

Facharbeitern verschiedene Holzbauprojekte um oder begleitet als ausgebildeter Arbeitsagoge Lernende während ihrer Ausbildungszeit. Vor 25 Jahren ist Thomas Fricker einem inneren Ruf gefolgt. Diesem ist er treu geblieben. Trotz Veränderungen und Herausforderungen weiss er sich am richtigen Platz. Ob er in der Doppelpunkt AG in Pension geht, lässt er offen und meint:

NEUL AND IN SICHT

«Im Moment ist es gut, wie es ist.»

Kurzentschlossen fährt der gelernte Möbelschreiner und damals Teilzeiterwerbslose auf besagte Baustelle. „Du kommst wie gerufen. Wir

DOPPE LPUNK T AG

brauchen jemanden», empfängt ihn Hans-Peter

Als Unternehmen im Baugewerbe mit ­Zimmerei und Malerei verbindet die ­Doppelpunkt AG markt­wirtschaftliches Arbeiten und soziales E ­ ngagement. ­Fachpersonen und Menschen in heraus­ fordernden S ­ ituationen arbeiten Hand in Hand. Ein Schwerpunkt ist zudem die Aus­bildung von Lernenden.

Lang, Gründer der Stiftung Wendepunkt. Wenige Tage später betritt Thomas Fricker Neuland und arbeitet auf der Baustelle. Ohne Vertrag und ohne Lohn wohlverstanden! Obwohl bereits im Januar tätig, wird er erst per 9. Februar 1993 unter Vertrag ­genommen und als Mitarbeiter der Stiftung

Zimmerei: → 8 Mitarbeitende → 1 Praktikant → 5 Lernende → Leitung Zimmerei und Geschäftsführer ­ Doppelpunkt AG: Hans Burgherr

angestellt. Die Ära Wendepunkt beginnt! Als Gruppenleiter ist Thomas Fricker von nun an mit sozial benachteiligten Menschen auf verschiedenen Baustellen – sogar bis ins Baselbiet – im Einsatz. Die Arbeit gefällt ihm. Er erlebt

Malerei: → 9 Mitarbeitende → 4 Lernende → 2 Personen in einer Beruflichen ­Massnahme der IV → Leitung Malerei: Urs Schärer

hautnah, wie sich der Wendepunkt entwickelt und als Baustellenfirma in der ehemaligen ­Zimmerei „Bauteam Burgherr» in Kölliken seine erste Bleibe findet. Welcher Luxus: Ein Magazin, Büros für Mitarbeitende, mehrere Fahrzeuge,

Sekretariat Zimmer/Malerei: → 1 Mitarbeiterin

Platz für die eigene Holzproduktion ... Dies ­verleiht Flügel und eröffnet neue Perspektiven.

www.doppelpunkt-ag.ch

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Das Fest zum Jubiläum Dankbar schaut die Stiftung Wendepunkt auf ein grossartiges Fest im Campussaal in Brugg-Windisch zurück. Sie hat ihr 25-jähriges ­Bestehen am 16. März 2018 zusammen mit Gästen sowie mit den Mitarbeitenden und ihren Partnerinnen und Partnern gefeiert.

Ladina und Matthias Spiess führen mit viel Charme und einer ­Prise Humor durch den Gala-Abend.

Nicht sich selber in den Mittelpunkt stellen, sondern ein Herz für den Menschen haben – gilt auch für die Zukunft!

22

«Alles Grossartige beginnt ganz klein: Mit Leidenschaft, ­Engagement, viel Schweiss und Arbeit. ­Machen Sie ­gemeinsam so weiter, S ­ tiftung Wendepunkt», ­ermutigt Wortakrobat ­Johannes Warth.

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Happy Birthday 25 Jahre Wendepunkt