Wenn aus guter Hoffnung Trauer wird Der Umgang mit dem Tod rund um die Geburt. Einleitung

Vorbemerkung zur schriftlichen Ausführung meines Referates: Leider musste ich meine Beispiele aus der seelsorgerlichen Praxis entfernen, da ich sie ni...
Author: Erica Koenig
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Vorbemerkung zur schriftlichen Ausführung meines Referates: Leider musste ich meine Beispiele aus der seelsorgerlichen Praxis entfernen, da ich sie nicht veröffentlichen darf. Bereits im mündlichen Vortrag hatte ich Änderungen vorgenommen, um eine Wiedererkennbarkeit auszuschließen.

Wenn aus guter Hoffnung Trauer wird – Der Umgang mit dem Tod rund um die Geburt Einleitung Ich gehe davon aus, dass Sie alle hier schon mehr als einmal mit der Situation des Sterbens im Kreißsaal konfrontiert waren. Und ich bin sicher, dass Sie sich - in Ihrem Beruf als Hebamme - dieser schwierigen Situation gestellt haben. Und die Familie, ganz besonders die Mutter, mit Zuwendung und Empathie begleitet haben. Mein Referat soll jetzt auch nicht schwere Erinnerungen oder alte Wunden anrühren. Ich will aus meiner seelsorgerlichen Sicht Wege und Möglichkeiten beschreiben, die Ohnmacht und das Leiden der Familien aufzunehmen. Aber ebenso wichtig erscheint es mir auch, auf die eigenen Grenzen zu achten und sie nicht aus den Augen zu verlieren. Nach meinem Wissenstand verbringen Sie als Hebamme vor, während und nach der Geburt die längste Zeit mit der Mutter oder den Eltern. Und damit befinden Sie sich – wenn etwas Dramatisches geschieht - in einer Situation, die ich in meinem Beruf als eine klassische Situation der „Notfallseelsorge“ beschreiben würde. An dieser Stelle überschneiden sich sozusagen unsere Berufe. Und ich würde Ihnen gerne aus meiner Sicht erzählen, was sich in solchen Krisen-Situationen als besonders hilfreich erweist. Und was sich eher hinderlich bis störend auswirken kann. Es mag sein, dass Ihnen vieles davon ganz selbstverständlich erscheint und sich genau mit Ihren Erfahrungen deckt. Aber womöglich begegnet Ihnen ja auch noch der eine oder andere Moment der Unsicherheit; und vielleicht kann ich da ja einige nützliche Impulse geben. Hauptteil

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1.1. Wenn aus guter Hoffnung Trauer wird „Guter Hoffnung sein“ - das ist eine etwas aus der Mode gekommene Umschreibung für Schwangerschaft. Aber ich finde nach wie vor, dass sie den Kern der Sache sehr gut trifft. Denn „guter Hoffnung sein“ beschreibt, dass sich da etwas noch im Werden befindet – also weder abgeschlossen, noch so ganz sicher ist. Da ist schon die Erwartung und die Freude, aber die Erfüllung steht noch aus. Und deshalb braucht es Mut und Zuversicht – gute Hoffnung eben. Denn es kann auch anders ausgehen... Was, wenn das geschieht und die gute Hoffnung zerbricht? Ich erlebe das oft so - und vermutlich nehmen Sie das auch so wahr: Wenn eine Frau nach einer frühen Fehlgeburt trauert, trifft sie im Allgemeinen auf kein sehr großes Verständnis in ihrer Umgebung. „Sie war doch grad erst schwanger“, wird gesagt. „Das war doch noch ganz klein und noch gar nicht lebensfähig.“ Oder: „Die Natur wird sich schon was dabei gedacht haben…“ Und: „Vielleicht ist es ja auch besser so.“ Das mag ja alles richtig sein. Aber für die Mutter existiert das werdende Kind nicht nur auf dem Ultraschallbild. Sie hat es - eine erwünschte Schwangerschaft vorausgesetzt - längst angenommen. Dieses Kind, das in ihr wächst, ist für sie Zukunft, Reichtum, Erfüllung. Es ist eine Steigerung der Lebensfreude und des Könnens und Vermögens ihres Körpers. Dieses Kind ist - im Idealfall - auch Besiegelung der Liebe und Partnerschaft, und bedeutet Glück und Selbstbestätigung. Und dieses Glück ist auf einmal nicht mehr vorhanden. Für den Vater ist es oft schwieriger, bei einer Fehlgeburt Trauer und Enttäuschung über den Verlust zu empfinden. Er hatte ja nicht die konkrete Erfahrung in sich und seinem Körper. Und: Die Trauer um ein ungeborenes Kind wird dem Vater auch weniger zugestanden als der Mutter. Wie auch immer, nach kurzer Zeit wird von der Mutter erwartet, dass sie wieder funktioniert. Doch: Die positive Identität, die in der erwünschten Schwangerschaft erworben wurde, ist weitgehend verloren. Besonders schlimm ist es, wenn sie schon mehrere Fehlgeburten hatte. Und sie noch kein Kind hat, d.h. sie kann nicht auf eine gute Erfahrung zurückgreifen. Oder: Wenn die Schwangerschaft nur nach großen Mühen und unter medizinischer Hilfe zustande kam. Bei einer späten Fehlgeburt oder einer Totgeburt ist das alles natürlich noch viel dramatischer. Nur: In diesem Fall wird der Frau sehr viel mehr Verständnis entgegengebracht. Die Schwangerschaft war weithin sichtbar - da kann sich einfach jeder vorstellen, dass das ein schmerzlicher Verlust sein muss. Auch der Vater kann sich hier meist besser identifizieren, denn er ist in seinem Erleben nicht mehr so weit von dem seiner Frau entfernt. Für beiden Elternteile bedeutet es ein abruptes Ende der Wünsche, der Vorfreude. Häufig machen sich große Selbstzweifel bei der Frau breit: der Zweifel an der Fähigkeit, überhaupt Leben zu schenken und gedeihen zu lassen. 2

Die Mutter erlebt sich als jemand, der Tod bringt und nichts Lebensfähiges zur Welt bringen kann. Das kann zu langanhaltender Trauer führen, bis hin zu Depressionen und Selbstaggression. 1.2. Belastende Erfahrungen auf Seiten bei der Geburtshilfe Sie als Hebammen begleiten die Frauen oft schon in der Schwangerschaft und darüber hinaus. Es gehört zu ihren wesentlichen Aufgaben, der Mutter bei der Geburt beizustehen, die Geburt zu überwachen und am Ende das Kind mit vereinten Kräften auf die Welt zu bringen. Meistens geht das gut und sie blicken nach all den Anstrengungen in glückliche Gesichter. – Zum Glück ist das so! Aber ich gehe davon aus: Das Wissen darum, dass etwas schief laufen kann, dass es plötzlich zu unerwarteten Komplikationen kommen kann, das geht immer irgendwie mit… Und ich vermute: Auch die Angst davor. Denn jede von Ihnen blickt auch auf belastende Erfahrungen zurück: - auf Geburten, bei denen ein totes Kind zur Welt gebracht wird; - oder eines, das nicht lebensfähig ist; - oder lebensbedrohliche Situationen für die Mutter. Wie gehen Sie damit um? Ich vermute: - einige von Ihnen würden womöglich etwas drum geben, damit Ihnen in Zukunft diese dunkle Seite ihres Berufes nicht mehr begegnet. - Andere haben vielleicht gelernt, es als Teil des Berufes hinzunehmen. - Und wieder andere haben gelernt es zu akzeptieren: Zu akzeptieren dass auch der Umgang mit dem Tod Teil Ihres Berufes ist. Wer da angekommen ist, hat es leichter. Ich, beispielweise, könnte meinen Beruf nicht ausüben - und dabei immer noch ein fröhlicher Mensch sein, wenn ich diese Seite nicht schon lange akzeptiert hätte: Menschen sterben; sie sterben alt, sie sterben jung, sie sterben zur Unzeit. Ja, sie sterben, noch bevor sie je richtig gelebt haben… Fragen Sie mich nicht, warum das so ist. Wenn ich es wüsste, würde ich es Ihnen gerne sagen. Aber ich weiß es nicht. Ich kann Ihnen noch nicht einmal den Sinn verraten. Das einzige, was ich habe, ist mein Vertrauen. Ich vertraue darauf, dass alles einen Sinn hat, auch wenn ich ihn nicht zu erkennen vermag. Vielleicht noch nicht, das ist meine Hoffnung, aber das ist eine andere Geschichte… Verunsicherung und Selbstzweifel nach einem dramatischen Ereignis Wenn unvorbereitet etwas Schlimmes passiert, führt das in vielen Fällen zu einer enormen Verunsicherung: (Das gilt auch für andere Berufe.) Da stellen sich diese leisen, bohrenden Fragen ein: - Hast du nicht doch was übersehen? - Hättest du nicht an dieser und jener Stelle etwas ahnen müssen? - War da nicht schon von vorneherein so ein komisches Gefühl, und du hast nicht darauf gehört…?

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Das Erstaunliche ist: diese Fragen stellen sich (bei den meisten) selbst dann ein, wenn man sich von der Sachlage her keinerlei Vorwürfe zu machen braucht. Wenn ich also eigentlich alles richtig gemacht habe. Warum ist das so? In meinem Beruf sagen wir: Der Bruder des Todes ist das schlechte Gewissen. Und das schlechte Gewissen schleppt immer die Schuldgefühle und Selbstzweifel hinter sich her. Die kommen einfach mit, ob wir nun wollen, oder nicht. Und ganz gleich, ob sie nun gerechtfertigt sind oder nicht. Beispiel für das schlechte Gewissen: Nehmen wir mal den gängigen Fall: Eine alte Frau stirbt; die Tochter hat sie jahrelang liebevoll gepflegt. Selbst die macht sich hinterher Vorwürfe. Und da können Sie noch so oft sagen: „Aber Frau Soundso, mehr hätten Sie doch weiß Gott nicht für Ihre Mutter tun können.“ Sie wird Ihnen ins Gesicht sehen und sagen „Doch.“ Denn jetzt erinnert sie sich an eine Situation, in der hat sie die Geduld verloren. Und sie erinnert sich an diesen Gedanken, den sie nie denken wollte, doch er hat sich trotzdem schon mal eingeschlichen, wenn sie erschöpft war: „Wenn das alles nur mal ein Ende hätte…“ - Und so geht es weiter und weiter…. Merken Sie etwas? Es ist gibt kaum ein Entrinnen. Das ist einfach eine menschliche Seite: Schuldgefühle und Selbstzweifel. Und in Wirklichkeit ist das auch gar keine so schlechte Seite; es ist vielleicht sogar die Menschlichste Seite überhaupt an uns. Und ich werde ihnen auch sagen, warum: Weil uns diese kritische, innere Stimme vor Selbstüberschätzung und Selbstgerechtigkeit bewahrt. - Ich persönlich fürchte keine Menschen so sehr, wie die, die keinen Zweifel kennen. Wir leben in dieser Spannung: - Es gibt keinen Höhenflug ohne die Erfahrung der Niederlage. - Wir wissen nur was Glück ist, wenn wir auch das Unglück kennengelernt haben. - Und ohne unsere Selbstzweifel stünden wir in der Gefahr, uns völlig zu überschätzen. Wir brauchen immer diese beiden Seiten, um uns im Gleichgewicht zu halten. Schwierig wird es erst dann, wenn es kippt, und wir das Gleichgewicht verlieren… Und uns die Selbstzweifel sozusagen auffressen. Wie kann man mit dem Zweifel umgehen? Sicher, der Zweifel fühlt sich nicht gut an; wie ein ungebetener Gast. Und am liebsten würde ich ihn wegsperren. Aber was tut ein ungebetener Gast, wenn ich ihn in die Besenkammer einsperre? -Richtig, er macht noch mehr Radau. Jetzt macht er erst richtig auf sich aufmerksam. Und deshalb ist das mit dem Wegsperren nicht so eine gute Idee. Der bessere Weg ist, meine Zweifel zu würdigen und sie mit in mein „Inneres Team“ zu nehmen: Denn alle meine negativen Gefühle möchten gehört und wertgeschätzt werden. Und wenn ich sie mit den anderen Stimmen meines „Inneren Teams“ ins Gespräch bringe – also, der Stimme der Vernunft, der beruflichen Distanz, der Gelassenheit, des Weitblicks, 4

der Zuversicht, der guten Erfahrungen, usw., dann werden auch die negativen Gefühle mit ihren Stimmen einen angemessen Platz finden. Sie sind dann keine Störenfriede mehr, sondern gleichwertige Team-Mitglieder. Sie haben eine Stimme, aber sie haben nicht das Sagen.

1.3. Nach einer Todgeburt Vom Umgang mit dem Todgeborenen Lassen Sie uns jetzt in Gedanken in den Kreißsaal gehen: Ein totes Kind ist entbunden worden. Dass man der Mutter das Kind zeigt, und sie es – so sie will – im Arm halten kann, ich denke, das ist mittlerweile gängige Praxis. Mir erzählte eine Hebamme: „Ich gehe so vor wie bei eine normalen Entbindung: Ich messe, wiege und wasche das tote Kind und teile der Mutter alles mit - genauso, wie ich das sonst auch mache.“ Ich weiß nicht, ob das so üblich ist? Aus meiner Sicht ist das ein gutes Vorgehen - freilich muss der Ton der Situation angemessen sein: leise und unaufdringlich - aber das versteht sich von selbst. Wenn die Frau apathisch wirkt, heißt das ja nicht, dass sie nicht hört. Selbst wenn sie nicht direkt zuhört - sie hört eine menschliche die Stimme. Sie nimmt wahr, dass sie nicht allein ist. Und: ihr totes Kind wird gewürdigt, indem die üblichen Dinge verrichtet werden. Im Untertext steht sozusagen: „Dein Kind lebt zwar nicht, aber ich werde es mit der gleichen Sorgfalt behandeln.“ Und das kann tröstlich sein. Und auch wenn die Frau völlig abwesend wirkt, sie bekommt womöglich trotzdem alles mit. Mir haben im Nachgespräch schon so viele Frauen (und auch Männer) erzählt, wie gut und menschlich sie im Kreißsaal behandelt worden seien, und wie tröstlich das für sie gewesen sei. Und da wird jede kleinste Kleinigkeit aufgezählt: Allem voran Gesten der Mitmenschlichkeit und des Mitgefühls. D.h., das, was Sie dieser Stelle tun, kann bei der späteren Verarbeitung sehr helfen. Die eigene Hilflosigkeit Ich werde oft gefragt: Was mache ich, wenn ich nicht weiß, was ich sagen soll? Das ist die Frage nach der eigenen Hilflosigkeit. Und das ist eine sehr wichtige Frage. Denn der schlechteste Ratgeber in einer schwierigen Situation ist die Hilflosigkeit. Gerade angesichts des Todes sagen die Menschen oft Dinge, die zwar gut gemeint sind, aber alles andere als gut sind. Man weiß nicht, was man sagen soll. Und dann sagt man einfach irgendetwas. Aber „irgendetwas“ ist meistens das Falsche. Und dabei ist die Hilflosigkeit an sich gar nichts Schlechtes – aber nur, wenn man sie sich eingesteht. Und nicht versucht, sie zu überspielen; oder zu überdecken. 5

Deshalb: Wenn ich einmal nicht weiß, was ich sagen soll, gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Ich sage nichts. Oder ich sage, dass ich nicht weiß, was ich sagen soll. Ich muss nicht einmal sagen, dass es mir Leid tut. Man sieht das schon an meinem Blick. Man erkennt es an meiner Stimme. An jeder Geste. Denn: Nichts sagen bedeutet auch: Der großen Stille Raum zu lassen. Und: Die Leere mitauszuhalten. Traurige Menschen blicken ins Leere. Und das ist ihr gutes Recht. Denn eben ist die große Leere in ihr Leben getreten. Und sie ahnen schon, dass sie nun lange mit ihr leben werden müssen. Und ich erweise ihnen meinen Respekt, wenn ich nicht versuche, das mit Worten zuzudecken. Oder sie davon abzulenken. Und da ist es das Größte, was ich für sie tun kann, und gleichsam das Schwerste: Da sein und Mit-aushalten. Ganz einfach nur das. Und gehen, wenn ich nicht mehr gebraucht werde. Beispiele für die Hilflosigkeit der Umwelt Dieser Schutzraum ist ungemein wichtig. Denn da draußen, in der „normalen“ Welt, wird ihnen (den verwaisten Eltern) die Hilflosigkeit mit ihren Folgen bald an jeder Ecke entgegentreten. Sie werden Sätze hören, wie: - „Du bist doch noch so jung. Ihr könnt bestimmt noch mehr Kinder kriegen.“ Aber das tut weh. Denn das heißt im Subtext: „Alles halb so schlimm. Du hast gar keinen Grund, so traurig zu sein. Denn Ihr könnt den Verlust bestimmt ersetzen.“ Aber genau das macht es nur noch schlimmer. Denn damit wird den Eltern zu dem Kind auch noch das Recht genommen, darum zu trauern. Sie fühlen sich nicht verstanden. Und wer sich nicht verstanden fühlt, wird sehr einsam. - „Du hast doch noch dein anderes Kind.“ Das weiß die Frau/die Eltern. Davon wird aber die Trauer nicht kleiner. Man kann den Verlust nicht mit dem verrechnen, was man schon hat. Und wenn es das fünfte Kind ist, das man verliert. Es will betrauert werden. - „Es sollte wohl nicht sein.“ Keiner, außer den Leidtragenden, hat die Deutungshoheit über ihre Situation. Es ist ein großer Unterschied, ob ich, als Betroffene, zu dieser Erkenntnis komme, oder mir das jemand – mehr oder weniger leichtfertig – sagt. Auch das kann verletzend sein und zum inneren Rückzug und Vereinsamung der Mutter/Eltern führen. - „Findest du nicht, du hast jetzt lange genug getrauert?“ Auch das tut weh, denn es setzt den Trauernden unter Zeitdruck. Die anderen wollen die „alte“ Person wieder zurückhaben, wie sie vorher war. Und haben keine Geduld mehr. Aber: die Trauer braucht so lange, wie sie braucht. Sie geht ihren eigenen Weg, bei jedem anders. Und ob wir es nun verstehen oder nicht: man hilft den Trauernden am meisten, indem man das respektiert. Angebote machen: Ja. Aber nicht unter Druck setzen.

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1.4. Die Emotionen Der Umgang mit den eigenen Emotionen Was ist, wenn ich zu emotional auf eine Situation zu reagiere? Emotionen sind erst einmal kein Fehler. Und wenn mir mal die Tränen kommen, ist das auch nicht schlimm. Nur wenn es sich so anfühlt, als ob es mein eigener Verlust ist, den ich da beklage, dann stimmt was nicht. Und dann kann ich für die Frau/Eltern auch kein Gegenüber mehr sein. Denn dann haben sich meine Grenzen verwischt und die Grenzen zum anderen. In so einem Fall kann es sein, dass ich tatsächlich einen eigenen Verlust beklage. Nur, ich habe den Kontakt dazu verloren und weiß nicht mehr genau, was mich so traurig macht. Die Situation spült die Trauer sozusagen einfach in mir hoch. Starke Emotionen von Patienten oder Angehörigen Mit straken Gefühlsäußerungen der Trauer können die meisten Menschen in helfenden Berufen noch ganz gut umgehen. Da ist es vor allem wichtig, den Leuten Zeit zu lassen und sie mit ihren Gefühlen anzunehmen. Aber was, wenn jemand mit Wut reagiert? Das Paradoxe ist: Wenn ich möchte, dass jemand wieder runterkommt, erreiche ich das unter gar keinen Umständen, wenn ich ihm mitteile, welche Gefühlslage ich mir jetzt von ihm wünsche. Also wenn ich etwa sage: „Jetzt beruhigen Sie sich erst einmal!“ Das bewirkt genau das Gegenteil: Damit bringe ich ihn erst richtig zum Kochen. Wenn ich will, dass einer wieder runterkommt, dann darf ich auch keinesfalls sagen: „Ich versteh ja Ihre Gefühle, aber…“ Denn damit beweise ich nur das Gegenteil: Dass ich etwas behaupte, was nicht stimmt (Gefühle kann man nämlich gerade nicht verstehen). Und dass ich in Wirklichkeit Einfluss nehmen will auf den anderen, um seine Gefühle zu ändern. Das ist etwa so, wie wenn der Kochtopf überkocht: Da nutzt es auch herzlich wenig, den Deckel drauf zu machen – denn dann wird´s nur noch schlimmer. Ich muss etwas an der Energiezufuhr ändern. Dann beruhigt es sich von selber. Das ist sozusagen das Gesetz der Gefühle: Starke Gefühle verlangen unbedingt und unmittelbar anerkannt zu werden. Und man erkennt sie an, indem man sie akzeptiert und ernst nimmt. Und somit zulässt. Nur dann können sie sich auch wieder beruhigen. Und im Falle eines aufgebrachten Vaters nach der Geburt? Nicht versuchen, Einfluss auf seine Gefühle zu nehmen. Aber ihm möglichst ruhig klarmachen, dass er in diesem Zustand nicht hilfreich ist für die Frau. Und ihm eventuell empfehlen, sich eine vertraute Person hinzuzuholen, oder den/die KrankenhausseelsorgerIn.

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1.5. Abschied nehmen Dass man versucht, den Eltern einen Abschied vom Kind zu ermöglichen, ist – denke ich mittlerweile gängige Praxis. Manchmal wollen die Eltern ihr Kind aber nicht sehen. In unserer Klinik werden die toten Kinder immer von den Hebammen fotografiert. Falls es sich die Eltern später anders überlegen, haben sie wenigstens ein Bild. Es gibt auch die Möglichkeit, einen Fußabdruck zu machen, oder einen Abdruck der Hand, als Erinnerung an das Kind. Soviel ich weiß, wird mittlerweile in den meisten Kliniken etwas in dieser Art angeboten. Und das ist - in meinen Augen - sehr gut. Ich halte diesen Abschied für ungeheuer wichtig. Und meistens gelingt es mir, die Mutter/Eltern (entgegen ihrer ersten Abwehr) zu einer Abschiedsfeier zu bewegen. Oft steckt eine unbestimmte Angst dahinter, dass die Eltern das Kind nicht sehen wollen. Das ist so eine spontane Abwehr. Oder sie wollen sich so vor der Trauer schützen, was manchmal sogar dazu führt, dass Eltern sich von einem von einem sterbenden Frühgeborenen oder Neugeborenen ferngehalten. Aber so funktioniert das meistens nicht. Man kommt nicht drum herum: Wer sich dem Abschied nicht stellt, den holt die Trauer (mit einer kurzen Verzögerung) wie ein Bumerang - mit doppelter Wucht - wieder ein. Deshalb ist es so wichtig, richtig Abschied zu nehmen. Aber wenn man darüber ins Gespräch kommt und das Vertrauen gewinnt, dann verliert die Angst meist an Bedeutung. Und ein Abschied wird möglich. Abschiedsrituale Zu einem guten Abschied gehören Abschiedsrituale, wie z.B. die Aussegnung. Darauf will ich nur ganz kurz eingehen (das wäre nämlich ein Vortrag für sich): Wozu brauchen wir solche Rituale? Das Abschiedsritual bietet dem Einzelnen einen sicheren Rahmen, in dem er seinem Schmerz und seiner Trauer Raum und Ausdruck geben kann. Wir stoßen mit dem Tod an eine Grenze, die unser Verstehen übersteigt. Nach christlichem Verständnis ist es so: Wenn die Bibel von Sterben und Auferstehung spricht, sagt sie deutlich, dass unser irdisches Leben nicht fortgesetzt wird. Es ist mit dem Tod vorbei, und sei es noch so kurz gewesen. -Aber sie verheißt, dass unser Leben verwandelt wird, ja, sogar vollendet wird. Unsere christlichen Abschiedsrituale nehmen beides auf: Den Schmerz des Abschieds mit seiner Endgültigkeit. Und die Hoffnung auf Leben jenseits aller Grenzen. Und natürlich auch die Hoffnung auf Gottes Mitsein in den schmerzlichen Grenzerfahrungen. Wir haben einmal das Ritual der Aussegnung (- das ist eine kurze Abschiedsfeier mit Gebeten und Aussegnung des verstorbenen Kindes), und an vielen Orten werden heute Abschiedsgottesdienste angeboten, für alle Totgeboren, die unter 500 g, wiegen und nichts beigesetzt wurden. Sie werden danach zusammen (meistens in mehreren Kindersärgen) in die Erde gelegt und begraben. (Sternenkinder/Sternengrab) 8

Bei uns werden im November alle betroffenen Familien zu so einem ökumenischen Trauergottesdienst eingeladen. Dieses Ritual wird von den Eltern sehr gut angenommen. An den Aussegnungen und den Trauergottesdiensten nehmen auch unsere Hebammen oder/und Schwestern und ÄrztInnen gerne teil, wenn sich das zeitlich vereinbaren lässt. Denn sie sagen, auch ihnen täte das gut.

1.6. Wenn aus guter Hoffnung Trauer wird und die Begleitung ist hilfreich Wenn aus guter Hoffnung Trauer wird – und das Geschehen wird von allen gut begleitet, dann verlassen uns zwar am Ende tief traurige Eltern, aber meiner Erfahrung auch sehr dankbare. Sie haben weiter Vertrauen in die Klinik und sie kommen gegebenenfalls wieder. Zusammenfassung und Schluss Ich komme jetzt zum Schluss. Ich habe eingangs das Ziel meines Vortrages umschrieben: Ich wollte aus meiner seelsorgerlichen Sicht Wege und Möglichkeiten beschreiben, die Ohnmacht und das Leiden der Familien aufzunehmen und gleichzeitig darauf achten, die eigenen Grenzen nicht aus den Augen zu verlieren. Wenn Sie dieser Vortag darin ermutigen konnte, diese schwierige und wichtige Aufgabe auch weiterhin mutig und sensibel anzunehmen – und ich Ihnen darüber hinaus vielleicht ein paar neue Impulse auf den Weg mitgeben konnte, dann freue ich mich. Vielen Dank.

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