Wie entsteht Stottern?

2 Wie entsteht Stottern? 2.1 Aktueller Forschungsstand  – 20 2.1.1 Entstehungstheorien im Spiegel ihrer Zeit  – 20 2.1.2 Aktuelle Forschungssc...
Author: Paula Meyer
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2 Wie entsteht Stottern? 2.1

Aktueller Forschungsstand  – 20

2.1.1

Entstehungstheorien im Spiegel ihrer Zeit  – 20

2.1.2

Aktuelle Forschungsschwerpunkte und -ergebnisse  – 20

2.2

Modell zur multifaktoriellen ­Verursachung   – 21

2.2.1

Was soll man sich unter der Disposition vorstellen?  – 21

2.2.2

Modell zum Zusammenwirken der verschiedenen Faktoren  – 22

2.3

Faktoren, die zusammen mit Stottern beobachtet werden können  – 24

2.3.1

Familiäre Häufung und g ­ enetische Komponente  – 25

2.3.2

Störung der zentralen ­Wahrnehmungsentwicklung  – 26

2.3.3

Gestörte Timing-Prozesse   – 28

2.3.4

Zusammenhang mit p ­ sycholinguistischen Fähigkeiten  – 29

2.3.5

Störungen der psychosozialen Entwicklung  – 30

2.3.6

Resultierende Risikofaktoren  – 32

2.3.7

Ausblick  – 33

Aus Ochsenkühn, Thiel, Ewerbeck. Stottern bei Kindern und Jugendlichen (Praxiswissen Logopädie). © Springer Medizin 2010

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Kapitel 2 · Wie entsteht Stottern?

2.1

Aktueller Forschungsstand Nach einem kurzen Überblick über Trends und Ergebnisse der bisherigen Stotterforschung werden die verschiedenen ätiologischen Faktoren beschrieben, die heute in der Diskussion sind. Welches Bündel unterschiedlicher Komponenten an der Entstehung des Stotterns beteiligt ist, kann nur individuell für jedes einzelne Kind festgestellt und teilweise nicht mehr als vermutet werden.

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Es bleibt unbefriedigend: Alle bisherigen Untersuchungen zur Entstehung des Stotterns konnten keine eindeutige Ursache aufzeigen. Vielmehr muss man von einer Vielzahl von Faktoren ausgehen, die bei der Entstehung und Aufrechterhaltung des Stotterns möglicherweise eine Rolle spielen und sich gegenseitig beeinflussen. Die weitaus meisten Studien zur Ätiologie des Stotterns beziehen sich auf Untersuchungen an erwachsenen Stotternden. Es ist noch unklar, inwieweit die darin gewonnenen Ergebnisse auf Kinder übertragen werden können. Zudem gibt es bislang kaum Langzeitstudien, und viele Tests wurden nur mit einer sehr begrenzten Zahl von Probanden durchgeführt. Die hier vorgestellten Faktoren können also nicht mehr als Forschungstrends wiedergeben.

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2.1.1

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Entstehungstheorien im Spiegel ihrer Zeit

Wissenschaftliche Hypothesen werden bekanntlich vom Kontext, d. h. gesellschaftlichen Strömungen und allgemein favorisierten Denkmodellen geprägt. Auch die Theorien zur Entstehung des Stotterns haben sich mit dem gesellschaftlichen Wandel verändert. War man noch bis Anfang der 70er-Jahre davon überzeugt, dass die Ursachen von Redeflussstörungen maßgeblich im Elternverhalten und bei sozialen Faktoren zu suchen seien, so entsprach das durchaus der zu dieser Zeit eher sozialpsychologisch und systemisch orientierten Krankheitsauffassung. Diese Denkweise deutete sich bereits in der sog. diagnosogenen Theorie von John-

son an1 (Johnson 1959), die inzwischen vielfach widerlegt wurde. Die darauf aufbauenden Therapieansätze konzentrierten sich folgerichtig auf die Beeinflussung der Umweltvariablen: Vorrangiges Ziel war lange Zeit die Veränderung von Einstellungen und Verhaltensmustern der Eltern gegenüber dem Kind. Es kam zu einem Paradigmenwechsel (Kuhn 1984), als neuere Untersuchungen (z. B. Cooper 1979; Jehle u. Randoll 1984) zeigten, dass Eltern stotternder Kinder sich nicht anders verhalten als andere Eltern. Die Forschung konzentrierte sich dann auf den Zusammenhang von Stottern und linguistischen Fähigkeiten und auf die neuromotorischen Abläufe und eventuelle Besonderheiten oder Abweichungen bei Stotternden. > Beachte Je nachdem, welches Modell die jeweilige Therapeutin favorisiert, beeinflusst dies die Auswahl der Therapiemethoden.

2.1.2

Aktuelle Forschungsschwerpunkte und -ergebnisse

Mit den neu gewonnenen Erkenntnissen über humangenetische, neurophysiologische, neuroanatomische und neuropsychologische Zusammenhänge haben in den letzten zwanzig Jahren Erklärungsansätze zunehmend an Bedeutung gewonnen, die von einer genetischen und körperlichen Veranlagung zum Stottern ausgehen. So konnte die Humangenetik in den letzten Jahren vermehrt Chromosomen isolieren, die als Dispositionsort für Stottern in Frage kommen (vgl. Suresh et al. 2006, Riaz et al. 2005) (7  Kap. 2.3.1). Die Neurowissenschaftler fanden bei stotternden Erwachsenen Aktivierungen und Deaktivierungen von Gehirnregionen, die bei nicht-stotternden Personen in dieser Form nicht auftreten (7  Kap.  2.3.2, Abschn. »Hemisphärenambivalenzen und Lateralität«). Auch die Reihenfolge der Aktivierung der zur Sprechplanung und Sprechen notwendigen Gehirnareale scheint bei Stotternden gestört zu sein, was eine Störung der Sprechmotorikkontrolle bzw. ein Timing-Problem im 1 Die diagnosogene und symptomatogene Theorie (Johnson 1959) ging davon aus, dass das Stottern quasi im Ohr der Eltern entstehe. Dies stellte sich Johnson folgendermaßen vor: Sind die Eltern erst einmal zu ihrer Diagnose Stottern gelangt, verändert sich ihr Verhalten bei auftretenden Sprechunflüssigkeiten des Kindes. Die so verursachten Negativreaktionen auf die Sprechweise des Kindes verursachen letztlich die Ausprägung und Aufrechterhaltung des Stotterns.

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2.2 · Modelle zur multifaktoriellen Verursachung

Zusammenhang mit der Sprechplanung und -ausführung bewirken kann (7  Kap. 2.3.3). Zusätzlich konnten strukturelle Abweichungen im Gehirn stotternder Personen nachgewiesen werden. Bisherige Untersuchungen legen nahe, dass der Einsatz von FluencyShaping-Methoden (7  Kap. 6.5) bzw. von Sprechtechniken (z. B. Prolongationen) eine effektive Maßnahme zur Kompensation der neurophysiologischen und -anatomischen Besonderheiten darstellt (z. B. De Nil et al. 2008, Neumann 2007).

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Fazit 4 Die Auseinandersetzung mit der Ätiologie des Stotterns ist sowohl für die Diagnosestellung als auch im Hinblick auf die Therapieplanung von Bedeutung. 4 Aus der jeweiligen Hypothese zu den verursachenden Faktoren des Stotterns ergeben sich der Therapieansatz und die individuell angepasste Auswahl der Therapiebausteine.

> Beachte Die aktuellen Befunde bezüglich neuroanatomischer Auffälligkeiten bei stotternden Erwachsenen sind Grundlage der Läsions-Kompensations-Theorie (Neumann 2007). Diese nimmt an, dass Mehraktivierungen bestimmter Hirnregionen bei Stotternden kompensatorischer Natur sind und versuchen, anatomische Anomalien auszugleichen.

Eine andere aktuell gängige Theorie geht davon aus, dass es sich im Wesentlichen um eine Verarbeitungsstörung bei der Umstellung willkürlicher Vorgänge der Sprechplanung auf den automatisierten Ablauf handelt (z. B. Hansen u. Iven 2002). Sicher passt diese Sichtweise zum funktionalen Verständnis des Menschen in der heutigen computerisierten, effizienzorientierten Gesellschaft. Für das therapeutische Vorgehen ergeben sich daraus direktere und pragmatische Ansätze, die darauf zielen, die »defekte« Sprechfunktion zu kontrollieren. Im Einzelfall muss bei jedem stotternden Kind genau geprüft werden, welche ungünstigen und günstigen (!) Umweltfaktoren und personenbezogene Faktoren (vgl. 7  Kap. 3.2.2, Abschn. »Kontextfaktoren«) eine Rolle spielen. Es geht also auch um eine Individualisierung der ätiologischen Theorie und infolgedessen der Therapieplanung. Nachfolgend werden die Faktoren, die nach heutigem Kenntnisstand für die Entwicklung des Stotterns in Frage kommen, im Detail erläutert. > Beachte Die Entstehung von Stottern ist ein komplexes, multifaktorielles Geschehen. Für eine monokausale Betrachtungsweise gibt es keinerlei wissenschaftliche Grundlage.

Modell zur multifaktoriellen ­Verursachung

2.2

Nach einführenden Gedanken zum Begriff der Disposition wird ein praxistaugliches, veranschaulichendes Modell für die Entstehung des Stotterns vorgestellt: das »Anforderungs- und Kapazitäten-Modell« nach Starkweather.

Allgemein wird heute davon ausgegangen, dass zur Entstehung und Aufrechterhaltung des Stotterns immer mehrere Faktoren zusammentreffen müssen. Die verschiedenen Modelle unterscheiden meist Ursachen, die beim Kind selbst liegen (personenbezogene Faktoren), und umweltbedingte Faktoren (Umweltfaktoren). Letztlich ist diese Unterscheidung interner und externer Faktoren stark vereinfachend, da in der kindlichen Entwicklung immer beide Aspekte ineinander fließen. Ursache und Reaktion, genau wie angeboren und gelernt, lassen sich hier nicht klar abgrenzen. 2.2.1

Was soll man sich unter der Disposition vorstellen?

Es ist mittlerweile wohl unumstritten, dass es so etwas wie eine Veranlagung, also eine Disposition zum Stottern gibt. Disposition bedeutet hier die »erhöhte körperliche Bereitschaft (...) Stottern (...) auszubilden« (Weikert 2000, S. 39). Inhaltlich kann diese Disposition jedoch noch nicht genau beschrieben werden. Es gibt keine eindeutige genetische oder körperliche Ursache, die allein für das Entstehen des Stotterns verantwortlich gemacht werden kann.2 Die Forschung beschäftigt sich 2 Nur in ganz vereinzelten Fällen des neurogenen Stotterns konnte die Ursache eindeutig nachgewiesen werden.

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Kapitel 2 · Wie entsteht Stottern?

allerdings intensiv damit, entsprechende Komponenten zu isolieren und hat bereits erste Erfolge in diese Richtung zu verzeichnen (vgl. 7  Kap. 2.1.2). Im Bereich Stottern wird der Begriff »Disposition« in der Literatur meist in einer erweiterten Form benutzt und beschreibt nicht nur die Anlagen, mit denen das Kind auf die Welt kommt. Stattdessen umfasst er neben den vermuteten genetischen Faktoren einzelne beobachtbare Ausprägungen in der kindlichen Entwicklung, die als »mögliche Verursachungsmomente« (Hansen u. Iven 1992, S. 243) angesehen werden. Im Einzelnen sind das: 4 neurophysiologische/-anatomische oder motorische Defizite, 4 mangelnde linguistische Fähigkeiten, 4 neuropsychologische Störungen oder auch 4 mangelnde psychische Stabilität. Vieles deutet darauf hin, dass die so verstandene »Disposition« ein multifaktorielles Phänomen ist (vgl. Weikert 2000, S. 39 f., und 7  Kap. 2.1). Allerdings scheint diese Verwendung des Begriffs verwirrend. Treffender wäre es, statt von Disposition hier von verschiedenen Faktoren zu sprechen, die zusammen mit Stottern beobachtet werden können und als Ursachen diskutiert werden. Die Unterscheidung zwischen hereditären (ererbten), organischen und erworbenen Faktoren bleibt zwangsläufig spekulativ, v. a. solange keine eindeutige genetische Ursache nachgewiesen werden kann. In der kindlichen Entwicklung beeinflussen sich diese verschiedenen Faktoren gegenseitig. Es lässt sich nicht mit Gewissheit feststellen, was das Kind an Anlagen hatte, was es schon früh erworben bzw. gelernt hat und in welchem Zusammenhang damit eventuelle organische Besonderheiten stehen. Entsprechend sind die organischen Zeichen nicht zwangsläufig als Ursache zu betrachten. Vielmehr sind auch sie als Ausdruck und Ergebnis einer interaktiven Störung in einem multifaktoriellen Bedingungsgefüge anzusehen. Ähnlich problematisch, weil spekulativ, ist die traditionell vorgenommene Unterscheidung von verursachenden und aufrechterhaltenden Faktoren. Der verwirrende Dispositionsbegriff wird daher im Folgenden durch die inhaltliche Beschreibung von Faktoren, die zusammen mit Stottern auftreten, ersetzt. In diesen fließen Anlagen, erworbene Fähigkeiten und Umwelteinflüsse stets zusammen und können nicht definitiv getrennt werden. Die Faktoren sind konkret und praxistauglich (z. B. hinsichtlich der Aufklärung der Eltern). Im Sinne einer einzelfallorientierten The-

rapieplanung sind sie individuell unterschiedlich zu gewichten. i Tipp Für die Elternberatung ist es irrelevant, welche Faktoren evtl. verursachenden oder aufrechterhaltenden Charakter haben. Wichtigster Bezugspunkt und von vorrangiger Bedeutung sind der Ist-Zustand und die Möglichkeiten, die die Eltern haben, flüssiges Sprechen zu fördern.

> Beachte Auf den Dispositionsbegriff wird verzichtet, weil er in der ausgeweiteten Form nicht zur inhaltlichen Klärung beiträgt. Eine genetische Anlage zum Stottern scheint plausibel, konnte bisher aber nicht eindeutig nachgewiesen werden. Diskutiert wird ein darauf aufbauendes, noch nicht entschlüsseltes, multifaktorielles Ursachengefüge.

2.2.2

Modell zum Zusammenwirken der verschiedenen Faktoren

Gemeinhin werden als Voraussetzungen 2 Erklärungs-

ebenen unterschieden:

4 organisch-konstitutionelle und 4 psycholinguistische Faktoren.

Ob es sich dabei um Folgen einer Reifungsstörung innerhalb der kindlichen Entwicklung oder um eine von Anfang an vorhandene genetische Besonderheit handelt, ist ungeklärt. Die Sprachentwicklung ist ein komplexer und störanfälliger Prozess, während dessen es zu vielfältigen Störungen kommen kann. Diese können vom einen Kind mehr, vom anderen weniger kompensiert werden. Bei einem hohen Prozentsatz der Kinder treten im Rahmen des Spracherwerbs physiologische Unflüssigkeiten auf. Diese bilden die Basis für die Entwicklung des primären Stotterns: Kommen in dieser Phase entwicklungsbedingter Unflüssigkeiten bestimmte Faktoren über einen längeren Zeitraum hinzu, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich Stottern entwickelt und festigt. So kann im Zusammenhang mit manifestem Stottern in der Regel immer das Zusammentreffen mehrerer Faktoren beobachtet werden. Die Vermutung liegt daher nahe, dass die beschriebenen Faktoren das Entstehen von Stottern in einem – wie auch immer gearteten – komplexen Wechselspiel begünstigen.

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2.2 · Modelle zur multifaktoriellen Verursachung

Das Anforderungs- und KapazitätenModell Starkweather (Starkweather 1987; Starkweather et al. 1990) stellt in seinem Anforderungs- und KapazitätenModell die Anforderungen (der Umwelt und des Kindes an sich selbst) den kindlichen Fähigkeiten gegenüber. Die .  Abb. 2.1 veranschaulicht diese Balance von Anforderungen und Kapazitäten. Starkweather vertritt die Auffassung, dass Stottern unter prinzipiell 2 verschiedenen Voraussetzungen des Ungleichgewichts entstehen kann: zum einen bei einem Untergewicht an Kapazitäten des Kindes (.  Abb. 2.2) in Bezug auf 4 »emotionale Stabilität, 4 Sprechmotorikkontrolle, 4 kognitive Fähigkeiten, 4 linguistische Fähigkeiten« (Johannsen u. Johannsen 1998, S. 483) und zum andern bei einem über längere Zeit anhaltenden Übergewicht an Anforderungen (.  Abb. 2.3), wie z. B.: 4 »hohe Erwartungen der Bezugspersonen, 4 hohes Anspruchsniveau des Kindes, 4 ungünstige Kommunikationsbedingungen« (Johannsen u. Johannsen 1998, S. 483).

2

Beide Formen des Ungleichgewichts bringen die kindliche Entwicklung aus dem Lot (.  Abb. 2.2 und .  Abb. 2.3). Ist das Verhältnis zwischen Kapazitäten (diese umfassen Anlagen genauso wie erworbene Fähigkeiten) und Anforderungen über längere Zeit unausgewogen, wird die Ausprägung von Stottern begünstigt. Hansen u. Iven (2002, S. 15 ff.) haben entlang dieses Modells das Entstehen von Stottern anschaulich beschrieben. Sie machen zu Recht darauf aufmerksam, dass folgerichtig auch in der Diagnostik auf Anforderungen und Kapazitäten geachtet werden muss (ebd.). Das gilt natürlich genauso für das Anamnesegespräch (vgl. die Vorlage in .  Abb. 4.2 u. 7  Kap. 12.7 und im   Ê Downloadbereich in der die individuell vermuteten Kapazitäten und Anforderungen eines Kindes von den Eltern eingetragen werden können) und entspricht einer ICF-orientierten Vorgehensweise (vgl. 7  Kap. 3).

> Beachte Im Sinne Starkweathers ist Stottern das Symptom eines kritischen Ungleichgewichtes von Kapazitäten des Kindes oder Anforderungen an das Kind und damit Ausdruck einer kindlichen Entwicklungskrise.

.  Abb. 2.1  Anforderungen und Kapazitäten für flüssiges Sprechen sind ausgeglichen. (Grafik von Sabine S. Hammer, Bad Vilbel, in Anlehnung an Johannsen u. Johannsen 1998, S. 483)

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Kapitel 2 · Wie entsteht Stottern?

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.  Abb. 2.2  Bei normalen Anforderungen und einem Untergewicht an Kapazitäten des Kindes kann Stottern entstehen. (Grafik von Sabine S. Hammer, Bad Vilbel, in Anlehnung an Johannsen u. Johannsen 1998, S. 486)

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2.3 Fazit 4 Auf die verwirrende Rede von der Disposition wird zugunsten der Darstellung verschiedener Faktoren verzichtet. 4 Ein interaktives Bedingungsgefüge bietet ein praxistaugliches und anschauliches Erklärungsmodell für die Entstehung und Aufrechterhaltung des Stotterns. 4 Modell für das Entstehen von Stottern ist das »Anforderungs- und Kapazitäten-Modell«.

Faktoren, die zusammen mit Stottern beobachtet werden können Auf den Begriff »verursachende Faktoren« wird bewusst verzichtet. Dies hat verschiedene Gründe: Alle »Ursachen« des Stotterns sind dies nur aufgrund von Theorien. Viele Untersuchungen belegen, dass bestimmte Störungen, Besonderheiten oder hirnorganische Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Stottern gehäuft auftreten. (Zu fast jedem Studienergebnis gibt es andere Untersuchungen, die das Ergebnis bezweifeln lassen oder widerlegen.) Ursache-WirkungsZusammenhänge, die daraus abgeleitet wurden, sind rein spekulativer Natur. Über die Ursachen des Stotterns ist bis heute kaum etwas bekannt.

Beim Kind ist es im Einzelnen schwierig festzustellen, was Ursache und was Folge des Stotterns ist. Manche Beobachtungen können auch im Sinne von spontanen oder erlernten Copingstrategien interpretiert werAus Ochsenkühn, Thiel, Ewerbeck. Stottern bei Kindern und Jugendlichen (Praxiswissen Logopädie). © Springer Medizin 2010

2.3 · Faktoren, die zusammen mit Stottern beobachtet werden können

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.  Abb. 2.3  Ein Übergewicht an Anforderungen bei normalen Kapazitäten bringt die Balance von Anforderungen und Kapazitäten für flüssiges Sprechen zum Kippen, und es kann zum Stottern kommen. (Grafik von Sabine S. Hammer, Bad Vilbel, in Anlehnung an Johannsen u. Johannsen 1998, S. 485)

den oder treten vielleicht einfach nur zufällig mit dem Stottern auf. Dies gilt gleichermaßen für innerpsychische Konflikte wie für organische bzw. neurophysiologische Parameter. > Beachte Die Vielfalt der Theorien zur Entstehung von Stottern und möglichen Ursachen ist groß. Das tatsächlich gesicherte Wissen darüber ist erschreckend gering. Ein kausaler oder wechselseitiger Zusammenhang der beschriebenen Faktoren zum Stottern ist letztlich nicht bewiesen. Belegt ist nur, dass die beschriebenen Faktoren häufig bei stotternden Kindern beobachtet werden können. .  Übersicht 2.1 stellt verschiedene Faktorenbündel

dar, mit denen sich das weitere Kapitel beschäftigt.

.  Übersicht 2.1 Ätiologische Faktoren in der Diskussion 4 Familiäre Häufung und genetische Komponente 4 Störung der zentralen Wahrnehmungsentwicklung 4 Gestörte Timing-Prozesse 4 Zusammenhang mit psycholinguistischen Fähigkeiten 4 Störungen der psychosozialen Entwicklung

2.3.1

Familiäre Häufung und ­genetische Komponente

Die Genforschung konnte bisher noch kein Gen eindeutig isolieren, das für das Stottern verantwortlich ist. Allerdings gelingt es Forschern der Humangenetik zunehmend, Chromosome zu identifizieren, die Dispositionsorte für Stottern sein können (Suresh et Aus Ochsenkühn, Thiel, Ewerbeck. Stottern bei Kindern und Jugendlichen (Praxiswissen Logopädie). © Springer Medizin 2010

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al. 2006). Zudem lässt sich eindeutig beobachten, dass Stottern in vielen Fällen familiär gehäuft auftritt. Bei mehr als zwei Dritteln stotternder Vorschulkinder zeigt sich Stottern in der Familienanamnese (Ambrose et al. 1993, S. 701, 706). Dies deutet auf eine erbliche Komponente hin3. Die Zahlen der unterschiedlichen Studien weichen zwar weit voneinander ab, einig sind sich jedoch alle in einem Punkt: Jungen entwickeln Stottern vergleichsweise häufiger als Mädchen (Ambrose et al. 1993). Die Stuttering Foundation of America geht davon aus, dass dreimal so viele Jungen wie Mädchen stottern (Conture 1999, S. 14; Johannsen 2001a, S. 153). Die geschlechtsspezifische Verteilung kann als Indiz für eine erbliche Komponente interpretiert werden, was auch durch neuere Studienergebnisse gestützt wird (vgl. Riaz et al. 2005). Allerdings sind Jungen auch für andere Sprach- und Sprechstörungen anfälliger als Mädchen, wofür es verschiedene Erklärungen gibt (vgl. Conture 1999, S. 14). Fazit 4 Stottern kommt in vielen Familien gehäuft vor. 4 Bei gehäuftem Auftreten von Stottern in der Familienanamnese besteht für das Kind ein erhöhtes Risiko, selbst Stottern zu entwickeln. Die genauen Zusammenhänge sind (noch) nicht bekannt. 4 Es ist davon auszugehen, dass die Anlage zum Stottern4, d. h. eine erhöhte Bereitschaft zur Entwicklung von Stottern, vererbt wird. Bisher kann die genetische Komponente noch nicht eindeutig nachgewiesen werden.

i Tipp Relevanz für die Therapieplanung 4 Eine nachvollziehbare Ursache des Stotterns erleichtert es den Eltern, die Störung zu akzeptieren. Die Eltern sind nicht so stark verunsichert durch Schuldgefühle im Hinblick auf mögliches eigenes Fehlverhalten.

3 Freilich muss dies nicht zwangsläufig so interpretiert werden. Genauso könnten theoretisch Einflüsse wie Erziehung oder familiäre Interaktionsmuster, also Lernprozesse, hierfür mitverantwortlich sein. 4 Ungeklärt bliebe dann immer noch, worin diese Anlage konkret bestünde (vgl. 7  Kap. 2.2.1)

4 Die Hoffnung auf völlige »Heilung« ist von vorneherein eingeschränkt, da sich an Erbfaktoren nichts ändern lässt. Demzufolge ist die Akzeptanz für das Stottern meist besser, was indirekt Veränderungen und Fortschritte unterstützt. 4 Übertriebene Betonung der Erblichkeit lenkt ab von den veränderbaren Faktoren und kann zu einer Art Schicksalsergebenheit führen. Die Therapeutin sollte aufzeigen, was mit welchen Methoden durch die Therapie konkret verändert werden kann.

2.3.2

Störung der zentralen ­Wahrnehmungsentwicklung

Umstellung von auditivem auf kinästhetisches Feedback Zunächst kontrolliert das Kind sein Sprechen auditiv. Im Laufe der Sprachentwicklung erfolgt dann natürlicherweise die Umstellung zur Kontrolle über das kinästhetische Feedback, das ökonomischer funktioniert. Möglicherweise kommt es bei stotternden Kindern im Prozess dieser Anpassung der Feedbacksysteme zu einer Desynchronisation. In der Übergangszeit muss das Kind lernen, die im Gehirn zeitlich versetzt einlaufenden Reize (Feedbackinterferenzen) zu integrieren. Schafft das Kind diese Integration nicht, dann ist auch eine geordnete Koordination der am Sprechakt beteiligten Muskelgruppen erschwert. Laut Fiedler (1993) treten die entwicklungsbedingten Redeunflüssigkeiten genau in dieser Phase der Feedbackumstellung auf. Solange das Kind auf beide Rückmeldesysteme zur Sprechkoordination zugleich zurückgreift, kommt es sporadisch zu Sprechunflüssigkeiten (Entwicklungsunflüssigkeiten). Bereits van Riper (1986, S. 10) brachte diese Theorie der konkurrierenden Feedbackkreise mit der Entwicklung des Stotterns in Verbindung. Auf Basis dieser Theorie kann Stottern pathogenetisch als erlernte Störung der Autoregulation des Sprechens betrachtet werden. > Exkurs Pathogenese.  An dieser Stelle soll kurz auf Theorien zur Pathogenese eingegangen werden: Bloodstein betrachtet Stottern als Ausdruck von »Fragmentierung und Spannung« (1995, S. 400 f., Übersetzung durch die Autorinnen). In diesem Sinne sind auch die Äußerungswiederholungen beim Kind als wiederholtes Stoppen zu verstehen und können so wie die Dehnungen und Blockaden mit der »anticipatory struggle hypothesis« (Bloodstein 1995) erklärt werden. (Das Verständnis von Stottern als Stoppen statt Hängenbleiben passt zu der Beobachtung,

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2.3 · Faktoren, die zusammen mit Stottern beobachtet werden können

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dass Stottern am häufigsten beim Anfangslaut oder der ersten Silbe eines Wortes auftritt, vgl. 7  Kap. 1.6.3, Abschn. »Prosodie und sprachliche Komplexität«). Fiedler (1993) vergleicht das Stottern mit dem Stolpern des Tausendfüßlers (.  Abb. 2.4), das eintritt, wenn er besonders darauf bedacht ist, nicht zu stolpern. Hierzu passt auch Wendlandts Theorie (1984b) vom Stottern als »Sprechfehlervermeidungsroutine«. Da Stottern nach diesen Theorien ein gelerntes Verhalten ist, kann es auch wieder verlernt werden.

Dass das auditive Feedback für das Stottern eine Rolle spielt, wird durch den Lee-Effekt nahe gelegt: Wird die akustische Rückkopplung verzögert dargeboten (dt.: Verzögerte akustische Rückmeldung (VAR), engl.: Delayed auditory feedback (DAF)), verbessert sich die Sprechflüssigkeit erheblich. Es wurden bereits Geräte entwickelt, die diesen Effekt für die Patienten (v. a. Erwachsene) nutzbar machen wollen (z. B. SprechManager). Untersuchungen zum Nachweis der andauernden Effektivität und Praktikabilität sind Bestandteil der aktuellen Forschung (z. B. Armson 2008). Gleichzeitig wird versucht zu erforschen, in welchem Zusammenhang der LEE-Effekt mit anatomischen und funktionellen Gegebenheiten im Gehirn (insbesondere im auditorischen Kortex) steht (Foundas u. Conture 2007). Fiedler und Standop (1994, S. 50 ff.) beschreiben, dass der Lee-Effekt bei Vorschulkindern stärker sei als bei über 8-Jährigen.

Hemisphärenambivalenzen und Lateralität Darüber hinaus spricht einiges dafür, dass Stottern mit »einer unzureichenden Lateralisation sprachlicher Funktionen« (Johannsen 2001a, S. 155) zusammenhängt, die zu Hemisphärenambivalenzen und daraus resultierend Irritationen in der Steuerung des Redeflusses führt (vgl. Fiedler u. Standop 1994). Traditionell wird davon ausgegangen, dass Stottern mit vermehrter rechtshemisphärischer Aktivität während des Sprechens einhergeht (Caruso et al. 1999, S. 235). Diese Annahme wird durch aktuellste Forschungsergebnisse aus den Neurowissenschaften gestützt. Diese zeigen, dass bei Stotternden eine höhere Aktivierung vor allem frontaler Gebiete der rechten Hemisphäre besteht als bei Nicht-Stotternden5. Gleichzeitig konnte eine Minderaktivierung »(…) in linksfrontalen Sprachregionen, in denen 5 Um Aktivierungen im Gehirn sichtbar zu machen kommen die Positronenemissionstomographie (PET) sowie die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) zum Einsatz.

.  Abb. 2.4  Grafik von C. Ochsenkühn. Fiedler (1993) vergleicht den Entstehungsmechanismus beim Auftreten von Stottern mit einem Tausendfüßler: Der Tausendfüßler gerät gerade dann ins Stolpern, wenn er besonders darauf achtet, nicht zu stolpern

[zusätzlich] strukturelle Abnormitäten gefunden worden waren« (Neumann 2007, S. 12) nachgewiesen werden. Es wird – gestützt durch Untersuchungsergebnisse (Neumann 2007) – angenommen, dass rechtshemisphärische Regionen bei stotternden Erwachsenen spontan kompensatorische Aufgaben übernehmen. Allerdings ist diese Kompensation oft unzureichend, was das bestehende Stottern zeigt. Nach erfolgreicher Fluency-Shaping-Therapie (7  Kap.  6.5) konnte eine effektivere Kompensation in Form von Mehraktivierung in linkshemisphärischen Regionen beobachtet werden.

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Störungen in der Lateralisation sprachlicher Funktionen gehen wegen des engen Zusammenhangs von Sprache und Motorik häufig mit Auffälligkeiten in der Händigkeitsentwicklung des Kindes einher. In Bezug auf die Prognose spielt die Lateralität eine wesentliche Rolle: Die Remissionsrate liegt bei Linkshändern entscheidend niedriger als bei Rechtshändern (Johannsen 2001b, vgl. 7  Kap. 1.2, 7  Kap. 7.3). i Tipp Relevanz für die Therapieplanung 4 Allgemeine Förderung der (auditiven und taktilkinästhetischen) Wahrnehmung und Wahrnehmungsintegration, bei Bedarf Ergotherapie (vgl. 7  Kap. 5.4.4 und .  Übersicht 5.14) 4 Baustein Modifikation=Schulung der motorischen Kontrolle beim Sprechablauf

2.3.3

Gestörte Timing-Prozesse

Sprechen erfordert eine präzise motorische Koordination von Atmung, Stimmgebung und Artikulationsbewegungen. Dieser Prozess wird neuronal gesteuert. Bei Stotternden konnten nun strukturelle Abnormitäten im Gehirn festgestellt werden, die für »(…) eine gestörte neuronale Kommunikation zwischen linksseitigen Sprechmotorikplanungs- und Ausführungsregionen sowie auditorischen Regionen (…)« (Neumann 2007, S. 7) verantwortlich sein könnten. Zusätzlich konnte gezeigt werden, dass die Reihenfolge der Aktivierung von Arealen, die für die Artikulationsplanung zuständig sind, bei Stotternden gegenüber Nicht-Stotternden abweicht. Messbare Unterschiede. Untersuchungsmethoden wie die Elektromyographie (gibt Auskunft über die Spannungsverhältnisse einzelner, am Sprechakt beteiligter Muskelgruppen) oder die Untersuchung des VOT (Voice-Onset-Time vgl. nachfolgenden Exkurs) ermöglichen detaillierte Aussagen zu Ähnlichkeiten und Unterschieden im Sprechen stotternder und nicht stotternder Kinder. Bei diesen Untersuchungen zeigten sich einige messbare Unterschiede im Sprechablauf Stotternder und Nichtstotternder. (vgl. Kuckenberg u. Zückner 2006) Diese Untersuchungsergebnisse könnten die Tatsache erklären, dass stotternde Menschen langsamer sind als Nichtstotternde, wenn sie möglichst schnell beginnen sollen zu phonieren. Dies betrifft VC-, VCV- und CV-Übergänge. (vgl. z. B. Bloodstein 1995, Caruso et al. 1999, S. 321). Studien mit Reaktionszeiten bei Erwachsenen zeigen, dass diese bei Stotternden

länger sind, genauso wie die Vokaldauer und Pausen, was die These, dass es sich beim Stottern vorrangig um eine Timing-Störung handelt, unterstützt. Conture et al. fassen zusammen: »Stotterer – Kinder, Jugendliche und Erwachsene – weisen im Vergleich zu Flüssigsprechern feine Schwierigkeiten oder Normabweichungen in ihrer Sprechmotoriksteuerung und -ausführung auf. Insbesondere setzen Stotterer ihre Sprechvorgänge langsamer in Gang, produzieren weniger korrekte Lautübergänge und zeigen eine geringere Stabilität in ihrer Sprechproduktion.« (Conture et al. 2001, S. 2)

Zunehmend werden hierzu auch Untersuchungen mit Kindern durchgeführt, mit ähnlichen Ergebnissen: »Kinder, die stottern, neigen dazu, in Bezug auf Phonationsbeginn und -ende langsamer zu sein als ihre normalflüssigen Altersgenossen« (Caruso et al. 1999, S. 326). > Exkurs Voice-Onset-Time misst die Dauer der Übergänge von stimmlosen zu stimmhaften Lauten und beschreibt somit das Gelingen eines wichtigen Aspektes der Koartikulation. Beim Stottern wird i.d.R. innerhalb der ersten Silbe eines Wortes die Stimmlippenschwingung zur Bildung des Vokalkerns der Silbe nicht in Gang gesetzt oder mit der nötigen zeitlichen Dauer aufrecht erhalten (Kuckenberg u. Zückner 2006, S. 10). Es kommt zu Verzögerungen, Dehnungen oder Blockierungen. Beispiel /kind/: Durch die Schwierigkeit, den Stimmeinsatz (Übergang von Stimmlosigkeit zu Stimmhaftigkeit) zwischen den Lauten /k/ und /i/ zeitgerecht zu organisieren, kommt es z.B. zu einer vollständigen Blockierung (K-- ind) oder zu einer Lautwiederholung (K-K-K-Kind). Denkbar wäre auch die Realisation K-hhhind. Dies würde für eine unvollständige Annäherung der Stimmlippen sprechen. Beispiel /onkel/: Der Stimmeinsatz (Onset) gelingt nicht mit dem Sprechbeginn, es kommt zu einem (möglicherweise intermittierenden) glottalen Verschluss oder aber zur Vorschaltung eines spannungsreichen Hauchlautes: Hhhhonkel. Beispiel /material/: Hier sind die meisten Varianten denkbar: gelingt der Stimmeinsatz (Onset) bei dem stimmhaften Konsonanten gar nicht, kommt es zu stummen Pressversuchen. Gelingt er, reißt jedoch wieder ab, kann es zur Silbenwiederholung (Ma-ma-material), zur stimmhaften spannungsreichen Dehnung (Mmmaterial) oder zur Lautwiederholung (M-m-m-material) kommen. Die Sprechtechnik der Prolongation (7  Kap. 8.7.1, Abschn. »Die Prolongation – Sprechtechnik und Vorübung

Aus Ochsenkühn, Thiel, Ewerbeck. Stottern bei Kindern und Jugendlichen (Praxiswissen Logopädie). © Springer Medizin 2010

http://www.springer.com/978-3-642-01823-7